Wahlärzte und Ärztemangel

Seit wenigstens 15 Jahren versuchen Experten vergeblich zu erklären, dass es auch hierzulande nötig ist, sich ernsthafte Gedanken über den Ärztebedarf zu machen.

Jetzt arbeiten auch wieder Gruppen, um herauszufinden, wie viele Uni-Plätze das Land braucht, um Ärztemangel zu vermeiden. Allerdings, und das zeigt bereits die Diktion der arbeitenden („am Endbericht wird gefeilt“, „man sei sich noch nie so nahe gekommen“ etc), geht es weniger um realitätsnahe Schätzungen, sondern um Verhandlungen der Eigeninteressen. Und diese sind krass widersprüchlich.

Gefeilscht wird über die Wahlärzte. Diese, in Europa einzigartige, Spezies, die im öffentlichen Gesundheitssystem arbeitet, ohne richtig dazu zu gehören, sind eine tolle Verhandlungsmasse: Wie soll man deren Versorgungswirksamkeit bewerten? Immerhin ist ein Viertel (über 10.000!) aller Ärzte dieser Spezies zuordenbar. Und je nachdem, wie wichtig sie für die Versorgung angenommen werden, umso mehr Uni-Plätze braucht man.

Die Ärztekammer ist der Meinung, alle Wahlärzte sind notwendig. In einer eigenen Studie geht sie noch weiter: zukünftig wäre pro 180 Einwohner ein Arzt nötig. Zum Vergleich, aktuell sind es etwa 210, in Deutschland gar nur 260. Ärztemangel und Unterversorgung wären nur abwendbar, wenn wir sofort hundert Ärzte mehr pro Jahr ausbilden.

Der eigentliche Hintergrund – unsere Ärztedichte ist mit Abstand die Höchste in der EU – dürfte sein, dass das Ärztepensionssystem (Wohlfahrtsfonds) pleite geht, wenn nicht rasch frische Zahler ins Pflichtsystem gespült werden. Bester Weg wäre, die Ausbildungskapazitäten (vor allem neue Unis in diversen Bundesländern, die neben Prestige auch frisches Geld aus „Wien“ versprechen; es ist lustig wenn man die Grätschen des Wissenschaftsministeriums zwischen EU-Quotenregelung für Studenten und diesen ländlichen Begehrlichkeiten beobachtet) auszubauen.

Aber, da gibt es halt das Problem mit den Kassen. Diese sind verpflichtet, jedem Versicherten ausreichend Kassenärzte zur Verfügung zu stellen. Wenn wirklich die Wahlärzte für die Versorgung nötigt sind, dann müsste die Zahl der Kassenverträge seit langem und in Zukunft noch deutlicher steigen. Tut sie aber nicht. Seit 1995 bleibt die Zahl gleich. Die Kassen gehen davon aus, dass Wahlärzte nicht oder nur sehr gering nötig sind und setzen deren Versorgungswirksamkeit mit wenigen Prozent eines Kassenarztes an. Daher müsse für diese keine Ausbildungskapazität geschaffen werden.

Hier ist die Ärztekammer übrigens im Dilemma: Einerseits sollen die Kassenkuchenstücke nicht durch mehr Kassenärzte kleiner werden, andererseits braucht es eben mehr Ärzte für das Pensionssystem – logischer und altbekannter Schluss, den alle lieben: „MEHR GELD!“

Und dann gibt es, wie üblich, noch die Länder im Spiel. Die sind, neben den oben erwähnten Wünschen rund um den Ausbau der Universitäten, interessiert, dass genug Jungärzte als billig Arbeiter zur Verfügung stehen. Die Unis müssen jährlich mehr als 1.100 Absolventen für den „österreichischen Markt“ liefern, damit Turnusärzte nicht auf die Idee kommen, sie könnten ihre Situation (mehr Ausbildung und weniger Schreib- und nichtärztliche Routinearbeit) durch eine stärkere Verhandlungsposition verbessern.

Und so verhandeln die staatlichen Lobbyisten um die Wahlärzte, denn dort ist der Hebel, wie man jede gewünschte Zahl erreichen kann. Und, das kann ich heute schon sagen, werden diese, unabhängig der Realität, genau so bewertet werden, dass möglichst alle Interessen befriedet werden. Nur halt nicht die derjenigen, die nicht mitverhandeln durften.

Dieser Artikel wurde im August 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Finanzierung aus zwei Töpfen

Die Ärztekammer präsentiert – wieder einmal – ein totgeglaubtes und unlogisches Konzept der getrennten Finanzierung des Gesundheitssystems.

Es war kalt, als vor zwei Jahren, im Linzer Industrieviertel dunkle, chauffierte Limousinen eintrafen. Auf den ersten Blick hätte man gemeint, Hochfinanz und Industrie trifft sich zu einem ja nicht rein privaten Treffen, bei dem es nie ums Geschäft geht.

Realiter trafen sich aber Größen des öffentlich finanzierten Gesundheitssystems. Da kam der Minister und Kammerpräsidenten, Kassenobleute und Geschäftsführer landeseigener Krankenhausbetreiber und viele andere zum ersten gesundheitspolitischen Gespräch – initiiert vom oberösterreichischen Ärztekammerpräsidenten Peter Niedermoser, der sich als Speerspitze der Berufsvertretung etabliert sehen will.

