Das gesundheitspolitische Sprachgewirr

Gerne wird behauptet, wir hätten das beste Gesundheitssystem und argumentiert das beispielsweise mit den Erfolgen der Krebsbehandlung.

Abgesehen, dass die meisten Aussagen arbiträr sind, werden dabei Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem vermischt. Grundsätzlich gilt aber, dass die Behandlung eines Patienten nicht automatisch etwas mit seiner Versorgung und noch viel weniger mit dem System zu tun hat. Daher können Behandlungserfolge auch nicht direkt der Versorgung und schon gar nicht dem System zugesprochen werden. Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung sind, wiewohl systemisch miteinander verknüpft, verschiedene Ebenen.

Behandlung ist das, was in der Beziehung zwischen Patient und seinem Arzt (oder Gesundheitsprofessionisten) unmittelbar passiert.

Die beiden treffen sich aber nicht zufällig und grundlos. Hinter ihnen steht eine komplexe Logistik, die ein Treffen erst ermöglicht. Sei es, dass Trivialitäten wie Treffpunkt (Ordination, Spital etc.) und Finanzierung, aber auch komplexe Umstände, wie die Motivation der beiden vorhanden sein müssen. Beim Patienten ist letzteres scheinbar einfach, schließlich ist er krank. Aber auch da gibt es nicht triviale Fragen: Welche Schmerzen, Wege, Wartezeiten ist er bereit auf sich zu nehmen, um zum Treffpunkt zu gelangen? Welches Risiko (z.B.: Verlust der Selbstbestimmung) besteht, wenn er sich in diese, von Informationsasymmetrie geprägte, Beziehung, einlässt? Noch komplexere Fragen findet man beim Arzt. Schließlich wird von der Bezahlung bis zu den Arbeitsbedingungen alles Anreize darstellen, diese Beziehung in die eine oder andere Richtung zu steuern. All diese Fragen und Antworten gehören zur Versorgungsebene.

Und weil diese nicht im luftleeren Raum steht, schwebt darüber das Gesundheitssystem. Hier sollten die Fragen abstrakt sein: Was soll das System erreichen? Wie entwickle ich Ziele und wie messe ich sie? Und: Von wem nehme ich für wen das Geld?

Standortdiskussionen gehören nicht zu Systemfragen und Behandlungsfragen schon gar nicht. Im allgemeinen Sprachgewirr, wird aber Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung synonym verwendet; meist von Akteuren, die ein Eigeninteresse daran haben, dass die Bevölkerung keine Unterscheidung treffen kann. Das ermöglicht politischen Gewinn, da so jede erfolgreiche Behandlung – und das sind ja die meisten – als Erfolg des Systems oder der Versorgung im Allgemeinen und deren politischer Vertreter im Besonderen gewertet werden kann.

Die Grenzen der Ebenen sind übrigens dann klarer, wenn es um negative Erfolge geht. Üblicherweise ist ein Spitalsarzt dann selbst schuld und nicht das Spital und schon gar nicht das Bundesland. Analog im niedergelassenen Bereich, dort wird es nie zur Schuldhaftigkeit der Kassen oder des Gesundheitsministeriums kommen, wenn eine Behandlung erfolglos blieb.

Wer die Reformdiskussion anschaut, kann erkennen, wer es ernst meint und wer nicht. Will ein Akteur zusätzlich auf anderen als der eigenen Ebene bestimmen, dann geht es nur um Macht. Das ist beispielsweise so, wenn Länder sowohl Spitäler, inklusiver deren Abteilungsstrukturen, betreiben als auch (mit fremdem Geld) finanzieren wollen. Bei dieser Kompetenzvermischung zwischen System- und Versorgungsverantwortlichkeit ist prognostiziert, dass Ziele nicht unabhängig der Versorgungsstrukturen erstellt werden, und auch die Ergebnisse nicht objektiv sein werden, sondern dem entsprechen, was der Versorger erreichen will. Und weil da die Politik mitspielt, ist das Erreichte dann „das Beste der Welt“.

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein durch und durch ländlicher Reformvorschlag

Es ist beeindruckend und erschreckend, die „Realverfassung“ arbeiten und den, jegliche Entwicklung unterdrückenden, Provinzialismus herrschen zu sehen.

Wegen zu Guttenberg kaum beachtet, wurde das Jungendwohlfahrtsgesetz geändert. Anlass war nicht der Wunsch nach Verbesserung; nein, man musste was tun, weil unter den Augen der zuständigen Landesbehörden, die offenbar das Risiko falsch eingeschätzt hatten, mehrere Kinder zu Tode geprügelt wurden. Wesentlichste Änderung nun ist die Einführung eines Vier-Augen-Prinzips bei der Risikoeinschätzung. Diese Maßnahme könnte nicht nur Kinderleben retten sondern auch viel Leid und Tränen ersparen – aber sie kostet etwas: etwa 4 Millionen Euro für ganz Österreich!

4 Millionen! Die müssten bei den etwa 120.000 Millionen Euro, die uns die öffentlichen Hände jedes Jahr wegnehmen, einfach in der statistischen Unschärfe verschwinden. Jeder Mensch würde ohne Zögern ja sagen; aber, Landespolitiker sind anders: Wenn der Bund Kinder retten will (offenbar wollen Landespolitiker das nicht!), dann soll er das zahlen.

