Gesündere Patienten ist der Schlüssel

Es gibt Gesunde und Kranke, aber nicht jeder Kranke muss Patient sein und nicht jeder Patient hat einen unveränderlichen Krankheitsverlauf

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Wenn die neue GÖG-Pflegebedarfsstudie 2050 den Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal mit 200.000 Köpfen angibt, dann sind das nicht ZUSÄTZLICHE, sondern eine Endzahl. Der zusätzliche Bedarf wird mit rund 70.000 angegeben. Also etwa 50% mehr als heute –ohnehin schon sehr viel, zu viel möglicherweise.

Denn, was diese Studie nicht bedenken durfte, sind Änderungen im Gesundheitszustand der Bevölkerung. Sie geht davon aus, dass die Ineffizienz des Systems einfach weitergeht.

Das heutige System muss aber pointiert als gesundheitsschädlich betrachten werden. Obwohl wir europaweit die höchste Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Gesundheitseinrichtungen haben, sind wir trotzdem im Spitzenfeld der Pflegebedürftigkeit. Um es klar zu sagen – wenn wir es nicht schaffen, das System weniger gesundheitsschädlich zu gestalten, werden wir es nicht halten können, egal wieviel Personal wir ausbilden oder einfliegen lassen.

An dem Punkt kommt das Chronic Care Modell (CCM) ins Spiel.

Das CCM ist ein organisatorischer Ansatz zur Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen in der Primärversorgung. Es ist bevölkerungsbasiert und schafft praktische, unterstützende und evidenzbasierte Interaktionen zwischen einem informierten, aktivierten Patienten und einem vorbereiteten, proaktiven Betreuungsteam.

Wagner EH. Chronic disease management: what will it take to improve care for chronic illness? Eff Clin Pract. 1998;1:2-4

Sinnvoll umgesetzt, fördert das CCM die Fähigkeiten der Patienten zur Selbstverwaltung ihrer Krankheit, indem es diesen Werkzeuge und Ressourcen anbietet, um ihre Gesundheit aktiv zu managen. Es bietet klinischen Teams Werkzeuge und Ressourcen, um evidenzbasierte Richtlinien und Informationen zu nutzen. Es achtet darauf, dass Informationssysteme bestehen, um den Austausch relevanter Patienteninformationen zwischen den Mitgliedern des Gesundheitsteams zu erleichtern. Es fördert eine effiziente Organisation von Gesundheitsdienstleistungen, um die Bedürfnisse chronisch kranker Patienten effektiv zu adressieren. Und es bezieht die Unterstützung der Gemeinden in den Behandlungsprozess ein, um sicherzustellen, dass die Versorgung über die klinische Umgebung hinausgeht.

So etwas zu errichten ist keine Hexerei und es gibt dafür Unmengen an hilfreichen Tools im Internet – sofern es irgendjemanden gibt, der sich darum kümmert -und hier kommen die Bürgermeister ins Spiel.

Wenn wir Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner außer Acht lassen, bleiben etwa 2.000 Bürgermeister übrig, die für etwa 5.000.000 Einwohner zuständig sind. Pro Gemeinde im Schnitt 2.500 Einwohner.

Etwa 20% haben ein chronische Erkrankung, die, wenn richtig adressiert, zu weniger Akuterkrankungen und geringerem Pflege- und Betreuungsbedarf führt. Wenn man die Hälfte dieser Patienten erreichte, würde das bereits einen erheblichen Hebel für die Prognose der GÖG-Studie bedeuten – und das System retten.

Runtergebrochen auf eine Durchschnitts- Gemeinde sind das also etwa 250 Einwohner, deren Versorgung besser über ein CCM koordiniert werden müsste. Wenn man für jeden etwa eine Stunde pro Monat professionelle „Koordination der CCM“ einplant, sind das 1,5 VZÄ. Übertragen wir diese Aufgabe einer Community Nurse, die direkt bei der Gemeinde angestellt ist, sind Datenschutzthemen oder Haftungsfragen leicht geklärt. Zudem würde eine derartige Position, die weder dem Gesundheitssystem, noch dem Pflegewesen zugeordnet ist, sondern schlicht eine „Verwaltungskraft“ darstellt, jene Brücken schlagen können, die eben heute nicht bestehen und die Ineffizienz ausmachen. Die aktuelle Gesetzeslage ließe das alles zu, sogar mit Förderungen könnte man rechnen.

