Viel zu viele Patienten

   Ein System, das strukturorientiert, aber patientenfern ist, führt unweigerlich zu hoher Belastung und niedrigen Gehältern bei mäßigem Erfolg – aber zu glücklichen Politikern.

Weiterlesen: Viel zu viele Patienten

   Im Sommer stand an dieser Stelle, dass es zahlenmäßig keinen Ärzte- und Pflegekräftemangel gibt – aber auch, dass das die Politik wenig interessiert. Mehr zu fordern, ist einfach sehr beliebt. Doch was sind die Konsequenzen?

Seit langem wird moniert, dass die Versorgung viel zu spitalslastig ist. Zwar haben uns die Deutschen 2020 überholt, aber der Drittplatzierte in der EU behandelt 30 Prozent weniger Patienten im Spital, gegenüber dem EU-Schnitt sind es 60 Prozent. Umgerechnet in Patienten wären das etwa 750.000 vermeidbare Aufnahmen.

   Wenn wir Patienten im Spital behandeln, benutzen wir – gemessen an den Betriebs- ohne Personalkosten – die teuerste Infrastruktur. Wir geben schon ziemlich viel Geld dafür aus, aber verglichen mit anderen Ländern und in Relation zum Patientenaufkommen auch wieder nicht. Und um das zu erreichen, müssen bei uns die Personalkosten niedrig und die Belastung hoch sein.

Im Kassenbereich ist es das gleiche Spiel: extrem hohe Inanspruchnahme bei relativ geringen Ausgaben – viele, zu viele Patienten pro Arzt. Nur so als Beispiel: Ein Hausarzt in Österreich dürfte – die Datenlage hierzu ist schlecht – im Schnitt und in Relation zum Durchschnittseinkommen der Bevölkerung, im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht verdienen. Aber er sieht viermal so viele Patienten pro Tag wie seine internationalen Kollegen. Massenbetrieb eben, wie die Krankenkassen das vorsehen.

   Über die Wahlärzte wissen wir praktisch gar nichts – die Ausgaben dort werden nicht richtig erfasst, weil so getan wird, als würden diese großteils nur unwichtige Medizin betreiben. Da Ärzte umsatzsteuerbefreit sind und nur die bei den Kassen eingereichten Honorare erfasst werden, würde die Statistik nahelegen, dass die Wahlärzte alle am Hungertuch nagen– warum deren Zahl steigt, ist daher ungewiss.

   Und im Pflegebereich? Wir haben es geschafft, derart stark auf informelle Pflege zu setzen, dass Patienten zuerst ins Bett und dann ins Heim gepflegt werden. Auch hier haben wir viel zu viel stationäre Versorgung und damit wiederum die teuerste Infrastruktur und müssen bei den Personalkosten sparen.

Dazu kommt, dass der durchschnittliche Pflegefall, der professionell versorgt wird, bereits ein schwerer Pflegefall ist. All die modernen Pflegeansätze, die präventiv wirken, kommen zu spät. Und aus der Sicht der einzelnen Pflegekraft ist es psychisch daher unglaublich anstrengend, so viele „hoffnungslose“ Fälle zu sehen. Es ist kein Wunder, dass 85 Prozent der mobilen, und 40 Prozent der stationären Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten.

   Am Ende verzeichnen wir, weil die Politiker aller Ebenen es nicht schaffen, eine patienten- statt (pfründe-?)strukturorientierte Reform umzusetzen, eine extrem hohe Inanspruchnahme aller Gesundheitsleistungen, ohne hohe Gesundheit und niedrige Pflegebedürftigkeit zu erreichen – und weil wir dann in teuren Strukturen viele Gesundheitsprofessionisten mit möglichst niedrigen Kosten brauchen, spürt jeder einen Mangel und jammert übers Geld – das Prinzip „Mehr in der öffentlichen Versorgung“ führt so zu belastenden Arbeitsbedingung bei relativ niedrigen Gehältern und zu einer Flucht in die Teilzeit oder in den Wahlarztbereich

„Wiener Zeitung“ vom 01.10.2021

Irrtümer bei der Debatte um die elektronische Gesundheitsakte

Wie berechtigt ist die jahrelange Debatte um die Elektronische Gesundheitsakte Elga? Eine Entwirrung der Begrifflichkeiten.

