Sind Turnusärzte keine Ärzte?

Aktuell bahnt sich einer jener peinlich-kleinlichen Machtkämpfe an, die unser Gesundheitsystem sattsam hat und deren ich so überdrüssig bin.

Auf der einen Seite, Peter McDonald, Chef des Hauptverbandes, der via Medien gerne mitteilt, wie gut alles ist, weil wir so viele Kassen haben, und dass er stolz ist, dass wir statt einer Credit-Card in Österreich nur die e-Card brauchen, um alles zu kriegen was wir brauchen.

Nun, alleine dieser Kartenvergleich stößt bei mir regelmäßig auf, weil er an Populismus praktisch nicht zu überbieten ist. Weiterlesen „Sind Turnusärzte keine Ärzte?“

Chancen der neuen Primärversorgung

Hektisch war sie, die Geheimdiplomatie rund um die neue Erstversorgung, begleitet von Streik- und Weltuntergangsdrohungen.

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   Nach verbalem und Patienten wie Ärzte verunsichernden Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und Volksvertretern, nach mehrfachem Hin und Her streng geheimer Papiere, die hinter verschlossenen Türen verhandelt wurden, ohne dass man weiß, wer denn verhandelt hätte, wurde am 30. Juni ein Konzept beschlossen, das die Basis für die Neuordnung der Primärversorgung sein soll.

   Aber was steht drinnen – und viel wichtiger: Wird es wirklich die Primärversorgung neu ordnen?

   Viele schöne und richtige Worte findet man – was nach 100 Jahren internationaler Erfahrungen und wissenschaftlicher Untersuchungen auch das Mindeste sein sollte, wenn einem eine „Primärversorgung nach internationalem Vorbild“ ein Anliegen ist.

   Einer der Höhepunkte: „Ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheits-und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primärversorgung im Team (. . .) zum Zweck einer optimalen Primärversorgung und Sicherstellung durchgängiger Versorgungsketten im Gesundheits- und Sozialbereich für Personen/Patienten eines definierten Einzugsbereichs.“

   In diesem Satz liegen die gesamte Weisheit des Papiers – und auch alle Fallstricke.

   Denn, will man nicht via Verfassungsänderung den Rahmen herstellen, so etwas von einer Stelle aus organisieren zu können (Finanzierung aus einer Hand), und das wurde dezidiert ausgeschlossen, dann stehen umfangreiche Verhandlungen bevor: zwischen zwei Ministerien (Soziales und Gesundheit), neun Ländern mit jeweils mindestens zwei Landesräten (Finanzen, Gesundheit und Soziales, meist aus verschiedenen Parteien); 21 Krankenkassen, die teils bundes-, teils landesweit organisiert sind und deren bundesweit agierende Vertreter praktisch ein Vetorecht gegen jede Reform haben und in der Vergangenheit gerne auch ausübten; mehrere, meist parteipolitisch genau zuordenbare Organisationen mobiler Pflege, die regional oft Monopolisten sind; hunderte Pflegeheime betreibende Gemeinden; und natürlich die zehn Ärztekammern mit ihren 20 Kurien, die dank der Sicherstellung, dass alles im Rahmen der Gesamtverträge ablaufen muss, sehr viel Sand ins Getriebe der Verhandlungen werfen können und werden.

   „Das konkret anzubietende Leistungsspektrum ist vertraglich mit der Sozialversicherung und sonstigen Finanzierungsträgern zu vereinbaren.“ So steht es lapidar im Konzept. Und weil jeder weiß, dass es nie dazu kommen wird, dass sich all diese Partikularinteressenvertreter einigen, beginnt jetzt schon ein rein machtpolitischer Kampf.

   Ein Blick nach Niederösterreich zeigt das. Dort wurde die landeseigene Primärversorgungsidee vorgestellt – ohne Vertreter der Krankenkassen und ohne Ärztekammer, dafür mit einem ehemaligen, aber abgewählten Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Das kommt einer Kampfansage gleich, die für die Verhandlungen, und damit die Neuordnung der Primärversorgung wohl bereits ein Todesstoß ist.    Aber wenigstens eines wurde erreicht: Der Terminus „Primärversorgung“ ist, etwa 100 Jahre nach seiner Einführung, nun auch in Österreich verwendbar. Man soll sich eben auch mit kleinen Schritten zufriedengeben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 134 vom 11.07.2014  

Die verkauften Jungärzte

Stellen Sie sich eine Gewerkschaft vor, sagen wir die Metaller, und fragen sich, wie sie auf folgendes reagieren würde?