Weil man heimischen Experten nicht traut, wurde ein deutscher Professor eingeladen, darüber zu referieren, ob nun ein Sozialversicherungssystem oder ein staatliches besser ist. Ein spannender Vortrag, der damit endete, dass es für beide Pros und Kontras gibt, aber das wichtigste die Finanzierung aus einer Hand ist.

Tja, und dann trat die Ärztekammer zum Referat an. Und als die erste Folie die Leinwand erhellte, wurde es dunkel: „Getrennte Finanzierung: der Weg in die Zukunft“.

Nun, das Gelächter, dass diese Folie begleitete, verhallte genau so, wie die Expertenkritik, die folgte. Aber auch das Konzept verschwand scheinbar. Und dann, plötzlich zu Jahresbeginn 2011 taucht es wieder auf; unerwartet und genau so falsch wie es schon zwei Jahre davor war.

Dem Kenner war klar, dass es bei dieser „getrennten Finanzierung“ nicht um eine Verbesserung der Versorgung ging. Ziel war, die rund vier Milliarden Euro, die die Kassen in die Spitäler zahlen, behalten zu können, damit deren finanzieller Spielraum größer wird, damit die Ärztekammern bei Vertragsverhandlungen wieder punkten können. Denn der Großteil der Kammermacht basiert auf deren Verhandlungsmonopol mit den Kassen, das allerdings nur solange funktioniert, solange die Kassen flüssig sind. Eine gesundheitswissenschaftliche Begründung für diese Finanzierungsform gab und gibt es nicht.

Was lernt man. Zuallererst, dass es gar nichts bringt, Expertise in die Diskussion zu bringen. Sitzt die Politik einmal auf einem Gaul, dann will es den auch reiten, ob er tot ist oder nicht. Ist die öffentliche Meinung gerade dafür, den Gaul für Tot zu halten, dann wartet man einfach, bis alle vergessen haben um was es ging, und kommt dann mit der alten Idee neu raus, erklärt den Tot als besiegt und verlangt vom Volk mehr Geld, wenn es den Gaul galoppieren sehen will. Aussitzen bewährt sich!

Dann kann man lernen, dass die Mächtigen trotz immer knapper werdender Ressourcen nichts gelernt haben. Auf die Idee, versorgungswissenschaftlich vernünftige Forderungen zu stellen, kommt niemand. Ist ja auch nicht wichtig, in einem System, in dem es seit jeher nur um Verhandlungsmacht geht. Beharrung ist besser als Reformen!

Und zum Schluss, aber das ist Prophetie, könnte man auch eine anstehende Personalrochade sehen. Des längern halten sich Gerüchte, der Präsident Walter Dorner will sich zurückziehen. Als Nachfolger fällt fallweise der Name Peter Niedermoser. Und da schließlich er es war, der diese zersplitterte Finanzierung entwerfen ließ, wäre es denkbar, dass hinter dessen „Neuerscheinung“ eine Amtsübergabe vorbereitet wird. Ob es Ärzten und Patienten wohl bekommt, wenn sowohl Minister als auch Ärztekammerpräsident aus Oberösterreich kommen? Nun, Zweifel sind hier erlaubt!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Frohbotschaft der Gesundheitsstatistik

Erstmals seit zwei Jahrzehnten soll die Zahl der spitalsversorgten Patienten 2009 rückläufig gewesen sein.

Der Rückgang der Spitalspatienten ist zwar nur sehr sehr gering, man spricht von 0,2 Prozent oder etwa 5.000 Fällen, aber manche, sehr wenige, hoffen trotzdem, darin eine Trendwende erkennen zu können.

Nun, abgesehen, dass simples Zählen wenig sagt – ist die Zahl der Patienten gesamt, also unabhängig, ob bei niedergelassenen Ärzten oder im Spital versorgt, vielleicht rückläufig und so der Anteil der Spitalspatienten gleich geblieben? Sind die Zahlen mit den Vorjahren vergleichbar, haben doch immerhin sehr viele Spitäler „virtuell fusioniert“ um K.O.-Kriterien (Fallzahlen!) zu umgehen und damit die komplizierten und sehr fragilen Patientenzählmethoden irritiert? Gehen mehr Patienten in Privatspitäler, die bei dieser Rechnung nicht mitgerechnet werden? Wie viele Abteilungen und Spitäler wurden zur Konjunkturbelebung 2009 umgebaut und konnte daher nicht im Vollbetrieb arbeiten? Und so weiter … – gab es so etwas bereits 2005. Damals sank die Zahl sogar etwas mehr und es gab echten Anlass an eine Trendwende zu glauben; wurde doch der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), der dem explosionsartigen Wachstum der Spitalspatienten seit Einführung des leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF)-Systems 1997 Einhalt gebieten sollte, beschlossen. Aber die damalige Beobachtung erwies sich als nicht nachhaltig. Im Gegenteil, 2006 sprangen die Zahlen mit einem Satz wieder nach oben.

Betrachtet man den Zeitverlauf seit 1996, sieht man auch 2000, zwar keinen echten Rückgang aber eine „Wachstumsdämpfung“; von der nicht wirklich bekannt ist, wieso sie stattfand. Und, warum die Zahl 2001 wieder raufschnellte, ist ebenfalls unerforscht.

