In meinem Buch habe ich, neben einer Analyse des heutige Systems auch eine Vision eines völlig neuen entworfen, dass weiterhin aktuell ist. Hier die kompakte Zusammenfassung des Entwurfs.
Im diesem neuen Gesundheitssystem wird von folgenden Grundsätzen ausgegangen:
(1) Alle präventiven, diagnostischen, therapeutischen, rehabilitativen, gesundheitserhaltenden, pflegenden oder palliativen Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, die sich mit Krankheiten, Symptomen oder Verhaltensstörungen, die ein Individuum aufweist, seien sie körperlich, seelisch, inklusive der zellullären und genetischen Information, den Strukturen oder Funktionen des Körpers oder eines Teils des Körpers befassen, gehören zur Gesundheitsversorgung und stehen im Interesse der Öffentlichkeit. Daher sind sie auch durch die demokratisch legitimierten Vertreter der Öffentlichkeit zu regeln.
(2) Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen der Gesundheitsversorgung, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt werden kann, sind Teil des öffentlichen Gesundheitssystems. Ein nationales, unabhängiges, wissenschaftliches und transparent arbeitendes Public-Health-Institut, das in enger Zusammenarbeit sowohl mit den Universitäten, als auch den politischen Entscheidungsträgern zusammenarbeitet, legt fest, welche Leistungen zur Gesundheitsversorgung gehören und welche anderen Bereiche (z. B.: Wellness, Arbeitswelt, soziale Prävention und Reintegration etc.) zuzurechnen sind. Die Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen des öffentlichen Gesundheitssystems werden in Katalogen geführt, die in englischer und deutscher Sprache im Internet publiziert werden müssen.
(3) Alle Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen des öffentlichen Gesundheitssystems sind rund um den Patienten und entlang dem Verlauf von Krankheiten zu organisieren, damit Patienten zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhalten. Die dazu notwendige wissenschaftliche Grundlage liefert das nationale Public-Health-Institut, die Organisation erfolgt durch das öffentliche Gesundheitssystem, die Kontrolle, inwieweit das System integriert funktioniert, erfolgt anhand von Indikatoren, die durch das nationale Public-Health-Institut aufgestellt und erhoben werden. Die Indikatoren müssen im Internet publiziert werden.
(4) Durch die Politik wird auf Bundesebene festgelegt, welcher Anteil der Steuereinnahmen des Bundes für die Gesundheitsversorgung ausgegeben wird. Entsprechend den vorhandenen Mitteln müssen alle damit finanzierbaren Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen des öffentlichen Gesundheitssystems der Bevölkerung über das öffentliche Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden. Sollten nicht alle Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen des öffentlichen Gesundheitssystems, die in den veröffentlichten Katalogen geführt werden, durch die festgelegten Mittel finanzierbar sein, ist durch die Vertreter der Öffentlichkeit so dezentral wie möglich eine Priorisierung vorzunehmen oder die Mittel der Gesundheitsversorgung regional zu erhöhen.
(5) Alle durch Steuern finanzierte Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen des öffentlichen Gesundheitssystems sind unabhängig vom Alter und Einkommen in gleicher Qualität mit dem gleichen und niederschwelligen Zugang zu gewähren.
Von diesen Grundsätzen, die in der Verfassung zu verankern und in allen betreffenden Gesetzen einzupflegen sind, ausgehend wird ein neues Gesundheitssystem entwickelt. Das Ziel ist, die Steuerung und Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems in die Hand der demokratisch legitimierten Organe zu legen. Um gegenüber dem Steuerzahler den vernünftigen Einsatz der Steuergelder garantieren zu können, werden die Inhalte und Details der Versorgung auf eine transparente und wissenschaftliche Basis gestellt.
Alle Beiträge, die aktuell für die Sozialversicherungen und für die Gesundheitsversorgung eingehoben werden, werden abgeschafft. Im zweiten Schritt müssen diese „Einnahmenverluste“ durch Bundessteuern kompensiert werden. Ob es zu einer Erhöhung von direkten oder indirekten Steuern kommt, welche sozialen Komponenten eingebaut werden oder welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen, wird in der Entscheidung der Politik liegen – dort gehört sie hin.
Die dezentralsten und kleinsten demokratischen Einheiten in Österreich sind die Gemeinden und daher der Bevölkerung, dem Souverän, am nächsten. Da die Gemeinden aber als einzelstehende Organisationseinheiten meist zu klein sind, um eine abgestufte und funktionierende Gesundheitsversorgung aufzubauen, sind mehrere Gemeinden in Gesundheitsregionen zusammenzufassen, die gemeinsam für die Versorgung der Bevölkerung zuständig werden. Die Bildung dieser Gesundheitsregionen müssen entsprechend der realen Versorgungssituation und nicht nach Bundesländergrenzen gebildet werden. Eine Gesundheitsregion ist die kleinste Organisationseinheit des öffentlichen Gesundheitssystems.
Jede Gesundheitsregion erhält einen bestimmten Betrag, der sich nach dem Alter, dem Geschlecht, besonderen Krankheitsverläufen und regionalen Kaufkraftunterschieden richtet. Die Daten dazu müssen nach wissenschaftlichen Regeln transparent erstellt werden. Mit dem zur Verfügung gestellten Budget ist regional und verantwortlich die Gesamtversorgung – von der Prävention über die Kuration, die Rehabilitation und Pflege, bis zur Palliation – zu organisieren.
