Gesundheitsplattformen und ihre reale Arbeitsweise

Hier sind zwei Evaluierungsberichte eines Reformpoolprojektes aus dem Jahre 2008! Der eine, wie er von wissenschaftlich denkenden, an der Wahrheit interessierten Menschen erarbeitet wurde, der andere, wie er NACH politischen Diskussionen verändert wurde! Die beiden Berichte haben nach der politischen Bearbeitung nichts mehr miteinander zu tun, obwohl der Verfasser weiterhin der gleiche ist – ein Professor für Gesundheitsökonomie (der sich zwar gewehrt hat, aber nichts dagegen machen konnte – ausser Klagen, was er dann halt doch nicht tat; verständlich). Rätsel: welcher der unteren Artikel – beide haben den haben den Originaltitel – ist der politisch gefakete? Weiterlesen „Gesundheitsplattformen und ihre reale Arbeitsweise“

Warnung vor „föderalistischer Staatsmedizin“ oder die ländlichen Gesundheitsplattformen

Die ländlichen Gesundheitsplattformen kommen wieder ins Gespräch Auch wenn sie vermutlich für die meisten unbekannt  sind, sie werden angeblich mit der nächsten Reform wirklich (er)mächtig! Und dagegen wettert die Ärztekammer mit drastischen Worten!

 

Gesetzlich gibt es seit 2005 (!) Gesundheitsplattformen (vereinbart in einer 15a-Vereinbarung). Naja, eigentlich erst seit 2006, denn es hat ein Jahr gedauert, bis sich die ländlichen Machtblöcke einigen konnten, wer denn nun drinnen sitzen soll, und wie man über die Geschäftordnung seine Macht erhalten kann.

So was dauert, schließlich sollten sich Gesundheitsplattformen nicht mit vernünftig zu lösende Sachfrage beschäftigen, wie: wo soll ein Spital mit welchem Angebot stehen, wo werden wie viele und welche ambulant versorgenden Ärzte gebraucht, wie geht man mit „Gastpatienten“, die in einem anderen Bundesland arbeiten (und versichert sind) als sie leben, um. Nein Ihre Aufgabe was es ideologisch und politisch schwierig zu lösende Fragen zu beantworten, Fragen wie: wo soll ein Spital stehen, wo werden Ärzte gebraucht oder wie soll mit „Gastpatienten“ umgegangen werden – eben typische Probleme, die sich der Vernunft entziehen!

Der Kernidee dieser der Öffentlichkeit weitgehende unbekannten Institutionen, war und ist die DEZENTRALE Planung (Landeebene) des Gesundheitssystems. Länder und Sozialversicherungen als Finanziers sollten, so der gesetzliche Auftrag, GEMEINSAM für die Gesundheitsversorgung der REGIONALEN Bevölkerung (definierte Versorgungsregionen, mehrere pro Bundesland) sorgen. Die Rahmenplanung für diese dezentralen Landesgesundheitsplattformen (LGP) werden durch die Bundesgesundheitsagentur  (BGA) erstell, samt den heute wieder entdeckten Qualitätsvorgaben! Steht alles drinnen in diesem uralten Dokument aus 2005, ziemlich detailliert und, möchte man glauben umsetzbar! (BGA: Artikel 10-13, Seite 8-10; LGP; Artikel 14-17, Seite 10-14).

Keine Plattform hat es je geschafft diesem Auftrag gerecht (im wahrsten Sinne des Wortes) zu werden. Eine gemeinsame Vorgangsweise gibt es, wenn überhaupt, nur in vereinzelten, kaum wahrnehmbaren Ansätzen und ausschließlich in der Akutmedizin. Rehabilitation hat man nicht bearbeitet, Prävention und Pflege wurden gleich gar nicht in die Agenda aufgenommen. Die vorgeschriebenen regionalen Strukturpläne, immerhin gesetzliche Basis aller Bedarfsprüfungen, die nach einem EuGH-Urteil neu geregelt werden musste, fehlen, sieht man von Betten- und Spitalsstandortplänen ab, die es so eigentlich gar nicht mehr geben dürfte, da ja als Planungsgröße Leistungen (also beispielsweise erwartbare Blinddarmentfernungen, erwartbare Herzinfarkte etc.) vorgeschrieben wären, nicht Strukturen!. Und die wenigen Plattformen, die es sich geleistet haben, ein sachlich kompetentes – und nicht politisch tickendes – gemeinsames Büro einzurichten, haben dieses bald wieder abgeschafft.

