Das Spiel mit den Milliarden der ÖGK

   Die Ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­kas­se ist seit An­fang 2020 im Amt, der par­tei­po­li­ti­sche Kampf voll ent­brannt.

Wei­ter­le­sen: Das Spiel mit den Mil­li­ar­den der ÖGK

   Wie für unser Ge­sund­heits­sys­tem ty­pisch, strei­ten sich alle nur ums Geld – und hier vor allem um die be­rühm­te Pa­ti­en­ten­mil­li­ar­de. Die war nie klar, schon gar nicht als Um­wand­lung aus einer Funk­tio­närs­mil­li­ar­de – es war ein po­li­ti­scher PR-Gag der schwarz-blau­en Re­gie­rung, den die Po­li­ti­ker nicht mehr los wer­den. Po­pu­lis­mus hat unter Um­stän­den eben auch kurze Beine. Doch was ist jetzt mit den hor­ren­den De­fi­zi­ten, die an­geb­lich statt die­ser Pa­ti­en­ten­mil­li­ar­de ein­tre­ten sol­len und Be­weis dafür sein sol­len, dass die Kas­sen­fu­si­on ein De­sas­ter ist? Die sind ge­nau­so ein PR-Gag, jetzt halt von der an­de­ren Seite, also der roten, vor allem von der Ge­werk­schaft.

   Wer sich mit der Ge­ba­rungs­vor­schau­rech­nung der Kran­ken­kas­sen (al­lein das Wort zeigt, aus wel­cher Epo­che das kommt) be­schäf­tigt hat, er­kennt, wie „tak­tisch“ die Rech­nun­gen waren. Sie haben stets einem Ver­hand­lungs­ziel ge­gol­ten, um ent­we­der die Ein­nah­men (Steu­er­sub­ven­tio­nen) zu er­hö­hen oder die Aus­ga­ben (Ho­no­ra­re und Me­di­ka­men­ten­prei­se) zu sen­ken, nie je­doch, um Trans­pa­renz her­zu­stel­len. Wäh­rend zwi­schen 2009 und 2018 von den Kas­sen ku­mu­liert ein Ver­lust von 2547 Mil­lio­nen Euro „vor­aus­ge­rech­net“ wurde, kam bei der Ab­rech­nung ein ku­mu­lier­tes Plus von 1674 Mil­lio­nen Euro her­aus – eine Dif­fe­renz von 4221 Mil­lio­nen. Be­son­ders krass war das Jahr 2012, da wurde aus einem vor­aus­ge­rech­ne­ten Minus von 737 Mil­lio­nen in Jah­res­frist ein Plus von 181 Mil­lio­nen!

   Und warum sind all diese Zah­len so herr­lich ma­ni­pu­la­tiv ein­setz­bar? Nun, dass liegt an der Ver­wen­dung der ab­so­lu­ten Zah­len; die klin­gen sehr schnell sehr hoch, auch wenn es nur um we­ni­ge Pro­zent geht. Ak­tu­ell macht die Ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­kas­se (ÖGK) einen jähr­li­chen Um­satz von etwa 16.000 Mil­lio­nen Euro – ein ein­zel­nes Pro­zent sind also schon 160 Mil­lio­nen.

   Und wenn man dann noch über ein paar Jahre ku­mu­liert, wer­den die Zah­len noch höher. Und die skan­da­lö­sen 1700 Mil­lio­nen Euro De­fi­zit, die die ÖGK bis 2024 an­geb­lich ma­chen wird, klin­gen halt viel bes­ser, als wenn man von zwei Pro­zent spre­chen würde. Und wer be­denkt, wie sich die Kas­sen schon bei einer Jah­res­pro­gno­se ver­rech­nen, weiß, dass Fünf-Jah­res-Pro­gno­sen schlicht Kaf­fee­sud­le­sen sind, und ein De­fi­zit von zwei Pro­zent eine sta­tis­ti­sche Un­schär­fe sein muss.

   Doch um das ging es ja nicht– es ging darum, der einen po­pu­lis­ti­schen Mil­li­ar­de eine an­de­re ge­gen­über­zu­set­zen, um die ei­ge­ne Kli­en­tel glück­lich zu stim­men und zu mo­bi­li­sie­ren.   

Po­li­tisch be­trach­tet je­doch, war es wohl eine „rote“ Dumm­heit, diese „De­fi­zi­te“ so hoch zu rech­nen und me­di­al aus­zu­schlach­ten, dass nun jeder weiß, die ÖGK steht vor einem Mil­li­ar­den­de­fi­zit. Denn auch wenn es nichts mit der Rea­li­tät zu tun hat, wird es der jet­zi­gen Re­gie­rung ein Leich­tes sein, die Pa­ti­en­ten­mil­li­ar­de, wenn auch nicht wie ver­spro­chen bis 2023, so aber doch bis 2024 dar­zu­stel­len. Denn be­reits jetzt kann vor­aus­ge­sagt wer­den, dass das Minus der Kas­sen völ­lig ohne Leis­tungs­kür­zun­gen bis 2024 unter 700 Mil­lio­nen Euro lie­gen wird – damit konn­te „eine Mil­li­ar­de im Sys­tem ge­spart“ wer­den! Und es wird nie­man­den geben, der die­sen My­thos bre­chen kann

„Wie­ner Zei­tung“ vom 27.02.2020 

Klassenkampf im Kassenkampf

   „Un­se­re Kasse“ ge­hört ganz of­fen­sicht­lich nicht uns, son­dern „un­se­ren Kam­mern“.

Wei­ter­le­sen: Klas­sen­kampf im Kas­sen­kampf

   Ei­gent­lich ist es gut, dass un­se­re Kran­ken­kas­se, die ja jetzt Ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­kas­se hei­ßen wird, sich selbst dar­stellt. Zu lange hat kaum je­mand dar­über nach­ge­dacht, was „un­se­re Kasse“ ist. „Un­se­re Kasse“ ge­hört uns, und wir ver­wal­ten sie selbst – ohne Ein­mi­schung der Po­li­tik. Wir wäh­len aus un­se­ren Rei­hen einen po­li­tikunab­hän­gi­gen Selbst­ver­wal­tungs­kör­per – theo­re­tisch de­mo­kra­tisch! Al­ler­dings weiß das kaum je­mand, und noch we­ni­ger wis­sen, wie sie mit­stim­men kön­nen.

