Licht ins Dunkel

Dass man dem Finanzministerium vorwirft, nicht an Patienten zu denken ist lächerlich; dass aber nur mehr dort an die Steuerzahler gedacht wird, erschreckend.

Ich werde mich hüten, die Meriten des geheimen, mir aber letztendlich doch bekannt gewordenen Hauptverbandpapiers zu kritisieren; denn diese sind gegeben. Insbesondere die Arbeitsgruppe „Qualität“ hat einiges zu Papier gebracht. Was davon zu leben beginnt, werden wir sehen. Viel Arbeit liegt hier vor denen, die Willen gezeigt haben.

Was sich aber politisch rund um das Papier abspielt, ist sagenhaft. So wirft der Gesundheitsminister denen, die zahlen sollen (Finanzministerium), vor, „Zahlenmenschen“ zu sein, denen es nicht um Patienten, sondern um „Machtspiele“ gehe. Und der Ärztekammerpräsident meint drohend, wenn das Geld nicht fließt, dann wäre der nächste Schritt dezidierte Leistungskürzungen.

Dass die beiden so reagieren ist ja verständlich, schließlich wollen sie nur eines: die Macht des siamesischen Ärztekammer-Krankenkassen-Zwillings retten. Den anderen Machtspiele vorzuwerfen, lenkt da wohl nur vom eigenen Wunsch ab.

Wenn man sich die Modellrechnungen im vierten Teil des geheimen Papiers ansieht, dann kann man den Finanzminister nur zu gut verstehen. Selbst ein Würstelstand, der einen Kredit beantragt, muss einen detaillierteren Plan vorlegen, will er nicht riskieren, aus der Bank gejagt zu werden.

Schauen wir einmal hinein, in das Zahlenwerk.

Bei den Medikamenten wird beispielsweise angenommen, dass die Ausgaben ohne Maßnahmen um etwa sieben Prozent jährlich steigen würden. Weil man aber Maßnahmen setzt, wird die Steigerung bei genau vier Prozent liegen. Das was aus dieser einfachen Rechnung als Differenz rauskommt, das ist das „Dämpfungspotential“. Woher die Zahlen kommen, ist unklar. Man kann nur froh sein, dass sie nicht gänzlich frei erfunden sein dürften. Wenn man zum Beispiel statt sieben acht Prozent Steigerung prognostiziert hätte, dann wären zu den 883 Millionen Dämpfungspotenzial gleich noch einmal 450 dazu gekommen! Was aber wirklich rauskommt, ist fraglich.

Wie man genau auf die avisierten vier Prozent kommen will, bleibt geheim. Denn in den dafür vorgesehen Tabellen – also dort, wo der Finanzminister vermutlich gerne genauere Zahlen hätte – herrscht gähnende Leere. Nur die Summenzeile ist ausgefüllt; mit genau den Zahlen, die aus der oben beschriebenen, simplen Rechnung stammen.

Was Leistungskürzungen betrifft, ist auch was zu finden. So wollen die Kassen 260 Millionen in der Rehabilitation sparen, in dem sie sie gänzlich der Pensionsversicherung (PV) übertragen. Es ist zwar sehr löblich hier endlich Kompetenzen zu bereinigen, aber wo bleibt das sonst so gerne zitierte „Geld folgt Leistung“? Wenn die PV die ganze Reha übernimmt, dann darf sie doch auch das Geld dafür von den Kassen erwarten! Nur die Leistungen rüber zu schieben und das Geld behalten, ist Chuzpe. Dass da der Finanzminister, der ja am Ende des Tages die Defizite der PV aus dem Budget decken muss, nicht glücklich sein kann, ist klar!

In den eigenen Reihen sehen die Kassen übrigens auch Potential – heiße 45 Millionen, oder gerade einmal 2,6 Prozent des gesamten ausgabenseitigen Dämpfungspotentials. Eine echte Kassenreform sieht anders aus.

Am Ende bleibt der schale Geschmack, dass hinter all den Rechnungen wohl nur die Beibehaltung der Strukturen (und Macht) stand, und das dafür notwendige Geld gefälligst aufzubringen ist. Froh kann man sein, dass doch noch manche wissen, dass Geld nicht auf Bäumen wächst, sondern von Bürgern erarbeitet werden muss. Gratulor!

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Geheimdiplomatie

Die Geheimniskrämerei rund um das Kassensanierungskonzept ist demokratiepolitisch traurig, auch wenn man erstmals auf Vernünftiges hoffen darf!

Es ist wieder einmal Zeit, tiefschürfende Gedanken zu wälzen.

Jetzt ist es also veröffentlicht worden, das (Kurz)Konzept der Kassensanierung. Zwar haben einige versucht, daraus ein Gesundheitsreformpapier zu machen, aber die, die es geschrieben und veröffentlicht haben, weisen zurecht darauf hin, dass es nur ein Konzept ist, die zu erwartenden Kassen-Schulden nicht entstehen zu lassen. Daher ist das Wort Einsparungspotential auch falsch! Es wird nicht gespart, es sollen die Ausgaben nur nicht schneller wachsen als die (prognostizierten) Einnahmen.

