Quo usque tandem – Wie lange noch?

„Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ (Bertolt Brecht)

Wieder gibt es ein Medizin-Skandalbuch. Oft und oft verlieren sich solche Bücher in dramatischen Einzelschicksalen. Daran die Qualität eines Gesundheitssystems zu messen, ist unmoralisch und führt zu falschen politischen Reaktionen, die niemandem und schon gar nicht den Patienten helfen. Kein Gesundheitssystem kann so gut sein, dass Einzelschicksale vermieden werden.

Andererseits, wie soll man Ehrlichkeit in die Diskussion bringen?

Da gibt es eine Untersuchung über 30 Länder, die – weil Irren menschlich und kein nationales Vorrecht ist – alle ähnliche Ergebnisse zeigen: Bei 2 bis 4 Prozent der Spitalsbehandlungen erleiden Patienten Schäden durch vermeidbare Fehler. 0,1 Prozent sterben daran. Warum soll das bei uns anders sein?

So viele Staaten bemühen sich, die Patientensicherheit zu erhöhen und Qualitätsmängel auszumerzen. Sie dokumentieren Fehler, versuchen zu lernen und vermeidbare Fehler zu vermeiden. Sind die alle dumm? Warum strengen die sich an? Sollen sie doch nach Österreich schauen – wir zeigen wie es geht: Einfach nichts dokumentieren, dann gibt es auch keine Fehler!

Und wenn irgendwer dann doch eine Rechnung anstellt, dann schlägt das Imperium zurück. Leider Gottes sind es diesmal die Patientenanwälte, die sich vor den „Wir sind die besten und fehlerlos“-Karren spannen lassen. Kärnten beispielsweise glaubt, dass es bei 180.000 Spitalspatienten pro Jahr fünf Todesfälle (0,003 Prozent aller Patienten) durch vermeidbare Fehler gibt – die Dunkelziffer eingerechnet. In Vorarlberg (100.000 Patienten) sollen es in neun Jahren gar nur zwei (0,0002 Prozent) gewesen sein. Wien (540.000 Patienten) teilt mit, dass es überhaupt keinen Fall gegeben habe. NÖ (400.000 Patienten) meldet immerhin 140 Verdachtsfälle (0,04 Prozent).

Zur Orientierung: 2,5 Mio. Patienten werden jährlich stationär behandelt, 400.000 davon tagesklinisch, 38.000 (fast die Hälfte aller Todesfälle) sterben im Krankenhaus. Wo die Menschen sterben ist übrigens regional sehr unterschiedlich. Je stärker die familiären Strukturen sind, desto öfter stirbt man zu Hause.

Nun, ich glaube auch nicht, dass man für die Hochrechnung der oben zitierten Studie die volle Zahl der Patienten nehmen darf. Doch auch, wenn man die tagesklinischen Fälle abzieht, kommen wir auf 2000 (statt 2500) Tote durch vermeidbare Fehler – das ist noch immer gigantisch viel mehr, als offiziell zugegeben wird.

Und als Nebensatz verstehe ich anlässlich dieser Diskussion paradoxerweise das erste Mal, dass die Ärztekammer sich nicht von außen Qualitätskontrollieren lassen will. Wenn die Spitäler sich nicht ordentlich kontrollieren lassen, warum sollen es die niedergelassenen Ärzte tun?

Persönlich glaube ich, darf man in NÖ, obwohl man in dem Skandal-Buch wirklich schlecht wegkommt, stolz sein. Immerhin hat man es gewagt, eine systematische Qualitätsarbeit zu beginnen und schriftlich festzuhalten. Wir würden nicht darüber diskutieren können, das was schief läuft, wenn solche Arbeit nicht geleistet worden wäre. Schade, dass offenbar erst eine undichte Stelle diesen mutigen Weg aufgezeigt hat. Wer die Wahrheit sucht, darf sich aber nicht schrecken, wenn er sie findet.

Man kann gespannt sein, wie die Politik reagieren wird. Der leichte, übliche Weg? Undichte Stellen ausmerzen, systematische Qualitätsarbeit stoppen und alle vorhandenen Berichte totschweigen! Oder der anstrengende, richtige Weg? Lernen und verbessern!

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ärztebedarf

Ärztemangel oder -überschuss – das hängt davon ab, wie Ärzte eingesetzt werden: Bleibt alles wie es ist, dann wird es einen Mangel geben.

Ein Politiker hat an einem Sonntag eine Autopanne. Er schafft es gerade noch bis zur nächsten Tankstelle – dort angekommen verlangt er, dass sein Auto repariert wird. Der Tankwart schaut ihn groß an und sagt: „Das ist eine Tankstelle, keine Werkstatt. Ich kann das nicht!“ Empört, dass die Realität nicht seinem Wunsch entspricht, verordnet der Politiker, dass alle Tankstellen hinkünftig Mechaniker anstellen müssen. Seither hat jede Tankstelle zu den Öffnungszeiten (meist rund um die Uhr) einen Mechaniker – und der Politiker ist zufrieden.