   Seit jeher haben uns pa­ter­na­lis­ti­sche Po­li­ti­ker die Last der Stimm­ab­ga­be ab­ge­nom­men. Sie nann­ten das So­zi­al­part­ner­schaft. Es sind „un­se­re Kam­mern“, die sich wohl­wol­lend um „un­se­re Kasse“ küm­mern: für Un­selb­stän­di­ge die Ar­bei­ter­kam­mer, für Selb­stän­di­ge die Wirt­schafts­kam­mer. Bei den Kam­mer­wah­len kön­nen ei­ni­ge von uns, bei wei­tem nicht alle, Frak­tio­nen wäh­len. Kaum je­mand wird die FSG oder den Wirt­schafts­bund wäh­len, weil die sich so toll um das Kas­sen­sys­tem küm­mern – und doch, es sind die hier sie­gen­den Frak­tio­nen, die dann „ihre“ Ver­tre­ter in „un­se­re Kasse“ ent­sen­den, ge­ra­de so, als ob sie Teil des Pflicht-Kam­mer­sys­tems wäre.

   Es ist ganz of­fen­sicht­lich, dass „un­se­re Kasse“ nicht uns ge­hört, son­dern „un­se­ren Kam­mern“, deren Le­gi­ti­mi­tät nicht ohne Grund seit Jahr­zehn­ten hin­ter­fragt wird.

   Und weil eben in „un­se­rer Kasse“ kein De­mo­kra­tie­prin­zip be­steht und die Kos­ten zu glei­chen Tei­len von Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern be­zahlt wer­den, haben sich „un­se­re Kam­mern“ die Macht auf­ge­teilt. Der Streit, ob die Ge­wich­tung der Macht nach der Zahl der Ver­si­cher­ten oder der Kos­ten­auf­tei­lung er­fol­gen soll­te, wurde nur halb­her­zig ge­führt – denn wür­den die Käm­me­rer über das De­mo­kra­tie­prin­zip in „un­se­rer Kasse“ nach­den­ken, müss­ten sie So­zi­al­wah­len ein­füh­ren, also uns er­lau­ben, di­rekt mit­zu­be­stim­men. Doch kei­ner hat je ernst­haft dar­über nach­ge­dacht, Macht und Ein­fluss der Kam­mern zu be­schrän­ken.

   Die Kas­sen­fu­si­on folg­te die­sem Prin­zip, aber sie bringt neue Ab­stim­mungs­we­ge und deut­lich ver­klei­ner­ten Gre­mi­en. Und da die Ver­klei­ne­rung haupt­säch­lich zu Las­ten der AK-Funk­tio­nä­re ging, sind diese sauer und klag­ten vor dem VfGH – an­geb­lich, weil sie sich schüt­zend vorn „uns“ stel­len woll­ten, um eine „feind­li­che Über­nah­me“ durch „die Wirt­schaft“ zu ver­hin­dern.

   Der VfGH hat er­kannt, dass es keine be­denk­li­chen Macht­ver­schie­bun­gen gibt, son­dern die Re­gie­rung nur eine neue Or­ga­ni­sa­ti­on durch­ge­führt hat. Aber weil AK und ÖGB in Ihren Spit­zen de facto nicht un­par­tei­isch sind, ist die­ser Spruch eine po­li­ti­sche Nie­der­la­ge, nicht nur ein­fach eine Klar­stel­lung, wie weit Po­li­tik sich in „un­se­re Kasse“ ein­mi­schen darf.

   Und so tritt der ei­gent­li­che Kon­flikt offen zu Tage: der Klas­sen­kampf als in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Be­triebskul­tur des Kas­sen­sys­tems. Chris­toph Klein von der AK mein­te wört­lich: „In der ÖGK wird eine Min­der­heit von 160.000 Un­ter­neh­mern über eine Mehr­heit von 7,2 Mil­lio­nen Ver­si­cher­te herr­schen.“ Und der ÖGB ver­langt von der nächs­ten Re­gie­rung, dass den Ar­beit­neh­mern „ihre Kasse“ wie­der zu­rück­ge­ge­ben wird.

Wir soll­ten uns un­se­re Kasse zu­rück­ho­len – über So­zi­al­wah­len, und ohne käm­mer­li­chen Klas­sen­kampf.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 02.01.2020  

Könnte die Kassenfusion doch klappen?

   Er­staun­lich, was für Fan­ta­si­en eine so ein­zig­ar­ti­ge Über­gangs­re­gie­rung her­vor­ru­fen kann – sogar die einer ech­ten Kas­sen­fu­si­on.

Wei­ter­le­sen: Könn­te die Kas­sen­fu­si­on doch klap­pen?

   Hin­ter­grund ist ein vor drei Mo­na­ten (zwei Mo­na­te vor Ende der ÖVP-FPÖ Ko­ali­ti­on) pu­blik ge­wor­de­nes, in­ner­halb der Ös­ter­rei­chi­schen Ge­sund­heits­kas­se (ÖGK) be­schlos­se­nes Or­ga­ni­gramm. Dem­nach wer­den prak­tisch alle Ent­schei­dun­gen in der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on in Wien zen­tra­li­siert, und alle Kas­sen­ein­nah­men ohne Bun­des­land­be­zug in einem gro­ßen Topf zu­sam­men­flie­ßen. Lan­des­stel­len wer­den nur mehr Re­prä­sen­tan­zen, Lan­des­po­li­ti­ker ge­nau­so ent­mach­tet, wie fö­de­ra­lis­tisch or­ga­ni­sier­te Ärz­te­kam­mern. In der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on wer­den Fach­be­rei­che er­rich­tet, die bun­des­län­der­über­grei­fend alle In­hal­te ab­ar­bei­ten – und mit alle meine ich alle.

Es geht also um eine echte Har­mo­ni­sie­rung der neuen Ge­biets­kran­ken­kas­sen zu einer ÖGK; in­klu­si­ve der Ver­ein­heit­li­chung des Leis­tungs- und des Ho­no­rar­ka­ta­logs der Kas­sen­ärz­te. Ohne eine sol­che Ver­ein­heit­li­chung kann es keine Re­form geben – ein Wis­sen, das Jahr­zehn­te alt ist, und Grund­la­ge für die aus­ge­spro­chen in­ho­mo­ge­ne Ver­sor­gungs­la­ge ge­bil­det hat.

Jede Kasse ist längst eine ei­ge­ne Klas­se ge­wor­den, womit wir eben kein Zwei-Klas­sen-, son­dern ein Viel-Klas­sen­sys­tem, mit ein­ge­schränk­ter Wahl haben. Da aber nur die „Wie­ner Zei­tung“ (18.04.2019 „Nach Kas­sen­fu­si­on Län­der ent­mach­tet“) dar­über be­rich­te­te, und kei­ner­lei po­li­ti­sche Re­ak­tio­nen pu­blik wur­den, ging ich fix davon aus, diese völ­lig un­ös­ter­rei­chi­sche Macht­ver­tei­lung über­lebt kei­nes­falls die nächs­ten Mo­na­te, schon gar nicht die nächs­te Wahl.