Deswegen haben sie – bestens organisiert in der Landeshauptleutekonferenz, einem nicht legitimiertem Kartell – schlicht Nein gesagt.

Man muss wissen, dass das Jungendwohlfahrtsgesetz, ähnlich dem Krankenanstaltengesetz, in der Ausführung Ländersache ist. Der Bund gibt den Rahmen vor und die Länder, über eigene Gesetze, die Umsetzung. Und da sie mit der Ausführungsgesetzgebung auch die Sanktionen bei Nicht-Einhaltung festlegen dürfen, ist klar, wenn sie nicht wollen, passiert wirklich nichts – Gesetz hin oder her! Und obwohl es für die einzelnen Länder hier nur um wenige hunderttausend Euro gegangen wäre, bezahlen wird es am Ende der Bund! Ohne dass es eine Garantie auf Umsetzung gäbe und das Geld nicht wie bei den Lehrern irgendwo verschwindet.

Jetzt geht es um die Spitalsreform und dabei nicht nur um vier, sondern um Hunderte Millionen Euro, die die Länder nicht haben, aber brauchen, wollen sie ihre Spitäler (eigentlich nur Einrichtungen, um über Ressourcen und Macht zu bestimmen) nicht verlieren. Und da die Länder bereits bewiesen haben, ohne jegliches Gewissen zu handeln, wenn nicht einmal geprügelte Kinder ihr Herz rühren, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie hier auch nur einen Fingerbreit nachgeben!

Daher sehe ich schwarz! Ganz abgesehen, dass die Gesundheitsreform schon wieder sinnlos fragmentiert und geldlastig diskutiert wird (Kassensanierung, Spitalsfinanzierung, Pflegefonds – grauenhaft), ist wohl außer zusätzlichem (Bundessteuer)Geld für die Länder nichts mehr möglich. Denn genau das, gut verklausuliert unter blendenden Absichten und nach Zugeständnissen klingenden Worten, bedeutet der Reformvorschlag, den die Länder letzten Freitag beschlossen haben.

Noch wird so getan, als ob es Verhandlungsspielraum gäbe. Immerhin konnte man bis vor kurzem noch hoffen, dass Maastricht helfen würde, den Wahnsinn zu beenden. Denn, wenn Milliarden Euro ausgelagerter und immer weiter wachsender Spitalsschulden ins Budget zurückfallen, sollte das ein Finanzminister – so sehr er am Gängelband familiärer Strukturen und der Realverfassung hängt – nicht ignorieren können. Und dann sind da noch Hans Jörg Schelling vom Hauptverband und Gesundheitsminister Alois Stöger. Beide woll(t)en der ländlichen Macht entgegentreten. Ihnen zur Seite stehen die gesamte Opposition, alle Medien, alle Experten und sogar das Volk.

Doch das reicht nicht! Denn die Kurfürsten der Realverfassung haben anders entschieden – und das kann niemand ändern. Armes Österreich!

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Finanzierung aus zwei Töpfen

Die Ärztekammer präsentiert – wieder einmal – ein totgeglaubtes und unlogisches Konzept der getrennten Finanzierung des Gesundheitssystems.

Es war kalt, als vor zwei Jahren, im Linzer Industrieviertel dunkle, chauffierte Limousinen eintrafen. Auf den ersten Blick hätte man gemeint, Hochfinanz und Industrie trifft sich zu einem ja nicht rein privaten Treffen, bei dem es nie ums Geschäft geht.

Realiter trafen sich aber Größen des öffentlich finanzierten Gesundheitssystems. Da kam der Minister und Kammerpräsidenten, Kassenobleute und Geschäftsführer landeseigener Krankenhausbetreiber und viele andere zum ersten gesundheitspolitischen Gespräch – initiiert vom oberösterreichischen Ärztekammerpräsidenten Peter Niedermoser, der sich als Speerspitze der Berufsvertretung etabliert sehen will.

Weil man heimischen Experten nicht traut, wurde ein deutscher Professor eingeladen, darüber zu referieren, ob nun ein Sozialversicherungssystem oder ein staatliches besser ist. Ein spannender Vortrag, der damit endete, dass es für beide Pros und Kontras gibt, aber das wichtigste die Finanzierung aus einer Hand ist.

Tja, und dann trat die Ärztekammer zum Referat an. Und als die erste Folie die Leinwand erhellte, wurde es dunkel: „Getrennte Finanzierung: der Weg in die Zukunft“.

Nun, das Gelächter, dass diese Folie begleitete, verhallte genau so, wie die Expertenkritik, die folgte. Aber auch das Konzept verschwand scheinbar. Und dann, plötzlich zu Jahresbeginn 2011 taucht es wieder auf; unerwartet und genau so falsch wie es schon zwei Jahre davor war.

