Die immerwährende Reform

Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien – ein Streit, der so alt ist wie die Zweite Republik und nun wieder aufflammt.

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   Herbst 1955 – seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung kommt eine schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang. Worum es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen. Die Kammer forderte fixe Kassenplanstellen und ein Veto-Recht bei Errichtung von Ambulatorien. Sie fürchtete, nicht zu Unrecht, dass Kassen mit ihren Ambulatorien über kurz oder lang niedergelassene Ärzte verdrängen würden.

   Ja, so lange existiert der Konflikt, der uns im Rahmen der PHC-Gesetzes-Werdung wieder beschäftigt. Und auch weiterhin ist die Begründung der Ärztekammer nicht unrichtig. Denn obwohl vorgeschrieben ist, dass sich kasseneigene Ambulatorien durch die gleichen Honorare wie Kassenärzte finanzieren müssen, schaffen das gerade mal 10 Prozent. 90 Prozent werden subventioniert, in dem ihre Defizite aus Kassenmittel gedeckt werden. Wenn das auch mit den PHC-Zentren, die als Ambulatorien geführt werden sollen, passiert, sind diese eine unbezwingbare Konkurrenz, niedergelassene Kassen-Hausärzte würden verschwinden.

   Dass Politiker gewillt sind, solche Subventionen zu bezahlen, sieht man am Vorzeigeprojekt „Maria Hilf“. In dieses PHC-Zentrum, das nicht mehr als eine Gruppenpraxis von drei Kassen-Hausärzten ist, fließen jährlich 230.000 Euro. Da es aber nicht als Ambulatorium firmiert, können diese Subventionen nicht dauerhaft rechtskonform ausbezahlt werden. Jede Änderung hier wird daher durch die Ärztekammer blockiert – und das ist auch ihr gesetzlicher Auftrag. Denn sie ist nicht für die Versorgung zuständig, sondern hat die Interessen der Ärzte zu vertreten. Und wenn die Kammer zustimmte, dass Ärzte in Konkurs gehen, weil sie von subventionierten Einrichtungen niederkonkurrenziert werden, hätte sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Art und Weise allerdings, wie die Kammer vorgeht, ist destruktiv und polemisch. Man bedenke die Argumente. Es drohe Staatsmedizin à la DDR, gleichzeitig wird vor profitgierigen Großkonzernen gewarnt, die die niedergelassenen Ärzte als freien Berufsstand bedrohen. Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig?

   Nun, aus der Historie ist dieses Paradox erklärbar – Ambulatorien, entweder in den Händen der Kassen (DDR-Staatsmedizin) oder von Privaten (profitgierige Großkonzerne), stellen eine Konkurrenz für die Ärztekammer dar – und daher sind beide prinzipiell böse. Aber wie schaut es denn mit uns, den Finanziers und Nutznießern unseres Gesundheitswesens, aus? Es gibt tonnenweise wissenschaftliche Literatur, dass das, was wir „Gesundheitssystem“ nennen, teuer und ineffektiv ist. Wir bezahlen diese Streitereien mit viel Geld und weniger gesunden Lebensjahren; und die, die chronisch krank sind, mit vielen verlorenen Lebensjahren – die sterben einfach früher als nötig. Wir, so denke ich, hätten ein Recht darauf, dass diese Machtklüngel endlich zu einer Lösung kommen – nach mehr als 60 Jahren!

„Wiener Zeitung“ Nr. 191 vom 29.09.2016

Ist die Kassenfusion ein gangbarer Weg, die ambulante Versorgung besser zu organisieren?