Be­son­ders des­we­gen, weil nichts dar­auf hin­deu­te­te, dass sich ir­gend­et­was in der Um­set­zung der Ge­sund­heits­re­form be­wegt. Und da das Re­form-Ge­setz schwam­mig for­mu­liert ist, und alle mög­li­chen Spiel­ar­ten zu­lässt, vor allem jene, wo die alten GKKs als Lan­des­stel­len genau so wei­ter­ma­chen kön­nen wie bis­her – also mit neun ei­ge­nen Leis­tungs­ka­ta­lo­gen und neun ei­ge­nen Ho­no­rar­ka­ta­lo­gen, ging ich von einer Ein­tags­flie­ge aus; es wäre nicht die erste in der Ge­sund­heits­po­li­tik.

So­lan­ge die „Zen­tra­le“ eine Fi­lia­le der fö­de­ra­len Macht­zen­tren ist, würde alles gleich blei­ben – dach­te ich! Und dann kam die Über­gangs­re­gie­rung – und das än­der­te alles!

Denn, diese Re­gie­rung ist an­ge­tre­ten, um zu ver­wal­ten. Da das Or­ga­ni­gramm in­ner­halb der ÖGK be­reits be­schlos­sen ist, wird es in den nächs­ten Mo­na­ten mit Leben er­füllt wer­den kön­nen und Tat­sa­chen schaf­fen, die nicht mehr leicht rück­gän­gig zu ma­chen sind.

Recht­lich ist das ge­deckt, da die Selbst­ver­wal­tung sich selbst or­ga­ni­sa­to­ri­sche Re­geln geben darf. Diese Re­geln könn­te nur das Mi­nis­te­ri­um oder das Par­la­ment ver­bie­ten. Von­sei­ten der Re­gie­rung ist nicht mit Quer­schüs­sen zu rech­nen, und das Par­la­ment hat de facto keine Chan­ce, die­sen Weg zu be­en­den.

Und weil mit Bern­hard Wur­zer als neuer Ge­ne­ral­di­rek­tor der ÖGK je­mand sitzt, der genau die­ses Or­ga­ni­gramm woll­te, der die Frag­men­tie­rung in GKKs als un­fair be­trach­tet und wil­lens ist, aus den neun GKKs wirk­lich eine ÖGK zu ma­chen, könn­te es tat­säch­lich pas­sie­ren, dass eine echte Kas­sen­fu­si­on kommt.

Mit kei­ner an­de­ren Re­gie­rung wäre das ge­gan­gen, dafür sind alle Par­tei­en schon viel zu po­pu­lis­ti­sche und hät­ten, wie immer, dar­auf ge­ach­tet, dass die ei­ge­ne Kli­en­tel nicht zu kurz kommt.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 06.07.2019   

Kassenfusion – ein absolutes No-Go

Die Kas­sen­re­form soll eine Macht­ver­schie­bung zu den Ar­beit­ge­bern brin­gen und die Selbst­ver­wal­tung aus­höh­len.

Wei­ter­le­sen: Kas­sen­fu­si­on – ein ab­so­lu­tes No-Go

    Die Kampf­ru­fe gegen die Kas­sen­re­form sind laut, vor allem von denen, die bis­her Pos­ten in der Selbst­ver­wal­tung der neun Ge­biets­kran­ken­kas­sen be­set­zen konn­ten und dies als Erb­pach­ten be­trach­te­ten. Denn wer genau schaut, er­kennt, dass es eben nur um Pos­ten geht und sonst nichts.

   Die Re­form bringt neue Ab­stim­mungs­we­ge in den neuen deut­lich ver­klei­ner­ten Gre­mi­en. Und diese sind in der „Ös­ter­rei­chi­schen Ge­sund­heits­kas­se“ (ÖGK) so ge­stal­tet, dass weder Wirt­schafts- noch Ar­bei­ter­kam­mer Ober­hand haben, also im Grun­de so wie heute. Die Macht der Kam­mern bleibt er­hal­ten und damit auch die Macht der do­mi­nie­ren­den Frak­tio­nen – also Wirt­schafts­bund und so­zia­lis­ti­sche Ge­werk­schaf­ter.

   Genau ge­nom­men steigt deren Macht sogar, weil das Ein­zi­ge, was sich än­dert, die Zahl der Funk­tio­nä­re ist, und damit die klei­ne­ren Frak­tio­nen keine Funk­tio­nä­re mehr ent­sen­den wer­den kön­nen. Die oh­ne­hin schon kaum vor­han­de­ne Plu­ra­li­tät in der Selbst­ver­wal­tung wird noch ge­rin­ger.

   Selbst­ver­wal­tung be­deu­tet ei­gent­lich, dass wir Ver­si­cher­te uns – ohne Ein­mi­schung der Po­li­tik – selbst ver­wal­ten. Wir wäh­len dazu aus un­se­ren Rei­hen einen Selbst­ver­wal­tungs­kör­per. Selbst­ver­wal­tung kann es aber nur sein, wenn wir mit­be­stim­men kön­nen, und genau das kön­nen wir kaum. Es ist eine lange kri­ti­sier­te Fehl­kon­struk­ti­on un­se­rer Selbst­ver­wal­tung, dass sie nur eine sehr ein­ge­schränk­te Mit­spra­che er­laubt. Ei­ner­seits, weil es keine Mög­lich­keit gibt, sich eine Ver­si­che­rung aus­zu­su­chen, an­de­rer­seits, weil die Re­prä­sen­tan­ten aus­schließ­lich von Kam­mern ent­sen­det wer­den. Jeder Nicht-Er­werbs­tä­ti­ge, zum Bei­spiel ein Pen­sio­nist, hat kein Mit­spra­che­recht – gar kei­nes.

   Bis in die 80er wurde die­ser auf­grund der De­mo­gra­fie noch gar nicht so große Feh­ler durch eine Un­zahl an Funk­tio­nä­ren wett­ge­macht. Dann kam eine Re­form, und aus etwa 8000 Funk­tio­nä­ren (in­klu­si­ve Ver­tre­tern) wur­den 2000 – der erste Schritt in eine Funk­tio­närs­eli­te. Die „Selbst­ver­wal­tung“ ver­lor Augen und Ohren. In­for­ma­tio­nen über das Funk­tio­nie­ren der Ver­sor­gung kamen immer schwe­rer ins Sys­tem. Und da es keine Ver­sor­gungs­for­schung gab, be­gann ein Blind­flug der Funk­tio­nä­re.

