Selbstverwaltungsbürokratiekosten

Bunte Wege werden angedacht in der Gesundheitsreform – was soviel heißt wie: Alle Verwaltungsstrukturen sollen erhalten werden und alles bleiben, wie es ist.

Wer kennt sie nicht, die Lüge, dass ein Autokilometer nur Spritkosten verursacht. So gedacht ist Autofahren echt billig. Und weil wir uns selbst so belügen, haben Politiker mit ähnlichen Tricks leichtes Spiel.

Drei Prozent Verwaltungskosten sollen sie haben, unsere Krankenkassen, und damit billig sein. Tja, alleine: So einfach ist die Rechnung nicht.

Aus den offiziellen Angaben kann man bereits erkennen, dass der Verwaltungsbetrieb bei Gesamtausgaben von 13,2 Mrd. Euro 660 Mio. kostet – also schon hier sind es fünf statt drei Prozent. Das ist aber lange nicht alles.

An 10.000 Kassenärzte (inkl. Zahnärzte) werden vier Mrd. Euro ausbezahlt. Glaubt man der Ärztekammer, dann sind die Bürokratiekosten für Kassenordination in zweistelliger Prozenthöhe zu suchen. Glaubt man ihr nicht und setzt ebenfalls fünf Prozent an, kommen zu den oben genannten 660 Mio. Euro noch 200 Mio. dazu – jetzt sind wir bereist bei 6,5 Prozent Verwaltungskosten.

Es geht weiter. Die Ärztekammer erhält zwei Prozent Kammerumlage, das sind 80 Mio.Euro. Die dienen dazu, den Verwaltungsapparat aufrecht zu erhalten. Nun gut, neben der Verwaltung der Kassenärzte (inklusive den Verahndlungen mit den Krankenkassen) werden auch andere Tätigkeiten erbracht. Aber wenn man von 50 Mio. Euro ausgeht, liegt man sicher nicht falsch. Oben dazugezählt betragen also die Bürokratiekosten fast 910 Mio. Euro oder 7 Prozent – zum Vergleich, Kanada kommt mit zwei Prozent aus, hat aber auch ein „böses“ staatliches Gesundheitssystem.

Im stationären Bereich ist das alles noch komplexer. Welche Kosten die Länder- und Gemeindenbürokratien anhäufen, kann man nirgends ablesen. Auch, wie die Milliarden des Gesundheitsministeriums angerechnet werden müssen ist fraglich. Niedrig sind die Kosten allemal nicht. In den Spitälern direkt betragen die Verwaltungskosten 870 Mio. Euro. Wie viel davon auf die Bürokratie entfallen, ist unbekannt – vorsichtig geschätzt sind es 700 Mio., oder 7,5 Prozent der 9,3 Mrd. Euro Gesamtausgaben.

Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man nur in Spitälern und Krankenkassen für die Selbst-Verwaltung des Systems über zwei Mrd. Euro oder mehr als zehn Prozent Kosten ansetzt.

Noch nicht gesprochen haben wir über die Bürokratiekosten bei Medikamenten, in der Pflege oder der Rehabilitation. Da weiß man so gut wie nichts. Und ganz verschwiegen haben wir die Patientenseite. Denn auch die mühsame Recherche, welche Formulare man bis wann wo braucht um ein paar Krücken zu bekommen oder Besuche beim Chefarzt wegen irgendwelcher Bestätigungen kosten was – nämlich Zeit, die man an seinem Arbeitsplatz verbringen sollte. Ja, auch indirekte Kosten sind Kosten, selbst wenn die niemand zählen will – wie den Ölverbrauch beim Auto.

Hohe Verwaltungskosten sind immer dort zu finden, wo eine starke Fragmentierung vorherrscht. Und da sind wir spitze. 80 Krankenkassen und Krankenfürsorge-Anstalten, der Hauptverband, die Pensionsversicherung, die Privatversicherungen, der Bund, neun Länder, hunderte Gemeinden, zehn Ärztekammern und viele Gewerkschaften reden mit. Deswegen haben wir 4.000 Finanzströme, die verhandelt und verwaltet werden müssen.

Will man wirklich Verwaltungskosten reduzieren, muss man die Verwaltung vereinfachen. Aber wer wird sich dafür einsetzen? Die, die von den Milliarden gut leben? Politiker, die diese Bürokratie brauchen um genug Versorgungsposten für ihre eigenen Schäfchen zu haben?

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eine gut gepflegte Realitätsverweigerung

Mehrere Milliarden Euro Luft stecken im Gesundheitssystem – aber wir schießen mehr Steuern und Beiträge nach! Unbequeme Reformen kommen nicht in Frage.

Ganz einfach: Zieht man von den Einnahmen die Sachkosten und Steuern ab, kann man von dem was bleibt leben.

