Die größte Strukturreform der Zweiten Republik

(Le­se­zeit 20 Mi­nu­ten) Eine aus­führ­li­che Wür­di­gung einer als Struk­tur­re­form ge­tarn­ten Tür­schild­re­form, die einen bil­lig schme­cken­den par­tei­po­li­ti­schen Nach­ge­schmack hin­ter­lässt

„Das ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­we­sen zeigt das Bild be­acht­li­cher Ver­schie­den­heit durch un­ter­schied­lichs­te Trä­ger, wo­durch eine über­re­gio­na­le Zu­sam­men­ar­beit zu­guns­ten von „Ei­gen­in­ter­es­sen“ be­hin­dert wird. […] Die Exis­tenz so vie­ler Trä­ger ist nicht ge­eig­net, die Ent­wick­lung eines ra­tio­nel­len, auf­ein­an­der ab­ge­stimm­ten und rei­bungs­los funk­tio­nie­ren­den Sys­tems zu för­dern. […] Zwi­schen in­tra­mu­ra­lem und ex­tra­mu­ra­lem Be­reich be­steht eine schar­fe Trenn­li­nie. Es exis­tie­ren Zwei­glei­sig­kei­ten in der Ar­beit von Spi­tä­lern und Ärz­ten in der Pra­xis.  […] Es gibt die stei­gen­de Ten­denz der prak­ti­zie­ren­den Ärzte, ihre Pa­ti­en­ten in ein Spi­tal ein­zu­wei­sen – diese Ten­denz wird unter an­de­rem durch das Ho­no­rie­rungs­sys­tem ge­för­dert. […] Die Vor­sor­ge für die ärzt­li­che Be­treu­ung alter Men­schen und chro­nisch Er­krank­ter ist im All­ge­mei­nen un­zu­läng­lich.“

Und:

„Trotz ver­schie­dens­ter Be­mü­hun­gen um eine ver­stärk­te Ko­or­di­nie­rung und An­glei­chung der In­ter­es­sen muss­ten wir fest­stel­len, dass das ös­ter­rei­chi­sche Ge­sund­heits­sys­tem auf­grund sei­ner viel­schich­ti­gen Ver­wal­tungs­struk­tur und dua­len Fi­nan­zie­rung kom­plex und frag­men­tiert ist. […] Be­son­ders die Auf­tei­lung der Fi­nan­zie­rung von in­tra- und ex­tra­mu­ra­len Leis­tun­gen zwi­schen den Bun­des­län­dern und So­zi­al­ver­si­che­run­gen kann die Be­treu­ungs­kon­ti­nui­tät be­ein­träch­ti­gen und zu Kos­ten­ver­schie­bun­gen füh­ren.  Des­halb muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass zur­zeit die Ge­sund­heits­er­geb­nis­se in­ner­halb der Be­völ­ke­rung schlech­ter und die Ge­samt­kos­ten höher aus­fal­len, als dies in einem ko­or­di­nier­ten Sys­tem der Fall wäre.“

Zwi­schen die­sen bei­den Aus­sa­gen lie­gen fast 50 Jahre. Die erste stammt vom Re­gio­nal­bü­ro für Eu­ro­pa der WHO ( „Be­spre­chung des Spi­tals­we­sen in Ös­ter­reich mit Emp­feh­lung für künf­ti­ge Ent­wick­lun­gen“ Ok­to­ber 1969), die an­de­re aus der „Ef­fi­zi­enz­ana­ly­se des ös­ter­rei­chi­schen So­zi­al­ver­si­che­rungs- und Ge­sund­heits­sys­tems“ der Lon­don School of Eco­no­mics and Po­li­ti­cal Sci­ence (LSE 2017)

Was kri­ti­sie­ren diese bei­den Stu­di­en? Unser Sys­tem

Wei­ter­le­sen „Die größ­te Struk­tur­re­form der Zwei­ten Re­pu­blik“

Wer verhindert eigentlich eine echte Gesundheitsreform?

Wie in einem Feu­dal­sys­tem wer­den Pfrün­de ver­tei­digt und eine pa­ti­en­ten­ori­en­tier­te Re­form des Ge­sund­heits­sys­tems seit Jahr­zehn­ten ver­hin­dert.

Schat­ten­spie­le waren in den letz­ten Tagen zu be­ob­ach­ten. Neben dem nicht ein­mal wahr­ge­nom­me­nem Auf­stand der Jung­ärz­te, die sich end­lich (!) Gehör für eine bes­se­re Aus­bil­dung schaf­fen wol­len, waren da noch die Kas­sen­sa­nie­rung und die Ärz­te-Gmb­Hs. Und in­halt­lich, wenn auch mit deut­lich ge­rin­ge­rem me­dia­len In­ter­es­se, wurde vom Haupt­ver­band der „Mas­ter­plan Ge­sund­heit“ für den Herbst in Aus­sicht ge­stellt; darin ent­hal­ten, die Ideen einer Spi­tals­re­form und die Fi­nan­zie­rung aus einem Topf.

