Das Mega-Projekt „einheitlicher Leistungskatalog“

   Man­ches dau­ert in Ös­ter­reich, bis es kommt. Aber es kommt. Viel­leicht. Oder eher nicht.

Wei­ter­le­sen: Das Me­ga-Pro­jekt „ein­heit­li­cher Leis­tungs­ka­ta­log“

   In all dem Tru­bel um Kor­rup­ti­on und den as­so­zi­ier­ten Ab­len­kungs­ma­nö­vern ist sie be­liebt: die Pres­se­kon­fe­renz, in der etwas an­ge­kün­digt, ja eine aus­ge­druck­te Va­ri­an­te des An­ge­kün­dig­ten sogar in die Höhe ge­hal­ten wird, von dem dann aber nie­mand Ge­naue­res weiß. Und das macht auch die Ärz­te­kam­mer, die quasi aus dem Nichts her­aus die Be­en­di­gung eines „Me­ga-Pro­jek­tes“ ver­kün­det . Auf 150 Sei­ten soll die jah­re­lan­ge Ar­beit von 200 Ex­per­ten zu­sam­men­ge­fasst wor­den sein. Der In­halt: der seit lan­gem in der Dis­kus­si­on ste­hen­de „ein­heit­li­che Leis­tungs­ka­ta­log“ – al­ler­dings nur für Kas­sen­ärz­te.

   Um das ein­zu­ord­nen, muss man ge­sund­heits­po­li­ti­scher Ar­chäo­lo­ge sein.

   Es liegt jetzt ein Vier­tel­jahr­hun­dert zu­rück, dass wir der EU bei­ge­tre­ten sind. Da­mals muss­te, zwecks Ver­schleie­rung der Spi­tals­fi­nan­zen, die Fi­nan­zie­rung völ­lig re­for­miert wer­den. Im Rah­men die­ser Re­form, der Ein­füh­rung der „Leis­tungs­ori­en­tier­ten Kran­ken­an­stal­ten-Fi­nan­zie­rung“ (LKF), wurde auch die Am­bu­lanz­fi­nan­zie­rung re­for­miert. Ohne auf De­tails ein­zu­ge­hen, war schon da­mals klar, dass man, will man kein (noch grö­ße­res) Pro­blem mit der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung er­zeu­gen, alle (!) Leis­tungs­er­brin­ger ge­mein­sam be­trach­ten und steu­ern muss. Wenn nicht, wird die­ser Be­reich (noch stär­ker) in Sub­sys­te­me zer­fal­len, die sich ge­gen­sei­tig ab­schot­ten. Des­halb wurde be­reits 1996 fest­ge­legt: „Im am­bu­lan­ten Be­reich ist spä­tes­tens ab 1. Juli 2001 in Mo­dell­ver­su­chen eine ge­eig­ne­te Dia­gno­sen- und Leis­tungs­do­ku­men­ta­ti­on zu er­pro­ben. (…) für die Leis­tungs­do­ku­men­ta­ti­on ist ein pra­xis­ori­en­tier­ter, leicht ad­mi­nis­trier­ba­rer Leis­tungs­ka­ta­log an­zu­wen­den.“

   Pas­siert ist das aber alles nicht – bis heute. Span­nend ist, dass es so um 2003 ein Pro­jekt auf Bun­des­ebe­ne gab, das die­sen Ka­ta­log end­lich ent­wer­fen soll­te, weil Ärz­te­kam­mern und Spi­tals­trä­ger nicht in die Gänge kamen. Das wurde na­tür­lich boy­kot­tiert. Und um das ei­ge­ne Sub­sys­tem zu er­hal­ten – also die ho­heit­li­che Ver­hand­lung über Leis­tun­gen und Ho­no­ra­re –, hat das höchs­te Gre­mi­um der Ärz­te­kam­mer, der Ärz­te­kam­mer­tag, im Jahr 2005 (oder war es 2004?) be­schlos­sen, die Ent­wick­lung die­ses Ka­ta­lo­ges an sich zu zie­hen. Auf diese 16 oder 17 Jahre muss sich also die Aus­sa­ge des jah­re­lan­gen „Me­ga-Pro­jekts“ be­zie­hen. Man stel­le sich vor, was für Leis­tun­gen das sein müs­sen, für die man ein­ein­halb Jahr­zehn­te braucht, um sie zu de­fi­nie­ren. Ge­wal­ti­ge – und si­cher top­mo­dern. Im­mer­hin ist der me­di­zi­ni­sche Fort­schritt ja nur ge­ring (Ach­tung, Sar­kas­mus!).   