Am Markt werden Einnahmen von dem bestimmt, was der Kunde bereit ist zu zahlen. Will der weniger bezahlen, lebt man entweder von weniger, oder man schaut darauf, dass durch besseres Management die Sachkosten reduziert werden. Nun klar, das ist eine extreme Vereinfachung, aber am Ende bleibt es dabei – der Kunde bestimmt die Höhe der Einnahmen, Steuern und Kostenmanagement die Höhe des persönlichen Einkommens.

Anders im Gesundheitssystem. Hier bestehen die Einnahmen aus unfreiwilligen Beiträgen und Steuern.

Weil Menschen immer älter und kränker werden und die Zahl der Älteren zunimmt, steigen die Sachkosten für Medikamente, Ordinationen, Krankenhäuser etc. Das ist unvermeidbar. Kostenmanagement wäre angesagt, will man nicht, dass der Betrag für die Menschen, die vom Gesundheitssystem leben, kleiner wird. So etwas ist allerdings unpopulär, mühsam und unbequem. Weil es sich aber sehr viele in diesem System bequem gemacht haben und unpopuläre Maßnahmen tabu sind, ist es besser, man nützt das Monopol und schraubt an den Einnahmen – die sind leichter erhöht als Kosten reduziert.

Und da kommt eine Studie genau recht. Wieder einmal wurde „bewiesen“, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden – gemessen am „Bruttoverdienst“. Wir können zur Rettung des Gesundheitssystems die Reichen schröpfen.

So eine Studie ist per se dumm, weil sie so tut, als ob Steuern nicht umverteilen. Will man wirklich wissen, ob Arme ärmer und Reiche reicher werden, muss man statt des Bruttoeinkommens einer Person das frei verfügbare Einkommen eines Haushalts ansehen. Das ist der Teil des Einkommens, inklusiver aller Sozialtransfers, der nach Abzug aller Steuern und dem Betrag, der zur Aufrechterhaltung eines annehmbaren Lebensstandards erforderlich ist, übrig bleibt. Und siehe da, wenn man also die ganzen Sozialhilfen einrechnet – von der ORF-Gebührenbefreiung bis zum Stipendium für die Kinder – und vielleicht sogar den „Schwarzmarkt“ einbezieht, dann wird das Bild paradox.

Nehmen wir einen Alleinverdiener mit 4.500 Euro brutto und zwei Kindern. Brutto ist der Mann statistisch bereits reich. Aber! Verteilt man sein Netto-Einkommen inklusive Kinderbeihilfen auf die Familienmitglieder, dann wird der Haushalt statistisch plötzlich arm. Mit dem Brutto-Einkommen besteht aber keine Hoffnung auf Stipendien, Befreiungen oder Freifahrten. Wer offiziell so viel verdient hat vermutlich kaum Möglichkeiten, „schwarz“ zu arbeiten. Dass dank der hohen Abgaben 43.000 Euro an Staat und Sozialversicherung abgeführt werden müssen, bleibt unbedankt. Auch wie viel Arbeitszeit so ein Job verschlingt (keine Abgabe bezieht sich auf den Stundenlohn), ist egal. Brutto ist der Mann reich, also nehmen wir ihm was weg.

Nun, interessanterweise reagiert das Volk nicht dumm. Steigen die Pflichtabgaben und reduzieren so das frei verfügbare Einkommen, dann fliehen die Menschen zunehmend in die Leistungsverweigerung und den Schwarzmarkt. Wer also Rechnungen anstellt, dass man mit Beitrags- oder Steuererhöhungen die Einnahmen linear erhöhen kann, der wird sein blaues Wunder erleben. Und gerade dann, wenn die Wirtschaft kriselt, ist es sehr dumm jene zu belasten, die mit ihrer Produktivität Geld verdienen, nur um sich nicht der Realität stellen und unbequeme Gesundheitsreformen angehen zu müssen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsziele

Eine zielorientierte Politik im Gesundheitswesen wäre wünschenswert – und wird es auch bleiben, da sich keiner an unerreichten Zielen stößt.

Es ist simpel. Wer etwas erreichen will, der setzt sich Ziele. Normale Menschen, die ziellos herumirren und trotzdem Vollgas geben – die Wilden auf ihren Maschinen – sind gesellschaftlich nicht gerade anerkannt.

