Es gibt Gesunde und Kranke, aber nicht jeder Kranke muss Patient sein und nicht jeder Patient hat einen unveränderlichen Krankheitsverlauf
Weiterlesen: Gesündere Patienten ist der SchlüsselWenn die neue GÖG-Pflegebedarfsstudie 2050 den Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal mit 200.000 Köpfen angibt, dann sind das nicht ZUSÄTZLICHE, sondern eine Endzahl. Der zusätzliche Bedarf wird mit rund 70.000 angegeben. Also etwa 50% mehr als heute –ohnehin schon sehr viel, zu viel möglicherweise.
Denn, was diese Studie nicht bedenken durfte, sind Änderungen im Gesundheitszustand der Bevölkerung. Sie geht davon aus, dass die Ineffizienz des Systems einfach weitergeht.
Das heutige System muss aber pointiert als gesundheitsschädlich betrachten werden. Obwohl wir europaweit die höchste Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Gesundheitseinrichtungen haben, sind wir trotzdem im Spitzenfeld der Pflegebedürftigkeit. Um es klar zu sagen – wenn wir es nicht schaffen, das System weniger gesundheitsschädlich zu gestalten, werden wir es nicht halten können, egal wieviel Personal wir ausbilden oder einfliegen lassen.
An dem Punkt kommt das Chronic Care Modell (CCM) ins Spiel.
Das CCM ist ein organisatorischer Ansatz zur Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen in der Primärversorgung. Es ist bevölkerungsbasiert und schafft praktische, unterstützende und evidenzbasierte Interaktionen zwischen einem informierten, aktivierten Patienten und einem vorbereiteten, proaktiven Betreuungsteam.
Wagner EH. Chronic disease management: what will it take to improve care for chronic illness? Eff Clin Pract. 1998;1:2-4
Sinnvoll umgesetzt, fördert das CCM die Fähigkeiten der Patienten zur Selbstverwaltung ihrer Krankheit, indem es diesen Werkzeuge und Ressourcen anbietet, um ihre Gesundheit aktiv zu managen. Es bietet klinischen Teams Werkzeuge und Ressourcen, um evidenzbasierte Richtlinien und Informationen zu nutzen. Es achtet darauf, dass Informationssysteme bestehen, um den Austausch relevanter Patienteninformationen zwischen den Mitgliedern des Gesundheitsteams zu erleichtern. Es fördert eine effiziente Organisation von Gesundheitsdienstleistungen, um die Bedürfnisse chronisch kranker Patienten effektiv zu adressieren. Und es bezieht die Unterstützung der Gemeinden in den Behandlungsprozess ein, um sicherzustellen, dass die Versorgung über die klinische Umgebung hinausgeht.
So etwas zu errichten ist keine Hexerei und es gibt dafür Unmengen an hilfreichen Tools im Internet – sofern es irgendjemanden gibt, der sich darum kümmert -und hier kommen die Bürgermeister ins Spiel.
Wenn wir Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner außer Acht lassen, bleiben etwa 2.000 Bürgermeister übrig, die für etwa 5.000.000 Einwohner zuständig sind. Pro Gemeinde im Schnitt 2.500 Einwohner.
Etwa 20% haben ein chronische Erkrankung, die, wenn richtig adressiert, zu weniger Akuterkrankungen und geringerem Pflege- und Betreuungsbedarf führt. Wenn man die Hälfte dieser Patienten erreichte, würde das bereits einen erheblichen Hebel für die Prognose der GÖG-Studie bedeuten – und das System retten.
Runtergebrochen auf eine Durchschnitts- Gemeinde sind das also etwa 250 Einwohner, deren Versorgung besser über ein CCM koordiniert werden müsste. Wenn man für jeden etwa eine Stunde pro Monat professionelle „Koordination der CCM“ einplant, sind das 1,5 VZÄ. Übertragen wir diese Aufgabe einer Community Nurse, die direkt bei der Gemeinde angestellt ist, sind Datenschutzthemen oder Haftungsfragen leicht geklärt. Zudem würde eine derartige Position, die weder dem Gesundheitssystem, noch dem Pflegewesen zugeordnet ist, sondern schlicht eine „Verwaltungskraft“ darstellt, jene Brücken schlagen können, die eben heute nicht bestehen und die Ineffizienz ausmachen. Die aktuelle Gesetzeslage ließe das alles zu, sogar mit Förderungen könnte man rechnen.
First published im PERIskop