Allerdings haben die Mechaniker dort nur wenig zu tun, sodass sie die meiste Zeit nur herumstehen oder etwas anderes arbeiten. Einmal abgesehen davon, dass ihnen Reparaturerfahrung fehlt, müssen sie, um sich selbst zu erhalten, überhöhte Preise verlangen, dass sich kaum jemand leisten kann, sein Auto an der Tankstelle reparieren zu lassen. So kommen Kunden nur im Notfall, und die Mechaniker werden zu einem immer größeren Verlustgeschäft.

Als Folge drohen die Tankstellenbesitzer zuzusperren. Das behagt dem Politiker gar nicht, also tut er, was er in so einem Fall immer tut, nimmt Steuergelder in die Hand und finanziert die Tankstellen-Mechaniker. Da die Tankstellen plötzlich billig, ja fast gratis reparieren, kommen die Kunden in Scharen. Aus dem Verlustgeschäft wird scheinbar ein Gewinn und immer mehr Tankstellen eröffnen. Damit allerdings stellen sie eine so große Konkurrenz dar, dass nun die Werkstätten in Konkurs zu gehen drohen – konsequenterweise bekommen sie auch Steuergelder.

Mittlerweile ist die Mechaniker-Dichte so hoch, dass es eigentlich nicht genug Pannen gibt, um alle zu beschäftigen. Das macht aber nichts, weil alle zufrieden sind. Nun geschieht es, dass die Zahl der Autos steigt. Ökonomen beginnen zu rechnen und stellen fest, dass durch die steigende Zahl demnächst ein Mechanikermangel droht. In diesen Rechnungen wird jedoch nicht nach der Zahl der Pannen gerechnet, sondern nach der Zahl der Mechaniker, die pro Auto zur Verfügung stehen. Man kann es den Ökonomen gar nicht verübeln. Denn um die „Überzahl“ an Mechanikern zu vertuschen, und um jede Werkstatt und Tankstelle zu rechtfertigen – immerhin steckt viel Steuergeld drinnen, das man irgendwie plausibel machen muss –, hat der Politiker nicht ohne Wohlgefallen der Mechaniker, die ja vom Politiker bezahlt werden, verboten, Pannen zu zählen. Gezählt werden dürfen nur Autos und eben Mechaniker, ob nötig oder nicht. Und so kann man wirklich glauben, man wird demnächst mehr brauchen, und es werden mehr ausgebildet; die natürlich immer mehr Steuergeld kosten – das nie auszugehen scheint.

Hat das was mit dem Ärztebedarf zu tun? Natürlich! Um in unseren 180 Krankenhäusern 55.000 Betten mit mehr als 2,5 Millionen Patienten 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr zu betreuen, brauchen wir viele Ärzte, vor allem billige Turnusärzte – egal ob der Patient sie braucht. Und weil so viele Ärzte in den Krankenhäusern mit oft unsinnigen Dingen beschäftigt sind und weil immer mehr Patienten ins Spital gehen (1990 gingen 21 Prozent, 2007 schon 30 Prozent der Bevölkerung einmal pro Jahr ins Krankenhaus, der EU-Schnitt liegt bei 18 Prozent), schaut es fast so aus, als ob wir nicht genug Ärzte produzieren können.

Aber hat schon jemand darüber nachgedacht, ob die Ärzte vielleicht in weniger Krankenhäusern sinnvoller eingesetzt werden könnten.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbstverwaltungsbürokratiekosten

Bunte Wege werden angedacht in der Gesundheitsreform – was soviel heißt wie: Alle Verwaltungsstrukturen sollen erhalten werden und alles bleiben, wie es ist.

Wer kennt sie nicht, die Lüge, dass ein Autokilometer nur Spritkosten verursacht. So gedacht ist Autofahren echt billig. Und weil wir uns selbst so belügen, haben Politiker mit ähnlichen Tricks leichtes Spiel.

Drei Prozent Verwaltungskosten sollen sie haben, unsere Krankenkassen, und damit billig sein. Tja, alleine: So einfach ist die Rechnung nicht.

Aus den offiziellen Angaben kann man bereits erkennen, dass der Verwaltungsbetrieb bei Gesamtausgaben von 13,2 Mrd. Euro 660 Mio. kostet – also schon hier sind es fünf statt drei Prozent. Das ist aber lange nicht alles.

An 10.000 Kassenärzte (inkl. Zahnärzte) werden vier Mrd. Euro ausbezahlt. Glaubt man der Ärztekammer, dann sind die Bürokratiekosten für Kassenordination in zweistelliger Prozenthöhe zu suchen. Glaubt man ihr nicht und setzt ebenfalls fünf Prozent an, kommen zu den oben genannten 660 Mio. Euro noch 200 Mio. dazu – jetzt sind wir bereist bei 6,5 Prozent Verwaltungskosten.

Es geht weiter. Die Ärztekammer erhält zwei Prozent Kammerumlage, das sind 80 Mio.Euro. Die dienen dazu, den Verwaltungsapparat aufrecht zu erhalten. Nun gut, neben der Verwaltung der Kassenärzte (inklusive den Verahndlungen mit den Krankenkassen) werden auch andere Tätigkeiten erbracht. Aber wenn man von 50 Mio. Euro ausgeht, liegt man sicher nicht falsch. Oben dazugezählt betragen also die Bürokratiekosten fast 910 Mio. Euro oder 7 Prozent – zum Vergleich, Kanada kommt mit zwei Prozent aus, hat aber auch ein „böses“ staatliches Gesundheitssystem.