   Und jetzt? Jetzt wird deren Zahl wei­ter auf knapp 500 ge­senkt. 370 davon sind für die All­ge­mei­ne Un­fall­ver­si­che­rungs­an­stalt (AUVA), ÖGK, So­zi­al­ver­si­che­rung der Selbst­stän­di­gen (SVS) und Ei­sen­bah­nen und Berg­bau (BVAEB) zu­stän­dig, ent­sen­det aus den Pflicht­kam­mern, denen eine brei­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on fehlt. Sie sind ge­setz­lich ihren Pflicht­mit­glie­dern, also ihrer Kli­en­tel, ver­pflich­tet und sonst nie­man­dem. Nach Abzug der Aus­ga­ben für Fonds­spi­tä­ler ent­schei­den diese Funk­tio­nä­re über die Ver­tei­lung von etwa 14 Mil­li­ar­den Euro. Die öf­fent­li­che Hand ver­wal­tet etwa sechs Mal mehr. Die „ge­rech­te“ Ver­tei­lung wird dabei von 50.000 „Funk­tio­nä­ren“ in Ge­mein­de- und Stadt­rä­ten, in Land­ta­gen, Bun­des­rat und Na­tio­nal­rat kon­trol­liert; das sind 135 Mal mehr Funk­tio­nä­re.

   Es ist mensch­lich ver­ständ­lich, wenn die ab­zu­bau­en­den Funk­tio­nä­re laut jam­mern und einen An­griff auf die Selbst­ver­wal­tung wäh­nen – durch die Schrump­fung wird wohl der Kon­kur­renz­kampf in­ner­halb der Funk­tio­närs­eli­ten an­ge­heizt; und wer setzt sich dem schon gerne aus. Mit einer Sorge um uns un­ter­wor­fe­ne Pflicht­ver­si­cher­te hat das wenig zu tun.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 208 vom 25.10.2018   

Die größte Strukturreform der Zweiten Republik

(Le­se­zeit 20 Mi­nu­ten) Eine aus­führ­li­che Wür­di­gung einer als Struk­tur­re­form ge­tarn­ten Tür­schild­re­form, die einen bil­lig schme­cken­den par­tei­po­li­ti­schen Nach­ge­schmack hin­ter­lässt

„Das ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­we­sen zeigt das Bild be­acht­li­cher Ver­schie­den­heit durch un­ter­schied­lichs­te Trä­ger, wo­durch eine über­re­gio­na­le Zu­sam­men­ar­beit zu­guns­ten von „Ei­gen­in­ter­es­sen“ be­hin­dert wird. […] Die Exis­tenz so vie­ler Trä­ger ist nicht ge­eig­net, die Ent­wick­lung eines ra­tio­nel­len, auf­ein­an­der ab­ge­stimm­ten und rei­bungs­los funk­tio­nie­ren­den Sys­tems zu för­dern. […] Zwi­schen in­tra­mu­ra­lem und ex­tra­mu­ra­lem Be­reich be­steht eine schar­fe Trenn­li­nie. Es exis­tie­ren Zwei­glei­sig­kei­ten in der Ar­beit von Spi­tä­lern und Ärz­ten in der Pra­xis.  […] Es gibt die stei­gen­de Ten­denz der prak­ti­zie­ren­den Ärzte, ihre Pa­ti­en­ten in ein Spi­tal ein­zu­wei­sen – diese Ten­denz wird unter an­de­rem durch das Ho­no­rie­rungs­sys­tem ge­för­dert. […] Die Vor­sor­ge für die ärzt­li­che Be­treu­ung alter Men­schen und chro­nisch Er­krank­ter ist im All­ge­mei­nen un­zu­läng­lich.“

Und:

„Trotz ver­schie­dens­ter Be­mü­hun­gen um eine ver­stärk­te Ko­or­di­nie­rung und An­glei­chung der In­ter­es­sen muss­ten wir fest­stel­len, dass das ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­sys­tem auf­grund sei­ner viel­schich­ti­gen Ver­wal­tungs­struk­tur und dua­len Fi­nan­zie­rung kom­plex und frag­men­tiert ist. […] Be­son­ders die Auf­tei­lung der Fi­nan­zie­rung von in­tra- und ex­tra­mu­ra­len Leis­tun­gen zwi­schen den Bun­des­län­dern und So­zi­al­ver­si­che­run­gen kann die Be­treu­ungs­kon­ti­nui­tät be­ein­träch­ti­gen und zu Kos­ten­ver­schie­bun­gen füh­ren.  Des­halb muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass zur­zeit die Ge­sund­heits­er­geb­nis­se in­ner­halb der Be­völ­ke­rung schlech­ter und die Ge­samt­kos­ten höher aus­fal­len, als dies in einem ko­or­di­nier­ten Sys­tem der Fall wäre.“

Zwi­schen die­sen bei­den Aus­sa­gen lie­gen fast 50 Jahre. Die erste stammt vom Re­gio­nal­bü­ro für Eu­ro­pa der WHO ( „Be­spre­chung des Spi­tals­we­sen in Ös­ter­reich mit Emp­feh­lung für künf­ti­ge Ent­wick­lun­gen“ Ok­to­ber 1969), die an­de­re aus der „Ef­fi­zi­enz­ana­ly­se des ös­ter­rei­chi­schen So­zi­al­ver­si­che­rungs- und Ge­sund­heits­sys­tems“ der Lon­don School of Eco­no­mics and Po­li­ti­cal Sci­ence (LSE 2017)

Was kri­ti­sie­ren diese bei­den Stu­di­en? Unser Sys­tem

Wei­ter­le­sen „Die größ­te Struk­tur­re­form der Zwei­ten Re­pu­blik“

Definitiv nicht die „größte Strukturreform der Zweiten Republik“

  Ein Berg hat ge­kreißt, eine Maus wurde ge­bo­ren! Die Kas­sen­re­form ist nicht für Pa­ti­en­ten ge­macht, son­dern ein par­tei­po­li­ti­sches Hick­hack.

Wei­ter­le­sen: De­fi­ni­tiv nicht die „größ­te Struk­tur­re­form der Zwei­ten Re­pu­blik“

   Dank kli­en­tel­po­li­ti­scher Ge­set­ze ist die am­bu­lan­te Akut­ver­sor­gung au­ßer­halb der Spi­tä­ler völ­lig zer­split­tert. Hier agie­ren 19 Kran­ken­kas­sen (KK) und 15 Kran­ken­für­sor­gean­stal­ten (KFA), deren Ei­gen­tü­mer po­li­tisch klar zu­ge­ord­net wer­den kön­nen, deren Ver­si­cher­te aber keine Wahl haben. Die Leis­tungs­spek­tren wer­den über Leis­tungs- und Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge de­fi­niert, die mit an­de­ren Mo­no­po­lis­ten ver­han­delt wer­den – den zehn Ärz­te­kam­mern.

