Die Gesundheitsreform 2012 – eine Analyse

Auch wenn die Variante vom 27.9.2012 gegenüber der Endvariante – dazwischen liegen Monate politische Verhandlungen, an deren Ende Texte statt klarer und gesetzesfähiger immer unschärfer und unverbindlicher klingen – im Sinne der Versorgungsforschung deutlich besser war, das was rausgekommen ist, kann ernsthaft Grundlage einer echten Reform darstellen.

Die allgemeine Stoßrichtung

Wesentliche Aussage ist, dass unsere Versorgung zielorientiert gestaltet werden soll, wobei Ziele patientenorientiert aufzustellen sind und die Institutionen- Orientierung (also im Wesentlichen Spitalsstandorte und Kassenordinationen) einer integrierten Versorgung weichen soll. Patienten sollen dort behandelt werden, wo es richtig ist, und nicht dort wo gerade eine Gesundheitseinrichtung steht oder/und offen hat („Best Point of Service“).

Messgrößen und Zielwerte sind zu entwickeln und zu implementieren, die die Patientenorientierung sowohl in Ergebnissen, Strukturen und Prozessen messen sollen – es soll also transparent werden, ob der Patient zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhält.

Rahmenziele werden zwar zentral aufgestellt, aber sie sind dezentral unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten zu konkretisieren. Es sind definitiv keine „zentralistischen“ Diktate. Dezentral bedeutet übrigens auf Ebene der Versorgungsregionen (VR) des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG), und davon gibt es 32. Es ist also jedes Bundesland weiter unterteilt – das sollte dezentral genug sein.

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Wahlärzte und Ärztemangel

Seit wenigstens 15 Jahren versuchen Experten vergeblich zu erklären, dass es auch hierzulande nötig ist, sich ernsthafte Gedanken über den Ärztebedarf zu machen.

Jetzt arbeiten auch wieder Gruppen, um herauszufinden, wie viele Uni-Plätze das Land braucht, um Ärztemangel zu vermeiden. Allerdings, und das zeigt bereits die Diktion der arbeitenden („am Endbericht wird gefeilt“, „man sei sich noch nie so nahe gekommen“ etc), geht es weniger um realitätsnahe Schätzungen, sondern um Verhandlungen der Eigeninteressen. Und diese sind krass widersprüchlich.

Gefeilscht wird über die Wahlärzte. Diese, in Europa einzigartige, Spezies, die im öffentlichen Gesundheitssystem arbeitet, ohne richtig dazu zu gehören, sind eine tolle Verhandlungsmasse: Wie soll man deren Versorgungswirksamkeit bewerten? Immerhin ist ein Viertel (über 10.000!) aller Ärzte dieser Spezies zuordenbar. Und je nachdem, wie wichtig sie für die Versorgung angenommen werden, umso mehr Uni-Plätze braucht man.

Die Ärztekammer ist der Meinung, alle Wahlärzte sind notwendig. In einer eigenen Studie geht sie noch weiter: zukünftig wäre pro 180 Einwohner ein Arzt nötig. Zum Vergleich, aktuell sind es etwa 210, in Deutschland gar nur 260. Ärztemangel und Unterversorgung wären nur abwendbar, wenn wir sofort hundert Ärzte mehr pro Jahr ausbilden.

Der eigentliche Hintergrund – unsere Ärztedichte ist mit Abstand die Höchste in der EU – dürfte sein, dass das Ärztepensionssystem (Wohlfahrtsfonds) pleite geht, wenn nicht rasch frische Zahler ins Pflichtsystem gespült werden. Bester Weg wäre, die Ausbildungskapazitäten (vor allem neue Unis in diversen Bundesländern, die neben Prestige auch frisches Geld aus „Wien“ versprechen; es ist lustig wenn man die Grätschen des Wissenschaftsministeriums zwischen EU-Quotenregelung für Studenten und diesen ländlichen Begehrlichkeiten beobachtet) auszubauen.

Aber, da gibt es halt das Problem mit den Kassen. Diese sind verpflichtet, jedem Versicherten ausreichend Kassenärzte zur Verfügung zu stellen. Wenn wirklich die Wahlärzte für die Versorgung nötigt sind, dann müsste die Zahl der Kassenverträge seit langem und in Zukunft noch deutlicher steigen. Tut sie aber nicht. Seit 1995 bleibt die Zahl gleich. Die Kassen gehen davon aus, dass Wahlärzte nicht oder nur sehr gering nötig sind und setzen deren Versorgungswirksamkeit mit wenigen Prozent eines Kassenarztes an. Daher müsse für diese keine Ausbildungskapazität geschaffen werden.

