Neujahrswünsche

Es ist undurchschaubar, unser Gesundheitssystem. Wenigsten 50 Interessensgruppierungen haben nur ein Ziel – unser Wohl. Ein tröstlicher Gedanke.

Da wären die Gesundheitspolitiker unterschiedlichster Couleur, auf Bundes- und Landesebene, so wie aus den Städten und Gemeinden, und natürlich die Sozialpolitiker, die oft aus anderen Parteien sind und schon deswegen immer das Gegenteil behaupten. Dann die Wirtschaftspolitiker, vor allem auf regionaler Ebene und nicht zu vergessen die Finanzpolitiker – ja, man muss diese getrennt betrachten, weil sie unterschiedliche Ziele verfolgen, wenn wir nur an die Schulden der Länder denken, die der Finanzminister nicht unter Kontrolle bringt. Absolut nicht zu vergessen sind die, den Politikern unterstellten Beamten, auch sie verfolgen nur all zu gerne eigene Ziele.

Die Funktionäre aus den 20 Krankenkassen und 15 Krankenfürsorgeanstalten, und natürlich die Funktionäre der Pensionsversicherungsanstalt, die ja hauptsächlich für die Rehabilitation zuständig ist. Nicht zu vergessen die privaten Versicherer, denen insbesondere bei den Löhnen der Spitalsärzte eine wichtige Rolle zukommt – fragen sie nicht!

Die Träger der Spitäler, seien sie nun staatlich oder auch gemeinnützig-privat (Ordenspitäler) oder rein profitorientiert. Nicht zu vergessen die Besitzer der Ambulatorien – die können Kassen oder niedergelassene Ärzte sein, auch wenn deren Ambulatorien, anders als Ordinationen, der Wirtschaftskammer und nicht der Ärztekammer zugerechnet werden (alles sehr verwirrend). Und natürlich die Personalvertreter aller Einrichtungen zur Wahrung von Standortinteressen.

Dann die Funktionäre der großen Gewerkschaften – ihnen „gehören“ ja nicht nur die Gebietskrankenkassen, sondern auch die meisten Reha-Zentren. Die Funktionäre der zehn Ärztekammern, die es mit den dutzenden Parteien in ihren Reihen sicher nicht leicht haben, oder wenigstens nicht so leicht wie die Funktionäre der Wirtschaftskammer.

Die mehr oder weniger gut organisierten Interessenvertreter (innerhalb und außerhalb der Kammern) der Primarärzte, der angestellten Ärzte mit Ordinationen und die der ohne Ordinationen (jaja, diese Unterscheidungen sind wichtig) und natürlich die Vertreter der Wahlärzte. Ebenfalls in dieser Reihe zu erwähnen sind die Funktionäre in den vielen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die oft gar nicht harmonisch mit den anderen zusammenarbeiten.

Fast nicht wahrnehmbar, aber doch vorhanden sind die Interessensvertreter der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe, besonders, wenn sie freiberuflich arbeiten können.

Die Funktionäre der meist gemeinnützigen Pflegevereine (übrigens nicht selten klar parteipolitisch zugeordnet inklusive Gebietsschutz; man sollte nicht glauben, wo es überall Pfründe geben kann) und natürlich die Träger der Pflegeheime.

Die Organisatoren des Krankentransportwesens und die Manager der Blaulichtorganisationen (auch hier ist zu unterscheiden!). Achja, nicht zu vergessen, die Manager der Pharmaindustrie und der Firmen, die sich Medizinprodukten widmen (zum Beispiel den sehr beliebten Großgeräten wie Computertomographen).

Und last but not least, die Patientenanwälte, die – ganz ohne Sarkasmus – glücklicherweise eine immer wichtigere Rolle einnehmen.

Und natürlich alle, die, obwohl alleine die oben genannten etwa 50 zu unterscheidende Interessensgruppierungen ergeben, hier vergessen wurden.

Sie alle arbeiten – so wollen wir wenigstens glauben – uneigennützig und nur zu unserem Wohle. Ich wünsche daher auf diesem Weg das allerbeste fürs kommende Jahr.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Allokationsproblem – noch ein Lehrstück

Vielleicht ist es Zeit, ein Thema zu verbreiten, dass hierzulande unbekannt ist, aber anderswo schon lange diskutiert wird – das Allokationsproblem.

Frau M. (78) lebt alleine. Die häufigen Besuche ihrer Tochter reichen aus, dass sie mit dem täglichen Leben keine Schwierigkeiten hat. Zudem kommen oft ihre Enkel, samt Ur-Enkel vorbei. Das freut sie und für diese hält sie sich auch fit.

Eines Tages kriegt sie Fieber. Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung und schickt sie ins Spital. Dort wird sie auf Pneumokokken-Pneumonie sieben Tage lang behandelt. Jeden Spitalstag lässt ihre intellektuelle Kraft nach.

Als sie wieder nach Haus kommt, ist sie verwirrt. Die Familie ist überfordert. Statt auf professionelle (und kostspielige) Hilfe zu setzen, versucht sie mit häufigeren Besuchen und der Übernahme von Tätigkeiten, die früher Frau M. selbst erledigt hat, zu helfen. Aber alles hilft nicht, Frau M. dämmert immer stärker ein. Sechs Monate später muss sie ins Heim, wo sie, schwer dement, nach drei Jahren stirbt.