   Wie viele Ka­ta­lo­ge im Um­lauf sind, ist nicht klar, denn KFAs ent­zie­hen sich jeg­li­cher Kon­trol­le, am Ende sind es mehr als 20. Wie in­ho­mo­gen die­ses „Preis­sys­tem“ ist, zeigt, dass bei­spiels­wei­se ein EKG im Rah­men eines Haus­be­su­ches bei einem Ver­si­cher­ten der Ge­biets­kran­ken­kas­se (GKK) in Nie­der­ös­ter­reich mit 53 Euro ho­no­riert wird, bei einem GKK-Pa­ti­en­ten in der Stei­er­mark aber nur mit 13 Euro.

   Die glei­chen Ver­hand­ler be­stim­men über Kas­sen-Stel­len­plä­ne auch die Kas­sen­arzt-Dich­te – eben­falls in­ho­mo­gen. So ist die Kas­sen-Fach­arzt­dich­te im Wes­ten Wiens dop­pelt so hoch wie die im Mühl­vier­tel, ob­wohl es dort nicht an jeder Ecke Spi­tals­am­bu­lan­zen gibt. In der Folge wer­den Pa­ti­en­ten nicht dort be­han­delt, wo es sinn­voll wäre, son­dern dort, wo An­ge­bot und Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge sie hin­len­ken. Um das zu re­for­mie­ren, muss man tief in die Sys­tem­ar­chi­tek­tur ein­grei­fen. Und das hat die Re­gie­rung ver­spro­chen. Nun wurde die Re­form vor­ge­stellt, mit der Kas­sen fu­sio­niert und Leis­tun­gen har­mo­ni­siert wer­den – al­lei­ne, die De­tails spre­chen eine an­de­re Spra­che. Die KFAs, die tra­di­tio­nell die höchs­ten Ho­no­ra­re (min­des­tens dop­pelt so hoch wie die der GKKs) be­zah­len, wur­den nicht an­ge­rührt. Zwar ist die Zahl der Ver­si­cher­ten ver­hält­nis­mä­ßig klein und daher könn­te man dar­über hin­weg­se­hen, doch, da KFA-Ver­si­cher­te haupt­säch­lich in Bal­lungs­räu­men leben, stel­len sie für Ärzte einen An­reiz dar, dort zu or­di­nie­ren. Ana­lo­ges gilt für SVA und BVA, die eben­falls ihre Ka­ta­lo­ge be­hal­ten. Damit wurde die Chan­ce ver­passt, für Ärzte An­rei­ze zu set­zen, sich au­ßer­halb von Bal­lungs­räu­men nie­der­zu­las­sen.

   Kern­stück der Re­form soll aber die Fu­si­on der neun GKKs zu einer ÖGK sein. Ver­spro­chen wurde ein ein­heit­li­cher Leis­tungs- und Ho­no­rar­ka­ta­log. Doch, jedes Bun­des­land be­hält eine au­to­no­me Lan­des­stel­le, die wei­ter mit den re­gio­na­len Ärz­te­kam­mern ei­ge­ne Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge und Stel­len­plä­ne ver­han­delt und das dafür nö­ti­ge Bud­get von der Zen­tra­le krie­gen muss. Die Zahl der Ka­ta­lo­ge und Stel­len­plä­ne än­dert sich kaum und damit bleibt alles, wie es ist.    

Doch warum dann der Auf­ruhr? Das liegt an den ein­ge­bau­ten Bos­haf­tig­kei­ten. Die Zahl der (meist roten Ge­werk­schafts-) Funk­tio­nä­re und hohen Ver­wal­tungs­pos­ten wird re­du­ziert. Das al­lei­ne ist schon ein An­griff auf das aus­ta­rier­te Ge­fü­ge der ge­werk­schaft­li­chen „Erb­pach­ten“. Rich­tig böse wird es, wenn man das neu ein­ge­führ­te Aus­bil­dungs­pro­fil für Funk­tio­nä­re be­trach­tet. Ent­we­der müs­sen sie ein Stu­di­um nach­wei­sen oder SV-in­ter­ne Fort- und Aus­bil­dun­gen ab­ge­schlos­sen haben. Wer das nicht hat, darf kein Funk­tio­när mehr sein – das trifft eine ganze Reihe vor allem roter Ob­män­ner und ihre Stell­ver­tre­ter. Hier wird’s per­sön­lich

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 188 vom 27.09.2018

Kassenfusion – ein Match zwischen Reformern und Reaktionären

 Viel­leicht ist es Zeit, dass nach 50 Jah­ren eine echte Re­form statt­fin­det – aber die Macht­struk­tu­ren sind davon wohl nicht über­zeugt.

Wei­ter­le­sen: Kas­sen­fu­si­on – ein Match zwi­schen Re­for­mern und Re­ak­tio­nä­ren

   Zu viele Kas­sen, Dop­pel­glei­sig­kei­ten in­ner- und au­ßer­halb von Spi­tä­lern und keine ver­nünf­ti­ge Pla­nung – das ist nicht neu, son­dern hat uns die WHO schon 1969 (!) auf­ge­zeigt.

   Wegen feh­len­der Ab­stim­mung lie­gen 900.000 Pa­ti­en­ten, die am­bu­lant be­han­delt wer­den könn­ten, un­nö­tig in Spi­tä­lern. Von die­sen ste­cken sich 50.000 mit Spi­tals­kei­men an (das ist nicht zu ver­hin­dern!) und ei­ni­ge Hun­dert wer­den ster­ben – un­nö­tig. Ab­ge­se­hen davon, dass das ein bis zwei Mil­li­ar­den Euro un­nö­ti­ger Kos­ten er­zeugt, soll­te es doch Ziel sein, Pa­ti­en­ten nicht un­nö­tig zu scha­den.

   Wenn also die Rede von der Kas­sen­fu­si­on ist, soll­te es nicht um ein paar hun­dert Ver­sor­gungs­pos­ten gehen; Thema ist, dass die Ab­stim­mung zwi­schen Kran­ken­kas­sen, Ärz­te­kam­mern und Spi­tals­trä­gern seit Jahr­zehn­ten nicht klappt – es gibt ein­fach viel zu viele und vor allem schlecht de­fi­nier­te Ent­schei­dungs­ebe­nen.