First published im PERIskop

Der plötzliche und nicht behebbare Ärztemangel

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   Wir werden das Problem nie wieder los – einfach, weil es politisch so probat ist.

   Halten wir fest: Etwa 10.000 österreichische Maturanten melden sich pro Jahr für den Medizinaufnahmetest „MedAt“ an, rund 7.500 nehmen tatsächlich teil. Zur Orientierung: Es gibt 20.000 AHS-Maturanten. Kann es sein, dass 7.500 Maturanten dafür brennen, Ärzte zu werden? Selbst in den stärksten Jahren bei freiem Zugang gab es selten mehr als 3.000 Studienanfänger. Warum soll ein Test Berufungen erhöhen?

   Die Zahl der Absolventen hat sich übrigens kaum verändert. Der „MedAt“-Tet hat die Drop-out-Quote gesenkt – sonst nichts. Seither haben mehrere Privatunis eröffnet. Und so ist die Zahl aller Anfänger mit mehr als 2.500 höher als zu Zeiten der Ärzteschwemme. Ab etwa 2025 werden wir jährlich mehr als 2.000 Absolventen haben – ein historischer Höchstwert, der 60 Prozent über dem EU-Schnitt liegt.

   Weil eine Medizinerausbildung mit etwa 400.000 Euro Steuergeld sehr teuer ist, wurden zwischen 1995 und 2010 regelmäßig Ärztebedarfsstudien erstellt. Jede hat deutlich weniger Ärzte als bedarfsnotwendig ausgewiesen, als es real Ärzte gab, also einen Ärzteüberschuss belegt – die Zeit der Ärzteschwemme.

   In den frühen 2000ern wurde gewarnt, wenn die Ausbildungskapazitäten nicht begrenzt würden, werde es tausende arbeitslose Ärzte geben. Damals ging man davon aus, dass es neben dem öffentlichen System, das ja verspricht, dass alle alles auf allerhöchstem Niveau bekommen, und zwar immer, überall und gratis, kein Parallelsystem geben könne. Eine Wahlarztversorgung wie heute schien absurd und keinesfalls erstrebenswert.

   Die Ärztekammer war damals die wichtigste Stimme, die vor der Ärzteschwemme warnte: Es sei zynisch, und man müsse nun endlich der laufenden Illusionszerstörung der Jugend ein Ende setzen. Es war die Zeit der taxifahrenden Jungärzte. Doch kammerintern beschäftigte man sich um 2005 mit einer anderen Frage: der Finanzierbarkeit der Wohlfahrtsfonds. Diese Pflichtzusatzpensionsfonds der Ärzte waren damals noch rein umlagefinanziert. Versicherungsmathematische Studien hielten fest, dass entweder Pensionen gekürzt oder Einnahmen erhöht werden müssten. Pensionskürzungen kamen nicht in Frage, die einzige Chance auf höhere Einnahme bestand und besteht aber nur darin, dass immer mehr Ärzte einzahlen.

   Um 2005/2006 kippten die Argumente der Ärztekammer von der Ärzteschwemme in den Ärztemangel – plötzlich und ansatzlos. Die Argumente, die 2014 zur Gründung der MedUni in Linz führten, nutzten diese versicherungsmathematischen Studien, interpretierten aber einen drohenden Ärztemangel hinein; mit Erfolg. Doch hat die zusätzliche Uni die Diskussion über den Ärztemangel beendet? Nein!

Noch merkwürdiger ist, dass die Ziele, die in diesen versicherungsmathematischen Studien genannt werden – also wie viele Ärzte zur Finanzierung der Wohlfahrtsfonds benötigt werden – übertroffen werden (2020: 48.000 vs. 45.000), doch auch das ohne Auswirkung auf den postulierten Ärztemangel.    Heute arbeiten rechnerisch um 50 Prozent mehr Ärzte am Patienten als im EU-Schnitt. Weil aber wesentliche Player politisch vom Ärztemangel gut leben, wird er uns erhalten bleiben.

„Wiener Zeitung“ vom 27.04.2023                            

Wahlärzte und Ärztemangel

   Wir bilden immer mehr Mediziner aus – aber sie fehlen uns trotzdem.

