Der ganz normale Selbstverwaltungswahnsinn

Einige Ärztekammerfunktionäre haben entschieden – und die Bevölkerung hat sich daran zu halten. Warum es gewählte Politiker gibt? Keine Ahnung.

Seine Zehen hat er im Stehen schon lange nicht mehr gesehen. Jetzt wird er seine linken, selbst wenn er abnimmt, nie wieder sehen können. Die wurden amputiert; wegen seiner Zuckerkrankheit, die er nie ernst genommen hat. Sein Arzt hat ihm zwar gesagt, dass er mit seinem Diabetes nicht spielen darf, aber Schweinsbraten und Bier waren viel zu verführerisch.

Wer an Diabetes leidet, hat eine sehr trügerische Krankheit. Bei den meisten ist der Lebensstil hauptverantwortlich. Zu viel Essen mit zu wenig Bewegung, das ist ein Garant dafür, Diabetiker zu werden. Langsam entwickelt sich die Krankheit und schleichend, das macht die Behandlung schwer. Die beste Behandlung ist die Früherkennung. Menschen, die zu dick sind und wenig Bewegung machen, sollten früh motiviert werden, ihren Lebensstil zu ändern. Gelingt das nicht, und kann der Ausbruch der Krankheit nicht verhindert werden, dann sollte man die Patienten dazu bringen, ihre Krankheit ernst zu nehmen und spätestens jetzt den Lebensstil zu ändern. Gelingt das wieder nicht, dann ist es Aufgabe eines guten Gesundheitssystems Folgeerkrankungen wie Amputationen, Erblindung, Nierenversagen, Schlaganfall oder Herzinfarkt mit engmaschigen Kontrollen und entsprechenden Therapien hintan zu halten.

Da Diabetes eine langwierige Erkrankung ist, ist die wichtigste Herausforderung jedoch, den Patienten über viele Jahre nicht aus den Augen zu verlieren und zur Therapie zu motivieren. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Deswegen wurden international Programme entwickelt, die genau das im Fokus haben.

Auch Österreich hat sich – spät aber doch – entschieden, ein solches Programm zu starten. Endlos wurde zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung verhandelt, doch am Ende gab es Einigkeit.

Doch diese Einigkeit hat plötzlich ein Ende – nur in Niederösterreich. Dort hat sich der Vorstand der Ärztekammer mehrheitlich gegen die Fortführung des Programms entschieden. Die Gründe sind hahnebüchern. Das Programm sei ein Eingriff in die Verhandlungshoheit und außerdem bringe es keine Verbesserung. Dass Patienten durch das Programm motiviert wurden, sich mehr zu Bewegen und gesünder zu ernähren (die wichtigsten Therapiemaßnahmen bei Diabetes!), wird ebenso ignoriert, wie die Tatsache, dass unnötige Amputationen, Erblindungen und lebenslange Dialysen vermieden werden könnten. Sogar innerhalb der Ärztekammer ist das nicht nachvollziehbar. Ändert aber nichts, der Vorstand hat entschieden, das Programm ist tot.

Nun, das eigentlich Schlimme dabei ist, dass wirklich ein paar Funktionäre entscheiden können, was für die Bevölkerung gut ist. Man stelle sich vor, dass hinter den maßgeblichen Funktionären der Niederösterreichischen Ärztekammer gerade einmal 1400 Ärzte stehen – so viele Stimmen konnten sie bei der letzten Kammerwahl auf sich vereinigen. Und diese paar Funktionäre entscheiden, was für die 1,4 Millionen Niederösterreicher gut ist. Kein legitimierter Volksvertreter kann daran was ändern, ja nicht einmal die Kassen können es. Dass die Bevölkerung dank des Pflichtversicherungssystems nicht aussteigen und sich anderen, vernünftigeren Partner zuwenden kann ist nur mehr das Tüpfelchen auf dem i.

Es ist erschreckend, wie sich einige Sozialpartner mittlerweile aufführen und sich dabei vollkommen sicher fühlen können.

Warum ich eigentlich noch wählen gehen soll, das ist die Frage. Real entscheiden doch ohnehin Personen, die sich jedem Plebiszit entziehen?

Dieser Artikel wurde im November 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

David gegen Goliath? Oder ein fataler Irrtum?

Die Salzburger Kasse will keine Schulden anhäufen. Das ist löblich. Die Maßnahmen, die sie jedoch setzt, die bereiten mir Kopfzerbrechen!

In Salzburg beginnt etwas, das noch weiter Kreise ziehen wird. Die Ärztekammer hat sich mit der Krankenkasse auf ein Sparpaket geeinigt. Geht es nach deren Wunsch, dann darf es hinkünftig nur mehr das billigste Medikament geben – wer was anderes will, muss selbst zahlen. So will man die Pharmabranche zwingen, die Preise zu senken.

Dass so ein Vorgehen wahrscheinlich einigen Gesetzen widerspricht, soll einmal außen vor gelassen werden. Viel schlimmer könnten die Auswirkungen auf die Medikamentenversorgung sein.

Nun, gerne wird behauptet, die Pharma-Riesen machen ja zweistellige Milliardengewinne, und zwar nach Steuern. Wer so viel verdient, der kann schon auf ein bisschen was verzichten. Und wenn damit das Gesundheitssystem – also eigentlich das bei manchen so beliebte Kassensystem – „gerettet“ wird, dann kann man schon was runterbeissen, von den Gewinnen.