Weiterlesen: Irrtümer bei der Debatte um die elektronische Gesundheitsakte

   Während der endlosen, oft inferior geführten Debatte wurde die Idee von Elga, durch raschere, orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit medizinischer Informationen die Versorgung von Patienten zu verbessern, immer mehr aus den Augen verloren. Die Diskussion hat sich immer stärker von der Versorgungsebene auf die (politische) Systemebene verlagert.

   Die Systemebene dient dazu, die Versorgung entsprechend der politischen Willensbildung zu regeln, also einen Rahmen abzustecken; das System selbst kann weder versorgen noch behandeln.

   Die Versorgung ihrerseits ist von der eigentlichen Behandlung zu unterscheiden. Behandlung bedeutet, dass die richtige Leistung erbracht wird. Aufgabe der Versorgung ist es sicherzustellen, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit vom richtigen Arzt behandelt wird.

   Die Unterscheidung zwischen System- , Versorgungs- und Behandlungsebene ist alles andere als eine semantische Spitzfindigkeit; jede Ebene funktioniert nach eigenen Grundsätzen – es ist ein bisschen so wie Auto/Straße/Verkehrspolitik: Alles hängt zusammen, ist aber doch komplett unterschiedlich.

   Wenn Elga, und so war die Gesundheitsakte angedacht, zur Versorgungsebene gehört, dann dienen die in Elga enthaltenen Informationen dazu, die Behandlung zu ermöglichen und die für die Behandlung nötige und von einem besonderen Vertrauen getragene Arzt-Patienten-Beziehung effektiver und zielgerichteter zu gestalten – also darauf zu achten, dass der richtige Patienten schneller beim richtigen Arzt ist, um dort die richtige Behandlung zu erhalten.

   Was Elga dann nicht kann, ist die Versorgung zu regeln oder zu kontrollieren, und schon gar nicht kann Elga den strukturellen Reformstau beheben – das sind definitiv Aufgaben der Systemebene.

   Nichtsdestotrotz wird Elga als Instrument der Systemebene gehandelt. Politiker sehen in Elga ein Instrument, das System transparenter zu machen, Kosten zu sparen und bekannte Systemprobleme (zum Beispiel die hochgradige Fragmentierung der Kompetenzen) aufzubrechen und zu lösen. Dinge, die Elga eigentlich nicht tun sollte und kann.

   Wird Elga als Kontroll- und Steuerungsinstrument, also als Instrument der Systemebene, eingerichtet, ist abzusehen, dass die Informationen, die dort gespeichert werden, nicht dazu dienen werden, die Versorgung zu verbessern. Die Daten werden zunehmend so eingespeist, dass sie der Kontrolle entsprechen (also Absicherungsmedizin fördern), aber nicht so, dass verschiedene Ärzte entlang einer Patientenkarriere miteinander kommunizieren und arbeiten können. In weiterer Folge besteht das Risiko, dass Elga für die Behandlungsebene unbrauchbar wird.

   Wenn es nicht gelingt, die wesentlichen Beteiligten – die behandelnden Ärzte und Patienten – davon zu überzeugen, dass Elga ausschließlich ihnen dient und sonst niemandem, wird Elga zu einem teuren Datenfriedhof, der am Ende die Versorgung nicht verbessert, sondern verschlechtert. Damit wird das System intransparenter, teurer und die Systemprobleme werden größer.

„Wiener Zeitung“ Nr. 016 vom 23.01.2014  

Verantwortungs- und folgenlose Gesundheitspolitik

1969, also vor 44 Jahren, hat die WHO kritisiert, dass unser Gesundheitssystem zu wenig „zentralistisch“ ist. Die Bundesregierung, deren Amtssitz sich in Wien befindet und daher sogar von Regierungsmitgliedern, wenn sie aus anderen Bundesländern kommen, gerne als „die Wiener“ tituliert wird,  hat keine Möglichkeit, in die Spitalslandschaft einzugreifen, damit Spitäler Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege werden  – mit willkürlichen und der Qualität abträglichen Folgen. Das Spitalsproblem ist also alles andere als neu oder unbekannt.