Rea­li­ter ist es oh­ne­hin an­ders. Denn der 150 Sei­ten dicke Ka­ta­log ist, wie man hört, eine Über­schrif­ten­samm­lung auf Basis der Ho­no­rar­ord­nung der Ver­si­che­rungs­an­stalt öf­fent­li­cher Be­diens­te­ter, Ei­sen­bah­nen und Berg­bau. Die­ser BVA-Ka­ta­log war immer schon der aus­führ­lichs­te und der mit den höchs­ten Ho­no­ra­ren. Prak­ti­ka­bel ist er ge­nau­so wenig wie alle an­de­ren. Er ist der Wunsch­traum der Ärz­te­kam­mer­funk­tio­nä­re, die sich nächs­tes Jahr Wah­len stel­len und so in Po­si­ti­on brin­gen. Denn wie nicht an­ders zu er­war­ten, haben be­reits alle Lan­des­ärz­te­kam­mern in der ÖGK ge­mel­det, dass sie ei­gen­stän­dig ver­han­deln wol­len. Der „ein­heit­li­che Ka­ta­log“ ist also so weit weg wie eh und je – und wird nie­mals kom­men.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 27.05.2021 

Definitiv nicht die „größte Strukturreform der Zweiten Republik“

  Ein Berg hat ge­kreißt, eine Maus wurde ge­bo­ren! Die Kas­sen­re­form ist nicht für Pa­ti­en­ten ge­macht, son­dern ein par­tei­po­li­ti­sches Hick­hack.

Wei­ter­le­sen: De­fi­ni­tiv nicht die „größ­te Struk­tur­re­form der Zwei­ten Re­pu­blik“

   Dank kli­en­tel­po­li­ti­scher Ge­set­ze ist die am­bu­lan­te Akut­ver­sor­gung au­ßer­halb der Spi­tä­ler völ­lig zer­split­tert. Hier agie­ren 19 Kran­ken­kas­sen (KK) und 15 Kran­ken­für­sor­gean­stal­ten (KFA), deren Ei­gen­tü­mer po­li­tisch klar zu­ge­ord­net wer­den kön­nen, deren Ver­si­cher­te aber keine Wahl haben. Die Leis­tungs­spek­tren wer­den über Leis­tungs- und Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge de­fi­niert, die mit an­de­ren Mo­no­po­lis­ten ver­han­delt wer­den – den zehn Ärz­te­kam­mern.

   Wie viele Ka­ta­lo­ge im Um­lauf sind, ist nicht klar, denn KFAs ent­zie­hen sich jeg­li­cher Kon­trol­le, am Ende sind es mehr als 20. Wie in­ho­mo­gen die­ses „Preis­sys­tem“ ist, zeigt, dass bei­spiels­wei­se ein EKG im Rah­men eines Haus­be­su­ches bei einem Ver­si­cher­ten der Ge­biets­kran­ken­kas­se (GKK) in Nie­der­ös­ter­reich mit 53 Euro ho­no­riert wird, bei einem GKK-Pa­ti­en­ten in der Stei­er­mark aber nur mit 13 Euro.