Das veröffentlichte Papier selbst, gerade einmal 20 Seiten stark, zeigt mit seiner Wortwahl und seinem Aufbau bereits klar, dass es sich dabei nur um eine hochaggregierte Zusammenfassung handelt. Dahinter stehen viele Seiten Detailbeschreibungen, die allerdings streng geheim bleiben.

Schon im Vorfeld wurde bekannt, dass erstmalig auch externe Experten mitgearbeitet haben. Ein Quantensprung! Wer diese externen Experten sind, das ist aber leider auch geheim! Einer davon (dem das Konzept allerdings nur vorgestellt wurde) hat aber behauptet, es sei das Vernünftigste, was er in seiner Karriere jemals seitens der Sozialversicherungen gesehen hat!

Es schaut also so aus, als ob da wirklich was Gescheites herausgekommen sein könnte. Warum, frage ich mich nun, wird dieses offenbar gute Werk nicht veröffentlicht und einer breiten Diskussion unterworfen?

Immerhin sind da einige Dinge drinnen, die man sicher nicht einfach dekretieren kann. Da denke ich beispielsweise an die vorgeschlagenen Disease Management Programme. Um solche strukturierten Behandlungsprogramme für große Patientengruppen mit chronischen Krankheiten (z.B. Diabetiker, Bluthochdruckpatienten etc.) umzusetzen, muss man einen breiten und langen Konsensprozess einleiten. Die Finnen haben zehn Jahre gebraucht, um ihr Diabetiker-Programm abzustimmen. Dafür weiß nun jeder, was er zu tun hat – beginnend bei der Nahrungsmittelindustrie, bis hin zu den Pflegeheimen.

Aber auch ganz generell sollte doch jeder wissen können, was da im solidarisch finanzierten Gesundheitssystem geplant ist. Alle sollten sich ein Bild machen können, nicht nur Privilegierte, auch „selbsternannte Experten“ (ein Ausdruck, der immer häufiger verwendet wird und mich erschreckt, da er nur dazu dient, andere „klein“ zu machen; und überhaupt: Wer darf denn Experten ernennen?) und Journalisten.

In einer Demokratie müssen doch alle, interessierte Laien genauso wie ernannte Experten, Zugang zu den gleichen Informationen haben. Immerhin geht es in diesem Fall ja um ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem. Das Geld, das da reingesteckt wird – seien es Pflichtbeiträge oder Pflichtsteuern – stammt vom Volk und nicht von irgendwelchen Institutionen, die gerne als Scheingeldgeber auftreten. Geheimniskrämerei ist vielleicht in Sachen innere Sicherheit und Landesverteidigung angebracht, aber sicher nicht beim Thema Gesundheitsversorgung.

So habe ich ein lachendes und ein weinendes Auge. Ich will hoffen, dass das Konzept so gut ist, wie es Menschen, denen ich zutraue es zu beurteilen, hinter vorgehaltener Hand beschrieben. Aber, dass man sich nicht traut, es zu veröffentlichen und nur ausgewählten Entscheidungsträgern (denen ich nicht zutraue, es richtig zu bewerten!) vorlegt, die dann vom hohen Ross herab sagen: „Ja, das ist gut für’s Volk“, das irritiert mich. Demokratie funktioniert anders!

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Versteckspiel oder Verschwörungstheorie

Rund um das Hauptverbands-Papier erleben wir ein bravouröses Medien-Spiel. Damit ist das besser als beim letzten Mal; und Machiavelli lässt grüßen!

Immer mehr „sickert“ durch. Vor zwei Wochen war es die Sache mit den Kassenarztstellen. Diese sollten nur nachbesetzt werden, wenn Leistungen nicht durch Spitalsambulanzen erbracht werden können. Die Reaktionen waren interne Proteste und ein sofortiges Dementi: „So war das nie gemeint!“ Komisch, wenn Kassen sparen wollen, dann kann das nur bedeuten, Stellen zu streichen – Was kann man da missverstehen?

Die Frage bleibt, warum ist das durchgesickert? Betrachten wir es so:

Das wohl einzige Thema, dass Ärzte direkt betroffen hätte, wurde „rausgespielt“. Der so provozierte Widerstand gab – je nach Stärke – die Möglichkeit, diesen Punkt anzupassen.

Dann erhält letzter Woche „Der Standard“ – bekannt für seine kritische Haltung gegenüber neoliberalen Strömungen – das Papier zugespielt. Darin wird dargestellt, welche Summen man sich sparen kann, wenn man auf Generika umsteigt. Außerdem sollen die Preise sinken, wenn man Pharmaunternehmen Werbung verbietet. Und weil’s so schön ist, sollen Apothekenaufschläge gekürzt werden. Das mit den Kassenarztstellen ist bereits entschärft.

Mal sehen, wie der Vorschlag ankommt? Dann ein Rückschlag. Statt wie erwartet, wird nicht auf die „bösen“ Geschäftemacher eingeschlagen, sondern – deswegen ist „Der Standard“ ja eine Qualitätszeitung – differenziert berichtet. Mehr noch, in einem Folgeartikel lässt man einen Experten (mich) und die Industrie zu Wort kommen, die die dargestellten Einsparungen nicht nachvollziehen können und „Werbeverbote“ an kommunistische Ideen erinnern.