Aber ist das wirklich so einfach? Die Gewinne werden nicht hierzulande gemacht. Die Umsätze im niedergelassenen Bereich – also dem Bereich der Kassen – betragen, ohne Mehrwertsteuer etwas mehr als zwei Milliarden. Wie da Milliardengewinne zu machen wären, ist unbekannt. Im Spitalsbereich wird es noch ein bisschen skurriler, da werden über „Rabatte“ ein Drittel der Medikamente verschenkt – und damit die „realen“ Verkaufspreise nach unten gedrückt.

Die, die so gerne auf die Gewinne der Pharmaindustrie schielen, sollten sich langsam daran gewöhnen, dass die nicht in Österreich gemacht werden. Die in Österreich zu erzielenden Preise liegen 18 Prozent unter dem EU-Schnitt, die Gesamtausgaben für Medikamente im Gesundheitssystem liegen 14 Prozent darunter. In Österreich verdient die Branche also nicht wirklich viel.

Mehr noch, die Pharmaindustrie hat sich vertraglich verpflichtet, Teile ihrer Gewinne freiwillig zurückzuzahlen – und zwar in dreistelliger Millionenhöhe für drei Jahre. Warum tun die das?

Österreich ist in der EU! Preise, die man hier erzielt, sind früher oder später Preise, die auch andere Länder wollen. Warum soll gerade ein internationales Unternehmen sich in dem winzigen Markt Österreich die Preise ruinieren? Aber genau das will doch das Salzburger Modell. Kein internationales Unternehmen wird sich aber in einen Preiskampf einlassen, und im Ernstfall ein Medikament lieber aus dem Österreichischen Markt nehmen oder erst gar nicht zulassen. Und wenn die Zahl innovativer Medikamente zurückgeht, dann kann das für die Versorgung nicht gut sein.

Und wie ist das mit den Gewinnspannen? Glauben die Entscheidungsträger in Salzburg ernsthaft, dass sie die Gewinnspannen internationaler Riesen reduzieren können? Wenn durch irgendwelche Maßnahmen die Gewinne weniger werden, dann werden Gegenmaßnahmen gesetzt werden. Und was wären die? Kostenreduktion durch Rückzug aus der Forschung (also weniger Studien, was besonders die Krankenhäuser treffen wird) und der Fortbildung (was besonders jene Treffen wird, die die Fortbildung ernst nehmen).

Meiner Meinung nach zeigt die Aktion der Salzburger nur auf, dass der unreflektierte und chaotische Kampf um den Kuchen begonnen hat. Der Glauben, dass die Versäumnisse der Politik in der Gesundheitsreform über solche Maßnahmen übertüncht werden können, ist schlicht ein Irrglaube. Wenn jedoch moderne Medikamente später oder gar nicht eingeführt werden, nur weil irgendjemand meint, die Pharmaindustrie macht hierzulande zu hohe Gewinne, dann wird der Patient draufzahlen.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Karriere nach dem Turnus

Skurril, wie man junge Ärzte nach ihrer Ausbildung zum Hausarzt auf die Zukunft vorbereiten will. Da ist wohl noch einiges zu überdenken.

An was denkt man wohl, wenn man Osteopathie, Neuraltherapie, angewandte Kinesiologie, chinesische Diagnostik und Arzneitherapie, anthroposophische Medizin, orthomolekulare Medizin, moderne F. X. Mayr Medizin oder Homotoxikologie hört?

Da fallen mir als Pathologe und geeichten Schulmediziner Dinge ein wie: Alternative Medizin für die, die es sich leisten können und wollen, Firlefanz nach dem Prinzip “Hilft’s net, schad’t’s net“, vollkommen zurecht keine Leistungen auf Krankenschein etc.

Keinesfalls käme ich auf die Idee, darin Karrierechancen für angehende Hausärzte zu sehen, die sich nach einer Krankenhaus- und Gerätemedizin-lastigen Ausbildung mit Fokus auf Blut abnehmen und Infusionen anhängen (man spricht auch gerne und abfällig von Fachärzten für periphere Venepunktion) auf ihre Zukunft vorbereiten sollen. Und doch ist es so.

In einem Folder der Ärztekammer für Wien mit dem Titel „Karriere nach dem Turnus“, werden Turnusärzte eingeladen, sich auf die Zeit danach vorzubereiten. An 15 avisierten Abenden sollen karrierefördernde „Zusatzqualifikationen“ vorgestellt werden, die, neben wenigen vernünftigen Vorschläge wie Geriatrie und Palliativmedizin (dafür ist nur ein Abend reserviert), mit dem Bild des Hausarztes aber auch gar nichts zu tun haben.

