Pro oder Contra ELGA – eine ausführliche politische Würdigung

(11 Min. Lesezeit) Alle Informationen zu haben, um einen Fall richtig einzuschätzen und die passende Therapie zu finden, das sollte doch außer Streit zu stellen sein. Und trotzdem dauert die ELGA- Diskussion nun schon so viele Jahre. Und irgendwie will sie einfach nicht aufhören – berechtigt? Ich jedenfalls bin hin und her gerissen.

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Gesundheitspolitischer Zynismus

 Je genauer ich die Versorgung chronisch Kranker analysiere, desto zynischer imponiert die Reformunfähigkeit der Kassen und Bundesländer.

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   Es ist alles andere als neu, dass Patienten mit Herzschwäche, will man sie gut versorgt wissen, mehr brauchen als nur eine Diagnose und ein Rezept. Sie brauchen Betreuung.

   Seit zwei Jahrzehnten werden daher gesundheitsökonomisch sinnvolle Programme erprobt, die mehr als nur punktuelle Arzt-Patientenkontakte vorsehen – sogenannte Disease Management Programme.

   Die Wirksamkeit der Programme ist immer und immer wieder bewiesen worden. Dass sie nicht nur viel Leid und vorzeitigen Tod vom Patienten abwenden können und auch sparen helfen: Schlecht betreute Patienten erzeugen hohe Folgekosten über häufige und teure Spitalaufenthalte.

   Als vor bereits zwölf Jahren die Ergebnisse einer großen europäischen Vergleichsstudie erschienen, da war nicht nur klar, dass wir unsere Patienten schlecht betreuen, sondern auch, dass etwas getan werden muss. Und so schossen Pilotprojekte aus dem Boden und Politiker überschlugen sich in Ankündigungen.

   Das „Tiroler Modell“, das „Kremser Modell“, das „Wiener Modell“, das Flachgauer „Kardiomobil“ wurden entwickelt, erprobt und evaluiert – und alle haben gezeigt, dass auch in Österreich eine intensivere Betreuung der Herz-Patienten bei geringeren Versorgungskosten zu mehr Lebensqualität und längerem Überleben führt.

   Doch was ist aus diesen Programmen geworden, was aus den Ankündigungen, die 160.000 Herzschwäche-Patienten besser versorgen zu wollen? 2012 wurde erhoben, wie denn deren Versorgung ist – und sie ist weiterhin schlecht. Nicht einmal die Hälfte der in Behandlung stehenden Patienten erhält jene Therapie, die sie braucht. In anderen Ländern, in denen Gesundheitsökonomie wichtiger ist als kleinkarierte Machtspielchen, sind es 90 Prozent.

   Zwar haben auch die in Österreich erprobten Programme bewiesen, dass man pro Jahr mehrere 10.000 qualitativ wertvolle Lebensjahre gewinnen könnte – aber warum sollte das wichtiger sein, als wohlerworbene Pfründe? Denn was nie gelang ist, die Kompetenz- und Finanzierungsfragen dieser Programme zu klären. In den Spitälern sind die Länder, draußen die Kassen zuständig. Draußen kosten diese Programme, drinnen erspart man sich Kosten durch vermiedene Spitalaufnahmen – wie soll man da das Geld aufteilen? Wer soll diese Programme leiten?

   Sich gemeinsam um diese Patienten zu kümmern, das setzte voraus, dass man Mauern niederreißt und eine Vision entwickelt. Warum sollte man das tun? Wo doch politisch alles erreicht wurde: Man zeigte Initiative, kündigte an, ließ sich als die Retter der Patienten bejubeln. Und als das Volk das verstanden hat, warum sollte man dann noch etwas umsetzen? Bringt doch politisch nichts mehr und führt nur zu Problemen. Umsetzen ist nur etwas für Menschen mit Gestaltungswillen. Die, die mit Machtwille ausgestattet sind, brauchen das nicht.

   Und so werden österreichische Herzschwäche-Patienten weiterhin damit leben, ein bis zwei Jahre zu früh zu sterben – aber wenigstens die Sicherheit haben, dass sie das „im besten Gesundheitssystem“ der Welt tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 155 vom 09.08.2013 

Der EHCI 2012 oder die Beliebigkeit der Gesundheitspolitik

Warum interessiert der Euro Health Consumer Index (EHCI) 2012 niemanden? Weil er keine guten Nachrichten bringt?