Dem Kenner war klar, dass es bei dieser „getrennten Finanzierung“ nicht um eine Verbesserung der Versorgung ging. Ziel war, die rund vier Milliarden Euro, die die Kassen in die Spitäler zahlen, behalten zu können, damit deren finanzieller Spielraum größer wird, damit die Ärztekammern bei Vertragsverhandlungen wieder punkten können. Denn der Großteil der Kammermacht basiert auf deren Verhandlungsmonopol mit den Kassen, das allerdings nur solange funktioniert, solange die Kassen flüssig sind. Eine gesundheitswissenschaftliche Begründung für diese Finanzierungsform gab und gibt es nicht.

Was lernt man. Zuallererst, dass es gar nichts bringt, Expertise in die Diskussion zu bringen. Sitzt die Politik einmal auf einem Gaul, dann will es den auch reiten, ob er tot ist oder nicht. Ist die öffentliche Meinung gerade dafür, den Gaul für Tot zu halten, dann wartet man einfach, bis alle vergessen haben um was es ging, und kommt dann mit der alten Idee neu raus, erklärt den Tot als besiegt und verlangt vom Volk mehr Geld, wenn es den Gaul galoppieren sehen will. Aussitzen bewährt sich!

Dann kann man lernen, dass die Mächtigen trotz immer knapper werdender Ressourcen nichts gelernt haben. Auf die Idee, versorgungswissenschaftlich vernünftige Forderungen zu stellen, kommt niemand. Ist ja auch nicht wichtig, in einem System, in dem es seit jeher nur um Verhandlungsmacht geht. Beharrung ist besser als Reformen!

Und zum Schluss, aber das ist Prophetie, könnte man auch eine anstehende Personalrochade sehen. Des längern halten sich Gerüchte, der Präsident Walter Dorner will sich zurückziehen. Als Nachfolger fällt fallweise der Name Peter Niedermoser. Und da schließlich er es war, der diese zersplitterte Finanzierung entwerfen ließ, wäre es denkbar, dass hinter dessen „Neuerscheinung“ eine Amtsübergabe vorbereitet wird. Ob es Ärzten und Patienten wohl bekommt, wenn sowohl Minister als auch Ärztekammerpräsident aus Oberösterreich kommen? Nun, Zweifel sind hier erlaubt!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Steuererklärungen à la Gesundheitspolitik

Demnächst werde ich wieder meine Steuererklärung machen müssen. Denn, wie bekannt ist, muss man ja nur zwei Sachen wirklich: Sterben und Steuern zahlen.

So eine Steuergeschichte ist immer sehr mühsam, weil man, will man legal bleiben, jedem Cent nachlaufen und genau schauen muss, ob er eh an der richtigen Stelle vermerkt wurde. In Deutschland wurde letzthin ein sehr unbequemer Gesundheitsökonom (Peter Sawicki) wegen einer falschen Taxi-Abrechnung aus seiner Position entfernt – da kennt das System keine Gnade. Und wenn ich mich recht erinnere, hat man einen gewissen Al Capone auch nicht wegen seiner wirklich kriminellen Handlungen hinter Gitter gebracht, sondern wegen Steuerhinterziehung. Jaja, die Steuer ist schon ein eigenes Thema.

Also, um Probleme zu vermeiden, versuche ich immer katholischer als der Papst zu sein.

Andererseits, wenn man es bedenkt, sind Politiker in einer Demokratie ja Vorbilder. Und man sollte meinen, wenn man die Zahlen mit der gleichen Sorgfalt verwendet, wie Politiker dies tun, dann dürfte man kein Problem mit der Steuer haben. Also sollte ich es mal machen wie die Politik.

Für meine Ausgaben, also die Kosten für mein Unternehmen, werde ich, statt Belege vorzulegen, der Steuer einfach irgendwelche Informationen übermitteln – am besten über Zeitungsmeldungen. Dabei werde ich Beträge nicht oder nur so ungefähr nennen, und dafür mehr mit Prozenten um mich werfen, aber auch keine Angaben machen, wovon ich diese berechne!

Als bestes Vorbild sollte für mich immer Niederösterreich dienen. Dort wird, neben vielem anderen, behauptet, der Gesamtaufwand für die landeseigenen Spitäler ist 2009 um 0,88 Prozent gestiegen. Nachgerechnet, was man in Österreich bei Politikern ja ungern macht, dürften die Spitäler daher 2009 nur etwa 1.535 Millionen Euro gekostet haben. Vielleicht setzt sich ja jemand hin und kontrolliert diese Zahl!

Aber auch Minister Stöger, der letzthin wirklich positiv auffällt, fast so, als ob er endlich als österreichischer Gesundheitsminister angekommen ist, hat merkwürdige Zahlen ins Spiel gebracht.

