Die PVE-Giganten

Mit 300 PVEs sollten 2,5 bis 3 millionen Österreicher versorgt werden. Das verkündete Andreas Huss in der Pressestunde vom 27.10. 2024.

Wenn solche Zahlen genannt werden, ist es schwer diese einzuordnen, und damit Zeit ein paar versorgungswissenschaftlich Daten einzubringen.

Weiterlesen: Die PVE-Giganten

Beginnen wir mit Überlegungen zum Einzugsgebiet. Das ergibt sich durch schlichte Division und beträgt daher zwischen 8.000 und 10.000 Einwohnern.

Einzugsgebiete in Einwohner anzugeben ist eigentlich keine moderne Herangehensweise, aber es ist aktuell die einzige, die wir haben. In Ländern mit gutem Primary Health Care, gibt es Einschreibeverfahren und Listen. Hier wird die Listengröße pro Vollzeit-Hausarzt vorgegeben – und zwar i.d.R. als Maximalwert. Wir haben keine Listen, daher eben Einzugsgebiete mit den Maßzahlen Einwohner und seit 2024 (ÖSG_2023_-_Textband,_Stand_15.12.2023; 2.2 Planungsgrundlagen und Richtwerte; S 36 ) auch Erreichbarkeit; erstere muss 2.000 überschreiten zweitere soll 10 Minuten im Straßen-Individualverkehr unterschreiten,.

Eingehalten werde diese „Empfehlungen“ eher nicht, wie die Verteilung zeigt. Im Durchschnitt gibt es pro 2.250 EW einen Kassen-AM, die Schwankung reicht von 1.700 im Burgenland zu 2.700 in Wien und regional sogar von 1.600 bis 3.000 EW. All das kann man aus den verschiedenen ÖSG-Tabellen (mühsam) ausrechnen.

Nun, bezogen auf die PVE-Aussage ist es also nicht klar, wieviele Hausärzte hier pro PVE angesetzt werden. Den Vorgaben entsprechend, dürften nicht mehr als 4 bis 5, dem Durchschnitt entsprechend 3,6 bis 4,4 Stellen dort bestehen. Das ist sehr verwunderlich. Denn, bis dato galt, dass sich mindestens 3 Kassen-Hausärzte finden müssen, um ein PVE zu gründen. Weil das nicht so funktioniert hat, dürfen hinkünftig auch 2 ein PVE gründen. Dass es also in den angedachten plötzlich 4+ geben soll, ist jedenfalls nicht einfach nachzuvollziehen.

Wieviele Ärzte aktuell in den bestehenden PVEs  tätig sind, weiß vermutlich niemand, weil über Vertretungsregeln und Turnusärzte die Zahl der Vollzeithausärzte pro Einrichtung vermutlich stark verzerrt ist, und genaueres niemand wissen will.

Wichtiger als die Listengröße, oder das theoretische Einzugsgebiet ist in der Literatur jedoch die Panelgröße. Das ist im Grunde die Zahl der behandelten Individuen, die aus dem Einzugsgebiet oder der Liste entstanden sind – unabhängig der Zahl der Kontakte. Die Panelgröße zeigt also, wieviel Patienten ein Hausarzt pro Jahr behandelt oder behandeln soll. Die Zahl wird international diskutiert, und wird irgendwo zwischen 1.200 und 1.900 liegen. Hintergrund der Diskussion ist die Inhomogenität bezüglich Morbidität und Sozioökomie in den Listen, bzw. Einzugsgebieten. Wo Menschen kränker sind, muss das Panel kleiner werden, wo sie gesünder sind kann es größer werden. Um dafür sinnvolle Berechnungsmethoden zu entwickeln werden verschieden Bewertungskriterien erprobt.

In Österreich gehen etwa 80% der Einwohner wenigstens einmal zum Hausarzt (Bundeszielsteuerungsvertrag  S.49), womit das Panel im Durchschnitt 1.800 beträgt (80% von 2.250). Im Burgenland ist zwar der Anteil der Menschen der einen Hausarzt aufsucht höher, die Panelgröße aber wegen der hohen Hausarztdichte nur 1.450. Anders in Wien, dort beträgt die Panelgröße 2.160, ist also 50% größer. Demnach müssten, wenn hinter diesen Zahlen Planung steckte, Wiener deutlich gesünder sein als Burgenländer. Anderenfalls ist es eben Willkür. Anhand der Zahlen  sieht man aber bereits das wir eher an der oberen Grenze der Empfehlungen agieren, oder dieses sogar überschreiten.

