Billige Arbeitskräfte in neuen MedUnis

   Der Ruf nach der Verdoppelung der MedUnis wird von standhaft vertretenen alternativen Fakten begleitet.

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   Österreichs MedUnis bilden bezogen auf die Einwohner die meisten Mediziner in Europa aus. Im langjährigen Schnitt bleiben 90 Prozent der inländischen Absolventen (etwa 900) hier und arbeiten als Ärzte. Und auch die ausländischen Absolventen wandern immer seltener ab. Etwa die Hälfte bleibt uns erhalten. Es gibt also keine Massenemigration, wie manche behaupten, eher das Gegenteil. Denn seit einigen Jahren kommen jährlich etwa 500 Ärzte aus dem Ausland neu hinzu. Am Ende sind es 1.600 Ärzte, die jährlich neu in der Ärzteliste eingetragen werden. Demgegenüber stehen etwa 800 Ärzte, die aus dem Beruf ausscheiden. Die Zahl der Ärzte wächst – und das seit Jahrzehnten.

   Nun hört man, es gebe einen Ärztemangel, weil Kassenstellen – und hier vor allem die der Hausärzte – nicht besetzt werden könnten. Aber das ist halt auch falsch. Es gibt etwa 4.000 Kassen-Hausärzte; demgegenüber gibt es mehr als 3.000 Hausärzte, die meisten unter 55 Jahre alt, die eine Wahlarzt-Ordination betreiben, 2.000 leben ausschließlich von ihr. Diese Wahlärzte wollen einfach keinen Kassenvertrag. Ähnliches gilt auch bei den Fachärzten. Da einen generellen Ärztemangel hineinzuinterpretieren, ist schlicht Realitätsverweigerung.

   Bei der Forderung der Länder nach der Verdoppelung der MedUnis kann der akute „Hausärztemangel“ nur vorgeschoben sein – das müssen sogar sie selbst erkennen, ist doch frühesten 2035 mit fertigen Ärzten aus diesen neuen Unis zu rechnen. Und wenn es nur darum ginge, die enttäuschten Eltern und Großeltern der Kinder zu beruhigen, die keinen Studienplatz gekriegt haben, würden sie das nicht so beharrlich fordern. Doch da gibt es noch andere Motive.

   Das Arbeitszeitgesetz für Spitalärzte aus dem Jahr 2015 wird eingehalten und führt zur Arbeitszeitreduktion von bis zu 20 Prozent. Da die Arbeitsdichte vor 2015 schon recht hoch war (in der Arzt-Patienten-Relation gehört Österreich zu Europas „produktivsten“ Staaten), müsste eigentlich die Zahl der Ärzte entsprechend gestiegen oder aber die Belastung gesunken sein (weniger Patienten). Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Ärzte stieg bis 2018 um lediglich 6 Prozent, und die Belastung blieb gleich. Es kam zur Arbeitsverdichtung – oder?

   Was völlig übersehen wird: Es gibt neue „Mitarbeiter“, die in Statistiken nicht auftauchen und zu allem Möglichen eingesetzt werden können – nämlich die Studenten im Klinisch-Praktischen Jahr, die sogenannten KPJler. Bis zu 1.500 gibt es jedes Jahr – neu. Und weil sie oft Tätigkeiten der „alten“ Turnusärzte übernehmen (Papierkram, Blutabnahmen, Infusionen, etc.), federn sie einiges ab. Um die Lücke zu füllen, bräuchte es jedoch rund 3.000.

   Und plötzlich versteht man die Begehrlichkeit der Länder nach Verdoppelung der Studienplätze.

   Denn mit mehr KPJlern kann man nicht nur Spitalpersonal praktisch zum Nulltarif entlasten, mehr noch, man erhält auch viele hunderte Millionen Euro zusätzlich vom Bund für die ländlichen Spitalspielplätze – weil sich die bundesfinanzierten MedUnis ja in bestehenden Spitälern einmieten müssen und die Miete von den Ländern de facto selbst festgelegt wird. gastkommentar@wienerzeitung.at

„Wiener Zeitung“ vom 28.11.2019 

Der Ärztemangel in Zahlen

(Lesezeit 7 Minuten) Es ist irgendwie völlig absurd. Wegen einer angeblichen Pensionierungswelle* und dem EU-Arbeitzeitgesetzt droht also ein Ärztemangel, der aus einem aktuellen Absolventenmangel hervorgehen wird, den auch die EU verursacht hat.