Wenn jetzt die Zahl wieder einmal „sinkt“, dann ist das wohl ebenfalls nur eines jener unerklärlichen Phänomene, die mit Regional-, Landtags- oder sonstigen Wahlen oder Änderungen in der Finanzierung oder Vertragsabschlüssen zwischen Ärztekammern und Krankenkassen oder unterschiedlich ausgeprägten Grippeepidemien oder Warnungen vor Menschenansammlungen wegen der Grippe oder sonst irgend etwas zusammenhängen. Vielleicht ist es diesmal auch die Finanzkrise oder aber auch das Wetter am 28. August, wer weiß?

Wirklich belegen kann man nichts, nicht nur, weil es niemanden wirklich interessiert, sondern auch weil das Spitalswesen nicht einheitlich ist.

Während in Oberösterreich die Aufnahmen auch 2009 steigen, sinken sie in Kärnten schon seit 2004 kontinuierlich. Bezogen auf die Wohnbevölkerung zählen wir in Oberösterreich 30 Aufnahmen pro 100 Einwohner, Kärnten liegt mit 26 im Österreichschnitt, in Wien sind es 24, und die Steiermark, weil sie für die onkologische Versorgung einen speziellen Deal mit der Krankenkasse hat, kommt gar mit nur 23 aus.

Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Zahl der Spitalspatienten nicht unendlich vergrößerbar sein kann. Früher oder später muss sich auch in Österreich die Spitalshäufigkeit irgendeinem Wert annähern, der nicht überschritten werden kann. Wenn wir bedenken, dass die Deutschen mit 21, die Schweizer mit 15, die Niederländer gar nur mit etwa 11 Aufnahmen pro 100 Einwohner auskommen, liegen wir mit unseren 26 ohnehin jenseits von Gut und Böse. Wohin soll denn diese Zahl noch wachsen?

Also ist die Hoffnung auf eine Trendwende noch verfrüht. Aber, dass diese gesehen wird, zeigt auch, dass die Hoffnung auf eine Gesundheitsreform, die eine wirklich ist, noch nicht tot ist.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Chuzpe – oder die Demokratie im Gesundheitssystem

Kaum schaut es danach aus, als ob Vernunft in die Gesundheitspolitik einziehen möchte, ist es auch schon wieder vorbei – ich bin stinksauer.

Da scheint der Gesundheitsminister sein, für mein empfinden, sklavisches Verhalten gegenüber der Ärztekammer (der Minister machte einen Antrittsbesuch beim Ärztekammerpräsidenten, nicht umgekehrt!) abzulegen und für die Bevölkerung da zu sein, geht er auch schon wieder in die Knie! Warum?

Die Ärztekammer publizierte am 16.12. folgendes:

Sie sieht „im Falle der Verwirklichung des Hauptverband-Planes (Anm.: Masterplan Gesundheit) die Gefahr einer gravierenden Aushöhlung der kassenärztlichen Versorgung, in der Folge eine Ausweitung der Staatsmedizin“, und „dass Patienten und ihre Gesundheit keine Ware seien, deren Qualität und Preis sich an marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten orientierten.“ Also was jetzt? Was genau haben die Kämmerer da aus dem Plan gelesen (was ich nicht einmal ansatzweise finden konnte)? Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig? Wurde da eine komplett neue Wirtschaftstheorie geboren? Oder werden einfach Klischees bedient, um zu mobilisieren – doch was soll rauskommen? Die Diktatur der ständischen Vertretung der Ärzteschaft?

Jedenfalls hat, am Tag nach diesen Veröffentlichungen, der Minister seine Meinung gegenüber dem Masterplan geändert. Hat er diesen vor kurzem noch gelobt, ist er jetzt überflüssig. Mehr noch, obwohl Mag. Ingrid Reischl, Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband, in der alle gewählten Funktionäre – die Obleute – der Kassen sitzen, und selbst Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, festhielt: „Alle Obleute stehen hinter dem Masterplan“ meint der Minister: „Ich weiß nicht, was das soll. Mir ist auch kein Beschluss der Kassen zu diesem Masterplan bekannt.“

Und weil diese Kasperliade noch zu toppen ist, hat die Ärztekammer am 18.12. mittels Presseaussendung dem Hauptverband nicht nur jegliche Kompetenz (welche hat sie denn selbst, wenn man die Ausbildungssituation der Turnusärzte, die Arbeitssituation der Spitalsärzte oder das Einkommen der Hausärzte bedenkt!), sondern auch die „demokratische Legitimation für Planung, Steuerung und Finanzierung im Gesundheitswesen“ abgesprochen.

Schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Proponenten dieser Aussagen zusammen wohl nicht einmal 10.000 Stimmen auf sich vereinigen können! Stimmen übrigens, die nur gültig sind, wenn man in Ärztelisten geführt wird – ein exklusiver Club! Stellt man das den Obleuten der Kassen und damit auch dem Hauptverband gegenüber, findet man dort drei Millionen Stimmen – so viele Österreicher gingen zu den, für die Besetzung der politischen Positionen relevanten, Arbeiter- und Wirtschaftskammerwahlen! Nicht, dass ich das für eine ideale demokratische Vorgangsweise halte – immerhin können vier Millionen Kinder, Arbeitslose und Pensionisten nicht mitstimmen – aber doch deutlich demokratischer als dieses Ärztekammerdünkel!