 

Inhaltsverzeichnis

  • Zusammenfassung

 

  • Einleitung

 

  • Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem sind unterschiedliche Dinge
  • a).. Die Ebene der Behandlung
  • b).. Die Ebene der Versorgung
  • c).. Die Ebene des Gesundheitssystems

 

  • Grundsätzliches zum österreichischen Gesundheitssystem…

 

  • Die Kassenfusion
  • (1) Ist das österreichische ambulante Versorgungssystem wirklich so schlecht?
    • a… Was soll ambulante Versorgung?
    • b.. Was ist PHC?
    • c… Ist unsere ambulante Versorgung so schlecht?
    • d.. Wie misst man „ambulante Versorgung“?
    • e.. Warum gibt es bei uns kein PHC?
  • (2) Welche Organisationsformen gibt es in der ambulanten Versorgung?
    • a.. Kassenärzte
    • b.. Wahlärzte
    • c… Spitalsambulanzen
    • d.. Kasseneigene Ambulatorien
    • e.. Selbständige Ambulatorien
    • f… Privatärzte
  • (3) Welche Folgen hat diese Zersplitterung?
    • a.. Welche Folgen hat das auf die Versorgung?
    • b.. Welche Folgen hat das für die Regionen?
    • c… Warum gibt es keinen einheitlichen Katalog?
    • d… Warum ist es sinnvoll, einheitliche Leistungen einheitlich zu honorieren und dafür über andere Modelle (P4P) Leistungsanreize zu schaffen, die sowohl regional als auch finanziell flexibel sind?
  • (4) • Warum gibt es in Österreich so viele Kassen?
    • a.. Wie viele Kassen gibt es?
    • b.. Woher haben die Krankenkassen ihr Geld?
    • c… Kostet die Verwaltung wirklich nur 3%?
    • d… Sind Pflichtsysteme wie in Österreich (Pflichtversicherung statt Versicherungspflicht und Kassenplanstellen statt Niederlassungs-freiheit) wirklich schlecht?
  • (5) Was passiert, wenn die Kassen fusionieren?
    • e.. Ist eine Kassenfusion eigentlich sinnvoll (Zentralisierung im Zeitalter der Dezentralisierung)?
    • f… Was bringt eine Fusion – Einsparungen?
    • g.. Welche Voraussetzungen sind nötig, um die Kassen zu fusionieren (rechtlich und kulturell)?
    • h.. Wie geht man bei einer Kassenfusion mit den Spitalsambulanzen um?
    • i… Wie geht man bei einer Kassenfusion mit den Wahlärzten um?

 

  • Literatur
  • Abkürzungen

Eine Analyse im Auftrag der Team Stronach Akademie im ersten Halbjahr 2015

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Krankenkassen-Honorarkataloge – absurder Wahnsinn

(Lesezeit 6 Min) Es ist verständlich, dass ein Otto-Normal-Verbraucher so gar nichts mit Honorarkatalogen der Krankenkassen anfangen kann, ja nicht einmal gut eingelesene Medizin-Journalisten verstehen das Kassenhonorar-System. Aber, es ist eines DER Probleme, warum es in Österreich einfach nicht möglich ist, eine sinnvoll organisierte ambulante Versorgung aufzubauen.

Um die Probleme zu illustrieren, will ich ein Beispiel bringen, dass die Unsinnigkeit dieses Systems zeigt: das Langzeit(24h)-EKG, auch Holter-EKG genannt 

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Verwaltungskosten-Tricksereien der Krankenkassen

 Neos haben für Aufruhr gesorgt, als sie meinten, die angegebenen 2,8 Prozent Verwaltungskosten der Krankenkassen lassen sich nicht nachvollziehen.

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   Neos argumentieren mit Personalkosten, die so gar nicht zu den 2,8 Prozent Verwaltungskosten passen wollen – diese betrügen nämlich 6,9 Prozent. Und weil, so die etwas irrige Annahme, Personalkosten den Verwaltungskosten ähnlich sein müssten, können die 2,8 Prozent einfach nicht stimmen.

   Der Konter der Kassen war klar: Neos irren (weil sie keine Bilanzen lesen können). Und haben da gar nicht so unrecht. Was Neos nämlich nicht bedachten, sind (1) die Personalkosten der SV-eigenen Einrichtungen, die Patienten versorgen und nicht der „Verwaltung und Verrechnung“ dienen, und (2) die Personalkosten, die für Verwaltungstätigkeiten anfallen, die die Kassen für andere übernehmen – etwa die Einhebung der SV-Beiträge und die Überweisung dieser an Pensionsversicherung, Unfallversicherung etc.

