Die Angst der Ärztekammer vor der Primärversorgung

Primärversorgung ist international erfolgreich und erprobt und will möglichst alle gesundheitlichen Probleme möglichst wohnortnah adressieren.

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   Primärversorgung agiert nach dem Bio-Psycho-Sozialen Krankheitsmodell, das eben nicht nur eine biologisch nachweisbare Krankheit behandelt, sondern auch seine Auswirkungen: ein einsamer Mensch empfindet Kopfschmerzen anders als ein sozial eingebundener Mensch – der eine braucht Zuspruch, der andere nimmt selbst eine Tablette.

   Die Einrichtungen, in denen Primärversorgung stattfinden soll, werden Primary Health Care Center, kurz PHC, genannt, müssen von der Prävention über Kuration, Rehabilitation bis zur Pflege alles anbieten können. Damit sind nicht nur Kassen, sondern auch Pensionsversicherung und Länder zuständig.

   Der Gesamtvertrag, um den es aktuell geht, wird NUR zwischen Krankenkassen und Ärztekammern abgeschlossen und kann nur abdecken, für das Krankenkassen zuständig sind, praktisch nur den kurativen Bereich. Das ist zu wenig.

   Und weil jede Region etwas anderes braucht (Waidhofen ist nicht St. Pölten), ist die Flexibilität über bestehende Gesamtvertragsregelung, die Patienten nicht nach ihren Lebensumständen, sondern nur nach ihrer Versicherung klassifiziert, nicht gegeben. Daher braucht es, wie bei Ambulatorien heute schon, Einzelverträge, um nach regionalem Bedarf zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln – es sei denn, wir wollen diese Aufgabe dem Markt überlassen.

   Der Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart greift die Idee dieser Einzelverträge heftig an. Er erklärt, dass „große internationale Konzerne die Chance nützen, die PHC-Zentren zu übernehmen und PHC-Ketten nach ausschließlich betriebswirtschaftlichen Überlegungen zu führen. Das wäre ein Groß angriff auf die soziale Medizin, weil damit die soziale Versorgung nicht mehr vom ärztlichen Ethos gesteuert wird, sondern von ausschließlich kapitalistischem Ethos, und die Gesundheitsversorgung gleichsam ins Ausland ,verkauft‘ wird“.

   Wenn das nicht passiert, dann wird aber eine staatliche Zentralmacht kommen, die „bis ins Detail den Ton angeben könnte“ und damit die „PHC am Gängelband der Obrigkeit“ hängen.

   Am Ende ist klar, überall sind Feinde, die „die bestehenden Versorgungsstrukturen zerstören“. Der einzige Retter des „seit mehr als 100 Jahren funktionierenden Modells“ ist die Ärztekammer.

   Eigentlich geht es nur um den Gesamtvertrag und das Monopolrecht der Ärztekammer, diesen zu verhandeln. Das ist das einzige echte Machtinstrument der Ärztekammer. Es zu verlieren, heißt Macht verlieren. Eine Macht, die ohnehin nur um der Macht willen existiert.

   Denn in Ländern, in denen eine funktionierende Primärversorgung besteht, geht es den Hausärzten deutlich besser. Und bedenkt man, dass auch Spitalsärzte (Stichwort EU-Arbeitszeit) nicht gut und Wahlärzte noch nie wirklich vertreten waren, dann bleiben etwa 4000 Kassenfachärzte übrig, um die es nun geht: 4000 von 42.000!    Und um auch die anderen 38.000 Ärzte zu mobilisieren, muss man mit allen Ängsten und Ressentiments spielen (ausländisches Großkapital und zentralstaatlicher Machtapparat), egal wie widersprüchlich (Verstaatlichung oder Privatisierung – was ist es eigentlich jetzt?) es auch sein mag

„Wiener Zeitung“ Nr. 175 vom 10.09.2015  

Chancen der neuen Primärversorgung

Hektisch war sie, die Geheimdiplomatie rund um die neue Erstversorgung, begleitet von Streik- und Weltuntergangsdrohungen.