Im stationären Bereich ist das alles noch komplexer. Welche Kosten die Länder- und Gemeindenbürokratien anhäufen, kann man nirgends ablesen. Auch, wie die Milliarden des Gesundheitsministeriums angerechnet werden müssen ist fraglich. Niedrig sind die Kosten allemal nicht. In den Spitälern direkt betragen die Verwaltungskosten 870 Mio. Euro. Wie viel davon auf die Bürokratie entfallen, ist unbekannt – vorsichtig geschätzt sind es 700 Mio., oder 7,5 Prozent der 9,3 Mrd. Euro Gesamtausgaben.

Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man nur in Spitälern und Krankenkassen für die Selbst-Verwaltung des Systems über zwei Mrd. Euro oder mehr als zehn Prozent Kosten ansetzt.

Noch nicht gesprochen haben wir über die Bürokratiekosten bei Medikamenten, in der Pflege oder der Rehabilitation. Da weiß man so gut wie nichts. Und ganz verschwiegen haben wir die Patientenseite. Denn auch die mühsame Recherche, welche Formulare man bis wann wo braucht um ein paar Krücken zu bekommen oder Besuche beim Chefarzt wegen irgendwelcher Bestätigungen kosten was – nämlich Zeit, die man an seinem Arbeitsplatz verbringen sollte. Ja, auch indirekte Kosten sind Kosten, selbst wenn die niemand zählen will – wie den Ölverbrauch beim Auto.

Hohe Verwaltungskosten sind immer dort zu finden, wo eine starke Fragmentierung vorherrscht. Und da sind wir spitze. 80 Krankenkassen und Krankenfürsorge-Anstalten, der Hauptverband, die Pensionsversicherung, die Privatversicherungen, der Bund, neun Länder, hunderte Gemeinden, zehn Ärztekammern und viele Gewerkschaften reden mit. Deswegen haben wir 4.000 Finanzströme, die verhandelt und verwaltet werden müssen.

Will man wirklich Verwaltungskosten reduzieren, muss man die Verwaltung vereinfachen. Aber wer wird sich dafür einsetzen? Die, die von den Milliarden gut leben? Politiker, die diese Bürokratie brauchen um genug Versorgungsposten für ihre eigenen Schäfchen zu haben?

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eine gut gepflegte Realitätsverweigerung

Mehrere Milliarden Euro Luft stecken im Gesundheitssystem – aber wir schießen mehr Steuern und Beiträge nach! Unbequeme Reformen kommen nicht in Frage.

Ganz einfach: Zieht man von den Einnahmen die Sachkosten und Steuern ab, kann man von dem was bleibt leben.

Am Markt werden Einnahmen von dem bestimmt, was der Kunde bereit ist zu zahlen. Will der weniger bezahlen, lebt man entweder von weniger, oder man schaut darauf, dass durch besseres Management die Sachkosten reduziert werden. Nun klar, das ist eine extreme Vereinfachung, aber am Ende bleibt es dabei – der Kunde bestimmt die Höhe der Einnahmen, Steuern und Kostenmanagement die Höhe des persönlichen Einkommens.

Anders im Gesundheitssystem. Hier bestehen die Einnahmen aus unfreiwilligen Beiträgen und Steuern.

Weil Menschen immer älter und kränker werden und die Zahl der Älteren zunimmt, steigen die Sachkosten für Medikamente, Ordinationen, Krankenhäuser etc. Das ist unvermeidbar. Kostenmanagement wäre angesagt, will man nicht, dass der Betrag für die Menschen, die vom Gesundheitssystem leben, kleiner wird. So etwas ist allerdings unpopulär, mühsam und unbequem. Weil es sich aber sehr viele in diesem System bequem gemacht haben und unpopuläre Maßnahmen tabu sind, ist es besser, man nützt das Monopol und schraubt an den Einnahmen – die sind leichter erhöht als Kosten reduziert.

Und da kommt eine Studie genau recht. Wieder einmal wurde „bewiesen“, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden – gemessen am „Bruttoverdienst“. Wir können zur Rettung des Gesundheitssystems die Reichen schröpfen.

So eine Studie ist per se dumm, weil sie so tut, als ob Steuern nicht umverteilen. Will man wirklich wissen, ob Arme ärmer und Reiche reicher werden, muss man statt des Bruttoeinkommens einer Person das frei verfügbare Einkommen eines Haushalts ansehen. Das ist der Teil des Einkommens, inklusiver aller Sozialtransfers, der nach Abzug aller Steuern und dem Betrag, der zur Aufrechterhaltung eines annehmbaren Lebensstandards erforderlich ist, übrig bleibt. Und siehe da, wenn man also die ganzen Sozialhilfen einrechnet – von der ORF-Gebührenbefreiung bis zum Stipendium für die Kinder – und vielleicht sogar den „Schwarzmarkt“ einbezieht, dann wird das Bild paradox.