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   Seit wenigstens 25 Jahren versuchen Experten vergeblich zu erklären, dass es auch hierzulande nötig ist, sich ernsthafte Gedanken über den Bedarf an Ärzten zu machen. Stattdessen wird über Wahlärzte gefeilscht. Diese – in Europa einzigartige – Spezies, die im öffentlichen Gesundheitssystem arbeitet, ohne richtig dazuzugehören, ist eine tolle Verhandlungsmasse: Wie soll man deren Versorgungswirksamkeit bewerten? Immerhin ist ein Viertel aller Ärzte dieser Spezies zuordenbar. Und je nachdem, wie wichtig oder unwichtig sie für die Versorgung angenommen wird, umso mehr (je nach Sichtweise Ärzte, Universitätsplätze, Kassenstellen, Ausbildungsstellen, immer aber Geld) braucht man.

   Die Ärztekammer ist der Meinung, alle Wahlärzte seien notwendig, und hat in einer eigenen etwa 15 Jahre alten Studie, deren Prognosezeitraum jetzt erreicht wird, gemeint, in Zukunft wäre pro 180 Einwohner ein Arzt nötig. Das haben wir fast erreicht – allerdings ohne den Mangel zu beheben. Ärztemangel und Unterversorgung wären nur abwendbar, wenn wir sofort 100 Ärzte mehr pro Jahr ausbilden, und das haben wir getan. Die Zahl der Ärzte steigt und steigt (auf das 1,3-Fache des EU-Schnitts), aber der Mangel bleibt. Der eigentliche Hintergrund dürfte sein, dass das Ärztepensionssystem (Wohlfahrtsfonds) pleitegeht, wenn nicht immer frische Zahler ins Pflichtsystem gespült werden.

   Und da kommen die Länder mit dem Wunsch nach Studienplätzen. Dank der Vorgabe des „Ärztemangels“ hat es Linz geschafft, eine MedUni zu kriegen – neue Universitäten in diversen Bundesländern, die neben Prestige auch frisches Geld aus Wien versprechen, sind sehr beliebt. Diese Uni – und die seitdem neu entstandenen Privatunis – konnten die Absolventenzahl auf das 1,6-Fache des EU-Schnitts heben, aber den Mangel nicht ausgleichen – die Zahl der Absolventen steigt und steigt, der Mangel bleibt.

   Und nun kommen die Kassen. Diese sind verpflichtet, jedem Versicherten ausreichend Kassenärzte zur Verfügung zu stellen. Wenn wirklich die Wahlärzte für die Versorgung nötig sind, dann müsste die Zahl der Kassenverträge seit langem und in Zukunft noch deutlicher steigen. Tut sie aber nicht. Seit 1995 bleibt die Zahl gleich. Die Kassen gehen davon aus, dass Wahlärzte nicht oder in nur sehr geringem Umfang nötig sind, und setzen deren Versorgungswirksamkeit mit wenigen Prozent eines Kassenarztes an. Sie sind also eine Art Luxus-Überschuss. Ein paar „Versorgungswirksame“ sollten zu einem Kassenvertrag verpflichtet werden, und der Rest sei abzuschaffen. So etwas konterkariert das Mangel-Narrativ. Und irritiert gleich noch mehr: nämlich die Ärztekammer.

   Die sitzt im Dilemma: Einerseits sollen die Kassenkuchenstücke nicht durch mehr Kassenärzte kleiner werden, andererseits braucht es eben mehr Ärzte für das Ärztepensionssystem – logischer und altbekannter Schluss, den alle lieben: Es braucht mehr Geld. Und so verhandeln die staatlichen Interessengruppen um die Wahlärzte, denn dort ist der Hebel, wie man jede gewünschte Zahl errechnen kann. Es waren und werden diese Wahlärzte sein, die, unabhängig von der Realität, genauso bewertet werden, dass möglichst alle Interessen befriedet werden.   

Ach ja, falls Ihnen, werte Leser, das bekannt vorkommt – abgesehen von ein paar Kleinigkeiten stand das so schon vor elf Jahren an dieser Stelle.

„Wiener Zeitung“ vom 25.08.2022  

Ärzte und Pflegekräftemangel oder das Prinzip „mehr“

   Die ewige Forderung nach mehr Personal ist ein Teufelskreis – aber für Politiker immer ein Gewinn.

