Ernsthaft oder trickreich?

Der Hauptverband will bei den Spitälern mitreden; sehr vernünftig und sehr schwierig. Wird daraus eine Reform oder doch nur eine Geldbeschaffungsaktion?

Es ist 19:30, Freitag: Herr M. (54) betritt den Untersuchungsraum der Unfallambulanz des Spitals A. Als der Arzt fragt, wie lange denn das Fußgelenk weh tut, antwortet Herr M: „14 Tage, seit er mit Freunden Fußball gespielt hat – und das in seinem Alter! Kindisch! Aber lustig war’s schon“. „Ob er beim Hausarzt war“, will der Arzt wissen. „Nein, erstens müsse man da lange warten und dann hat es sich gerade gut getroffen, weil er in der Nähe einen Termin hatte und die Schmerzen schnell einmal abklären lassen wolle“. Eine halbe Stunde später geht der Patient mit einem Röntgen und einer Heparinsalbe gegen seine Verstauchung nach Hause.

Was hat so ein Patient in einer Unfallambulanz zu suchen? Nichts! Aber warum ist er dort? Weil das System der ambulanten Versorgung nicht richtig funktioniert!

Aus den Medien kann man entnehmen, dass der Hauptverband mehr Mitsprache in den Spitälern anstrebt, weil eine Sanierung der Kassen nur funktioniert, wenn man niedergelassene Ärzte und Spitäler als Teile EINES Systems denkt. Dieses Ansinnen ist absolut richtig. Aber wird ehrlich argumentiert?

Hauptargument ist, dass die Kassen viel in die Spitäler zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Zwar stimmt das, aber dieses Schicksal ist selbst gewählt. Vor vielen Jahren haben sich die Kassen freiwillig aus dem Spitalswesen zurückgezogen. Man hat vereinbart, dass sie nicht mehr an den realen Kostensteigerungen beteiligt sein sollen, sondern nur mehr einen fixen Prozentsatz ihrer Einnahmen abliefern.

Für die ambulante Versorgung hat das nichts weniger bedeutet, als dass sie 1995 in zwei separate Welten zerhackt wurde – die Spitalsambulanzen und die niedergelassenen Ärzte. Und um die Ambulanzen mussten sich die Kassen nun keine Sorgen mehr machen. Dass die 400 Millionen Euro, die sie dort einzahlen, heute nur mehr ein Drittel der Kosten decken, ist für sie unerheblich, und dass sich die Zahl der Patienten in den Spitalsambulanzen seither um 60 Prozent erhöht hat, nebensächlich! Wenn man solche Zahlen betrachtet, dann kann man sehen, dass das Argument, es werden immer mehr Leistungen aus dem Spital zu den niedergelassenen Ärzten verlagert, falsch ist. Genau genommen kam es zu einer massiven Verschiebung in die Spitäler.

Und weil die ambulante Versorgung vollkommen dezerebriert in zwei unabhängige Welten getrennt wurde, und weil weder Leistungen, noch Öffnungszeiten, noch sonst irgendetwas gegenseitig abgestimmt wurden, war es logisch, dass Doppelgleisigkeiten aufgebaut wurden. Schätzungen gehen davon aus, dass diese jährlich etwa 500 Millionen Euro kosten. Anders ausgedrückt wurden additive Leistungen, die niemandem helfen, provoziert, die gesamtwirtschaftlich betrachtet viel Geld verschlingen, auch wenn die Kassen betriebswirtschaftlich „scheinbar“ entlastet wurden.

Was ist also gemeint, wenn der Hauptverband mehr mitreden will?

Will er die Fehler der Vergangenheit ausmerzen? Will er jetzt EINEN Leistungskatalog mit einheitlichen Honoraren für Ärzte und Spitalsambulanzen einführen? Will er ein vernünftiges Bedarfsberechnungsmodell einrichten, um die Doppelgleisigkeiten zu reduzieren? Wem wird er das Geld dafür wegnehmen wollen? Den Spitalsambulanzen (und damit den Ländern) oder den niedergelassenen Fachärzten?

Soll es wirklich eine Reform geben oder ist es wieder nur ein Trick, Steuergeld in die Kassen zu spielen, die dann über Schulden der Länder im Staatsdefizit landen?