Nun, ich gebe zu, dass im Masterplan einiges unlauter oder undiplomatisch verpackt ist, was den Ärzten sauer aufstoßen muss. Der Hauptverband hat Forderungen formuliert, wo er zumindest wissen müsste, dass die für die Ärztekammer absolut unakzeptabel sind. Aber daraus eine solche Reaktion abzuleiten ist echte Hybris.

Und wenn ich wählen könnte, dann fiele meine Wahl auf den Hauptverband – denn als Patienten, fühle ich mich in keinster Weise durch Ärztekammer oder Gesundheitsminister vertreten, daher verbiete ich mir auch, dass mich diese ständig für deren Eigeninteressen vorschieben.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Fünkchen Hoffnung

Für Laien ist die Vereinbarung zwischen der SVA und der Ärztekammer wohl kaum in ihrer Bedeutung nachzuvollziehen – aber sie ist wirklich epochal, wenn sie denn zu leben beginnt.

Wir schreiben das Jahr 20xy. Herr M. erhält einen Anruf seines Hausarztes Dr. K. Seine Blutbefunde seien eingetroffen und leider seien die Werte seiner Zuckerkrankheit nicht so, wie es sich beide erhofft hätten. Er bitte um einen Termin und avisiert seine Sprechstundenhilfe, die den Termin koordinieren wird.

Herr M. ärgert sich, weil er es nicht geschafft hat, mehr Selbstdisziplin an den Tag zu legen und die vereinbarten fünf Kilo abzunehmen – jetzt kriegt er die Rechnung. Aber andererseits freut er sich, dass es jemanden gibt, der ihm die Realität vor Augen hält und seinen Zucker nicht schönredet; denn Zucker ist keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Das weiß er.

Auch Dr. K. ärgert sich. Seine Praxis zählt zu den Top 5 Prozent in der Diabetikerbetreuung. Seine Patienten müssen selten ins Spital, die Amputationsraten hat er mehr als gedrittelt, Erblindungen kommen praktisch nicht mehr vor und kein einziger Patient wurde dialysepflichtig. Und das alles, obwohl die sozioökonomische Schicht seiner Patienten unterdurchschnittlich ist. So eine Qualität kann man nur erbringen, wenn man sich über jeden einzelnen Patienten, der seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ärgert.

Dr. K. hat schon früher, vor der Umstellung des Kassen-Honorarsystems, Diabetiker besonders betreut. Das hat viel (Frei)Zeit und Geld gekostet. Seine Frau und seine Kinder waren dagegen, aber er hat aus ethischer Sicht nicht anders können. Seit allerdings nicht mehr nur Menge, sondern auch Qualität bezahlt wird, hat sich das geändert. Mit seinen Qualitätskennzahlen verdient er jetzt mehr als vorher und kann sich dabei stärker auf seine Patienten konzentrieren. Die Reform, die 2010 zwischen der SVA und der Ärztekammer beschlossen und später von allen Kassen übernommen wurde, hat riesige Vorteile für ihn und seine Patienten gebracht. Zwar war er anfangs skeptisch, aber alle Zweifel sind mittlerweile verflogen.

Das, was für Systemkenner wie eine Utopie klingt, könnte Realität werden; denn die SVA-Ärztekammer-Vereinbarung, in der festgelegt ist, wie man das Kranken- in ein Gesundheits-Kassensystem umbauen will, könnte Grundlage für eine echte Reform sein.

Man soll aber auf dem Boden bleiben. Was vorerst in einer Punktation beschlossen wurde, ist ohne sehr viel theoretische Vorbereitungsarbeit nicht umzusetzen. Mehr noch, es besteht eine nicht zu unterschätzende Gefahr eines Total-Flops.

Aber, es gibt international schon viel Wissen, wie man solche Reformen angehen kann. Viele Länder haben bereits seit Jahrzehnten Erfahrung mit Hausarzt- und Vorsorgemodellen. Auch mit der Umstellung von Einzelleistungs- auf qualitätsorientierte Betreuungs- Honorarsysteme gibt es Wissen, das dienlich sein könnte. Es liegt an den Verhandlern, dieses Wissen aufzugreifen, für hiesige Verhältnisse zu adaptieren und darauf zu achten, Fehler, die anderswo gemacht wurden, zu vermeiden. Bei gutem Willen und transparentem Vorgehen funktioniert das.

Aber neben der Theorie geht es jetzt vor allem um Überzeugungsarbeit. Viel Skepsis wird auftreten und es wird nicht reichen, nur Funktionäre zu überzeugen. Die Basis muss überzeugt werden! Wenn das aber gelingt, dann kann man wirklich von einer „epochalen Veränderung“ (Ärztekammerpräsident Dr. Dorner) sprechen.

Und weil ich sonst mit Lob sparsam bin, hier ist es angebracht – einfach weil Mut bewiesen wird und Bewegung in das anachronistische Kassensystem kommt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Neue Zeiten im Kassenbereich?

Seit Jahrzehnten verhandeln zehn Ärztekammern und dutzende Krankenkassen über Organisation und Finanzierung der ambulanten Versorgung – und das mit anachronistischen Methoden.