Keine Rede von z.B. „Koordination zwischen Leistungserbringern verschiedener Ebenen für chronisch Kranke (Fachärzte, stationärer Bereich, Apotheken, soziale und medizinische Dienste)“ oder „Systematische Primär- und Sekundär- und Tertiärprävention“ oder „Strukturiertes Management der Patientenbetreuung unter Kosten-Nutzenüberlegungen (prä- und poststationäres Management, Voruntersuchung und Vorbereitung für geplante Eingriffe,..)“ oder „Durchführung und Koordination der palliativmedizinischen Betreuung in häuslicher Umgebung und in Pflegeheimen in Kooperation mit anderen Berufsgruppen“ oder „Betreuung und Management von Mehrfacherkrankten“ oder „Problemerkennung und Intervention im Sozialbereich“ oder schlicht die „Hauskrankenbehandlung“ – alles Themen, die nicht nur nach Meinung der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zur Rolle der Hausärzte gehören – und deren Beherrschung karriereförderlich sein sollte!

Für diese Fertigkeiten gibt es aber keine Ärztekammer-Diplome, aber auch keine Ausbildung im Turnus. Diese Qualifikationen müssen wohl angeboren sein, strukturiert erwerben kann man sie nicht.

Andererseits ist es verständlich, dass die Ärztekammer dafür keine Ausbildungsschiene etabliert. Von den etwa 1.000 Ärzten, die jährlich fertig zum Hausarzt ausgebildet werden, haben vielleicht 200 Chancen auf einen Kassenvertrag; wenn sie sich so einen überhaupt selbst zutrauen (was ich nicht würde mit der jetzigen Ausbildung). Einige hundert werden das Glück haben, eine Facharztausbildungsstelle zu ergattern und damit vielleicht auch die Chance in einer sicheren Anstellung zu bleiben oder wenigstens noch eine Galgenfrist rauszuschlagen.

Der Rest – mehrere hundert pro Jahr – werden in den freien Markt gespuckt. Und dort, im kassenfreien Raum, kann man als „Wahl-Hausarzt“ nur überleben, wenn man sich auf Einnahmen konzentriert, die nichts mit Schul- und Kassenmedizin zu tun haben. Gleichzeitig, als nicht unerwünschter Nebeneffekt, werden sich so „zusatzqualifizierten“ Ärzte auch nicht um den Kassenkuchen, der ohnehin schon für die etablierten Kassenärzte kaum mehr reicht, anstellen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der nächste Sündenfall

Jetzt haben wir (k)ein neues Kapitel in der Gesundheitsreform, wieder Einahmenseitiges und wieder ein Stück weiter weg von Demokratie und Kostenwahrheit.

Dass die Kassen neues Geld kriegen, darf nicht verwundern. Standhafte Politiker hat es vermutlich nie gegeben – sie entstammen einer Sagenwelt, wie die Gesundheitsreform. Und folgt man den Aussagen des Gesundheitsministers in Alpbach, dann ist die Reform dort auch gut aufgehoben. Das beste System braucht keine, schon gar keine Strukturreform, nur eine Weiterentwicklung. Dass über eine Kassenreform nachweislich seit den frühen 1960er Jahren diskutiert wird, dürfte an der für Österreich typischen Reformfreudigkeit liegen. Reformen um der Reformen willen, das macht das Land aus!?

So ist auch das Kassenpaket zu sehen. Die kriegen frisches Geld. Der Steueranteil an deren Einnahmen wird über 25 Prozent (weit über 3 Mrd. Euro jährlich) betragen – aber ohne Reform, also mehr Mitspracherecht des Steuerzahlers. Ganz im Gegenteil, demokratisch legitimierte Volksvertreter haben weniger Einfluss denn je! Kassen werden künftig so agieren, wie sie es sich mit der Ärztekammer ausmachen. Die anderen sollen schweigen und zahlen.

Klar wird das neue Geld öffentlichkeitswirksam an Bedingungen geknüpft – man will zeigen, dass dieses Land noch von einer Regierung regiert wird. So müssen die Kassen belegen, dass sie die ominösen 1,7 Mrd. Euro Einsparungen wirklich realisieren. Einmal abgesehen, dass die dahinterstehenden Milchmädchenrechnungen nicht nachvollziehbar sind, erinnert mich das an jene Auflagen, die die Länder 2005 erhalten haben. Diese mussten gesetzlich innerhalb von vier Jahren 300 Millionen Euro (weniger als 1% p.a.) in den Spitälern einsparen. Als dann 2008 der neue Finanzausgleich vorgezogen wurde, und der Bund den Nachweis verlangte – der natürlich nicht erbracht werden konnte – hat man einfach ins Gesetzt geschrieben, dass die vorgeschriebenen Einsparungen als erbracht betrachtet werden – so leicht ist das, wenn man das Gewaltmonopol hat!

Bleibt der Prosateil des Kassensanierungspapiers. Da steht viel drinnen – lauter Absichtserklärungen. Und auch dafür gibt es historische Beispiele. Wussten Sie z.B., dass bereits 1996 beschlossen wurde, einen Stellenplan für alle niedergelassenen Ärzte verbindlich einzuführen? Jetzt steht das wieder drinnen, und wird als Verhandlungserfolg verkauft. 2005 wurden zum Erhalt der Qualität in Spitälern Mindestfrequenzen gesetzlich fixiert! Kleinstkrankenhäuser wie Bad Aussee stehen aber fester denn je. Papierene Reformen wurden noch nie umgesetzt!