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   Nach verbalem und Patienten wie Ärzte verunsichernden Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und Volksvertretern, nach mehrfachem Hin und Her streng geheimer Papiere, die hinter verschlossenen Türen verhandelt wurden, ohne dass man weiß, wer denn verhandelt hätte, wurde am 30. Juni ein Konzept beschlossen, das die Basis für die Neuordnung der Primärversorgung sein soll.

   Aber was steht drinnen – und viel wichtiger: Wird es wirklich die Primärversorgung neu ordnen?

   Viele schöne und richtige Worte findet man – was nach 100 Jahren internationaler Erfahrungen und wissenschaftlicher Untersuchungen auch das Mindeste sein sollte, wenn einem eine „Primärversorgung nach internationalem Vorbild“ ein Anliegen ist.

   Einer der Höhepunkte: „Ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheits-und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primärversorgung im Team (. . .) zum Zweck einer optimalen Primärversorgung und Sicherstellung durchgängiger Versorgungsketten im Gesundheits- und Sozialbereich für Personen/Patienten eines definierten Einzugsbereichs.“

   In diesem Satz liegen die gesamte Weisheit des Papiers – und auch alle Fallstricke.

   Denn, will man nicht via Verfassungsänderung den Rahmen herstellen, so etwas von einer Stelle aus organisieren zu können (Finanzierung aus einer Hand), und das wurde dezidiert ausgeschlossen, dann stehen umfangreiche Verhandlungen bevor: zwischen zwei Ministerien (Soziales und Gesundheit), neun Ländern mit jeweils mindestens zwei Landesräten (Finanzen, Gesundheit und Soziales, meist aus verschiedenen Parteien); 21 Krankenkassen, die teils bundes-, teils landesweit organisiert sind und deren bundesweit agierende Vertreter praktisch ein Vetorecht gegen jede Reform haben und in der Vergangenheit gerne auch ausübten; mehrere, meist parteipolitisch genau zuordenbare Organisationen mobiler Pflege, die regional oft Monopolisten sind; hunderte Pflegeheime betreibende Gemeinden; und natürlich die zehn Ärztekammern mit ihren 20 Kurien, die dank der Sicherstellung, dass alles im Rahmen der Gesamtverträge ablaufen muss, sehr viel Sand ins Getriebe der Verhandlungen werfen können und werden.

   „Das konkret anzubietende Leistungsspektrum ist vertraglich mit der Sozialversicherung und sonstigen Finanzierungsträgern zu vereinbaren.“ So steht es lapidar im Konzept. Und weil jeder weiß, dass es nie dazu kommen wird, dass sich all diese Partikularinteressenvertreter einigen, beginnt jetzt schon ein rein machtpolitischer Kampf.

   Ein Blick nach Niederösterreich zeigt das. Dort wurde die landeseigene Primärversorgungsidee vorgestellt – ohne Vertreter der Krankenkassen und ohne Ärztekammer, dafür mit einem ehemaligen, aber abgewählten Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Das kommt einer Kampfansage gleich, die für die Verhandlungen, und damit die Neuordnung der Primärversorgung wohl bereits ein Todesstoß ist.    Aber wenigstens eines wurde erreicht: Der Terminus „Primärversorgung“ ist, etwa 100 Jahre nach seiner Einführung, nun auch in Österreich verwendbar. Man soll sich eben auch mit kleinen Schritten zufriedengeben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 134 vom 11.07.2014  

Die hundertjährige Diskussion

Die immer größer werdenden Archive ermöglichen es, das gesundheitspolitische Versagen zu bewerten.

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   Prävention und Kuration sind nach vernünftigen Grundsätzen nicht voneinander zu trennen und müssen im Wirkungsbereich des Hausarztes zusammengeführt werden, wobei der Hausarzt sich nicht nur um die Gesundheit des Einzelnen kümmern soll, sondern auch um die Volksgesundheit (Public Health).