Nehmen wir einen Alleinverdiener mit 4.500 Euro brutto und zwei Kindern. Brutto ist der Mann statistisch bereits reich. Aber! Verteilt man sein Netto-Einkommen inklusive Kinderbeihilfen auf die Familienmitglieder, dann wird der Haushalt statistisch plötzlich arm. Mit dem Brutto-Einkommen besteht aber keine Hoffnung auf Stipendien, Befreiungen oder Freifahrten. Wer offiziell so viel verdient hat vermutlich kaum Möglichkeiten, „schwarz“ zu arbeiten. Dass dank der hohen Abgaben 43.000 Euro an Staat und Sozialversicherung abgeführt werden müssen, bleibt unbedankt. Auch wie viel Arbeitszeit so ein Job verschlingt (keine Abgabe bezieht sich auf den Stundenlohn), ist egal. Brutto ist der Mann reich, also nehmen wir ihm was weg.

Nun, interessanterweise reagiert das Volk nicht dumm. Steigen die Pflichtabgaben und reduzieren so das frei verfügbare Einkommen, dann fliehen die Menschen zunehmend in die Leistungsverweigerung und den Schwarzmarkt. Wer also Rechnungen anstellt, dass man mit Beitrags- oder Steuererhöhungen die Einnahmen linear erhöhen kann, der wird sein blaues Wunder erleben. Und gerade dann, wenn die Wirtschaft kriselt, ist es sehr dumm jene zu belasten, die mit ihrer Produktivität Geld verdienen, nur um sich nicht der Realität stellen und unbequeme Gesundheitsreformen angehen zu müssen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Richtigstellungen

Die Zahl der politischen Ungenauigkeiten mit Manipulationsabsicht steigt im Ausmaß wie das Niveau der Gesundheitspolitik sinkt – eine ernste Entwicklung.

Sie kennen sie alle, die Richtigstellungen, zu denen Politiker und Medien verurteilt werden, wenn sie unter Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht oder mit böser Absicht Unwahrheiten verbreiten. Die ließt zwar niemand, aber sie geben das Gefühl eines Rechtsstaats. Weil dafür immer Klagen nötig sind, bleibt ein Haufen Unwahrheiten, die niemals richtig gestellt werden. Ein paar will ich übernehmen.

Mehrfach wurde von offizieller Seite betont, dass Österreich ein günstiges und effizientes Gesundheitssystem besitzt. Als Beweis wurde angeführt, dass wir „nur“ 7,6 Prozent Krankenversicherungsbeiträge zahlen, während die Deutschen 15,5 Prozent abgeben. Manchmal wurde zwar richtigerweise betont, dass die Länder nicht vergleichbar seien, aber selbst bei „Bereinigung“ der Unterschiede, wir mit 11 bis 12 Prozent auskämen – damit sei belegt, wir haben ein effizientes und billiges System. Diese Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Wahr ist vielmehr, dass die Pro-Kopf-Ausgaben, gemessen in echtem Geld, in Österreich um 10 Prozent über denen Deutschlands liegen. Da wir keine „besseren“ Gesundheitsdaten haben, ist klar, dass wir weder effizienter, noch billiger als unsere Nachbarn sind – egal wie man es dreht und wendet.

Immer wieder wurde von verschiedenen Ebenen behauptet, die Preise der Medikamente steigen enorm an. Einerseits wurde behauptet, die Preise steigen über der Inflationsrate, andererseits, die durch die Senkung der Mehrwertsteuer herbeigeführte Preissenkung wird von der Industrie zum Anlass genommen, die Preise zu erhöhen. Beide Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Wahr ist vielmehr, dass die Preise für rezeptpflichtige Medikamente durch den Staat festgelegt werden, es also nur dann zu einer Steigerung kommen kann, wenn der Staat dies zulässt. Betrachtet man den Preis für eine verkaufte Medikamentenpackung, dann ist festzustellen, dass dieser seit Jahren sinkt. Bewusst und manipulativ wird nicht zwischen dem Preis der Medikamente und den Ausgaben für Medikamente unterschieden.

Die Ausgaben steigen kontinuierlich, allerdings nicht getrieben durch den Preis, sondern durch die Mengen. Für die Mengensteigerung sind viele Faktoren verantwortlich. Da wäre das Kassen-Erstattungssystem, das mengenfördernd ist (was durch die Rezeptgebührobergrenze noch verstärkt wird!), dann die Rezeptgebühr selbst, die man bei kleineren Packungen öfter einheben kann, daher werden die von den Kassen bezahlten Packungen immer kleiner (aber nicht im gleichen Verhältnis billiger), dann die Marketingmaßnahmen der Industrie, die nur dann mehr verdienen kann, wenn sie mehr verkauft, nicht zu vergessen die Demographie und die Epidemiologie (die Menschen werden immer älter und kränker), und vermutlich noch ein Dutzend anderer Gründe. Die Forderung, die Mengenausweitung an Wirtschaftswachstum oder Inflation zu koppeln, ist mehr als nur irreal.

Zu dem Vorwurf, 900 Medikamente seien über den Jahreswechsel teurer geworden und damit sei bewiesen, dass es eine sofortige staatliche Intervention brauche, die dem wilden Treiben der Industrie Einhalt gebiete, sei festgehalten, dass es sich bei diesen Medikamenten um frei verkäufliche handelt, also der Preis durch freie Entscheidung freier Menschen am Markt festgelegt wird. Die geforderte Intervention bedeutet planwirtschaftlichen Totalitarismus.