Nun, das tödliche Gift lag bereits im Gesundheitsreformgesetz 2005 selbst. Die Kompetenzen der Plattformen wurden sehr skurril festgelegt: Was die Kassenärzte betrifft, haben immer die Sozialversicherungen das Sagen, was die Spitäler betrifft die Länder – Zeugt das von einem gemeinsamen Willen?

Und dort, wo es gemeinsame Themen geben könnte, gibt es sie nicht, weil alle Geschäftsordnungen, und damit auch die Mitglieder, so ausgelegt sind, dass sich die Länder über Vorfeldorganisationen die Mehrheit gesichert haben. Angeblich soll es jetzt anders werden! Die Kompetenzen sollen besser Verteilt werden und so! Sachpolitische Vernunft soll mehr gelten als machtpolitische Überlegungen!  Aber, dass kann bezweifelt werden. Also werden die neuen alten Plattformen wohl kaum anderes sein, als verbal behübschte ländliche Abstimmungsmaschinen.

Aber was hat man erwartet? Da sitzen die dem Populismus zugeneigten Länder (siehe letzte Ausritte des LH Pröll ) und die in klassenkämpferischen Verhandlungen geübten Gewerkschaften zusammen und sollen eine gemeinsame Vision, eben die gemeinsame Sorge um die Patienten, entwickeln. Einmal ehrlich – ist das nicht zu naiv gedacht? Kann man wirklich erwarten, dass sich Organisationen mit reinem Machtwillen zusammensetzen und plötzlich einen gemeinsamen Gestaltungswillen entdecken?

ABER, ist deswegen eine ärztekämmerliche Warnung vor „föderalistischer Staatsmedizin“ gerechtfertigt? NEIN!

Denn der Ärztekammer sollte langsam klar werden, dass sie an der jetzigen Situation selbst große Mitschuld trägt. Wenn, wie die Kammer „droht“, die Plattformen ein Eingriff in heiliges Sozialpartnerrecht sind (gemeint sind die für die Kammer existenzberechtigenden Kassenverhandlungen, denn mit anderen Erfolgen kann sie sich kaum rechtfertigen, wenn man nur an die Arbeits– und Ausbildungssituationder Turnusärzte denkt), dann ist das nur gut so! Denn was hat denn dieses Sozialpartnerrecht gebracht?

Das seit Jahrzehnten andauernde Aushungern des niedergelassenen Bereichs wurde nicht nur nicht verhindert, sondern sogar beschleunigt. Das Prinzip „ambulant vor stationäre“ konnte nie durchgesetzt werden, im Gegenteil, die stationären Aufenthalte sind, gegen jeden internationalen Trend, gestiegen und liegen mittlerweile 70% über dem EU-Schnitt, was nichts anderes heißt, dass wir das spitalslastigste Land der Welt sind. Hausarztmodelle im Sinne eine Primary Health Care , das von der Prävention über Kuration und Rehabilitation bis zu Pflege reicht, fehlen gänzlich, mehr noch, wurden durch die Honorarordnung nahhaltig verhindert.

Alles in allem ist das Modell der Sozialpartnerschaft Kassen-Ärztekammern gescheitert. Ich zweifle daran, dass die Plattformen was besser machen, aber schlechter können sie es auch nicht hin kriegen!

Was wäre wenn (oder: Die Spitalsreformen, nur eine Show?)

Es ist nicht leicht, den Überblick zu bewahren. Überall gibt es Spitalsreformen, oder scheint es die jedenfalls zu geben.

Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg glauben noch, es ohne Reform zu schaffen. Wien macht es klug und setzt sich mit 2030 einen langen Zeithorizont. Zudem, auch wenn man oft das Gegenteil hört, liegt Wien gar nicht schlecht. In Kärnten läuft der Umbau seit längerem und – für österreichische Verhältnisse – gut. Immerhin wurden dort seit 2004 die Spitalsaufnahmen um zehn Prozent gesenkt, während sie überall anders steigen! Im Burgenland wird ebenfalls kräftig umgerührt. Zwar ist es für eine Beurteilung noch zu früh; was man jedoch sagen kann ist, dass die Reform gut kommuniziert ist, da es hier keine Aufstände gibt.

Anders in Oberösterreich und der Steiermark. Dort machen die Spitäler massiv mobil: Leichentücher werden gehisst und Unterschriften gesammelt, skurrile Argumente finden ihren Weg in die Öffentlichkeit; so darf die Geburtshilfe in Gmunden nicht geschlossen werden, weil Gmundner ein Recht haben sollen, in Gmunden auf die Welt zu kommen! Einige Spitäler sind so aggressiv, dass sie sogar Patientenunterschriften sammeln. Angeblich soll das ein demokratisches Recht sein! Wenn aber Patienten während eines Spitalsaufenthaltes gegen Abteilungsschließungen unterschreiben sollen, dann ist das eher als abgepresst, denn als frei zu werten – wie perfide muss man sein, um Kranke und direkt abhängige Menschen zu instrumentalisieren.

Wie dem auch sei, Bewegung ist in die Spitalsreform gekommen – oder? Aber was, wenn das alles nur Show ist?

All diese Reformen brauchen zur Umsetzung Jahre, ein Rückrudern ist durchaus und jederzeit möglich. Und Beispiele für angekündigte, aber nicht umgesetzte Reformen gibt es zur Genüge. Sei es, dass die Oberösterreichische Reform aus 2005 – damals bereits eigentlich nur eine Verlängerung der Umsetzungsfrist einer bereits 2001 beschlossenen Reform – auch 2010 nicht umgesetzt war. Oder denken wir an die Wiedereröffnung der Chirurgie in Mürzzuschlag (Steiermark), oder einfach an die komplett ignorierte Gesundheitsreform 2005. Also darauf verlassen, dass das was angekündigt ist, auch Realität wird, das kann man nicht.

Und bereits in zwei Jahren gibt es Nationalratswahlen, kurz darauf Verhandlungen zum Finanzausgleich. Bis dahin stehen, wenn überhaupt, die Reformen erst am Anfang der Umsetzung. Zudem fordern die Länder, dass die jährlich steigenden Abgänge der Spitäler von Bund, Land, Gemeinden und Sozialversicherung partnerschaftlich zu tragen sind. Eine eigenartige Formulierung, wenn man es mit Spitalsreformen ernst meinte; denn dann müsste man etwas über die partnerschaftliche Aufteilung der reformbedingten Einsparungen lesen (etwa zur besseren Finanzierung der Hausärzte, ein Jahrzehnte altes politisches Versprechen) – oder irre ich mich?

Was nun, wenn die Reformen nur Argumente für die Finanzausgleichsverhandlungen sind; so nach dem Prinzip: „Seht her, wir machen unsere Hausaufgaben, also erfüllt unsere Forderungen“. Und was, wenn das dann auch passiert? Wer wird, so ganz ohne Staatsreform, eine Nicht-Umsetzung der Spitalsreformen sanktionieren? Dass die Länder sich kaum an Vereinbarungen halten, kann schon man daran erkennen, dass ihre Ausgaben stets größer als „erlaubt“ waren und der Bund das nachträglich genehmigen und die Defizite zahlen durfte. Warum soll das diesmal anders sein?

Aber vielleicht höre ich ja nur das Gras wachsen – und in Wirklichkeit stehen wir, nach 40 Jahren Diskussion, vor einer echten Spitalsreform.