Er rechnet jetzt alle stationären Einrichtungen zusammen – also auch Reha, Pflege, Kur etc. – und kommt für diese auf 15,4 Milliarden Euro Kosten für 2009. Das ist eine Zahl, die man so überhaupt noch nie gehört hat. Ich konnte diese, mangels Datentransparenz, auch nicht nachrechnen – immerhin galten bis jetzt etwa zehn bis elf Milliarden für die Akutspitäler; dass Reha, Pflege, Kur etc. bereits etwa fünf Milliarden ausmachen sollen, erschreckt jetzt schon etwas, um so mehr, als wenigstens zwei dieser fünf Milliarden bis jetzt noch nirgends ihren Niederschlag gefunden haben. Ich freue mich schon auf die Neuberechnung der Gesundheitsausgaben der Statistik Austria. Denn dort werden für die stationäre Versorgung für 2008 nur etwa zwölf Milliarden ausgewiesen. Möglicherweise müssten noch etwa 1,5 Milliarden für die Spitalsambulanzen hinzugezählt werden, die in den oben genannten 15,4 enthalten sein könnten. Nichtsdestotrotz würde die Neuberechnung bedeuten, dass der Anteil am BIP für 2009 die 12 Prozent-Marke sprengen wird – ein Wert, der gleich einmal mehr als 20 Prozent über den bis jetzt gewohnten und liebgewordenen zehn BIP-Prozent liegt. Reisst es da niemanden, wenn 2009 plötzlich zwei Milliarden zusätzliche Kosten „gefunden“ werden, von denen 2008 noch niemand wusste?

Wie dem auch sei, ich werde jetzt meine Steuer machen. Also liebes Finanzamt, meine Ausgaben sind dieses Jahr um 11,4 Prozent gesunken. Viel Spaß bei der Berechnung meiner Steuerpflicht.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Nimm’s Spitälern statt Familien

Werte p.t. Leser! Was sich aktuell abspielt lässt mich rasen. Es sind vor allem zwei Aussagen, die mich geradezu auf die Palme treiben.

Die erste Aussage ist einige Wochen alt. Da hat Finanzminister Pröll wissen lassen, dass die „Realverfassung“ wichtiger ist als die „echte“ und hat zum Ausdruck gebracht, dass wir, das Volk, einfach hinnehmen müssen, dass von uns legitimierte Bundespolitiker gegenüber den Ländern keine Macht haben, selbst wenn die Verfassung diese vorsehe. Warum wählen und bezahlen wir sie?

Die zweite Aussage war nicht minder irritierend. Da hat Wirtschaftsminister Mitterlehner in einem ZiB2-Interview gemeint, man müsse Geld für das nächste Jahr auftreiben, das gehe mit Reformen nicht so schnell, daher gäbe es die jetzt nicht. Wer das nicht verstehe, verstehe eben nicht, wie ein Staat funktioniert.

Tja, also keine Reformen! Und was verstehen dann Bundespolitiker unter Sparen? Streichen von Sozialleistungen bei Familien – Mir ist keine Studie bekannt, die Familien irgendwie als reich identifiziert hätte. Mehr noch, alle sagen, dass, wegen der hohen Steuerbelastung auf Arbeit, Familien nur durch Sozialtransfers der Armut entkommen.

Anderen Ländern fiel beim Sparen anderes ein. Da wurden Beamtengehälter und Pensionen gekürzt. Bei uns nicht! Ja auch kein Wunder, wenn man betrachtet, welche Lobbyisten diese Gruppen vertreten!

Aber das ist ja nicht alles. Klar, wenn man sich gerade einmal drei Wochen Zeit für ein Budget nimmt, dann kann wohl nichts anderes rauskommen; selbst wenn man seit Jahren weiß, was getan werden müsste. In den letzten Jahrzehnten wurden hunderte, wenn nicht tausende Studien und Arbeitsgruppenergebnisse – denken wir nur an den Österreichkonvent – erstellt, die zeigen, wie Sparen durch Reformieren funktionieren kann. All diese Vorarbeiten wurden mit sehr viel Steuergeld finanziert und – ignoriert.

Und wie ist das in der Gesundheitspolitik?

Die Kassen – ohnehin eher Blender als Reformatoren, oder kennt jemand den sagenumwobenen Masterplan des Hauptverbandes, der für Herbst groß angekündigt wurde? – haben bereits mitgeteilt, dass ihr Sparwille sinken wird, wenn sie weniger Steuergeld erhalten (statt 100 nur 60 Millionen). Und Minister Stöger legt gleich nach und sagt, sie müssen eh weniger sparen, wenn die Belohnung weniger wird! Und weil die Sparmaßnahmen, die bis jetzt so „erfolgreich“ waren, nichts mit einer Reform zu tun hatten, sondern Großteils zustande kamen, weil wegen Patentabläufen die Medikamentenpreise sinken – ein Trend, der noch anhalten wird – ist jede Reform auf Jahre tot.

Und auf der anderen Seite die Länder. Es gibt niemanden mit Ahnung, der nicht das größte Sparpotenzial in einer Spitalsreform sieht. Und wenn ein Minister sich schon der Peinlichkeit hingibt, nicht zu wissen, woher er Geld fürs nächste Jahr nehmen soll und deswegen auf Familien zurückgreift, dem sei Folgendes ins Stammbuch geschrieben.

Etwa fünf Milliarden Euro schießt der Bund den Ländern für Spitäler zu. Geregelt werden diese Zuschüsse im Finanzausgleich, der von den Ländern noch nie eingehalten wurde – Stichwort Stabilitätspakt. Statt weiterhin Milliarden im größten Verschwendungsbereich der Republik zu versenken, sollte der Bund auch auf den Pakt pfeifen und den Ländern einfach ein paar hundert Millionen Spitalsgelder wegnehmen – genau so unvorbereitet wie den Familien. Vielleicht wird es dann eine Spitalsreform geben.