Hier ist die Ärztekammer übrigens im Dilemma: Einerseits sollen die Kassenkuchenstücke nicht durch mehr Kassenärzte kleiner werden, andererseits braucht es eben mehr Ärzte für das Pensionssystem – logischer und altbekannter Schluss, den alle lieben: „MEHR GELD!“

Und dann gibt es, wie üblich, noch die Länder im Spiel. Die sind, neben den oben erwähnten Wünschen rund um den Ausbau der Universitäten, interessiert, dass genug Jungärzte als billig Arbeiter zur Verfügung stehen. Die Unis müssen jährlich mehr als 1.100 Absolventen für den „österreichischen Markt“ liefern, damit Turnusärzte nicht auf die Idee kommen, sie könnten ihre Situation (mehr Ausbildung und weniger Schreib- und nichtärztliche Routinearbeit) durch eine stärkere Verhandlungsposition verbessern.

Und so verhandeln die staatlichen Lobbyisten um die Wahlärzte, denn dort ist der Hebel, wie man jede gewünschte Zahl erreichen kann. Und, das kann ich heute schon sagen, werden diese, unabhängig der Realität, genau so bewertet werden, dass möglichst alle Interessen befriedet werden. Nur halt nicht die derjenigen, die nicht mitverhandeln durften.

Dieser Artikel wurde im August 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Finanzierung aus zwei Töpfen

Die Ärztekammer präsentiert – wieder einmal – ein totgeglaubtes und unlogisches Konzept der getrennten Finanzierung des Gesundheitssystems.

Es war kalt, als vor zwei Jahren, im Linzer Industrieviertel dunkle, chauffierte Limousinen eintrafen. Auf den ersten Blick hätte man gemeint, Hochfinanz und Industrie trifft sich zu einem ja nicht rein privaten Treffen, bei dem es nie ums Geschäft geht.

Realiter trafen sich aber Größen des öffentlich finanzierten Gesundheitssystems. Da kam der Minister und Kammerpräsidenten, Kassenobleute und Geschäftsführer landeseigener Krankenhausbetreiber und viele andere zum ersten gesundheitspolitischen Gespräch – initiiert vom oberösterreichischen Ärztekammerpräsidenten Peter Niedermoser, der sich als Speerspitze der Berufsvertretung etabliert sehen will.

Weil man heimischen Experten nicht traut, wurde ein deutscher Professor eingeladen, darüber zu referieren, ob nun ein Sozialversicherungssystem oder ein staatliches besser ist. Ein spannender Vortrag, der damit endete, dass es für beide Pros und Kontras gibt, aber das wichtigste die Finanzierung aus einer Hand ist.

Tja, und dann trat die Ärztekammer zum Referat an. Und als die erste Folie die Leinwand erhellte, wurde es dunkel: „Getrennte Finanzierung: der Weg in die Zukunft“.

Nun, das Gelächter, dass diese Folie begleitete, verhallte genau so, wie die Expertenkritik, die folgte. Aber auch das Konzept verschwand scheinbar. Und dann, plötzlich zu Jahresbeginn 2011 taucht es wieder auf; unerwartet und genau so falsch wie es schon zwei Jahre davor war.

Dem Kenner war klar, dass es bei dieser „getrennten Finanzierung“ nicht um eine Verbesserung der Versorgung ging. Ziel war, die rund vier Milliarden Euro, die die Kassen in die Spitäler zahlen, behalten zu können, damit deren finanzieller Spielraum größer wird, damit die Ärztekammern bei Vertragsverhandlungen wieder punkten können. Denn der Großteil der Kammermacht basiert auf deren Verhandlungsmonopol mit den Kassen, das allerdings nur solange funktioniert, solange die Kassen flüssig sind. Eine gesundheitswissenschaftliche Begründung für diese Finanzierungsform gab und gibt es nicht.

Was lernt man. Zuallererst, dass es gar nichts bringt, Expertise in die Diskussion zu bringen. Sitzt die Politik einmal auf einem Gaul, dann will es den auch reiten, ob er tot ist oder nicht. Ist die öffentliche Meinung gerade dafür, den Gaul für Tot zu halten, dann wartet man einfach, bis alle vergessen haben um was es ging, und kommt dann mit der alten Idee neu raus, erklärt den Tot als besiegt und verlangt vom Volk mehr Geld, wenn es den Gaul galoppieren sehen will. Aussitzen bewährt sich!

Dann kann man lernen, dass die Mächtigen trotz immer knapper werdender Ressourcen nichts gelernt haben. Auf die Idee, versorgungswissenschaftlich vernünftige Forderungen zu stellen, kommt niemand. Ist ja auch nicht wichtig, in einem System, in dem es seit jeher nur um Verhandlungsmacht geht. Beharrung ist besser als Reformen!