Was ist passiert? Der Spitalsaufenthalt hat Frau M. aus der Bahn geworfen. Er stellte ein Life-Event dar, das, wenn nicht richtig behandelt (reaktivierende Pflege!), oft zur „Dekompensation“ führt; die durch eigenen Willen und Training hintan gehaltene Demenz tritt plötzlich auf.

Der initiale Spitalsaufenthalt hat etwa 4.000 Euro gekostet. Das Pflegeheim, das sich die Familie nicht leisten konnte, wurde von der zuständigen Sozialabteilung bezahlt und kostete bis zum Tod von Frau M. 36.000 Euro.

War das nötig? Nein.

Beginnen wir damit, dass der Hausarzt die Pneumonie zu Hause behandeln und den Spitalsaufenthalt, der ja Auslöser war, vermeiden hätte können. Kosten dafür vielleicht 1.000 Euro, die jedoch aktuell nur unzureichend vom Kassensystem bezahlt werden. Das System verdrängt gerade ältere Patienten ins Spital.

Dann die Pneumokokken-Pneumonie. Vielleicht hätte diese vermieden werden können, in dem die Ur-Enkel geimpft gewesen wären. Eine solche Impfung verhindert nämlich nicht nur Mittelohrentzündungen bei Kindern, sondern auch Lungenentzündungen bei der Großelterngeneration. In diesem Fall hätte man mit 300 Euro für die Impfung nicht einmal die 1.000 Euro für den Arzt aufbringen müssen.

Dann das Heim. Auch das wäre nicht nötig. Würde bedarfsorientierte Pflege genau so als Sachleistung zur Verfügung stehen wie das Spital, hätte Frau M. für ein paar Wochen täglich eine reaktivierende Pflege und allenfalls auch eine Haushaltshilfe erhalten, die zusammen vielleicht 3.000 Euro gekostet und den Verlauf hätten mildern oder gar verhindern können.

Natürlich ist das zu simpel. Schließlich bedeutet die Verhinderung eines Krankheitsverlaufes nicht, dass damit alles eitle Wonne ist. Aber vieles deutet darauf hin, dass es gerade bei alten Menschen viel bringt, wenn Spitalsaufenthalte vermieden werden. Und mehr noch, selbst wenn wir annehmen, dass die Behandlungskosten nicht gesenkt werden können, weil Frau M. später an einer anderen teuren Krankheit sterben würde, eines hätte wir auf jeden Fall eines erreicht: eine höher Lebensqualität, nicht nur für die Patientin, sonder auch für die Familie.

Um das zu erreichen müssen Ressourcen so verteilt werden, dass sie an der richtigen Stelle vorhanden sind. Aber, solange sie in bestehende und oft falsche Strukturen (etwa unnötige Spitäler) gesteckt werden, fehlen sowohl Motivation als auch die Ressourcen selbst, eine patientenorientierte Neuverteilung vorzunehmen. Das nennt man das Allokationsproblem, das nur vom System gelöst werden kann.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Chuzpe – oder die Demokratie im Gesundheitssystem

Kaum schaut es danach aus, als ob Vernunft in die Gesundheitspolitik einziehen möchte, ist es auch schon wieder vorbei – ich bin stinksauer.

Da scheint der Gesundheitsminister sein, für mein empfinden, sklavisches Verhalten gegenüber der Ärztekammer (der Minister machte einen Antrittsbesuch beim Ärztekammerpräsidenten, nicht umgekehrt!) abzulegen und für die Bevölkerung da zu sein, geht er auch schon wieder in die Knie! Warum?

Die Ärztekammer publizierte am 16.12. folgendes:

Sie sieht „im Falle der Verwirklichung des Hauptverband-Planes (Anm.: Masterplan Gesundheit) die Gefahr einer gravierenden Aushöhlung der kassenärztlichen Versorgung, in der Folge eine Ausweitung der Staatsmedizin“, und „dass Patienten und ihre Gesundheit keine Ware seien, deren Qualität und Preis sich an marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten orientierten.“ Also was jetzt? Was genau haben die Kämmerer da aus dem Plan gelesen (was ich nicht einmal ansatzweise finden konnte)? Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig? Wurde da eine komplett neue Wirtschaftstheorie geboren? Oder werden einfach Klischees bedient, um zu mobilisieren – doch was soll rauskommen? Die Diktatur der ständischen Vertretung der Ärzteschaft?

Jedenfalls hat, am Tag nach diesen Veröffentlichungen, der Minister seine Meinung gegenüber dem Masterplan geändert. Hat er diesen vor kurzem noch gelobt, ist er jetzt überflüssig. Mehr noch, obwohl Mag. Ingrid Reischl, Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband, in der alle gewählten Funktionäre – die Obleute – der Kassen sitzen, und selbst Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, festhielt: „Alle Obleute stehen hinter dem Masterplan“ meint der Minister: „Ich weiß nicht, was das soll. Mir ist auch kein Beschluss der Kassen zu diesem Masterplan bekannt.“

Und weil diese Kasperliade noch zu toppen ist, hat die Ärztekammer am 18.12. mittels Presseaussendung dem Hauptverband nicht nur jegliche Kompetenz (welche hat sie denn selbst, wenn man die Ausbildungssituation der Turnusärzte, die Arbeitssituation der Spitalsärzte oder das Einkommen der Hausärzte bedenkt!), sondern auch die „demokratische Legitimation für Planung, Steuerung und Finanzierung im Gesundheitswesen“ abgesprochen.

Schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Proponenten dieser Aussagen zusammen wohl nicht einmal 10.000 Stimmen auf sich vereinigen können! Stimmen übrigens, die nur gültig sind, wenn man in Ärztelisten geführt wird – ein exklusiver Club! Stellt man das den Obleuten der Kassen und damit auch dem Hauptverband gegenüber, findet man dort drei Millionen Stimmen – so viele Österreicher gingen zu den, für die Besetzung der politischen Positionen relevanten, Arbeiter- und Wirtschaftskammerwahlen! Nicht, dass ich das für eine ideale demokratische Vorgangsweise halte – immerhin können vier Millionen Kinder, Arbeitslose und Pensionisten nicht mitstimmen – aber doch deutlich demokratischer als dieses Ärztekammerdünkel!

Nun, ich gebe zu, dass im Masterplan einiges unlauter oder undiplomatisch verpackt ist, was den Ärzten sauer aufstoßen muss. Der Hauptverband hat Forderungen formuliert, wo er zumindest wissen müsste, dass die für die Ärztekammer absolut unakzeptabel sind. Aber daraus eine solche Reaktion abzuleiten ist echte Hybris.

Und wenn ich wählen könnte, dann fiele meine Wahl auf den Hauptverband – denn als Patienten, fühle ich mich in keinster Weise durch Ärztekammer oder Gesundheitsminister vertreten, daher verbiete ich mir auch, dass mich diese ständig für deren Eigeninteressen vorschieben.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

BIP-Mythen im Gesundheitssystem

Volkswirtschaft ist schwierig! Umso leichter ist es, „BIP-Mythen“ und „es gibt keine Kostenexplosion im Gesundheitssystem“-Märchen zu erzählen.

Wenn Sie 100 Euro verdienen und 50 davon für Miete ausgeben, dann sind das 50 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens. Sollte ihr Einkommen schneller wachsen, als Ihre Miete, dann sinkt der Prozentsatz, auch wenn die Miete steigt. Wenn Sie also nach einer gewissen Zeit sagen wir doppelt soviel, folglich 200 Euro verdienen, aber die Miete nur um 50 Prozent auf 75 Euro gestiegen ist, dann zahlen sie nur mehr 35 Prozent ihres Geldes für das Wohnen. Soweit so gut!

Wenn jedoch ihr Vermieter nicht am Geld, sondern an Prozenten interessiert ist, und daher festlegt, dass Sie, egal was Sie verdienen, 50 Prozent zahlen müssen, müssten Sie entweder 100 Euro Miete zahlen oder, viel wahrscheinlicher, eine andere Wohnung suchen. Einfach deswegen, weil Sie, wie jeder andere auch, an Geld, und nicht an Prozenten interessiert sind.

Nun, wenn es um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht, ist das anders. Denn es ist modern geworden, nur mehr in BIP-Prozenten zu reden.

Gerade im Gesundheitssystem ist diese BIPitis ausgebrochen. Und Politiker, insbesondere Ärztekämmerer, erzählen Land auf Land ab, es gäbe keine Kostenexplosion, da die Ausgaben, gemessen am BIP, seit „Jahrzehnten“ stabil bei ungefähr zehn Prozent liegen.

Gerne wird außer Acht gelassen, dass das so betrachtete BIP immer 100 Prozent beträgt. Wenn also, wie großzügig gesagt wird, die Ausgaben „ungefähr“ gleich geblieben sind, wird verschwiegen, dass ein „Mehr“ dort, immer ein „Weniger“ woanders bedeutet. Und ein Blick in die Zahlen zeigt, dass das gar nicht so ungefähr ist. Der Anteil am BIP lag 1995 noch bei 9,5 (ungefähr 10?) Prozent und 2008 bei 10,5 (auch ungefähr 10?). Nach heutigem Geldwert beträgt die Differenz schlichte 2,7 Milliarden Euro, ein bisschen viel für „Ungefähr“.

Und weil es ja um Prozente geht, heißt dass nichts anderes, als dass diese Milliarden Euro heute jemand anderem zur Verfügung stehen, als noch 1995. Ob dieses Geld über Steuern und Beiträge der Bevölkerung schlicht abgenommen und das frei verfügbare Einkommen reduziert, oder aber aus anderen öffentlichen Bereichen (Bildung, Forschung, Verkehr, Sicherheit etc.) abgezogen wurde, soll nicht näher betrachtet werden. Wesentlich ist, diese Mittel wurden „umgeschichtet“. Und angesichts der demographischen Veränderung, wird diese Umschichtung munter weitergehen!

Und wenn wir schon bei BIP-Prozentrechnungen sind, dann sei ein bisschen in die „Zukunft“ geschaut.