Damit eine Panelgröße zwischen 1.200 und 1.900 qualitativ gut abgearbeitet werden kann, geht man von 3 bis 4 Arztkontakten pro Patienten und Jahr aus.

Gerechnet wird da aber von der anderen Seite – und zwar vom Arzt weg. Pro Arbeitstag und Vollzeithausarzt sollten zwischen 20 und 25 Patientenkontakte stattfinden. Denn die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn der Kontakt zwischen 10 und 15 Minuten dauert, und der Arzt nicht länger als 50 Stunden pro Woche arbeitet. Die Hälfte der Arbeitszeit wird durch Administration, Fortbildung etc. verbraucht, die andere durch direkten Patientenkontakt. Werden mehr als 25 Stunden mit direktem Patientenkontakt pro Woche verbracht, werden beide Seiten, also sowohl Arzt als auch Patient, unzufrieden und damit sinkt die Qualität. Sinkt die Qualität, werden Patienten häufiger zu Fachärzten überwiesen, die Compliance bei chronisch Kranken sinkt und erzeugt Folgeprobleme, wie etwa vermeidbare Krankhausaufenthalte, etc. Das ist alles sehr gut untersucht.

Und hier kommt dann „unser“ Modell ins Spiel.

Pro Patient hatten wir 2021 (so kann man aus dem Bundeszielsteuerungsvertrag errechnen) im Schnitt 11 Hausarztkontakt pro Jahr. Im Burgenland waren es 12,5. Und weil dort die Panelgröße 1450 beträgt, hat ein Hausarzt jährlich 18.000 Patientenkontakte. Auf 250 Arbeitstage runtergebrochen sind das 72 täglich. Also das dreifache von dem was als Obergrenze empfohlen ist. Wien liegt mit 10 Arztkontakten pro Patienten deutlich niedriger. Aber bei einer Panelgröße von 2.160 steigt die Zahl der jährlichen Patientenkontakte auf 21.100 oder 85 Patienten pro Tag. Mit dem Patientenbedarf hat das alles nichts zu tun

Entsprechend der internationalen Studienlage müssten wir bei solchen Zahlen erwarten, dass es eben zu einer erhöhten Inanspruchnahme der Sekundärversorgungsstufe, sprich ambulante fachärztliche Versorgung, und in weiterer Folge eine hohe Hospitalisierungsrate kommt. 52 mio Kassen-Facharztbesuche ,18 mio in der Spitalsambulanz, und die höchste Krankenhaushäufigkeit Europas beweisen das. Und um in Wien zu bleiben – dort sind die Facharztkontakte häufiger als die Hausarztkontakte – ein absolutes und weltweites Unikum, vermute ich.

Wenn also von 300 PVEs für 2,5 bis 3 mio Einwohner gesprochen wird, die zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs und der Entlastung der Ambulanzen dienen sollen, dann wäre es sehr spannend, ob diese PVEs auf einen für diese Ziele vernünftigen Workload kommen – also irgendwo bei 20 bis 25 Patientenkontakte pro Arzt und Arbeitstag. Dann allerdings sind nach aktuellem Stand entweder 50 Arztkontakte pro Tag durch andere Berufsgruppen zu ersetzen (was mit unserem Arztvorbehalt kaum denkbar ist) oder aber ein PVE, braucht 15 Ärzte – und das wären eben echte PHC-Giganten

Jetzt aber alle an einen Tisch!

Vorsicht, Sarkasmus – mit deutlichen Zügen verdrossener Gemütsstimmung.

Weiterlesen: Jetzt aber alle an einen Tisch!

   Trotz verschiedenster Bemühungen um eine verstärkte Koordinierung und Angleichung der Interessen mussten wir feststellen, dass das österreichische Gesundheitssystem aufgrund seiner vielschichtigen Verwaltungsstruktur und dualen Finanzierung komplex und fragmentiert ist.

   Besonders die Aufteilung der Finanzierung von intra- und extramuralen Leistungen zwischen den Bundesländern und Sozialversicherungen kann die Betreuungskontinuität beeinträchtigen und zu Kostenverschiebungen führen. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre.