   Besonders Zweiteres sind eine Freude für die, die Bilanzen lesen können (die können nämlich mit Kassen-Bilanzen nichts anfangen, weil das keine Bilanzen, sondern höchstens grobe Einnahmen/Ausgaben-Rechnungen sind). Dort findet man unter „Ersätze“ Einnahmen in der Höhe von etwa 300 Millionen Euro, die dazu dienen, diesen „fremden“ Leistungsaufwand abzudecken. Eine Aufschlüsselung wenigstens nach Sach- und Personalaufwand gibt es nicht. Klar ist nur, dass diese 300 Millionen Euro von den 740 Millionen Euro, die als Brutto-Verwaltungsaufwand ausgewiesen werden, abgezogen werden müssen. Dann kommt man zum Netto-Aufwand, und der beträgt 440 Millionen Euro. Aufgerechnet auf die etwa 15 Milliarden Euro Gesamtausgaben, sind das dann die berühmten 2,8 Prozent – womit die Kassen klar belegen, Neos können keine Bilanzen lesen.

   Ach, wenn es so einfach wäre. Aber nehmen wir an, die 300 Millionen Euro dienen wirklich der Verwaltung von „fremden“ Leistungen. Auf Köpfe berechnet, erhalten unsere Kassen dann 37 Euro pro Nase „Ersatz“ für den Verwaltungsaufwand. Die deutschen Kassen kriegen für vergleichbare Leistungen nur 27 Euro ersetzt und müssen sich ständig rechtfertigen, weil jeder eine Verwaltungssubvention wittert.

   Und wenn wir schon in Deutschland sind: Da hat sich ein Finanzer einer großen Krankenkasse daran gemacht, einen Verwaltungskostenvergleich mit Österreich anzustellen.    Und heraus kam, dass Österreich einige Positionen unerklärlicherweise einfach nicht als Verwaltungskosten verrechnet, wie etwa „sonstige betriebliche Aufwände“. Dafür werden bei den Gesamtausgaben Durchlaufposten mitgerechnet, die sicher keine relevanten Verwaltungskosten erzeugen, etwa die über 4 Milliarden Euro Pauschalüberweisungen an die Spitäler. Am Ende werden mit allerlei Tricks Verwaltungskosten klein-, Gesamtausgaben großgerechnet, damit die Verwaltungsquote schön niedrig bleibt. Realitätsnah und mit Deutschland vergleichbar, kostete 2013 die interne (reine) Kassenverwaltung jedoch 682 Millionen Euro (offiziell zugegeben werden 440 Millionen), bei einem verwalteten Volumen von weniger als 10 Milliarden Euro (offiziell über 15 Milliarden) – und das macht nach Adam Riese nicht 2,8, sondern 6,8 Prozent Verwaltungskosten. Die Deutschen brauchen übrigens 5,7 Prozent, geben aber nur 5,1 zu – schwindeln also auch, aber halt weniger

„Wiener Zeitung“ Nr. 097 vom 21.05.2015   

Fusion der Krankenkassen – ein absolutes No Go

Kassenfusionen sind ein altes Thema – eigentlich sollte dabei eine Vereinfachung und keine Einsparung diskutiert werden.

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   Zu viele Krankenkassen, ein Kassenhonorarsystem, das vernünftige Planung verhindert, strikt getrenntes und doppelgleisiges Arbeiten inner- und außerhalb von Spitälern – das sind keine neuen Probleme, die hat uns die Weltgesundheitsorganisation schon 1969 aufgezeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Regierungen sich der Lage nicht bewusst wären. Die Idee, Kassenärzte und Spitäler wenigstens planerisch zusammenzudenken, findet man beispielsweise 1996 in einem Bund-Länder-Kassen-Vertrag, der vorsah, dass es für alle ein einheitliches Leistungsgerüst in Form eines einheitlichen Diagnose-und Leistungskatalogs geben soll. Ein Vorhaben, das nie Realität wurde, aber immer wieder zu finden ist – das letzte Mal 2013, im Bundeszielsteuerungsvertrag. Dort nimmt sich die Regierung vor, ab 2016 einen solchen Katalog einzuführen.