Aber das Spiel geht weiter. Jetzt erhalten mehrer Zeitungen das Papier gleichzeitig. Im „Kurier“ erreicht man damit sogar die Seite eins der Wochenendausgabe. Welche Version der Kurier hat, ist unbekannt. Berichtet wird zwar noch immer über Einsparungen bei den Medikamenten (keine Euro-Angaben mehr – merkwürdig!), aber jetzt liegt der Spin auf Patientenorientierung: weniger Rezeptgebühr und längere Öffnungszeiten bei niedergelassenen Ärzten. Der Bericht ist also anders als alle anderen! Was soll man davon halten?

Egal! Bei allem, was man bisher zu wissen glaubt, eines ist sicher: Reformiert wird wenig und gespart nur bei den Medikamenten. Das ist schon beeindruckend. Kein unabhängiger Experte hätte hier jemals ein so großes Potential gesehen, dass damit das System gerettet werden könnte. Man sollte nicht vergessen, dass die Medikamentenkosten mit gerade 13 Prozent der Gesundheitsausgaben EU-weit unterdurchschnittlich sind, und auch die Preise selbst unter dem EU-Schnitt liegen. Und was das senken der Apothekerspannen betrifft, wird das großen Apotheken in zentraler Lage vermutlich egal sein, aber in der Peripherie wird das existenzbedrohend – zur Freude der ärztlichen Hausapotheken, die damit ihre eigenen Existenzen festigen?

Damit komme ich zum Schluss: Alle, die nicht mitverhandeln durften (alle außer Ärztekammer und Kassen) sind die Blöden; das Floriani-Prinzip in Reinkultur. Draußen, außerhalb der Welt, die Gesetze beschließen und dank Gewaltmonopol exekutieren kann, wäre ein Vertrag zuungunsten Dritter schlicht unwirksam. Aber hier? Wo sich Kämmerer und Gewerkschaften bester Kontakte zur Legislative erfreuen?

PS.: Der letzte Vorschlag, die Packungsgrößen zu senken ist übrigens eine versteckte Erhöhung der Selbstbehalte, weil für die gleiche Menge an Tabletten öfter Rezeptgebühr anfällt! Aber Patienten haben ja auch nicht mitverhandelt.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Löbliche Abteilung

Mit den Sparvorhaben der Krankenkassen soll es ernst werden. Und mit „bedarfsorientierten Kassenverträgen“ hört man wirklich Neues(?)!

Wenn ein Arzt etwas von einer Spitalsabteilung will, dann ist es Etikette, diese auf dem Überweisungsschein mit „löbliche Abteilung“ anzusprechen. Was man dann will, das ist oft kryptisch. Allzu oft steht nach formvollendeter Anrede nur: „Fachärztliche Abklärung erbeten“. Welches Fach gemeint ist, oder welches Problem abgeklärt werden soll, das kann sich der Spitalsarzt aus den Fingern saugen. In der Regel wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und zu welchem Ergebnis sie geführt haben und nur selten wird eine konkrete Frage gestellt.

Diese Seltsamkeit – auch bekannt als Schnittstellenproblem – hat zwei Ursachen: (1) es gibt keinen einheitlichen Katalog für ambulante Leistungen (es gibt 14 Kassen-Honorarkataloge und in den Spitalsambulanzen gar nichts) und (2) fehlt jegliche Abstimmung zwischen Kassenbereich und Ambulanzen. Damit fehlt eine gemeinsame Grundlage, ja selbst eine gemeinsame Sprache ist unmöglich.

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt, die Anzahl der Patientenkontakte bei Kassenärzten mit der der Ambulanzbesuche und stationären Aufnahmen zu vergleichen. Definitiv in Verbindung stehen Ambulanzbesuche und stationäre Aufnahmen. Das heißt, dort, wo Patienten oft in eine Ambulanz gehen, dort werden diese auch oft aufgenommen – ein Effekt des Finanzierungssystems, das ambulante Leistungen schlecht und stationäre gut bezahlt. Überhaupt keine Übereinstimmung findet man aber zwischen Kassenarztkontakten und Ambulanzbesuchen. Anders ausgedrückt, die beiden Welten „Kassensystem“ und „Spitalssystem“ haben statistisch betrachtet nichts mehr miteinander zu tun.

Welche Auswirkung dieses seit 1995 (damals haben sich die Kassen aus den Ambulanzen zurückgezogen und sich selbst überlassen) bestehende Nebeneinander hat, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Die Zahl der Ambulanzpatienten ist von 4,5 auf 7,5 Millionen gestiegen. Die Kosten haben sich verdoppelt und liegen bei 1,4 Mrd. Euro. Die stationären Patienten sind von knapp 2 auf über 3 Millionen gestiegen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, es gab – verstärkt durch das Kassenhonorarsystem – eine massive Verlagerung in die Spitäler, die ein Vielfaches einer wohnortnahen Behandlung durch niedergelassene Ärzte kosten – aber diese Kosten gehören eben wem anderen: den Steuerzahlern (vertreten durch Landesfürsten).