Da kommt die EU und sagt:

Ihr in Österreich, Ihr behandelt eure Metall-Arbeiter seit Jahrzehnten schlecht. Wir haben Euch schon bei eurem EU-Beitritt gesagt, dass sie – mittlerweile sogar unerlaubterweise – zu lange arbeiten! Bringt das in Ordnung, sonst tun wir es.“

Die Gewerkschaft schweigt vorerst, nur der Sozialminister, zuständig für Arbeitszeiten und selbst mal Gewerkschaftsboss antwortet, weil er muss, sinngemäß: „Jo, eh! Aber wir brauchen noch so zehn Jahre, bis wir das umsetzen können – die Arbeitgeber haben sich an die billigen Arbeitskräfte gewöhnt, und wenn wir jetzt die Arbeitszeiten auf europäisches Maß reduzieren, dann können die sich das einfach nicht mehr leisten.“

Nun gibt auch die Gewerkschaft laut, sagt die EU mit all Ihren Regeln ist schuld, gibt dem Minister grundsätzlich Recht, meint aber, die Übergangszeiten sind schon ein bisserl lang – das war es!

Klingt das nach dem Verhalten von Gewerkschaftern? Nein! Und doch ist es geschehen – mit einer Berufsgruppe, die dank endloser Arbeitszeiten in oft prekären Arbeitsverhältnissen (nicht selten illegalen Kettenverträgen) kaum aufmucken können – den Spitalsärzte, vor allem den Jungärzten.

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Ich bin völlig verwirrt – die Kassensanierung

Man wird nicht recht schlau: Sind die Kassen nun saniert? ist die Gesundheitsreform eine Reform oder nicht? spart sie das System zu Tode, oder wird sie zu mehr Kosten führen?

Man sagt, zwischen 2010 und 2013 haben die Kassen um 2,671 Mrd. Euro weniger ausgegeben als sie selbst prognostiziert hätten; das sind gleich 946 Mio. Euro mehr an weniger, als mit der Regierung vereinbart. Zudem sind die Kassen jetzt fast Schuldenfrei.

Jedoch wird auch vermeldet, dass die Gebarungsergebnisse vieler Krankenkassen ohne außerordentliche Steuer-Geschenke weiterhin tief rot sind, also die ordentlichen Beitragseinnahmen bei weitem nicht die Ausgaben decken (Angaben in Mio.Euro: Wien -90,3 Kärnten: -35,9; Steiermark: -15,8; Burgenland: -10,0; Tirol: -3,5). Die Ärztekammer (Vizepräsident Dr. J. Steinhart) nennt, die Sanierung der Kassen sogar eine „angebliche“ und spricht, von einem „Propagandatrick“.

Allerdings erst seit kurzem. Denn die gleiche Kammer betonte zwei Jahre lang, dass es vor allem die Leistung der Kassenärzte gewesen sei (moderate Honorarforderungen und strengste Disziplin bei der Verschreibung der Medikamente), die diese Sanierung ermöglichte! Was war da jetzt die Leistung, wenn das alles doch nur Propaganda war? Und warum ist seit Montag doch wieder zu hören, dass die Sanierung geglückt und „genug gespart“ sei –  die Kassen daher gefälligst wieder mehr für Kassenärzte ausgeben sollen.

Und dann ist da der Rechnungshof, der heftige und von der Ärztekammer geteilte Kritik an der Gesundheitsreform übt.

Da wird einmal kritisiert, dass es zu keiner Kompetenzbereinigung kommt. Das stimmt, aber eine solche Kompetenzbereinigung – Stichwort: Finanzierung aus einer Hand – ist nur über eine Verfassungsreform möglich, und diese wiederum benötigt eine zwei Drittel-Mehrheit. Es ist schon sehr fraglich, ob wir mit einer Reform wirklich warten sollten, bis eine solche wieder einmal in Regierungshänden liegt. Und weil die Schöpfer der Reform eben nicht warten wollten, haben sie sich der alten Sozialpartnerregel „Vertrag vor Gesetz“ bedient. Es mag dem Rechnungshof und liberal denkenden Menschen nicht gefallen, dass Pflichtkammern über Verträge den Staat aushebeln können, aber dass gerade die Ärztekammer sich in ihrer Kritik bestärkt sieht, verwundert, ist ihr „Vertrag vor Gesetz“ doch besonders heilig- Stichwort: Kassenvertrag statt „Staatsmedizin

Doch auch ein anderer Punkt erstaunt.