   Und warum sollte man Kassen und Spitäler gemeinsam denken?

   Nun, weil es patientenfreundlicher ist; und billiger. Denn wegen fehlender Abstimmung in und mit der ambulanten Versorgung liegen 900.000 Patienten in Spitälern, die anderswo in Europa ganz klar ambulant behandelt worden wären. Von diesen stecken sich 50.000 unnötigerweise mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern) und einige Hundert werden unnötigerweise sterben. Einmal abgesehen, dass die stationäre Behandlung dieser 900.000 Patienten wohl ein bis zwei Milliarden Euro unnötige Kosten erzeugt, sollte es doch wenigstens das Ziel eines Gesundheitssystems sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusionierung wieder einmal aufpoppt, dann sollte es nicht darum gehen, ein paar hundert oder tausend Versorgungsposten einzusparen, die es zweifellos gibt. Das Thema ist, dass die fehlende Abstimmung zwischen 21 Krankenkassen, 15 Krankenfürsorgeanstalten und den etwa 40 Trägern öffentlicher Akutspitäler zu enormen Problemen und Kosten führt.

   Aktuell arbeiten in den Krankenkassen etwa 8000 Mitarbeiter. Grosso Mode pro Kassenarzt ein Kassenangestellter. Oder anders ausgedrückt: Auf einen Kassenmitarbeiter kommen 1000 Versicherte, um deren Versorgung er sich kümmern sollte. Er könnte, vorausgesetzt, er kriegte die Informationen, die er braucht und die ein einheitlicher Diagnosen- und Leistungskatalog lieferte, kontrollieren, ob beispielsweise ein Diabetiker seine jährliche Augenuntersuchung oder ein Herzinsuffizienzpatient die notwendigen Medikamente erhält. Würden also die Kassen darauf achten, dass die Versicherten möglichst alle notwendigen Leistungen erhalten, die stationären Fälle würden weniger. Stattdessen jedoch konzentrieren sich die Kassen auf kleinliche Arztkontrollen anhand merkwürdiger Statistiken, etwa durchschnittliche Medikamentenkosten pro Ordination – was sagt das über die Versorgung einzelner Patienten aus? Nichts.

   Und warum poppt diese Kassenfusionsdiskussion immer wieder auf? Die Kassen mit den tausenden Mitarbeitern, den Milliarden Umsätzen und den gewaltigen Immobilienreserven stellen Imperien der Einzelgewerkschaften dar, die diese jedenfalls gegen jede Veränderung verteidigen. Mit dem Gesundheitswesen hat das nichts zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 212 vom 30.10.2014   

Chancen der neuen Primärversorgung

Hektisch war sie, die Geheimdiplomatie rund um die neue Erstversorgung, begleitet von Streik- und Weltuntergangsdrohungen.

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   Nach verbalem und Patienten wie Ärzte verunsichernden Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und Volksvertretern, nach mehrfachem Hin und Her streng geheimer Papiere, die hinter verschlossenen Türen verhandelt wurden, ohne dass man weiß, wer denn verhandelt hätte, wurde am 30. Juni ein Konzept beschlossen, das die Basis für die Neuordnung der Primärversorgung sein soll.

   Aber was steht drinnen – und viel wichtiger: Wird es wirklich die Primärversorgung neu ordnen?

   Viele schöne und richtige Worte findet man – was nach 100 Jahren internationaler Erfahrungen und wissenschaftlicher Untersuchungen auch das Mindeste sein sollte, wenn einem eine „Primärversorgung nach internationalem Vorbild“ ein Anliegen ist.