Seither wurde enorm viel unternommen, um diese Willkür einzufangen.

Weiterlesen „Verantwortungs- und folgenlose Gesundheitspolitik“

Evidenzbasierte versus Eminenzbasierte Gesundheitspolitik

Hintergrund

Die moderne Definition der Gesundheitsversorgung umfasst alle Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, seien sie gesundheitserhaltender, präventiver, diagnostischer, therapeutischer, rehabilitativer, pflegender oder palliativer Natur. Wesentlich ist nur, dass sie sich mit Krankheiten oder Symptomen, die ein Individuum aufweist, beschäftigen, unabhängig ob sie körperlich, seelisch oder verhaltensmäßig sind, einzelne Zellen oder Gene, Strukturen oder Funktionen des Körpers oder eines Teils des Körpers betreffen. Gesundheitsversorgung ist also geprägt von einer Unmenge an Einzelmaßnahmen (als Beispiel sei nur angemerkt, dass es alleine in Österreich ca. 120 bis 150 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte gibt), die in Summe das Ziel haben sollten, die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung insgesamt zu verbessern oder zu erhalten.

Weiterlesen „Evidenzbasierte versus Eminenzbasierte Gesundheitspolitik“

Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem – ein Text zum Verständnis

(Lesezeit 10 Min.) In der gesundheitspolitischen Diskussion, genauer in der realen Situation besteht ein erhebliches Sprachgewirr. So wird beispielsweise gerne behauptet, wir hätten das beste Gesundheitssystem (GS) der Welt und argumentiert das dann mit den Erfolgen der onkologischen Medizin oder den angeblich geringen Wartezeiten auf einzelne Therapien etc.. Abgesehen, dass die meisten dieser Aussage arbiträrer Natur, oder maximal als Einzelerfahrung zu werten sind, werden hier Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem in der Regel willkürlich vermischt.

Grundsätzlich gilt aber, dass die Behandlung eines Patienten nicht automatisch etwas mit seiner Versorgung zu tun haben muss, und noch viel weniger mit dem Gesundheitssystem. Daher können Behandlungserfolge auch nicht unmittelbar der Versorgung und schon gar nicht dem Gesundheitssystem zugesprochen werden. Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung sind verschiedene Ebenen, die, wiewohl systemisch miteinander verknüpft, eigenen Regelmäßigkeiten unterliegen.

Interessant, politisch betrachtet aber logisch, sind die Grenzen dieser Ebenen dann klarer, wenn es um negative Nachrichten geht. Wenn im Rahmen eine Behandlung etwas schief läuft, also ein Misserfolg vorliegt, halten sich meist bereits die Verantwortlichen auf der Versorgungsebene, ganz klar aber jene der Systemebene als unbeteiligte schuldlos. Üblicherweise ist ein Spitalsarzt selbst schuld (auch wenn es juristisch anders aussieht) und nicht das Spital und schon gar nicht das Bundesland. Analog im niedergelassenen Bereich. Dort wird es nie zur Schuldhaftigkeit der Kassen oder in weiterer Folge des Gesundheitsministeriums als Aufsichtsbehörde kommen, wenn eine Behandlung erfolglos blieb.

  Weiterlesen „Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem – ein Text zum Verständnis“

Eigenlob stinkt – auch in der Gesundheitspolitik

Ich weiß nicht, wie oft man das sagen muss, bis auch Politiker lernen, dass unser Gesundheitssystem schlecht ist. Die Bevölkerung, die weiß es nämlich schon!

