Die Konkretisierung der Gesundheitsreform – Diabetes

Durch die Re­form soll die In­sti­tu­tio­nen­ori­en­tie­rung (Spi­tals­stand­or­te und Kas­sen­plan­stel­len) zu­guns­ten einer in­te­grier­ten Ver­sor­gung über­wun­den wer­den: Pa­ti­en­ten sol­len zur rich­ti­gen Zeit an der rich­ti­gen Stel­le– ge­nannt: „Best Point of Ser­vice“- be­han­delt wer­den. Wo das ist, wird nicht de­kre­tiert, son­dern ist de­zen­tral, auf Ebene der Ver­sor­gungs­re­gio­nen des ÖSG – davon gibt es 32 – fest­zu­le­gen.

Die am­bu­lan­te Ver­sor­gung ist der sta­tio­nä­ren vor­zu­zie­hen– das be­deu­tet, dass die am­bu­lan­te Ver­sor­gung durch Spi­tals­am­bu­lan­zen und Kas­sen(fach)ärzte be­darfs­ori­en­tiert auf-, aus- und um­ge­baut wird. Grup­pen­pra­xen wer­den dabei eine wich­ti­ge Rolle spie­len. So soll auf Sicht eine fach­ärzt­li­che Ver­sor­gung ge­währ­leis­tet wer­den, die nicht nur Bal­lungs­räu­me be­vor­zugt. An den Abbau von Haus­ärz­ten denkt de­fi­ni­tiv nie­mand –im Ge­gen­teil.

Zen­tral wer­den Rah­men­zie­le auf­ge­stellt, an­hand derer der Auf­bau der in­te­grier­ten Ver­sor­gung ge­mes­sen wer­den kann. De­zen­tral – also in den 32 Ver­sor­gungs­re­gio­nen – sind diese unter Be­rück­sich­ti­gung der re­gio­na­len und spe­zi­fi­schen Be­son­der­hei­ten zu kon­kre­ti­sie­ren. Es sind keine „zen­tra­lis­ti­schen“ Dik­ta­te, an­ge­dacht, son­dern pra­xis- bzw. wir­kungs­ori­en­tier­te Rah­men­vor­ga­ben.

Die Re­form klingt abs­trakt! Stimmt – und wie könn­te das kon­kret aus­se­hen?

 

Be­trach­ten wir Pa­ti­en­ten mit Dia­be­tes

Wei­ter­le­sen „Die Kon­kre­ti­sie­rung der Ge­sund­heits­re­form – Dia­be­tes“

Diabetiker sein in Niederösterreich

Die ein­sei­ti­ge Kün­di­gung, des Dia­be­tes-Ver­sor­gungs­pro­gramms „The­ra­pie aktiv“ durch die Nie­der­ös­ter­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer hat zu einem Auf­schrei ge­führt

Als Ar­gu­ment brach­te die Kam­mer unter an­de­rem aber vor allen Din­gen vor, dass die Ver­sor­gung nicht ver­bes­sert wurde, aber die Bü­ro­kra­tie ge­stie­gen ist. Zudem seien so we­ni­ge Pa­ti­en­ten (5.489 von etwa 75.000 Dia­be­ti­kern) in die­sem Pro­gramm ein­ge­schrie­ben, dass man nur schwer­lich von einem ef­fek­ti­vem Ver­sor­gungs­kon­zept spre­chen kann.

Nun, auch ich war ob die­ser Kün­di­gung ent­setzt. Egal wie schlecht das Pro­gramm auf­ge­setzt war (es war ein ab­so­lu­ter Schnell­schuss, damit wir für die EU-Prä­si­dent­schaft 2006 in­ter­na­tio­nal was vor­wei­sen kön­nen – wäre ja pein­lich ge­we­sen, wenn Mi­nis­te­rin Rauch-Kal­lat zwar Dia­be­tes zum ge­sund­heits­po­li­ti­schen Schwer­punkt  ge­macht, aber nach­weis­lich selbst nichts vor­zu­wei­sen hätte) und wie er­folg­los es läuft (nicht ein­mal zehn Pro­zent aller Dia­be­ti­ker neh­men ak­tu­ell daran teil), es war eben der erste Ver­such, unser Sys­tem pa­ti­en­ten­ori­en­tier­ter zu ge­stal­ten – so was be­en­det man nicht ein­fach so!

Doch viel­leicht hat ja die Kam­mer gar nicht un­recht?