Aber dazu braucht es halt Politiker und nicht irgendwelche selbstherrlichen Marionetten irgendwelcher Interessensvertretungen oder Länder.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

 

BIP-Mythen im Gesundheitssystem

Volkswirtschaft ist schwierig! Umso leichter ist es, „BIP-Mythen“ und „es gibt keine Kostenexplosion im Gesundheitssystem“-Märchen zu erzählen.

Wenn Sie 100 Euro verdienen und 50 davon für Miete ausgeben, dann sind das 50 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens. Sollte ihr Einkommen schneller wachsen, als Ihre Miete, dann sinkt der Prozentsatz, auch wenn die Miete steigt. Wenn Sie also nach einer gewissen Zeit sagen wir doppelt soviel, folglich 200 Euro verdienen, aber die Miete nur um 50 Prozent auf 75 Euro gestiegen ist, dann zahlen sie nur mehr 35 Prozent ihres Geldes für das Wohnen. Soweit so gut!

Wenn jedoch ihr Vermieter nicht am Geld, sondern an Prozenten interessiert ist, und daher festlegt, dass Sie, egal was Sie verdienen, 50 Prozent zahlen müssen, müssten Sie entweder 100 Euro Miete zahlen oder, viel wahrscheinlicher, eine andere Wohnung suchen. Einfach deswegen, weil Sie, wie jeder andere auch, an Geld, und nicht an Prozenten interessiert sind.

Nun, wenn es um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht, ist das anders. Denn es ist modern geworden, nur mehr in BIP-Prozenten zu reden.

Gerade im Gesundheitssystem ist diese BIPitis ausgebrochen. Und Politiker, insbesondere Ärztekämmerer, erzählen Land auf Land ab, es gäbe keine Kostenexplosion, da die Ausgaben, gemessen am BIP, seit „Jahrzehnten“ stabil bei ungefähr zehn Prozent liegen.

Gerne wird außer Acht gelassen, dass das so betrachtete BIP immer 100 Prozent beträgt. Wenn also, wie großzügig gesagt wird, die Ausgaben „ungefähr“ gleich geblieben sind, wird verschwiegen, dass ein „Mehr“ dort, immer ein „Weniger“ woanders bedeutet. Und ein Blick in die Zahlen zeigt, dass das gar nicht so ungefähr ist. Der Anteil am BIP lag 1995 noch bei 9,5 (ungefähr 10?) Prozent und 2008 bei 10,5 (auch ungefähr 10?). Nach heutigem Geldwert beträgt die Differenz schlichte 2,7 Milliarden Euro, ein bisschen viel für „Ungefähr“.

Und weil es ja um Prozente geht, heißt dass nichts anderes, als dass diese Milliarden Euro heute jemand anderem zur Verfügung stehen, als noch 1995. Ob dieses Geld über Steuern und Beiträge der Bevölkerung schlicht abgenommen und das frei verfügbare Einkommen reduziert, oder aber aus anderen öffentlichen Bereichen (Bildung, Forschung, Verkehr, Sicherheit etc.) abgezogen wurde, soll nicht näher betrachtet werden. Wesentlich ist, diese Mittel wurden „umgeschichtet“. Und angesichts der demographischen Veränderung, wird diese Umschichtung munter weitergehen!

Und wenn wir schon bei BIP-Prozentrechnungen sind, dann sei ein bisschen in die „Zukunft“ geschaut.

Aus welchen Gründen auch immer, obwohl wir Ende 2010 haben, sind die Daten für 2009 vom Gesundheitsministerium noch nicht veröffentlicht. In diesem Jahr schrumpfte das BIP. Die Ausgaben in echtem Geld sind jedoch munter weiter gestiegen. Und so kann man auch ohne ministerielle Hilfe gut abschätzen, was, gemessen am BIP, so in die Gesundheit geflossen sein wird. Und wenn nicht irgendwelche unerkannt gebliebenen Wunder aufgetreten sind, dann werden es wohl ungefähr 11,5 Prozent werden; eine „explosionsartige“ Steigerung um 10 Prozent verglichen mit 2008.

Und da nicht unwichtige Teile des BIP 2009 auf Schulden aufgebaut sind, unsere Gläubiger, so wie jeder andere auch, nicht an Prozenten sondern echtem Geld interessiert sein werden, wird zukünftig der „frei verfügbare BIP-Kuchen (echtes Geld und keine Prozente)“ wohl kleiner werden. Mal sehen, wie die, die heute noch erzählen, dass die Gesundheitsausgaben „stabil“ sind, dann argumentieren werden.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Deutschland gegen Österreich: 2 zu 1

Dass die Deutschen einen doppelt so hohen Beitragssatz für die Krankenkassen haben, ist eher ein Zeichen für deren (mögliche) Effizienz. Aber wen interessiert’s?

„Wir hier in Österreich zahlen nur etwas mehr als sieben Prozent Kassenbeiträge. In Deutschland sind es 15 Prozent! Daran kann man sehen, wie gut und effizient unser Gesundheitssystem funktioniert.“

So ähnliches hört man leider nicht nur gelegentlich von hohen und höchsten Politikern. Ob diese Aussage schlicht auf Unwissen (was bei diesen Personen, die über riesige Beraterstäbe von Parteisoldaten und Beamten verfügen, an unbelehrbare Ignoranz erinnern muss), oder Dummheit (dafür könnte man ja nichts) basieren, oder auf bewusste Volksverblendung ausgerichtet sind, entzieht sich leider jeder Erkenntnis.