Ziele haben den (un)angenehmen Effekt, dass man sowohl Effektvität (also den Grad der Zielerreichung) als auch Effizienz (wie viel hat es gekostet, das Ziel zu erreichen) messen kann. Im Gesundheitswesen gibt es seit längerem Gesundheitsziele. Sie sind ein international verbreitetes Instrument, um Gesundheitspolitik zielgenauer und überprüfbarer zu machen. Aber genau das dürfte – oberflächlich betrachtet – bei uns politisch nicht gewünscht sein

1989 hat Österreich mit fast allen anderen WHO-Mitgliedstaaten folgende Ziele für Diabetiker vereinbart und „versprochen“, sie bis 1994 zu erreichen: (1) Verminderung neuer diabetesbedingter Erblindungen um ein Drittel oder mehr. (2) Verringerung neu auftretenden terminalen Nierenversagens wegen Diabetes um mindestens ein Drittel. (3) Senkung der Zahl von Amputationen aufgrund diabetesbedingter Gangrän um mindestens die Hälfte. (4) Verminderung der Morbidität und Mortalität bei koronarer Herzerkrankung von Diabetikern mittels intensiver Programme zur Verringerung der Risikofaktoren. (5) Normaler Schwangerschaftsverlauf bei Frauen mit Diabetes

Das klingt doch ganz gut. Umso erstaunlicher ist, dass man hierzulande Anfang des 21. Jahrhunderts folgende Zielformulierung findet: Bis zum Jahr 2010 sollte die Häufigkeit von Diabetesfolgen, wie Amputationen, Blindheit, Nierenversagen, Schwangerschaftskomplikationen und andere Gesundheitsstörungen um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 reduziert werden.

Einmal abgesehen davon, dass die „neuen“ Ziele weit unter denen liegen, die bereits vereinbart waren, ist es doch erstaunlich, dass sich niemand daran stößt, dass fixierte Ziele nicht erreicht wurden und einfach neue aufgestellt werden. Nun, muss man zugeben, dass nicht einmal die Hälfte der WHO-Staaten ernsthafte Maßnahmen gesetzt hat, die Ziele wirklich zu erreichen. Aber es ist halt schon ärgerlich, wenn man hierzulande zum Schein so tut, als ob Ziele ernst genommen werden und dann doch einfach ignoriert.

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum Österreich mit „Gesundheitszielen“ Probleme hat.

Auf der einen Seite ist es der steigende Populismus. Wenn man Gesundheitsziele definiert, dann impliziert es, dass man offenbar Verbesserungen erreichen kann. Wer gerne vom besten Gesundheitssystem redet, hat damit Probleme. Zudem bedeutet das Aufstellen von real erreichbaren Zielen („allen alles auf allerhöchstem Niveau“ zu bieten, ist kein Ziel, sondern naives Wunschdenken), Priorisierungen vornehmen zu müssen. Man kann nicht alles gleichzeitig angehen! Aber eine Priorisierung wird immer Wählerstimmern kosten, weil halt nicht alle die oberste Priorität erhalten werden.

Auf der anderen Seite ist es die Verteilung der Kompetenzen. Denn wer ist verantwortlich für die Erreichung von Zielen? Solange keine klare Kompetenzverteilung – die eine echte Gesundheitsreform verlangte – existiert, wird man Ziele zwar formulieren, aber nicht erreichen können. Denn nur wenn es klare Verantwortlichkeiten (nicht nur Zuständigkeiten) gibt, kann ein zielorientierter Prozess auch zum Ziel führen.

Und so bleiben wir lieber bei dem Spiel: Vollgas (die pro Kopfausgaben sind nach Luxemburg die zweithöchsten in der EU), egal wohin!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ferraris und Fahrräder

Die Beharrlichkeit der wirklich Mächtigen, die neuerdings auch in der Regierung sitzen, um Eigeninteressen zu vertreten, wird groß genug sein, weiter jede Reform zu verhindern – bis es kracht!

Wer einen Oldtimer hat, liebt ihn und steckt eine Menge Geld und Zeit in seine Erhaltung. Allerdings käme niemand auf die Idee, zu behaupten, sein Oldtimer entspräche dem Stand der Zeit oder gar, er sei das einzig funktionierende Fortbewegungsmittel.

Nun hat die WHO vor 40 Jahren folgendes zum österreichischen Gesundheitssystem festgestellt: (1) Die Zusammenarbeit wird zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert, (2) Es besteht keine Vorkehrung für eine Behandlung in Tageskliniken, daher werden im Allgemeinen nur „vollstationäre“ Patienten im Spital behandelt, (3) Es gibt die steigende Tendenz der praktizierenden Ärzte, ihre Patienten in ein Spital einzuweisen – diese Tendenz wird unter anderem durch das Honorierungssystem gefördert, (4) Die Vorsorge für die ärztliche Betreuung alter Menschen und chronisch Erkrankter ist im Allgemeinen unzulänglich.