Be­gin­nen wir mit der Dia­be­ti­ker-Dun­kel­zif­fer, die ja immer wie­der zi­tiert wird, um die Aus­ma­ße des Pro­blems zu il­lus­trie­ren. Höchst­of­fi­zi­ell ge­nannt wer­den 30 bis 50 Pro­zent. An­ders aus­ge­drückt: zu den, wegen ihres Me­di­ka­men­ten­ver­brauchs, be­kann­ten 300.000 Dia­be­ti­ker, kom­men 100.000 bis 150.000, die gar nicht wis­sen, dass sie krank sind.

Da un­se­re Po­li­tik wenig an Fak­ten in­ter­es­siert ist, gibt es keine Stu­di­en, die das be­le­gen – die Dun­kel­zif­fer ist eine „Bauch­zahl“ und soll sie ver­mut­lich auch blei­ben. An­de­rer­seits, ging eine sehr klei­ne (und na­tür­lich un­ver­öf­fent­lich­te) Stu­die in NÖ vor zehn Jah­ren die­ser Dun­kel­zif­fer nach – und siehe da, hier sind so gut wie alle Dia­be­ti­ker be­kannt. Es gibt in NÖ prak­tisch keine Dun­kel­zif­fer – ein ei­gen­ar­ti­ges Phä­no­men.

So wie wir schon nicht wis­sen, wie viele Dia­be­ti­ker es gibt, wis­sen wir noch we­ni­ger wie sie ver­sorgt sind. Also, wie viele er­blin­den, wie vie­len wer­den Füße am­pu­tiert, wie viele müs­sen an die Dia­ly­se, weil ihre Nie­ren ver­sa­gen – lau­ter blin­de Fle­cken.

Aber, wir kön­nen nach­schau­en, wie oft sie ins Spi­tal müs­sen, wohl haupt­säch­lich des­we­gen, weil ihr Blut­zu­cker ver­rückt spielt, der das tut, weil der Pa­ti­ent schlecht be­glei­tet und sein Zu­cker schlecht ein­ge­stellt ist. Die Spi­tals­häu­fig­keit ist kein guter aber für un­se­re Zwe­cke brauch­ba­rer und man­gels va­li­der Daten auch ein­zi­ger Pa­ra­me­ter, um zu schau­en, wie Dia­be­ti­ker au­ßer­halb des Spi­tals ver­sorgt sind.

Und siehe da, die nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Dia­be­ti­ker lie­gen mit rie­si­gem Ab­stand am sel­tens­ten im Spi­tal. Wäh­rend in an­de­ren Bun­des­län­dern fünf bis sechs Pro­zent der dor­ti­gen Dia­be­ti­ker ein­mal pro Jahr im Spi­tal lie­gen, sind es in NÖ nur drei – Und das passt gros­so modo zum Wis­sen, dass die Spi­tals­häu­fig­keit dann, wenn Dia­be­ti­ker früh er­kannt und gut be­treut wer­den, sinkt! Das be­deu­tet im Um­kehr­schluss: die Nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Dia­be­ti­ker sind bes­ser ver­sorgt als die Dia­be­ti­ker in allen an­de­ren Bun­des­län­dern (was nicht heißt, dass es im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich eine gute Ver­sor­gung ist!!)

Mortalität Diabetes

Ist es also so, dass über­all in Ös­ter­reich „The­ra­pie aktiv“ wich­tig ist, um die Dia­be­ti­ker-Ver­sor­gung zu ver­bes­sern, nur in Nie­der­ös­ter­reich nicht? Ja, es sieht ganz da­nach aus – warum das so ist, weiß kein Mensch. Wahr­schein­lich ist es das Ho­no­rar­sys­tem der nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Haus­ärz­te, viel­leicht aber auch nicht.

Was wir aber für die an­ste­hen­de Re­form ler­nen kön­nen ist, wie wich­tig es ist, re­gio­na­le Ver­sor­gungs­kon­zep­te zu ent­wer­fen um re­gio­na­le Pro­ble­me zu lösen. Zen­tra­le, ri­gi­de Vor­ga­ben kön­nen, egal wie gut durch­dacht, mehr ir­ri­tie­ren, als nüt­zen.

Wenn er nur zum Arzt ginge

Prä­ven­ti­on ist schwie­rig, ge­ra­de hier­zu­lan­de. Wenn man sie ver­nünf­tig be­trei­ben will, soll­te man schau­en, wo viel­leicht schon man­ches funk­tio­niert.