Kommen wir zu den Ländern. Dass deren Sparwille mehr als unterentwickelt ist, ist bekannt. Was werden diese nach dieser Kassen-Einigung denken!? Das die Länder pleite sind, wird offensichtlich. Dass so gut wie jedes Bundesland – trotz anderslautender Meldungen – die Bau- und Investitionsprogramme nach hinten streckt ist nur ein kleines Zeichen. Dass aber bereits in zwei Ländern die Landeskrankenhäuser trotz Landeshaftung keine Bankkredite mehr kriegen, wäre anderswo ein Alarmsignal! Oder doch nicht?

Wenn der Finanzminister schon Kassen nicht in den Konkurs schickt, was wird er erst unternehmen, um die Länder zu retten? Wenn er jetzt so einfach pro Jahr eine Viertel Milliarde Euro zusätzlich aus unseren Taschen zieht, dann werden die Länder für ihre Krankenhäuser sicher eine halbe, oder gleich eine ganze Milliarde mehr kriegen!?

Und dann schaue ich in die Augen meines zweijährigen Sohnes und frage mich: „Wie willst du das alles bezahlen – oder willst du das überhaupt bezahlen?“

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Licht ins Dunkel

Dass man dem Finanzministerium vorwirft, nicht an Patienten zu denken ist lächerlich; dass aber nur mehr dort an die Steuerzahler gedacht wird, erschreckend.

Ich werde mich hüten, die Meriten des geheimen, mir aber letztendlich doch bekannt gewordenen Hauptverbandpapiers zu kritisieren; denn diese sind gegeben. Insbesondere die Arbeitsgruppe „Qualität“ hat einiges zu Papier gebracht. Was davon zu leben beginnt, werden wir sehen. Viel Arbeit liegt hier vor denen, die Willen gezeigt haben.

Was sich aber politisch rund um das Papier abspielt, ist sagenhaft. So wirft der Gesundheitsminister denen, die zahlen sollen (Finanzministerium), vor, „Zahlenmenschen“ zu sein, denen es nicht um Patienten, sondern um „Machtspiele“ gehe. Und der Ärztekammerpräsident meint drohend, wenn das Geld nicht fließt, dann wäre der nächste Schritt dezidierte Leistungskürzungen.

Dass die beiden so reagieren ist ja verständlich, schließlich wollen sie nur eines: die Macht des siamesischen Ärztekammer-Krankenkassen-Zwillings retten. Den anderen Machtspiele vorzuwerfen, lenkt da wohl nur vom eigenen Wunsch ab.

Wenn man sich die Modellrechnungen im vierten Teil des geheimen Papiers ansieht, dann kann man den Finanzminister nur zu gut verstehen. Selbst ein Würstelstand, der einen Kredit beantragt, muss einen detaillierteren Plan vorlegen, will er nicht riskieren, aus der Bank gejagt zu werden.

Schauen wir einmal hinein, in das Zahlenwerk.

Bei den Medikamenten wird beispielsweise angenommen, dass die Ausgaben ohne Maßnahmen um etwa sieben Prozent jährlich steigen würden. Weil man aber Maßnahmen setzt, wird die Steigerung bei genau vier Prozent liegen. Das was aus dieser einfachen Rechnung als Differenz rauskommt, das ist das „Dämpfungspotential“. Woher die Zahlen kommen, ist unklar. Man kann nur froh sein, dass sie nicht gänzlich frei erfunden sein dürften. Wenn man zum Beispiel statt sieben acht Prozent Steigerung prognostiziert hätte, dann wären zu den 883 Millionen Dämpfungspotenzial gleich noch einmal 450 dazu gekommen! Was aber wirklich rauskommt, ist fraglich.

Wie man genau auf die avisierten vier Prozent kommen will, bleibt geheim. Denn in den dafür vorgesehen Tabellen – also dort, wo der Finanzminister vermutlich gerne genauere Zahlen hätte – herrscht gähnende Leere. Nur die Summenzeile ist ausgefüllt; mit genau den Zahlen, die aus der oben beschriebenen, simplen Rechnung stammen.

Was Leistungskürzungen betrifft, ist auch was zu finden. So wollen die Kassen 260 Millionen in der Rehabilitation sparen, in dem sie sie gänzlich der Pensionsversicherung (PV) übertragen. Es ist zwar sehr löblich hier endlich Kompetenzen zu bereinigen, aber wo bleibt das sonst so gerne zitierte „Geld folgt Leistung“? Wenn die PV die ganze Reha übernimmt, dann darf sie doch auch das Geld dafür von den Kassen erwarten! Nur die Leistungen rüber zu schieben und das Geld behalten, ist Chuzpe. Dass da der Finanzminister, der ja am Ende des Tages die Defizite der PV aus dem Budget decken muss, nicht glücklich sein kann, ist klar!

In den eigenen Reihen sehen die Kassen übrigens auch Potential – heiße 45 Millionen, oder gerade einmal 2,6 Prozent des gesamten ausgabenseitigen Dämpfungspotentials. Eine echte Kassenreform sieht anders aus.

Am Ende bleibt der schale Geschmack, dass hinter all den Rechnungen wohl nur die Beibehaltung der Strukturen (und Macht) stand, und das dafür notwendige Geld gefälligst aufzubringen ist. Froh kann man sein, dass doch noch manche wissen, dass Geld nicht auf Bäumen wächst, sondern von Bürgern erarbeitet werden muss. Gratulor!