Aus welchen Gründen auch immer, obwohl wir Ende 2010 haben, sind die Daten für 2009 vom Gesundheitsministerium noch nicht veröffentlicht. In diesem Jahr schrumpfte das BIP. Die Ausgaben in echtem Geld sind jedoch munter weiter gestiegen. Und so kann man auch ohne ministerielle Hilfe gut abschätzen, was, gemessen am BIP, so in die Gesundheit geflossen sein wird. Und wenn nicht irgendwelche unerkannt gebliebenen Wunder aufgetreten sind, dann werden es wohl ungefähr 11,5 Prozent werden; eine „explosionsartige“ Steigerung um 10 Prozent verglichen mit 2008.

Und da nicht unwichtige Teile des BIP 2009 auf Schulden aufgebaut sind, unsere Gläubiger, so wie jeder andere auch, nicht an Prozenten sondern echtem Geld interessiert sein werden, wird zukünftig der „frei verfügbare BIP-Kuchen (echtes Geld und keine Prozente)“ wohl kleiner werden. Mal sehen, wie die, die heute noch erzählen, dass die Gesundheitsausgaben „stabil“ sind, dann argumentieren werden.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Deutschland gegen Österreich: 2 zu 1

Dass die Deutschen einen doppelt so hohen Beitragssatz für die Krankenkassen haben, ist eher ein Zeichen für deren (mögliche) Effizienz. Aber wen interessiert’s?

„Wir hier in Österreich zahlen nur etwas mehr als sieben Prozent Kassenbeiträge. In Deutschland sind es 15 Prozent! Daran kann man sehen, wie gut und effizient unser Gesundheitssystem funktioniert.“

So ähnliches hört man leider nicht nur gelegentlich von hohen und höchsten Politikern. Ob diese Aussage schlicht auf Unwissen (was bei diesen Personen, die über riesige Beraterstäbe von Parteisoldaten und Beamten verfügen, an unbelehrbare Ignoranz erinnern muss), oder Dummheit (dafür könnte man ja nichts) basieren, oder auf bewusste Volksverblendung ausgerichtet sind, entzieht sich leider jeder Erkenntnis.

Klar allerdings ist, dass die Deutschen nicht deswegen doppelt so hohe Beiträge zahlen, weil sie schlechter wären, nein, die nehmen manche Grundsätze der selbstverwalteten Kassen mit solidarischer Finanzierung halt noch ernst. Und einer dieser Grundsätze ist es, durch Beiträge das zu bezahlen, was man bestellt und sich nicht auf „andere“, zum Beispiel Steuerzahler, zu verlassen.

Und so zahlen die deutschen Kassen halt noch (fast) alles selbst, wo bei uns längst Steuergelder herangezogen werden.

Bei uns betragen die reinen Kassen-Beiträge, also ohne irgendwelche direkten oder indirekten Steuergelder, je nach Rechenart etwa neun bis elf Milliarden Euro. Die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für die Gesundheitsversorgung, also sowohl das, was die Sozialversicherungen als auch das, was Bund, Länder und Gemeinden bezahlen, belaufen sich auf knapp 21 Milliarden Euro. Daher werden weniger als die Hälfte dieser Kosten durch Beiträge berappt. Der Rest kommt zum überwiegenden Teil aus Steuern. Und so ist es leicht verständlich, dass unsere Beitragssätze nur halb so hoch sind.

Daraus abzuleiten, wir sind effizienter ist schon mehr als Chuzpe. Besonders, wenn wir auf die Ausgaben in richtigem Geld schauen. Pro Kopf geben wir, gerechnet in harter Währung, nämlich fünf bis zehn Prozent mehr (!) aus als unser Nachbar. Und erreichen wir damit mehr? Sind die Österreicher gesünder als die Deutschen? – ein wesentliches Kriterium der Effizienz ist ja, bei gleicher Effektivität weniger Ressourcen zu verbrauchen!

Nun, ein kleiner Blick in ein paar harte Zahlen lässt wenigstens berechtigten Zweifel zu. Hierzulande sind wir absolute Spitze bei der Zahl der Invaliden, gemessen an den Invaliditätspensionisten, und bei der Pflege unumstrittene Sieger, wenn wir die Zahl der Pflegegeldbezieher als Kriterium heranziehen.

Also genau geschaut ist unser System definitiv nicht effizienter als das Deutsche – und ohne es jetzt belegen zu wollen, deren System zeichnet sich im internationalen Umfeld nicht gerade durch hohe Effizienz aus. Daran wird auch die letzte Reform nichts ändern. Denn hier wie dort sind es Blockierer auf allen Ebenen, die echte Strukturreformen verhindern und immer nur nach mehr Geld schreien.

Was die Deutschen uns aber voraus haben ist, dass, wenn es denn zu einer echten Kassenreform kommt, die Finanzierung aus einer Hand erfolgen könnte. Bei uns hingegen, werden weiter die „virtuellen Geldgeber“ Sozialpartner und Länder – die ja, wie uns Vizekanzler Pröll offen gestanden hat, nach der Realverfassung gewichtiger sind, als die politischen Entscheidungsgremien, die unsere „echte“ Verfassung vorsieht – streiten und jeder wird sagen, wie toll und effizient er denn nicht agiere, und das beste aller System feiern.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Metternich, die Gesundheitspolitik und der Vormärz

Gut geführte und gesteuerte Gesundheitssysteme zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Entscheidungsträger willens und fähig sind, ihre Arbeit kritisch zu hinterfragen.