   Um die Aufgaben effektiv zu erfüllen, braucht der Hausarzt Hilfe durch die Mitarbeit von Apothekern, Pflegekräften und Hebammen. Unter der Führung des Hausarztes (oder mehrerer Hausärzte), der in entsprechend ausgestatteten, und idealerweise seitens des Gesundheitssystems bereitgestellten, Räumlichkeiten (Primary Care Center) ordiniert, sollen diese zusammenarbeiten. Die Leistungen dieses Teams sind so wohnortnah wie möglich zu erbringen. Patienten, die nicht in die Ordination kommen können, werden zu Hause besucht. Patienten sollen hauptsächlich durch „ihren“ Arzt betreut werden. Wenn der Hausarzt einen Facharzt beiziehen will, werden durch ihn die Termine und der Transport organisiert. Die Hausarztordinationen sollen nach regionalem Bedarf dimensioniert sein, wobei zwischen ruralen und urbanen Regionen zu unterscheiden ist. Entsprechend dem Bedarf sollen Fachärzte regelmäßig zu Konsultationen kommen.

   Diese Aussagen klingen nach dem, was gerade in Österreich über die Neustrukturierung der Primärversorgung diskutiert wird, stammen aber nicht von hier, sondern wurden in Großbritannien geäußert – und zwar 1920 (Interim Report on the Future Provision of Medical and Allied Services; Lord Dawson of Penn).

   Der Bericht zeigt, mit welcher Verzögerung wir auf Entwicklungen reagieren. Die gleiche Trägheit finden wir auch in vielen anderen Bereichen.

   Dass wir zu viele, aber vor allem zu viele kleine Spitäler haben, die zu viele Patienten stationär versorgen, was unter anderem durch das Kassenhonorarsystem gefördert wird, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO 1969 berichtet – also vor 45 Jahren.

   Seit mindestens 15 Jahren liegen die Probleme der Kinder-Rehabilitation auf dem Tisch und werden ebenso lange seitens der Politik als wichtig genannt. Letzte Aussage des Primus inter Pares der Landesfürsten, die seit jeher über die Finanzierung mit den Kassen im Clinch liegen: „Es ist uns als Länder ein äußerst wichtiges Anliegen.“ Dass diese 2013, als es um konkrete Umsetzung ging, kurzerhand beschlossen haben, nicht mitzuzahlen, steht im krassen, aber offenbar politisch verkraftbaren Widerspruch.

   Und weil gerade aktuell: Zehn Jahre nach dem konsensuellen Plan über den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung, dem eine vieljährige Verhandlungsphase zwischen Ländern, Kassen und Bund vorangegangen ist, erfahren wir von der Caritas, dass ihre Hospizeinrichtungen weiterhin nur über Spenden finanziert werden.

   Wir hatten wohl nie eine Gesundheitspolitik, kriegen es aber nicht wirklich mit, weil es noch zu wenig Archive gibt, die die Nicht-Existenz derselben illustrieren können. Aber, die Archive wachsen, wie man an dem Bericht aus 1920 feststellen kann. Und irgendwann werden alle erkennen, dass Politiker Probleme nur vor sich herschieben oder schönreden, statt sie zu lösen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 077 vom 18.04.2014 

Primary Health Care – eine kleines Lehrstück

Von offizieller Seite wird verbreitet, der Ruf nach der Aufwertung der Hausärzte ist nur dazu da, dass diese mehr Geld verdienen – ein Hinweis auf mangelndes Verständnis.

Primary Health Care (PHC) ist, obwohl schon dreißig Jahre alt und das wohl erfolgreichste Versorgungskonzept moderner Gesundheitssysteme, hierzulande fast unbekannt, und wenn überhaupt, dann gerade mal als Hausarztmodelle im Gespräch.