Da meint der RH, die Reform ist in ihren Sparzielen alles andere als ambitioniert, weil das erlaubte Ausgabenwachstum pro Jahr höher liegt, als die Wachstumsraten der letzten Jahre, ja sogar über den Prognosen des Hauptverbandes; die Reform also eine Kostensteigerung und keine Kostendämpfung verspricht. Auch in diesem Punkt fühlt sich die Ärztekammer merkwürdigerweise bestätigt, obwohl sie seit Monaten herumläuft und, erklärt, die geplante Reform sei eine Kaputt-Spar-Reform, die sage und schreibe elf Mrd. Euro einsparen soll.

Sehr verwirrend das alles.

Ach, was würde ich darum geben, wenn sich die Ärztekammerfunktionäre auf den Hosenboden setzten und über konkrete Versorgungsziele und konkrete Versorgungsstandards konkreter Patientengruppen nachdächten (solche sollen nämlich am 30. Juni beschlossen werden), statt bei Zahlenspielchen mitzumachen, die ohnehin keinen konkreten Patienten interessieren.

 

 

In leicht abgewandelter Form erschienen in der Wiener Zeitung 18.04.2013

kurzsichtig und verantwortungslos

Dr. J. Steinhart, Oberarzt, Geschäftsführer und ärztlicher Direktor eines Wiener Spitals, Kassen(Fach)Arzt, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer Vizepräsident der Wiener  Ärztekammer und als Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer  deutlich mächtiger als seine Präsidenten Artur Wechselberger (ÖÄK) und Thomas Szekeres (ÄK für Wien) hat eine Mission:

Er will klar machen, dass die „Krankenkasse kurzsichtig und verantwortungslos“ agiert, weil es in Wien zu wenige Kassenärzte gibt.

Und um das zu belegen, werden ein „Großstadtfaktor“ und ein „deutsches Versorgungskonzept“ herangezogen.

Behauptet wird, in Wien kommen auf einen Hausarzt 2170 Patienten, das deutsche Konzept sieht hingegen lediglich 1671 vor. Realiter geht es wohl um Einwohnerzahlen pro Arzt und nicht wie behauptet, um Patienten pro Arzt – naja, mit solchen Details beschäftigen sich nur Kleingeister. Aber es stimmt, die angestrebte Hausärztedichte, gemessen an Ärzten pro Einwohner ist in Deutschland höher –warum? Weil es dort Hausarztmodelle gibt. In solchen Modellen müssen sich Patienten bei einem Hausarzt einschreiben und sich verpflichten, diesen, vor einem Facharztbesuch aufzusuchen. Dadurch werden viele Patienten ganz ohne Facharztbesuch gesund.

Solche „Gatekeeping“-Modelle, die mehr Hausärzte erfordern, werden seitens der Ärztekammer kategorisch abgelehnt – denn die „freie (Fach)Arztwahl“ ist uns (ihnen) heilig.

(Steinhart vergleicht das ganze Procedere rund um die Gesundheitsreform gar mit einem „biblischen Desaster“ und listet sieben Totsünden der österreichischen Gesundheitspolitik auf, zwei davon beziehen sich auf die freie Arztwahl: 2) Zerstörung […] der freien Arztwahl – eine Zentralisierung à la Polykliniken in der DDR drohe; 3) das Niederkämpfen der freien Arztwahl – gemeint ist allerdings nur, dass der Gesamtvertrag hinkünftig auch mit den Ländern abgestimmt sein muss, daher die Macht der Kammer schwindet)

Doch zurück zum Thema: Weiters wird seitens der Kurie der niedergelassenen Ärzte behauptet, HNO-Ärzte betreuen in Wien um 73 Prozent, Kinderärzte um 60 Prozent und Augenärzte um 40 Prozent mehr Patienten als es laut dem deutschen Versorgungskonzept ideal ist.