 „Österreich absolviert einen Sturzflug auf der Rangliste des Euro Health Consumer Index (EHCI) 2012  […]. Österreich erhielt 737 Punkte und fällt damit von Rang 4 (2009) (Anm:. 2007 Rang 1) auf Rang 11. […] Österreich stellt seine Ärzte noch immer höher als seine Patienten. Das System ist weder transparent noch benutzerfreundlich. Österreich zeigt überraschende Schwächen bei grundlegenden öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen wie Kinderimpfungen oder Mammographien. Die Diagnosen sind mittelmäßig. Die Inanspruchnahme von E-Health erfolgt nur langsam und das kann die Patientensicherheit und -transparenz gefährden. […] Der Leistungseinbruch im Gesundheitssystem ist alarmierend und Brüssel sollte sich, in Anbetracht der Tatsache, dass sich die EU die Reduzierung der Lücken im Gesundheitssystem zum Ziel gesetzt hat, darüber Gedanken machen!“

Schmeichelhaft sind sie nicht die Aussagen, die im EHCI 2012 stehen. Und vielleicht gerade deswegen reagiert absolut niemand auf diesen jetzigen Bericht.

Beim EHCI 2007als wir erster wurden, war das ganz anders. Da überschlugen sich Politiker aller Ebenen und Institutionen im Lob unseres „weltbesten Gesundheitssystems“. Vor allem die Ärztekammer fiel da mit euphorischen Aussagen auf, wohl um jegliche Reformbestrebungen abzuwürgen – denn das Beste kann eben nicht wirklich verbessert werden:

Nun, damals war der EHCI schon kein Maßstab für die Systemqualität und er ist es heute auch nicht. Es gab zwar methodisch massiv Verbesserungen, aber der Index bleibt unsicher. Das betonen auch die Autoren dieses Werkes immer wieder. Sie wollen gar nicht wissenschaftlich sein. Der Index will Anregung zur Verbesserung liefern, keine rigide Messschnur darstellen – Eine  Botschaft, die bei uns nie angekommen ist!

Schon wie 2007 (und Folgejahren) sind selbst bei oberflächlicher Analyse auch die Bewertungen des EHCI 2012 oft nicht haltbar. So gibt es beispielsweise weiters kein „Recht auf eine Zweit-Meinung“, obwohl es (wieder einmal) behauptet wird.

Ohne auf Details einzugehen, auch 2012 sind viele Angaben falsch, und wie bereits seit jeher, besonders dort, wo sich die Autoren nicht auf Daten sonder auf Befragungen von Akteuren der Szene verlassen müssen. Eine Neubewertung, die auf Fakten und nicht politischen Wunschvorstellungen beruht, ließe uns gar auf Platz 17 (nach Deutschland, Tschechien und Slovakei) zurückfallen, sofern die anderen nicht ebenso schöngefärbt und geflunkert haben wie wir. Soweit ich aber die Szene kenne, ist das Gesundbeten um jeden Preis eher ein Österreich-Spezifikum.

Aber, um das geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass unsere Politik nur mehr Jubelmeldungen haben will! Kritik, wird ignoriert. Die Kritikkompetenz der Gesundheitspolitiker tendiert gegen null. Genaugenommen ist sie wohl dort schon angekommen. Aber ohne Kritikkompetenz ist die Gestaltung der Zukunft nicht möglich. Und es scheint, als hat der Gestaltungswille dem reinen Machtwillen der Akteure das Feld endgültig überlassen.

Evidenzbasierte versus Eminenzbasierte Gesundheitspolitik

Hintergrund

Die moderne Definition der Gesundheitsversorgung umfasst alle Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, seien sie gesundheitserhaltender, präventiver, diagnostischer, therapeutischer, rehabilitativer, pflegender oder palliativer Natur. Wesentlich ist nur, dass sie sich mit Krankheiten oder Symptomen, die ein Individuum aufweist, beschäftigen, unabhängig ob sie körperlich, seelisch oder verhaltensmäßig sind, einzelne Zellen oder Gene, Strukturen oder Funktionen des Körpers oder eines Teils des Körpers betreffen. Gesundheitsversorgung ist also geprägt von einer Unmenge an Einzelmaßnahmen (als Beispiel sei nur angemerkt, dass es alleine in Österreich ca. 120 bis 150 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte gibt), die in Summe das Ziel haben sollten, die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung insgesamt zu verbessern oder zu erhalten.