„Wenn man in Österreich mit dem weltbesten Gesundheitssystem über eine Reform desselben spricht, ist das so, als würde das Ski-Nationalteam nach einer Reform rufen.“ Das meint ÖVP Gesundheitssprecher Dr. Erwin Rasinger und fügt sich in die Reihen der Gesundbeter und Realitätsverweigerer.

WZ-Leser wissen, dass solche Aussagen, im Gegensatz zu den nachprüfbaren Medaillen der Ski-Asse, alles andere als beweisbar sind. Daher sollte man sie als „populistische Leerstücke“ gleich vergessen. Aber tun wir so, als ob wir nachdenken wollten. Wie beweist man, ob ein System gut ist?

Das ist gut erforscht: Ein System ist bestens, wenn mit den eingesetzten Ressourcen das machbare Maximum an Gesundheit produziert wird. Das System muss dazu Ressourcen für Versorgung und Behandlung aufbringen und dem Bedarf entsprechend sinnvoll verteilen.

In Österreich haben wir sehr viele Ressourcen im Einsatz.

Mit etwa 470 praktizierenden Ärzten (ohne Zahnärzte) pro 100.000 Einwohner liegen wir unangefochten an erster Stelle – und trotzdem wird gerne über Mangel gejammert! Arbeit ist eben dehnbar wie Gummi.

Aber auch mit 110 Millionen Kassenarzt-Besuchen (also ohne Wahlärzte und Spitalsambulanzen) liegen wir vermutlich ganz vorne; hier ist aber das Zählen und Vergleichen nicht so leicht.

Das wir mit 30 Spitalsaufnahmen pro 100 Einwohner spitze sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Dass wir vermutlich auch die meisten medizinischen Großgeräte wie Magnetresonanz haben, wissen nicht mehr alle, aber auch viele. Und wenn wir gleich fünfmal mehr Spitäler als die Dänen haben, denken die meisten Nicht-Politiker darüber nach, ob’s nicht doch ein bisserl weniger sein dürfte.

All das hat seinen Preis, und so darf es nicht verwundern, dass wir sehr viel Geld ausgeben und hier in der absoluten Spitzengruppe mitmischen.

Also, an Ressourcen mangelt es sicher nicht. Und weil wir das weltbeste Gesundheitssystem haben, dürften wir, dank dessen weiser Ressourcenverteilung erwarten, auch mehr Gesundheit zu finden – oder?

Schauen wir einfach nach.

Unsere Senioren dürfen nicht mit allzu vielen gesunden Lebensjahren rechnen, wenigstens nicht mit so vielen, wie eben in jenen Ländern, die gleich viel ausgeben wie wir. Hier spielen wir nicht in der Oberliga, sondern mit den Nachzüglern – die aber gleich 30 Prozent weniger Ressourcen aufwenden, um das gleiche zu erreichen (ganz abgesehen von den ehemaligen Ost-Block-Ländern, die noch viel weniger ausgeben, um ähnliche Werte zu erzielen).

Dieser Umstand spiegelt sich dann auch in anderen Zahlen wider. Die Zahl der Invalidenpensionisten zählt hierzulande zu den höchsten. Pro 1000 Einwohner im Alter zwischen 55 und 59 Jahren werden 40 wegen Krankheit vorzeitig pensioniert. Überhaupt ist es so, dass die Zahl der Invaliditätspensionen ein Drittel aller neuen Pensionisten ausmacht – das sind in etwa 30.000 pro Jahr. Und logisch weitergedacht ist unsere Bevölkerung ein Pflegefall. Während international bei den über 80-Jährigen mit weniger als 25 Prozent Pflegebedürftigkeit gerechnet wird, sind es bei uns fast 60 Prozent.

Es fehlt der Platz um weiteres aufzuzählen (beispielsweise was die Kindergesundheit betrifft), aber im Gesundheitssystem ist es so wie im Bildungssystem: es ist sehr sehr teuer und wenig effektiv – von wegen weltbestes! Wenn das Politiker nicht endlich ernst nehmen, dann werden sie ausgetauscht werden müssen.