Frau M. (75) muss sich wie­der ein­mal über ihren Mann (75) är­gern. Sie sind zwar beide noch rüs­tig und kön­nen ihre Leben selbst ge­stal­ten, aber er ist halt doch etwas fahr­läs­sig mit sei­ner Ge­sund­heit. Er raucht ein wenig, zieht Schweins­bra­ten dem Salat vor und, was Frau M. am meis­ten är­gert, ver­tritt stand­haft die Mei­nung: wer zum Arzt geht, muss krank sein.

Sta­tis­tisch be­trach­tet, wird Herr M. fünf bis sechs Jahre vor sei­ner Frau ster­ben. So in etwa zwei Jahre dürf­ten auf bio­lo­gi­sche Fak­to­ren zu­rück­zu­füh­ren sein, die rest­li­chen sind in ir­gend­ei­ner Weise „selbst-“ oder zu­min­dest „mit­ver­schul­det“.

Es gibt viele Theo­ri­en, warum Män­ner frü­her ster­ben als Frau­en. Die meis­ten un­ter­stel­len, dass Frau­en ein bes­se­res Ge­sund­heits­be­wusst­sein haben. Dabei ist nicht klar, warum das so ist, klar ist nur, dass es so ist.

Ge­sund­heits­be­wusst­sein schaf­fen ist ein we­sent­li­ches Ziel der Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on. Ins­be­son­de­re gilt es dabei, jene Men­schen zu er­rei­chen, die am meis­ten davon pro­fi­tie­ren wür­den. Gut ge­bil­de­te Men­schen mit hohem Ein­kom­men haben sta­tis­tisch be­trach­tet be­reits ein bes­se­res Ge­sund­heits­be­wusst­sein, als jene mit nied­ri­ger Bil­dung und nied­ri­gem Ein­kom­men. Und genau letz­te­re Grup­pe mei­det Ärzte gerne. In den Sta­tis­ti­ken drückt sich das dann als ge­rin­ge­re Le­bens­er­war­tung aus.

Damit haben wir zwei we­sent­li­che Punk­te: Ge­sund­heits­be­wusst­sein ist ge­schlechts­spe­zi­fisch und von so­zio-öko­no­mi­schen Fak­to­ren be­ein­flusst.

Es ist nicht so, dass es für jede Krank­heit gut ist, sie mög­lichst früh zu ent­de­cken. Auch kann nicht jede Krank­heit ver­mie­den wer­den, wenn man sich nur oft genug un­ter­su­chen lässt. Aber so ten­den­zi­ell ist es rat­sam mög­lichst früh Ri­si­ko­fak­to­ren und Krank­hei­ten zu er­ken­nen. Aber das Den­ken „Ich gehe nur zum Arzt, wenn ich krank bin“ ver­hin­dert das.

Aus die­sem Grund ver­sucht man mit gut struk­tu­rier­ten Pro­gram­men, die Prä­ven­ti­on mög­lichst weg von „Krank­heits­ein­rich­tun­gen“ zu brin­gen, also weg von Kran­ken­häu­sern und Or­di­na­tio­nen, hin zum Pa­ti­en­ten. In Groß­bri­tan­ni­en fah­ren bei­spiels­wei­se Au­gen­ärz­te in die Dör­fer und un­ter­su­chen in Ge­mein­de­sä­len Dia­be­ti­ker (Au­gen­krank­hei­ten und Er­blin­dung sind häu­fi­ge Kom­pli­ka­tio­nen bei Dia­be­tes, die je­doch ver­mie­den wer­den kön­nen, wenn man sie früh genug er­kennt). Damit er­reicht man viel mehr Men­schen als mit einer sim­plen Über­wei­sung zum Fach­arzt, die oft nur von jenen Pa­ti­en­ten in An­spruch ge­nom­men wird, die wegen ihres hö­he­ren Ge­sund­heits­be­wusst­seins oh­ne­hin we­ni­ger Au­gen­pro­ble­me ent­wi­ckeln.

Aber sol­che Pro­gram­me sind auf be­stimm­te Krank­hei­ten be­schränkt und kön­nen nur wenig zur ge­ne­rel­len Stei­ge­rung des Ge­sund­heits­be­wusst­seins bei­tra­gen. Bei Frau­en al­ler­dings ist die­ses über alle so­zio-öko­no­mi­schen Schich­ten hin­weg stär­ker aus­ge­prägt als bei den Män­nern. Warum also?