Herr L* ist ein bekannter und kritischer Wissenschaftsjournalist. Seine Einstellung mag vielleicht als kontroversiell eingestuft werden, aber seine Arbeiten sind gut recherchiert und haben Hand und Fuß. Und weil eben seine Arbeit gut und nicht nur einfach sensationslüstern ist (ein Vorwurf, der ihm oft von denen gemacht wird, die er kritisiert), ist er ein gern gesehener Vortragender.

Nun kommt es, dass er wieder einmal gebucht war, diesmal zu einem Kongress, der von einigen landeseigenen Krankenhäusern in einem Bundesland, dessen Namen man nicht aussprechen sollte, organisiert wird. Als jedoch die Obrigkeit erfuhr, dass Herr L. einen Vortrag halten soll, wurden kurzerhand die Verantwortlichen in die Zentrale zitiert, gescholten und mit dem Auftrag nach Hause geschickt, den ganzen Kongress abzusagen – denn um diese Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tarnen, wurde nicht nur einfach Herr L. ausgeladen, sondern eben alles abgesagt. Die Wortwahl der Absage wurde vorgegeben und im Übrigen alle zur Verschwiegenheit verpflichtet!

Ist das ein Einzelfall von gekränkter Eitelkeit einzelner, von öffentlichen Geldern bezahlter, Entscheidungsträgern? Mitnichten!

Als beispielsweise in einem anderen Bundesland Herr P* im Rahmen seiner Amtstätigkeit – mittlerweile ist er von dort entfernt – mehr Transparenz herstellen wollte und jede öffentlich finanzierte Studie, die in seiner Abteilung durchgeführt wurde, auch publizieren wollte, hat man hat ihm das schlicht von oben herab verboten.

Auch Herr N* – ebenfalls ein anderes Bundesland – könnte so seine Geschichte erzählen. Als er die Unerhörtheit besaß, die Sinnhaftigkeit eines Spitals-Neubaus, mit Fakten belegt, zu hinterfragen, war die Konsequenz seine Degradierung.

Und auch ich kann mich in diese unvollständige Liste einreihen. Bisher wurden drei, von den eigentlichen Veranstaltern diverser Tagungen gebuchte, Vorträge deswegen storniert, weil es von „Oben“ so gewünscht wurde.

Und das mein damaliger Arbeitsplatz kurz nach dem Erscheinen meines systemkritischen Buches „überflüssig“ und daher abgebaut wurde, ist sicher nur ein Zufall (ich war damals für die Entwicklung eines Spitalsplans zuständig, der bis heute nicht offiziell vorliegt, aber durch eine externe Beratungsfirma erstellt wurde, dessen Honorar bei einem mehrstelligen Vielfachen meines Jahreseinkommens liegt).

Bei all dem habe ich noch gar nicht an meine Zeit im Österreichischen Bundesinstitut im Gesundheitswesen (ÖBIG, heute GÖG) gedacht, als Berichte „zensuriert“ wurden; Berichte, die größtenteils ohnehin nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken durften, selbst dann nicht, wenn die Zensur jede noch so gerechtfertigte Kritik entfernt hatte – schließlich ist selbst die leiseste Kritik nicht erwünscht und die Wahrheit dem Volk nicht zuzumuten.

Es gilt als bewiesen, dass öffentliche Gesundheitssysteme besser funktionieren können, als privatisierte. Dazu allerdings müssen sie gut geführt und gesteuert werden. Die Qualität der Führung und Steuerung hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob die, die wirklich entscheiden, fähig und willens sind, ihre Arbeit immer und immer wieder kritisch und transparent zu beleuchten.

Aber genau das ist weit und breit nicht zu erkennen. Es scheint so, dass jede Kritik von außen eine Majestätsbeleidigung und von innen Hochverrat ist – wie zu Metternichs Zeiten, die auch als Vormärz bezeichnet werden.

*Namen dem Autor bekannt

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Markt, Populismus und das Gesundheitswesen

Griechenland überschattet alles, was sonst so an politischem Handeln passiert. Es ist schwierig sich dem zu entziehen – eine Reflexion über Moral.

In all diesem wirtschaftlichen Schlamassel werden sehr schnell Schuldige gefunden, seien es Spekulanten oder Ratingagenturen. Schuld sind also der Markt und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche – also andere. Der liberale Weg war eine Fehlentwicklung, heißt es, und der Staat (also die Politiker), muss autoritärer (totalitärer) werden.

Nun, hat denn der Markt wirklich versagt? Eigentlich nicht! Er macht genau das, was er für richtig hält. Allerdings, und das stößt unangenehm auf, gefällt das vielen nicht. Sie sind der Meinung, dass das, was passiert, böse und unmoralisch ist.

Und genau darin sind die Lügen zu finden; denn, haben wir noch so etwas wie einen moralischen Konsens?