Wenn also künftig Kassenverträge nicht automatisch nachbesetzt werden, sondern nur nach Bedarf, sofern Leistungen nicht auch von Spitälern oder Ambulanzen erbracht werden können, dann bin ich gespannt, wie dieser Bedarf bei fehlenden Leistungskatalogen und -abgrenzungen (Wer soll was wann wo machen) ermittelt werden soll. Denken wir praktisch. Reicht die Nähe eines Spitals aus, dass es keinen niedergelassenen Arzt mehr geben muss? Wird so jede Stadt mit Spital frei von Kassenärzten? Wenn noch mehr in Spitäler verlagert wird, was wird uns Steuerzahler dann die Einsparung der Kassen kosten?

Sehen wir es positiv. Der Ansatz der am Patientenbedarf orientierten Planung ist goldrichtig (aber nicht neu – denn schon seit 1958 Gesetz!). Politiker haben zwar hierzulande keine Ahnung, wie man so was macht und noch nicht einmal geeignete Daten, um so was abzuschätzen, aber so nach 50 bis 100 Jahren, werden sie schon draufkommen, wie es geht – mittels „try and error“, dem wohl gängigsten und teuersten Steuerungsinstrument des hiesigen Gesundheitssystems.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Geschlossene Gesellschaft

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – wenn zwei sich einigen, bezahlt das der Dritte. Aber wer ist das wohl – unsere Kinder oder doch wir?

Es ist wie eh und je, was abläuft bleibt den öffentlichen Ohren verwehrt. Das Volk soll nicht zu viel mitkriegen! Schließlich wissen jene, die da verhandeln, am besten, was uns gut tut. Und so dringt nicht viel von dem nach außen, was Ende Juni unser Gesundheitssystem retten soll.

Was ist bekannt?

Da wäre einmal der Auftrag an den Hauptverband. Dieser soll zwei Dinge erledigen: Zuerst soll er innerhalb von sechs Monaten ein, mit allen abgestimmtes, Konzept zur mittelfristigen Sanierung der Krankenkassen vorlegen. Wer das Schauspiel länger kennt, der weiß, dass alleine die Festlegung, wer zu „allen“ gehört, kein leichtes Spiel ist (nur Ärztekammern und Kassen, oder auch die Wirtschaftskammer? Sind die Länder dabei? Was ist mit der Pharmaindustrie? etc). Aber selbst wenn das gelänge, dann ist es unmöglich, all diese Interessensgruppen in so kurzer Zeit zu einem Beschluss zu bringen. Also wird es wohl wieder nur eine geschlossene Gesellschaft sein, die da was ausmauschelt – die anderen bleiben draußen.

Der zweite Teil der Aufgabe ist noch unmöglicher. Der Hauptverband soll die Finanzierung aus einer Hand – oder wie es neuerdings heißt „aus einem Topf“ – vorbereiten, bei Beibehaltung der Verhandlungshoheit der einzelnen Krankenkassen. Alleine darüber nachdenken macht einen Knopf im Kopf.

Was weiß man noch?

Da gibt es eine ganze Menge Arbeitsgruppen; die meisten und offiziellen im Hauptverband, aber auch jede andere Gruppe, ob in Verhandlungen eingebunden oder nicht, hat solche inoffiziell eingerichtet – die Ärzte, die Pharmaindustrie, die Länder, die einzelnen Kassen, das Ministerium, die Parteien etc. Wer da was arbeitet, weiß man nicht – man kann aber vermuten, dass sich alle sicherheitshalber aufrüsten – für den Tag danach, also den 1. Juli.

Ach, und dann gibt es bereits erste Aussagen. Die Ärzte meinten vor zwei Wochen noch, dass es unmöglich ist, in so kurzer Zeit ein Konzept vorzulegen. Letzte Woche dann der Schwenk, jetzt soll doch was Gescheites rauskommen. Was mag passiert sein?

Der Minister hat ausrichten lassen, dass er keinesfalls eine Fristverlängerung zulassen will. Weiß er bereits mehr?

Und jetzt wage ich eine Prognose!

Im Konzept wird stehen, dass die Steuerzahler zu ihrem eigenen Wohl mehr in die Kassen zahlen „dürfen“, natürlich ohne demokratisches Mitspracherecht. Argumentiert wird das mit den kassenfremden Leistungen. Die Selbstverwaltung bleibt in ihrer derzeitigen Form, mit allen Kassen und ihren Verhandlungshoheiten bestehen, der Hauptverband dient dazu, die zusätzlichen Steuergelder nach irgendeinem abstrusen Schlüssel zu verteilen. Damit werden die Kassen erhalten und der Hauptverband hat seinen „Topf“.

Die Ärzte werden ruhig gestellt, weil durch die Kassen-Entschuldung und den damit wegfallenden Zinszahlungen (die meisten Schulden haben die Kassen bei den Steuerzahlern, die also nicht nur die Schulden bezahlen, sondern gleichzeitig auch auf Zinsen verzichten werden müssen), Spielraum für Honorarsteigerungen sein wird.

Die Länder, nachdem ihnen erlaubt wurde, deftige Schulden aufzubauen, um ihre Lieblingsspielwiese – die Spitäler – weiter zu kultivieren, haben ohnehin bereits klargemacht, dass sie vor 2013 keinen Reformbedarf sehen.

Und damit sind alle glücklich. Nur für die, die nicht dabei sind, was die geschlossene Gesellschaft beschließt, wird das Ergebnis vermutlich die Hölle – seien es wir Steuerzahler oder unsere Kinder.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ernsthaft oder trickreich?