Dieser Artikel wurde im April 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Das gesundheitspolitische Sprachgewirr

Gerne wird behauptet, wir hätten das beste Gesundheitssystem und argumentiert das beispielsweise mit den Erfolgen der Krebsbehandlung.

Abgesehen, dass die meisten Aussagen arbiträr sind, werden dabei Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem vermischt. Grundsätzlich gilt aber, dass die Behandlung eines Patienten nicht automatisch etwas mit seiner Versorgung und noch viel weniger mit dem System zu tun hat. Daher können Behandlungserfolge auch nicht direkt der Versorgung und schon gar nicht dem System zugesprochen werden. Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung sind, wiewohl systemisch miteinander verknüpft, verschiedene Ebenen.

Behandlung ist das, was in der Beziehung zwischen Patient und seinem Arzt (oder Gesundheitsprofessionisten) unmittelbar passiert.

Die beiden treffen sich aber nicht zufällig und grundlos. Hinter ihnen steht eine komplexe Logistik, die ein Treffen erst ermöglicht. Sei es, dass Trivialitäten wie Treffpunkt (Ordination, Spital etc.) und Finanzierung, aber auch komplexe Umstände, wie die Motivation der beiden vorhanden sein müssen. Beim Patienten ist letzteres scheinbar einfach, schließlich ist er krank. Aber auch da gibt es nicht triviale Fragen: Welche Schmerzen, Wege, Wartezeiten ist er bereit auf sich zu nehmen, um zum Treffpunkt zu gelangen? Welches Risiko (z.B.: Verlust der Selbstbestimmung) besteht, wenn er sich in diese, von Informationsasymmetrie geprägte, Beziehung, einlässt? Noch komplexere Fragen findet man beim Arzt. Schließlich wird von der Bezahlung bis zu den Arbeitsbedingungen alles Anreize darstellen, diese Beziehung in die eine oder andere Richtung zu steuern. All diese Fragen und Antworten gehören zur Versorgungsebene.

Und weil diese nicht im luftleeren Raum steht, schwebt darüber das Gesundheitssystem. Hier sollten die Fragen abstrakt sein: Was soll das System erreichen? Wie entwickle ich Ziele und wie messe ich sie? Und: Von wem nehme ich für wen das Geld?

Standortdiskussionen gehören nicht zu Systemfragen und Behandlungsfragen schon gar nicht. Im allgemeinen Sprachgewirr, wird aber Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung synonym verwendet; meist von Akteuren, die ein Eigeninteresse daran haben, dass die Bevölkerung keine Unterscheidung treffen kann. Das ermöglicht politischen Gewinn, da so jede erfolgreiche Behandlung – und das sind ja die meisten – als Erfolg des Systems oder der Versorgung im Allgemeinen und deren politischer Vertreter im Besonderen gewertet werden kann.

Die Grenzen der Ebenen sind übrigens dann klarer, wenn es um negative Erfolge geht. Üblicherweise ist ein Spitalsarzt dann selbst schuld und nicht das Spital und schon gar nicht das Bundesland. Analog im niedergelassenen Bereich, dort wird es nie zur Schuldhaftigkeit der Kassen oder des Gesundheitsministeriums kommen, wenn eine Behandlung erfolglos blieb.

Wer die Reformdiskussion anschaut, kann erkennen, wer es ernst meint und wer nicht. Will ein Akteur zusätzlich auf anderen als der eigenen Ebene bestimmen, dann geht es nur um Macht. Das ist beispielsweise so, wenn Länder sowohl Spitäler, inklusiver deren Abteilungsstrukturen, betreiben als auch (mit fremdem Geld) finanzieren wollen. Bei dieser Kompetenzvermischung zwischen System- und Versorgungsverantwortlichkeit ist prognostiziert, dass Ziele nicht unabhängig der Versorgungsstrukturen erstellt werden, und auch die Ergebnisse nicht objektiv sein werden, sondern dem entsprechen, was der Versorger erreichen will. Und weil da die Politik mitspielt, ist das Erreichte dann „das Beste der Welt“.