Genauer wird nicht darauf eingegangen – verständlich. Denn vermutlich sind es wieder nicht Patienten, sondern Einwohner pro Arzt, um die es hier geht. Und was tunlichst verschwiegen wird ist, dass es in Deutschland so gut wie keine Spitalsambulanzen gibt. Es ist daher klar, dass es dort außerhalb der Spitäler mehr Fachärzte geben muss, während bei uns eben die freie Arztwahl den Patienten auch erlaubt direkt und ohne Zuweisung in eine Spitalsambulanz zu gehen. Und was es in Deutschland auch nicht gibt, sind Wahlärzte, die ja neben den Kassenärzten auch nicht untätig herumsitzen. Tja, aber mit den Wahlärzten  hat es die Kammer nicht so – aus ihrer Tätigkeit lässt sich keine politische Macht ableiten – daher uninteressant; das gilt im Übrigen auch für angestellte Ärzte.

Und der Großstadtfaktor? Nun, da ja mit Patienten argumentiert wird (Wartezeiten!), schauen wir uns an, wie viele Ärzte in Wien im Vergleich zu Österreich bereitstehen.

Zählt man alle ambulant tätigen Ärzte (lt. ÖSG Planungsmatix), also auch die in den Spitalsambulanzen, kommt in Wien auf 10.00 Einwohner ein Kinderarzt, Österreichweit gibt es einen auf 18.000; in der HNO ist das Verhältnis Facharzt / Patienten in Wien 1:16.000 – Österreichweit  1:27.000; Augen: Wien: 1:12.000 – Österreich 1:18.000. Also, der Großstadtfaktor muss gewaltig sein, wenn das nicht reicht!  Mal abgesehen, dass es diesen Faktor nur in Österreich als Planungsgröße gibt.

Dass Wien mehr Kassenstellen hat als andere Bundesländer hat übrigens gar nichts mit Versorgungsbedarf oder Patienten zu tun, sonder ist ausschließlich historisch begründet. Als die Ärztekammer 1948 mittels Besetzung des Hanuschkrankenhauses die Regierung gezwungen hat, Planstellen fix in das ASVG  und den Gesamtvertrag aufzunehmen, hatte Wien die höchste Ärztedichte (wie heute haben große Ballungsräume eine hohe Attraktivität für Ärzte). Damals wurden einfach alle praktizierenden Ärzte übernommen – that is it!.  Und als sehr viel später die anderen Bundesländer müde wurden, über einen Ausgleichstopf die Defizite der Wiener Gebietskrankenkasse mit zu tragen, wurde der Mythos des Großstadtfaktors geboren – und lebt bis heute!

 

Jedenfalls, an Ärzten mangelt es nicht, aber, es mangelt an verbindlichen Regeln, was ein Kassenarzt arbeiten muss.

Hat ein Arzt einen Kassenvertrag, kann er aus dem Kassen-Honorarkatalog anbieten was er will. Es besteht keine Möglichkeit verbindlich vorzuschreiben, was er zu tun hat. Die Folge ist, dass vermutlich viele (aber Gott sei dank bei weitem nicht alle!) einfach nur das tun, was Spaß macht und Geld bringt – und alles andere überlässt man dann gerne der Spitalsambulanz. Sollte ein Hautarzt keine Warze entfernen wollen, wird er den Patienten ins Spital überweisen, daran kann ihn niemand hindern – und so braucht man für eine Warze plötzlich zwei Ärzte!

Wenn die Kurie der niedergelassenen Ärzte nicht rasch erkennt, dass sie statt mehr Stellen zu fordern, den Kassen verbindliche (und auch gut dotierte) Versorgungskonzepte anbieten oder wenigstens abfordern muss, dann sehe ich schwarz für Kassenfachärzte – dann werden sie ähnlich wie in Holland bald angestellte der Spitäler sein! Und das war es dann auch mit der mächtigen Kurie!

Analyse: Das Ambulanz-Modell der Ärztekammer

(8 Min Lesezeit) Errichtet man 1.041 neue Kassenstellen, dann erspart man sich in der Versorgung 322.000.000 €. Das rechnet die Ärztekammer in einem Simulationsmodell vor.

Und wie schaut dieses Modell aus?

Das erste, das  auffällt ist, dass es sich um ein rein betriebswirtschaftliches Rechenmodell handelt, weit weg von gesundheitsökonomischen Ansätzen. Es finden sich keine Versorgungskonzepte für bestimmte Patientengruppen oder Angaben zum Patientennutzen – gar nichts. Mehr noch, das Wort Patienten kommt KEIN einziges Mal als Bezeichnung für einen kranken Menschen vor, sondern wird ausschließlich als Maßeinheit verwendet.