   Einer der Höhepunkte: „Ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheits-und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primärversorgung im Team (. . .) zum Zweck einer optimalen Primärversorgung und Sicherstellung durchgängiger Versorgungsketten im Gesundheits- und Sozialbereich für Personen/Patienten eines definierten Einzugsbereichs.“

   In diesem Satz liegen die gesamte Weisheit des Papiers – und auch alle Fallstricke.

   Denn, will man nicht via Verfassungsänderung den Rahmen herstellen, so etwas von einer Stelle aus organisieren zu können (Finanzierung aus einer Hand), und das wurde dezidiert ausgeschlossen, dann stehen umfangreiche Verhandlungen bevor: zwischen zwei Ministerien (Soziales und Gesundheit), neun Ländern mit jeweils mindestens zwei Landesräten (Finanzen, Gesundheit und Soziales, meist aus verschiedenen Parteien); 21 Krankenkassen, die teils bundes-, teils landesweit organisiert sind und deren bundesweit agierende Vertreter praktisch ein Vetorecht gegen jede Reform haben und in der Vergangenheit gerne auch ausübten; mehrere, meist parteipolitisch genau zuordenbare Organisationen mobiler Pflege, die regional oft Monopolisten sind; hunderte Pflegeheime betreibende Gemeinden; und natürlich die zehn Ärztekammern mit ihren 20 Kurien, die dank der Sicherstellung, dass alles im Rahmen der Gesamtverträge ablaufen muss, sehr viel Sand ins Getriebe der Verhandlungen werfen können und werden.

   „Das konkret anzubietende Leistungsspektrum ist vertraglich mit der Sozialversicherung und sonstigen Finanzierungsträgern zu vereinbaren.“ So steht es lapidar im Konzept. Und weil jeder weiß, dass es nie dazu kommen wird, dass sich all diese Partikularinteressenvertreter einigen, beginnt jetzt schon ein rein machtpolitischer Kampf.

   Ein Blick nach Niederösterreich zeigt das. Dort wurde die landeseigene Primärversorgungsidee vorgestellt – ohne Vertreter der Krankenkassen und ohne Ärztekammer, dafür mit einem ehemaligen, aber abgewählten Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Das kommt einer Kampfansage gleich, die für die Verhandlungen, und damit die Neuordnung der Primärversorgung wohl bereits ein Todesstoß ist.    Aber wenigstens eines wurde erreicht: Der Terminus „Primärversorgung“ ist, etwa 100 Jahre nach seiner Einführung, nun auch in Österreich verwendbar. Man soll sich eben auch mit kleinen Schritten zufriedengeben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 134 vom 11.07.2014  

Verantwortungs- und folgenlose Gesundheitspolitik

1969, also vor 44 Jahren, hat die WHO kritisiert, dass unser Gesundheitssystem zu wenig „zentralistisch“ ist. Die Bundesregierung, deren Amtssitz sich in Wien befindet und daher sogar von Regierungsmitgliedern, wenn sie aus anderen Bundesländern kommen, gerne als „die Wiener“ tituliert wird,  hat keine Möglichkeit, in die Spitalslandschaft einzugreifen, damit Spitäler Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege werden  – mit willkürlichen und der Qualität abträglichen Folgen. Das Spitalsproblem ist also alles andere als neu oder unbekannt.

Seither wurde enorm viel unternommen, um diese Willkür einzufangen.

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Ich bin völlig verwirrt – die Kassensanierung

Man wird nicht recht schlau: Sind die Kassen nun saniert? ist die Gesundheitsreform eine Reform oder nicht? spart sie das System zu Tode, oder wird sie zu mehr Kosten führen?

Man sagt, zwischen 2010 und 2013 haben die Kassen um 2,671 Mrd. Euro weniger ausgegeben als sie selbst prognostiziert hätten; das sind gleich 946 Mio. Euro mehr an weniger, als mit der Regierung vereinbart. Zudem sind die Kassen jetzt fast Schuldenfrei.