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Jetzt wird es ernst

Maastricht lehrt den Landesspitälern das fürchten – und weil es keine Gesundheitsreform gibt, werden Spitalsmitarbeiter an den Lehren leiden.

Als die Finanzkrise kam, gab es mahnende Stimmen, die vor massiv schrumpfenden Steuereinnahmen aufgrund der daraus resultierenden Wirtschaftskrise warnten. Spätestens seit 2008 mahnten Stimmen, endlich jene Strukturreformen anzugehen, die seit Jahrzehnten überfällig sind; immer mit dabei, Gesundheitssystem und Spitäler.

Dann war sie da, die Krise. Dass wir Normalsterblichen kaum etwas mitbekommen haben, liegt an den gigantischen Geldmitteln, die zu unserem Wohl (?) und um uns bei Laune zu halten, verteilt wurden. Das Geld kam und kommt über Schulden, aber das interessiert nur Kleingeister.

Den Reigen hat Ex-Finanzminister Wilhelm Molterer eingeleitet, als er den Ländern Schulden statt Überschüsse erlaubte. Und tatsächlich haben diese 2009 drei Milliarden Euro mehr unters Volk gebracht als noch 2008. Das meiste davon ging in Spitäler – vermutlich eine Milliarde in den Betrieb, mindestens eine weitere in Neubauten oder „dringend notwendige“ Modernisierungen. An eine Reform war bei einem solchen Geldsegen gar nicht zu denken. Und die Kleingeister (wozu wohl auch Hauptverbandschef Hans Jörg Schelling gezählt werden muss), die stetig eine solche einforderten, wurden belächelt.

Und so haben sich jene, die sich nicht kümmern, woher Geld kommt, auch nicht im geringsten Gedanken gemacht, was passiert, wenn es nicht mehr kommt – so etwas galt in diesen Kreisen wohl als obszön.

Und dann passierte es. Die Griechen haben uns dermaßen hineingeritten, dass die Euro-Länder (nicht aber unsere Bundesländer) beschlossen haben, der populistischen Schuldenpolitik entgegenzutreten. Die Folge ist, dass die „Maastricht-schonend“ ausgelagerten Spitalsschulden – mindestens drei, vielleicht aber auch zehn Milliarden Euro – nun ins Budget zurückfallen. Damit war der Traum vom ewigen Geldregen vorbei. Das passierte fast ohne Aufschrei, denn vermutlich haben viele Bundesländer die Schreckstarre noch nicht überwunden oder sich in eine neurotische Verweigerung zurückgezogen. Ändert aber nichts! Sie werden demnächst auf dem Trockenen sitzen.

Da aber keine Überlegungen stattgefunden haben, wie man mit einer solchen Situation umgeht, und auch jede Gesundheitsreform untergraben oder unterbunden hat, tritt ein, wovor vor zwei Jahren gewarnt wurde.

Die Personalkosten sind mit 56 Prozent der Gesamtkosten der größte Block. Im Personalabbau sieht man nun (nicht nur in Wien) sein Heil. Da politisch ein solcher über Kündigungen kaum umzusetzen ist, greift man zum „natürlichen“ Abgang. Damit kommt es zu einer paradoxen Situation.

Den größten „natürlichen“ Abgang, der in Spitälern weniger durch Pensionierung als durch Fluktuation gegeben ist, findet man dort, wo die Arbeitsbelastung (insbesondere für Jungärzte, die meist nur auf Zeit angestellt sind, und für das Pflegepersonal) am größten ist. Dort, wo die Arbeit vergleichsweise gemütlich ist, ist die Fluktuation geringer. Der Stellenabbau wird daher genau dort stattfinden, wo der größte Arbeitsdruck herrscht, der dadurch noch größer wird. Das wird die Fluktuation weiter anheizen und es wird immer schwieriger werden, Personal zu finden – ein virtueller Mangel wird entstehen.