Die Idee war so einfach wie genial: Um ein vernünftiges Gesundheitssystem errichten zu können, sollte man möglichst viele Gesundheitsprobleme – was sehr viel mehr ist, als nur Krankheitsprobleme – wohnortnah zu lösen versuchen; wohnortnah beginnt übrigens in den vier Wänden des Patienten, eine Spitalsambulanz ist nie wohnortnah, egal wie viele Spitäler auch herumstehen.

Es war von Anfang an klar, dass Heilbehandlung nur ein Teil des PHC ist. Daher war es immer schon ein interdisziplinärer Ansatz. Es ging um ambulante, wohnortnahe medizinische, pflegerische und therapeutische Betreuung der Bevölkerung durch ein PHC-Team. In diesem Team sollten neben dem Hausarzt (der die wichtigste Rolle spielen sollte) Physiotherapeuten genau so arbeiten wie Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter und Psychologen. Und das Spektrum der rein ambulanten Versorgung sollte von der Prävention über Rehabilitation (auch für alte Menschen!) bis zu Pflege reichen.

Es ist verblüffend, was mit solchen Teams erreicht werden kann. Die Zahl der Spitalsaufenthalte sinkt genau so, wie die der Überweisungen zum Facharzt. Die Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen werden seltener. Die Patienten, vor allem wenn sie chronisch krank sind, leben länger und bei besserer Gesundheit, und jene Krebsformen, die man bei Früherkennung gut behandeln kann (z.B.: Brust-, Dickdarmkrebs aber auch den schwarzen Hautkrebs und andere) bringen weniger Menschen um. Und als ob das nicht genug wäre, sinken mit der Einführung auch die Gesamtkosten der Gesundheitsversorgung.

Nun, es gibt einige Eckpunkte, die, will PHC funktionieren, nicht wegdiskutiert werden können.

Da wäre beispielsweise die Sache mit der Bedarfsprüfung. Wenn es eine solche nicht gibt, oder diese, à la Österreich ein politisches Gemauschel ist, dann wird die Verteilung der Hausärzte – wie ja zu sehen ist – inhomogen und der Zugang zu Versorgung diskriminierend sein; beides doch eher schlecht!

Auch muss es spezifische, auf den Bedarf ausgerichtete Ausbildung geben, sowohl für Hausärzte als auch alle anderen Berufsgruppen, die im PHC arbeiten sollen. Nun, es reicht bereits ein kleiner Blick in die Turnusarztdiskussion, um zu sehen, dass die Ausbildung unserer Hausärzte auf alles, nur nicht auf Ihre eigentliche Rolle ausgerichtet ist. Und fehlt der Hausarzt, kann es auch kein PHC-Team geben.

Übrigens müssen für ein funktionierendes PHC Hausärzte mehr verdienen als Fachärzte. Hierzulande verdienen sie aber nur 60 Prozent ihrer Fachkollegen. Was für ein Anreizsystem!

Für Patienten sollten alle Leistungen unentgeltlich – also öffentlich finanzierte Sachleistungen – sein. Hierzulande, sehen wir vom Arzt ab, sind alle anderen Leistungen direkt zu bezahlen – die pflegerischen genau so wie die sozialarbeiterischen und die psychologischen sowieso. Außer man geht ins Spital, da sind die Leistungen dann „gratis(?)“.

Und warum gibt es bei uns kein funktionierendes PHC? Warum sind unsere Hausärzte so „abgewertet“? Nun, um das alles umzusetzen braucht man echte und am Gesamtsystem interessierte Entscheidungsstrukturen – und darin mangelt es hierzulande wohl am meisten.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hausarztmodelle – schön und gut!

Hausarztmodelle können nur funktionieren, wenn die Kompetenzen dort, wo sie wirken sollen, bereinigt werden – dazu braucht es Gemeinden, Länder, verschiedene Ministerien, Kassen – und mutige Politiker.