   Die glei­chen Ver­hand­ler be­stim­men über Kas­sen-Stel­len­plä­ne auch die Kas­sen­arzt-Dich­te – eben­falls in­ho­mo­gen. So ist die Kas­sen-Fach­arzt­dich­te im Wes­ten Wiens dop­pelt so hoch wie die im Mühl­vier­tel, ob­wohl es dort nicht an jeder Ecke Spi­tals­am­bu­lan­zen gibt. In der Folge wer­den Pa­ti­en­ten nicht dort be­han­delt, wo es sinn­voll wäre, son­dern dort, wo An­ge­bot und Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge sie hin­len­ken. Um das zu re­for­mie­ren, muss man tief in die Sys­tem­ar­chi­tek­tur ein­grei­fen. Und das hat die Re­gie­rung ver­spro­chen. Nun wurde die Re­form vor­ge­stellt, mit der Kas­sen fu­sio­niert und Leis­tun­gen har­mo­ni­siert wer­den – al­lei­ne, die De­tails spre­chen eine an­de­re Spra­che. Die KFAs, die tra­di­tio­nell die höchs­ten Ho­no­ra­re (min­des­tens dop­pelt so hoch wie die der GKKs) be­zah­len, wur­den nicht an­ge­rührt. Zwar ist die Zahl der Ver­si­cher­ten ver­hält­nis­mä­ßig klein und daher könn­te man dar­über hin­weg­se­hen, doch, da KFA-Ver­si­cher­te haupt­säch­lich in Bal­lungs­räu­men leben, stel­len sie für Ärzte einen An­reiz dar, dort zu or­di­nie­ren. Ana­lo­ges gilt für SVA und BVA, die eben­falls ihre Ka­ta­lo­ge be­hal­ten. Damit wurde die Chan­ce ver­passt, für Ärzte An­rei­ze zu set­zen, sich au­ßer­halb von Bal­lungs­räu­men nie­der­zu­las­sen.

   Kern­stück der Re­form soll aber die Fu­si­on der neun GKKs zu einer ÖGK sein. Ver­spro­chen wurde ein ein­heit­li­cher Leis­tungs- und Ho­no­rar­ka­ta­log. Doch, jedes Bun­des­land be­hält eine au­to­no­me Lan­des­stel­le, die wei­ter mit den re­gio­na­len Ärz­te­kam­mern ei­ge­ne Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge und Stel­len­plä­ne ver­han­delt und das dafür nö­ti­ge Bud­get von der Zen­tra­le krie­gen muss. Die Zahl der Ka­ta­lo­ge und Stel­len­plä­ne än­dert sich kaum und damit bleibt alles, wie es ist.    

Doch warum dann der Auf­ruhr? Das liegt an den ein­ge­bau­ten Bos­haf­tig­kei­ten. Die Zahl der (meist roten Ge­werk­schafts-) Funk­tio­nä­re und hohen Ver­wal­tungs­pos­ten wird re­du­ziert. Das al­lei­ne ist schon ein An­griff auf das aus­ta­rier­te Ge­fü­ge der ge­werk­schaft­li­chen „Erb­pach­ten“. Rich­tig böse wird es, wenn man das neu ein­ge­führ­te Aus­bil­dungs­pro­fil für Funk­tio­nä­re be­trach­tet. Ent­we­der müs­sen sie ein Stu­di­um nach­wei­sen oder SV-in­ter­ne Fort- und Aus­bil­dun­gen ab­ge­schlos­sen haben. Wer das nicht hat, darf kein Funk­tio­när mehr sein – das trifft eine ganze Reihe vor allem roter Ob­män­ner und ihre Stell­ver­tre­ter. Hier wird’s per­sön­lich

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 188 vom 27.09.2018

Krankenkassen-Honorarkataloge – absurder Wahnsinn

(Le­se­zeit 6 Min) Es ist ver­ständ­lich, dass ein Ot­to-Nor­mal-Ver­brau­cher so gar nichts mit Ho­no­rar­ka­ta­lo­gen der Kran­ken­kas­sen an­fan­gen kann, ja nicht ein­mal gut ein­ge­le­se­ne Me­di­zin-Jour­na­lis­ten ver­ste­hen das Kas­sen­ho­no­rar-Sys­tem. Aber, es ist eines DER Pro­ble­me, warum es in Ös­ter­reich ein­fach nicht mög­lich ist, eine sinn­voll or­ga­ni­sier­te am­bu­lan­te Ver­sor­gung auf­zu­bau­en.

Um die Pro­ble­me zu il­lus­trie­ren, will ich ein Bei­spiel brin­gen, dass die Un­sin­nig­keit die­ses Sys­tems zeigt: das Lang­zeit(24h)-EKG, auch Hol­ter-EKG ge­nannt 

Wei­ter­le­sen „Kran­ken­kas­sen-Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge – ab­sur­der Wahn­sinn“

Fusion der Krankenkassen – ein absolutes No Go

Kas­sen­fu­sio­nen sind ein altes Thema – ei­gent­lich soll­te dabei eine Ver­ein­fa­chung und keine Ein­spa­rung dis­ku­tiert wer­den.