Die regionalen politischen Entscheidungsträger werden Monopoleinkäufer, die den regionalen Anbietern gegenüber stehen. Es bleibt der Region überlassen, ob sie diese Leistungen selbst erbringt oder von Dritten „zukauft“. Egal wie die Entscheidung auch ausfällt, Geld wird der Leistung folgen. Sollte eine Region mit den zur Verfügung gestellten Budgetmitteln nicht auskommen, sind dezentral durch regionale Steuern oder Selbstbehalte die Einnahmen zu erhöhen. Keinesfalls darf es zu einer „Verschiebung“ der Kosten auf andere kommen. Keinesfalls dürfen unter dem Titel der Gesundheitsversorgung Schulden aufgebaut werden.
Die bundesweit einheitlichen Dokumentationserfordernisse werden komplett neu definiert. Daten, über die nicht unter Veröffentlichung des gesamten Datenmaterials (natürlich entsprechend den Datenschutzbestimmungen und unter Wahrung absoluter Anonymität der Patienten!) berichtet wird, dürfen auch nicht erhoben werden. Die Zeit der Datenfriedhöfe muss vorbei sein.
Um die Datenqualität zu sichern, müssen alle erhobenen Daten so ausgerichtet sein, dass eine internationale Vergleichbarkeit herstellbar wird. Zudem muss der Patient seine gesamten Daten jederzeit einsehen und selbst vergleichen können. Die Realisierung dieser Vorhaben erfordert eine fundierte e-Health-Strategie.
Ein nationales, unabhängiges und transparent arbeitendes Public-Health-Institut wird mit den erhobenen Daten ein Kennzahlensystem zu nationalen als auch internationalen Vergleichen im Rahmen von Benchmarking-Programmen erstellen. Jede Region wird über diese Kennzahlen dargestellt. Die Berichte des Instituts werden im Internet auf Englisch und Deutsch publiziert.
Durch das Ministerium wird ein autorisierter für ganz Österreich gültiger Katalog aller Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, die Teil des öffentlichen Gesundheitssystems sind, aufgelegt. Der Katalog wird für die zu finanzierenden Leistungen zudem klare epidemiologische Aussagen pro Gesundheitsregion haben und pro Leistung eine Plankostenkalkulation auf Basis der Kostenrechnungsvorschriften des Bundes darlegen. Dieser Katalog dient als Tarifkatalog und ist das Kernstück aller Planungen des österreichischen Gesundheitssystems.
Die stationäre Versorgung erfolgt nach dem sogenannten Sachleistungsprinzip. Der Patient hat also Anspruch auf eine stationäre Versorgung. Die Gesundheitsregion hat die stationäre Versorgung (sowohl Krankenhäuser als auch Pflegeeinrichtungen) vorzuhalten und zu bezahlen.
Im gesamten ambulanten Bereich wird hingegen vom Sachleistungsprinzip auf das Geldleistungsprinzip umgestellt und das „Wahlarztsystem“ eingeführt.
An die Stelle der heutigen Selbstbehalte sind monetäre Anreizsysteme einzuführen. Es wird eine Obergrenze von 20 % der Gesamteinnahmen (gegenüber 25 % bis 35 % heute) festgelegt. Folgende Systeme sind einzuführen:
- Bonus-Malus-Systeme in strukturierten Präventionsprogrammen und Behandlungsprogrammen für Volkskrankheiten
- Pay-for-Performance-Modelle für ambulante Leistungsanbieter
- Regionale Steuererhöhung bei „Misswirtschaft“
Um die integrierte Versorgung rasch umsetzen zu können, sind zwei Programme einzuführen:
- Pflege als solidarisch finanzierte Leistung
- Primärarztzentrierte Versorgungsmodelle
Die heutigen Versorgungsstrukturen sind zu wenig abgestuft, um effizient entlang des Krankheitsverlaufes ausgerichtet zu werden. Es sind abgestufte Strukturen sowohl in der ambulanten als auch der stationären Versorgung umzusetzen, die eine bedarfsgerechte Versorgung entlang des Krankheitsverlaufes ermöglicht. Jede Struktur, die eine Akutbehandlung durchführt, muss entweder in der Einrichtung selbst oder in unmittelbarer Nähe Pflegeeinrichtungen führen. Die Pflege ist Teil des öffentlichen Gesundheitssystems und wird daher, wie alle anderen Leistungen, solidarisch organisiert und finanziert. Die Rehabilitation ist ebenso in das Leistungsspektrum aufzunehmen, wie die Prävention und Palliation.
Als organisatorischer Rahmen ist ein Gesundheitsagentur-System auf drei Ebenen einzuführen: Das Selbstverständnis des Gesundheitsagentur-Systems muss es sein, zu helfen, die im System befindlichen Gelder mit größtmöglicher Akzeptanz der Bevölkerung, der Patienten und der Berufsgruppen optimal einzusetzen. Die Entscheidung bleibt grundsätzlich immer und nur den demokratisch entsendeten Vertretern vorbehalten. Auf Ebene der einzelnen Gemeinde sind Gesundheitskonferenzen einzurichten, die auf Gesundheitsregionsebene als Regionale Gesundheitsagentur organisiert sind. Auf Bundesebene wird die Bundesgesundheitsagentur eingerichtet. Die Leistungsangebotsplanung wird anhand epidemiologischer Studien unter Berücksichtigung regionaler Informationen erfolgen. Die Qualitätssicherung wird zentral gesteuert.