Klar allerdings ist, dass die Deutschen nicht deswegen doppelt so hohe Beiträge zahlen, weil sie schlechter wären, nein, die nehmen manche Grundsätze der selbstverwalteten Kassen mit solidarischer Finanzierung halt noch ernst. Und einer dieser Grundsätze ist es, durch Beiträge das zu bezahlen, was man bestellt und sich nicht auf „andere“, zum Beispiel Steuerzahler, zu verlassen.

Und so zahlen die deutschen Kassen halt noch (fast) alles selbst, wo bei uns längst Steuergelder herangezogen werden.

Bei uns betragen die reinen Kassen-Beiträge, also ohne irgendwelche direkten oder indirekten Steuergelder, je nach Rechenart etwa neun bis elf Milliarden Euro. Die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für die Gesundheitsversorgung, also sowohl das, was die Sozialversicherungen als auch das, was Bund, Länder und Gemeinden bezahlen, belaufen sich auf knapp 21 Milliarden Euro. Daher werden weniger als die Hälfte dieser Kosten durch Beiträge berappt. Der Rest kommt zum überwiegenden Teil aus Steuern. Und so ist es leicht verständlich, dass unsere Beitragssätze nur halb so hoch sind.

Daraus abzuleiten, wir sind effizienter ist schon mehr als Chuzpe. Besonders, wenn wir auf die Ausgaben in richtigem Geld schauen. Pro Kopf geben wir, gerechnet in harter Währung, nämlich fünf bis zehn Prozent mehr (!) aus als unser Nachbar. Und erreichen wir damit mehr? Sind die Österreicher gesünder als die Deutschen? – ein wesentliches Kriterium der Effizienz ist ja, bei gleicher Effektivität weniger Ressourcen zu verbrauchen!

Nun, ein kleiner Blick in ein paar harte Zahlen lässt wenigstens berechtigten Zweifel zu. Hierzulande sind wir absolute Spitze bei der Zahl der Invaliden, gemessen an den Invaliditätspensionisten, und bei der Pflege unumstrittene Sieger, wenn wir die Zahl der Pflegegeldbezieher als Kriterium heranziehen.

Also genau geschaut ist unser System definitiv nicht effizienter als das Deutsche – und ohne es jetzt belegen zu wollen, deren System zeichnet sich im internationalen Umfeld nicht gerade durch hohe Effizienz aus. Daran wird auch die letzte Reform nichts ändern. Denn hier wie dort sind es Blockierer auf allen Ebenen, die echte Strukturreformen verhindern und immer nur nach mehr Geld schreien.

Was die Deutschen uns aber voraus haben ist, dass, wenn es denn zu einer echten Kassenreform kommt, die Finanzierung aus einer Hand erfolgen könnte. Bei uns hingegen, werden weiter die „virtuellen Geldgeber“ Sozialpartner und Länder – die ja, wie uns Vizekanzler Pröll offen gestanden hat, nach der Realverfassung gewichtiger sind, als die politischen Entscheidungsgremien, die unsere „echte“ Verfassung vorsieht – streiten und jeder wird sagen, wie toll und effizient er denn nicht agiere, und das beste aller System feiern.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Alpbach, Solidarität und eine Maniküre

Alpbach stand unter dem Titel „Sozial- und Gesundheitssystem zwischen Geschichte, Wunsch und Realität“ – und da gibt es viel nachzudenken.

Für unser Gesundheitssystem ist die solidarische Finanzierung seit jeher ein Schlagwort. Gemeinhin wird ja kommuniziert, dass eine solche vorliegt, wenn auch Gesunde die Versorgung von Kranken bezahlen. Um das aber wirklich zu sein, müsste die Gesunden irgendetwas mit den Kranken verbinden. Und um es sophistisch auszudrücken, wenn bereits im Ansatz Gesunde und Kranke auseinander gehalten werden, dann ist man weit weg von einer solidarischen Finanzierung. Und wird per Gesetz und über Zwang diese durchgesetzt, dann ist sie gänzlich verschwunden.

Was verbindet, was hält zusammen – das ist die Frage nach der Solidarität; doch die wird heute nicht mehr ernsthaft gestellt. Viel mehr findet man überall populistische Blüten.

Die meisten dieser Blüten fungieren nach dem alten Prinzip. Achte auf die Deinen und verachte die anderen. Und da finden wir auf der einen Seite Dinge wie eine „Soziale Heimatpartei“ oder etwas verklausulierter, ein „Niederösterreichisches Sozialmodell“, und auf der anderen Seite alte Klassenkampfrufe gegen Reiche, Großgrundbesitzer und Gutsherren. Ist Solidarität wirklich (wieder) nur mehr weckbar, indem tiefe Gräben in die Gesellschaft gerissen werden?

Nun, ich bin gegenüber jeder Kollektivierung, ob nun nach sozialen, berufsständischen, irgendwelchen geographischen oder gar genealogischen Kriterien, sehr skeptisch. Wenn es zur Bildung von Solidargemeinschaften kommen soll, dann nur über freie Entscheidung freier Menschen.