Im Gesundheitssystem versprechen alle Politiker, dass allen alles überall auf allerhöchstem Niveau feilgeboten wird, kostenlos. Doch ist das so? Natürlich nicht! Abgesehen davon, dass wir wegen fehlender Qualitätsmessung gar nicht wissen, welches Niveau wo existiert (es ist zu vermuten, dass es ganz grausliche Unterschiede gibt) kostet das Gesundheitssystem sehr viel Geld. Doch die Frage, ob es uns das auch Wert (eine moralische Frage!) ist, diese Frage wird tunlichst vermieden. Ja, es gilt sogar als unmoralisch nicht davon auszugehen, dass Gesundheit unendlich viel Wert ist. Unter diesen Bedingungen muss das System demnächst auch unendlich viel kosten (die ja jemandes Einkommen sind!) dürfen. Doch erstens, ist das realistisch, und zweitens ehrlich?

Wenn man an die Versuche denkt, alle Spitäler, die meist unter dem Blickwinkel des Wohlfühl- und Zufriedenheitsfaktors und nicht der Gesundheitsversorgung betrachtet wurden, nun auch als wirtschaftlich sinnvoll darzustellen, dann ist das bedenklich; und wenn der Gesundheitsminister allen Experten widerspricht, dass im Spitalswesen Geld zu sparen ist, sondern einstimmt in den Chor der unendlich kostbaren Spitalsversorgung, beängstigend. Denn mit „Moral“ oder wenigstens nur Wahrheit hat das nichts zu tun.

Wenn mit Zahlen operiert wird, die gelogen sind, nur damit niemand besorgt fragen könnte, ob denn doch was nicht stimmt, dann ist das arg. Denken wir nur an die nicht erfassten Ausgaben bei den Wahlärzten, die nur deswegen verschwiegen werden, weil die ohnehin hohen Selbstbehalte offiziell nicht noch höher werden dürfen.

Wenn Ärzte Patienten nicht die Wahrheit erzählen, sondern gefällige Interpretationen von oft selbstgestrickten Daten referieren, nur um einem ernsten Gespräch zu entgehen und „ewiges“ Leben versprechen können, wenn Patienten auf Intensivabteilungen gequält werden, nur weil die Gesellschaft (von oben verordnet) sich dem Problem Lebensqualität versus Lebenslänge entzieht und den handelnden Ärzten kein moralisches Gerüst bereitstellt um diese heiklen Fragen im Alltag zu klären, dann ist das alles unmoralischer Selbstbetrug.

Wenn also Populismus jegliche Werte ersetzt, wenn die Maxime des Handelns Stimmmaximierung ist, ja dann dürfen wir uns nicht wundern, dass der (logische und unmoralische) Markt, dessen Ziel Gewinnmaximierung ist, kurzsichtig, destruktiv und gefräßig handelt. Der Markt ist so nur Spiegel unseres eigenen Versagens.

Und wenn man schon liberalem Gedankengut die Schuld zuschieben will, dann nur dahingehend, dass Liberale zu naiv sind. Denn sie glauben tief in ihrem Herzen, dass demokratisch gewählte Politiker die Freiheit weniger missbrauchen als Diktatoren. Aber wahrscheinlich liegen sie hier falsch.

Dieser Artikel wurde im Mai 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ohne Krankheiten zum ewigen Leben

Täglich erfahren wir, wie wir gesünder leben können; das ist gut! Aber immer schwingt mit, dass, wenn Krankheiten verhindert werden, ewiges Leben winkt; das ist Blödsinn!

Herr M. las unlängst, dass die Untersuchung eines im Blut zirkulierenden Antikörpers gegen bestimmte Proteine, die in der Prostata zu finden sind (PSA-Test), die Überlebenswahrscheinlichkeit um 20 Prozent hebt. Herr M. ist Raucher, übergewichtig und 62 Jahre alt. Er geht nächstes Jahr in Pension, und wenn ein einfacher Test, der noch dazu gratis ist, seinen Tod gleich um ein Fünftel verhindern kann, dann ist das super. Außerdem weiß er ja, dass Prostatakrebs ein sehr häufiger Krebs ist. Irgendwo hat er gelesen, dass jeder sechste Mann daran erkrankt. Das zu verhindern ist sicher keine schlechte Idee.

Er lässt den Test machen.

Was er allerdings nicht weiß, und ihm auch niemand so richtig erklärt, ist, dass er das Gelesene kaum richtig verstanden hat. Denn so ein PSA-Test verlängert nicht das Leben. Ganz und gar nicht. Die Überlebenswahrscheinlichkeit wird nicht um 20 Prozent erhöht, was passiert, ist, dass die Wahrscheinlichkeit an Prostatakrebs zu sterben um 20 Prozent sinkt. Auch wenn das ganz toll klingt, ist das für ihn vermutlich nicht relevant. Denn, von den 35.156 männlichen Einwohnern die 2008 gestorben sind, sind gerade einmal 1.187 (3,4 Prozent) an Prostata-Krebs gestorben (ungefähr so viele wie sich umbringen). Hätten alle einen PSA-Test durchführen lassen, dann wären vielleicht von den 35.156 Verstorbenen statt 1.187 nur 1.000 an Prostata-Krebs gestorben.

Das heißt aber nicht, dass die andere 187 Männer länger gelebt hätten. Denn die Studien zur Gesamtüberlebenszeit zeigen zwischen denen, die sich testen lassen und denen, die das nicht tun, keinen Unterschied. Und um es klar auszudrücken, für etwa 34.000 Männer wäre es jedenfalls unerheblich gewesen, ob sie den Test machen hätten lassen oder nicht.