Jedoch wird auch vermeldet, dass die Gebarungsergebnisse vieler Krankenkassen ohne außerordentliche Steuer-Geschenke weiterhin tief rot sind, also die ordentlichen Beitragseinnahmen bei weitem nicht die Ausgaben decken (Angaben in Mio.Euro: Wien -90,3 Kärnten: -35,9; Steiermark: -15,8; Burgenland: -10,0; Tirol: -3,5). Die Ärztekammer (Vizepräsident Dr. J. Steinhart) nennt, die Sanierung der Kassen sogar eine „angebliche“ und spricht, von einem „Propagandatrick“.

Allerdings erst seit kurzem. Denn die gleiche Kammer betonte zwei Jahre lang, dass es vor allem die Leistung der Kassenärzte gewesen sei (moderate Honorarforderungen und strengste Disziplin bei der Verschreibung der Medikamente), die diese Sanierung ermöglichte! Was war da jetzt die Leistung, wenn das alles doch nur Propaganda war? Und warum ist seit Montag doch wieder zu hören, dass die Sanierung geglückt und „genug gespart“ sei –  die Kassen daher gefälligst wieder mehr für Kassenärzte ausgeben sollen.

Und dann ist da der Rechnungshof, der heftige und von der Ärztekammer geteilte Kritik an der Gesundheitsreform übt.

Da wird einmal kritisiert, dass es zu keiner Kompetenzbereinigung kommt. Das stimmt, aber eine solche Kompetenzbereinigung – Stichwort: Finanzierung aus einer Hand – ist nur über eine Verfassungsreform möglich, und diese wiederum benötigt eine zwei Drittel-Mehrheit. Es ist schon sehr fraglich, ob wir mit einer Reform wirklich warten sollten, bis eine solche wieder einmal in Regierungshänden liegt. Und weil die Schöpfer der Reform eben nicht warten wollten, haben sie sich der alten Sozialpartnerregel „Vertrag vor Gesetz“ bedient. Es mag dem Rechnungshof und liberal denkenden Menschen nicht gefallen, dass Pflichtkammern über Verträge den Staat aushebeln können, aber dass gerade die Ärztekammer sich in ihrer Kritik bestärkt sieht, verwundert, ist ihr „Vertrag vor Gesetz“ doch besonders heilig- Stichwort: Kassenvertrag statt „Staatsmedizin

Doch auch ein anderer Punkt erstaunt.

Da meint der RH, die Reform ist in ihren Sparzielen alles andere als ambitioniert, weil das erlaubte Ausgabenwachstum pro Jahr höher liegt, als die Wachstumsraten der letzten Jahre, ja sogar über den Prognosen des Hauptverbandes; die Reform also eine Kostensteigerung und keine Kostendämpfung verspricht. Auch in diesem Punkt fühlt sich die Ärztekammer merkwürdigerweise bestätigt, obwohl sie seit Monaten herumläuft und, erklärt, die geplante Reform sei eine Kaputt-Spar-Reform, die sage und schreibe elf Mrd. Euro einsparen soll.

Sehr verwirrend das alles.

Ach, was würde ich darum geben, wenn sich die Ärztekammerfunktionäre auf den Hosenboden setzten und über konkrete Versorgungsziele und konkrete Versorgungsstandards konkreter Patientengruppen nachdächten (solche sollen nämlich am 30. Juni beschlossen werden), statt bei Zahlenspielchen mitzumachen, die ohnehin keinen konkreten Patienten interessieren.

 

 

In leicht abgewandelter Form erschienen in der Wiener Zeitung 18.04.2013

Die machtpolitischen Abgründe der wahlärztlichen Versorgung

(Lesezeit 4 Min.) Wahlärzte gibt es NUR in Österreich, und das hat keinen rationalen Grund, sondern einen handfesten machtpolitischen.