   So die Worte einer Studie des Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2018. Was waren diese Bemühungen? Da gab es den Kooperationsbereich, der um 2000 eingeführt wurde. Er wurde in den Reformpool umgewandelt, in dem jeder (Länder und Krankenkassen) 1 Prozent seines Umsatzes einspielen sollte, um gemeinsame Projekte zu realisieren. Dazu wurden Landesgesundheits-Plattformen und die Bundesgesundheits-Agentur geschaffen, die, einem gesetzlichen Auftrag aus den 1990ern folgend, eine gemeinsame Sichtweise für das gesamte Gesundheitssystem schaffen sollte.

   Diese waren ebenso erfolglos wie die Reformpool-Projekte. Also musste was Neues her. Eifrig wurde reformiert und das Zielsteuerungs-Gesetz aus der Taufe gehoben – gut verwaltet von Landes-Zielsteuerungskommissionen und der darüber schwebenden Bundeszielsteuerungskommission, in der alle (Länder und Krankenkassen) gemeinsam das System anhand von konkreten Zielen steuern sollten. Hehre Ziele wurden in Verträgen festgelegt, und es gab ÖSGs, RSGs, LAP, ÜRVP, DIAG, LEICON und PVEs.

   Aber offenbar wurde dabei etwas Wesentliches vergessen: Die Partner saßen nicht an einem Tisch.

   Zwar dürfte es bis 2007, solange war ich dabei, einen gemeinsamen, immer sehr großen Tisch gegeben haben, aber danach eben immer seltener. Anders wäre der neueste Vorschlag von Gesundheitsminister Johannes Rauch kaum zu verstehen, wenn er meint, dass er „alle Player“ an einen Tisch bringen will.

   Wer hätte gedacht, dass es so simpel sein kann! Einfach diesen vielen Gremien einen Tisch sponsern – und schon halten sich alle an Gesetze und Verträge. Klar könnten einige meinen, dass das Ministerium als Aufsichtsbehörde auch mittels transparenter Berichterstattung, wie seit 20 Jahren gesetzlich vorgesehen, einfach offenlegt, wie wenig sich „alle Player“ an eigene Gesetze und Verträge halten, und das dann auch kommunizieren. Aber die verstehen Politik nicht.

   2023 kommt einmal der Tisch, oder auch zehn Tische. Um 2035 werden dann Stühle angeschafft. So gegen 2050 wird es so weit sein: „Alle Player“ haben eine gemeinsame Sicht des Gesundheitssystems entwickelt, es wird aus 15 Krankenkassen, einer AUVA, 9 Ländern und 10 Ärztekammer bestehen, die über 34 Säulen finanziert werden. Die Säulen werden ohne Murren vom Bund „gefüllt“ – der das Geld in Plantagen auf eigenem Grund zieht.

„Wiener Zeitung“ vom 29.12.2022   

Die ewige Gesundheits- und Pflegereform

   Gesetze sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, sie einfach zu ignorieren.

Weiterlesen: Die ewige Gesundheits- und Pflegereform

   Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

   Gehen wir zurück ins Jahr 2000, das in der Gesundheitspolitik ein besonderes war. Nach 20 Jahre dauerndem Dahinwursteln haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet. Das hat der EU-Beitritt so nach sich gezogen, nicht der politische Wille.

   Bis dahin gab es den „Österreichischen Krankenanstalten-Plan“ (Ökap). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Diese wurde kleinerenteils wissenschaftlich errechnet, größerenteils politisch verhandelt. Ziel des Ökap wäre es gewesen, die stationäre Spitalsversorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, an den Ökap hat sich niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinahe jedes einzelne Krankenhaus, hat gemacht, was es wollte. Und wenn etwas nicht Ökap-konform war, haben Politiker halt fallweise den Ökap umgeschrieben. Einmal wurde der Ökap sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es diese Evaluierung gar nicht gegeben hätte.

   Aber ab 2000 wurde alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung wurde eingeleitet: Die herkömmliche Planung wurde durch eine gemeinsame, einheitliche, bedarfsorientierte Leistungsangebotsplanung abgelöst. Die Planung sollte die stationäre und die ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar die Pflege umfassen. Geplant werden sollten nun nicht mehr die Spitalsbetten, sondern vom Patienten ausgehend jene Leistungen, die Patienten brauchen, und zwar dort, wo sie sie brauchen. Die Leistungen selbst sollten nur erbracht werden dürfen, wenn man dafür Qualitätskriterien erfüllen konnte. Somit sollte die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen (wie schon 1969 von der WHO gefordert).