Ohne detaillierter zu werden, besteht also seit langem ein Struktur- und kein Geldproblem! Wesentlichstes Strukturproblem ist und bleibt die fehlende abgestufte Versorgung, die eine unmittelbare Folge der wirren Kompetenzverteilung und machtsichernden Intransparenz ist. Man könnte es sich ungefähr so vorstellen, als ob für den Personenverkehr nur Ferraris (Krankenhäuser) oder Fahrräder (Einzelpraxen niedergelassener Ärzte) zugelassen wären; Keine Kombis oder Familienkutschen, keine Mopeds oder Busse. Wie würde da der Verkehr wohl aussehen? Billiger? Sicher nicht. Jede Familie würde beispielsweise mehrere Ferraris fahren müssen, die natürlich der Staat bezahlen muss, weil sich Normalverdiener maximal einen leisten könnten – und den auch nur, wenn sie auf fast alles andere verzichten.

Das gleiche gilt für das Gesundheitssystem. Abgestufte Versorgungsmodelle wie Gruppenpraxen und Tageskliniken sind Mangelware, medizinische Versorgungszentren wie in Deutschland unterliegen dem Denkverbot und Hausarztmodelle wie in der Schweiz sind nicht einmal ansatzweise zu erahnen. Selbst wenn in wenigen Fällen vernünftige, abgestufte Versorgungsmodelle erfolgreich versucht wurden, wie beispielsweise in Horn im Waldviertel oder Güssing im Burgenland, wird trotzdem behauptet, solche Modelle stellen eine weitere Ebene dar und sind teurer! Selbst wenn die gesamte Literatur zu diesem Thema als Erklärung herangezogen werden könnte, warum mit abgestuften Modellen integrierte Versorgungssysteme aufgebaut werden können, die neben der deutlich besseren Patientenorientierung, auch Qualitäts- und Kostenvorteile mit sich bringen, kann man hierzulande lesen, dass das niemand braucht.

Also, machen wir’s wie immer! Ändern wir die Finanzierung. Weil aber vermutlich das Volk ein bisschen grantln wird, werden jetzt halt „politische Interpretationen“ als Wahrheit selbst von allerhöchster Ebene dekretiert. Denn das Geld, das man haben will, brauchen nicht die Mächtigen, um ihre Jobs zu behalten, sondern die Versicherten. Und denen haben es alte Regierungen „entzogen“, und soll es die neue zurückgeben. Wer genauer rechnet, der wird diesen Raubzug kaum nachvollziehen können, da die Einnahmen der Kassen seit 2000 deutlich stärker gestiegen sind als ihre zusätzlichen Ausgaben und das SV-Budget seit Jahrzehnten schneller wächst als das Budget des Finanzministers. Aber genaue Rechner gibt es eh nicht.

Der Oldtimer Gesundheitssystem wird als auf dem Stand der Zeit festgeschrieben, koste es, was es wolle – aber wie lange wird das gut gehen?

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbsternannte Experten

Wiener Ärztekammer 2007: „Mehr Patienten, aber weniger Einkommen? Diesen Deal werden wir sicherlich nicht mittragen“ – oder doch?

Autos und LKW beherrschen die Straßen. Sie sind die wichtigsten Verkehrsteilnehmer. Wenn man Fahrer fragt, dann erfährt man sicher eine Menge, wie das Verkehrssystem besser zu machen wäre. Aber macht sie das bereits zu Verkehrsexperten? Solche hätten nicht nur die Straßen im Auge zu behalten. Sie müssten sich auch über Schiene, Luft und Infrastruktur Gedanken machen. Würden Fahrer bestimmen, dann sähe unser Verkehr anders aus; fahrerfreundlich sicher, aber wahrscheinlich nicht vernünftig. Wie in Amerika würden große Straßen Städte durchpflügen und öffentliche Verkehrsmittel würden zur Gänze fehlen. Oder betrachten wir den Tankwart. Er ist wohl der wichtigste Verteiler von Benzin. Macht ihn das automatisch zum Verkehrs- UND Energieexperten? Wohl kaum.

Im Gesundheitssystem ist das angeblich anders. Da sind einmal die Ärztekammern. Diese behaupten, dass sie und nur sie wissen, was richtig und wichtig fürs System ist. Andere sind nicht befähigt sich auszukennen. Und dann haben wir die Krankenkassen. Die verteilen das Geld. Wohlgemerkt verteilen sie es nur, denn dass Geld gehört uns, die wir es hergeben müssen – ungefragt. Aber die Kassen behaupten, sowohl das Gesundheitssystem als auch die Staatsfinanzen zu beherrschen und alleine glückselig machend zu sein.

Nun, die Realität ist anders. Ärztekammern verstehen wenig von einem Gesundheitssystem. Und die Kassen? Die sind sie definitiv keine Finanzexperten und leider auch keine Systemexperten – ich weiß wovon ich rede!