Es macht traurig, auf welchem Niveau politisches Kleingeld gemacht wird.

Dieser Artikel wurde im Februar 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eine merkwürdige Diskussion

In den meisten gesundheitspolitischen Themen sind wir, wenn überhaupt, auf dem Niveau der 1970er Jahre. Das wird zunehmend skurriler.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, wird aktuell in Österreich darüber diskutiert, ob das Beveridge- oder das Bismarckmodell besser ist.

Beim Bismarckmodell geht es darum, dass Krankenkassen für die Krankenversorgung zuständig sind. Diese Kassen liegen in den Händen von sozialpartnerschaftlichen Sozialversicherungen, die sich ausschließlich aus Beiträgen finanzieren. Im Beveridgemodell sind es demokratisch legitimierte Politiker, die um die Krankenversorgung sorgen müssen und dafür Steuern verwenden.

Wer sich da nicht auskennt, soll sich nicht ärgern, da die Diskussion selbst unter Akademikern obsolet ist; und zwar deswegen, weil es international keine reinen Formen mehr gibt. Alle haben sich beim anderen was abgeschaut und es gibt nur mehr Hybride. Ernsthafte Diskussionen beschäftigen sich heute daher auch nur mit der Frage, welche Mischung wohl die vernünftigste wäre. Aber in Österreich lassen das die mächtigen Sozialpartner nicht zu, und sprechen – wissend oder, was schlimmer wäre, unwissend – weiter von der reinen Lehre!

Von einem reinen Bismarckmodell zu sprechen ist aber schon deswegen obsolet, weil die Krankenversorgung hierzulande sich ausschließlich mit der kurativen Behandlung beschäftigt und andere Bereiche längst „ausgegliedert“ wurden. So haben sich die Kassen 1976 aus der Pflege zurückgezogen, aus der stationären Versorgung 1985, aus den Spitalsambulanzen 1995, die Rehabilitation gehört der Pensionsversicherung, die Prävention Bund und Ländern.

Noch merkwürdiger wird die Argumentation der reinen Lehre, wenn man genau schaut. Denn dann kann man feststellen, dass die Kassen längst nicht mehr beitragfinanziert sind. Natürlich sind Beiträge die wichtigste Einnahmequelle, aber bei weitem nicht ausschließlich.

In Summe nahmen die Kassen 2007 12,8 Mrd. Euro ein. Davon entfielen nur 10,7 Mrd. auf Beiträge. Neben e-Card- und Rezeptgebühren u.ä. stammte mit 1,1 Mrd. Euro der Großteil der Differenz aus Steuermitteln. Doch ist das nicht alles, denn auch in den Beiträgen steckt eine ganze Menge Steuergeld. Hier waren mit 1,3 Mrd. Euro der größte Brocken die Hebesätze (eine Art steuerfinanzierter virtueller Arbeitgeberbeitrag für Pensionisten, die ja keinen Arbeitgeber mehr haben). Insgesamt stammten fast 3 Mrd. Euro der Einnahmen aus Steuern und gerade einmal 9 Mrd. Euro sind wirklich „reine Beiträge“.

Wenn man nun betrachtet, dass die öffentlichen Ausgaben in unserem Gesundheitssystem 20 Mrd. Euro ausmachen, dann ist also nicht einmal mehr die Hälfte beitragsfinanziert. Von einem „reinen Bismarckmodell“ ist längst nichts mehr übrig. Und das unsere Kassenbeiträge verglichen mit Deutschland, in dem Bismarck noch viel „sauberer“ gelebt wird, halb so hoch sind, wird damit auch verständlich.

Weil aber die Entscheidungsträger bei der reinen Lehre bleiben wollen (hauptsächlich um die eigene Macht zu erhalten), ist es unmöglich, dass zwischen dem steuerfinanzierten und dem beitragsfinanzierten Teil ein gemeinsamer Weg gefunden wird. Die damit verbundenen Schnittstellenprobleme führen zwar, neben echten Qualitätsproblemen, zu enormen Mehrkosten, aber solange diese Lücke durch Selbstbehalte gefüllt und der Mythos des besten Systems aufrecht erhalten werden kann, wird es den Mächtigen kaum nötig scheinen, über ihren Schatten zu springen und sich auf ein „neues“ System zu einigen – oder wenigstens einmal ehrlich darüber zu diskutieren.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsziele

Eine zielorientierte Politik im Gesundheitswesen wäre wünschenswert – und wird es auch bleiben, da sich keiner an unerreichten Zielen stößt.

Es ist simpel. Wer etwas erreichen will, der setzt sich Ziele. Normale Menschen, die ziellos herumirren und trotzdem Vollgas geben – die Wilden auf ihren Maschinen – sind gesellschaftlich nicht gerade anerkannt.