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer Köpfe zählt, der hat keine Ahnung

Nein, es müsste keinen Ärztemangel geben, wenn irgendwo ein solcher vorkommt, dann hat das nicht mit der Zahl der Ärzte zu tun, sondern mit Zynismus.

Was für ein Bild soll ein junger Mensch haben, wenn er hört, dass wir in einen Ärztemangel hineinschlittern? Soll er Medizin studieren, weil da krisensichere Jobs winken?

Bleiben wird bei den Fakten.

Anfang 2005 gab es 38.500 Ärzte, 2009 sind es schon 43.000. Also sind pro Jahr netto 900 Ärzte dazugekommen. In der gleichen Zeit wurden etwa 7.000 Ärzte mit dem Studium fertig. Zieht man die obigen 900 ab, haben 500 Ärzte pro Jahr entweder das Land verlassen oder aber frei werdende Stellen erhalten. Keine Rede von Mangel.

Von den 43.000 arbeiten 13.000 in Spitälern, dazu kommen noch 7.000 Turnusärzte, die darauf hoffen, später einen fixen Platz zu erhalten. 10.000 Ärzte haben einen Kassenvertrag. Also arbeiten 30.000 Ärzte im öffentlichen System, dass wenigstens 95 Prozent der Österreicher versorgt. Wo, fragt man sich, arbeitet der Rest; denn 13.000 haben im öffentlichen System keinen fixen Platz. Diese Ärzte verdingen sich als Wahlärzte, Vertretungsärzte, sitzen auf Karenzstellen oder fahren Notarztdienste. Keiner dieser Jobs ist sicher.

Warum soll plötzlich ein Mangel auftreten?

Ach ja, es wird argumentiert, dass demnächst so viele Ärzte in Pension gehen. Natürlich, wenn man sich nur jene anschaut, die im System sind, kann man den Eindruck haben. Aber wer schaut sich die 13.000 Ärzte an, die eben nicht im System sind? Wie alt sind die? Aber selbst bei den „System-Ärzten“ ist keine Gefahr in Verzug. Das Durchschnittsalter dieser Ärzte hat sich in den vergangen fünf Jahren gerade einmal um neun Monate erhöht. Und eine seriöse Berechnung hat ergeben, dass bis 2025 etwa 750 Ärzte pro Jahr in Pension gehen werden. Bis 2011 werden aber pro Jahr 1.600 Studenten fertig. Dann erst werden die Absolventen sinken – auf mindestens 1.1150, von denen wenigstens 850 aus Österreich kommen. Also selbst dann ist kein Mangel zu sehen. Bis zu dem Zeitpunkt ist die Zahl derer, die im System nicht unterkommen auf geschätzte 16.000 angeschwollen. Wollen wir auf diese einfach verzichten?

Noch ein Aspekt sollte einbezogen werden. Es gibt – was nicht bedeutet, dass es gut ist, nur dass es geht! – Gesundheitssysteme, die für die Versorgung von acht Mio. Einwohnern mit weniger als 20.000 Ärzten auskommen. Was passiert, wenn das Geld knapper wird und wir uns aus Kostengründen dorthin entwickeln? Werden dann noch mehr Ärzte im „Nichts“ verschwinden?

Nichts desto trotz gibt es zunehmend Mangelerscheinungen. Es wird immer schwieriger gerade in der Peripherie Ärzte zu finden, die bereit sind, für wenig Geld viel zu arbeiten. Zudem ist der Anteil der Frauen unter den Ärzten unter 35 Jahren bereits fast 70 Prozent. Diesen Frauen machen wir im System kein Angebot, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Kann man solche Mangelerscheinungen mit noch mehr Uni-Absolventen lösen?

Natürlich nicht. Ob Absolventen, ausländische wie inländische, hier arbeiten wollen, hängt davon ab, welche Vision sie in Österreich haben. Und da scheitert das System furchtbar. Um diese Mängel zu beheben müssen wir über Anreizsysteme und Perspektiven reden – nicht über noch mehr Studenten.

PS: Bei der in Linz geforderten Universität dürfte es wohl eher darum gehen, für die Spitäler neue Geldquellen zu erschließen (bei Uni-Spitälern muss der Bund mitzahlen) und/oder den vielen unechten Professoren, die dort arbeiten, endlich die Chance zu geben, „Richtige“ zu werden. Um Patienten geht es meiner Meinung nicht.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Fast-Medizin und Mac-Ärzte

Es kommt wieder Schwung in die fast totgeglaubte Reformdebatte über ambulante Versorgungszentren – ob damit auch was in Bewegung kommt ist fraglich.