Wei­ter­le­sen: Fu­si­on der Kran­ken­kas­sen – ein ab­so­lu­tes No Go

   Zu viele Kran­ken­kas­sen, ein Kas­sen­ho­no­rar­sys­tem, das ver­nünf­ti­ge Pla­nung ver­hin­dert, strikt ge­trenn­tes und dop­pel­glei­si­ges Ar­bei­ten in­ner- und au­ßer­halb von Spi­tä­lern – das sind keine neuen Pro­ble­me, die hat uns die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on schon 1969 auf­ge­zeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Re­gie­run­gen sich der Lage nicht be­wusst wären. Die Idee, Kas­sen­ärz­te und Spi­tä­ler we­nigs­tens pla­ne­risch zu­sam­men­zu­den­ken, fin­det man bei­spiels­wei­se 1996 in einem Bund-Län­der-Kas­sen-Ver­trag, der vor­sah, dass es für alle ein ein­heit­li­ches Leis­tungs­ge­rüst in Form eines ein­heit­li­chen Dia­gno­se-und Leis­tungs­ka­ta­logs geben soll. Ein Vor­ha­ben, das nie Rea­li­tät wurde, aber immer wie­der zu fin­den ist – das letz­te Mal 2013, im Bun­des­ziel­steue­rungs­ver­trag. Dort nimmt sich die Re­gie­rung vor, ab 2016 einen sol­chen Ka­ta­log ein­zu­füh­ren.

   Und warum soll­te man Kas­sen und Spi­tä­ler ge­mein­sam den­ken?

   Nun, weil es pa­ti­en­ten­freund­li­cher ist; und bil­li­ger. Denn wegen feh­len­der Ab­stim­mung in und mit der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung lie­gen 900.000 Pa­ti­en­ten in Spi­tä­lern, die an­ders­wo in Eu­ro­pa ganz klar am­bu­lant be­han­delt wor­den wären. Von die­sen ste­cken sich 50.000 un­nö­ti­ger­wei­se mit Spi­tals­kei­men an (das ist nicht zu ver­hin­dern) und ei­ni­ge Hun­dert wer­den un­nö­ti­ger­wei­se ster­ben. Ein­mal ab­ge­se­hen, dass die sta­tio­nä­re Be­hand­lung die­ser 900.000 Pa­ti­en­ten wohl ein bis zwei Mil­li­ar­den Euro un­nö­ti­ge Kos­ten er­zeugt, soll­te es doch we­nigs­tens das Ziel eines Ge­sund­heits­sys­tems sein, Pa­ti­en­ten nicht un­nö­tig zu scha­den.

   Wenn also die Rede von der Kas­sen­fu­sio­nie­rung wie­der ein­mal auf­poppt, dann soll­te es nicht darum gehen, ein paar hun­dert oder tau­send Ver­sor­gungs­pos­ten ein­zu­spa­ren, die es zwei­fel­los gibt. Das Thema ist, dass die feh­len­de Ab­stim­mung zwi­schen 21 Kran­ken­kas­sen, 15 Kran­ken­für­sor­gean­stal­ten und den etwa 40 Trä­gern öf­fent­li­cher Akut­spi­tä­ler zu enor­men Pro­ble­men und Kos­ten führt.

   Ak­tu­ell ar­bei­ten in den Kran­ken­kas­sen etwa 8000 Mit­ar­bei­ter. Gros­so Mode pro Kas­sen­arzt ein Kas­sen­an­ge­stell­ter. Oder an­ders aus­ge­drückt: Auf einen Kas­sen­mit­ar­bei­ter kom­men 1000 Ver­si­cher­te, um deren Ver­sor­gung er sich küm­mern soll­te. Er könn­te, vor­aus­ge­setzt, er krieg­te die In­for­ma­tio­nen, die er braucht und die ein ein­heit­li­cher Dia­gno­sen- und Leis­tungs­ka­ta­log lie­fer­te, kon­trol­lie­ren, ob bei­spiels­wei­se ein Dia­be­ti­ker seine jähr­li­che Au­gen­un­ter­su­chung oder ein Herz­in­suf­fi­zi­enz­pa­ti­ent die not­wen­di­gen Me­di­ka­men­te er­hält. Wür­den also die Kas­sen dar­auf ach­ten, dass die Ver­si­cher­ten mög­lichst alle not­wen­di­gen Leis­tun­gen er­hal­ten, die sta­tio­nä­ren Fälle wür­den we­ni­ger. Statt­des­sen je­doch kon­zen­trie­ren sich die Kas­sen auf klein­li­che Arzt­kon­trol­len an­hand merk­wür­di­ger Sta­tis­ti­ken, etwa durch­schnitt­li­che Me­di­ka­men­ten­kos­ten pro Or­di­na­ti­on – was sagt das über die Ver­sor­gung ein­zel­ner Pa­ti­en­ten aus? Nichts.