Dieser Artikel wurde im April 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Aussitzen – das gesundheitspolitische Credo

Nichts ist älter als die Zeitung von Gestern, nichts fürchten Politiker mehr als die Zeitung von Morgen – und so geht es darum, bis übermorgen durchzutauchen!

Wer erinnert sich an die Todesfälle, über die in einem vermutlich illegal unter Verschluss gehaltenen Qualitätsbericht zu lesen war; der aber durch das Enthüllungsbuch „Verschlusssache Medizin“ (Langbein 2009) bekannt wurde? Niemand; obwohl sich das Buch zig-tausend Mal verkauft hat, damals alle Zeitungen voll waren und sogar im Fernsehen diskutiert wurden.

Die Konsequenzen? Der Prüfarzt, der diese Qualitätsmängel im Auftrag des Landes Niederösterreich (im Wege ihr gehörender Unternehmungen) entdeckt und zu Papier gebracht hat, wurde gekündigt. Das war’s!

Die Staatsanwaltschaft, immerhin handelte es sich m. E. um Offizialdelikte (Körperverletzung, gewerbsmäßiger schwerer Betrug), die in diesem Buch beschrieben wurden, blieb stumm, kein Primararzt wurde zu Verantwortung gezogen, der oberste medizinische Vorgesetzte Dr. Griessner, der persönlich an der Unterdrückung des Berichts beteiligt war, fährt weiter mit Chauffeur auf Steuerkosten herum und der zuständige Landesrat Wolfgang Sobotka – naja, der darf offenbar eh alles!

Warum blieb das ohne echte Konsequenzen? Und das in einer Welt, wo andere wegen unkorrekter Dissertationen ihre Ämter verlieren?

Man muss aber gar nicht über Tote reden, um festzustellen, wie konsequenz-, nein, verantwortungslos die Gesundheitspolitik ist.

Nehmen wir den Österreichischen Krankenanstalten Plan ÖKAP 2001 (eine vom Bund erlassene, für Länder angeblich verbindliche Planungsgrundlage). Dieser ÖKAP wurde zwischen 1997 und 2001 verhandelt, mit dem Ziel der Umsetzung bis 2005. Großartig waren die Medienberichte über diese „Reform“. Als es 2005 darum ging, festzustellen, was davon Realität wurde, war nichts zu finden. Und als ein (mit Steuern bezahlter) Evaluierungsbericht auch noch genau das ergab, beschlossen die Ländervertreter denselben unter Verschluss zu halten – und zwar so streng, dass er nur elektronisch, auf einem gesperrten Server, mit je einem Passwort pro Bundesland, verfügbar war. Und weil 2001 ohnehin so weit zurücklag, und sich niemand erinnern konnte, wurde 2006 einfach eine neue Reform proklamiert – mit beinah dem gleichen, jubelnden Wortlaut wie 2001 – einst jubelte Staatssekretär Reinhard Waneck, diesmal Bundesministerin Maria Rauch-Kallat. Tja, und wenn ich den entsprechenden Rechnungshofbericht vom April 2010 über die Umsetzung der letzten Reform lese, dann war es auch diesmal nur Show!

Konsequenzen? Null! Und warum?

Medien, gerade, wenn sie wie heute von Presseförderung und Werbeeinschaltungen der öffentlichen Hand (sei es direkt, oder eben indirekt über Firmen, die hauptsächlich von Aufträgen aus Politikerhänden leben) abhängen, können einfach nicht in der Vergangenheit wühlen und ein Thema so lange spielen, bis es Konsequenzen gibt. Noch dazu in der undurchschaubaren Gesundheitspolitik, in der es sehr leicht ist, zu tarnen und zu täuschen. Also weiß jeder Politiker, egal wie schlimm oder gar kriminell seine Handlungen sind – er muss nur abwarten.