Für Gesundheitssysteme gibt es ausreichend Beweise, dass sie, öffentlich finanziert und gelenkt, für den einzelnen, wie für die Gemeinschaft bessere Ergebnisse erzielen können, als solche, die von der Entscheidung des Individuums abhängen. Dazu müssen allerdings alle gleich behandelt werden (also die gleichen, niedrigen Eintrittsschwellen, die gleiche Behandlung für die gleiche Krankheit etc.), und, damit das System entscheidungsfähig bleibt, dürfen Kompetenzen nicht zersplittert sein – wenn niemand entscheiden kann, wer wo wie am besten versorgt ist, dann funktioniert es nicht.

Es gibt also überzeugende Gründe, warum man auf Solidarität bauen sollte – und die haben alle nichts mit Dünkel zu tun. Und doch scheint es, als ob die vorherrschen. Schon 1955 gab es einen Kompromiss zwischen den ehemaligen Vertretern des Ständestaats und der Kammermacht und denen der Basisdemokratie und Gewerkschaftsmacht. Schon damals wurden Gräben nicht zugeschüttet, sondern mit faulen Kompromissen überbrückt. Das, was vielleicht an echter Solidarität hätte aufgebaut werden können, wurde seit dem, getriggert durch ständige Wahlkämpfe, gründlichst zwischen Partikularinteressen und Klientelpolitik zerrieben.

Statt auf ein funktionierendes System zu achten (was mit echten Reformen einherzugehen hätte) und mit transparenter Leistung die Bevölkerung immer und immer wieder davon zu überzeugen, dass institutionalisierte Solidarität hier wichtig und richtig ist, wurde das System zum Lehnswesen. Wenn heute die Mehrheit glaubt, dass „Reiche“ bessere Medizin erhalten und man die richtigen Leute kennen muss, um „richtig“ behandelt zu werden, kann man keine solidarische Finanzierung mehr erwarten, sondern muss Zwangsabgaben einheben. Und wenn folgerichtig jeder einzelne versucht, es sich zu richten, dann braucht man über Solidarität nicht mehr nachdenken – auch wenn die herrschende Klasse das anders sehen möge.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die leeren Kassen beginnen zu diktieren? Zumindest ist hinter den Kulissen mehr Bewegung zu bemerken, als jemals zuvor. Die Angst, die „Spitalswesen“-Titanic könnte doch sinken, geht um.

Im März 2009, als die Finanz- zur Wirtschaftskrise wurde, stand an dieser Stelle, dass die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Spitäler, die durch die Länder für 2009 aufzubringen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Milliarden Euro) deutlich anwachsen werden. Hintergrund dieser Rechnung war, dass die Einnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken werden, weil sie wesentlich vom Steuer- und Beitragsaufkommen abhängen. Da aber die Kosten ungeachtet der Krise weiterwachsen werden, wird das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben größer.

Schon bisher schlossen die Länder dieses Loch durch die Abgangsdeckung, eine Art automatischer Defizitdeckung. Und die war nicht gering. Oberflächlich ausgedrückt, machten die öffentlichen Spitäler pro Jahr 30 bis 35 Prozent Miese, die im Landesbudget hängen blieben; seit 2009 jedoch sind es wohl 40 und mehr Prozent – und das wird solange bleiben, solange die Wirtschaft das durch die Krise entstandene Minus nicht selbst (ohne Staathilfen) kompensiert hat, oder die Kosten der Spitäler real sinken. Ersteres könnte Jahre dauern, und zweiteres ist gegen den Willen der Landespolitik.

Langsam dürfte dort aber die Erkenntnis wachsen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das langsam geht, hat zwei Ursachen.

Erstens, weil wirtschaftliche Berechnungen der Spitäler sehr lange brauchen. In der Regel liegen „fertige“ Zahlen erst mit einem Jahr Verzögerung vor. Also sind die Zahlen für 2009 erst Ende dieses Jahres „fertig“. Natürlich gibt es da und dort auch gescheite Mitarbeiter, die unterjährig Schätzungen anstellen, aber ein echtes Controlling ist auf Landesebene die Ausnahme. Das kommt daher, dass Landespolitiker geschätzte Zahlen, wenn sie unangenehm sind, nicht, oder wenigstens so spät wie möglich, hören wollen. Und so warten „brave“ Mitarbeiter darauf, dass sie nur mit „fertigen“ Zahlen zur Politik wandern. Sollte es doch jemand wagen, unerwünschte Zahlen „zu früh“ zu präsentieren, dann riskiert er manchenorts sogar seinen Job. Die Folge dieser Vogelstrauss-Politik ist eine endlose Erkenntnisverzögerung. Nichts desto trotz dürfte langsam auch auf politischer Ebene bemerkt werden, dass es echte Finanzierungsprobleme gibt.

Die zweite Ursache ist „Maastricht“.