Am Ende ist der Tod durch Prostata-Krebs unbedeutend – auch wenn es für den einzelnen, der daran stirbt, sicher ein Drama ist. Sich generell vor ihm zu fürchten ist neurotisch. Und Herr M. wird wahrscheinlicher an den Folgen seines Lebenswandels (Übergewicht und Rauchen) sterben, als an seiner Prostata. Der Test wird sein Leben nicht verlängern, wenigstens nicht nachweislich. Die Angst vor dem Krebs wird aber mit jedem Test (man macht ihn ja regelmäßig) steigen und wenn das Ergebnis keinen Krebs nachweist, ihn in einer nicht realen Sicherheit wiegen.

Die Streitereien, ob dieser Test nun sinnvoll ist oder nicht, sind end- und grenzenlos. Aber darum geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass es mittlerweile tief in unserem Denken enthalten ist, dass, wenn wir nur alle Krankheiten heilen, uns ewiges Leben winkt. Ich will jetzt nicht zynisch klingen, aber trotz aller medizinischer Kunst hat noch niemand überlebt.

Natürlich ist es leicht, von dieser Stelle aus zu behaupten, „Fürchtet euch nicht“, egal was euch gesagt wird. Aber es ist so. Jeden Tag erzählen uns Akteure des Gesundheitssystems, wie krank wir sind und wie wir Heilung erwarten können. Und wir glauben es nur allzu gerne.

Es wird aber Zeit zu erkennen, dass wir jedenfalls sterben müssen. Verhindern wir den Herzinfarkt, wird uns der Krebs töten, verhindern wird den auch, dann wird an seine Stelle vielleicht dementielles Siechtum treten. Wie immer wir es drehen, wir sind sterblich. Ein Gesundheitssystem sollte uns helfen, solang wie möglich gesund und glücklich zu leben, aber uns ewig auf Erden wandeln zu lassen, das ist absurd. Daher sollte diese Idee auch offiziell untersagt werden.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

In Kärnten wird es beginnen

Obwohl klar ist, dass Spitäler für Länder unfinanzierbar werden, sind sie an Reformen nicht interessiert – noch können sie ja beim Personal sparen.

Wir schreiben das Jahr 20xy.

Frau M. wird stationär aufgenommen. Die Krankheit, wegen der sie aufgenommen wird, wird außerhalb von Österreich seit langem ambulant behandelt. Anders hierzulande, denn hier gilt es, Patienten aufzunehmen, um zu beweisen, dass jedes Bett und jedes Spital nötig ist.

Nach zwanzig Minuten, die Frau M. neben „ihrem“ Bett stehend zugewartet hat, kommt eine sichtlich mürrische Krankenschwester. Es ist erst halb neun, und Frau M. ist heute die sechste Aufnahme. Da drei Kolleginnen vor Monaten das Handtuch geworfen haben und die Politik bei Nachbesetzungen seit 2010 auf der Bremse steht, wird die Arbeit heute im Schnitt von zwanzig Prozent weniger Schwestern geleistet, als noch 2009. Das wirkt sich halt auf die Umgangsformen aus. Frau M. nimmt es hin, schließlich weiß sie, dass unser Gesundheitssystem das beste ist; folglich muss es überall auf der Welt schlechter sein, denkt sie bei sich.

Kurz vor zwölf kommt eine Ärztin. Ihre Augenringe sind tief und schwarz. Frau M. empfindet spontan Mitleid. Im Gespräch erfährt sie, dass seit 2010 zwei Stellen unbesetzt sind. Wenn alle gesund sind, gehe es sich gerade aus. Aber seit einer Woche ist ein Kollege krank und eine Kollegin schwanger und dürfe keine Nachtdienste machen. Und so ist sie diese Woche bereits im dritten Dienst. Das Unfaire ist, so die Ärztin, dass die Chirurgie einen Stock höher genau so viele Ärzte hat wie ihre Abteilung, allerdings nicht einmal halb so viele Patienten. Eigentlich hätte die Chirurgie längst geschlossen werden können, aber die Politik konnte sich nie dazu durchringen.

Der Reigen dieser Entwicklung wurde Anfang 2010 in Kärnten eröffnet. Nach der Hypo-Pleite musste das Land sparen; auch bei Spitälern.

Anfangs wurde eine Strukturreform angekündigt. Man werde Spitäler nach dem Bedarf ausrichten, was auch bedeutet, Abteilungen, die nicht notwendig sind, zu schließen. Besonders witzig, aber zum damaligen Populismus passend, nannte der Finanzlandesrat als Beispiel für seine Reformideen die Schließung der Chirurgie in Mürzzuschlag. Als er das sagte, hatte die steirische Politik längst beschlossen, diese wieder zu eröffnen. Abteilungen zu schließen hat nie geklappt. Also war, von heute aus betrachtet, schon damals klar, dass die Strukturreform nie kommen wird.

Was kam, waren die Personalsparpläne. Weil jedoch neben Standort- auch Beschäftigungsgarantien ausgesprochen wurden, nützte man die natürliche Fluktuation. Damit hat es besonders jene Abteilungen getroffen, an denen hohe Fluktuation herrschte – also dort, wo hohe Arbeitsbelastung dazu führte, dass Mitarbeiter öfter gingen. Und genau dort wurde bei Nachbesetzung gezögert oder diese gar verhindert.