Der Herbst wurde aus zwei Grün­den ge­wählt: ers­tens weil zu­erst ein­mal alle (pseu­do)strei­ten müs­sen, bevor sie ver­han­deln kön­nen. Und zwei­tens ist da noch der Fi­nanz­aus­gleich, der zwar erst 2013 auf­ge­schnürt wer­den soll­te, doch die Län­der so plei­te sind, dass sie nach den Wah­len an ein Auf­schnü­ren den­ken. Ob der „Mas­ter­plan Ge­sund­heit“ auch die über­fäl­li­ge Kas­sen­re­form be­deu­tet, ist un­klar – wahr­schein­lich geht es je­doch nur um unser Geld, das neu ver­teilt und neu be­schafft wer­den soll; also, ob Steu­er- oder Bei­trags­er­hö­hun­gen kom­men. An eine echte Re­form denkt wohl kaum wer.

Viel­leicht ist es Zeit zu fra­gen, warum seit 40 Jah­ren keine echte Re­form statt­fin­det und sie immer un­wahr­schein­li­cher wird.

Ich be­haup­te, dass es immer mehr „Sys­te­mer­hal­ter“ gibt, die einen Le­bens­stan­dard er­reicht haben, den sie unter „nor­ma­len“ Um­stän­den nicht er­reicht hät­ten, sei es was ihr Ein­kom­men, oder aber ihre Macht be­trifft. Es sind die ge­setz­li­chen Mo­no­po­le, die sie dort hin ge­bracht haben und nicht Qua­li­fi­ka­ti­on oder der Be­darf nach ihrer Ar­beits­kraft.

Da wären ein­mal die Kas­sen-Ob­män­ner und deren Stell­ver­tre­ter, deren Jobs nur durch das kom­pli­zier­te Sys­tem ent­ste­hen. Eine Re­form würde sie ar­beits- und macht­los ma­chen. Selbst viele der lei­ten­den An­ge­stell­ten in den 21 Kran­ken­kas­sen sit­zen ver­mut­lich an Po­si­tio­nen, die we­ni­ger mit ihrer Kom­pe­tenz als mehr mit ihrem ge­werk­schaft­li­chen Hin­ter­grund zu tun haben. Auch in Kam­mern, allen voran in Ärz­te­kam­mern, de­fi­nie­ren sich viele nur durch die Ver­wor­ren­heit der Kom­pe­tenz­struk­tu­ren. Auf Sei­ten der Län­der und Ge­mein­den gibt es hau­fen­wei­se Mit­ar­bei­ter, die nur be­nö­tigt wer­den, weil es so viele Kran­ken­häu­ser gibt, an denen nur fest­ge­hal­ten wird, weil sie Spiel­wie­sen für po­li­ti­sche Pos­ten­be­set­zung sind, von der Ver­wal­tung an­ge­fan­gen bis hin zur Ver­tei­lung von Me­di­zi­ner-Aus­bil­dungs­plät­zen. Selbst bei den Pri­mar­ärz­ten scheint es so, dass viel ihren Job nicht haben, weil sie die best­ge­eig­ne­ten, son­dern weil sie die po­li­tisch best­ver­netz­ten sind.

Am Ende sind es aber trotz­dem nicht mehr als viel­leicht zwei tau­send Per­so­nen, die bei einer ech­ten Re­form Po­si­ti­on und Ein­fluss ver­lie­ren. Was ist das schon im Ver­hält­nis zu den zehn­tau­sen­den, deren Jobs durch die Wirt­schafts­kri­se auf Dauer ver­nich­tet wur­den? Gar nichts! Alle an­de­ren fast 500.000 Men­schen, die für die Pa­ti­en­ten und nicht das Sys­tem ar­bei­ten, wür­den bei einer ech­ten Re­form wei­ter be­nö­tigt, auch wenn die da oben so tun, als ob Kün­di­gungsla­wi­nen droh­ten – ein rei­nes Macht­spiel. Denn, wenn man diese paar Tau­send ge­nau­er be­trach­tet, dann ste­hen sie ganz oben in der Nah­rungs­ket­te. Und dort wer­den sie alles tun, nur um eine Re­form zu ver­hin­dern, die das Ende ihrer Macht be­deu­tet.

Und wer die Me­di­en be­ob­ach­tet, kann diese Spiel sacht er­ken­nen. Denn warum be­rich­ten alle über Ärz­te-Gmb­Hs und Kas­sen­sa­nie­rung, nie­mand aber über das für Pa­ti­en­ten wich­ti­ge­re Thema der Aus­bil­dung der Jung­ärz­te?

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Fe­bru­ar 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.