Und zum Schluss, aber das ist Prophetie, könnte man auch eine anstehende Personalrochade sehen. Des längern halten sich Gerüchte, der Präsident Walter Dorner will sich zurückziehen. Als Nachfolger fällt fallweise der Name Peter Niedermoser. Und da schließlich er es war, der diese zersplitterte Finanzierung entwerfen ließ, wäre es denkbar, dass hinter dessen „Neuerscheinung“ eine Amtsübergabe vorbereitet wird. Ob es Ärzten und Patienten wohl bekommt, wenn sowohl Minister als auch Ärztekammerpräsident aus Oberösterreich kommen? Nun, Zweifel sind hier erlaubt!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Salzburger und ihr Medikamentenexperiment

Die Idee der Salzburger Gebietskrankenkassen über Wettbewerb Medikamentenpreise zu senken wird funktionieren – aber zu welchem Preis?

Wenn ein Unternehmen ein Original-Medikament von den Kassen erstattet haben will, darf es den Preis – den sogenannten Fabriksabgabepreis (FAP) – nicht selbst festlegen. Zuerst wird der EU-Durchschnittspreis ermittelt, denn kein Original darf teurer als dieser sein. Auf dieser Basis wird dann mit dem Monopoleinkäufer Hauptverband verhandelt. Folgerichtig sind, international verglichen, unsere Preise niedrig. Generika, also Imitate der Originale, müssen sich nicht an EU-Durchschnittspreise halten, und so sind deren Preise vergleichsweise hoch. Nun gibt es ein weiteres Spezifikum. Originale sind an die Generikapreise gebunden. Je nachdem, wie viele Generika es gibt, müssen entsprechende Originale mit dem Preis runter. Ab dem dritten Generikum darf das Original nicht teurer, als das teuerste Generikum sein.

Am Ende geben Kassen, auf FAP-Basis, knapp zwei Milliarden Euro aus. Dazu kommt noch eine Milliarde für die staatlich festgelegten Handelsspannen der Großhändler und Apotheken.

Gemessen an den Preisen für Originale ist diese regulierte Vorgangsweise erfolgreich, aber nicht ungefährlich. Das zeigt die Tatsache, dass der oligopolartig organisierte Großhandel begonnen hat, zu exportieren, und die niedrigen Einstandspreise dazu nützt, international höhere Gewinne als die hierzulande festgelegten Handelsspannen abzugreifen. Die Folge sind Lieferschwierigkeiten für einzelne Medikamente in Österreich.

Nun, was heißt das im Zusammenhang mit der Salzburger Liste. Da Medikamente, wenn es mindestens drei Generika gibt, etwa gleich viel kosten, stehen Produzenten in einem preisunabhängigen Wettbewerb. Wer verkaufen will, kann sich nur durch Service abgrenzen. Es ist müßig nachzudenken, in wie weit es unethisch zugeht – am Ende, so will es das System, bleibt nur der Service um Produkte an Patienten zu bringen. Und weil wir kaum pharmaunabhängige Fortbildung haben, bildete dieser Service, ob wir wollen oder nicht, eine wichtige Stütze für die Qualität der Versorgung.

Die Idee der Salzburger Liste ist es, einen additiven Preiskampf einzuführen. Da wir hohe Generikapreise haben, wird es zu einem solchen kommen. Ist man der „billigste“, hat man die Chance, für eine Zeit lang, „Quasi“-Monopolverkäufer zu sein, ganz ohne Vertriebssystem und Sponsoring. Wirklich große Generikahersteller werden diese Chance nützen.

In der Folge werden Generika-Preise sinken. Die kleinen werden sich das nicht leisten können und aufhören. Der heute atomistische Markt wird zunehmend von Großen dominiert. Weiters wird es – dank unserem Gesetz – dazu kommen, dass die Preise für Originale noch weiter sinken müssten. Spätestens dann werden internationale Unternehmen nachdenken, ob sie Österreich noch beliefern. Und da der Großhandel bereits begonnen hat zu exportieren und so international auf Preise drückt, wird diese Entscheidung leicht fallen. Die Folge ist, dass Medikamente gar nicht mehr angeboten, und immer mehr Unternehmen ihre Forschungsaktivitäten und (auch die Generikafirmen) Vertriebsysteme einstellen werden.

Durch Kombination aus planwirtschaftlicher Preisregulierung und marktwirtschaftlichem Preiswettbewerb wird so die medikamentöse, und wohl auch – wegen immer schwieriger zu findenden Sponsoren für Fortbildungsveranstaltungen – die ärztliche Versorgung leiden. Und das alles wegen ein paar kurzfristig ersparter Millionen, die das System ohnehin nicht retten können.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Neujahrswünsche

Es ist undurchschaubar, unser Gesundheitssystem. Wenigsten 50 Interessensgruppierungen haben nur ein Ziel – unser Wohl. Ein tröstlicher Gedanke.