Aber Kärnten war nur der Anfang. Fast alle Bundesländer gingen den gleichen Weg. Heute finden vor allem kleine Spitäler kaum mehr Ärzte, die bereit sind, eine Spitalskarriere anzustreben – alle wollen so rasch wie möglich raus, um sich als Wahlärzte (nicht als Kassenärzte!) zu versuchen. Die Ausbildung von Ärzten ist damit kaum mehr zu bestreiten. Beim Pflegepersonal ist es nicht besser. Diplomiertes Personal bleibt nicht einmal mehr fünf Jahre im Job. Die Spirale dreht sich und die Personalmisere wird immer schlimmer.

Aber das Schöne ist, dass wegen guter Medienarbeit die Bevölkerung davon nichts mitkriegt und Gott sei Dank eine Strukturreform im besten aller Gesundheitssysteme vermieden werden konnte.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Zufriedenheit als Regierungsauftrag – populistischer Wahnsinn

Dass Meinungsumfragen politisch nicht unwichtig sind, ist bekannt. Dass sie aber offen als Richtlinie dienen, ist eine beunruhigende Entwicklung.

Wenn man Meinungsumfragen macht, ist es leicht, Fragen so zu stellen, dass das erwünschte Ergebnis erscheint. Noch anfälliger sind bevölkerungsbasierte Zufriedenheitsmessungen im Gesundheitswesen.

Zufriedenheit ist der Quotient aus erwarteter durch erhaltene Qualität. Ein und dieselbe Qualität kann subjektiv bei niedriger Erwartung zur Zufriedenheit, bei hoher Erwartung zur Unzufriedenheit führen. Ein Rückschluss auf die real erbrachte Qualität ist nicht möglich. Dazu kommt, dass jeder weiß, dass unsere Gesundheitsversorgung sehr teuer ist und fast ausschließlich über Systeme organisiert wird, aus denen man nicht austreten kann; man hängt im Ernstfall also davon ab. Damit fällt es schwer, kritisch zu sein. Ein teures Pflichtsystem, dass von allen Ebenen der Politik als das beste der Welt beschrieben wird, kann doch nicht wirklich schlecht sein, oder?

Was sagt es also über die Versorgungsqualität aus, wenn laut Meinungsumfrage 94 Prozent der Österreicher über 16 Jahre mit ihr zufrieden sind? Nichts! Genauer geschaut antworten ohnehin nur 63 Prozent auf die Frage „Wie zufrieden sind Sie mit der Gesundheitsversorgung in Österreich?“ mit „Sehr“. Die auf 94 fehlenden 31 Prozent antworten nur mit „Etwas“. Einmal ehrlich, wenn eines der teuersten Gesundheitssysteme nur ein „Etwas“ erreicht, ist das eher peinlich, und diese 31 Prozent unkritisch den Zufriedenen zuzurechnen, populistisch.

Gänzlich verschwiegen werden natürlich politisch unerwünschte Meinungsäußerungen.

Da wäre die Aussage, dass man die optimale Versorgung nur dann kriegt, wenn man eine Zusatzversicherung hat. 29 Prozent stimmen dem voll zu, 23 Prozent etwas. Zusammen also sind 51 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass eine optimale Versorgung etwas mit privaten Zuzahlungen zu tun hat – willkommen in der Zwei-Klassen-Medizin.

Und die teure Spitalsversorgung stellt nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung sehr zufrieden! Eigentlich ein katastrophales Ergebnis. Und gerade bei den Antworten rund um die Spitäler liegt auch der Skandal dieser Meinungsumfrage. Denn BM Alois Stöger will sich bei seinen Entscheidungen an die Ergebnisse solcher Meinungsumfragen halten. Obwohl Experten im Spitalsbereich das größte Einsparungspotenzial sehen, diese Potential aber nur von fünf Prozent der Bevölkerung ebenfalls gesehen wird, und weil sich zudem 67 Prozent gegen Zusammenlegungen von Spitälern aussprechen, lässt der Minister folgendes ausrichten: „Die Experten sind für mich in erster Linie die Patienten. Wenn ihnen die Standorte wichtig sind, sind sie mir das auch.“

Warum brauchen wir eigentlich Politiker mit ihren weitreichenden Machtbefugnissen noch? Ist es nicht so, dass wir Politiker für ihre REGIERUNGSARBEIT mit Macht und Geld ausstatten und ihnen dafür riesige Beamtenapparate (Experten!) zur Verfügung stellen? Wenn jedoch Meinungsumfragen als Richtlinie für Entscheidungen gelten, dann wäre es doch billiger, eine kleine Bürokratie aufzubauen, die den Ist-Stand bewahren muss und bei jeder Änderung des Zustands an Meinungsumfragen gebunden wird. Dass würde zwar katastrophal enden, weil nun einmal zu viele Widersprüchlichkeiten in der Bevölkerung bestehen, und es nicht möglich ist, es allen Recht zu tun; aber es wäre doch deutlich billiger, als so viele Politiker und Beamte durchzufüttern. Wenn ohnehin beide Wege ins Chaos führen, dann soll man sich wenigstens für den billigeren entscheiden.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.