Jetzt stehen wieder Reformen an, beginnend in der Steiermark, Oberösterreich und Wien; und sie klingen wirklich groß (für hiesige Verhältnisse – im Norden Europas würde man dazu höchstens Anpassung sagen). Warum sollten sie diesmal den Boden berühren? So ganz ohne funktionierende Kontrolle! Wo doch klar ist, dass „nur Zwang und Not, nicht geschriebene Verträge und Verpflichtungen den Herrscher dazu treiben, sein Wort zu halten“ (Macchiavelli).

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wow! Sie bewegt sich doch

Am erstaunlichsten in der Gesundheitsreformdebatte ist, dass sie nun wirklich ganz oben von Selbstkritikfähigkeit getragen scheint – dass ich das erleben darf.

Kaum wer wird ihn kennen, Rudy, den gigantischen Suchomimus aus dem Zeichentrickfilm „.Ice Age 3“. Er ist der Leibfeind von Bug, dem Wiesel (fragen Sie nicht, warum Säuger und Dinosaurier zeitgleich vorkommen können), der trotz seiner relativen Winzigkeit das Ziel verfolgt, Rudy zur Strecke zu bringen. Gegen Ende wird Rudy von jemand anderem in eine Schlucht gestürzt, und Bug starrt ihm entgeistert nach. Was soll er denn jetzt tun?

So ähnlich geht es mir nach der letzten Woche.

Als ich vor zehn Jahren begann, das Gesundheitssystem nach wissenschaftlichen Kriterien zu durchleuchten und die Schwächen (unzureichende Versorgung im niedergelassenen Bereich, zu viele Spitäler, die wegen politischem Kalkül bestehen, fehlende Abstimmung zwischen Pflege, Reha und Akutversorgung, unpraktikabler Kompetenzdschungel etc.) analysierte, gab es außer einer Hand voll Experten niemand „Wichtigen“, der sie sehen wollte.

Vor acht Jahren, als ich mich „innerhalb“ bewegte, wurden die Verweigerer scheinbar mehr, aber es fanden sich zunehmend Spitalsärzte – vornehmlich in niedrigen Positionen –, Wahlärzte und auch einige Kassenärzte, die meine Kritik teilten.

Vor sechs Jahren, mit den Arbeiten zur Gesundheitsreform 2005, wurden die Zweifler immer höherrangig. Aber auch die Gesundbeter wurden immer kecker. Beinah amüsiert erinnere ich mich an die „politisch korrekte“ Aussage anlässlich einer Publikation aus Großbritannien, wonach es dort Tote wegen Spitalsinfektionen geben soll – bei uns gäbe es so was nämlich nicht!

Vor drei Jahren, ich hatte gerade meinen Job in Niederösterreich verloren, und zwar vollkommen unabhängig von der Veröffentlichung meines systemkritischen Buches, waren die Skeptiker bereits in die Primararztebene und die der „niedrigen“ Chargen der Ärztekammer vorgedrungen. Die höhere Politik allerdings hatte alle möglichen Superlative erfunden. Da denke ich nicht nur an BM a.D. Andrea Kdolsky, die wenige Monate nach Antritt aus dem „guten“, das „weltbeste“ Gesundheitssystem gemacht (herbeigeredet) hat – etwas, das sie heute bereut, aber wohl das nachhaltigste ihrer Regierungszeit ist.

Mit Hans Jörg Schelling ist vor zwei Jahren der erste Kritiker in höchste Ämter aufgestiegen. Hat es kurz danach ausgesehen, als ob er seine Kritikfähigkeit verlöre, meldete er sich mit „dem Selbstmord mit Anlauf“ (gemeint war das Gesundheitssystem, das ohne Reformen sehenden Auges an die Wand fährt) Anfang 2010 drastisch zurück.

Anfang November (genaugenommen bereits im August) kam Gesundheitsminister Alois Stöger mit dem Vorschlag, die Länder zu entmachten, weil es einfach einen zu krassen Reformstau gibt. Nach anfänglicher Kopflosigkeit kristallisierte sich eine parteipolitische Linie heraus. Die Schwarzen sind dagegen, die Roten dafür.