   Ein Blick ins Zahlenmaterial, das immerhin von öffentlichen Stellen freigegeben wird, zeigt, dass wir in der EU die meisten Ärzte pro Kopf haben (nur die gezählt, die mit Patienten arbeiten). Das Gleiche gilt für Pflegekräfte. Auch hier haben wir, mit deutlichem Abstand, die meisten fertig ausgebildeten und werktätigen Personen. Dass die Zahlen, die hier herangezogen werden, nicht leicht zu finden sind und aus unterschiedlichen, aber immer öffentlichen Statistiken zusammengefasst werden müssen, ist wohl ein erster Hinweis darauf, dass es keinen Personalmangel gibt, sondern einen erheblichen Mangel an politischem Willen.

   Wer sich jedenfalls einmal durchs Zahlendickicht gearbeitet hat, muss notwendigerweise feststellen, dass die Zahlen nicht darauf hindeuten, dass wir mehr Personal ausbilden müssen – im Gegenteil. Doch so eine Recherche ist anstrengend und führt zu Schlüssen, die so gar nicht zum Narrativ der Politiker passen. Damit hat jeder, der sich da einarbeitet, Feinde – und zwar nicht nur in der politischen Elite. Denn auch eine breite Masse der in „Mangelberufen“ Arbeitenden „spürt“ diesen Mangel und fühlt sich als Opfer.

   Und wenn der Ärztekammerpräsident meint, vier von zehn Studierenden würden nach dem Abschluss ins Ausland gehen, fragt halt keiner nach, ob das stimmt. Wenn er gleichzeitig sagt, dass wir 1.500 Neuzugänge bräuchten, um den Status quo zu erhalten, und daher die vorhandenen 1.750 Studienplätze zu einem Nachwuchsmangel führen müssten, bleibt das unwidersprochen. Obwohl nichts davon faktisch ist – im Gegenteil, wie der Blick in die „Ärztestatistik für Österreich“ zeigt: Der Neuzustrom liegt bei etwa 1.700 Ärzten. Pikanterweise wurden diese Aussagen anlässlich der Präsentation genau dieser Statistik getätigt – und somit gleich einmal festgelegt, wie diese zu lesen ist.

   Auch in der Pflege interessiert keinen, was die Zahlen sagen. Die Anekdoten über den Mangel sind vielfältig, und jeder weiß mittlerweile, dass wir mindestens 75.000 zusätzliche Kräfte brauchen. Und weil das so ist, müssen wir auf Teufel-komm-raus mehr ausbilden. Doch mit etwa 16 Pflegekräften pro 1.000 Einwohner (nicht Betreuungskräften, sondern ausgebildeten Pflegekräften) haben wir doppelt so viele wie der EU-Durchschnitt und einen Vorsprung auf das zweitplatzierte Deutschland von 20 Prozent. Wenn wir zu den aktuell etwa 150.000 Pflegkräften zusätzlich 75.000 in Beschäftigung nehmen, werden wir halt dreimal so viele haben wie der EU-Durchschnitt. Doch welcher Journalist nimmt schon den Jahresbericht „Gesundheitsberuferegister 2020“ als Quelle, wenn doch vom Minister bis zum ÖGB-Funktionär alle von einem Mangel sprechen, und „mehr“ fordern?    Und so werden wir eben „mehr“ ausbilden. Das „mehr“-Angebot wird zur Folge haben, dass sich die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern, was dazu führen wird, dass Ärzte noch stärker in den Wahlarztbereich und Pflegekräfte noch mehr in die Teilzeit verschwinden, womit wieder ein „Mangel“ entsteht, der die Politik zum Handeln zwingt und mehr Ausbildungsstellen geschaffen werden. Und das geht halt so weiter und so weiter.

„Wiener Zeitung“ vom 29.07.2021 

Billige Arbeitskräfte in neuen MedUnis

   Der Ruf nach der Verdoppelung der MedUnis wird von standhaft vertretenen alternativen Fakten begleitet.

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   Österreichs MedUnis bilden bezogen auf die Einwohner die meisten Mediziner in Europa aus. Im langjährigen Schnitt bleiben 90 Prozent der inländischen Absolventen (etwa 900) hier und arbeiten als Ärzte. Und auch die ausländischen Absolventen wandern immer seltener ab. Etwa die Hälfte bleibt uns erhalten. Es gibt also keine Massenemigration, wie manche behaupten, eher das Gegenteil. Denn seit einigen Jahren kommen jährlich etwa 500 Ärzte aus dem Ausland neu hinzu. Am Ende sind es 1.600 Ärzte, die jährlich neu in der Ärzteliste eingetragen werden. Demgegenüber stehen etwa 800 Ärzte, die aus dem Beruf ausscheiden. Die Zahl der Ärzte wächst – und das seit Jahrzehnten.