   Unzählige Arbeitsgruppen später wurde der „Österreichische Strukturplan Gesundheit“ (ÖSG) mit großem Pomp beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, dass der ÖSG geltendes Recht ist.

   Heute, 2022, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und siehe da: kaum etwas. Obwohl gesetzlich anders vorgeschrieben, ist die „Planung“ chaotisch; Länder machen weiter in den Spitäler willkürliche Bettenplanung, Kassen und Ärztekammern verwalten weiter autistisch die Kassenarztstellen, die Reha geht an der Hand des Dachverbandes zielsicher an der Realität vorbei, und die Pflege ist weiterhin ein völlig ungelöstes Problem von irgendwem. Und die gesetzlich geforderten Qualitätskriterien wurden zu unverbindlichen Empfehlungen degradiert.

   Alles wird völlig faktenbefreit, dafür hochemotional diskutiert, etwa der Ärzte- und Pflegemangel, und alle Probleme, die seit nachweislich 53 Jahren bestehen, werden gepflegt und gehegt, deren Lösung in Gesetze gegossen – und diese dann geflissentlich ignoriert. Das wird ewig so weitergehen, denn einen Strafzettel für diese Gesetzesübertretungen wird es nie geben.

„Wiener Zeitung“ vom 23.06.2022  

Kärnten weist die Zukunft der Spitalspolitik

Viele hoffen, dass es dann zu einer echten Spitalsreform kommt, wenn das Geld weg ist. Kärnten zeigt, dass es diesen Zustand nie geben wird.

Weiterlesen: Kärnten weist die Zukunft der Spitalspolitik

   In Kärnten wurden die Spitalspläne für 2020 vorgelegt. Und weil Kärnten so richtig pleite ist, müsste es eigentlich zu einer vernünftigen Reform kommen. Alleine, es stimmt nicht.

   Der Spitalsplan 2020 erklärt ausführlich, welche Planungsgrundsätze angeblich angewandt wurden. Da ist viel von Sicherstellung einer bestmöglich erreichbaren, bedarfsgerechten, qualitativ sinnvollen und hochwertigen, effizienten und effektiven sowie regional gleichwertigen Versorgung die Rede.

   Und wer sich nicht auskennt, ist geblendet von der ausgestrahlten Kompetenz dieses Plans, gestützt durch weise klingendes Fachchinesisch und einer breiten Datenbasis – die allerdings nur textlich angedeutet, nicht aber veröffentlicht wird (soll ja niemand nachrechnen können).

   Niemand würde auf die Idee kommen, dass die Planungsaussagen, sachlich in Tabellen ausgearbeitet, nicht logischen Argumenten folgen. Niemand, der denken würde, die Zahl der Betten und die Verteilung der Abteilungen auf Spitäler wäre politisch ausgemauschelt – und doch ist es so.

   Denn, zwischen den Methodenbeschreibungen und den Ergebnis tabellen klafft eine riesige Logik-Lücke, die nur durch politische Willkür entstanden sein kann.

   Nehmen wir die beiden Spitäler Spittal/Drau und Wolfsberg, das eine privat geführt, dass andere gehört dem Land.

   Wolfsberg hat ein Einzugsgebiet von 70.000 Einwohnern, und versorgt damit 15.000 bis 20.000 Einwohnern weniger als das Spital in Spittal. Spittal liegt im zerfurchten und schwer erreichbaren Oberkärnten, Wolfsberg im flacheren Unterkärnten, zwischen Graz und Klagenfurt an einer Autobahn.

   Ginge es tatsächlich um bestmöglich erreichbare, bedarfsgerechte, sowie regional gleichwertige Versorgung, müsste Wolfsberg längst kleiner sein als Spittal, war es aber nicht; jetzt jedoch könnte man beide Häuser „bedarfsgerecht“ dimensionieren.