Da wären die Gesundheitspolitiker unterschiedlichster Couleur, auf Bundes- und Landesebene, so wie aus den Städten und Gemeinden, und natürlich die Sozialpolitiker, die oft aus anderen Parteien sind und schon deswegen immer das Gegenteil behaupten. Dann die Wirtschaftspolitiker, vor allem auf regionaler Ebene und nicht zu vergessen die Finanzpolitiker – ja, man muss diese getrennt betrachten, weil sie unterschiedliche Ziele verfolgen, wenn wir nur an die Schulden der Länder denken, die der Finanzminister nicht unter Kontrolle bringt. Absolut nicht zu vergessen sind die, den Politikern unterstellten Beamten, auch sie verfolgen nur all zu gerne eigene Ziele.

Die Funktionäre aus den 20 Krankenkassen und 15 Krankenfürsorgeanstalten, und natürlich die Funktionäre der Pensionsversicherungsanstalt, die ja hauptsächlich für die Rehabilitation zuständig ist. Nicht zu vergessen die privaten Versicherer, denen insbesondere bei den Löhnen der Spitalsärzte eine wichtige Rolle zukommt – fragen sie nicht!

Die Träger der Spitäler, seien sie nun staatlich oder auch gemeinnützig-privat (Ordenspitäler) oder rein profitorientiert. Nicht zu vergessen die Besitzer der Ambulatorien – die können Kassen oder niedergelassene Ärzte sein, auch wenn deren Ambulatorien, anders als Ordinationen, der Wirtschaftskammer und nicht der Ärztekammer zugerechnet werden (alles sehr verwirrend). Und natürlich die Personalvertreter aller Einrichtungen zur Wahrung von Standortinteressen.

Dann die Funktionäre der großen Gewerkschaften – ihnen „gehören“ ja nicht nur die Gebietskrankenkassen, sondern auch die meisten Reha-Zentren. Die Funktionäre der zehn Ärztekammern, die es mit den dutzenden Parteien in ihren Reihen sicher nicht leicht haben, oder wenigstens nicht so leicht wie die Funktionäre der Wirtschaftskammer.

Die mehr oder weniger gut organisierten Interessenvertreter (innerhalb und außerhalb der Kammern) der Primarärzte, der angestellten Ärzte mit Ordinationen und die der ohne Ordinationen (jaja, diese Unterscheidungen sind wichtig) und natürlich die Vertreter der Wahlärzte. Ebenfalls in dieser Reihe zu erwähnen sind die Funktionäre in den vielen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die oft gar nicht harmonisch mit den anderen zusammenarbeiten.

Fast nicht wahrnehmbar, aber doch vorhanden sind die Interessensvertreter der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe, besonders, wenn sie freiberuflich arbeiten können.

Die Funktionäre der meist gemeinnützigen Pflegevereine (übrigens nicht selten klar parteipolitisch zugeordnet inklusive Gebietsschutz; man sollte nicht glauben, wo es überall Pfründe geben kann) und natürlich die Träger der Pflegeheime.

Die Organisatoren des Krankentransportwesens und die Manager der Blaulichtorganisationen (auch hier ist zu unterscheiden!). Achja, nicht zu vergessen, die Manager der Pharmaindustrie und der Firmen, die sich Medizinprodukten widmen (zum Beispiel den sehr beliebten Großgeräten wie Computertomographen).

Und last but not least, die Patientenanwälte, die – ganz ohne Sarkasmus – glücklicherweise eine immer wichtigere Rolle einnehmen.

Und natürlich alle, die, obwohl alleine die oben genannten etwa 50 zu unterscheidende Interessensgruppierungen ergeben, hier vergessen wurden.

Sie alle arbeiten – so wollen wir wenigstens glauben – uneigennützig und nur zu unserem Wohle. Ich wünsche daher auf diesem Weg das allerbeste fürs kommende Jahr.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Frohbotschaft der Gesundheitsstatistik

Erstmals seit zwei Jahrzehnten soll die Zahl der spitalsversorgten Patienten 2009 rückläufig gewesen sein.

Der Rückgang der Spitalspatienten ist zwar nur sehr sehr gering, man spricht von 0,2 Prozent oder etwa 5.000 Fällen, aber manche, sehr wenige, hoffen trotzdem, darin eine Trendwende erkennen zu können.

Nun, abgesehen, dass simples Zählen wenig sagt – ist die Zahl der Patienten gesamt, also unabhängig, ob bei niedergelassenen Ärzten oder im Spital versorgt, vielleicht rückläufig und so der Anteil der Spitalspatienten gleich geblieben? Sind die Zahlen mit den Vorjahren vergleichbar, haben doch immerhin sehr viele Spitäler „virtuell fusioniert“ um K.O.-Kriterien (Fallzahlen!) zu umgehen und damit die komplizierten und sehr fragilen Patientenzählmethoden irritiert? Gehen mehr Patienten in Privatspitäler, die bei dieser Rechnung nicht mitgerechnet werden? Wie viele Abteilungen und Spitäler wurden zur Konjunkturbelebung 2009 umgebaut und konnte daher nicht im Vollbetrieb arbeiten? Und so weiter … – gab es so etwas bereits 2005. Damals sank die Zahl sogar etwas mehr und es gab echten Anlass an eine Trendwende zu glauben; wurde doch der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), der dem explosionsartigen Wachstum der Spitalspatienten seit Einführung des leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF)-Systems 1997 Einhalt gebieten sollte, beschlossen. Aber die damalige Beobachtung erwies sich als nicht nachhaltig. Im Gegenteil, 2006 sprangen die Zahlen mit einem Satz wieder nach oben.

