Der vollzeitäquivalente Spitalsarzt

 

Spitalsärzte klagen, dass sie mit der Arbeit nicht zu Rande kommen, Politiker meinen, dieses Jammern sei überzogen – ein Erklärungsversuch.

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   Normale Arbeitgeber, also solche, die nicht das Glück haben, eine Legislative ihr Eigen zu nennen, und auch die Exekutive nicht „befehligen“ können, sind verpflichtet, Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer akribisch aufzuzeichnen. Anderenfalls wird Gewerkschaft und Arbeitsinspektorat entsprechende Schritte einleiten. Wenn Mitarbeiter regel mäßig über den gesetzlich erlaubten Stunden eingesetzt werden, wird es teuer.

   Rein theoretisch gilt diese Arbeitgeber-Pflicht auch für Spitalsärzte. Doch viele der Arbeitgeber haben eben das Glück eines allumfassenden politischen Schutzes – eines Selbstschutzes, sind doch Politik und Arbeitgeber meist eins. Und so verwundert es nicht, dass korrekte Arbeitsaufzeichnungen nicht selten fehlen beziehungsweise fehlten.

   Der Grund, dass sie fehlten ist einfach: Die Politik wollte nicht, dass irgendwer belegen kann, wie lange Ärzte für ihr Gehalt arbeiten (müssen) – und auch Ärzte selbst sollten das nicht genau wissen, wohl um das Jammern, dass sie so viel arbeiten, als unbegründet zurückweisen zu können. Jedenfalls ist es oftmals nicht möglich gewesen, festzustellen, wie viele Arbeitsstunden pro Woche, Monat oder Jahr pro Arzt anfallen.

   Als normaler Arbeitgeber hat man üblicherweise Voll- oder Teilzeitmitarbeiter. Vollzeit ist primär das, was Arbeitgeber (und Gewerkschaft) so definieren. Der Gesetzgeber sieht allerdings vor, dass Vollzeit nicht mehr als 40 Stunden pro Woche sein darf (Normalarbeitszeit).

   Wenn der Arbeitgeber 38,5 Stunden als Vollzeit ansieht, ist das seine Sache. Anders ist es, wenn offizielle Statistiken geführt werden. Die legen einem Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis eine 40-Stunden-Woche zu Grunde. Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter mit 38,5 Wochenstunden nur als 0,96 Vollzeitäquivalente (VZÄ) gerechnet wird.

   Und wie war (und ist) das bei Spitalsärzten? Diese durften bis vor kurzem durchschnittlich 60 Wochenstunden arbeiten und wurden wohl auch 55 bis 60 Stunden pro Woche eingesetzt. Dank der oft fehlenden oder falschen Arbeitszeitaufzeichnungen wusste das aber keiner so genau.

   Und weil das keiner so genau wusste (wissen wollte/durfte), hat man in den Statistiken einen Vollzeit-Arzt einfach als ein VZÄ gewertet. In den gesetzlichen Krankenanstalten-Statistiken wurden also praktisch keine VZÄ gezählt, sondern Köpfe. Das Problem bei dieser Vorgangsweise, die im Übrigen nur Ärzte und keine andere Berufsgruppe im Spital betroffen hat, war, dass so, statistisch, bis zu 50 Prozent der ärztlichen Arbeitszeit einfach verschwunden sind – vorsichtig geschätzt, mehr als 8000 VZÄ-Ärzte.

   Und jetzt passiert es, dass Ärzte nur 48 Wochenstunden arbeiten dürfen. Weil aber niemand genau weiß (wissen wollte/durfte), wie lange sie bis dato wirklich gearbeitet haben, weiß auch keiner, was es bedeutet, wenn die Arbeitszeit reduziert wird. Und siehe da, „unerwarteter Weise“ gibt es für die existierende Arbeit zu wenig Ärztearbeitszeit; Operationen fallen aus, Ambulanzen werden geschlossen, Wartezeiten werden länger – eigentlich ganz logisch, politisch halt unangenehm.

„Wiener Zeitung“ Nr. 018 vom 28.01.2016