Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!
Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur darin, wie auch der Patient.
Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!
Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.
In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Mio. Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Mio. davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patienten, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Mio. sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben. Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Mio. Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Mio. Patienten behandelt, die etwa 15 Mio. Mal dort erscheinen. 1,5 Mio Patienten werden 2,5 Mio. Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Mio. Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.
Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!
Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80% aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.
Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.