Der Hauptverband will bei den Spitälern mitreden; sehr vernünftig und sehr schwierig. Wird daraus eine Reform oder doch nur eine Geldbeschaffungsaktion?

Es ist 19:30, Freitag: Herr M. (54) betritt den Untersuchungsraum der Unfallambulanz des Spitals A. Als der Arzt fragt, wie lange denn das Fußgelenk weh tut, antwortet Herr M: „14 Tage, seit er mit Freunden Fußball gespielt hat – und das in seinem Alter! Kindisch! Aber lustig war’s schon“. „Ob er beim Hausarzt war“, will der Arzt wissen. „Nein, erstens müsse man da lange warten und dann hat es sich gerade gut getroffen, weil er in der Nähe einen Termin hatte und die Schmerzen schnell einmal abklären lassen wolle“. Eine halbe Stunde später geht der Patient mit einem Röntgen und einer Heparinsalbe gegen seine Verstauchung nach Hause.

Was hat so ein Patient in einer Unfallambulanz zu suchen? Nichts! Aber warum ist er dort? Weil das System der ambulanten Versorgung nicht richtig funktioniert!

Aus den Medien kann man entnehmen, dass der Hauptverband mehr Mitsprache in den Spitälern anstrebt, weil eine Sanierung der Kassen nur funktioniert, wenn man niedergelassene Ärzte und Spitäler als Teile EINES Systems denkt. Dieses Ansinnen ist absolut richtig. Aber wird ehrlich argumentiert?

Hauptargument ist, dass die Kassen viel in die Spitäler zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Zwar stimmt das, aber dieses Schicksal ist selbst gewählt. Vor vielen Jahren haben sich die Kassen freiwillig aus dem Spitalswesen zurückgezogen. Man hat vereinbart, dass sie nicht mehr an den realen Kostensteigerungen beteiligt sein sollen, sondern nur mehr einen fixen Prozentsatz ihrer Einnahmen abliefern.

Für die ambulante Versorgung hat das nichts weniger bedeutet, als dass sie 1995 in zwei separate Welten zerhackt wurde – die Spitalsambulanzen und die niedergelassenen Ärzte. Und um die Ambulanzen mussten sich die Kassen nun keine Sorgen mehr machen. Dass die 400 Millionen Euro, die sie dort einzahlen, heute nur mehr ein Drittel der Kosten decken, ist für sie unerheblich, und dass sich die Zahl der Patienten in den Spitalsambulanzen seither um 60 Prozent erhöht hat, nebensächlich! Wenn man solche Zahlen betrachtet, dann kann man sehen, dass das Argument, es werden immer mehr Leistungen aus dem Spital zu den niedergelassenen Ärzten verlagert, falsch ist. Genau genommen kam es zu einer massiven Verschiebung in die Spitäler.

Und weil die ambulante Versorgung vollkommen dezerebriert in zwei unabhängige Welten getrennt wurde, und weil weder Leistungen, noch Öffnungszeiten, noch sonst irgendetwas gegenseitig abgestimmt wurden, war es logisch, dass Doppelgleisigkeiten aufgebaut wurden. Schätzungen gehen davon aus, dass diese jährlich etwa 500 Millionen Euro kosten. Anders ausgedrückt wurden additive Leistungen, die niemandem helfen, provoziert, die gesamtwirtschaftlich betrachtet viel Geld verschlingen, auch wenn die Kassen betriebswirtschaftlich „scheinbar“ entlastet wurden.

Was ist also gemeint, wenn der Hauptverband mehr mitreden will?

Will er die Fehler der Vergangenheit ausmerzen? Will er jetzt EINEN Leistungskatalog mit einheitlichen Honoraren für Ärzte und Spitalsambulanzen einführen? Will er ein vernünftiges Bedarfsberechnungsmodell einrichten, um die Doppelgleisigkeiten zu reduzieren? Wem wird er das Geld dafür wegnehmen wollen? Den Spitalsambulanzen (und damit den Ländern) oder den niedergelassenen Fachärzten?

Soll es wirklich eine Reform geben oder ist es wieder nur ein Trick, Steuergeld in die Kassen zu spielen, die dann über Schulden der Länder im Staatsdefizit landen?

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gutgepflegte Realitätsverweigerung

In der ganzen westlichen Welt werden die Gesundheitssysteme reformiert, weil offenbar alle glauben, es ist wichtig – nur wir sind anderer Meinung.

Ruhig ist es geworden um die Gesundheitsreform. Viel hört man nicht und wissen tut man noch weniger. Soviel scheint sicher: Alle kriegen mehr Geld, die Länder behalten ihre Krankenhäuser und die Kassen werden allesamt erhalten bleiben.

1976 präsentierte die WHO das sogenannte Primärversorgungsmodell. Darin wurde festgehalten, dass die Versorgung so dezentral wie möglich (!) sein soll. Wohnortnähe wurde als Merkmal guter Qualität erkannt. Dabei wurde jedoch nicht an die wohnortnahe Nierentransplantation gedacht, sondern daran, dass dezentral möglichst alle Gesundheitsdienstleister – von Ärzten über Pflege, Hebammen zu Ernährungsberatern und Sozialarbeitern – koordiniert daran arbeiten sollten, Prävention, Rehabilitation, Pflege und Kuration, also das gesamte Spektrum der Gesundheitsversorgung möglichst nahe an die Bevölkerung heranzutragen.