Es gibt hier nur einen ge­mein­sa­men Nen­ner: So gut wie alle Frau­en sind ge­wöhnt, über Jahr­zehn­te auch ge­sund zu ihrem Frau­en­arzt zu gehen. Wenn man weiß, dass es eine der größ­ten Hür­den guter Prä­ven­ti­on ist, „Ge­sun­de“ zum Arzt zu brin­gen, dann liegt der Schluss nahe, dass re­gel­mä­ßi­ge Arzt­be­su­che als Ge­sun­der dazu bei­tra­gen kön­nen, das Ge­sund­heits­be­wusst­sein zu er­hö­hen und Prä­ven­ti­on erns­ter zu neh­men.

Nun, wäre es nicht ver­nünf­tig, auch den Haus­arzt so wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, dass er von mög­lichst allen nicht nur als „Re­pa­ra­tur-Dok­tor“ son­dern als „Ge­sund­heits­be­ra­ter“ wahr­ge­nom­men wird? Ver­mut­lich, aber wer will das schon.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im De­zem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Der ganz normale Selbstverwaltungswahnsinn

Ei­ni­ge Ärz­te­kam­mer­funk­tio­nä­re haben ent­schie­den – und die Be­völ­ke­rung hat sich daran zu hal­ten. Warum es ge­wähl­te Po­li­ti­ker gibt? Keine Ah­nung.

Seine Zehen hat er im Ste­hen schon lange nicht mehr ge­se­hen. Jetzt wird er seine lin­ken, selbst wenn er ab­nimmt, nie wie­der sehen kön­nen. Die wur­den am­pu­tiert; wegen sei­ner Zu­cker­krank­heit, die er nie ernst ge­nom­men hat. Sein Arzt hat ihm zwar ge­sagt, dass er mit sei­nem Dia­be­tes nicht spie­len darf, aber Schweins­bra­ten und Bier waren viel zu ver­füh­re­risch.

Wer an Dia­be­tes lei­det, hat eine sehr trü­ge­ri­sche Krank­heit. Bei den meis­ten ist der Le­bens­stil haupt­ver­ant­wort­lich. Zu viel Essen mit zu wenig Be­we­gung, das ist ein Ga­rant dafür, Dia­be­ti­ker zu wer­den. Lang­sam ent­wi­ckelt sich die Krank­heit und schlei­chend, das macht die Be­hand­lung schwer. Die beste Be­hand­lung ist die Früh­er­ken­nung. Men­schen, die zu dick sind und wenig Be­we­gung ma­chen, soll­ten früh mo­ti­viert wer­den, ihren Le­bens­stil zu än­dern. Ge­lingt das nicht, und kann der Aus­bruch der Krank­heit nicht ver­hin­dert wer­den, dann soll­te man die Pa­ti­en­ten dazu brin­gen, ihre Krank­heit ernst zu neh­men und spä­tes­tens jetzt den Le­bens­stil zu än­dern. Ge­lingt das wie­der nicht, dann ist es Auf­ga­be eines guten Ge­sund­heits­sys­tems Fol­ge­er­kran­kun­gen wie Am­pu­ta­tio­nen, Er­blin­dung, Nie­ren­ver­sa­gen, Schlag­an­fall oder Herz­in­farkt mit eng­ma­schi­gen Kon­trol­len und ent­spre­chen­den The­ra­pi­en hint­an zu hal­ten.

Da Dia­be­tes eine lang­wie­ri­ge Er­kran­kung ist, ist die wich­tigs­te Her­aus­for­de­rung je­doch, den Pa­ti­en­ten über viele Jahre nicht aus den Augen zu ver­lie­ren und zur The­ra­pie zu mo­ti­vie­ren. Diese Er­kennt­nis ist nicht neu. Des­we­gen wur­den in­ter­na­tio­nal Pro­gram­me ent­wi­ckelt, die genau das im Fokus haben.

Auch Ös­ter­reich hat sich – spät aber doch – ent­schie­den, ein sol­ches Pro­gramm zu star­ten. End­los wurde zwi­schen Ärz­te­kam­mer und So­zi­al­ver­si­che­rung ver­han­delt, doch am Ende gab es Ei­nig­keit.