Unser knapp zweijähriger Sohn ist bereits im Kindergarten – einem Hort für alle möglichen Infektionen. Und obwohl meine Frau und ich Mediziner sind, fallen Dinge an, die man dem Spezialisten zeigen möchte.

Unseren Kassenkinderarzt haben wir verlassen. Nicht weil wir an seiner Kompetenz gezweifelt haben, sondern weil dieser einfach zu wenig Zeit hatte. Bei jedem Besuch wirkte er gehetzt, Fragen wurden nur in aller Kürze beantwortet. An Konsultationen, die länger als drei Minuten gedauert hätten, können wir uns nicht erinnern. Zudem sind die diagnostischen Möglichkeiten unerträglich eingeschränkt. Labor oder Röntgen erfordern zusätzliche Besuche bei anderen Ärzten – keine Freude mit einem Zweijährigen.

Auch mit einer Spitalsambulanz kamen wir in Kontakt. Die Untersuchung durch den Arzt dauerte keine fünf Minuten. Dieser erhielt die wesentlichen Informationen nicht von uns, sondern von einer Schwester, die uns im Vorfeld befragt hatte. Mit uns wechselte er kaum ein Wort.

Und weil die Situation so ist, wie sie ist, könnte es amüsant sein, wenn es nicht so traurig wäre, dass seitens einiger Ärzte eine schaurige Zukunftsvision entmenschlichter Medizin gezeichnet wird. Von anonymen AVZs (Ambulanten Versorgungszentren), ist die Rede, die „ähnlich einem Fast-food-drive-in“ funktionieren und billig angestellten Ärzten nur fünf Minuten für Diagnose und Therapie lassen würden. Die persönliche Beziehung gehe verloren und der Patient wird wie auf einem Fließband abgefertigt.

Worin soll sich das von heute unterscheiden?

Die Gründe für die schon bestehende Fließbandabfertigung in der ambulanten Versorgung liegen vor allem an der chronischen Unterfinanzierung. Kassenärzte werden nach einem System entlohnt, dass dank 14 verschiedener Honorarkataloge dutzender Krankenkassen nicht nur hoch komplex ist, sondern Leistungen mit zum Teil lächerlich anmutenden Beträgen honoriert. Ein Wiener Arzt (von Kasse zu Kasse variieren die Tarife erheblich) erhält pro Quartal für einen Patienten rund 20 Euro, egal wie oft der kommt. Zusatzleistungen wie Blutabnahmen werden im einstelligen Eurobereich entlohnt. Gagenkaiser sind die meisten Kassenärzte sicher nicht – im Gegenteil, angesichts der Klein- und Kleinstbeträge für ihre Leistungen müssen Ärzte möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit behandeln um überhaupt über die Runden zu kommen.

Aber auch Ambulanzen sind lächerlich unterfinanziert. Anstatt leistungsbezogen zu honorieren, erhalten die Spitäler meist Pauschalen; egal wie viele Patienten behandelt werden oder was es kostet. Und diese Kosten sind durch diese Pauschalen nur mehr zu einem Drittel gedeckt. Das Defizit muss das Spital tragen. Das spiegelt sich dann in der personellen Ausstattung wider; und das bekommen Patienten zu spüren. Wer nicht stationär aufgenommen werden kann, wird halt im Minutentakt abgefertigt.

Fraglich ist, warum Ärzte und Patienten mit diesem System so glücklich sein sollen, wie manche der Öffentlichkeit immer wieder zu vermitteln suchen. Warum die angefeindeten AVZ die heutige Situation verschlechtern sollten ist auch fraglich. Wenn sie auch nur Fließbandmedizin abliefern (was ich persönlich bezweifle), aber wenigstens die Rennerei von Arzt zu Arzt ersparen, wäre doch schon was erreicht. Und für die vielen Ärztinnen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, könnten attraktive Posten entstehen. Wer also wehrt sich dagegen und warum?

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie viel verdienen Ärzte wirklich?

Dass Ärzte gut verdienen ist ein Gerücht. Die meisten verdienen mittelmäßig und wenn man ihren Stundenlohn errechnen würde, wenig.