Fast überall begann man diese Idee umzusetzen. Hausarztmodelle wurden etabliert und Gesundheitszentren errichtet, in denen interprofessionell gearbeitet wird. Alleinstehende Gesundheitsdienstleister wurden entweder abgeschafft oder dezentral vernetzt und die Systeme so ausgerichtet, die Bevölkerung entweder gesund zu halten oder so schnell wie möglich wieder gesund zu machen. In einigen Ländern ist das besser, in anderen schlechter gelungen. Aber nirgendwo wird mehr an der Richtigkeit der Idee gezweifelt.

Wir machen es bis heute anders, weil wir der festen Überzeugung sind, dass alleinstehende Arztpraxen, die sich auf die kurative Medizin konzentrieren, ein besserer Weg sind (die Pflege wurde sicherheitshalber 1978 aus dem Gesundheitssystem ausgegliedert!).

Längstens seit den 1980ern, als große Probleme mit multiresistenten Krankheitserregern auftraten, war klar, Spitäler sind ansteckend und machen krank. Um die Infektionsgefahr zu dämmen, begann man, weniger traumatische Operationstechniken zu entwickeln (Knopflochchirurgie!). Man begann die Aufenthaltsdauern zu reduzieren und setzte immer stärker auf ambulante oder tagesklinische Versorgung. In Holland hat man die Spitalshäufigkeit so weit reduziert, dass Patienten, wenn man sie schon aufnehmen muss, in Einzelzimmern liegen. Seit den 1990er Jahren kommt ein anderes Phänomen hinzu. Sehr alte Patienten werden durch einen Spitalsaufenthalt leicht aus der Bahn geworfen. Nach der Entlassung sind sie oft verwirrt und werden rasant zu Pflegefällen.

All das war Grund genug, dass europaweit die Spitalshäufigkeit in den letzen 15 Jahren trotz demographischer Veränderung entweder abgenommen oder sich wenigstens nicht erhöht hat.

Anders hierzulande; denn bei uns wird behauptet, Spitalsversorgung ist Spitzenmedizin. Und quasi als Zeichen der weltbesten Versorgung haben wir Europas höchste und weiter steigende Spitalshäufigkeit.

2008 hat die WHO den Staaten, die nach dem Untergang des Kommunismus ihre Systeme neu aufgestellt haben, eindrücklich gesagt: Je zersplitterter die Finanzierung ist, desto teurer und schlechter wird ein Gesundheitssystem funktionieren.

Was macht das schon aus, dass unser System als Paradebeispiel für Zersplitterung gilt. An zwei Dingen ist dennoch nicht zu rütteln: an der Macht der Länder und der Hoheit der Selbstverwaltung.

Die Selbstsicherheit, mit der behauptet wird, was in der Welt passiert gilt nicht für uns, ist frappant; keine Diskussion soll zweifeln lassen, dass wir die besten sind – und dass die anderen Reformen durchführen, beweist das doch nur!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Fast-Medizin und Mac-Ärzte

Es kommt wieder Schwung in die fast totgeglaubte Reformdebatte über ambulante Versorgungszentren – ob damit auch was in Bewegung kommt ist fraglich.

Unser knapp zweijähriger Sohn ist bereits im Kindergarten – einem Hort für alle möglichen Infektionen. Und obwohl meine Frau und ich Mediziner sind, fallen Dinge an, die man dem Spezialisten zeigen möchte.

Unseren Kassenkinderarzt haben wir verlassen. Nicht weil wir an seiner Kompetenz gezweifelt haben, sondern weil dieser einfach zu wenig Zeit hatte. Bei jedem Besuch wirkte er gehetzt, Fragen wurden nur in aller Kürze beantwortet. An Konsultationen, die länger als drei Minuten gedauert hätten, können wir uns nicht erinnern. Zudem sind die diagnostischen Möglichkeiten unerträglich eingeschränkt. Labor oder Röntgen erfordern zusätzliche Besuche bei anderen Ärzten – keine Freude mit einem Zweijährigen.

Auch mit einer Spitalsambulanz kamen wir in Kontakt. Die Untersuchung durch den Arzt dauerte keine fünf Minuten. Dieser erhielt die wesentlichen Informationen nicht von uns, sondern von einer Schwester, die uns im Vorfeld befragt hatte. Mit uns wechselte er kaum ein Wort.

Und weil die Situation so ist, wie sie ist, könnte es amüsant sein, wenn es nicht so traurig wäre, dass seitens einiger Ärzte eine schaurige Zukunftsvision entmenschlichter Medizin gezeichnet wird. Von anonymen AVZs (Ambulanten Versorgungszentren), ist die Rede, die „ähnlich einem Fast-food-drive-in“ funktionieren und billig angestellten Ärzten nur fünf Minuten für Diagnose und Therapie lassen würden. Die persönliche Beziehung gehe verloren und der Patient wird wie auf einem Fließband abgefertigt.

Worin soll sich das von heute unterscheiden?