Doch diese Ei­nig­keit hat plötz­lich ein Ende – nur in Nie­der­ös­ter­reich. Dort hat sich der Vor­stand der Ärz­te­kam­mer mehr­heit­lich gegen die Fort­füh­rung des Pro­gramms ent­schie­den. Die Grün­de sind hah­ne­bü­chern. Das Pro­gramm sei ein Ein­griff in die Ver­hand­lungs­ho­heit und au­ßer­dem brin­ge es keine Ver­bes­se­rung. Dass Pa­ti­en­ten durch das Pro­gramm mo­ti­viert wur­den, sich mehr zu Be­we­gen und ge­sün­der zu er­näh­ren (die wich­tigs­ten The­ra­pie­maß­nah­men bei Dia­be­tes!), wird eben­so igno­riert, wie die Tat­sa­che, dass un­nö­ti­ge Am­pu­ta­tio­nen, Er­blin­dun­gen und le­bens­lan­ge Dia­ly­sen ver­mie­den wer­den könn­ten. Sogar in­ner­halb der Ärz­te­kam­mer ist das nicht nach­voll­zieh­bar. Än­dert aber nichts, der Vor­stand hat ent­schie­den, das Pro­gramm ist tot.

Nun, das ei­gent­lich Schlim­me dabei ist, dass wirk­lich ein paar Funk­tio­nä­re ent­schei­den kön­nen, was für die Be­völ­ke­rung gut ist. Man stel­le sich vor, dass hin­ter den maß­geb­li­chen Funk­tio­nä­ren der Nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer ge­ra­de ein­mal 1400 Ärzte ste­hen – so viele Stim­men konn­ten sie bei der letz­ten Kam­mer­wahl auf sich ver­ei­ni­gen. Und diese paar Funk­tio­nä­re ent­schei­den, was für die 1,4 Mil­lio­nen Nie­der­ös­ter­rei­cher gut ist. Kein le­gi­ti­mier­ter Volks­ver­tre­ter kann daran was än­dern, ja nicht ein­mal die Kas­sen kön­nen es. Dass die Be­völ­ke­rung dank des Pflicht­ver­si­che­rungs­sys­tems nicht aus­stei­gen und sich an­de­ren, ver­nünf­ti­ge­ren Part­ner zu­wen­den kann ist nur mehr das Tüp­fel­chen auf dem i.

Es ist er­schre­ckend, wie sich ei­ni­ge So­zi­al­part­ner mitt­ler­wei­le auf­füh­ren und sich dabei voll­kom­men si­cher füh­len kön­nen.

Warum ich ei­gent­lich noch wäh­len gehen soll, das ist die Frage. Real ent­schei­den doch oh­ne­hin Per­so­nen, die sich jedem Ple­bis­zit ent­zie­hen?

Die­ser Ar­ti­kel wurde im No­vem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Gesundheitsziele

Eine ziel­ori­en­tier­te Po­li­tik im Ge­sund­heits­we­sen wäre wün­schens­wert – und wird es auch blei­ben, da sich kei­ner an un­er­reich­ten Zie­len stößt.

Es ist sim­pel. Wer etwas er­rei­chen will, der setzt sich Ziele. Nor­ma­le Men­schen, die ziel­los her­um­ir­ren und trotz­dem Voll­gas geben – die Wil­den auf ihren Ma­schi­nen – sind ge­sell­schaft­lich nicht ge­ra­de an­er­kannt.

Ziele haben den (un)an­ge­neh­men Ef­fekt, dass man so­wohl Ef­fekt­vi­tät (also den Grad der Ziel­er­rei­chung) als auch Ef­fi­zi­enz (wie viel hat es ge­kos­tet, das Ziel zu er­rei­chen) mes­sen kann. Im Ge­sund­heits­we­sen gibt es seit län­ge­rem Ge­sund­heits­zie­le. Sie sind ein in­ter­na­tio­nal ver­brei­te­tes In­stru­ment, um Ge­sund­heits­po­li­tik ziel­ge­nau­er und über­prüf­ba­rer zu ma­chen. Aber genau das dürf­te – ober­fläch­lich be­trach­tet – bei uns po­li­tisch nicht ge­wünscht sein