Diesem rein betriebswirtschaftlichen Ansatz entsprechend, wird daher auch nur in Kosten pro Leistungserbringer (Kassenarzt oder Spitalsambulanz) gerechnet, und nicht, wie eben in der Gesundheitsökonomie üblich, in Kosten pro Patientennutzen. Das ist schon verstörend, weil gerade die Ärztekammer die „Ökonomisierung“ des Gesundheitssystems beklagt, und selbst doch nur betriebswirtschaftlich zu denken scheint.

Aber vielleicht ist es wenigstens eine gute betriebswirtschaftliche Rechnung?

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Diabetiker sein in Niederösterreich

Die einseitige Kündigung, des Diabetes-Versorgungsprogramms „Therapie aktiv“ durch die Niederösterreichische Ärztekammer hat zu einem Aufschrei geführt

Als Argument brachte die Kammer unter anderem aber vor allen Dingen vor, dass die Versorgung nicht verbessert wurde, aber die Bürokratie gestiegen ist. Zudem seien so wenige Patienten (5.489 von etwa 75.000 Diabetikern) in diesem Programm eingeschrieben, dass man nur schwerlich von einem effektivem Versorgungskonzept sprechen kann.

Nun, auch ich war ob dieser Kündigung entsetzt. Egal wie schlecht das Programm aufgesetzt war (es war ein absoluter Schnellschuss, damit wir für die EU-Präsidentschaft 2006 international was vorweisen können – wäre ja peinlich gewesen, wenn Ministerin Rauch-Kallat zwar Diabetes zum gesundheitspolitischen Schwerpunkt  gemacht, aber nachweislich selbst nichts vorzuweisen hätte) und wie erfolglos es läuft (nicht einmal zehn Prozent aller Diabetiker nehmen aktuell daran teil), es war eben der erste Versuch, unser System patientenorientierter zu gestalten – so was beendet man nicht einfach so!

Doch vielleicht hat ja die Kammer gar nicht unrecht?

Beginnen wir mit der Diabetiker-Dunkelziffer, die ja immer wieder zitiert wird, um die Ausmaße des Problems zu illustrieren. Höchstoffiziell genannt werden 30 bis 50 Prozent. Anders ausgedrückt: zu den, wegen ihres Medikamentenverbrauchs, bekannten 300.000 Diabetiker, kommen 100.000 bis 150.000, die gar nicht wissen, dass sie krank sind.

Da unsere Politik wenig an Fakten interessiert ist, gibt es keine Studien, die das belegen – die Dunkelziffer ist eine „Bauchzahl“ und soll sie vermutlich auch bleiben. Andererseits, ging eine sehr kleine (und natürlich unveröffentlichte) Studie in NÖ vor zehn Jahren dieser Dunkelziffer nach – und siehe da, hier sind so gut wie alle Diabetiker bekannt. Es gibt in NÖ praktisch keine Dunkelziffer – ein eigenartiges Phänomen.

So wie wir schon nicht wissen, wie viele Diabetiker es gibt, wissen wir noch weniger wie sie versorgt sind. Also, wie viele erblinden, wie vielen werden Füße amputiert, wie viele müssen an die Dialyse, weil ihre Nieren versagen – lauter blinde Flecken.

Aber, wir können nachschauen, wie oft sie ins Spital müssen, wohl hauptsächlich deswegen, weil ihr Blutzucker verrückt spielt, der das tut, weil der Patient schlecht begleitet und sein Zucker schlecht eingestellt ist. Die Spitalshäufigkeit ist kein guter aber für unsere Zwecke brauchbarer und mangels valider Daten auch einziger Parameter, um zu schauen, wie Diabetiker außerhalb des Spitals versorgt sind.

Und siehe da, die niederösterreichischen Diabetiker liegen mit riesigem Abstand am seltensten im Spital. Während in anderen Bundesländern fünf bis sechs Prozent der dortigen Diabetiker einmal pro Jahr im Spital liegen, sind es in NÖ nur drei – Und das passt grosso modo zum Wissen, dass die Spitalshäufigkeit dann, wenn Diabetiker früh erkannt und gut betreut werden, sinkt! Das bedeutet im Umkehrschluss: die Niederösterreichischen Diabetiker sind besser versorgt als die Diabetiker in allen anderen Bundesländern (was nicht heißt, dass es im internationalen Vergleich eine gute Versorgung ist!!)