„Was wird ein Arzt verdienen? – na so sechs bis sieben Tausend!“ „Brutto?“ „Nana, schon netto!“ Wenn man so hineinhört in die Stammtischrunden, dann kann man erahnen, was Ärzte verdienen – oder auch nicht, denn die Zahlen sprechen etwas anderes.

Beginnen wir bei den niedergelassenen Ärzten. Laut den offiziellen Angaben kann man davon ausgehen, dass Allgemeinmediziner, von denen es etwa 5500 gibt, rund 3.500 Euro im Monat netto verdienen (auf 14 Mal im Jahr gerechnet). Wie lange sie dafür arbeiten müssen, kann man nicht sagen. Wer sich umhört, wird erfahren, dass das unter 50 Wochenstunden wohl kaum möglich ist.

Den etwa 5000 Fachärzten geht es da schon besser. Ihr Einkommen liegt bei 5.500 Euro. Ein Einkommen, das man aber erst nach einer jahrzehntelangen Ausbildung erreicht. Sie sind die „Bestverdiener“ im niedergelassenen Bereich und der „volksgemeinten“ Höhe am nächsten.

Kommen wir zu den Spitalsärzten. An der untersten Stufe stehen 6000 Turnusärzte. Meist wird behauptet, sie werden ja noch ausgebildet und daher schlecht bezahlt. Ich meine, die Turnuszeit ist eine Fortbildung und keine Ausbildung; die endet nämlich mit der Universität. Keiner käme auf die Idee zu sagen, Gesellen dürften nicht viel verdienen, weil sie erst als Meister fertig ausgebildet sind. Wie auch immer, Turnusärzte kommen – inklusive aller Zulagen, Klassegelder und Bezahlungen für Wochenend- und Nachtdienste – auf 2.000 Euro netto. Dafür arbeiten sie etwa 70 Stunden in der Woche. Also fast doppelt so lange wie ein „normaler“ Mensch.

Ihre „fertig ausgebildeten“ 12000 Kollegen, die Oberärzte, sind besser dran. Zwar ändert sich die Arbeitszeit kaum, aber ihr Gehalt. Mit etwa 3000 Euro inklusive allem, also auch den Klassegeldern, denen man ja mystische Höhen zuspricht, sind sie aber weit weg von den 6.000 Euro, die ihnen das Volk zudenkt.

Mit fast 9.000 Euro netto verdienen eigentlich nur Primarärzte richtig gut. Es gibt zwar nicht einmal 1000 von Ihnen, aber sie prägen das Bild des „reichen“ Arztes. Dass diese Primarärzte für 9 Milliarden Euro verantwortlich sind, sollte man nicht vergessen, wenn man über ihre Gehälter spricht. Nur wenn sie gut bezahlt werden, kann man erwarten, dass sie gute Arbeit leisten. Skurril ist daher die Tatsache, dass ihr Einkommen nicht aus ihrem eigentlichen Job kommt. Die Hälfte bis zwei Drittel des Einkommens bestehen aus Klassegeldern. Also eigentlich Geldern, die mit Ihrer Leitungsaufgabe nichts zu tun haben; ein eigenartiges „Honorierungssystem“.

In Summe werden in den Statistiken etwa 32000 Ärzte erfasst und haben ein Nettoeinkommen von 3.300 Euro pro Monat. Da es aber offiziell 38000 Ärzte gibt, fehlt uns eine Gruppe. Denn, rund 6000 Ärzte werden zwar in den Ärztelisten geführt, aber in keiner Einkommensstatistik erfasst. Diese Ärzte leben von Vertretungsjobs, Notfallarzttätigkeiten oder Ähnlichem. Was sie dort verdienen reicht wohl höchstens als Nebenverdienst.

Aber wie ist so eine Fehleinschätzung in der Bevölkerung zu erklären. Mit einem Vollzeitjob verdient man rund 1.400 Euro netto. Nicht eingerechnet ist der „Pfusch“. Nimmt man an, dass etwa ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung sein Einkommen verbessert, dann landet man bei einem Nettoeinkommen von 2.900 Euro. Ein Arzt, so würde ich das interpretieren, dürfte der Volksmeinung nach ruhig doppelt so viel verdienen, also 6.000 Euro. Alleine, es entspricht nicht der Realität.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.