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Von den Reförmchen zur Reform

Eine Gesundheitsreform steht schon lange an, das merken die Wähler. Da Regieren hierzulande von Reagieren kommt, muss es überhaps gehen!

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   Auch diesmal droht, dass Geschwindigkeit mehr zählt als Vernunft. Will man aber ein solidarisches Gesundheitssystem erhalten, dann wird man sich Zeit nehmen müssen. In einem transparenten Meinungsbildungsprozess muss eine für alle Österreicher – für die, die bezahlen, genauso wie für die, die profitieren – tragfähige Zieldefinition entstehen. Erst wenn man weiß, was man vom Gesundheitssystem erwartet, kann man Umsetzungspläne schmieden. Realistisch wird man für die Zieldefinition fünf Jahre und für die Konkretisierung noch einmal fünf weitere brauchen. Darunter ist an eine substantielle Reform gar nicht zu denken. Konsequenterweise bedeutet das aber auch, dass bis dahin das alte System ausfinanziert wird – koste es, was es wolle!

   Weil die Politik dazu neigt, populistische Reförmchen anzugehen, ist es nötig eine „Kontroll-Instanz“ einzusetzen. Man sollte einen unabhängigen Weisenrat installieren, dessen einzige Aufgabe es ist, das „vernünftige Gewissen“ der Reform zu sein. Keinesfalls dürfen diese Weisen aber aus den bestehenden Machtkomplexen, also Kammern, Gewerkschaften, Ländern etc. kommen. Der Weisenrat soll auf Basis seiner Expertise so oft wie möglich – insbesondere in den Medien – seine Meinung kundtun und freimütig den Reformprozess kommentieren. Und damit diese „Weisen“ sich das trauen, wird es nötig sein, ihnen unkündbare, gut bezahlte Verträge für wenigstens drei Legislaturperioden zu geben.

   Um den breitest möglichen demokratischen Konsens zu erzielen, ist eine Steuerungsgruppe einzurichten, in der alle Budget- und Gesundheitssprecher aller parlamentarischen Parteien von der Bundes-und Landesebene vertreten sind. Die Steuerungsgruppe soll auf folgende fünf Fragen populismusfreie Antworten geben.

   Was gehört zur Gesundheitsversorgung (Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege, Palliation; alles oder nur Teile) und was davon soll öffentlich sein?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode diese Auswahl treffen?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode feststellen, ob die Patienten auch das erhalten, was sie brauchen?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode feststellen, wie viel solidarisch aufgebrachtes Geld zur Verfügung steht?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode festlegen, wer in welcher Form welchen Anspruch hat?

   Jede dieser fünf Fragen wird eine Fülle von Detailfragen aufwerfen, die nur unter Einbindung von Sozialversicherungen, Interessens- und Standesvertretungen sowie den Patientenvertretern beantwortet werden können. Um „Geheimdiplomatie“ hintan zu halten, sollten diese in Arbeitsgruppen organisiert werden. Dort sollen dann im durch die Steuerungsgruppe festgelegten Rahmen die Details des neuen Systems maßgeblich bestimmt werden.

   Nach vielen Abstimmungen und Verhandlungen wird die Steuerungsgruppe ein Gesetzeswerk vorlegen, das auf den Antworten aufbaut und das neue System normiert. Dieses Gesetzeswerk ist letztendlich in einer All-Parteien-Einigung im Verfassungsrang zu beschließen.

   So könnte man tatsächlich eine richtige Reform angehen. Allerdings klingt dieser Weg für den gelernten Österreicher so fremd, dass er sicher keine Chance hat. In der Wirklichkeit wird es weitere nicht nachhaltige Reförmchen geben, bis das solidarische Gesundheitssystem endgültig zusammenbricht – und dann wird sich der freie Markt den Gesundheitsbereich zurückerobern

„Wiener Zeitung“ Nr. 108 vom 03.06.2008