   Die Idee, dass we­ni­ge, bun­des­wei­te Kas­sen einer bun­des­wei­ten Spi­tals­pla­nung ge­gen­über­ste­hen, ist lo­gisch. Umso mehr, als es eben auch bun­des­wei­te Re­geln für Bei­trä­ge und Steu­ern gibt. Man kann es auch an­ders ma­chen: neun Län­der und neun Kas­sen, die Steu­ern und Bei­trä­ge selbst ein­he­ben und selbst schau­en, wie sie die Fi­nan­zie­rung der Pa­ti­en­ten, die Bun­des­län­der­gren­zen über­schrei­ten, hin­krie­gen (im Spi­tals­be­reich ist die­ses „Gast­pa­ti­en­ten-Pro­blem“ seit 25 Jah­ren ein Pro­vi­so­ri­um). Gänz­lich ab­ge­schafft müss­ten dann die bun­des­wei­ten Kas­sen der Be­am­ten, Bau­ern, Selb­stän­di­gen und auch die AUVA wer­den.

   Aber, das wol­len die Län­der auch nicht. Mir scheint, denen schwebt Fol­gen­des vor.

   Das SV-Sys­tem be­steht ja aus Kran­ken-, Un­fall-, und Pen­si­ons-Ver­si­che­run­gen. Ei­ni­ge Trä­ger bie­ten alle (etwa VAEB), an­de­re nur zwei (etwa BVA), viele nur eine (GKKs, PVA, AUVA, VA des ös­terr. No­ta­ri­ats) Ver­si­che­rung an.

   Nimmt man das Re­gie­rungs­pro­gramm wört­lich und zieht von „ma­xi­mal fünf SV“ die PVA ab, blei­ben ma­xi­mal vier für Kran­ken und Un­fall­ver­si­che­rung.

   Selb­stän­di­ge (Bau­ern, Un­ter­neh­mer) er­hal­ten eine ge­mein­sa­me (schwar­ze) Kran­ken­kas­se – es wird die ein­zi­ge Fu­si­on blei­ben. Denn, die (schwar­ze) BVA muss blei­ben, sagt die Ver­fas­sung. Au­ßer­dem, wie soll diese mit den (über­wie­gend roten) KFAs und der (roten) VAEB fu­sio­nie­ren. Womit klar ist, die VAEB bleibt auch. Die KFAs sind ja ei­gent­lich keine SV, also zäh­len sie nicht. Jetzt haben wir drei SV – bleibt nur noch Platz für eine wei­te­re, näm­lich die (farb­lo­se?) ÖKK, also die zu einer Kassa fu­sio­nier­ten (teils schwar­zen, über­wie­gend roten) GKKs. Aber wo bleibt die (schwar­ze) AUVA? Nun, da gibt es eine Lö­sung.

    Die „ma­xi­mal fünf SV“ könn­ten ja, ein biss­chen po­li­ti­scher Wille vor­aus­ge­setzt, erst nach Abzug der PVA gel­ten? Dann ist Platz für die AUVA. Und wenn die ÖKK aus neun au­to­no­men Zwei­gen be­steht, haben wir sie: die Kas­sen­fu­si­on, bei der „ma­xi­mal fünf SV“ üb­rig­ge­blie­ben sind, ohne viel zu än­dern – außer, dass es ein neues Gre­mi­um gibt, dass sich ÖKK nennt. Kommt das, haben Re­gie­rung, Be­völ­ke­rung und Pa­ti­en­ten ver­lo­ren und die alten Macht­struk­tu­ren, die die paar hun­dert Ver­sor­gungs­pos­ten nicht auf­ge­ben wol­len, ge­won­nen.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 091 vom 11.05.2018 

Die systemrelevante Allgemeine Unfallversicherungsanstalt?

Die Dis­kus­si­on rund um die AUVA ist ab­surd über­zo­gen, ver­un­si­chert alle und ist doch nur ein Macht­kampf.

Wei­ter­le­sen: Die sys­tem­re­le­van­te All­ge­mei­ne Un­fall­ver­si­che­rungs­an­stalt?

   Von Kahl­schlag und Ka­putt­spa­ren wird ge­spro­chen, man­cher fühlt sich gar in den au­to­ri­tä­ren Stän­de­staat zu­rück­ver­setzt. Und was hören Bür­ger und Pa­ti­en­ten her­aus? Un­fall­kran­ken­häu­ser (UKH) wer­den ge­sperrt, 370.000 Ver­letz­te wer­den, wenn sie nicht auf der Stra­ße ver­blu­ten wol­len, alles selbst be­zah­len müs­sen.

   Ist das so? In Ös­ter­reich wer­den 2,8 Mil­lio­nen Men­schen jähr­lich in Spi­tä­ler auf­ge­nom­men – 40.000 davon in UKH. In Spi­tals­am­bu­lan­zen fal­len 8,9 Mil­lio­nen Fälle an – 330.000 davon in UKH. Selbst in der flä­chen­de­cken­den Un­fall­ver­sor­gung sind UKH nur von ge­rin­ger Be­deu­tung: Denn mit sie­ben Spi­tä­lern in fünf Bun­des­län­dern ver­sor­gen sie we­ni­ger als ein Fünf­tel aller Un­fall­op­fer.

   Wenn jetzt, wie man­che skan­die­ren, alle UKH über Nacht zu­sperr­ten, würde die Ver­sor­gung der Pa­ti­en­ten Pro­ble­me be­rei­ten, aber kei­nes­falls zu­sam­men­bre­chen – dafür sind es ein­fach zu we­ni­ge.

   Und an das Schlie­ßen denkt nie­mand – es geht auch nicht. Denn, jeder hat ein Recht auf Ver­sor­gung, und weil die Un­fall­kran­ken­häu­ser ver­sor­gungs­wirk­sam sind, muss deren Leis­tung, un­ab­hän­gig, ob es die AUVA in der heu­ti­gen Form gibt oder nicht, auf­recht­er­hal­ten wer­den.

   Und das ist der Grund für den Po­lit-Streit. In UKH wer­den zu 90 Pro­zent Pa­ti­en­ten be­han­delt, für die diese nicht zu­stän­dig sind – näm­lich sol­che nach Frei­zeit­un­fäl­len. Zu­stän­dig wären die Kran­ken­kas­sen. Die je­doch haben die „nor­ma­le“ Spi­tals­ver­sor­gung den Län­dern über­tra­gen und zah­len dafür, pau­schal und un­ab­hän­gig von der An­zahl der Pa­ti­en­ten, einen de­fi­nier­ten Pro­zent­satz ihrer Ein­nah­men. Diese Pau­scha­le deckt je­doch nur die Hälf­te der an­fal­len­den Spi­tals­kos­ten ab – der Rest kommt aus den Lan­des­bud­gets.