Betrachtet man den Zeitverlauf seit 1996, sieht man auch 2000, zwar keinen echten Rückgang aber eine „Wachstumsdämpfung“; von der nicht wirklich bekannt ist, wieso sie stattfand. Und, warum die Zahl 2001 wieder raufschnellte, ist ebenfalls unerforscht.

Wenn jetzt die Zahl wieder einmal „sinkt“, dann ist das wohl ebenfalls nur eines jener unerklärlichen Phänomene, die mit Regional-, Landtags- oder sonstigen Wahlen oder Änderungen in der Finanzierung oder Vertragsabschlüssen zwischen Ärztekammern und Krankenkassen oder unterschiedlich ausgeprägten Grippeepidemien oder Warnungen vor Menschenansammlungen wegen der Grippe oder sonst irgend etwas zusammenhängen. Vielleicht ist es diesmal auch die Finanzkrise oder aber auch das Wetter am 28. August, wer weiß?

Wirklich belegen kann man nichts, nicht nur, weil es niemanden wirklich interessiert, sondern auch weil das Spitalswesen nicht einheitlich ist.

Während in Oberösterreich die Aufnahmen auch 2009 steigen, sinken sie in Kärnten schon seit 2004 kontinuierlich. Bezogen auf die Wohnbevölkerung zählen wir in Oberösterreich 30 Aufnahmen pro 100 Einwohner, Kärnten liegt mit 26 im Österreichschnitt, in Wien sind es 24, und die Steiermark, weil sie für die onkologische Versorgung einen speziellen Deal mit der Krankenkasse hat, kommt gar mit nur 23 aus.

Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Zahl der Spitalspatienten nicht unendlich vergrößerbar sein kann. Früher oder später muss sich auch in Österreich die Spitalshäufigkeit irgendeinem Wert annähern, der nicht überschritten werden kann. Wenn wir bedenken, dass die Deutschen mit 21, die Schweizer mit 15, die Niederländer gar nur mit etwa 11 Aufnahmen pro 100 Einwohner auskommen, liegen wir mit unseren 26 ohnehin jenseits von Gut und Böse. Wohin soll denn diese Zahl noch wachsen?

Also ist die Hoffnung auf eine Trendwende noch verfrüht. Aber, dass diese gesehen wird, zeigt auch, dass die Hoffnung auf eine Gesundheitsreform, die eine wirklich ist, noch nicht tot ist.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Nimm’s Spitälern statt Familien

Werte p.t. Leser! Was sich aktuell abspielt lässt mich rasen. Es sind vor allem zwei Aussagen, die mich geradezu auf die Palme treiben.

Die erste Aussage ist einige Wochen alt. Da hat Finanzminister Pröll wissen lassen, dass die „Realverfassung“ wichtiger ist als die „echte“ und hat zum Ausdruck gebracht, dass wir, das Volk, einfach hinnehmen müssen, dass von uns legitimierte Bundespolitiker gegenüber den Ländern keine Macht haben, selbst wenn die Verfassung diese vorsehe. Warum wählen und bezahlen wir sie?

Die zweite Aussage war nicht minder irritierend. Da hat Wirtschaftsminister Mitterlehner in einem ZiB2-Interview gemeint, man müsse Geld für das nächste Jahr auftreiben, das gehe mit Reformen nicht so schnell, daher gäbe es die jetzt nicht. Wer das nicht verstehe, verstehe eben nicht, wie ein Staat funktioniert.

Tja, also keine Reformen! Und was verstehen dann Bundespolitiker unter Sparen? Streichen von Sozialleistungen bei Familien – Mir ist keine Studie bekannt, die Familien irgendwie als reich identifiziert hätte. Mehr noch, alle sagen, dass, wegen der hohen Steuerbelastung auf Arbeit, Familien nur durch Sozialtransfers der Armut entkommen.

Anderen Ländern fiel beim Sparen anderes ein. Da wurden Beamtengehälter und Pensionen gekürzt. Bei uns nicht! Ja auch kein Wunder, wenn man betrachtet, welche Lobbyisten diese Gruppen vertreten!

Aber das ist ja nicht alles. Klar, wenn man sich gerade einmal drei Wochen Zeit für ein Budget nimmt, dann kann wohl nichts anderes rauskommen; selbst wenn man seit Jahren weiß, was getan werden müsste. In den letzten Jahrzehnten wurden hunderte, wenn nicht tausende Studien und Arbeitsgruppenergebnisse – denken wir nur an den Österreichkonvent – erstellt, die zeigen, wie Sparen durch Reformieren funktionieren kann. All diese Vorarbeiten wurden mit sehr viel Steuergeld finanziert und – ignoriert.