Ziele haben den (un)angenehmen Effekt, dass man sowohl Effektvität (also den Grad der Zielerreichung) als auch Effizienz (wie viel hat es gekostet, das Ziel zu erreichen) messen kann. Im Gesundheitswesen gibt es seit längerem Gesundheitsziele. Sie sind ein international verbreitetes Instrument, um Gesundheitspolitik zielgenauer und überprüfbarer zu machen. Aber genau das dürfte – oberflächlich betrachtet – bei uns politisch nicht gewünscht sein

1989 hat Österreich mit fast allen anderen WHO-Mitgliedstaaten folgende Ziele für Diabetiker vereinbart und „versprochen“, sie bis 1994 zu erreichen: (1) Verminderung neuer diabetesbedingter Erblindungen um ein Drittel oder mehr. (2) Verringerung neu auftretenden terminalen Nierenversagens wegen Diabetes um mindestens ein Drittel. (3) Senkung der Zahl von Amputationen aufgrund diabetesbedingter Gangrän um mindestens die Hälfte. (4) Verminderung der Morbidität und Mortalität bei koronarer Herzerkrankung von Diabetikern mittels intensiver Programme zur Verringerung der Risikofaktoren. (5) Normaler Schwangerschaftsverlauf bei Frauen mit Diabetes

Das klingt doch ganz gut. Umso erstaunlicher ist, dass man hierzulande Anfang des 21. Jahrhunderts folgende Zielformulierung findet: Bis zum Jahr 2010 sollte die Häufigkeit von Diabetesfolgen, wie Amputationen, Blindheit, Nierenversagen, Schwangerschaftskomplikationen und andere Gesundheitsstörungen um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 reduziert werden.

Einmal abgesehen davon, dass die „neuen“ Ziele weit unter denen liegen, die bereits vereinbart waren, ist es doch erstaunlich, dass sich niemand daran stößt, dass fixierte Ziele nicht erreicht wurden und einfach neue aufgestellt werden. Nun, muss man zugeben, dass nicht einmal die Hälfte der WHO-Staaten ernsthafte Maßnahmen gesetzt hat, die Ziele wirklich zu erreichen. Aber es ist halt schon ärgerlich, wenn man hierzulande zum Schein so tut, als ob Ziele ernst genommen werden und dann doch einfach ignoriert.

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum Österreich mit „Gesundheitszielen“ Probleme hat.

Auf der einen Seite ist es der steigende Populismus. Wenn man Gesundheitsziele definiert, dann impliziert es, dass man offenbar Verbesserungen erreichen kann. Wer gerne vom besten Gesundheitssystem redet, hat damit Probleme. Zudem bedeutet das Aufstellen von real erreichbaren Zielen („allen alles auf allerhöchstem Niveau“ zu bieten, ist kein Ziel, sondern naives Wunschdenken), Priorisierungen vornehmen zu müssen. Man kann nicht alles gleichzeitig angehen! Aber eine Priorisierung wird immer Wählerstimmern kosten, weil halt nicht alle die oberste Priorität erhalten werden.

Auf der anderen Seite ist es die Verteilung der Kompetenzen. Denn wer ist verantwortlich für die Erreichung von Zielen? Solange keine klare Kompetenzverteilung – die eine echte Gesundheitsreform verlangte – existiert, wird man Ziele zwar formulieren, aber nicht erreichen können. Denn nur wenn es klare Verantwortlichkeiten (nicht nur Zuständigkeiten) gibt, kann ein zielorientierter Prozess auch zum Ziel führen.

Und so bleiben wir lieber bei dem Spiel: Vollgas (die pro Kopfausgaben sind nach Luxemburg die zweithöchsten in der EU), egal wohin!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ferraris und Fahrräder

Die Beharrlichkeit der wirklich Mächtigen, die neuerdings auch in der Regierung sitzen, um Eigeninteressen zu vertreten, wird groß genug sein, weiter jede Reform zu verhindern – bis es kracht!

Wer einen Oldtimer hat, liebt ihn und steckt eine Menge Geld und Zeit in seine Erhaltung. Allerdings käme niemand auf die Idee, zu behaupten, sein Oldtimer entspräche dem Stand der Zeit oder gar, er sei das einzig funktionierende Fortbewegungsmittel.

Nun hat die WHO vor 40 Jahren folgendes zum österreichischen Gesundheitssystem festgestellt: (1) Die Zusammenarbeit wird zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert, (2) Es besteht keine Vorkehrung für eine Behandlung in Tageskliniken, daher werden im Allgemeinen nur „vollstationäre“ Patienten im Spital behandelt, (3) Es gibt die steigende Tendenz der praktizierenden Ärzte, ihre Patienten in ein Spital einzuweisen – diese Tendenz wird unter anderem durch das Honorierungssystem gefördert, (4) Die Vorsorge für die ärztliche Betreuung alter Menschen und chronisch Erkrankter ist im Allgemeinen unzulänglich.

Ohne detaillierter zu werden, besteht also seit langem ein Struktur- und kein Geldproblem! Wesentlichstes Strukturproblem ist und bleibt die fehlende abgestufte Versorgung, die eine unmittelbare Folge der wirren Kompetenzverteilung und machtsichernden Intransparenz ist. Man könnte es sich ungefähr so vorstellen, als ob für den Personenverkehr nur Ferraris (Krankenhäuser) oder Fahrräder (Einzelpraxen niedergelassener Ärzte) zugelassen wären; Keine Kombis oder Familienkutschen, keine Mopeds oder Busse. Wie würde da der Verkehr wohl aussehen? Billiger? Sicher nicht. Jede Familie würde beispielsweise mehrere Ferraris fahren müssen, die natürlich der Staat bezahlen muss, weil sich Normalverdiener maximal einen leisten könnten – und den auch nur, wenn sie auf fast alles andere verzichten.