   Aber weil es offenbar nicht darum geht, wird es 2020 etwa gleich viele chirurgische Betten in Wolfsberg, wie die in Spittal geben. Und die konservativen Fächer werden in Wolfsberg sogar um ein Drittel größer ausfallen. Legte man ehrliche Planungsmethoden an, dann werden die Betten für konservative Patienten in Spital kaum reichen (Unterversorgung?!), während in Wolfsberg, planerisch, ein Drittel der Betten leer stehen müsste – was nicht passieren wird, denn ein errichtetes Bett ist ein gefülltes.

   Und diese offensichtlich aus politischem Kalkül dimensionierten Überkapazitäten werden jährlich etwa 20 Millionen Euro kosten – politisches Spielgeld, das Kärnten eigentlich nicht mehr haben dürfte. Denn Spittal, dessen Patienten sich kaum von denen in Wolfsberg unterscheiden, schafft es, etwa die gleiche Zahl an Patienten um 40 Prozent günstiger zu versorgen.

   Und warum werden diese 20 Millionen investiert?

   Ganz klar, hinter jedem Bett, egal ob sinnvoll belegt oder nicht, stehen Arbeitsplätze. Und weil Wolfsberg ein Landesspital ist, sind das Arbeitsplätze, auf die, anders als in Spittal, das Land direkten Einfluss hat. Und egal wie wenig Geld noch da ist, diesen Einfluss aufzugeben, ist politisch nicht gewollt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 11.06.2015   

Frohbotschaft der Gesundheitsstatistik

Erstmals seit zwei Jahrzehnten soll die Zahl der spitalsversorgten Patienten 2009 rückläufig gewesen sein.

Der Rückgang der Spitalspatienten ist zwar nur sehr sehr gering, man spricht von 0,2 Prozent oder etwa 5.000 Fällen, aber manche, sehr wenige, hoffen trotzdem, darin eine Trendwende erkennen zu können.

Nun, abgesehen, dass simples Zählen wenig sagt – ist die Zahl der Patienten gesamt, also unabhängig, ob bei niedergelassenen Ärzten oder im Spital versorgt, vielleicht rückläufig und so der Anteil der Spitalspatienten gleich geblieben? Sind die Zahlen mit den Vorjahren vergleichbar, haben doch immerhin sehr viele Spitäler „virtuell fusioniert“ um K.O.-Kriterien (Fallzahlen!) zu umgehen und damit die komplizierten und sehr fragilen Patientenzählmethoden irritiert? Gehen mehr Patienten in Privatspitäler, die bei dieser Rechnung nicht mitgerechnet werden? Wie viele Abteilungen und Spitäler wurden zur Konjunkturbelebung 2009 umgebaut und konnte daher nicht im Vollbetrieb arbeiten? Und so weiter … – gab es so etwas bereits 2005. Damals sank die Zahl sogar etwas mehr und es gab echten Anlass an eine Trendwende zu glauben; wurde doch der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), der dem explosionsartigen Wachstum der Spitalspatienten seit Einführung des leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF)-Systems 1997 Einhalt gebieten sollte, beschlossen. Aber die damalige Beobachtung erwies sich als nicht nachhaltig. Im Gegenteil, 2006 sprangen die Zahlen mit einem Satz wieder nach oben.

Betrachtet man den Zeitverlauf seit 1996, sieht man auch 2000, zwar keinen echten Rückgang aber eine „Wachstumsdämpfung“; von der nicht wirklich bekannt ist, wieso sie stattfand. Und, warum die Zahl 2001 wieder raufschnellte, ist ebenfalls unerforscht.

Wenn jetzt die Zahl wieder einmal „sinkt“, dann ist das wohl ebenfalls nur eines jener unerklärlichen Phänomene, die mit Regional-, Landtags- oder sonstigen Wahlen oder Änderungen in der Finanzierung oder Vertragsabschlüssen zwischen Ärztekammern und Krankenkassen oder unterschiedlich ausgeprägten Grippeepidemien oder Warnungen vor Menschenansammlungen wegen der Grippe oder sonst irgend etwas zusammenhängen. Vielleicht ist es diesmal auch die Finanzkrise oder aber auch das Wetter am 28. August, wer weiß?

Wirklich belegen kann man nichts, nicht nur, weil es niemanden wirklich interessiert, sondern auch weil das Spitalswesen nicht einheitlich ist.