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Arzt aus Leidenschaft ist immer in Ihrer Nähe

Was ein Chorsänger und eine Pensionistin in den nächsten Wochen gemein haben? Sie sollen der Ärztekammer helfen, beliebt zu werden!

Jetzt, wo die EU-Wahl hinter uns liegt, und die freundlich lächelnden Papp-Spitalsärzte der Wiener Ärztekammer im Plakatdschungel wohl nicht ganz zur Wirkung kamen, werden sie uns sicher auffallen, die neuen Plakate der Österreichischen Ärztekammer.

Im Juni sollen an rund 1.100 öffentliche Stellen Straßenplakate stehen, auf denen einem Chorsänger der Hals von einer adretten Blondine untersucht wird – während er singt, versteht sich.

Die Plakate, so verspricht sich die Kammer, werden insgesamt etwa 19 Millionen Kontakte in der Zielgruppe 18 Jahre und älter erzielen. Nicht nur Plakate solle es geben, auch Radio-Werbung. Zwei Hörfunk-Spots sollen insgesamt 147 Mal ausgestrahlt werden. Die Hörfunkspots und die Straßenplakate haben zusammen eine Reichweite von über 90 Prozent. Das heißt: „Jeder Bürger oder jede Bürgerin kommt mit den Botschaften unserer Werbung öfter in Kontakt.“ Und was ist die Botschaft? Ein Arzt aus Leidenschaft ist immer in Ihrer Nähe.

Wer so viel Geld in Imagekampagnen investiert, der hat dafür seine Gründe.

Nun, wenn man einmal absieht, dass diese Kampagnen nicht wirklich das Image der Ärzte verbessern kann (Die Kammer selbst zitiert aus Studien, wonach die Ärzte weiterhin Traumwerte erzielen und solange die Informationsasymmetrie zwischen dem hilfesuchenden Patienten und dem studierten Arzt existiert, wird sich daran kaum was ändern), muss was anderes dahinter stehen.

Vielleicht hat die Kammer ja einfach zuviel Geld, das sie teuren PR-Agenturen geben will. Natürlich könnte auch ein interner Machtkampf dahinter stehen. Schließlich zerreisst es die Kammer, weil sie die Grätsche zwischen den angestellten Ärzten, den niedergelassenen Kassenärzten und den Wahlärzten kaum mehr auf die Reihe bringt. Dieser Konflikt wird früher oder später zu einer Trennung der Bereiche führen müssen – oder die Kammer in die Bedeutungslosigkeit verbannen.

Aber ich persönlich tippe auf etwas viel Simpleres. Der 30. Juni steht vor der Tür, und dann wird man Reformvorschläge durch den Hauptverband vorfinden. Bei einigen wird man mitkönnen, bei anderen – insbesondere wenn es um Verträge und Honorar geht – wird man eine starke Verhandlungsposition brauchen. Und die gilt es vorzubereiten.

Beim letzten Mal hat das mit dem Streik ja noch geklappt, aber die Bevölkerung war da schon skeptisch. Zudem gibt es aus Deutschland ganz andere Signale. Dort ist die Regierung in ihren Reformschritten sehr viel unbarmherziger und lässt sich auch von Massendemonstrationen und Streiks nicht abbringen. Und um hiesige Politiker gleich weich zu kochen, wird ihnen daher mitgeteilt, dass alle Österreicher von dieser Kampagne gleich öfter erfahren werden! Also aufpassen, liebe Politiker!

Daher wird es wohl nur darum gehen, sich mit sehr viel Geld für Streikmaßnahmen zu rüsten. Wohlgemerkt stammt das Geld aus Pflichtbeiträgen aller Ärzte, also der angestellten genau so, wie von den etwa 10.000 armen Schluckern, die zwar niedergelassene Ärzte sind, aber keinen Kassenvertrag haben. Aber wie der Text der Pressekonferenz zu dieser Kampagne verrät, geht es eigentlich nur um Kassenärzte.

Aber was soll’s. Ich finde die Plakate drollig. Besonders das Plakat, das in den Ordinationen aufgehängt werden soll. Da überprüft ein junger adretter Arzt einer alten Dame den Kniereflex – während diese mit ihrer ebenfalls betagten Freundin Tauben im Park füttert.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die unsinkbare Titanic

Wann wird das scheinbar unsinkbare Gesundheitssystem erkennen, dass der wachsende Schuldenberg zum Schicksal wird?

In den nächsten 12 Monaten werden im öffentlichen Gesundheitssystem wenigstens 1,3 Mrd. Euro Defizit (3,6 Mio. Euro pro Tag) anlaufen, über eine Mrd. Euro alleine in den Spitälern. Der Schuldenberg wird damit immer größer und ist schon jetzt nicht klein. Neben den Schulden der Krankenkassen, haben einige Bundesländer Spitalsdefizite in ASFINAG-artigen Konstrukten geparkt oder greifen bereits „Bank-ähnlich“ auf Gelder zu, die sie erst zukünftig erhalten werden. Die Spitalsfinanzierung ist es auch, die dazu führen wird, dass die Länder statt den vorgeschriebenen Maastricht-Überschüssen Defizite bauen und so die Staatskasse tiefer in die roten Zahlen treiben.