   Und warum poppt diese Kas­sen­fu­si­ons­dis­kus­si­on immer wie­der auf? Die Kas­sen mit den tau­sen­den Mit­ar­bei­tern, den Mil­li­ar­den Um­sät­zen und den ge­wal­ti­gen Im­mo­bi­li­en­re­ser­ven stel­len Im­pe­ri­en der Ein­zel­ge­werk­schaf­ten dar, die diese je­den­falls gegen jede Ver­än­de­rung ver­tei­di­gen. Mit dem Ge­sund­heits­we­sen hat das nichts zu tun.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 212 vom 30.10.2014   

Ein Fünkchen Hoffnung

Für Laien ist die Ver­ein­ba­rung zwi­schen der SVA und der Ärz­te­kam­mer wohl kaum in ihrer Be­deu­tung nach­zu­voll­zie­hen – aber sie ist wirk­lich epo­chal, wenn sie denn zu leben be­ginnt.

Wir schrei­ben das Jahr 20xy. Herr M. er­hält einen Anruf sei­nes Haus­arz­tes Dr. K. Seine Blut­be­fun­de seien ein­ge­trof­fen und lei­der seien die Werte sei­ner Zu­cker­krank­heit nicht so, wie es sich beide er­hofft hät­ten. Er bitte um einen Ter­min und avi­siert seine Sprech­stun­den­hil­fe, die den Ter­min ko­or­di­nie­ren wird.

Herr M. är­gert sich, weil er es nicht ge­schafft hat, mehr Selbst­dis­zi­plin an den Tag zu legen und die ver­ein­bar­ten fünf Kilo ab­zu­neh­men – jetzt kriegt er die Rech­nung. Aber an­de­rer­seits freut er sich, dass es je­man­den gibt, der ihm die Rea­li­tät vor Augen hält und sei­nen Zu­cker nicht schön­re­det; denn Zu­cker ist keine Sache, die man auf die leich­te Schul­ter neh­men soll­te. Das weiß er.

Auch Dr. K. är­gert sich. Seine Pra­xis zählt zu den Top 5 Pro­zent in der Dia­be­ti­ker­be­treu­ung. Seine Pa­ti­en­ten müs­sen sel­ten ins Spi­tal, die Am­pu­ta­ti­ons­ra­ten hat er mehr als ge­drit­telt, Er­blin­dun­gen kom­men prak­tisch nicht mehr vor und kein ein­zi­ger Pa­ti­ent wurde dia­ly­se­pflich­tig. Und das alles, ob­wohl die so­zio­öko­no­mi­sche Schicht sei­ner Pa­ti­en­ten un­ter­durch­schnitt­lich ist. So eine Qua­li­tät kann man nur er­brin­gen, wenn man sich über jeden ein­zel­nen Pa­ti­en­ten, der seine Ge­sund­heit aufs Spiel setzt, är­gert.

Dr. K. hat schon frü­her, vor der Um­stel­lung des Kas­sen-Ho­no­rar­sys­tems, Dia­be­ti­ker be­son­ders be­treut. Das hat viel (Frei)Zeit und Geld ge­kos­tet. Seine Frau und seine Kin­der waren da­ge­gen, aber er hat aus ethi­scher Sicht nicht an­ders kön­nen. Seit al­ler­dings nicht mehr nur Menge, son­dern auch Qua­li­tät be­zahlt wird, hat sich das ge­än­dert. Mit sei­nen Qua­li­täts­kenn­zah­len ver­dient er jetzt mehr als vor­her und kann sich dabei stär­ker auf seine Pa­ti­en­ten kon­zen­trie­ren. Die Re­form, die 2010 zwi­schen der SVA und der Ärz­te­kam­mer be­schlos­sen und spä­ter von allen Kas­sen über­nom­men wurde, hat rie­si­ge Vor­tei­le für ihn und seine Pa­ti­en­ten ge­bracht. Zwar war er an­fangs skep­tisch, aber alle Zwei­fel sind mitt­ler­wei­le ver­flo­gen.