Als ich für „Die Zeit“ einen Artikel zum Thema SVA schreiben sollte, verwendete ich das Wort: „Hausarzt-Modelle“. Der Redakteur teilte mit, das müsse erklärt werden, weil das niemand verstehe. Wenigstens das dürfte sich anlässlich der jetzigen Diskussion ändern. Mit etwas Glück schafft es das Thema zu einer gewissen Breitenakzeptanz.

Es ist an der Zeit zu fragen, warum es die nicht hat und warum hierzulande erst etwas diskutiert werden muss, das anderswo bereits seit Jahrzehnten gute Praxis ist.

Schauen wird einfach in die Realität. Unser „Bild“ vom Hausarzt stammt aus den Nachkriegsjahren. Damals herrschte Ärztemangel, vor allem bei Fachärzten. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, durften Praktiker quasi alles. Und selbst in den 1980er Jahren gab es noch Landärzte, die Geburten machten. Unser Hausarzt war also sehr breit aufgestellt – und das lange Zeit zu recht.

Aber seit wenigstens zwanzig Jahren ist das anders. Die Ärztedichte ist international am höchsten, und Spitalsambulanzen liefern eine Spezialversorgungsbreite, wie sonst nirgendwo. Es ist nicht mehr nötig, dass Hausärzte „alles“ können und dürfen. Zudem hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert. Solange die Bevölkerung „jung und gesund“ war, musste der Hausarzt anderes leisten als heute, wo zunehmend alte, und immobile Patienten zu versorgen sind.

Kurz, das „alte“ Bild vom Hausarzt hat ausgedient. Und hier kommen wir zum Kernproblem. Die Politiker wissen einfach nicht, was sie mit dem Hausarzt noch anfangen sollen. Genau genommen, braucht man keine mehr (glaubt man!). Und aufbauend auf einem Gesetz (ASVG), dass niemand mehr versteht, und von Einzelinteressen zur Fratze verzerrt wurde, ist die Entwicklung eines „neuen“ Bildes kaum möglich.

International will man von Hausarztmodellen, dass möglichst viele gesundheitlichen Probleme vor Ort adressiert werden. Das Stichwort ist gesundheitlich – kein Wort von medizinisch, denn das wäre eine Einschränkung, die nicht funktioniert. Hausärzte (mit ihren Ordinationen) sollten niedrigschwellige Leistungen aus allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, von Prävention bis zur Pflege, anbieten (nicht bloß koordinieren!) können, nicht nur Heilbehandlung, wie es das ASVG vorsieht.

Prävention für alte Menschen (z.B.: Heimhilfen, damit Patienten nicht wegen häuslicher Verwahrlosung krank oder zum Pflegefall werden), die eben die wichtigste Patientengruppe heute darstellen, hat mit Heilbehandlung wenig zu tun, ja selbst Rehabilitation, wenn sie darauf abzielt, alte Menschen möglichst lange in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen (z.B. aktivierende Pflege) ist ihr nicht zuzurechnen. Und trotzdem gehören all diese Dinge zum „Hausarzt“, wie er sein sollte. Aber genau dort besteht ein Kompetenzwirrwarr zwischen Gemeinden, Länder, verschiedenen Ministerien, Kassen und wer weiß wem sonst noch. Dass hier ein Hausarzt wirklich steuernd eingreifen kann, setzte eine Strukturreform voraus.

Der Erfolg eines Hausarztmodells wird u.a. daran gemessen, ob unnötige Spitalsaufenthalte und Facharztüberweisungen weniger werden. Damit werden die Interessen der Länder und Fachärzte direkt betroffen – Einsparungen könnten zu ihren Lasten gehen. Es ist schwer vorstellbar, dass das dem Hausarzt in der Realität „erlaubt“ würde – ohne Strukturreform.

Will man also wirklich Hausarztmodelle, muss man das System umbauen – alles andere wäre eine „österreichische“ Lösung!

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Kritik der praktischen Medizin – ein Teufelskreis

Die Fehler im ambulanten Versorgungssystem sind mittlerweile Kulturgut geworden. Und Kulturen kann man nicht schnell ändern – wenn überhaupt.