   Nun hört man, es gebe einen Ärztemangel, weil Kassenstellen – und hier vor allem die der Hausärzte – nicht besetzt werden könnten. Aber das ist halt auch falsch. Es gibt etwa 4.000 Kassen-Hausärzte; demgegenüber gibt es mehr als 3.000 Hausärzte, die meisten unter 55 Jahre alt, die eine Wahlarzt-Ordination betreiben, 2.000 leben ausschließlich von ihr. Diese Wahlärzte wollen einfach keinen Kassenvertrag. Ähnliches gilt auch bei den Fachärzten. Da einen generellen Ärztemangel hineinzuinterpretieren, ist schlicht Realitätsverweigerung.

   Bei der Forderung der Länder nach der Verdoppelung der MedUnis kann der akute „Hausärztemangel“ nur vorgeschoben sein – das müssen sogar sie selbst erkennen, ist doch frühesten 2035 mit fertigen Ärzten aus diesen neuen Unis zu rechnen. Und wenn es nur darum ginge, die enttäuschten Eltern und Großeltern der Kinder zu beruhigen, die keinen Studienplatz gekriegt haben, würden sie das nicht so beharrlich fordern. Doch da gibt es noch andere Motive.

   Das Arbeitszeitgesetz für Spitalärzte aus dem Jahr 2015 wird eingehalten und führt zur Arbeitszeitreduktion von bis zu 20 Prozent. Da die Arbeitsdichte vor 2015 schon recht hoch war (in der Arzt-Patienten-Relation gehört Österreich zu Europas „produktivsten“ Staaten), müsste eigentlich die Zahl der Ärzte entsprechend gestiegen oder aber die Belastung gesunken sein (weniger Patienten). Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Ärzte stieg bis 2018 um lediglich 6 Prozent, und die Belastung blieb gleich. Es kam zur Arbeitsverdichtung – oder?

   Was völlig übersehen wird: Es gibt neue „Mitarbeiter“, die in Statistiken nicht auftauchen und zu allem Möglichen eingesetzt werden können – nämlich die Studenten im Klinisch-Praktischen Jahr, die sogenannten KPJler. Bis zu 1.500 gibt es jedes Jahr – neu. Und weil sie oft Tätigkeiten der „alten“ Turnusärzte übernehmen (Papierkram, Blutabnahmen, Infusionen, etc.), federn sie einiges ab. Um die Lücke zu füllen, bräuchte es jedoch rund 3.000.

   Und plötzlich versteht man die Begehrlichkeit der Länder nach Verdoppelung der Studienplätze.

   Denn mit mehr KPJlern kann man nicht nur Spitalpersonal praktisch zum Nulltarif entlasten, mehr noch, man erhält auch viele hunderte Millionen Euro zusätzlich vom Bund für die ländlichen Spitalspielplätze – weil sich die bundesfinanzierten MedUnis ja in bestehenden Spitälern einmieten müssen und die Miete von den Ländern de facto selbst festgelegt wird. gastkommentar@wienerzeitung.at

„Wiener Zeitung“ vom 28.11.2019 

Mehr Medizin-Universitäten braucht das Land

 Ärztemangel: Weg mit dem Aufnahmetest und her mit mehr, viel mehr Studienplätzen.

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   Der Ärztemangel, er hat uns fest im Griff. Kein Tag, an dem nicht über eine nicht nachbesetzbare Kassen-Arztstelle berichtet und auch gleich die Lösung gefunden wird: Wir brauchen mehr Medizin-Absolventen. Die Diskussion schwappt aus Deutschland, wo es wirklich Probleme gibt, nach Österreich. Doch bei uns? Sachlich betrachtet haben wir mit mehr als 505 ärztlich tätigen Medizinern pro 100.000 Einwohner die meisten in der EU – verglichen mit Deutschland (411) gleich um ein Viertel mehr. Da hilft es auch nicht, wenn von manchen politischen Akteuren merkwürdige Rechnungen angestellt werden, um die Zahl kleinerzurechnen; etwa dadurch, dass man Turnusärzte nicht mitzählt, weil die ja noch in der postpromotionellen Ausbildung stehen – was aber falsch ist, weil alle anderen diese mitzählen.