Die Hoffnung, dass die Gesundheitsversorgung günstiger wird, gibt es nicht. Demographie und medizinischer Fortschritt werden dafür sorgen, dass die Kosten auf Jahrzehnte hinaus weiter steigen. Will man ein solidarisches System behalten, kann man nur schauen, dass das System produktiver wird. Doch statt die Produktivität zu erhöhen, scheint sich alles nur darauf zu konzentrieren, die eigene Macht zu erhalten.

Wegen diesem Schrebergartendenken der Länder, Ärztekammern, Pensionsversicherungen, Krankenkassen, Gewerkschaften etc. ist das Gesundheitswesen in hunderte Kompetenzen zersplittert. Statt EIN System zu errichten, in dem Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation, Pflege und Palliativbehandlung so aufeinander abgestimmt sind, dass Patienten zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhalten, werden alle Strukturen rund um Einzelinteressen abgesichert. Statt miteinander zu arbeiten, leben die Machtkomplexe weiter „völlig autistisch vor sich hin und versuchen die Kostenstruktur einer auf den anderen abzuwälzen“ (Kdolsky 2007).

Eine Strukturreform ist entfernter denn je. Dabei wäre sie gar nicht so groß, wie man denkt. Grob kann man davon ausgehen, das 80 Prozent der etwa 19 Mrd. Euro öffentlicher Gelder richtig eingesetzt und daher von einer Reform gar nicht berührt würden. Sicher gäbe es auch hier Produktivitätsreserven – manche sprechen von 1,5 Mrd. Euro – aber die zu heben scheint unmöglich, da die Politik sich zunehmend in jede Detailfrage einmischt und jede Vernunft, die nicht zur Selbstdarstellung beiträgt, im Keim erstickt.

Viel wichtiger aber, als diese rein „betriebswirtschaftlichen“ Fragen, wäre es, die systemimmanente Verschwendung endlich abzustellen. Das sind echte Zukunftsfragen.

An den Schnittstellen werden aktuell mehr als 1,5 Mrd. Euro pro Jahr „verbrannt“. Wenn es beispielsweise möglich wäre, die Leistungen der Spitäler mit denen der Pflege abzustimmen, könnte man ohne Qualitätsverlust fast 700 Mio. Euro sparen bzw. sinnvoller einsetzen. Doch ein Vorstoß in diese Richtung durch den Hauptverbandschef Dr. Schelling verhallte lautlos. Verständlich, denn um dieses Thema abarbeiten zu können, müssten auf Landesebene Gesundheitspolitiker Kompromisse mit den Sozialpolitikern und alle gemeinsam mit den Krankenkassen und dem Gesundheitsministerium und Hilfsvereinen, Ärztekammern und Spitalsbetreibern eingehen – irreal!

Es wäre Klug, würde statt einer unstrukturierten und destruktiven Global-Defizitdeckung auch für das Gesundheitssystem ein Konjunkturpaket geschnürt, um damit jene Strukturreform zu finanzieren, die garantieren kann, dass das System effizienter und so wirklich eine Verbesserung für die Zeit nach der Wirtschaftskrise wird.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Quo usque tandem – Wie lange noch?

„Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ (Bertolt Brecht)

Wieder gibt es ein Medizin-Skandalbuch. Oft und oft verlieren sich solche Bücher in dramatischen Einzelschicksalen. Daran die Qualität eines Gesundheitssystems zu messen, ist unmoralisch und führt zu falschen politischen Reaktionen, die niemandem und schon gar nicht den Patienten helfen. Kein Gesundheitssystem kann so gut sein, dass Einzelschicksale vermieden werden.

Andererseits, wie soll man Ehrlichkeit in die Diskussion bringen?

Da gibt es eine Untersuchung über 30 Länder, die – weil Irren menschlich und kein nationales Vorrecht ist – alle ähnliche Ergebnisse zeigen: Bei 2 bis 4 Prozent der Spitalsbehandlungen erleiden Patienten Schäden durch vermeidbare Fehler. 0,1 Prozent sterben daran. Warum soll das bei uns anders sein?

So viele Staaten bemühen sich, die Patientensicherheit zu erhöhen und Qualitätsmängel auszumerzen. Sie dokumentieren Fehler, versuchen zu lernen und vermeidbare Fehler zu vermeiden. Sind die alle dumm? Warum strengen die sich an? Sollen sie doch nach Österreich schauen – wir zeigen wie es geht: Einfach nichts dokumentieren, dann gibt es auch keine Fehler!

Und wenn irgendwer dann doch eine Rechnung anstellt, dann schlägt das Imperium zurück. Leider Gottes sind es diesmal die Patientenanwälte, die sich vor den „Wir sind die besten und fehlerlos“-Karren spannen lassen. Kärnten beispielsweise glaubt, dass es bei 180.000 Spitalspatienten pro Jahr fünf Todesfälle (0,003 Prozent aller Patienten) durch vermeidbare Fehler gibt – die Dunkelziffer eingerechnet. In Vorarlberg (100.000 Patienten) sollen es in neun Jahren gar nur zwei (0,0002 Prozent) gewesen sein. Wien (540.000 Patienten) teilt mit, dass es überhaupt keinen Fall gegeben habe. NÖ (400.000 Patienten) meldet immerhin 140 Verdachtsfälle (0,04 Prozent).