Mortalität Diabetes

Ist es also so, dass überall in Österreich „Therapie aktiv“ wichtig ist, um die Diabetiker-Versorgung zu verbessern, nur in Niederösterreich nicht? Ja, es sieht ganz danach aus – warum das so ist, weiß kein Mensch. Wahrscheinlich ist es das Honorarsystem der niederösterreichischen Hausärzte, vielleicht aber auch nicht.

Was wir aber für die anstehende Reform lernen können ist, wie wichtig es ist, regionale Versorgungskonzepte zu entwerfen um regionale Probleme zu lösen. Zentrale, rigide Vorgaben können, egal wie gut durchdacht, mehr irritieren, als nützen.

Die Gesundheitsreform 2012 – eine Analyse

Auch wenn die Variante vom 27.9.2012 gegenüber der Endvariante – dazwischen liegen Monate politische Verhandlungen, an deren Ende Texte statt klarer und gesetzesfähiger immer unschärfer und unverbindlicher klingen – im Sinne der Versorgungsforschung deutlich besser war, das was rausgekommen ist, kann ernsthaft Grundlage einer echten Reform darstellen.

Die allgemeine Stoßrichtung

Wesentliche Aussage ist, dass unsere Versorgung zielorientiert gestaltet werden soll, wobei Ziele patientenorientiert aufzustellen sind und die Institutionen- Orientierung (also im Wesentlichen Spitalsstandorte und Kassenordinationen) einer integrierten Versorgung weichen soll. Patienten sollen dort behandelt werden, wo es richtig ist, und nicht dort wo gerade eine Gesundheitseinrichtung steht oder/und offen hat („Best Point of Service“).

Messgrößen und Zielwerte sind zu entwickeln und zu implementieren, die die Patientenorientierung sowohl in Ergebnissen, Strukturen und Prozessen messen sollen – es soll also transparent werden, ob der Patient zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle die richtige Leistung erhält.

Rahmenziele werden zwar zentral aufgestellt, aber sie sind dezentral unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten zu konkretisieren. Es sind definitiv keine „zentralistischen“ Diktate. Dezentral bedeutet übrigens auf Ebene der Versorgungsregionen (VR) des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG), und davon gibt es 32. Es ist also jedes Bundesland weiter unterteilt – das sollte dezentral genug sein.

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Warum Österreichs Ärzte streiken („Die Zeit“ 24.Jänner 2013)

Als der Ministerrat in der zweiten Jänner-Woche die heftig umkämpfte Gesundheitsreform absegnete, schlossen in Oberösterreich 1200 Ärzte ihre Ordinationen aus Protest. Weiterhin verteufelt die Standesvertretung der Mediziner den Maßnahmenkatalog als »Totspar-Reform«. Zwar hat nach der 1,5 Millionen Euro teuren Kampagne im vergangenen Dezember der Kampf gegen den vorerst zaghaften Umbau des Gesundheitssystems etwas an Kraft verloren, befriedet sind die Kritiker allerdings nicht.

Ziel der Reform ist es, künftig die Versorgung rund um Patienten und nicht mehr rund um Spitalsstandorte und Kassenordinationen zu organisieren. Patienten sollen dort behandelt werden, wo es richtig ist, und nicht mehr dort, wo gerade eine medizinische Einrichtung offen hat.

Es soll nach Jahrzehnten der politischen Diskussion das Prinzip »ambulant vor stationär« umgesetzt werden und es sollen Gruppenpraxen gegründet werden, die sich am Versorgungsbedarf und nicht an Finanzregeln orientieren. Es soll weiters ein System fixiert werden, bei dem das Geld der Leistung folgt und das dafür sorgt, dass Finanzmittel aus der stationären in die ambulante Versorgung fliessen.

All das und noch mehr sind jahrelange Forderungen der Ärztekammer, die dazu führen können, die Versorgung zu verbessern. Gleichzeitig sollen so die Kosten pro Patient gesenkt werden – ein Ziel, das zu erreichen bisher daran gescheitert ist, dass Länder und Kassen eher gegeneinander, als miteinander gearbeitet haben.