Und wie ist das in der Gesundheitspolitik?

Die Kassen – ohnehin eher Blender als Reformatoren, oder kennt jemand den sagenumwobenen Masterplan des Hauptverbandes, der für Herbst groß angekündigt wurde? – haben bereits mitgeteilt, dass ihr Sparwille sinken wird, wenn sie weniger Steuergeld erhalten (statt 100 nur 60 Millionen). Und Minister Stöger legt gleich nach und sagt, sie müssen eh weniger sparen, wenn die Belohnung weniger wird! Und weil die Sparmaßnahmen, die bis jetzt so „erfolgreich“ waren, nichts mit einer Reform zu tun hatten, sondern Großteils zustande kamen, weil wegen Patentabläufen die Medikamentenpreise sinken – ein Trend, der noch anhalten wird – ist jede Reform auf Jahre tot.

Und auf der anderen Seite die Länder. Es gibt niemanden mit Ahnung, der nicht das größte Sparpotenzial in einer Spitalsreform sieht. Und wenn ein Minister sich schon der Peinlichkeit hingibt, nicht zu wissen, woher er Geld fürs nächste Jahr nehmen soll und deswegen auf Familien zurückgreift, dem sei Folgendes ins Stammbuch geschrieben.

Etwa fünf Milliarden Euro schießt der Bund den Ländern für Spitäler zu. Geregelt werden diese Zuschüsse im Finanzausgleich, der von den Ländern noch nie eingehalten wurde – Stichwort Stabilitätspakt. Statt weiterhin Milliarden im größten Verschwendungsbereich der Republik zu versenken, sollte der Bund auch auf den Pakt pfeifen und den Ländern einfach ein paar hundert Millionen Spitalsgelder wegnehmen – genau so unvorbereitet wie den Familien. Vielleicht wird es dann eine Spitalsreform geben.

Aber dazu braucht es halt Politiker und nicht irgendwelche selbstherrlichen Marionetten irgendwelcher Interessensvertretungen oder Länder.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

 

Deutschland gegen Österreich: 2 zu 1

Dass die Deutschen einen doppelt so hohen Beitragssatz für die Krankenkassen haben, ist eher ein Zeichen für deren (mögliche) Effizienz. Aber wen interessiert’s?

„Wir hier in Österreich zahlen nur etwas mehr als sieben Prozent Kassenbeiträge. In Deutschland sind es 15 Prozent! Daran kann man sehen, wie gut und effizient unser Gesundheitssystem funktioniert.“

So ähnliches hört man leider nicht nur gelegentlich von hohen und höchsten Politikern. Ob diese Aussage schlicht auf Unwissen (was bei diesen Personen, die über riesige Beraterstäbe von Parteisoldaten und Beamten verfügen, an unbelehrbare Ignoranz erinnern muss), oder Dummheit (dafür könnte man ja nichts) basieren, oder auf bewusste Volksverblendung ausgerichtet sind, entzieht sich leider jeder Erkenntnis.

Klar allerdings ist, dass die Deutschen nicht deswegen doppelt so hohe Beiträge zahlen, weil sie schlechter wären, nein, die nehmen manche Grundsätze der selbstverwalteten Kassen mit solidarischer Finanzierung halt noch ernst. Und einer dieser Grundsätze ist es, durch Beiträge das zu bezahlen, was man bestellt und sich nicht auf „andere“, zum Beispiel Steuerzahler, zu verlassen.

Und so zahlen die deutschen Kassen halt noch (fast) alles selbst, wo bei uns längst Steuergelder herangezogen werden.

Bei uns betragen die reinen Kassen-Beiträge, also ohne irgendwelche direkten oder indirekten Steuergelder, je nach Rechenart etwa neun bis elf Milliarden Euro. Die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für die Gesundheitsversorgung, also sowohl das, was die Sozialversicherungen als auch das, was Bund, Länder und Gemeinden bezahlen, belaufen sich auf knapp 21 Milliarden Euro. Daher werden weniger als die Hälfte dieser Kosten durch Beiträge berappt. Der Rest kommt zum überwiegenden Teil aus Steuern. Und so ist es leicht verständlich, dass unsere Beitragssätze nur halb so hoch sind.

Daraus abzuleiten, wir sind effizienter ist schon mehr als Chuzpe. Besonders, wenn wir auf die Ausgaben in richtigem Geld schauen. Pro Kopf geben wir, gerechnet in harter Währung, nämlich fünf bis zehn Prozent mehr (!) aus als unser Nachbar. Und erreichen wir damit mehr? Sind die Österreicher gesünder als die Deutschen? – ein wesentliches Kriterium der Effizienz ist ja, bei gleicher Effektivität weniger Ressourcen zu verbrauchen!