Zur Orientierung: 2,5 Mio. Patienten werden jährlich stationär behandelt, 400.000 davon tagesklinisch, 38.000 (fast die Hälfte aller Todesfälle) sterben im Krankenhaus. Wo die Menschen sterben ist übrigens regional sehr unterschiedlich. Je stärker die familiären Strukturen sind, desto öfter stirbt man zu Hause.

Nun, ich glaube auch nicht, dass man für die Hochrechnung der oben zitierten Studie die volle Zahl der Patienten nehmen darf. Doch auch, wenn man die tagesklinischen Fälle abzieht, kommen wir auf 2000 (statt 2500) Tote durch vermeidbare Fehler – das ist noch immer gigantisch viel mehr, als offiziell zugegeben wird.

Und als Nebensatz verstehe ich anlässlich dieser Diskussion paradoxerweise das erste Mal, dass die Ärztekammer sich nicht von außen Qualitätskontrollieren lassen will. Wenn die Spitäler sich nicht ordentlich kontrollieren lassen, warum sollen es die niedergelassenen Ärzte tun?

Persönlich glaube ich, darf man in NÖ, obwohl man in dem Skandal-Buch wirklich schlecht wegkommt, stolz sein. Immerhin hat man es gewagt, eine systematische Qualitätsarbeit zu beginnen und schriftlich festzuhalten. Wir würden nicht darüber diskutieren können, das was schief läuft, wenn solche Arbeit nicht geleistet worden wäre. Schade, dass offenbar erst eine undichte Stelle diesen mutigen Weg aufgezeigt hat. Wer die Wahrheit sucht, darf sich aber nicht schrecken, wenn er sie findet.

Man kann gespannt sein, wie die Politik reagieren wird. Der leichte, übliche Weg? Undichte Stellen ausmerzen, systematische Qualitätsarbeit stoppen und alle vorhandenen Berichte totschweigen! Oder der anstrengende, richtige Weg? Lernen und verbessern!

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbstverwaltungsbürokratiekosten

Bunte Wege werden angedacht in der Gesundheitsreform – was soviel heißt wie: Alle Verwaltungsstrukturen sollen erhalten werden und alles bleiben, wie es ist.

Wer kennt sie nicht, die Lüge, dass ein Autokilometer nur Spritkosten verursacht. So gedacht ist Autofahren echt billig. Und weil wir uns selbst so belügen, haben Politiker mit ähnlichen Tricks leichtes Spiel.

Drei Prozent Verwaltungskosten sollen sie haben, unsere Krankenkassen, und damit billig sein. Tja, alleine: So einfach ist die Rechnung nicht.

Aus den offiziellen Angaben kann man bereits erkennen, dass der Verwaltungsbetrieb bei Gesamtausgaben von 13,2 Mrd. Euro 660 Mio. kostet – also schon hier sind es fünf statt drei Prozent. Das ist aber lange nicht alles.

An 10.000 Kassenärzte (inkl. Zahnärzte) werden vier Mrd. Euro ausbezahlt. Glaubt man der Ärztekammer, dann sind die Bürokratiekosten für Kassenordination in zweistelliger Prozenthöhe zu suchen. Glaubt man ihr nicht und setzt ebenfalls fünf Prozent an, kommen zu den oben genannten 660 Mio. Euro noch 200 Mio. dazu – jetzt sind wir bereist bei 6,5 Prozent Verwaltungskosten.

Es geht weiter. Die Ärztekammer erhält zwei Prozent Kammerumlage, das sind 80 Mio.Euro. Die dienen dazu, den Verwaltungsapparat aufrecht zu erhalten. Nun gut, neben der Verwaltung der Kassenärzte (inklusive den Verahndlungen mit den Krankenkassen) werden auch andere Tätigkeiten erbracht. Aber wenn man von 50 Mio. Euro ausgeht, liegt man sicher nicht falsch. Oben dazugezählt betragen also die Bürokratiekosten fast 910 Mio. Euro oder 7 Prozent – zum Vergleich, Kanada kommt mit zwei Prozent aus, hat aber auch ein „böses“ staatliches Gesundheitssystem.

Im stationären Bereich ist das alles noch komplexer. Welche Kosten die Länder- und Gemeindenbürokratien anhäufen, kann man nirgends ablesen. Auch, wie die Milliarden des Gesundheitsministeriums angerechnet werden müssen ist fraglich. Niedrig sind die Kosten allemal nicht. In den Spitälern direkt betragen die Verwaltungskosten 870 Mio. Euro. Wie viel davon auf die Bürokratie entfallen, ist unbekannt – vorsichtig geschätzt sind es 700 Mio., oder 7,5 Prozent der 9,3 Mrd. Euro Gesamtausgaben.

Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man nur in Spitälern und Krankenkassen für die Selbst-Verwaltung des Systems über zwei Mrd. Euro oder mehr als zehn Prozent Kosten ansetzt.

Noch nicht gesprochen haben wir über die Bürokratiekosten bei Medikamenten, in der Pflege oder der Rehabilitation. Da weiß man so gut wie nichts. Und ganz verschwiegen haben wir die Patientenseite. Denn auch die mühsame Recherche, welche Formulare man bis wann wo braucht um ein paar Krücken zu bekommen oder Besuche beim Chefarzt wegen irgendwelcher Bestätigungen kosten was – nämlich Zeit, die man an seinem Arbeitsplatz verbringen sollte. Ja, auch indirekte Kosten sind Kosten, selbst wenn die niemand zählen will – wie den Ölverbrauch beim Auto.