Ziel dieser Verhandlungen ist es, in kollektivvertragsartigen Gesamtverträgen festzulegen, wie viele Kassenärzte es wo geben muss, welche Leistungen von welchen Kassen bezahlt werden und in welcher Höhe die Leistungshonorare ausfallen.

Die Verhandlungen selbst liefen immer gleich ab. Die Kassen haben den Kammerfunktionären gesagt, wie viel mehr Geld es im nächsten Jahr geben wird und dann ist man daran gegangen, anhand von Honorarkatalogen, in denen die Leistungen taxativ festgehalten sind, zu überlegen, wie man das zusätzliche Geld verteilt. Und mal haben sich die einen (Fach)Ärzte durchgesetzt, mal die anderen.

Es gibt 13 oder 14 solcher Honorarkataloge (für die neun Gebietskrankenkassen je einen, für die restlichen zehn oder zwölf Kassen die restlichen) die allesamt nicht zusammenpassen, auch wenn über „Meta-Honorar-Ordnungen“ oder „Mapping-Strategien“ versucht wird, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Es wurde nämlich gänzlich vernachlässigt, die einzelnen Leistungen ordentlich zu definieren oder den Verhandlungen echte Kalkulationen zu Grunde zu legen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bedarf der Leistungen hat es ebenso wenig gegeben, wie den Versuch, herauszufinden, welche Anreize man mit den Honoraren schafft und welche Auswirkung das auf die Versorgung hat. Die Kataloge sind schlicht ein willkürliches Verteilungsinstrument.

Allerdings hat sich die Welt gehörig geändert. So ist das Monopol der ambulanten Versorgung durch Kassenärzte längst gebrochen. Seit den 1970ern nehmen die Spitalsambulanzen an Bedeutung zu. Anfangs waren sie noch Teil des Systems, weil sie den Kassen spezielle Honorare verrechnen konnten. Seit 1995 ist das vorbei. Seither gibt es nur patientenunabhängige Pauschalen, die an Landesregierungen ausbezahlt werden. Und wen wundert es, dass die Zahl der Patienten explodiert, die Anreize sind ja so ausgerichtet, dass Patienten dem Spital zugewiesen werden. Parallel stieg die Zahl der Wahlärzte an. Heute gibt es mittlerweile mehr als Kassenärzte. Welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte haben, wird sorgsam verschwiegen; aber sie sind sicher nicht mehr aus der ambulanten Versorgung wegzudenken. Und in all dem noch gar nicht berücksichtigt, sind die tagesklinischen (Spitals)Leistungen, die ja eigentlich auch der ambulanten Versorgung zuzurechnen sind.

Es wird Zeit, dass Kassen und Ärztekammern endlich verstehen, dass ihr liebgewonnener Weg anachronistisch ist. Will das Kassensystem überleben, wird es sich bewegen müssen.

Und genau das dürfte bei der SVA passieren. Denn, so der Vorschlag gegenüber der Ärztekammer, anstelle des alten Kataloges soll ein innovatives, patientenorientiertes Verrechnungsmodell treten. Moderne und flexible Honorierung nach Erkenntnissen der Versorgungswissenschaft und laufende Adaptierung des Leistungskatalogs nach neuesten medizinischen Erkenntnissen wird ebenso vorgeschlagen wie die Entlohnung in Abhängigkeit von der erbrachten Qualität, anstatt nur der Quantität. Es soll Anreize für integrative Versorgung geben, Hausarztmodelle sollten ebenso im Katalog enthalten sein, wie strukturierte Versorgungskonzepte für chronisch Kranke – alles in allem also eine komplette Umstellung der Finanzierungs- und Organisationsstruktur.

Das so etwas von der Ärztekammer vorerst (und reflexartig) abgelehnt werden muss, ist nur klar, aber dass es auf Dauer verhindert werden kann, Illusion.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ambulante Gesundheitsversorgung – Chaos pur

Das Regel-Chaos in der ambulanten Versorgung ist unerträglich und behindert eine vernünftige Entwicklung – am Ende zum Schaden für die Bevölkerung.

Kaum jemand, der, wenn er einen Arzt besucht, weiß, welches Regel-Chaos sich hinter diesem Besuch verbirgt. Ein Normalbürger geht entweder zu seinem Kassen- oder Wahlarzt, oder in die Spitalsambulanz oder aber in ein Ambulatorium. Dass sich dahinter unterschiedlichste Gesundheitssysteme verbergen, bleibt verborgen.

Von der Patientenzahl her dürften Kassenärzte wohl die wichtigsten sein. Ob das auch für ihre Versorgungswirksamkeit gilt, weiß man nicht. Am Ende werden dort über 110 Millionen Arztbesuche pro Jahr gezählt. Wo es Kassenordinationen gibt, legen Ärztekammer und Kassen im Verhandlungsweg fest. Das Leistungsspektrum wird durch Honorarkataloge bestimmt, von denen es 14 unterschiedliche gibt – fünf für die sogenannten kleinen Kassen und neun für die neun Gebietskrankenkassen. Diese Kataloge sind alles andere als logisch, und funktionieren nach allem, nur nicht nach dem „Gleiches Geld für gleiche Leistung“- Prinzip. Denn die Leistungen sind das Produkt von 50 Jahren Verhandlungen zwischen Dutzenden Kassen und föderalen Ärztekammern. Kein Mensch weiß mehr, was sich die Verhandler bei den Leistungen und den damit verbundenen Honoraren gedacht haben.