Nun, ein kleiner Blick in ein paar harte Zahlen lässt wenigstens berechtigten Zweifel zu. Hierzulande sind wir absolute Spitze bei der Zahl der Invaliden, gemessen an den Invaliditätspensionisten, und bei der Pflege unumstrittene Sieger, wenn wir die Zahl der Pflegegeldbezieher als Kriterium heranziehen.

Also genau geschaut ist unser System definitiv nicht effizienter als das Deutsche – und ohne es jetzt belegen zu wollen, deren System zeichnet sich im internationalen Umfeld nicht gerade durch hohe Effizienz aus. Daran wird auch die letzte Reform nichts ändern. Denn hier wie dort sind es Blockierer auf allen Ebenen, die echte Strukturreformen verhindern und immer nur nach mehr Geld schreien.

Was die Deutschen uns aber voraus haben ist, dass, wenn es denn zu einer echten Kassenreform kommt, die Finanzierung aus einer Hand erfolgen könnte. Bei uns hingegen, werden weiter die „virtuellen Geldgeber“ Sozialpartner und Länder – die ja, wie uns Vizekanzler Pröll offen gestanden hat, nach der Realverfassung gewichtiger sind, als die politischen Entscheidungsgremien, die unsere „echte“ Verfassung vorsieht – streiten und jeder wird sagen, wie toll und effizient er denn nicht agiere, und das beste aller System feiern.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die leeren Kassen beginnen zu diktieren? Zumindest ist hinter den Kulissen mehr Bewegung zu bemerken, als jemals zuvor. Die Angst, die „Spitalswesen“-Titanic könnte doch sinken, geht um.

Im März 2009, als die Finanz- zur Wirtschaftskrise wurde, stand an dieser Stelle, dass die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Spitäler, die durch die Länder für 2009 aufzubringen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Milliarden Euro) deutlich anwachsen werden. Hintergrund dieser Rechnung war, dass die Einnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken werden, weil sie wesentlich vom Steuer- und Beitragsaufkommen abhängen. Da aber die Kosten ungeachtet der Krise weiterwachsen werden, wird das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben größer.

Schon bisher schlossen die Länder dieses Loch durch die Abgangsdeckung, eine Art automatischer Defizitdeckung. Und die war nicht gering. Oberflächlich ausgedrückt, machten die öffentlichen Spitäler pro Jahr 30 bis 35 Prozent Miese, die im Landesbudget hängen blieben; seit 2009 jedoch sind es wohl 40 und mehr Prozent – und das wird solange bleiben, solange die Wirtschaft das durch die Krise entstandene Minus nicht selbst (ohne Staathilfen) kompensiert hat, oder die Kosten der Spitäler real sinken. Ersteres könnte Jahre dauern, und zweiteres ist gegen den Willen der Landespolitik.

Langsam dürfte dort aber die Erkenntnis wachsen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das langsam geht, hat zwei Ursachen.

Erstens, weil wirtschaftliche Berechnungen der Spitäler sehr lange brauchen. In der Regel liegen „fertige“ Zahlen erst mit einem Jahr Verzögerung vor. Also sind die Zahlen für 2009 erst Ende dieses Jahres „fertig“. Natürlich gibt es da und dort auch gescheite Mitarbeiter, die unterjährig Schätzungen anstellen, aber ein echtes Controlling ist auf Landesebene die Ausnahme. Das kommt daher, dass Landespolitiker geschätzte Zahlen, wenn sie unangenehm sind, nicht, oder wenigstens so spät wie möglich, hören wollen. Und so warten „brave“ Mitarbeiter darauf, dass sie nur mit „fertigen“ Zahlen zur Politik wandern. Sollte es doch jemand wagen, unerwünschte Zahlen „zu früh“ zu präsentieren, dann riskiert er manchenorts sogar seinen Job. Die Folge dieser Vogelstrauss-Politik ist eine endlose Erkenntnisverzögerung. Nichts desto trotz dürfte langsam auch auf politischer Ebene bemerkt werden, dass es echte Finanzierungsprobleme gibt.

Die zweite Ursache ist „Maastricht“.

Früher war Geld für gestandene Landespolitiker kein Problem; wurde es knapp, musste „Wien“ zahlen. Doch diesmal ist das anders, denn der Bund kann nicht mehr so einfach neue Schulden aufnehmen, nur um Weihnachtsmannpolitik zu bedienen. Und er kann es vermutlich auch nicht mehr Erlauben, dass Länder, statt wie gesetzlich vereinbart, Budgetüberschüsse zu erzielen und ins Bundesbudget einzuzahlen, weiter Schulden machen. Der laufende Betrieb der Spitäler reißt mittlerweile aber so tiefe Löcher in die Landesbudgets, dass ein Überschuss ohne Spitalsreform irreal ist. Wenn jedoch die Länder keinen Überschuss abliefern, erhöht sich das Bundesdefizit, was die Einhaltung der Maastrichtkriterien erschwert und – wichtiger – bei Rating-Agenturen schlecht ankommen wird. Neue Schulden unter diesem Titel würden erhebliche Probleme bereiten – das kriegen auch die Länder langsam mit.