   Zudem haben wir keine übermäßige Pensionierungswelle zu erwarten. Der Anteil der Ärzte über 55 Jahren liegt bei etwa 27 Prozent, in Deutschland bei 42. Dort wird es bald wirklich rund gehen.

   Vor allem deshalb, weil in Deutschland mit 15 Absolventen pro 100.000 Einwohner nur knapp überdurchschnittlich (EU: 12) viele Mediziner ausgebildet werden. Wir bilden hingegen alleine an öffentlichen Universitäten 23 pro 100.000 Einwohner aus. Zählen wir die privaten Unis dazu, steigt die Zahl auf 27. Da hilft es auch nicht, wenn von manchen politischen Akteuren merkwürdige Rechnungen angestellt werden, um die Zahl kleinerzurechnen, indem etwa nur inländische Absolventen der öffentlichen Unis berücksichtigt werden. So rechnet international niemand – wieso auch?

   Also wieso sind sich trotzdem alle so sicher, dass wir einen Ärztemangel haben, der durch mehr Studienplätze (manche verlangen eine Verdoppelung) behebbar ist?

   Bei den Ärztekammern kann man das noch irgendwie nachvollziehen. Sie sind die Verwalter eines verpflichtenden Zusatzpensionsprogramms für Ärzte, des sogenannten Wohlfahrtsfonds. Sie können, einem Pyramidenspiel nicht ganz unähnlich, ihren Verpflichtungen aus der Vergangenheit nur nachkommen, wenn die Zahl der Ärzte kontinuierlich wächst – was ja dank der enormen Zahl an Absolventen seit vielen Jahren garantiert ist (im Durchschnitt 900 Ärzte pro Jahr).

   Doch warum schreien so viele Politiker? Da, so ist zu vermuten, liegt der Grund wo anders. Es gibt etwa 46.000 Maturanten. Fast jeder Vierte meldet sich beim Aufnahmetest für Medizin an. Doch nur 1100 erhalten einen Studienplatz. Viele Tausende, die nicht durchkommen, haben dann unzufriedene Eltern, von denen sich viele Tausende bei der Politik beschweren – begonnen bei Bürgermeistern, hinauf zu den Landeshauptleuten. Wie kann es sein, dass es Ärztemangel gibt (kann man jeden Tag in der Zeitung lesen, außerdem müsse man lange auf einen Arzttermin warten, wie es heißt, und Kassenstellen können auch nicht nachbesetzt werden), und das eigene Kind darf nicht studieren? Und der Test sagt gar nichts aus, weil das eigene Kind sicher ein sehr guter Arzt geworden wäre.    So etwas ist lästig. Und wie löst man das politisch am elegantesten? Man fordert laut mehr Studienplätze und Abschaffung des Aufnahmetests – wegen des Ärztemangels.

„Wiener Zeitung“ Nr. 194 vom 05.10.2017 

Der Ärztemangel in Zahlen

(Lesezeit 7 Minuten) Es ist irgendwie völlig absurd. Wegen einer angeblichen Pensionierungswelle* und dem EU-Arbeitzeitgesetzt droht also ein Ärztemangel, der aus einem aktuellen Absolventenmangel hervorgehen wird, den auch die EU verursacht hat.

Das weiß Minister a.D. und amtierender Landesgesundheits-Referent des Burgenlandes N. Darabos  und fordert 1.000 zusätzliche Studienplätze für Medizin. Und das bitte umgehend, wie die amtierende Kärntner Landesgesundheits-Referentin B. Prettner konstatiert: „das Festhalten an der derzeitigen Studienplatzbeschränkung führt schrittweise und unausweichlich zu einem Engpass an Medizinern.“

Wie nicht anders zu erwarten, applaudieren alle Landesfürsten, wissen Sie doch, dass das eh alles der Bund zahlen muss. Und um ein Gefühl zu kriegen, was 1.000 zusätzliche Studienplätze bedeuten: Wien und Graz gemeinsam kommen etwa auf 1.000 Studienplätze – also müssten wir, wollten wir das realisieren, umgehend in jedem Bundesland eine eigene MedUni errichten – ein sehnlicher Wunsch aller Landesfürsten rückt zum Greifen nah!