Früher war Geld für gestandene Landespolitiker kein Problem; wurde es knapp, musste „Wien“ zahlen. Doch diesmal ist das anders, denn der Bund kann nicht mehr so einfach neue Schulden aufnehmen, nur um Weihnachtsmannpolitik zu bedienen. Und er kann es vermutlich auch nicht mehr Erlauben, dass Länder, statt wie gesetzlich vereinbart, Budgetüberschüsse zu erzielen und ins Bundesbudget einzuzahlen, weiter Schulden machen. Der laufende Betrieb der Spitäler reißt mittlerweile aber so tiefe Löcher in die Landesbudgets, dass ein Überschuss ohne Spitalsreform irreal ist. Wenn jedoch die Länder keinen Überschuss abliefern, erhöht sich das Bundesdefizit, was die Einhaltung der Maastrichtkriterien erschwert und – wichtiger – bei Rating-Agenturen schlecht ankommen wird. Neue Schulden unter diesem Titel würden erhebliche Probleme bereiten – das kriegen auch die Länder langsam mit.

Und so beginnt etwas, das wirklich nach ernsthaften Spitalsreformüberlegungen klingt, von Oberösterreich angefangen, bis nach Wien. Nur Niederösterreich tut noch so, als ob es auf unendlichen Geldquellen sitzt, Aber auch dort wird die Erkenntnis reifen, dass die Quellen zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Neue Zeiten im Kassenbereich?

Seit Jahrzehnten verhandeln zehn Ärztekammern und dutzende Krankenkassen über Organisation und Finanzierung der ambulanten Versorgung – und das mit anachronistischen Methoden.

Ziel dieser Verhandlungen ist es, in kollektivvertragsartigen Gesamtverträgen festzulegen, wie viele Kassenärzte es wo geben muss, welche Leistungen von welchen Kassen bezahlt werden und in welcher Höhe die Leistungshonorare ausfallen.

Die Verhandlungen selbst liefen immer gleich ab. Die Kassen haben den Kammerfunktionären gesagt, wie viel mehr Geld es im nächsten Jahr geben wird und dann ist man daran gegangen, anhand von Honorarkatalogen, in denen die Leistungen taxativ festgehalten sind, zu überlegen, wie man das zusätzliche Geld verteilt. Und mal haben sich die einen (Fach)Ärzte durchgesetzt, mal die anderen.

Es gibt 13 oder 14 solcher Honorarkataloge (für die neun Gebietskrankenkassen je einen, für die restlichen zehn oder zwölf Kassen die restlichen) die allesamt nicht zusammenpassen, auch wenn über „Meta-Honorar-Ordnungen“ oder „Mapping-Strategien“ versucht wird, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Es wurde nämlich gänzlich vernachlässigt, die einzelnen Leistungen ordentlich zu definieren oder den Verhandlungen echte Kalkulationen zu Grunde zu legen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bedarf der Leistungen hat es ebenso wenig gegeben, wie den Versuch, herauszufinden, welche Anreize man mit den Honoraren schafft und welche Auswirkung das auf die Versorgung hat. Die Kataloge sind schlicht ein willkürliches Verteilungsinstrument.

Allerdings hat sich die Welt gehörig geändert. So ist das Monopol der ambulanten Versorgung durch Kassenärzte längst gebrochen. Seit den 1970ern nehmen die Spitalsambulanzen an Bedeutung zu. Anfangs waren sie noch Teil des Systems, weil sie den Kassen spezielle Honorare verrechnen konnten. Seit 1995 ist das vorbei. Seither gibt es nur patientenunabhängige Pauschalen, die an Landesregierungen ausbezahlt werden. Und wen wundert es, dass die Zahl der Patienten explodiert, die Anreize sind ja so ausgerichtet, dass Patienten dem Spital zugewiesen werden. Parallel stieg die Zahl der Wahlärzte an. Heute gibt es mittlerweile mehr als Kassenärzte. Welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte haben, wird sorgsam verschwiegen; aber sie sind sicher nicht mehr aus der ambulanten Versorgung wegzudenken. Und in all dem noch gar nicht berücksichtigt, sind die tagesklinischen (Spitals)Leistungen, die ja eigentlich auch der ambulanten Versorgung zuzurechnen sind.

Es wird Zeit, dass Kassen und Ärztekammern endlich verstehen, dass ihr liebgewonnener Weg anachronistisch ist. Will das Kassensystem überleben, wird es sich bewegen müssen.

Und genau das dürfte bei der SVA passieren. Denn, so der Vorschlag gegenüber der Ärztekammer, anstelle des alten Kataloges soll ein innovatives, patientenorientiertes Verrechnungsmodell treten. Moderne und flexible Honorierung nach Erkenntnissen der Versorgungswissenschaft und laufende Adaptierung des Leistungskatalogs nach neuesten medizinischen Erkenntnissen wird ebenso vorgeschlagen wie die Entlohnung in Abhängigkeit von der erbrachten Qualität, anstatt nur der Quantität. Es soll Anreize für integrative Versorgung geben, Hausarztmodelle sollten ebenso im Katalog enthalten sein, wie strukturierte Versorgungskonzepte für chronisch Kranke – alles in allem also eine komplette Umstellung der Finanzierungs- und Organisationsstruktur.

Das so etwas von der Ärztekammer vorerst (und reflexartig) abgelehnt werden muss, ist nur klar, aber dass es auf Dauer verhindert werden kann, Illusion.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.