Und so beginnen sich die Spiralen schneller zu drehen und am Ende steht dann doch eine Reform. Allerdings eine erzwungene, und solche sind immer schlechter als gut vorbereitete.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Salzburger und ihr Medikamentenexperiment

Die Idee der Salzburger Gebietskrankenkassen über Wettbewerb Medikamentenpreise zu senken wird funktionieren – aber zu welchem Preis?

Wenn ein Unternehmen ein Original-Medikament von den Kassen erstattet haben will, darf es den Preis – den sogenannten Fabriksabgabepreis (FAP) – nicht selbst festlegen. Zuerst wird der EU-Durchschnittspreis ermittelt, denn kein Original darf teurer als dieser sein. Auf dieser Basis wird dann mit dem Monopoleinkäufer Hauptverband verhandelt. Folgerichtig sind, international verglichen, unsere Preise niedrig. Generika, also Imitate der Originale, müssen sich nicht an EU-Durchschnittspreise halten, und so sind deren Preise vergleichsweise hoch. Nun gibt es ein weiteres Spezifikum. Originale sind an die Generikapreise gebunden. Je nachdem, wie viele Generika es gibt, müssen entsprechende Originale mit dem Preis runter. Ab dem dritten Generikum darf das Original nicht teurer, als das teuerste Generikum sein.

Am Ende geben Kassen, auf FAP-Basis, knapp zwei Milliarden Euro aus. Dazu kommt noch eine Milliarde für die staatlich festgelegten Handelsspannen der Großhändler und Apotheken.

Gemessen an den Preisen für Originale ist diese regulierte Vorgangsweise erfolgreich, aber nicht ungefährlich. Das zeigt die Tatsache, dass der oligopolartig organisierte Großhandel begonnen hat, zu exportieren, und die niedrigen Einstandspreise dazu nützt, international höhere Gewinne als die hierzulande festgelegten Handelsspannen abzugreifen. Die Folge sind Lieferschwierigkeiten für einzelne Medikamente in Österreich.

Nun, was heißt das im Zusammenhang mit der Salzburger Liste. Da Medikamente, wenn es mindestens drei Generika gibt, etwa gleich viel kosten, stehen Produzenten in einem preisunabhängigen Wettbewerb. Wer verkaufen will, kann sich nur durch Service abgrenzen. Es ist müßig nachzudenken, in wie weit es unethisch zugeht – am Ende, so will es das System, bleibt nur der Service um Produkte an Patienten zu bringen. Und weil wir kaum pharmaunabhängige Fortbildung haben, bildete dieser Service, ob wir wollen oder nicht, eine wichtige Stütze für die Qualität der Versorgung.

Die Idee der Salzburger Liste ist es, einen additiven Preiskampf einzuführen. Da wir hohe Generikapreise haben, wird es zu einem solchen kommen. Ist man der „billigste“, hat man die Chance, für eine Zeit lang, „Quasi“-Monopolverkäufer zu sein, ganz ohne Vertriebssystem und Sponsoring. Wirklich große Generikahersteller werden diese Chance nützen.

In der Folge werden Generika-Preise sinken. Die kleinen werden sich das nicht leisten können und aufhören. Der heute atomistische Markt wird zunehmend von Großen dominiert. Weiters wird es – dank unserem Gesetz – dazu kommen, dass die Preise für Originale noch weiter sinken müssten. Spätestens dann werden internationale Unternehmen nachdenken, ob sie Österreich noch beliefern. Und da der Großhandel bereits begonnen hat zu exportieren und so international auf Preise drückt, wird diese Entscheidung leicht fallen. Die Folge ist, dass Medikamente gar nicht mehr angeboten, und immer mehr Unternehmen ihre Forschungsaktivitäten und (auch die Generikafirmen) Vertriebsysteme einstellen werden.

Durch Kombination aus planwirtschaftlicher Preisregulierung und marktwirtschaftlichem Preiswettbewerb wird so die medikamentöse, und wohl auch – wegen immer schwieriger zu findenden Sponsoren für Fortbildungsveranstaltungen – die ärztliche Versorgung leiden. Und das alles wegen ein paar kurzfristig ersparter Millionen, die das System ohnehin nicht retten können.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.