   UKH sind aber keine „nor­ma­len“ Spi­tä­ler. Die Kas­sen, und das ist recht­lich gar nicht an­ders mög­lich, be­zah­len ihnen in etwa das Glei­che wie „nor­ma­len“ Spi­tä­lern. Da UKH aber keine Län­der haben, um De­fi­zi­te zu de­cken, muss die AUVA das aus Bei­trä­gen stem­men. Es han­delt sich also um eine Quer­sub­ven­ti­on der Kran­ken­kas­sen und Län­der durch die AUVA. Der Quell eines Jahr­zehn­te alten Po­lit-Streits.

   Dazu kommt, dass die sta­tio­nä­re Un­fall­ver­sor­gung im „nor­ma­len“ Spi­tal pro Pa­ti­ent etwa 3400 Euro kos­tet, im UKH 5700 Euro. Ob diese Dif­fe­renz ge­recht­fer­tigt ist, ist nicht eru­ier­bar. Wenn sie ge­recht­fer­tigt ist, dann haben wir es mit einer öf­fent­lich fi­nan­zier­ten Zwei-Klas­sen-Me­di­zin zu tun; wenn sie es nicht ist, kann man dar­aus auf die Mo­ti­va­ti­ons­la­ge jener schlie­ßen, die mit der Ver­un­si­che­rung der Pa­ti­en­ten um den Er­halt des AU­VA-Sys­tems (eine selbst­ver­wal­te­te In­sti­tu­ti­on, die ei­ge­ne me­di­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen be­treibt – ein in­ter­na­tio­nal sel­te­nes Mo­dell) kämp­fen.

   Wie es aus­sieht, schafft es auch diese Re­gie­rung nicht, einen trans­pa­ren­ten Re­form­pro­zess zu star­ten, der es den re­la­tiv we­ni­gen „Sys­tem­pro­fi­teu­ren“ ver­un­mög­licht, Pa­ti­en­ten zu ver­un­si­chern und vor die ei­ge­nen In­ter­es­sen zu schie­ben. Wie ka­ta­stro­phal der Pro­zess läuft, sieht man im Üb­ri­gen daran, dass sich die SPÖ ohne Pro­ble­me schüt­zend vor jene AUVA stel­len kann, die sie vor einem Jahr, im Rah­men einer Re­form, noch selbst ab­schaf­fen woll­te.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 077 vom 19.04.2018  

Gesundheit im Regierungsprogramm

Das Ka­pi­tel Ge­sund­heit um­fasst nur fünf Sei­ten, dazu noch eine Seite Pfle­ge – aber die In­hal­te haben es in sich.

Wei­ter­le­sen: Ge­sund­heit im Re­gie­rungs­pro­gramm

   Im Grun­de wird eine Fülle von Schlag­wor­ten – oder Schlag­sät­zen – an­ein­an­der­ge­reiht. Ob da­hin­ter de­tail­lier­te­re Ge­dan­ken oder ope­ra­tio­na­li­sier­ba­re Kon­zep­te ste­hen, bleibt un­klar. Zu ver­mu­ten ist es, da sich ei­ni­ges unter meh­re­ren Über­schrif­ten des Re­gie­rungs­pro­gramms wie­der­holt – zu­min­dest hof­fen soll­te man das.

    Klar ist, dass es in Bezug auf das Ge­sund­heits­we­sen in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren nie­mals ein mu­ti­ge­res Re­gie­rungs­pro­gramm gab. Üb­li­cher­wei­se wird ein mu­ti­ges Vor­ha­ben im Rah­men der Ver­hand­lun­gen der­art ent­stellt, dass das, was übrig bleibt, eine gut klin­gen­de An­lei­tung zum Wa­schen ohne Nass­wer­den ist. Nicht dies­mal.

   Da ist ein­mal die Idee, die 22 So­zi­al­ver­si­che­run­gen (also nicht nur Kas­sen) zu fünf zu fu­sio­nie­ren – ein ech­ter Ta­bu­bruch. Zwar wird fest­ge­hal­ten, dass das alles nur ge­mein­sam mit den Län­dern und unter Wah­rung der par­ti­zi­pa­ti­ven Selbst­ver­wal­tung pas­sie­ren soll – al­lei­ne, dass es da steht, ist für einen lang­jäh­ri­gen Be­ob­ach­ter aber atem­be­rau­bend.

    Be­trach­tet man zudem, dass de­zi­diert fest­ge­hal­ten wird, dass es künf­tig statt fö­de­ra­ler Ärz­te-Ge­samt­ver­trä­ge nur mehr ös­ter­reich­wei­te und zudem fle­xi­ble­re Kas­sen­ver­trä­ge (die re­gio­na­le Zu- und Ab­schlä­ge er­lau­ben) geben soll, will man der Re­gie­rung Re­form­wil­len ab­kau­fen. Nie­mand stellt so etwas vor, wenn er es nicht um­set­zen will, ist doch der po­li­ti­sche Scha­den pas­siert, so­bald man es an­kün­digt.

   Die Idee der Ent­las­tung des spi­tals­am­bu­lan­ten Be­reichs ist nicht neu. Auch nicht, dass es zu einer An­pas­sung der Fi­nan­zie­rungs­strö­me (Geld folgt Leis­tung; am­bu­lan­te und nie­der­ge­las­se­ne Fi­nan­zie­rung) kom­men muss. Nimmt sich die Re­gie­rung ernst, wird sie end­lich Ge­set­ze ver­ab­schie­den, die einen sinn­vol­len Geld­fluss zwi­schen die­sen bei­den Wel­ten er­mög­li­chen – 20 Jahre nach dem Er­ken­nen des Pro­blems der dua­len Fi­nan­zie­rung der am­bu­lan­ten ärzt­li­chen Ver­sor­gung (steu­er­fi­nan­zier­te Spi­tals­am­bu­lan­zen und kas­sen­fi­nan­zier­te Ver­trags­ärz­te). Be­ein­dru­ckend.

   Und schließ­lich fin­det man noch etwas: Die Fi­nan­zie­rung von Ge­sund­heit, Vor­sor­ge und Pfle­ge muss ge­samt­heit­lich be­trach­tet wer­den. Bis dato wurde immer nur bis zur Pfle­ge ge­dacht und pein­lich genau dar­auf ge­ach­tet, dass Pfle­ge im So­zi­al­sys­tem vom Ge­sund­heits­sys­tem ge­trennt blieb. Diese Schnitt stel­le wird auf­ge­weicht, indem das Geld­leis­tungs­prin­zip der Pfle­ge durch Ge­wäh­rung von Sach­leis­tun­gen kom­ple­men­tiert wer­den soll. Die „Be­mü­hun­gen zur Fes­ti­gung der Ge­sund­heit und der Prä­ven­ti­on für Pfle­ge­be­dürf­ti­ge, um eine Sta­bi­li­sie­rung be­zie­hungs­wei­se eine Ver­bes­se­rung ihrer Si­tua­ti­on zu er­rei­chen“ – so im Re­gie­rungs­pro­gramm – wür­den er­heb­lich er­leich­tert.   