Da sitze ich mit einem Freund, technischer Physiker und einer jener Menschen, die ich als Genie bezeichnen würde, im Gastgarten, unsere Kinder spielen im Sand und wir reden – was sonst – über das Gesundheitssystem. Und ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, jedenfalls stellt er fest, er braucht keinen Hausarzt, weil er am besten Wisse, welchen Facharzt er benötigt. Und wenn er das ohnehin wisse, dann geht er doch lieber gleich in die Spitalsambulanz, da gibt es alles, was er braucht. Und gleich heißt gleich – Öffnungszeiten sind da unwichtig.

Es hat mich wieder richtig gerissen. Ist das die Einstellung der heutigen Patienten? Um Arzt zu werden, braucht es eine 10- bis 15-jährige Ausbildung, erst dann hat man das Recht, krank von gesund zu unterscheiden. Wie also kann ein „Laie“ so selbstsicher davon ausgehen, dass er es besser wisse? Wie kann es passiert sein, dass der Patient der Arzt-Patienten-Beziehung so wenig traut, dass er lieber in eine hochtechnisierte Ambulanz geht, als sich seinen Arzt zu suchen?

Aber andererseits ist es verständlich.

Es schaut so aus, als ob die Infrastrukturen im niedergelassenen Bereich ausgehöhlt wurde: In den Spitälern hat sich die Zahl der Ärzte in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Und bei den Kassenstellen für Hausärzte? Da hat sich eigentlich nichts getan. Zudem ist das Leistungsspektrum zurückgegangen. Hat ein Hausarzt früher noch kleine Wunden genäht, sogar Röntgenbilder gemacht, war er früher „regelmäßig“ bei den Familien zu Hause, wartet er zunehmend, nur mehr mit dem Stethoskop in den Ohren in seiner Ordination auf Patienten.

Wohlgemerkt war das nicht der Wunsch der praktischen Ärzte, denn in deren Reihen waren und sind immer wieder Idealisten, die versuchen, die Rolle des Hausarztes zu stärken. Es war das System, dass offenbar wenig für sie über hat. Interessanterweise hat die WHO bereits 1969 (!) festgehalten, dass es die steigende Tendenz gibt, Patienten in Spitäler einzuweisen, und dass diese Tendenz durch das Honorierungssystem (das die Ärztekammer mitzuverantworten hat!) gefördert wird. Aber außer unzählbaren politischen Lippenbekenntnissen hat sich wenig getan, und so wird der Hausarzt halt immer unwichtiger und in der Versorgung unwirksamer.

Wen wundert es, dass Patienten den Hausarzt nur mehr als „Überweiser“ und „Krankschreiber“ und nicht mehr als vertrauenswürdigen Diagnostiker und Therapeuten wahrnehmen? Warum sollte man einem Arzt vertrauen, der keine Zeit hat, bei dem man lange warten muss, der dann ohnehin nur überweist – und das oft in die Ambulanz? Mehr noch, durch den massiven Ausbau des Spitalssektors und einer maßlosen Schönwetterpolitik, werden mittlerweile vermutlich viele Patienten, selbst wenn sie vom Hausarzt richtig und ausreichend therapiert wurden, anschließend die Ambulanz aufsuchen, weil sie der Meinung sind, Spitzenmedizin gibt es nur dort.

Dass bei so einer Politik aber die Wohnortnähe verloren geht, ist offenbar unwichtig, ebenso, dass damit eine sinnlose und teure Überversorgung erzeugt und bald wegen jedem Schnupfen ein komplettes Labor angefordert wird.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wenn man Gesundheitspolitik mit Populismus paart. Alle erhalten alles, jederzeit, gratis, auf allerhöchstem Niveau ohne Eigenverantwortung und ohne Rücksicht auf Kosten. Ob man die ambulante Versorgung jemals wieder auf zukunftsträchtige Beine stellen kann? Ich weiß es nicht!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.