Schauen wir nach Wien, da sieht man, um was es wirklich geht. 2007 konnte keine Einigung zwischen Ärzten und Kassen gefunden werden. Die wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), damals schon fast pleite, haben für 2008 nur 1,5 Prozent Honorarerhöhung geboten. Die Kammer hat sich widersetzt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass durch Demographie und Inflation eine Steigerung von wenigstens fünf Prozent gerechtfertigt gewesen wären. Doch dann sah es so aus, als ob die WGKK kein Interesse mehr an Verträgen hätten. Und wenn der Ärztekammer der Vertragspartner abhanden kommt, dann ist es aus mit der Macht. Und das geht wohl gar nicht.

Skurril, wie man das System verteidigt, nur um seinen Machteinfluss und das damit verbundene bequeme Leben zu halten. Denn jetzt akzeptiert die Kammer für 2008 eine „Null-Runde“ und für 2009 eine Erhöhung von 1,4 Prozent. Hauptsache, WGKK und Ärztekammer sind gerettet – angeblich „ein Erfolg für Ärzteschaft wie Patienten“.

Doch wie wird der einzelne Kassenarzt reagieren? Wird er wirklich auf Einkommen verzichten und unentgeltlich arbeiten? Nein, er wird weniger Patienten behandeln und noch mehr in Spitäler einweisen! In Wien stiegen die Ambulanzzahlen seit 2003 um über 50 Prozent, die stationären Patienten um 10 Prozent. Das Spiel stationär vor ambulant geht munter weiter – auf unsere Kosten.

Und was wird das für die Patienten heißen? Nichts Gutes! Abgesehen davon, dass es noch weniger Arzttermine geben wird, die Wartezeiten noch länger werden, die Kuvertmedizin zunehmen und noch mehr in den Wahlarztbereich verdrängt wird, wird ein schlecht motivierter Arzt schlechte – und in weiterer Folge sogar teure – Arbeit leisten.

Wenn also selbsternannten Systemexperten und denen, die es noch werden wollen, Gegenwind ins Gesicht bläst, dann hoffe ich, dass die Apologeten des heutigen Systems ein wenig ins Grübeln kommen – auch wenn sie es nie öffentlich zugeben würden.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Reformen: Der Patient wird oft vergessen

    Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des Einzelnen zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!

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   Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur in darin, wie auch der Patient.

   Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!

   Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.

   In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Millionen Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Millionen davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patient, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Millionen sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben.

   Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Millionen Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Millionen Patienten behandelt, die etwa 15 Millionen Mal dort erscheinen. 1,5 Millionen Patienten werden 2,5 Millionen Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Millionen Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.

   Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!

   Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80 Prozent aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 118 vom 17.06.2008

Eine wieder nicht-stattfindende Reform

Der Wahnsinn reitet wieder. Eine Gesundheitsreform wird es nicht geben, dafür höhere Schulden. Hurra!

Wenn Gefühle mit der Vernunft nicht in Einklang zu bringen sind, dann reagieren Menschen merkwürdig.

Stellen Sie sich vor, sie schließen die Tür hinter sich und wissen, sie ist ins Schloss gefallen. Sie haben das Klicken gehört und wissen: „Ja, das Schloss ist zu“. Doch Ihr Gefühl sagt: „Nein, die Türe ist offen“. Sie drehen sich um, rütteln an der Tür. Sie ist zu. Sie wissen nun sicher, die Türe ist zu und wollen gehen. Doch Ihr Gefühl, dass die Türe offen ist, bleibt bestehen. Sie wissen, die Türe ist zu, gehen ein paar Schritte, doch das Gefühl, die Tür ist offen lässt sich nicht abstellen. Sie drehen um, gehen zurück, rütteln an der Tür und stellen fest, die Türe ist zu. Wieder versuchen sie zu gehen, doch bereits nach wenigen Metern ist es wieder da, das Gefühl „die Türe ist offen“. Mit jedem Meter wird das Gefühl stärker, bis es sie übermannt und sie zurückgehen um wieder an einer geschlossenen Türe zu rütteln.

In der Medizin wird so ein Verhalten Zwangsneurose genannt. Es sind arme Menschen, die daran leiden. Hin und hergerissen, zwischen ihrer Vernunft und sinnlosen Handlungen.

Ich frage mich, wie man die Heerscharen an Experten und Wissenschafter, die seit Jahrzehnten probieren, die Politik zu einer patientenorientierten und nachhaltigen Gesundheitsreformen zu bewegen, einzuteilen sind? Zwangsneurotiker, die immer und immer wieder sinnlose Handlungen setzen, obwohl sie doch wissen müssten, dass diese sinnlos sind?