Die Gründe für die schon bestehende Fließbandabfertigung in der ambulanten Versorgung liegen vor allem an der chronischen Unterfinanzierung. Kassenärzte werden nach einem System entlohnt, dass dank 14 verschiedener Honorarkataloge dutzender Krankenkassen nicht nur hoch komplex ist, sondern Leistungen mit zum Teil lächerlich anmutenden Beträgen honoriert. Ein Wiener Arzt (von Kasse zu Kasse variieren die Tarife erheblich) erhält pro Quartal für einen Patienten rund 20 Euro, egal wie oft der kommt. Zusatzleistungen wie Blutabnahmen werden im einstelligen Eurobereich entlohnt. Gagenkaiser sind die meisten Kassenärzte sicher nicht – im Gegenteil, angesichts der Klein- und Kleinstbeträge für ihre Leistungen müssen Ärzte möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit behandeln um überhaupt über die Runden zu kommen.

Aber auch Ambulanzen sind lächerlich unterfinanziert. Anstatt leistungsbezogen zu honorieren, erhalten die Spitäler meist Pauschalen; egal wie viele Patienten behandelt werden oder was es kostet. Und diese Kosten sind durch diese Pauschalen nur mehr zu einem Drittel gedeckt. Das Defizit muss das Spital tragen. Das spiegelt sich dann in der personellen Ausstattung wider; und das bekommen Patienten zu spüren. Wer nicht stationär aufgenommen werden kann, wird halt im Minutentakt abgefertigt.

Fraglich ist, warum Ärzte und Patienten mit diesem System so glücklich sein sollen, wie manche der Öffentlichkeit immer wieder zu vermitteln suchen. Warum die angefeindeten AVZ die heutige Situation verschlechtern sollten ist auch fraglich. Wenn sie auch nur Fließbandmedizin abliefern (was ich persönlich bezweifle), aber wenigstens die Rennerei von Arzt zu Arzt ersparen, wäre doch schon was erreicht. Und für die vielen Ärztinnen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, könnten attraktive Posten entstehen. Wer also wehrt sich dagegen und warum?

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die unsinkbare Titanic

Wann wird das scheinbar unsinkbare Gesundheitssystem erkennen, dass der wachsende Schuldenberg zum Schicksal wird?

In den nächsten 12 Monaten werden im öffentlichen Gesundheitssystem wenigstens 1,3 Mrd. Euro Defizit (3,6 Mio. Euro pro Tag) anlaufen, über eine Mrd. Euro alleine in den Spitälern. Der Schuldenberg wird damit immer größer und ist schon jetzt nicht klein. Neben den Schulden der Krankenkassen, haben einige Bundesländer Spitalsdefizite in ASFINAG-artigen Konstrukten geparkt oder greifen bereits „Bank-ähnlich“ auf Gelder zu, die sie erst zukünftig erhalten werden. Die Spitalsfinanzierung ist es auch, die dazu führen wird, dass die Länder statt den vorgeschriebenen Maastricht-Überschüssen Defizite bauen und so die Staatskasse tiefer in die roten Zahlen treiben.

Die Hoffnung, dass die Gesundheitsversorgung günstiger wird, gibt es nicht. Demographie und medizinischer Fortschritt werden dafür sorgen, dass die Kosten auf Jahrzehnte hinaus weiter steigen. Will man ein solidarisches System behalten, kann man nur schauen, dass das System produktiver wird. Doch statt die Produktivität zu erhöhen, scheint sich alles nur darauf zu konzentrieren, die eigene Macht zu erhalten.

Wegen diesem Schrebergartendenken der Länder, Ärztekammern, Pensionsversicherungen, Krankenkassen, Gewerkschaften etc. ist das Gesundheitswesen in hunderte Kompetenzen zersplittert. Statt EIN System zu errichten, in dem Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation, Pflege und Palliativbehandlung so aufeinander abgestimmt sind, dass Patienten zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhalten, werden alle Strukturen rund um Einzelinteressen abgesichert. Statt miteinander zu arbeiten, leben die Machtkomplexe weiter „völlig autistisch vor sich hin und versuchen die Kostenstruktur einer auf den anderen abzuwälzen“ (Kdolsky 2007).

Eine Strukturreform ist entfernter denn je. Dabei wäre sie gar nicht so groß, wie man denkt. Grob kann man davon ausgehen, das 80 Prozent der etwa 19 Mrd. Euro öffentlicher Gelder richtig eingesetzt und daher von einer Reform gar nicht berührt würden. Sicher gäbe es auch hier Produktivitätsreserven – manche sprechen von 1,5 Mrd. Euro – aber die zu heben scheint unmöglich, da die Politik sich zunehmend in jede Detailfrage einmischt und jede Vernunft, die nicht zur Selbstdarstellung beiträgt, im Keim erstickt.

Viel wichtiger aber, als diese rein „betriebswirtschaftlichen“ Fragen, wäre es, die systemimmanente Verschwendung endlich abzustellen. Das sind echte Zukunftsfragen.