Richtig begonnen hat es im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen. Da wurde seitens der EU festgestellt, dass wir zu viele Pflicht-Krankenkassen haben, die ein Monopolrecht haben festzulegen, was eine ausreichende medizinische Versorgung für ihre Pflicht-Versicherten ist, und zur Deckung dieses festgelegten Bedarfs exklusiv mit der Ärztekammer verhandeln, wie denn dieser zu decken sei: der berühmte Gesamtvertrag samt Stellenplan, der genau festlegt, wo welcher Arzt welche Ordination betreiben darf. Anders ausgedrückt, es ist in Österreich nicht möglich, sich einfach als Kassenarzt niederzulassen und eine Nachfrage zu bedienen, sondern wer was arbeitet ist abhängig davon, dass die Kammer (Pflichtmitgliedschaft für Ärzte) mit den Kassen (Pflichtmitgliedschaft für Bürger) eine Planstelle vorsieht. In Deutschland, dass ja auch sehr viele Krankenkassen hat, und zum Zeitpunkt unseres EU-Beitritts ebenfalls noch ein Pflichtversicherungssystem hatte, war es im Gegensatz jedem Arzt möglich sich überall niederzulassen, weil die Kassen eine Kontrahierungszwang hatten, also jedem Arzt einen Kassenvertrag geben mussten.

Unser System, dass weder Patienten noch Ärzten „(Wahl-)Freiheit“ gibt, passte nicht ins liberale EU Bild, daher sollten wir entweder die 21 Kassen zusammenlegen (max. 9, also pro Bundesland eine), oder aber die Wahlfreiheit bei den Kassen zulassen (also die Pflichtversicherung abschaffen), oder aber das Kassenplanstellenwesen liberalisieren.

Dieses Ansinnen hat Chaos ausgelöst, schließlich darf sich in dem Bereich nix ändern. Die Ärztekammer hat ohne die Planstellen-Verhandlungshoheit deutlich weniger Macht, und die Kassen würden als liebgewonnene Parteivorfeldorganisationen und Pfründe verloren gehen, und zudem würde es zu einer Konkurrenz im „eigenen Haus“kommen – schließlich gehören die meisten Kassen ja bestimmten Teilgewerkschaften oder Gewerkschaftsteilen, die eines eint, eine FSG-Führung.

Am Österreichischen Pflicht-Pflicht-System, dass allen ein angenehmes, konkurrenzloses Leben ermöglicht zu rütteln kam nicht in Frage – eine Lösung musste gefunden werden.

In der Folge hat man dann die EU überzeugt, dass unser System ja gar nicht sooo vermonopolisiert und verpflichtend ist, weil ja die Wahlfreiheit durch Wahlärzte garantiert ist.

Dank des Wahlarztsystems können Patienten sich die Ärzte unabhängig des Stellenplans aussuchen, und Ärzte ohne Kassenvertrag überall niederlassen. Wahlärzte gab es zwar schon sehr lange, allerdings eben immer nur als Randphänomen (ihre Rolle war auf Leistungen außerhalb des öffentlichen Systems ausgelegt – z.B.: Homöopathie), auf das nun politisch zurückgegriffen wird. Damit gab sich die EU vorerst zufrieden.

Das Problem mit den Wahlärzten war jedoch, dass sie, sollten die Kassen ihre gesetzliche Verpflichtung (normiert im ASVG) wahrnehmen, kaum einen Markt gehabt hätten. Das Gesetzt sieht nämlich vor, dass jedem Versicherten wenigsten zwei Kassenärzte (und zwar für jede der 21 Krankenkassen und für jede der duzenden Facharztrichtung) in akzeptabler Entfernung zur Verfügung stehen muss. Gäbe es tatsächlich so viele niedergelassene Kassenärzte, Wahlärzte hätten keine Chance gehabt.

Wie also schafft man den für die EU dringend nötigen „Markt“ für Wahlärzte. Nun, die Folge war, dass die Kassenstellen (MIT Zustimmung der Ärztekammer, die sich jetzt heftig darüber aufregt) konsequent verringert wurden (d.h.: statt mit dem demographischen Bedarf mitzuwachsen, blieb die Zahle der Kassenstellen gleich), ohne jedoch zuzugeben, dass es dabei zu einer Unterversorgung gekommen ist –  mal ganz abgesehen, dass dem gesetzlichen Auftrag von zwei Kassenärzten in der Nähe ohnehin nie entsprochen wurde.