Hohe Verwaltungskosten sind immer dort zu finden, wo eine starke Fragmentierung vorherrscht. Und da sind wir spitze. 80 Krankenkassen und Krankenfürsorge-Anstalten, der Hauptverband, die Pensionsversicherung, die Privatversicherungen, der Bund, neun Länder, hunderte Gemeinden, zehn Ärztekammern und viele Gewerkschaften reden mit. Deswegen haben wir 4.000 Finanzströme, die verhandelt und verwaltet werden müssen.

Will man wirklich Verwaltungskosten reduzieren, muss man die Verwaltung vereinfachen. Aber wer wird sich dafür einsetzen? Die, die von den Milliarden gut leben? Politiker, die diese Bürokratie brauchen um genug Versorgungsposten für ihre eigenen Schäfchen zu haben?

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbsteinschätzungen sind ein Problem

Alle Menschen gehen davon aus, überdurchschnittlich zu sein – objektiv betrachtet, ist das nicht möglich, subjektiv schon. Ärzte sind da keine Ausnahme.

Selbstbetrachtung wird rasch Selbstbeweihräucherung! Wer das verhindern will, braucht Transparenz. Wer sich selbst evaluieren und dabei ernst genommen werden will, muss sowohl Methode, als auch Ergebnisse detailliert veröffentlichen. Unter diesen Voraussetzungen wäre eine Selbst-Evaluierung möglich – Sonst nicht! Die Ärzte haben sich selbst evaluiert, aber auf Transparenz verzichtet.

Um was geht es. Nach endlosen Verhandlungen hat die Ärztekammer durchgesetzt, dass die Qualitätskontrolle der niedergelassenen Ärzte nicht durch eine objektive Stelle erfolgt, sondern durch eine ärzteeigene Einrichtung – die ÖQMed.

Diese Einrichtung hat im stillen Kämmerchen eine Methode entwickelt, mit der sie dann 18.000 Ordinationen „qualitätsgecheckt“ hat. Mehr als 1000 Ordinationen wurden daraufhin wegen Qualitätsmängel geschlossen, gerade einem elf davon waren Kassenordinationen. Detailliertere Ergebnisse fehlen.

Die Ärztekammer verkauft das als Erfolg und feiert sich: „Die Patienten können sich auf die Qualitätsarbeit ihrer Haus- und FachärztInnen verlassen“. Die Medien auf der anderen Seite schmeißen sich auf die geschlossenen Ordinationen und stellen die niedergelassenen Ärzte in ein schlechtes Licht. Beide Reaktionen sind typisch und beide falsch.

Schauen wir genauer. Da 18.000 Ordinationen geprüft wurden, es aber nur etwa 7.000 Kassenärzte gibt, muss es also auch andere betreffen. Von den 11.000 „Nicht-Kassen-Ordinationen“ sind sicher viele Wahlarztordinationen. Seien wir großzügig und nehmen an, dass 5.000 davon wirklich der Patientenversorgung dienen. Bleiben 6.000 Ordinationen übrig, die wohl aus anderen Gründen bestehen.

Viele Wahlarztordinationen werden eher aus steuerrechtlichen Gründen geführt und nur kaum von Patienten frequentiert. Dann gibt es die sogenannten „Zweit-Ordinationen“. In der Regel handelt es sich dabei um Wohnungen, die ebenfalls wegen steuerrechtlicher Vorteile als Ordinationen gemeldet sind. Auch hier findet keine substantielle Patientenversorgung statt. Und dann gibt es noch jene Ordinationen, die wohl nur aus Gewohnheit weitergeführt werden. Viele pensionierte Ärzte, die ein Leben lang im Erdgeschoss des eigenen Hauses ordinierten und daran gewöhnt sind eine Ordination zu haben, melden diese nicht ab – selbst wenn sie eigentlich nur mehr Abstellkammerln sind.

All diese „unechten“ Ordinationen dienen kaum der Patientenversorgung und müssten daher nicht so ausgerüstet sein, wie die „echten“. Es verwundert eigentlich, dass nicht deutlich mehr als 1.000 Ordinationen wegen Qualitätsmängeln geschlossen werden mussten. Was übrigens die „echten“ Ordinationen betrifft, haben bis auf elf alle „entsprochen“.

Wenn also nur ein Promill der „echten“ Ordinationen die Kriterien nicht erfüllt, und die meisten „unechten“ ebenfalls ausreichend ausgestattet sind, wenn also im Grunde alle – trotz der massiven Unterschiede, die jeder Patient beobachten kann – die Prüfung „gleich gut“ bestehen, dann wird deutlich, dass die jetzige Evaluierung nicht wirklich Qualität misst. Es hat eher den Anschein, dass statt ernstzunehmender Qualitätsvorgaben nur der kleinste gemeinsame Nenner überprüft wird. Die Qualität der Versorgung kann damit nicht dokumentiert werden. Genau genommen werden eigentlich Ordinationen nur auf eine sehr komplizierte Weise gezählt. Ob für so ein Ergebnis 700.000 Euro – soviel kostet die Evaluierung jährlich – nicht zuviel sind?

Dieser Artikel wurde im Februar 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.