Gesundheit ist nicht gratis!

Das „Gra­tis-Ge­sund­heits­sys­tem“ ist ein ge­lieb­ter und heiß ver­tei­dig­ter My­thos.

Und? Haben Sie wahr­ge­nom­men, dass bald Hef­ti­ges pas­sie­ren wird, weil nichts auf der Welt gra­tis oder kos­ten­los ist? Dass es nicht ir­gend­wo einen Geld­dru­cker gibt, der in­fla­ti­ons­frei Geld druckt? Na ja, im Ge­sund­heits­sys­tem wer­den spä­tes­tens im Früh­jahr 2009, wahr­schein­lich aber noch die­sen Herbst Po­li­ti­ker er­le­ben, dass es so ist. Die brau­chen jetzt viel Geld, für die ÖBB, die Wahl­kämp­fe und -zu­ckerl. Da wird dann wenig für das Ge­sund­heits­sys­tem oder eine Re­form blei­ben. Das macht aber nichts, im­mer­hin kann man ja noch die Selbst­be­hal­te er­hö­hen!

Dabei liegt Ös­ter­reich im OECD-Ver­gleich mit min­des­tens 25% im Spit­zen­feld – weit vor an­de­ren Län­dern, die wir gerne als un­so­zia­le Ab­schre­ckungs­bei­spie­le zi­tie­ren. Und es stimmt, Selbst­be­hal­te sind ein Zei­chen für die Ent­so­li­da­ri­sie­rung eines so­li­da­ri­schen Sys­tems.

Aber halt, Selbst­be­hal­te gibt es bei uns ja gar nicht! Höchs­tens bei den Be­am­ten! Oder? Der ös­ter­rei­chi­sche Weg der Selbst­be­hal­te ist ein ver­schlun­ge­ner. Sie hei­ßen nicht ein­mal so. Man nennt sie Ge­büh­ren oder ähn­li­ches. Und wenn man mehr Geld braucht, er­höht man nicht Selbst­be­hal­te, son­dern Re­zept­ge­büh­ren oder Ver­pflegs­kos­ten­bei­trä­ge etc.

Neh­men wir die Re­zept­ge­bühr. Nor­ma­ler­wei­se ist eine Ge­bühr dazu da, einen Bei­trag für eine Dienst­leis­tung zu er­brin­gen. In Wirk­lich­keit aber ist die Re­zept­ge­bühr längst ein Selbst­be­halt am Me­di­ka­men­ten­preis. Will man nun, dass die­ser höher wird, ohne die Ge­bühr zu er­hö­hen, braucht man nur die er­laub­ten Pa­ckungs­grö­ßen ver­klei­nern. Schon kann man mehr­mals Re­zept­ge­bühr ver­rech­nen. Und so ver­wun­dert es nicht, wenn heute viele Me­di­ka­men­te, die an­schei­nend „gra­tis“ sind, durch die Re­zept­ge­bühr be­reits voll aus­be­zahlt wer­den – also 100% Selbst­be­halt haben! Oft­mals teilt einem der Apo­the­ker sogar mit, dass man das Me­di­ka­ment lie­ber selbst be­zah­len soll, weil die Re­zept­ge­bühr über dem ei­gent­li­chen Preis liegt. So steu­ern die Kran­ken­kas­sen über die Pa­ckungs­grö­ße und das Mi­nis­te­ri­um über die Re­zept­ge­bühr den Selbst­be­halt – den es ei­gent­lich gar nicht gibt. Wen wun­dert es, dass so die Ein­nah­men aus Re­zept­ge­büh­ren seit 2000 um 37 Pro­zent stär­ker ge­wach­sen sind, als die Wirt­schaft. Die Folge die­ser Po­li­tik ist, dass, ohne das Wort Selbst­be­halt zu ver­wen­den, be­reits über 30 Pro­zent der Me­di­ka­men­ten- und Heil­mit­tel­aus­ga­ben nicht mehr durch die Kran­ken­kas­sen be­zahlt wer­den – ko­misch, dass wir immer mehr das Ge­fühl haben, es bleibt nichts im Ta­scherl.

Ähn­li­ches gibt es so gut wie in allen Be­rei­chen der Ge­sund­heits­ver­sor­gung. Im De­tail be­tra­gen bei­spiels­wei­se die „Selbst­be­hal­te“ für me­di­zi­ni­sche Dienst­leis­tun­gen au­ßer­halb des Kran­ken­hau­ses fast 40 Pro­zent, für Re­ha­bi­li­ta­ti­on mehr als 50, und im Be­reich der Pfle­ge, der nach in­ter­na­tio­na­len Stan­dards ei­gent­lich Teil des Ge­sund­heits­we­sens wäre, kann man nicht ein­mal her­aus­fin­den, wie viel Geld wirk­lich aus den ei­ge­nen Ta­schen fließt.

Ein in­ter­es­san­tes De­tail am Rande stel­len die Selbst­be­hal­te im Kran­ken­haus dar. Sie sind mit etwas mehr als zwei Pro­zent im Ver­gleich kaum vor­han­den. Kein Wun­der also, dass alles ins Kran­ken­haus drängt. Ge­sund­heits­öko­no­mi­scher Un­sinn; aber das in­ter­es­siert of­fen­bar auch nie­man­den. Denn wenn das Geld knapp wird, wird man halt auf der Ein­nah­men­sei­te „kor­ri­gie­ren“, „an­pas­sen“ oder „har­mo­ni­sie­ren“ – ohne je­doch Selbst­be­hal­te ein­zu­füh­ren. In­trans­pa­renz ist ein her­vor­ra­gen­des In­stru­ment zur Her­stel­lung und Be­wah­rung der Il­lu­si­on eines „Gra­tis-Ge­sund­heits­sys­tems“.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Au­gust 2008 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.