Politiker denken nicht darüber nach, was die Zögerlichkeit bei gesundheitspolitischen Entscheidungen für Lebensplanungen bedeutet.
Weiterlesen: Es dauert alles viel zu lange1986 wollte ich nach der Matura ein Jahr freiwillig zum Bundesheer – wenn schon, denn schon. Aber, damals kam die Diskussion auf, dass die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte, die wegen Perestroika und Glasnost nicht mehr nötig sei. Daraufhin entschied ich, zuerst zu studieren und abzuwarten. Ich habe also eine weitreichende Entscheidung getroffen, da die Politik mir missverständliche Signale gab. Denn, die Wehrpflicht wurde nicht abgeschafft, aber es wurde weiterdiskutiert. Eine endgültige Entscheidung gab es erst 2013 – und zwar irgendwie absurd, denn die Abschaffung ginge deswegen nicht, weil das Sozialsystem mittlerweile auf die quasi Zwangsarbeit von Zivildienern angewiesen sei. Ich denke, keinem Politiker war klar, dass Lebensplanungen an Ihrer Unentschlossenheit ausgerichtet werden mussten, aber nicht konnten!
Und in der Gesundheitspolitik?
Betrachten wir die Jubelmeldung, dass die E-Medikation 2022 eingeführt sein soll. Die Diskussion darüber hat Anfang des 21. Jahrhunderts begonnen. 2012 wurde per Gesetz die Einführung der E-Medikation bis zum 31.12.2014 beschlossen – und das Gesetz dann einfach ignoriert. Was für ein Signal? Unternehmen, die sich mit damit beschäftigten, trafen Entscheidungen, investierten und standen am Ende vor der Tatsache, dass nichts weiter geht. Und jetzt, wird es wirklich 2022 soweit sein?
Oder die Lehrpraxis für angehende Hausärzte? Die diskutieren wir seit den 1970ern (!). Seit damals ist klar, dass die spitalslastige Ausbildung nicht gut ist, will man Hausärzte ausbilden und motivieren, Hausärzte zu werden. Seit damals wird auch über die Aufwertung der Hausarztmedizin geredet, etwa in dem diese als Spezialausbildung (Facharzt) ausgebaut wird – 2018 (!) wurde die Finanzierung der Lehrpraxis gerade einmal für die nächsten zwei Jahre beschlossen, die Anerkennung als Fachärzte ist weiter weit weg, das Thema weiterhin offen. Was soll sich ein junger Arzt denken? Dass Hausarzt werden Zukunft hat?
Ein anderes Beispiel ist die Kinder-Reha. Die massive Unterversorgung wurde 1999 festgestellt, dann endlos diskutiert, und erst 2019 werden Rehazentren in Betrieb gehen – wie viele Ärzte haben sich wohl in den vergangenen 20 Jahren spezialisiert und dann was anderes machen müssen, weil es keine Berufsaussichten gab? Von den Kindern, die wir behindert ins Erwachsenenleben entlassen haben ganz abgesehen.
Oder Palliativversorgung? Um 2000 begann das Thema aufzutauchen und bald waren alle ob der Zuständigkeiten zerstritten – um diesen (unwürdigen) Streit zu lösen, wurde eine gemeinsame Strategie zur abgestuften Palliativversorgung beschlossen – das war 2005. Und heute?
Die Regelversorgung für Kinder existiert weiterhin nicht, sondern hängt von Privatinitiativen und Spenden ab, 14 Jahre nach einer „vorgespielten“ Einigung. Wie viele Initiativen wurden da wohl eingestellt, weil eine politische Einigung nie in der Wirklichkeit ankommen muss.
Ich denke, politische Eliten denken gar nicht mehr darüber nach, was ihre Ineffektivität bedeutet, wie viel Lebensplanungen sie verunmöglicht und wie viel Frust daraus erwächst.
„Wiener Zeitung“ vom 14.02.2019