Das, was für Sys­tem­ken­ner wie eine Uto­pie klingt, könn­te Rea­li­tät wer­den; denn die SVA-Ärz­te­kam­mer-Ver­ein­ba­rung, in der fest­ge­legt ist, wie man das Kran­ken- in ein Ge­sund­heits-Kas­sen­sys­tem um­bau­en will, könn­te Grund­la­ge für eine echte Re­form sein.

Man soll aber auf dem Boden blei­ben. Was vor­erst in einer Punk­ta­ti­on be­schlos­sen wurde, ist ohne sehr viel theo­re­ti­sche Vor­be­rei­tungs­ar­beit nicht um­zu­set­zen. Mehr noch, es be­steht eine nicht zu un­ter­schät­zen­de Ge­fahr eines To­tal-Flops.

Aber, es gibt in­ter­na­tio­nal schon viel Wis­sen, wie man sol­che Re­for­men an­ge­hen kann. Viele Län­der haben be­reits seit Jahr­zehn­ten Er­fah­rung mit Haus­arzt- und Vor­sor­ge­mo­del­len. Auch mit der Um­stel­lung von Ein­zel­leis­tungs- auf qua­li­täts­ori­en­tier­te Be­treu­ungs- Ho­no­rar­sys­te­me gibt es Wis­sen, das dien­lich sein könn­te. Es liegt an den Ver­hand­lern, die­ses Wis­sen auf­zu­grei­fen, für hie­si­ge Ver­hält­nis­se zu ad­ap­tie­ren und dar­auf zu ach­ten, Feh­ler, die an­ders­wo ge­macht wur­den, zu ver­mei­den. Bei gutem Wil­len und trans­pa­ren­tem Vor­ge­hen funk­tio­niert das.

Aber neben der Theo­rie geht es jetzt vor allem um Über­zeu­gungs­ar­beit. Viel Skep­sis wird auf­tre­ten und es wird nicht rei­chen, nur Funk­tio­nä­re zu über­zeu­gen. Die Basis muss über­zeugt wer­den! Wenn das aber ge­lingt, dann kann man wirk­lich von einer „epo­cha­len Ver­än­de­rung“ (Ärz­te­kam­mer­prä­si­dent Dr. Dor­ner) spre­chen.

Und weil ich sonst mit Lob spar­sam bin, hier ist es an­ge­bracht – ein­fach weil Mut be­wie­sen wird und Be­we­gung in das ana­chro­nis­ti­sche Kas­sen­sys­tem kommt!

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Juni 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Neue Zeiten im Kassenbereich?

Seit Jahr­zehn­ten ver­han­deln zehn Ärz­te­kam­mern und dut­zen­de Kran­ken­kas­sen über Or­ga­ni­sa­ti­on und Fi­nan­zie­rung der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung – und das mit ana­chro­nis­ti­schen Me­tho­den.

Ziel die­ser Ver­hand­lun­gen ist es, in kol­lek­tiv­ver­trags­ar­ti­gen Ge­samt­ver­trä­gen fest­zu­le­gen, wie viele Kas­sen­ärz­te es wo geben muss, wel­che Leis­tun­gen von wel­chen Kas­sen be­zahlt wer­den und in wel­cher Höhe die Leis­tungs­ho­no­ra­re aus­fal­len.

Die Ver­hand­lun­gen selbst lie­fen immer gleich ab. Die Kas­sen haben den Kam­mer­funk­tio­nä­ren ge­sagt, wie viel mehr Geld es im nächs­ten Jahr geben wird und dann ist man daran ge­gan­gen, an­hand von Ho­no­rar­ka­ta­lo­gen, in denen die Leis­tun­gen ta­xa­tiv fest­ge­hal­ten sind, zu über­le­gen, wie man das zu­sätz­li­che Geld ver­teilt. Und mal haben sich die einen (Fach)Ärzte durch­ge­setzt, mal die an­de­ren.