Und es ist ganz klar, dass in der Folge Wahlärzte immer häufiger neben den zugedachten Aufgaben, nämlich die Nachfrage für nicht durch das System gedeckte Leistungen zu decken, auch für die öffentliche Versorgung wichtig wurden.

Eine Unterversorgung, die durch Wahlärzte gedeckt wird, ist aber gesetzlich nicht vorgesehen. Aber wenn keine Unterversorgung festgestellt wird, dann gibt es ja auch keine!- oder?

Und daher wurde nie erhoben, welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte für Kassenpatienten entfalten, mehr noch, in den offiziellen Bedarfsprüfungen wurden Wahlärzte, um deren Bedeutungslosigkeit für das öffentliche Versorgungssystem „beweisen“ zu können, willkürlich mit etwa 5% der Versorgungswirksamkeit angesetzt, die ein Kassenarzt für das öffentliche System erbringt. Das bedeutet, dass es 20 Wahlärzte braucht, um die Arbeit eines Kassenarztes zu erbringen – was natürlich lächerlich ist. Sogar in der neuen offiziellen Ärztebedarfsstudie, die ja aus politischen Gründen Jahre lang verschleppt wurde, stieg die zugestandene Versorgungswirksamkeit auf 8% oder (nicht bis!) 17%, je nachdem, ob man einen Ärztemangel rauslesen will oder nicht – valide Zahlen über die reale Versorgungswirksamkeit gibt es nicht und darf es natürlich auch nicht geben!

Dass die Realität anders war und ist, ist unerheblich, dass die Zahl der Kassenärzte pro Einwohner seit 2000 kontinuierlich sinkt egal und dass die Arbeitsbelastung der Kassenärzte wegen der demographischen Entwicklung steigt belanglos. Wichtig war und ist nur, dass alle Kassen und der Stellenplan erhalten bleiben.

Nun, seit Oktober 2012 liegt eine Studie vor die belegt, wie wichtig Wahlärzte für die Versorgung sind. Und das müsste Konsequenzen haben.

Sollten nämlich Gesetze wichtig sein (was zu bezweifeln ist), müsste die Studie dazu führen, dass es zum Ausbau von Kassenstellen kommt. Dagegen sind aber viele in den Ärztekammern, weil so der gedeckelte Kuchen der Kassen ja auf mehr aufgeteilt werden müsste. Sollte es zum Ausbau der Kassenstellen kommen, dann nur, wenn die Kassen zusätzliches Geld erhalten.

Das ist aber nicht so einfach. Wollte man den Kassen mehr Geld geben (beispielsweise durch Erhöhung der Beiträge, oder Verbreiterung der Beitragsgrundlagen – Höchstbemessungrundlage aufheben), werden nach jetziger Gesetzeslage die Spitäler, dank einer Vereinbarung aus dem Jahr 1997, die auch jetzt wieder verlängert wurde. jedenfalls die Hälfte davon abkriegen. Ein bedarfsgerechter Ausbau der Kassenstellen würde uns Steuer- und Beitragszahler daher immer doppelt soviel kosten, als nötig, weil wir gleichzeitig auch Geld in die Spitäler stecken müssten, in die wir aber im internationalen Vergleich ohnehin schon viel zu viel stecken.

Es sind viele gordische Knoten, die es zu zerschlagen gelte, will man wirklich was ändern! Und so sind sich irgendwie alle einig, dass es so wie es ist, nicht weiter geht, aber keiner an der Situation was ändern darf ….

Es sind die Konsequenzen der politischen Lügen, die hier ein Gewirr an gegenseitigen Abhängigkeiten geschaffen haben und uns nachhaltig Lähmen. Jedenfalls bin ich gespannt, wie man jetzt mit der Studie umgeht- vermutlich wie mit all den anderen auch – weglegen, vergessen und dann weiterwursteln– vielleicht aber kommt die EU langsam drauf, dass wir seit vielen Jahren gefakte Daten liefern! Dann könnte es was werden