Irgend so etwas muss es wohl sein. Denn obwohl nun seit 40 Jahren die Probleme des Gesundheitssystems bekannt sind, wird uns wieder keine Reform erwarten. Die Grundlage aller Probleme, die man zwar leugnen kann, aber deswegen nicht weg sind, ist die zersplitterte Kompetenzlage. Hier sind so dermaßen viele rechtliche Wahnsinnigkeiten enthalten, dass man für eine ernsthafte Reform eine Verwaltungsreform braucht. 4.000 Finanzströme, die eine patientenorientierte Versorgung immer unmöglicher machen und die offenbar nur dazu da sind, möglichst intransparent alle Pfründe – der Länder oder Sozialpartner, wer kann das noch unterscheiden – zu schützen, müssten bereinigt werden. Das sagen alle, die sich auskennen. Doch was kommt zum Thema Verwaltungsreform? Irgendwelche Schulratskompetenzen werden neu geregelt! Das war’s. Aber was soll man auch erwarten, wenn Landeshauptleute, die Profiteure der Weihnachtsmann-Politik (das Land schenkt, der Bund zahlt), bittet, dieses Thema zu verhandeln.

Fast prophetisch war auch, als vor zwei Monaten an dieser Stelle stand, dass die Entschuldung der Kassen wohl der nächste Schritt sein wird. Dass diese 450 Millionen Euro ein Steuergeschenk sind und wir dieses Geld wirklich bezahlt haben – es sich also nicht um Monopolygeld handelt – scheint niemanden zu interessieren. Der Vergleich mit der Finanzwelt, in der es hauptsächlich um Monopolygeld geht, ist nicht zulässig und wird trotzdem ständig bemüht. Traurig! Noch trauriger ist, dass damit jede „Anti-Schulden-Politik“ als Lippenbekenntnis entlarvt wurde. Unsere Kinder werden diesen Wahnsinn bezahlen – oder wie Hayek es voraussagt, andere Wege finden, die Kosten zu reduzieren.

Wie es mit einem Neurotiker halt so ist, werde ich das Wissen nicht los, dass es nie eine Reform geben wird, auch wenn mir das Gefühl sagt, das es ohne nicht gehen wird. Oder ist es das Wissen, dass es ohne Reform nicht geht und das Gefühl, dass es keine geben kann? Was soll`s!

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

Vom Reformwillen ist nichts mehr da. Im Gegenteil, die Zeichen stehen wieder einmal auf „Einnahmenseitige Reparatur“!

Es ist so gut, dass man schnell vergisst und auch, dass es nichts Älteres gibt, als die Zeitung von gestern. Anders wäre die Welt wohl kaum ertragen.

Vor mittlerweile eineinhalb Jahren war die Gesundheitsreformdiskussion richtig heiß. Unglaublich, wie lange das schon wieder her ist. In dem Sog der Diskussionen wurden doch tatsächlich einige mutig und wagten sich vor.

Der wohl mutigste und daher hochgeschätzt, ist Franz Bittner, Chef der WGKK und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellen. Unverblümt stellte er fest: „Wir haben keine Transparenz, keine Qualität und keine Effizienz im Gesundheitswesen“ Allein diese Aussage brachte ihn wohl intern unter Druck, aber mit dem Spruch: „Es würde uns gut tun, weniger föderalistisch zu sein, auch bei den Sozialversicherungen“, hat er es sich wohl mit einigen endgültig verscherzt.

Für eine Ministerin im Amt ist folgende Aussage wohl nicht ideal, wenn auch goldrichtig: „Kein Mensch kann wissen, welches Geld in welchen Topf geht.“ Genau so unglücklich wie bei Andrea Kdolsky ist es wohl auch bei Alfred Gusenbauer gelaufen, als er meinte: „Das Problem ist, dass wir bei diesem Riesensystem, in dem es um rund 30 Milliarden Euro geht, sehr unterschiedliche Interessen haben“. Naja, beide sind nicht mehr!

Noch im Rennen ist ein anderer: „Schauen Sie die Finanzierungsstruktur unseres Gesundheitswesens an – da brauchen Sie ein Stamperl Magenbitter, dass Sie das aushalten“ meinte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer und Chef des Wirtschaftsbundes, um dann eigenartige Veränderungsvorschläge zu machen, die eines sicher nicht verändert hätten, die Finanzierungsstruktur.