Und so beginnt etwas, das wirklich nach ernsthaften Spitalsreformüberlegungen klingt, von Oberösterreich angefangen, bis nach Wien. Nur Niederösterreich tut noch so, als ob es auf unendlichen Geldquellen sitzt, Aber auch dort wird die Erkenntnis reifen, dass die Quellen zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Fünkchen Hoffnung

Für Laien ist die Vereinbarung zwischen der SVA und der Ärztekammer wohl kaum in ihrer Bedeutung nachzuvollziehen – aber sie ist wirklich epochal, wenn sie denn zu leben beginnt.

Wir schreiben das Jahr 20xy. Herr M. erhält einen Anruf seines Hausarztes Dr. K. Seine Blutbefunde seien eingetroffen und leider seien die Werte seiner Zuckerkrankheit nicht so, wie es sich beide erhofft hätten. Er bitte um einen Termin und avisiert seine Sprechstundenhilfe, die den Termin koordinieren wird.

Herr M. ärgert sich, weil er es nicht geschafft hat, mehr Selbstdisziplin an den Tag zu legen und die vereinbarten fünf Kilo abzunehmen – jetzt kriegt er die Rechnung. Aber andererseits freut er sich, dass es jemanden gibt, der ihm die Realität vor Augen hält und seinen Zucker nicht schönredet; denn Zucker ist keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Das weiß er.

Auch Dr. K. ärgert sich. Seine Praxis zählt zu den Top 5 Prozent in der Diabetikerbetreuung. Seine Patienten müssen selten ins Spital, die Amputationsraten hat er mehr als gedrittelt, Erblindungen kommen praktisch nicht mehr vor und kein einziger Patient wurde dialysepflichtig. Und das alles, obwohl die sozioökonomische Schicht seiner Patienten unterdurchschnittlich ist. So eine Qualität kann man nur erbringen, wenn man sich über jeden einzelnen Patienten, der seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ärgert.

Dr. K. hat schon früher, vor der Umstellung des Kassen-Honorarsystems, Diabetiker besonders betreut. Das hat viel (Frei)Zeit und Geld gekostet. Seine Frau und seine Kinder waren dagegen, aber er hat aus ethischer Sicht nicht anders können. Seit allerdings nicht mehr nur Menge, sondern auch Qualität bezahlt wird, hat sich das geändert. Mit seinen Qualitätskennzahlen verdient er jetzt mehr als vorher und kann sich dabei stärker auf seine Patienten konzentrieren. Die Reform, die 2010 zwischen der SVA und der Ärztekammer beschlossen und später von allen Kassen übernommen wurde, hat riesige Vorteile für ihn und seine Patienten gebracht. Zwar war er anfangs skeptisch, aber alle Zweifel sind mittlerweile verflogen.

Das, was für Systemkenner wie eine Utopie klingt, könnte Realität werden; denn die SVA-Ärztekammer-Vereinbarung, in der festgelegt ist, wie man das Kranken- in ein Gesundheits-Kassensystem umbauen will, könnte Grundlage für eine echte Reform sein.

Man soll aber auf dem Boden bleiben. Was vorerst in einer Punktation beschlossen wurde, ist ohne sehr viel theoretische Vorbereitungsarbeit nicht umzusetzen. Mehr noch, es besteht eine nicht zu unterschätzende Gefahr eines Total-Flops.

Aber, es gibt international schon viel Wissen, wie man solche Reformen angehen kann. Viele Länder haben bereits seit Jahrzehnten Erfahrung mit Hausarzt- und Vorsorgemodellen. Auch mit der Umstellung von Einzelleistungs- auf qualitätsorientierte Betreuungs- Honorarsysteme gibt es Wissen, das dienlich sein könnte. Es liegt an den Verhandlern, dieses Wissen aufzugreifen, für hiesige Verhältnisse zu adaptieren und darauf zu achten, Fehler, die anderswo gemacht wurden, zu vermeiden. Bei gutem Willen und transparentem Vorgehen funktioniert das.

Aber neben der Theorie geht es jetzt vor allem um Überzeugungsarbeit. Viel Skepsis wird auftreten und es wird nicht reichen, nur Funktionäre zu überzeugen. Die Basis muss überzeugt werden! Wenn das aber gelingt, dann kann man wirklich von einer „epochalen Veränderung“ (Ärztekammerpräsident Dr. Dorner) sprechen.

Und weil ich sonst mit Lob sparsam bin, hier ist es angebracht – einfach weil Mut bewiesen wird und Bewegung in das anachronistische Kassensystem kommt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.