Ob das alles kommt oder am Ende doch nur Show ist wie die meis­ten Re­gie­rungs­pro­gram­me, wer­den wir bald er­ken­nen kön­nen. Denn so re­vo­lu­tio­när das alles klingt, in der Um­set­zung wird es we­sent­lich davon ab­hän­gen, wer wel­che Ve­to­rech­te er­hält. Wenn, wie in der Ver­gan­gen­heit üb­lich, Län­dern, Kas­sen und Kam­mern groß­zü­gi­ge Ve­to­rech­te ein­ge­räumt wer­den oder in Gre­mi­en immer nur ein Ein­stim­mig­keits­prin­zip ein­ge­führt wird, dann wird alles – wie immer – in der An­kün­di­gung ste­cken blei­ben

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 247 vom 22.12.2017  

Eine Studie, die keine oder alle Schlüsse zulässt

630.000 Euro für 1400 Sei­ten, davon 930 in ge­sund­heits­öko­no­mi­schem Fa­cheng­lisch, die un­über­setzt blie­ben.

Wei­ter­le­sen: Eine Stu­die, die keine oder alle Schlüs­se zu­lässt

   Leich­te Kost ist die Stu­die nicht. Die Rede ist von einer Stu­die der Lon­don School of Eco­no­mics (LSE) im Auf­trag des So­zi­al­mi­nis­te­ri­ums, die    eine Hand­lungs­an­lei­tung zur Re­form der So­zi­al­ver­si­che­rung geben soll­te.

Nach der Lek­tü­re ei­ni­ger hun­dert Sei­ten stellt sich das Werk als Zu­sam­men­fas­sung be­kann­ter Lehr­mei­nun­gen und Theo­ri­en ohne ei­ge­ne Be­rech­nun­gen dar – also ein Lehr­buch. Eine Stu­die, die hel­fen soll Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, ist es nicht – nicht nur wegen des Um­fangs. Selbst dort, wo es Vor­schlä­ge gibt, bleibt es eine Auf­zäh­lung von dem, was die Lehre der Ge­sund­heits­sys­tem­for­schung an­zu­bie­ten hat. Eine Be­wer­tung der Vor­schlä­ge fehlt, womit be­lie­big ge­wählt wer­den kann. Und so ver­wun­dert es nicht, dass sich alle auf das so­ge­nann­te „Mo­dell 4“ stür­zen, das alles so bei­be­hält, wie es ist, und nur durch mehr Ri­si­ko­struk­tur­aus­gleich und bes­se­re Ko­or­di­na­ti­on durch ge­mein­sa­me Ser­vice­zen­tren er­gänzt.

Nun, in der Stu­die (Ka­pi­tel 4, Seite 131 ff) klingt das an­ders.

   Da wird klar, wie mäch­tig diese ge­mein­sa­men „Ser­vice­zen­tren“ sein müss­ten; sie über­näh­men alle we­sent­li­chen Auf­ga­ben aller Kran­ken­kas­sen, wie etwa die Ver­hand­lun­gen mit den Ärz­te­kam­mern. Es wäre daher eine Art vir­tu­el­le Kas­sen­fu­si­on. Zudem müss­ten alle Kas­sen all ihr Geld (nicht nur zwei Pro­zent) in einen Topf wer­fen, von dem dann, je nach Krank­heits­ri­si­ko der Ver­si­cher­ten, mehr oder we­ni­ger zu­rück­fließt. Und weil es keine weit­rei­chen­den Ge­set­zes­än­de­run­gen geben darf (so die Prä­mis­se des Mo­dells 4), muss alles frei­wil­lig sein.

Da aber, wie zu lesen, er­heb­li­che Rechts­ri­si­ken blie­ben, etwa, dass die Be­am­ten­ver­si­che­rung aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Grün­den bei so einem Ri­si­ko­struk­tur­aus­gleich nicht mit­ma­chen könn­te, schlägt man Mi­ni­schrit­te vor, an deren Ende die der­zei­ti­ge Ver­fas­sung um­gan­gen wer­den kann. Damit das funk­tio­niert, soll der Staat mit Steu­er­geld in den Ri­si­ko­aus­gleich ein­stei­gen, frei­lich ohne mehr Mit­spra­che­recht in der Selbst­ver­wal­tung zu er­hal­ten.

Nach Schät­zun­gen würde das etwa 1,2 Mil­li­ar­den Euro aus­ma­chen, die in hö­he­re Arzt­ho­no­ra­re (eine Stei­ge­rung um ein Drit­tel zu heute) flie­ßen müss­ten. Das ist schwie­ri­ger um­zu­set­zen als eine Ver­fas­sungs­än­de­rung, die in den Mo­del­len 1 bis 3 not­wen­dig wäre. Aber das macht nichts, kaum je­mand kann so gut Eng­lisch, dass er ge­sund­heits­öko­no­mi­sche Fach­li­te­ra­tur lesen kann. Und weil die­ses Werk so dick und un­über­sicht­lich ist, wer­den selbst die, die es könn­ten, nicht mo­na­te­lang dar­über brü­ten. Die, die es tun, wer­den es tun, um her­aus­zu­le­sen, was für die ei­ge­ne In­sti­tu­ti­on passt. Und weil nie­mand nach­le­sen kann/will/wird, kom­men die damit lo­cker durch.

Und so hören wir, dass „die LSE-Stu­die der be­ste­hen­den Struk­tur der So­zi­al­ver­si­che­run­gen ein sehr gutes Zeug­nis aus­ge­stellt hat“, auch wenn dort steht, dass „davon aus­ge­gan­gen wer­den muss, dass zur­zeit die Ge­sund­heits­er­geb­nis­se in­ner­halb der Be­völ­ke­rung schlech­ter und die Ge­samt­kos­ten höher aus­fal­len, als dies in einem ko­or­di­nier­ten Sys­tem der Fall wäre“.

   P.S.: Er­schre­ckend ist die Feh­ler­quo­te. Bei einer mo­na­te­lan­gen Ver­zö­ge­rung und einem Preis von etwa 500 Euro pro Seite könn­te man ein Lek­to­rat er­war­ten – oder wurde noch ganz schnell um­ge­schrie­ben?

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 169 vom 31.08.2017