Interessant, dass ausgerechnet der, der der schärfste Kritiker Leitls war und die Gesundheitsreformdebatte wegen Eigeninteressen ruiniert hat, heute die Gesundheitsreform mit Erfahrung, wie er betont, verhandeln soll: Fritz Neugebauer, ein Tausendsassa. Eigentlich Volksschullehrer, ist er Chef des ÖAAB, Chef der Beamtengewerkschaft (nur Gott kann erklären wie das zusammengeht!), Stellvertretender Klubobmann der ÖVP und Nationalratsabgeordneter. Ein Lebenslauf, der ja geradezu prädestiniert, eine Gesundheitsreform zu konzipieren. Ein Beweis seiner großen Fähigkeiten, für den Patienten und ohne Eigeninteressen zu handeln, sind da auch seine Aussagen. Vor der Wahl war er der Meinung, dass „ein so sensibles Thema“ nicht übers Knie gebrochen werden darf, „weil man so die betroffenen (!) Gruppen, etwa die Ärzte und Länder, nicht erreichen kann“. Heute hat er zwar den Patienten noch immer nicht entdeckt, aber dafür will er sehr viel schneller arbeiten: „Die gesamte Reform muss bis Mitte 2009 stehen“. Seine klaren Linien zeigen auch folgende Aussagen: (vor der Wahl!) „Mehr Geld in die Krankenkassen zu investieren sei zunächst nicht notwendig“, (nach der Wahl!) „Es braucht eine rasche Geldspritze für jene Kassen, die akut bedroht sind“.

Tja, und nachdem sein Gegenüber, der Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, stellvertretende Vorsitzende des Hauptverbandes und Abgeordnete zum Nationalrat Wilhelm Haberzettel ebenfalls ein sehr kreativer, innovativer Kopf ist, der ja bereits festgehalten hat wie es geht („Um das Gesundheitssystem mittelfristig zu finanzieren, brauchen wir die Vermögenszuwachssteuer. Wer das verschweigt, betreibt eine Vogel-Strauß-Politik“), können wir uns auf eine „echte“ Reform freuen.

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Was drauf steht soll auch drinnen sein

Weil politischer Mut längst populistischem Handeln gewichen ist, wird die Spitalsversorgung immer schlechter – Gott sei dank merkt es niemand.

Stellen sie sich vor, Sie kaufen Seifenblasen. Sie nehmen die Verpackung und lesen, dass die gewählten Seifenblasen die schönsten der Welt sind. Sie sind groß und bunt für die, die sie groß und bunt wollen, oder klein und lustig hüpfend für die, die das wollen. Gut, denken Sie, das, was da drauf steht wird wohl nicht ganz stimmen, aber Seifenblasen lassen sich sicher erzeugen.

Sie kommen nach Hause, ihre Kinder scharen sich um Sie, Sie nehmen die Verpackung, tauchen den Stiel in die Flüssigkeit, pusten und – nichts geschieht. Auch jeder weitere Versuch bleibt erfolglos. Sie ärgern sich und riechen an der Seifenflüssigkeit – und stellen fest, es ist nur Wasser drinnen. Was geht durch Ihren Kopf? Sie wollen sich beschweren oder gar die Firma verklagen – und haben mit diesen Gedanken vollkommen recht.

Was hat das mit dem Spitalswesen zu tun? Nun, da erleben wir in Österreich Skurriles. Längst (wenigstens jedoch seit die WHO es 1969 in einem Bericht festgehalten hat) ist bekannt, dass die Qualität in Österreichs Spitälern nicht immer das ist, was sie zu sein scheint. Als Hauptgrund wurde damals genannt, dass es zu viele Häuser gäbe und es nicht möglich ist, bei so einer Vielzahl an Standorten die Qualität aufrecht zu erhalten. Und trotzdem haben wir es in den letzten 40 Jahren nicht geschafft, eine ordentliche und ausnahmsweise am Patienten statt an Wählerstimmen orientierte Reform umzusetzen.

Und die medizinische Entwicklung schreitet voran. Man muss sich vorstellen, dass jährlich 500.000 medizinisch-wissenschaftliche Artikel erscheinen. Bei so einer Fülle an Informationen ist es schlicht nicht möglich, in jedem unserer Spitäler eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Versorgungsqualität zu gewährleisten. Spezialisierung und Zentralisierung sind deswegen international seit Jahrzehnten ein Thema. Bei uns nicht. Und so verfügen wir über 40 Prozent mehr Spitalsbetten und nehmen um 70 Prozent mehr Patienten pro Jahr auf wie der europäische Durchschnitt. Bei solchen Zahlen ist es aber vollkommen klar, dass in vielen Spitälern schon längst keine Spitäler mehr drinnen sind. Statt eine fachärztliche Versorgungseinrichtung zu sein, die nur Patienten zur Verfügung steht, die entsprechend ihre Krankheit und den Therapiemöglichkeiten eine stationäre Versorgung benötigen, sind sie bei uns „Auffangbecken“ für wen auch immer. Und an jedem Standort wird festgehalten als ob es darum ginge, die Welt zu retten.