Bei den Wahlärzten, von denen es mehr als Kassenärzte gibt, sind diese Kataloge weitgehend egal, weil sie nach dem Kostenerstattungsprinzip funktionieren, also nicht mit den Kassen, sondern mit den Patienten verrechnen, und ihre Honorare selbst festsetzen. Wo es Wahlärzte gibt ist ebenfalls ungeregelt. Das einzige was Wahlärzte mit Kassenärzten verbindet ist die Tatsache, dass beide keine Ärzte anstellen dürfen.

In den Spitalsambulanzen wiederum arbeiten nur angestellte Ärzte; wie viele ist aber ungewiss. Welche Leistungen erbracht werden ist ebenso unbekannt, wie die Menge der erbrachten Leistungen, nicht einmal das Patienten-Zählen funktioniert. Das Einzige, was man weiß, ist, dass sie in einer Grauzone arbeiten. Denn eigentlich sind sie nur für ambulante Patienten zuständig, die eine Versorgung brauchen, die es im niedergelassenen Bereich nicht gibt. Weil man aber weder da noch dort weiß, was es wirklich gibt, machen Ambulanzen mittlerweile alles.

Und schließlich mischen Ambulatorien mit: Wo es welche geben und was dort gearbeitet werden darf, ist Ländersache – die haben den Bedarf zu prüfen. Was allerdings die Bezahlung betrifft, da sind meist die Kassen in der Pflicht. Und um es nicht zu einfach zu machen: Die Vertretung der Ambulatorien ist – irgendwie artfremd – die Wirtschafts- und nicht die Ärztekammer.

Und weil die Verwirrung nicht groß genug scheint, wird es demnächst Ärzte-GmbHs nach dem Stöger-Modell geben: ein Hybrid aus Ambulatorium und Ordination. Es dürfen nur Ärzte, die in der Ärztekammer bleiben, dabei sein, Ärzte dürfen nicht angestellt werden und wo sie entstehen ist Ländersache, der Bedarf muss also von Amtswegen geprüft werden – außer die Ärzte, die seine GmbH gründen wollen, haben einen Kassenvertrag, dann ist es Sache der Kassen.

Alles sehr transparent halt.

Dabei hat der EuGH Österreich genau wegen dieser Intransparenz verurteilt und aufgefordert, endlich Regeln, die für alle gleich gelten, einzuführen. Aber das käme einer Reform gleich, die niemand will.

Praktisch bedeutet das aber Rechtsunsicherheit. Ärzte werden ihre Investitionsüberlegungen dementsprechend anstellen; mit der Folge, dass der ambulante Bereich weiter geschwächt wird – aber vielleicht ist das ja das Ziel.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Krebsangst, Prävention und Geschäftemacherei

Weder das Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen, noch Ministerium noch Ärztekammer scheint die Vorsorge-Scharlatanerie zu interessieren.

Frau M. ist 63 und Raucherin. Sie weiß ja, dass das nicht gesund ist, aber sie raucht nicht viel. Allerdings sind sie und ihr Mann seit einem Jahr in Pension und das Leben mit einer stattlichen Pension hat dermaßen viel an Lebensqualität geschaffen, dass sie begonnen hat, sich Gedanken zu machen. Schließlich will sie noch ein paar Jahre reisen und die Welt sehen – gesund.

Und wie es so ist, hat sie aus der Zeitung erfahren, dass es jetzt Hunde geben soll, die Lungenkrebs erschnüffeln können. Und weil angeblich die Heilungschancen am höchsten sein sollen, wenn man Lungenkrebs möglichst früh erkennt, ist sie froh zu lesen, dass mit dem Lungen-Krebs-Finder dieser bereits ab dem Stadium 0 (?) zu erkennen ist.

Der Test ist einfach. Man bestellt einen Ballon, bläst hinein und schickt ihn an die Firma zurück. Dort schnüffeln speziell ausgebildete Hunde daran; und wenn diese anschlagen, hat man Krebs.

Als das Ergebnis kommt, steht fest, Frau M. hat wahrscheinlich (!) Krebs. Ihr Leben stürzt zusammen.

Sie begibt sich sofort zum Arzt und lässt haufenweise Untersuchungen über sich ergehen – die aber alle keinen Krebs finden. Eigentlich könnte sie ja froh sein, aber, wie man von der Lungen-Krebs-Finder-Firma erfährt, sind alle Untersuchungen nur begrenzt sicher. Sie könnte Krebs haben, auch wenn man keinen findet.

Angst beherrscht jetzt ihr Leben. Gott sei dank erzählt ihr eine Freundin von einem Professor, der dank überragendem Können anderen Ärzten überlegen ist.