Warum wehrt sich also die Ärztekammer dagegen? Hat sie vielleicht recht, dass durch die Reform das System kaputtgespart wird?

Wenn bis 2020 elf Milliarden Euro eingespart werden, so erklärt der oberösterreichische Ärztekammerpräsident Dr. Peter Niedermoser, so »bedeutet das, dass man alle Krankenhäuser ein Jahr lang schließen müsste«.

Ein Blick in das Zahlenwerk zeigt allerdings, dass bis 2020 Mehrausgaben von 42 Milliarden Euro geplant sind – damit könnte man ein Jahr lang vier mal so viele Spitäler finanziere, wie heute. Die Reform ist, was Einsparungen betrifft, alles andere als ambitioniert. Hinter den fehlenden tatsächlichen Einsparungen steht vermutlich die politische Idee, gar keine größere Strukturreform durchzuführen – das stünde nämlich den Erwartungen der Ärztekammer diametral entgegen. Es ist kein augenscheinlicher Grund auszumachen, warum die Kammer dermaßen aggressiv Widerstand leistet. Warum also?

Das eigentliche Motiv für den hinhaltenden Protest liegt in einem anderen Effekt der Reform: Sie schränkt die Verhandlungsmacht der Ärztekammer, was die Vergabe von Kassenverträgen betrifft, erheblich ein. Bisher konnten ausschließlich Ärztekammer und Kassen gemeinsam beschließen, wo ein Kassenarzt ordinieren darf; zukünftig sollen nun Länder und Kassen gemeinsam den Versorgungsbedarf feststellen und die Infrastruktur dem Ergebnis entsprechend ausrichten. Die Ärztekammer kann also nicht mehr im gewohnten Ausmaß mitreden, wo eine Einzelordination oder eine Gruppenpraxis steht.

Das mag wenig dramatisch klingen, hat aber zwei Auswirkungen. Einerseits verlieren die Funktionäre der Ärztekammern viel an Macht, denn bisher galt ein einfache Gleichung: Ohne Kammer kein Kassenvertrag, ohne Kassenvertrag keine Kassen-Ordination und daher keine Versorgung auf Krankenschein. Auf dieser Formel baute die Macht der Ärztekammer in der Gesundheitspolitik aber auch gegenüber ihren Mitgliedern. Jetzt, da die Monopolverhandlungsmacht beendet werden könnte, zerbröselt diese Logik.

Sie mutet allerdings seit Jahren eigenartig an. Schließlich sollte die Kammer alle 41.000 Ärzte vertreten, und nicht nur jene etwa 8 000, die über einen Kassenvertrag verfügen. Betrachtet man die Situation der etwa 4 000 Hausärzte, entsteht der Eindruck, die Kammer vertrete eigentlich nur Fachärzte mit Kassenvertrag. Diesen geht es nämlich auch im internationalen Vergleich hervorragend.

Daraus ergibt sich die zweite Konsequenz der Reform: All jene Kassen-Fachärzte, die in Regionen mit hoher Facharztdichte arbeiten – also vor allem in Ballungsräumen und an Spitalsstandorten – können nicht mehr damit rechnen, dass ihre Ordinationen in der jetzigen Form über die eigene Pensionierung hinaus benötigt werden. Damit fällt aber die Möglichkeit weg, die eigene Ordinationen lukrativ an einen Nachfolger zu verkaufen, oder wie es eigentlich heißt, »ablösen« zu lassen. Diese Ordinationen könnten ohne den Vertragsautomatismus nahezu wertlos werden.

Wahrscheinlich haben solche Ordinationsinhaber ihre Funktionäre dazu gedrängt, diese Reform möglichst scheitern zu lassen – so sie nicht sogar selbst Funktionäre sind, da die für die Funktionärstätigkeit nötige Zeit vor allem Kassen-Fachärzte aufbringen können.

Alternativ zu diesem Macht- und Profitstreben einzelner wäre es allerdings auch möglich, dass maßgebliche Funktionäre tatsächlich glauben, das derzeitige System müsse so bleiben wie es ist, obwohl die Lebenserwartung des gesunden Teils der Bevölkerung im Vergleich mit Großbritannien etwa um fünf Jahre geringer, die Diabetiker-Sterblichkeit dreimal höher und die Zahl kaputter Zähne bei Zwölfjährigen doppelt so hoch ist – und das bei deutlich höheren Kosten.