Im Hintergrund laufen zwei Diskussionen

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Analyse der neue Ärzteausbildung – ein riesen Bluff

Wenn die entworfene Ärzteausbildung eine Verbesserung bringen soll, müssten parallel 10.000 Spitalsbetten abgebaut werden! Also doch nur ein Bluff!

Zusammenfassung

Blickt man schnell auf den Entwurf, deutet alles darauf hin, dass die Politik ernsthaft eine Verbesserung der Ausbildung der Jungärzte anstrebt. Turnusärzte  (TÄ), die Allgemeinmediziner werden wollen, sollen eine verpflichtende Lehrpraxis machen, die mindestens 6 Monate dauert. Die Facharzt-Ausbildung soll durch das Abstellen der Unart, dass vor der Facharzt-Ausbildung zuerst eine Allgemeinmediziner-Ausbildung gemacht werden muss, deutlich verkürzt werden. Und damit Spitalserhalter, v.a die Länder, diese neuen Regeln nicht umgehen können, wacht die Ärztekammer über jede einzelne Ausbildungsstelle. Soweit so gut!

Allerdings liegt der Teufel im Detail. Analysiert man den Entwurf, erkennt man, dass zwar die Ausbildungszeit der Fachärzte wirklich verkürzt werden könnte, dafür werden aber offenbar bewusst Engpässe eingebaut, die die Ausbildungszeit der Allgemeinmediziner in den Spitälern real enorm verlängern wird – es sei denn, es kommt auch zu einer sehr, sehr großen Spitalsreform, mit dem Schließen von etwa 10.000 (25%) Spitalsbetten – das ist nicht realistisch.

V.a. Kleinstspitäler und Kleinstabteilungen, die eigentlich durch den Entwurf aus Qualitätsgründen ihre Ausbildungsbefugnis verlören, werden durch eine Ausnahmeregelung im selben Entwurf geschützt. Diese Ausnahmeregelung stellt sicher, dass TÄ weiterhin ohne ordentliche Ausbildung als Systemerhalter eingesetzt werden können, weil es niemanden gibt, der ihre Ausbildung einfordern kann – sie bleiben weiterhin verkauft. Die auf den ersten Blick eingeführte Überwachung der Ausbildungsqualität durch die Ärztekammer (Ausbildung nur an anerkannten Ausbildungsstellen) ist nichts als Blendwerk. Real wird die Zahl der notwendigen TÄ weiterhin durch einen Bettenschlüssen bestimmt und nicht durch Ausbildungsinhalte oder gar den Bedarf.

Und weil die Zahl der TÄ derartig bestimmt wird, ist es völlig unrealistisch, dass die 42 Monate Ausbildungsdauer (davon 36 im Spital), wie im Gesetz vorgestellt, halten wird. Rein rechnerisch geht sich das Zahlenspiel dieser „Reform“ nur aus, wenn TÄ 5 Jahre (60 Monate) im Spital arbeiten. Und um TÄ ans Spital zu ketten, werden bewußt Wartezeiten eingebaut. Deswegen wird es, um das Angebot der Lehrpraxis so klein wie möglich zu halten, realistischerweise keine öffentliche Finanzierung der Lehrpraxen geben und das Angebot der „kleinen Fächer“ wird reduziert – erheblich reduziert.

Um Feststellen zu können, ob diese Reform wirklich nur eine Show darstellt, sind v.a. zwei Fragen zu stellen:

  1. Bleibt es dabei, dass pro 15 Betten ein Turnusarzt in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner angestellt werden muss?
  2. Bleibt es bei der Unterfinanzierung der Lehrpraxis (Bundesförderung reicht bei einer 6-monatigen Lehrpraxis für etwa 60 Stellen jährlich, nötig wären jedoch 350-400, Bewerber wird es 500 geben)?

Wenn diese Fragen mit Ja zu beantworten sind, streut die Regierung v.a. den Jungärzten nur Sand in die Augen, um ihnen das Weggehen zu erschweren. Ihre Ausbildung wird jedoch eher schlechter denn besser! Und nach wenigen Jahren wird die Netto-Emmigration wohl über 50% liegen – völlig verständlich.