1989 hat Ös­ter­reich mit fast allen an­de­ren WHO-Mit­glied­staa­ten fol­gen­de Ziele für Dia­be­ti­ker ver­ein­bart und „ver­spro­chen“, sie bis 1994 zu er­rei­chen: (1) Ver­min­de­rung neuer dia­be­tes­be­ding­ter Er­blin­dun­gen um ein Drit­tel oder mehr. (2) Ver­rin­ge­rung neu auf­tre­ten­den ter­mi­na­len Nie­ren­ver­sa­gens wegen Dia­be­tes um min­des­tens ein Drit­tel. (3) Sen­kung der Zahl von Am­pu­ta­tio­nen auf­grund dia­be­tes­be­ding­ter Gang­rän um min­des­tens die Hälf­te. (4) Ver­min­de­rung der Mor­bi­di­tät und Mor­ta­li­tät bei ko­ro­na­rer Herz­er­kran­kung von Dia­be­ti­kern mit­tels in­ten­si­ver Pro­gram­me zur Ver­rin­ge­rung der Ri­si­ko­fak­to­ren. (5) Nor­ma­ler Schwan­ger­schafts­ver­lauf bei Frau­en mit Dia­be­tes

Das klingt doch ganz gut. Umso er­staun­li­cher ist, dass man hier­zu­lan­de An­fang des 21. Jahr­hun­derts fol­gen­de Ziel­for­mu­lie­rung fin­det: Bis zum Jahr 2010 soll­te die Häu­fig­keit von Dia­be­tes­fol­gen, wie Am­pu­ta­tio­nen, Blind­heit, Nie­ren­ver­sa­gen, Schwan­ger­schafts­kom­pli­ka­tio­nen und an­de­re Ge­sund­heits­stö­run­gen um 15 Pro­zent ge­gen­über dem Jahr 2000 re­du­ziert wer­den.

Ein­mal ab­ge­se­hen davon, dass die „neuen“ Ziele weit unter denen lie­gen, die be­reits ver­ein­bart waren, ist es doch er­staun­lich, dass sich nie­mand daran stößt, dass fi­xier­te Ziele nicht er­reicht wur­den und ein­fach neue auf­ge­stellt wer­den. Nun, muss man zu­ge­ben, dass nicht ein­mal die Hälf­te der WHO-Staa­ten ernst­haf­te Maß­nah­men ge­setzt hat, die Ziele wirk­lich zu er­rei­chen. Aber es ist halt schon är­ger­lich, wenn man hier­zu­lan­de zum Schein so tut, als ob Ziele ernst ge­nom­men wer­den und dann doch ein­fach igno­riert.

Es gibt zwei we­sent­li­che Grün­de, warum Ös­ter­reich mit „Ge­sund­heits­zie­len“ Pro­ble­me hat.

Auf der einen Seite ist es der stei­gen­de Po­pu­lis­mus. Wenn man Ge­sund­heits­zie­le de­fi­niert, dann im­pli­ziert es, dass man of­fen­bar Ver­bes­se­run­gen er­rei­chen kann. Wer gerne vom bes­ten Ge­sund­heits­sys­tem redet, hat damit Pro­ble­me. Zudem be­deu­tet das Auf­stel­len von real er­reich­ba­ren Zie­len („allen alles auf al­ler­höchs­tem Ni­veau“ zu bie­ten, ist kein Ziel, son­dern nai­ves Wunsch­den­ken), Prio­ri­sie­run­gen vor­neh­men zu müs­sen. Man kann nicht alles gleich­zei­tig an­ge­hen! Aber eine Prio­ri­sie­rung wird immer Wäh­ler­stim­mern kos­ten, weil halt nicht alle die obers­te Prio­ri­tät er­hal­ten wer­den.

Auf der an­de­ren Seite ist es die Ver­tei­lung der Kom­pe­ten­zen. Denn wer ist ver­ant­wort­lich für die Er­rei­chung von Zie­len? So­lan­ge keine klare Kom­pe­tenz­ver­tei­lung – die eine echte Ge­sund­heits­re­form ver­lang­te – exis­tiert, wird man Ziele zwar for­mu­lie­ren, aber nicht er­rei­chen kön­nen. Denn nur wenn es klare Ver­ant­wort­lich­kei­ten (nicht nur Zu­stän­dig­kei­ten) gibt, kann ein ziel­ori­en­tier­ter Pro­zess auch zum Ziel füh­ren.

Und so blei­ben wir lie­ber bei dem Spiel: Voll­gas (die pro Kopf­aus­ga­ben sind nach Lu­xem­burg die zweit­höchs­ten in der EU), egal wohin!

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Jän­ner 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.