Das gleiche gilt für das Gesundheitssystem. Abgestufte Versorgungsmodelle wie Gruppenpraxen und Tageskliniken sind Mangelware, medizinische Versorgungszentren wie in Deutschland unterliegen dem Denkverbot und Hausarztmodelle wie in der Schweiz sind nicht einmal ansatzweise zu erahnen. Selbst wenn in wenigen Fällen vernünftige, abgestufte Versorgungsmodelle erfolgreich versucht wurden, wie beispielsweise in Horn im Waldviertel oder Güssing im Burgenland, wird trotzdem behauptet, solche Modelle stellen eine weitere Ebene dar und sind teurer! Selbst wenn die gesamte Literatur zu diesem Thema als Erklärung herangezogen werden könnte, warum mit abgestuften Modellen integrierte Versorgungssysteme aufgebaut werden können, die neben der deutlich besseren Patientenorientierung, auch Qualitäts- und Kostenvorteile mit sich bringen, kann man hierzulande lesen, dass das niemand braucht.

Also, machen wir’s wie immer! Ändern wir die Finanzierung. Weil aber vermutlich das Volk ein bisschen grantln wird, werden jetzt halt „politische Interpretationen“ als Wahrheit selbst von allerhöchster Ebene dekretiert. Denn das Geld, das man haben will, brauchen nicht die Mächtigen, um ihre Jobs zu behalten, sondern die Versicherten. Und denen haben es alte Regierungen „entzogen“, und soll es die neue zurückgeben. Wer genauer rechnet, der wird diesen Raubzug kaum nachvollziehen können, da die Einnahmen der Kassen seit 2000 deutlich stärker gestiegen sind als ihre zusätzlichen Ausgaben und das SV-Budget seit Jahrzehnten schneller wächst als das Budget des Finanzministers. Aber genaue Rechner gibt es eh nicht.

Der Oldtimer Gesundheitssystem wird als auf dem Stand der Zeit festgeschrieben, koste es, was es wolle – aber wie lange wird das gut gehen?

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Poker um Jungärzte

Jungärzte haben befristete Verträge und sind angestellt. Ihre Interessen sind daher in der Ärztekammer unwichtig! – doch was heißt das für das System?

Ein abgeschlossenes Medizinstudium macht noch lange keinen Arzt. Um eigenverantwortlich arbeiten zu dürfen, ist in Österreich jedenfalls eine postpromotionelle Ausbildung, die dazu dienen soll, theoretisches Wissen in der Praxis umzusetzen – der „Turnus“. Er ist Pflicht.

Vor allem Ärzte in Ausbildung zum Allgemeinmediziner, den zukünftigen Hausärzten, kurz Turnusärzte genannt, erhalten ebendiese Ausbildung schon lange nicht mehr. Ihr Alltag wird bestimmt vom Spritzen geben, Infusionen verabreichen, Blutdruckmessen und EKG schreiben – Tätigkeiten, die international üblicherweise von Pflegepersonal durchgeführt werden. Dazu kommen Unmengen an organisatorischen und administrativen Tätigkeiten, wie etwa die Veranlassung von, von anderen angeordneten, Untersuchungen oder das Diktieren von Arztbriefen für Patienten, die die künftigen Hausärzte oft nie zu Gesicht bekommen haben (weil Oberärzte ihre Briefe meist durch Turnusärzte erledigen lassen). In manchen Krankenhäusern ist die Zeit sogar so knapp, dass Turnusärzte die Visite, die in Fächern wie der Inneren Medizin das Herzstück spitalsärztlicher Arbeit darstellt, nicht besuchen können. Gar eigene Patienten unter Supervision eines Facharztes (wie international üblich)? – Fehlanzeige. Eine standardisierte Vermittlung von Inhalten, die für einen Hausarzt in der Praxis von Bedeutung wären? – Fehlanzeige.

Auch wenn Abteilungen, die ein Turnusarzt durchläuft, irgendwo ein Ausbildungskonzept liegen haben, wird dies nur in wenigen Fällen auch umgesetzt. Und das ist durchaus verständlich. Denn, während ein angehender Facharzt in der Regel mehrere Jahre an der Abteilung bleibt und mit zunehmender Erfahrung ein wichtiger Teil des fachärztlichen Teams wird, wechseln die künftigen Hausärzte im Zuge ihrer Ausbildung alle paar Monate die Abteilung. Entsprechend gering ist das Interesse, Zeit und Energie in die Ausbildung dieses temporären Personals zu investieren.