Es gibt aber noch eine Möglichkeit, das alles aus dem Sumpf zu ziehen. Wenn Jungärzte nach dem Common Trunk eine Approbation erhalten, dann werden die Spitalserhalter es viel schwerer haben, diese Ärzte auf Wartelisten versauern zu lassen. Ob es allerdings gelingt, dieses international total übliche Recht für Jungärzte in Österreich durchzusetzen?

 

Analyse im Detail

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Die verkauften Jungärzte

Werter Leser! Stellen Sie sich eine Gewerkschaft vor, sagen wir die Metaller, und fragen Sie sich, wie sie auf Folgendes reagieren würde.

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   Da kommt die EU und sagt: „Ihr in Österreich, ihr behandelt eure Metall-Arbeiter seit Jahrzehnten schlecht. Wir haben euch schon bei eurem EU-Beitritt gesagt, dass sie – mittlerweile sogar unerlaubterweise – zu lange arbeiten! Bringt das in Ordnung, sonst tun wir es.“ Die Gewerkschaft schweigt vorerst, nur der Sozialminister, zuständig für Arbeitszeiten und selbst einmal Gewerkschaftsboss antwortet, weil er muss, sinngemäß: „Jo, eh! Aber wir brauchen noch so zehn Jahre – die Arbeitgeber haben sich an die billigen Arbeitskräfte gewöhnt, und wenn wir jetzt die Arbeitszeiten auf europäisches Maß reduzieren, dann können die sich das einfach nicht mehr leisten.“ Nun gibt auch die Gewerkschaft Laut, sagt, die EU mit all ihren Regeln ist schuld, gibt dem Minister grundsätzlich recht, meint aber, die Übergangszeiten sind schon ein bisserl lang – das war es!

   Klingt das nach dem Verhalten von Gewerkschaftern? Nein! Und doch ist es geschehen – mit einer Berufsgruppe, die dank endloser Arbeitszeiten in oft prekären Arbeitsverhältnissen (nicht selten illegalen Kettenverträgen) kaum aufmucken können – den Spitalsärzten, vor allem den Jungärzten.

   Hauptsächlich diese arbeiten 65 und mehr Wochenstunden und sollen nach dem Willen der EU „nur mehr“ 48 Wochenstunden arbeiten dürfen. Ihre Netto-Jahres-Arbeitszeit beträgt 3000 Stunden, die eines Hausarbeiters im Spital 1400 – und so liegen die Nettostundenlöhne pro geleistete Arbeitsstunde etwa gleich auf.

   Aber warum lassen sich Jungärzte das gefallen?

   Dank einer EU-weit einzigartigen Regelung dürfen sie praktisch nur in Spitälern arbeiten, bis sie ihren Turnus beendet haben. Erst dann erhalten sie eine Approbation, die es erlaubt, selbständig zu arbeiten. Selbst eine Teilapprobation wurde vor Jahren von der Ärztekammer erfolgreich abgewehrt, um die niedergelassenen Ärzte vor Konkurrenz zu schützen.

   Ach, die Ärztekammer! Sie fühlt sich als Gewerkschaft der Ärzte. In Wahrheit verteidigt sie nur den „Kollektivvertrag“, den sie als Monopolist verhandeln darf – den Gesamtvertrag der 8000 Kassenärzte! Die 23.000 Spitalsärzte, davon 9000 Jungärzte, sind ihnen weniger wichtig. Längst hat sie vergessen, dass sie eigentlich die mit staatlichem Monopol versehene Interessensvertretung ALLER Ärzte ist. Das ist leicht erkennbar: Die schlechte Arbeitssituation der Jungärzte wird seit Jahrzehnten diskutiert, aber gab es einmal einen Streik deswegen? Nein! Im Gegensatz zu Fragen der Kassenverträge! Wer nur in deren Nähe kommt, kriegt eine Streikdrohung an den Hals – und ALLE Ärzte müssen dann solidarisch um diese Verträge kämpfen!

   Dank des Ausbildungsmonopols der Spitäler und der desinteressierten Monopol-Interessenvertretung der Kammer sind Jungärzte ihren Arbeitgebern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

   Nur das Auswandern hilft. Und weil das immer mehr tun, jammern die Arbeitgeber, es herrsche Ärztemangel. In Wahrheit fehlen ihnen aber nur billige Turnusärzte. Denn an Ärzten mangelt es nicht: Wir haben gleich 50 Prozent mehr Ärzte zur Verfügung als der OECD-Schnitt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 115 vom 13.06.2014