Als nun diese Woche der „Masterplan Gesundheit“ des Hauptverbandes, ein Stück Strategiearbeit, dem Anerkennung gebührt, das Licht der Welt erblickte, bröckelte sogar die schwarze Front und ein niederösterreichischer Landesrat sprach mit – für seine Verhältnisse – kreideweicher Stimme.

Die Selbstkritik ist ganz oben angekommen, auch wenn sie sich jetzt noch hinter einem unwürdigen Tauschgeschäft (Lehrer gegen Spitäler) versteckt.

Was soll ich tun, wenn wirklich ernsthafte und vor allem richtige Reformbewegung eintritt? Aber andererseits, auch in „Ice Age 3“ meldet sich Rudy unerwartet wieder, und Bug nimmt den Kampf erneut auf.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Outlaws der Gesundheitspolitik

Gesetzte sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, einfach zu ignorieren.

Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

Gehen wir zurück ins Jahr 2000. Das Jahr war in der Gesundheitspolitik besonders. Nach langen Verhandlungen haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet.

Bis dahin gab es den Österreichischen Krankenanstalten Plan (ÖKAP). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Die Zahl wurde einerseits wissenschaftlich errechnet, andererseits politisch verhandelt. Ziel war es, die stationäre Versorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, um die Wahrheit zu sagen, an den ÖKAP hat sich sowieso niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinah jedes einzelne Krankenhaus, hat trotzdem gemacht was es wollte – meist wider die Vernunft. Und wenn was nicht ÖKAP-konform war, dann hat man die Politik losgeschickt, um den ÖKAP umschreiben zu lassen. Einmal wurde der ÖKAP sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es das gar nicht gäbe – muss ja keiner wissen, dass man sich an die eigenen Pläne nicht hält.

Aber ab 2000 wird alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung ist eingeleitet worden: Die herkömmliche Planung wird durch eine gemeinsame, einheitliche, auf der bedarfsorientierten Leistungsangebotsplanung basierende Rahmenplanung aller Teilbereiche abgelöst. Die Planung umfasst so die stationäre UND ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar ein bisschen die Pflege. Sie plant auch nicht mehr Betten, sondern soll vom Patienten ausgehend jene Leistungen planen, die man braucht, um eine gute Versorgung zu erreichen. Die Leistungen selbst dürfen nur erbracht werden, wenn man dafür auch bestimmte Qualitätskriterien erfüllen kann. Somit soll die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen.

Unzählige Arbeitgruppen haben getagt und Projekte wurden gestartet. In einem fünfjährigen Prozess, der so zwei, drei Millionen Euro gekostet haben dürfte, wurde der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) entwickelt. In der Endphase – so ab Mitte 2005 – jagt eine Sitzung die andere. Die Politik – obwohl in den gesamten Prozess eingebunden – hat am Ende noch jede Menge Änderungswünsche parat und oft auch wider jede Vernunft durchgesetzt. Wie auch immer, mit großem Pomp wurde die Gesundheitsreform 2005 beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, das der ÖSG geltendes Recht ist.

Heute, 2008, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und sieh da, kaum etwas. Obwohl Gesetz, ist die Planung der Teilbereiche nicht aufeinander abgestimmt; Länder machen weiter die Krankenhäuser, die Kassen die niedergelassenen Ärzte, der Hauptverband die Rehabilitation und die Pflege – naja, darüber ein Wort zu verlieren ist unnötig. Qualitätskriterien, ebenfalls Gesetz, werden nicht eingehalten. Oder kennen Sie Krankenhäuser bzw. Abteilungen, die, weil sie die zur Aufrechterhaltung der Qualität nötigen Fallzahlen – z.B. bei Geburten – nicht erreichten, geschlossen wurden?

So endet wieder ein Kapitel. Und wir harren dem nächsten Gesundheitsreform-Gesetz, das auch wieder nicht umgesetzt wird – Gesetze gelten halt nur für Parksünder.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.