Eigentlich ist der Professor ja gar keiner, er ist nur Dozent, was aber für die meisten das gleiche ist. Der Title jedoch ist Garant für Qualität. Und mit Überzeugung gibt der Professor an, dass es in der Jetztzeit nicht mehr notwendig ist, an Krebs zu erkranken. Er hat auch einen Test, der nicht nur alle Krebsvorstufen weit vor allen anderen Untersuchungsmethoden erkennt, sondern auch gleich heilt. Nur wenn es besonders starke Vorstufen sein sollten, sind zusätzliche – orthomolekulare oder energetische – Therapien nötig; die er auch anbietet.

Um sicher zu gehen, nimmt Frau M. die Angebote in Anspruch. Sie erhält mehrmals jährlich Tachyionentherapien (Sitzen zwischen energetisch geladenen Kristallen), Colonhydrotherapien (Einläufe) und sogar ein Mal eine Ozontherapie (Einblasen von Ozon in den Bauchraum). Natürlich besucht sie auf Anraten des Professors auch häufig Schulmediziner um Unmengen an kostspieligen (aber von der Öffentlichkeit bezahlten) Tests durchführen zu lassen. Mit diesen Befunden kommt sie dann zurück zur Dunkelfeldmikroskopie, um sie sich erklären zu lassen. Und den Hunde-Test wiederholt sie auch.

In Summe kostet sie das mehrere Tausend Euro pro Jahr – die sie vom Reisebudget abzwackt. Frau M. wird zwar nicht mehr reisen, aber dafür sicher (?) gesund bleiben.

Tja – Krebsprävention ist eine echt gute Geschäftsidee: Man nimmt ein bisschen Krebs, gibt wissenschaftlich klingende Maßnahme dazu und erhält eine Gelddruckmaschine – die dank der Krebsangst unaufhörlich läuft.

Wenn man eine einfache Pilzsalbe kaufen will, braucht man ein Rezept. Wenn man aber an Scharlatanerie erinnernde Therapien kaufen will, dann macht man das einfach – denn Therapien die Krebsangst schüren und so psychische und soziale Probleme auslösen, sind rezeptfrei; auch wenn sie schädlich und für alle (auch gesunde Steuerzahler!) sehr teuer sind. Die Offiziellen dürfte das nicht interessieren – es gibt Wichtigeres.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer verhindert eigentlich eine echte Gesundheitsreform?

Wie in einem Feudalsystem werden Pfründe verteidigt und eine patientenorientierte Reform des Gesundheitssystems seit Jahrzehnten verhindert.

Schattenspiele waren in den letzten Tagen zu beobachten. Neben dem nicht einmal wahrgenommenem Aufstand der Jungärzte, die sich endlich (!) Gehör für eine bessere Ausbildung schaffen wollen, waren da noch die Kassensanierung und die Ärzte-GmbHs. Und inhaltlich, wenn auch mit deutlich geringerem medialen Interesse, wurde vom Hauptverband der „Masterplan Gesundheit“ für den Herbst in Aussicht gestellt; darin enthalten, die Ideen einer Spitalsreform und die Finanzierung aus einem Topf.

Der Herbst wurde aus zwei Gründen gewählt: erstens weil zuerst einmal alle (pseudo)streiten müssen, bevor sie verhandeln können. Und zweitens ist da noch der Finanzausgleich, der zwar erst 2013 aufgeschnürt werden sollte, doch die Länder so pleite sind, dass sie nach den Wahlen an ein Aufschnüren denken. Ob der „Masterplan Gesundheit“ auch die überfällige Kassenreform bedeutet, ist unklar – wahrscheinlich geht es jedoch nur um unser Geld, das neu verteilt und neu beschafft werden soll; also, ob Steuer- oder Beitragserhöhungen kommen. An eine echte Reform denkt wohl kaum wer.

Vielleicht ist es Zeit zu fragen, warum seit 40 Jahren keine echte Reform stattfindet und sie immer unwahrscheinlicher wird.

Ich behaupte, dass es immer mehr „Systemerhalter“ gibt, die einen Lebensstandard erreicht haben, den sie unter „normalen“ Umständen nicht erreicht hätten, sei es was ihr Einkommen, oder aber ihre Macht betrifft. Es sind die gesetzlichen Monopole, die sie dort hin gebracht haben und nicht Qualifikation oder der Bedarf nach ihrer Arbeitskraft.

Da wären einmal die Kassen-Obmänner und deren Stellvertreter, deren Jobs nur durch das komplizierte System entstehen. Eine Reform würde sie arbeits- und machtlos machen. Selbst viele der leitenden Angestellten in den 21 Krankenkassen sitzen vermutlich an Positionen, die weniger mit ihrer Kompetenz als mehr mit ihrem gewerkschaftlichen Hintergrund zu tun haben. Auch in Kammern, allen voran in Ärztekammern, definieren sich viele nur durch die Verworrenheit der Kompetenzstrukturen. Auf Seiten der Länder und Gemeinden gibt es haufenweise Mitarbeiter, die nur benötigt werden, weil es so viele Krankenhäuser gibt, an denen nur festgehalten wird, weil sie Spielwiesen für politische Postenbesetzung sind, von der Verwaltung angefangen bis hin zur Verteilung von Mediziner-Ausbildungsplätzen. Selbst bei den Primarärzten scheint es so, dass viel ihren Job nicht haben, weil sie die bestgeeigneten, sondern weil sie die politisch bestvernetzten sind.