Es gibt 13 oder 14 sol­cher Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge (für die neun Ge­biets­kran­ken­kas­sen je einen, für die rest­li­chen zehn oder zwölf Kas­sen die rest­li­chen) die al­le­samt nicht zu­sam­men­pas­sen, auch wenn über „Me­ta-Ho­no­rar-Ord­nun­gen“ oder „Map­ping-Stra­te­gi­en“ ver­sucht wird, eine Ver­gleich­bar­keit her­zu­stel­len. Es wurde näm­lich gänz­lich ver­nach­läs­sigt, die ein­zel­nen Leis­tun­gen or­dent­lich zu de­fi­nie­ren oder den Ver­hand­lun­gen echte Kal­ku­la­tio­nen zu Grun­de zu legen. Eine wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Be­darf der Leis­tun­gen hat es eben­so wenig ge­ge­ben, wie den Ver­such, her­aus­zu­fin­den, wel­che An­rei­ze man mit den Ho­no­ra­ren schafft und wel­che Aus­wir­kung das auf die Ver­sor­gung hat. Die Ka­ta­lo­ge sind schlicht ein will­kür­li­ches Ver­tei­lungs­in­stru­ment.

Al­ler­dings hat sich die Welt ge­hö­rig ge­än­dert. So ist das Mo­no­pol der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung durch Kas­sen­ärz­te längst ge­bro­chen. Seit den 1970ern neh­men die Spi­tals­am­bu­lan­zen an Be­deu­tung zu. An­fangs waren sie noch Teil des Sys­tems, weil sie den Kas­sen spe­zi­el­le Ho­no­ra­re ver­rech­nen konn­ten. Seit 1995 ist das vor­bei. Seit­her gibt es nur pa­ti­en­ten­un­ab­hän­gi­ge Pau­scha­len, die an Lan­des­re­gie­run­gen aus­be­zahlt wer­den. Und wen wun­dert es, dass die Zahl der Pa­ti­en­ten ex­plo­diert, die An­rei­ze sind ja so aus­ge­rich­tet, dass Pa­ti­en­ten dem Spi­tal zu­ge­wie­sen wer­den. Par­al­lel stieg die Zahl der Wahl­ärz­te an. Heute gibt es mitt­ler­wei­le mehr als Kas­sen­ärz­te. Wel­che Ver­sor­gungs­wirk­sam­keit Wahl­ärz­te haben, wird sorg­sam ver­schwie­gen; aber sie sind si­cher nicht mehr aus der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung weg­zu­den­ken. Und in all dem noch gar nicht be­rück­sich­tigt, sind die ta­ges­kli­ni­schen (Spi­tals)Leis­tun­gen, die ja ei­gent­lich auch der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung zu­zu­rech­nen sind.

Es wird Zeit, dass Kas­sen und Ärz­te­kam­mern end­lich ver­ste­hen, dass ihr lieb­ge­won­ne­ner Weg ana­chro­nis­tisch ist. Will das Kas­sen­sys­tem über­le­ben, wird es sich be­we­gen müs­sen.

Und genau das dürf­te bei der SVA pas­sie­ren. Denn, so der Vor­schlag ge­gen­über der Ärz­te­kam­mer, an­stel­le des alten Ka­ta­lo­ges soll ein in­no­va­ti­ves, pa­ti­en­ten­ori­en­tier­tes Ver­rech­nungs­mo­dell tre­ten. Mo­der­ne und fle­xi­ble Ho­no­rie­rung nach Er­kennt­nis­sen der Ver­sor­gungs­wis­sen­schaft und lau­fen­de Ad­ap­tie­rung des Leis­tungs­ka­ta­logs nach neu­es­ten me­di­zi­ni­schen Er­kennt­nis­sen wird eben­so vor­ge­schla­gen wie die Ent­loh­nung in Ab­hän­gig­keit von der er­brach­ten Qua­li­tät, an­statt nur der Quan­ti­tät. Es soll An­rei­ze für in­te­gra­ti­ve Ver­sor­gung geben, Haus­arzt­mo­del­le soll­ten eben­so im Ka­ta­log ent­hal­ten sein, wie struk­tu­rier­te Ver­sor­gungs­kon­zep­te für chro­nisch Kran­ke – alles in allem also eine kom­plet­te Um­stel­lung der Fi­nan­zie­rungs- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur.

Das so etwas von der Ärz­te­kam­mer vor­erst (und re­flex­ar­tig) ab­ge­lehnt wer­den muss, ist nur klar, aber dass es auf Dauer ver­hin­dert wer­den kann, Il­lu­si­on.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Juni 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.