Während in Oberösterreich die Aufnahmen auch 2009 steigen, sinken sie in Kärnten schon seit 2004 kontinuierlich. Bezogen auf die Wohnbevölkerung zählen wir in Oberösterreich 30 Aufnahmen pro 100 Einwohner, Kärnten liegt mit 26 im Österreichschnitt, in Wien sind es 24, und die Steiermark, weil sie für die onkologische Versorgung einen speziellen Deal mit der Krankenkasse hat, kommt gar mit nur 23 aus.

Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Zahl der Spitalspatienten nicht unendlich vergrößerbar sein kann. Früher oder später muss sich auch in Österreich die Spitalshäufigkeit irgendeinem Wert annähern, der nicht überschritten werden kann. Wenn wir bedenken, dass die Deutschen mit 21, die Schweizer mit 15, die Niederländer gar nur mit etwa 11 Aufnahmen pro 100 Einwohner auskommen, liegen wir mit unseren 26 ohnehin jenseits von Gut und Böse. Wohin soll denn diese Zahl noch wachsen?

Also ist die Hoffnung auf eine Trendwende noch verfrüht. Aber, dass diese gesehen wird, zeigt auch, dass die Hoffnung auf eine Gesundheitsreform, die eine wirklich ist, noch nicht tot ist.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Outlaws der Gesundheitspolitik

Gesetzte sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, einfach zu ignorieren.

Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

Gehen wir zurück ins Jahr 2000. Das Jahr war in der Gesundheitspolitik besonders. Nach langen Verhandlungen haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet.

Bis dahin gab es den Österreichischen Krankenanstalten Plan (ÖKAP). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Die Zahl wurde einerseits wissenschaftlich errechnet, andererseits politisch verhandelt. Ziel war es, die stationäre Versorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, um die Wahrheit zu sagen, an den ÖKAP hat sich sowieso niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinah jedes einzelne Krankenhaus, hat trotzdem gemacht was es wollte – meist wider die Vernunft. Und wenn was nicht ÖKAP-konform war, dann hat man die Politik losgeschickt, um den ÖKAP umschreiben zu lassen. Einmal wurde der ÖKAP sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es das gar nicht gäbe – muss ja keiner wissen, dass man sich an die eigenen Pläne nicht hält.

Aber ab 2000 wird alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung ist eingeleitet worden: Die herkömmliche Planung wird durch eine gemeinsame, einheitliche, auf der bedarfsorientierten Leistungsangebotsplanung basierende Rahmenplanung aller Teilbereiche abgelöst. Die Planung umfasst so die stationäre UND ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar ein bisschen die Pflege. Sie plant auch nicht mehr Betten, sondern soll vom Patienten ausgehend jene Leistungen planen, die man braucht, um eine gute Versorgung zu erreichen. Die Leistungen selbst dürfen nur erbracht werden, wenn man dafür auch bestimmte Qualitätskriterien erfüllen kann. Somit soll die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen.

Unzählige Arbeitgruppen haben getagt und Projekte wurden gestartet. In einem fünfjährigen Prozess, der so zwei, drei Millionen Euro gekostet haben dürfte, wurde der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) entwickelt. In der Endphase – so ab Mitte 2005 – jagt eine Sitzung die andere. Die Politik – obwohl in den gesamten Prozess eingebunden – hat am Ende noch jede Menge Änderungswünsche parat und oft auch wider jede Vernunft durchgesetzt. Wie auch immer, mit großem Pomp wurde die Gesundheitsreform 2005 beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, das der ÖSG geltendes Recht ist.

Heute, 2008, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und sieh da, kaum etwas. Obwohl Gesetz, ist die Planung der Teilbereiche nicht aufeinander abgestimmt; Länder machen weiter die Krankenhäuser, die Kassen die niedergelassenen Ärzte, der Hauptverband die Rehabilitation und die Pflege – naja, darüber ein Wort zu verlieren ist unnötig. Qualitätskriterien, ebenfalls Gesetz, werden nicht eingehalten. Oder kennen Sie Krankenhäuser bzw. Abteilungen, die, weil sie die zur Aufrechterhaltung der Qualität nötigen Fallzahlen – z.B. bei Geburten – nicht erreichten, geschlossen wurden?

So endet wieder ein Kapitel. Und wir harren dem nächsten Gesundheitsreform-Gesetz, das auch wieder nicht umgesetzt wird – Gesetze gelten halt nur für Parksünder.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.