Am Ende sind es aber trotzdem nicht mehr als vielleicht zwei tausend Personen, die bei einer echten Reform Position und Einfluss verlieren. Was ist das schon im Verhältnis zu den zehntausenden, deren Jobs durch die Wirtschaftskrise auf Dauer vernichtet wurden? Gar nichts! Alle anderen fast 500.000 Menschen, die für die Patienten und nicht das System arbeiten, würden bei einer echten Reform weiter benötigt, auch wenn die da oben so tun, als ob Kündigungslawinen drohten – ein reines Machtspiel. Denn, wenn man diese paar Tausend genauer betrachtet, dann stehen sie ganz oben in der Nahrungskette. Und dort werden sie alles tun, nur um eine Reform zu verhindern, die das Ende ihrer Macht bedeutet.

Und wer die Medien beobachtet, kann diese Spiel sacht erkennen. Denn warum berichten alle über Ärzte-GmbHs und Kassensanierung, niemand aber über das für Patienten wichtigere Thema der Ausbildung der Jungärzte?

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen

Und immer höher fliegt die Sozialpartnerschaft, immer höher, näher und näher an die Sonne. Mal sehen, wie die Federn angeklebt sind.

Stephanie K. ist mit dem Medizinstudium fertig. Jetzt will sie die Wartezeit auf einen Turnusplatz mit einer Lehrpraxis überbrücken.

Eine sechsmonatige Lehrpraxis ist verpflichtender Teil der postpromotionellen Ausbildung und soll eigentlich dazu dienen, nach der Spitalsausbildung, Erfahrungen in einer richtigen Ordination zu sammeln. Trotzdem machen es die meisten direkt nach dem Studium. Der Grund ist einfach, es gibt kaum Geld dafür.

Rund 800 Jungärzte versuchen jährlich Lehrpraktikanten zu werden. Aber nur für etwa 250 gibt es eine geförderte Stelle. Gefördert heißt, dass sie monatlich 1.000 Euro brutto erhalten. Der Dienstherr erhält die Arbeitgeberbeträge erstattet, sodass er kostenfrei bleibt. In diesem Fall kostet der Lehrpraktikant also nur Zeit, aber kein Geld.

Die, die keine geförderte Stelle ergattern, denen geht es bereits heute deutlich schlechter. Die meisten werden nur geringfügig angestellt (bis 357 Euro). Aber, und das ist peinlich, um den Dienstherren kostenfrei zu halten, zahlen sich nicht wenige ihr Gehalt sogar selbst, nur um eine Stelle zu kriegen! Eine Stelle, die sie kriegen müssen, wenn sie die Ausbildung beenden wollen.

Seit Jahren wird um das Thema zwischen Ministerium und Ärztekammer gestritten. Jetzt kommt eine neue Facette dazu – ein Kollektivvertrag, abgeschlossen zwischen zwei Abteilungen innerhalb der Ärztekammer.

Wie das funktioniert, wenn eine Kammer gleichzeitig für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandelt, ist fraglich. Rechtlich dürfte das aber passen – die Sozialpartnerschaft und ihre Blüten. Andererseits verhandelt da die linke mit der rechten Hand ohnehin über Geld, das ganz andere bezahlen sollen.

Im Kollektivvertrag wurde jedenfalls festgelegt, dass künftig ein Praktikant brutto zwischen 1600 (direkt nach dem Studium) und 2.000 Euro (am Ende des Turnus) erhalten muss. Aus Arbeitgebersicht kostet daher ein Praktikant pro Jahr zwischen 29.400 und 36.750 Euro (zum Vergleich, die heutige Förderung beträgt 18.400 Euro).

Schön schaut das aus, auf dem Papier. Aber glaubt man ernsthaft damit viel mehr Fördergeld erzwingen zu können? Wohl nicht!

Es wird stattdessen bald noch weniger geförderte Stellen geben (für einen unbestimmten Zeitraum soll die Ärztekammer angeblich die Differenz bezahlen). Die, die „Glück“ (ausreichend Vit. B) haben, so eine Stelle zu ergattern, können sich freuen, weil sie mehr verdienen. Alle anderen werden schlechter gestellt.

Jene Ärzte, die bereit waren, ihre Praktikanten aus eigener Tasche geringfügig anzustellen, werden ihre Bereitschaft bei solchen Gehältern verlieren. Die, die sich ihre sechsmonatige Lehrpraxis selbst finanzieren müssen – und die werden jetzt mehr – mussten früher nur geringfügige Mittel aufbringen; dank Kollektivvertrag sind es jetzt richtig heftige Summen (15 bis 18 Tausend Euro)

Tja, so stell ich mir das vor, wenn ein Kollektivvertrag zu populistischen Zwecken missbraucht wird. Dass die Kammerfunktionäre offenbar den Boden der Realität verlassen haben, sieht man an der Aussage der Obfrau der Bundessektion Turnusärzte (die oberste Kammervertreterin aller Turnusärzte) Dr. Gordon, die mit der Inbrunst der Überzeugung festhält: „Die katastrophalen Zustände, dass Jungmediziner zu Dumpingpreisen oder gar zum Nulltarif in Ordinationen arbeiten, sind damit Geschichte.“

Tja, wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen! (Marie Antoinette, wenige Wochen vor ihrer Dekapitation)

Dieser Artikel wurde im November 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.