An den Schnittstellen werden aktuell mehr als 1,5 Mrd. Euro pro Jahr „verbrannt“. Wenn es beispielsweise möglich wäre, die Leistungen der Spitäler mit denen der Pflege abzustimmen, könnte man ohne Qualitätsverlust fast 700 Mio. Euro sparen bzw. sinnvoller einsetzen. Doch ein Vorstoß in diese Richtung durch den Hauptverbandschef Dr. Schelling verhallte lautlos. Verständlich, denn um dieses Thema abarbeiten zu können, müssten auf Landesebene Gesundheitspolitiker Kompromisse mit den Sozialpolitikern und alle gemeinsam mit den Krankenkassen und dem Gesundheitsministerium und Hilfsvereinen, Ärztekammern und Spitalsbetreibern eingehen – irreal!

Es wäre Klug, würde statt einer unstrukturierten und destruktiven Global-Defizitdeckung auch für das Gesundheitssystem ein Konjunkturpaket geschnürt, um damit jene Strukturreform zu finanzieren, die garantieren kann, dass das System effizienter und so wirklich eine Verbesserung für die Zeit nach der Wirtschaftskrise wird.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbstverwaltungsbürokratiekosten

Bunte Wege werden angedacht in der Gesundheitsreform – was soviel heißt wie: Alle Verwaltungsstrukturen sollen erhalten werden und alles bleiben, wie es ist.

Wer kennt sie nicht, die Lüge, dass ein Autokilometer nur Spritkosten verursacht. So gedacht ist Autofahren echt billig. Und weil wir uns selbst so belügen, haben Politiker mit ähnlichen Tricks leichtes Spiel.

Drei Prozent Verwaltungskosten sollen sie haben, unsere Krankenkassen, und damit billig sein. Tja, alleine: So einfach ist die Rechnung nicht.

Aus den offiziellen Angaben kann man bereits erkennen, dass der Verwaltungsbetrieb bei Gesamtausgaben von 13,2 Mrd. Euro 660 Mio. kostet – also schon hier sind es fünf statt drei Prozent. Das ist aber lange nicht alles.

An 10.000 Kassenärzte (inkl. Zahnärzte) werden vier Mrd. Euro ausbezahlt. Glaubt man der Ärztekammer, dann sind die Bürokratiekosten für Kassenordination in zweistelliger Prozenthöhe zu suchen. Glaubt man ihr nicht und setzt ebenfalls fünf Prozent an, kommen zu den oben genannten 660 Mio. Euro noch 200 Mio. dazu – jetzt sind wir bereist bei 6,5 Prozent Verwaltungskosten.

Es geht weiter. Die Ärztekammer erhält zwei Prozent Kammerumlage, das sind 80 Mio.Euro. Die dienen dazu, den Verwaltungsapparat aufrecht zu erhalten. Nun gut, neben der Verwaltung der Kassenärzte (inklusive den Verahndlungen mit den Krankenkassen) werden auch andere Tätigkeiten erbracht. Aber wenn man von 50 Mio. Euro ausgeht, liegt man sicher nicht falsch. Oben dazugezählt betragen also die Bürokratiekosten fast 910 Mio. Euro oder 7 Prozent – zum Vergleich, Kanada kommt mit zwei Prozent aus, hat aber auch ein „böses“ staatliches Gesundheitssystem.

Im stationären Bereich ist das alles noch komplexer. Welche Kosten die Länder- und Gemeindenbürokratien anhäufen, kann man nirgends ablesen. Auch, wie die Milliarden des Gesundheitsministeriums angerechnet werden müssen ist fraglich. Niedrig sind die Kosten allemal nicht. In den Spitälern direkt betragen die Verwaltungskosten 870 Mio. Euro. Wie viel davon auf die Bürokratie entfallen, ist unbekannt – vorsichtig geschätzt sind es 700 Mio., oder 7,5 Prozent der 9,3 Mrd. Euro Gesamtausgaben.

Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man nur in Spitälern und Krankenkassen für die Selbst-Verwaltung des Systems über zwei Mrd. Euro oder mehr als zehn Prozent Kosten ansetzt.

Noch nicht gesprochen haben wir über die Bürokratiekosten bei Medikamenten, in der Pflege oder der Rehabilitation. Da weiß man so gut wie nichts. Und ganz verschwiegen haben wir die Patientenseite. Denn auch die mühsame Recherche, welche Formulare man bis wann wo braucht um ein paar Krücken zu bekommen oder Besuche beim Chefarzt wegen irgendwelcher Bestätigungen kosten was – nämlich Zeit, die man an seinem Arbeitsplatz verbringen sollte. Ja, auch indirekte Kosten sind Kosten, selbst wenn die niemand zählen will – wie den Ölverbrauch beim Auto.

Hohe Verwaltungskosten sind immer dort zu finden, wo eine starke Fragmentierung vorherrscht. Und da sind wir spitze. 80 Krankenkassen und Krankenfürsorge-Anstalten, der Hauptverband, die Pensionsversicherung, die Privatversicherungen, der Bund, neun Länder, hunderte Gemeinden, zehn Ärztekammern und viele Gewerkschaften reden mit. Deswegen haben wir 4.000 Finanzströme, die verhandelt und verwaltet werden müssen.

Will man wirklich Verwaltungskosten reduzieren, muss man die Verwaltung vereinfachen. Aber wer wird sich dafür einsetzen? Die, die von den Milliarden gut leben? Politiker, die diese Bürokratie brauchen um genug Versorgungsposten für ihre eigenen Schäfchen zu haben?

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.