Jetzt wird das Geld knapp und Politiker wie willfährige Ökonomen suchen krampfhaft nach Sparpotential. Die einzig sinnvolle und längst überfällige Sparmaßnahme ist jedoch endlich diese vielen unnotwendigen Spitäler zu sperren und das freigesetzte Geld in eine moderne Gesundheitsversorgung zu investieren, die sich um den Patienten und nicht um regionalpolitische Wünsche kümmert. Aber das ist keine Option. Stattdessen wird lieber die Qualität weiter verwässert und bei Fortbildung und personeller wie technischer Ausstattung gespart. Dafür werden Eingangshallen „modernisiert“ und ein „Wohncharakter“ erzeugt. Und dem Patienten, dem sagt man einfach, alles sei vom Allerfeinsten und überhaupt ist die Versorgung auf allerhöchstem Niveau. Was für ein Glück, dass der Patient so wenig über Medizin weiß; so kann man ihm erklären, was man will. Und wer was anderes tut, der verunsichert Patienten und ist böse. Ach, und im Übrigen verweise ich auf H.D. Thoreau!

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitspolitik: Um was es wirklich geht!

Wen interessiert eigentlich noch der Patient und dessen Versorgung – eine emotionale Reflexion über ein bravouröses Stück Politiker-Mikado!

Kennen Sie sich noch aus? Diese Frage hat der ORF genau so gestellt, als die Verhandlungen rund um die Gesundheitsreform – eher das Kassensanierungsunterfangen – von einer 75/25 Chance für ein Zustandekommen über mehrmalige Unterbrechungen bis hin zum Scheitern, von keinem mehr so richtig beobachtet werden konnte.

Erlauben Sie mir ausnahmsweise eine emotionale und unbeherrschte Meinungsäußerung zu diesen Vorgängen, denn ich bin glücklich, dass dieses Werk nicht vollendet wird. Man hätte ein ohnehin schon sehr schwaches Konzept durch immer faulere Kompromisse so verwässert, dass nicht einmal das wenige, das erreicht hätte werden sollen, auch nur annähernd jemals erreicht hätte werden können. Das Scheitern aber eröffnet vielleicht jenen Weg, der mit Konsens und Vernunft – und der entsprechenden Zeitachse – gegangen werden kann, und dessen Ziel die Patientenversorgung und nicht der Erhalt von Machtkomplexen sein könnte.

Nichts desto trotz, war es spannend zu sehen, wie ignorant die einzelnen Machtkomplexe sich mittlerweile dem Thema der Gesundheitsversorgung widmen. Mit grundsätzlichen Fragen wie „Was wollen wir vom System?“, „Wie soll die Versorgung aussehen?“, „Erhalten die Patienten was sie brauchen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle?“ etc hat man sich erst gar nicht auseinandergesetzt. Aber das ist ja auch nicht nötig bei dem besten System des Universums, das sowieso allen und überall eine Versorgung auf allerallerhöchstem Niveau bietet – gratis, versteht sich! Auch die Frage nach Struktur- und Kompetenzveränderungen stoppte sofort an dem Punkt, wo die Mächtigen ihre Macht zugunsten der Patienten hätten aufgeben müssen – statt dessen konnten alle zuschauen wie ein peinlicher Machtkampf entbrannte und die Mächtigen nicht einmal mehr den Anstand wahren mussten, wenigstens nach außen für die Patienten einzustehen.

Dass alle Experten, wie das parlamentarische Expertenhearing gezeigt hat, mit der vorliegenden Reform nichts anfangen konnten, hat auch nicht zu einer vertieften und vielleicht sachorientierten Reflexion geführt. Ganz im Gegenteil! Der Vorwurf der populistischen Politiker in allen Parteien, dass man als Experte ja nichts umsetzen muss und daher leicht reden kann, wurde erhoben. Dieser Vorwurf ist getragen von genau der Ignoranz, die erst dazu führte, dass die Machtkomplexe immer weiter und tiefer Entscheidungen nach populistischen statt nach vernünftigen Kriterien getroffen haben. Und genau diese Ignoranz ist es auch, die es der ach so umsetzungsstarken Kaste erlaubt hat, den Patienten und dessen Versorgung endgültig aus allen Diskussionen herauszuhalten. Und mit genau der gleichen Ignoranz wurden konsequenterweise seit Jahrzehnten Expertenmeinungen unterdrückt und Kritiker verjagt– es geht ja offenbar um wichtigeres.

Die Machtkomplexe müssen sich wieder einmal darauf besinnen, dass der Patient nur dann ein Gesundheitssystem braucht, wenn er im System gesünder werden kann, als ohne es! Das Gesundheitssystem ist nicht dazu da, Krankenhäuser zu erhalten, Ärzte zu ernähren, regionale Politiker glücklich zu machen oder die Existenz von Krankenkassen zu sichern. Es ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Aber solange die Politik nicht daran erinnert wird, wird wohl ein öffentliches Gesundheitssystem österreichischen Zuschnitts durch Ignoranz und Festhalten an der Macht um jeden Preis weiterwursteln.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.