Das weiß Minister a.D. und amtierender Landesgesundheits-Referent des Burgenlandes N. Darabos  und fordert 1.000 zusätzliche Studienplätze für Medizin. Und das bitte umgehend, wie die amtierende Kärntner Landesgesundheits-Referentin B. Prettner konstatiert: „das Festhalten an der derzeitigen Studienplatzbeschränkung führt schrittweise und unausweichlich zu einem Engpass an Medizinern.“

Wie nicht anders zu erwarten, applaudieren alle Landesfürsten, wissen Sie doch, dass das eh alles der Bund zahlen muss. Und um ein Gefühl zu kriegen, was 1.000 zusätzliche Studienplätze bedeuten: Wien und Graz gemeinsam kommen etwa auf 1.000 Studienplätze – also müssten wir, wollten wir das realisieren, umgehend in jedem Bundesland eine eigene MedUni errichten – ein sehnlicher Wunsch aller Landesfürsten rückt zum Greifen nah!

Im Hintergrund laufen zwei Diskussionen

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Wer Köpfe zählt, der hat keine Ahnung

Nein, es müsste keinen Ärztemangel geben, wenn irgendwo ein solcher vorkommt, dann hat das nicht mit der Zahl der Ärzte zu tun, sondern mit Zynismus.

Was für ein Bild soll ein junger Mensch haben, wenn er hört, dass wir in einen Ärztemangel hineinschlittern? Soll er Medizin studieren, weil da krisensichere Jobs winken?

Bleiben wird bei den Fakten.

Anfang 2005 gab es 38.500 Ärzte, 2009 sind es schon 43.000. Also sind pro Jahr netto 900 Ärzte dazugekommen. In der gleichen Zeit wurden etwa 7.000 Ärzte mit dem Studium fertig. Zieht man die obigen 900 ab, haben 500 Ärzte pro Jahr entweder das Land verlassen oder aber frei werdende Stellen erhalten. Keine Rede von Mangel.

Von den 43.000 arbeiten 13.000 in Spitälern, dazu kommen noch 7.000 Turnusärzte, die darauf hoffen, später einen fixen Platz zu erhalten. 10.000 Ärzte haben einen Kassenvertrag. Also arbeiten 30.000 Ärzte im öffentlichen System, dass wenigstens 95 Prozent der Österreicher versorgt. Wo, fragt man sich, arbeitet der Rest; denn 13.000 haben im öffentlichen System keinen fixen Platz. Diese Ärzte verdingen sich als Wahlärzte, Vertretungsärzte, sitzen auf Karenzstellen oder fahren Notarztdienste. Keiner dieser Jobs ist sicher.

Warum soll plötzlich ein Mangel auftreten?

Ach ja, es wird argumentiert, dass demnächst so viele Ärzte in Pension gehen. Natürlich, wenn man sich nur jene anschaut, die im System sind, kann man den Eindruck haben. Aber wer schaut sich die 13.000 Ärzte an, die eben nicht im System sind? Wie alt sind die? Aber selbst bei den „System-Ärzten“ ist keine Gefahr in Verzug. Das Durchschnittsalter dieser Ärzte hat sich in den vergangen fünf Jahren gerade einmal um neun Monate erhöht. Und eine seriöse Berechnung hat ergeben, dass bis 2025 etwa 750 Ärzte pro Jahr in Pension gehen werden. Bis 2011 werden aber pro Jahr 1.600 Studenten fertig. Dann erst werden die Absolventen sinken – auf mindestens 1.1150, von denen wenigstens 850 aus Österreich kommen. Also selbst dann ist kein Mangel zu sehen. Bis zu dem Zeitpunkt ist die Zahl derer, die im System nicht unterkommen auf geschätzte 16.000 angeschwollen. Wollen wir auf diese einfach verzichten?

Noch ein Aspekt sollte einbezogen werden. Es gibt – was nicht bedeutet, dass es gut ist, nur dass es geht! – Gesundheitssysteme, die für die Versorgung von acht Mio. Einwohnern mit weniger als 20.000 Ärzten auskommen. Was passiert, wenn das Geld knapper wird und wir uns aus Kostengründen dorthin entwickeln? Werden dann noch mehr Ärzte im „Nichts“ verschwinden?

Nichts desto trotz gibt es zunehmend Mangelerscheinungen. Es wird immer schwieriger gerade in der Peripherie Ärzte zu finden, die bereit sind, für wenig Geld viel zu arbeiten. Zudem ist der Anteil der Frauen unter den Ärzten unter 35 Jahren bereits fast 70 Prozent. Diesen Frauen machen wir im System kein Angebot, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Kann man solche Mangelerscheinungen mit noch mehr Uni-Absolventen lösen?

Natürlich nicht. Ob Absolventen, ausländische wie inländische, hier arbeiten wollen, hängt davon ab, welche Vision sie in Österreich haben. Und da scheitert das System furchtbar. Um diese Mängel zu beheben müssen wir über Anreizsysteme und Perspektiven reden – nicht über noch mehr Studenten.

PS: Bei der in Linz geforderten Universität dürfte es wohl eher darum gehen, für die Spitäler neue Geldquellen zu erschließen (bei Uni-Spitälern muss der Bund mitzahlen) und/oder den vielen unechten Professoren, die dort arbeiten, endlich die Chance zu geben, „Richtige“ zu werden. Um Patienten geht es meiner Meinung nicht.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.