 

Erschienen 24.Jänner 2013; Die Zeit 

Ärztekammer: Schachmatt 2013

Glaubt man der Ärztekammer ist nach der angedachten Reform fast alles (jedenfalls Ärzte, Spitäler, Medikamente etc.) weg.

Ärztekammerkampagne

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Glaubt man mir, ist das einzig was weg ist, die Kammer.

Statt ihre Hausaufgaben zu erledigen, prügeln Ärztekämmerer mit schlafwandlerischer Sicherheit immer die „falschen“. Strategisches Handeln im Sinne aller ihrer 41.000 Mitglieder, und nicht nur der etwa 7.500 Kassenärzte (wenn man die Situation der Hausärzte kennt, nur der etwa 3.500 Kassenfachärzte) ist nicht gerade ihre Stärke.

Denn was an der angedachten Reform führt denn zu diesen Rundumschlägen, und warum erinnert es so frappant an den 2007 /2008, als die letzte 15a-Vereinbarung anstand.

 Stöger Kettensäge

 

Es geht nicht um 11 Mrd.€ „Einsparungen“, denn die sind bezogen auf die, im Betrachtungszeitraum über 230 Mrd.€ öffentliche Ausgaben für die Gesundheitsversorgung nur eine, noch dazu virtuelle, Marginalität. Virtuell vor allem deswegen, weil es im gleichen Zeitraum statt echter Einsparungen Mehrausgaben von 42 Mrd.€ geben wird. Es geht auch nicht darum, dass dieses Mal – wie jedes Mal – geheim verhandelt wurde. Nein, es geht darum dass durch die Reform Länder und Kassen, endlich gemeinsam und nicht gegeneinander arbeiten wollen. Das heißt aber, dass die streng geheimen Mauscheleien und Tauscheleien zwischen Ärztekammern und Kassen ein Ende finden werden.

Und das passt nicht zum anachronistischen Selbstverständnis der Ärztekammer, die ihre Macht nur darin vermutet, kollektive Kassenverträge zu verhandeln.

Hätten die Ärztevertreter 2007, aber wenigstens seither, besonnener agiert, Kassen und Länder hätten weniger Chancen aber auch Notwendigkeit  für so eine Reform. Doch anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, hat sich die Kammer darauf konzentriert, Strukturreformen mit durchsichtiger Polemik im Keim zu ersticken – abgestützt durch ihre gesetzlich gesicherte Verhandlungsmacht, die die Politik jetzt brechen will.

War diese Strategie wenigstens für Ärzte gut? Ganz im Gegenteil. Die Kämmerer werden innerhalb der Ärzteschaft immer weniger ernst genommen, weil brisante Themen rund um den ärztlichen Beruf seit Jahren links liegen. Weder die mangelhafte Ausbildungsqualität im Turnus (es gibt übrigens fast doppelt so viele Turnus– wie Kassenfachärzte!), noch die Tatsache, dass das Ärztearbeitszeitgesetz (es gibt fast sieben Mal so viele Spitals- wie Kassenfachärzte) seit jeher systematisch gebrochen wird, war bislang eine angemessene Reaktion wert; interessant, neben der englischen, war es nur die Österreichische Ärztekammer, die bei der EU Einspruch gegen die Begrenzung der Arbeitszeit auf 48 Stunde pro Woche eingelegt hat.

Lange hat die Kammer darauf gesetzt, dass die aus dem Gesetz erwachsende Macht ewig halten wird. Sei es aus Angst vor der eigenen Qualität, sei es aus anderen irrigen Meinungen heraus, hat sie es nicht geschafft, zu erkennen, was ihre eigentliche Aufgabe ist und woraus sie ihre Macht  entwickeln sollte – aus der Gestaltung der Arbeitssituation aller Ärzte. Ob jetzt die Zeit reicht, das Ruder so herumzuwerfen, um wieder ein echter Partner in der Gesundheitspolitik zu werden, das wird sich zeigen. Für das Gesundheitssystem wäre es wünschenswert.

 

PS.: Falls dem p.t. Leser dieser Artikel bekannt vorkommt, er ist zum überwiegenden Teil einem Rezeptblock aus dem Jahre 2008 entnommen – ein Eigenplagiat! Und Beweis für Trägheit und Unfähigkeit unserer Gesundheitspolitik.