Doch wer wird das Herzstück eines gut organisierten Gesundheitssystems sein, wenn nicht die Hausärzte? Und das führt weiter zur Frage: Wer hat die jetzige und für das System üble Situation zugelassen? Die Antwort ist simpel! Die Ärztekammer, denn diese ist für die Ausbildung zuständig. Doch einmal ehrlich! So wie die Gewerkschaften prekäre Arbeitsverhältnisse nicht wirklich interessieren, sind Ärztekammern, denen eigentlich nur die Kassenverträge wichtig sind, junge und dazu noch angestellte Ärzte egal. Der einzige Grund, warum die Ausbildungsordnung wichtig ist, ist der, dass man so die „Ressourcen“ steuern kann. Damit kann man sicherstellen, dass etablierte Ärzte nicht durch irgendwelche „Newcomers“ Konkurrenz kriegen.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die scheidende Ministerin, die selbst einmal Turnusärztin war, den Ärztekammern wesentliche Kompetenzen in der Ärzteausbildung aberkennen will: ÄK-Präsident Dorners Furcht vor einem „Guantanamo für Ärzte“ ist zum jetzigen Zeitpunkt für Turnusärzte jedenfalls nur schwer nachzuvollziehen. Diese sehen sich als mit Routinetätigkeiten überfrachtete, billige Systemerhalter, deren Ausbildung nicht mehr schlechter werden kann. Auch wenn eine Neuordnung der Ausbildungskompetenzen nicht bedeutet, dass sich ihre Situation verbessert, dürfen sie aber hoffen. Die Ärztekammer hatte ihre Chance, eine Ausbildung im Sinne der Auszubildenden und ihrer künftigen Patienten zu gestalten – und hat sie vergeben.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbsternannte Experten

Wiener Ärztekammer 2007: „Mehr Patienten, aber weniger Einkommen? Diesen Deal werden wir sicherlich nicht mittragen“ – oder doch?

Autos und LKW beherrschen die Straßen. Sie sind die wichtigsten Verkehrsteilnehmer. Wenn man Fahrer fragt, dann erfährt man sicher eine Menge, wie das Verkehrssystem besser zu machen wäre. Aber macht sie das bereits zu Verkehrsexperten? Solche hätten nicht nur die Straßen im Auge zu behalten. Sie müssten sich auch über Schiene, Luft und Infrastruktur Gedanken machen. Würden Fahrer bestimmen, dann sähe unser Verkehr anders aus; fahrerfreundlich sicher, aber wahrscheinlich nicht vernünftig. Wie in Amerika würden große Straßen Städte durchpflügen und öffentliche Verkehrsmittel würden zur Gänze fehlen. Oder betrachten wir den Tankwart. Er ist wohl der wichtigste Verteiler von Benzin. Macht ihn das automatisch zum Verkehrs- UND Energieexperten? Wohl kaum.

Im Gesundheitssystem ist das angeblich anders. Da sind einmal die Ärztekammern. Diese behaupten, dass sie und nur sie wissen, was richtig und wichtig fürs System ist. Andere sind nicht befähigt sich auszukennen. Und dann haben wir die Krankenkassen. Die verteilen das Geld. Wohlgemerkt verteilen sie es nur, denn dass Geld gehört uns, die wir es hergeben müssen – ungefragt. Aber die Kassen behaupten, sowohl das Gesundheitssystem als auch die Staatsfinanzen zu beherrschen und alleine glückselig machend zu sein.

Nun, die Realität ist anders. Ärztekammern verstehen wenig von einem Gesundheitssystem. Und die Kassen? Die sind sie definitiv keine Finanzexperten und leider auch keine Systemexperten – ich weiß wovon ich rede!

Schauen wir nach Wien, da sieht man, um was es wirklich geht. 2007 konnte keine Einigung zwischen Ärzten und Kassen gefunden werden. Die wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), damals schon fast pleite, haben für 2008 nur 1,5 Prozent Honorarerhöhung geboten. Die Kammer hat sich widersetzt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass durch Demographie und Inflation eine Steigerung von wenigstens fünf Prozent gerechtfertigt gewesen wären. Doch dann sah es so aus, als ob die WGKK kein Interesse mehr an Verträgen hätten. Und wenn der Ärztekammer der Vertragspartner abhanden kommt, dann ist es aus mit der Macht. Und das geht wohl gar nicht.

Skurril, wie man das System verteidigt, nur um seinen Machteinfluss und das damit verbundene bequeme Leben zu halten. Denn jetzt akzeptiert die Kammer für 2008 eine „Null-Runde“ und für 2009 eine Erhöhung von 1,4 Prozent. Hauptsache, WGKK und Ärztekammer sind gerettet – angeblich „ein Erfolg für Ärzteschaft wie Patienten“.

Doch wie wird der einzelne Kassenarzt reagieren? Wird er wirklich auf Einkommen verzichten und unentgeltlich arbeiten? Nein, er wird weniger Patienten behandeln und noch mehr in Spitäler einweisen! In Wien stiegen die Ambulanzzahlen seit 2003 um über 50 Prozent, die stationären Patienten um 10 Prozent. Das Spiel stationär vor ambulant geht munter weiter – auf unsere Kosten.

Und was wird das für die Patienten heißen? Nichts Gutes! Abgesehen davon, dass es noch weniger Arzttermine geben wird, die Wartezeiten noch länger werden, die Kuvertmedizin zunehmen und noch mehr in den Wahlarztbereich verdrängt wird, wird ein schlecht motivierter Arzt schlechte – und in weiterer Folge sogar teure – Arbeit leisten.

Wenn also selbsternannten Systemexperten und denen, die es noch werden wollen, Gegenwind ins Gesicht bläst, dann hoffe ich, dass die Apologeten des heutigen Systems ein wenig ins Grübeln kommen – auch wenn sie es nie öffentlich zugeben würden.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.