Eine Studie, die keine oder alle Schlüsse zulässt

630.000 Euro für 1400 Seiten, davon 930 in gesundheitsökonomischem Fachenglisch, die unübersetzt blieben.

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   Leichte Kost ist die Studie nicht. Die Rede ist von einer Studie der London School of Economics (LSE) im Auftrag des Sozialministeriums, die    eine Handlungsanleitung zur Reform der Sozialversicherung geben sollte.

Nach der Lektüre einiger hundert Seiten stellt sich das Werk als Zusammenfassung bekannter Lehrmeinungen und Theorien ohne eigene Berechnungen dar – also ein Lehrbuch. Eine Studie, die helfen soll Entscheidungen zu treffen, ist es nicht – nicht nur wegen des Umfangs. Selbst dort, wo es Vorschläge gibt, bleibt es eine Aufzählung von dem, was die Lehre der Gesundheitssystemforschung anzubieten hat. Eine Bewertung der Vorschläge fehlt, womit beliebig gewählt werden kann. Und so verwundert es nicht, dass sich alle auf das sogenannte „Modell 4“ stürzen, das alles so beibehält, wie es ist, und nur durch mehr Risikostrukturausgleich und bessere Koordination durch gemeinsame Servicezentren ergänzt.

Nun, in der Studie (Kapitel 4, Seite 131 ff) klingt das anders.

   Da wird klar, wie mächtig diese gemeinsamen „Servicezentren“ sein müssten; sie übernähmen alle wesentlichen Aufgaben aller Krankenkassen, wie etwa die Verhandlungen mit den Ärztekammern. Es wäre daher eine Art virtuelle Kassenfusion. Zudem müssten alle Kassen all ihr Geld (nicht nur zwei Prozent) in einen Topf werfen, von dem dann, je nach Krankheitsrisiko der Versicherten, mehr oder weniger zurückfließt. Und weil es keine weitreichenden Gesetzesänderungen geben darf (so die Prämisse des Modells 4), muss alles freiwillig sein.

Da aber, wie zu lesen, erhebliche Rechtsrisiken blieben, etwa, dass die Beamtenversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen bei so einem Risikostrukturausgleich nicht mitmachen könnte, schlägt man Minischritte vor, an deren Ende die derzeitige Verfassung umgangen werden kann. Damit das funktioniert, soll der Staat mit Steuergeld in den Risikoausgleich einsteigen, freilich ohne mehr Mitspracherecht in der Selbstverwaltung zu erhalten.

Nach Schätzungen würde das etwa 1,2 Milliarden Euro ausmachen, die in höhere Arzthonorare (eine Steigerung um ein Drittel zu heute) fließen müssten. Das ist schwieriger umzusetzen als eine Verfassungsänderung, die in den Modellen 1 bis 3 notwendig wäre. Aber das macht nichts, kaum jemand kann so gut Englisch, dass er gesundheitsökonomische Fachliteratur lesen kann. Und weil dieses Werk so dick und unübersichtlich ist, werden selbst die, die es könnten, nicht monatelang darüber brüten. Die, die es tun, werden es tun, um herauszulesen, was für die eigene Institution passt. Und weil niemand nachlesen kann/will/wird, kommen die damit locker durch.

Und so hören wir, dass „die LSE-Studie der bestehenden Struktur der Sozialversicherungen ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt hat“, auch wenn dort steht, dass „davon ausgegangen werden muss, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre“.

   P.S.: Erschreckend ist die Fehlerquote. Bei einer monatelangen Verzögerung und einem Preis von etwa 500 Euro pro Seite könnte man ein Lektorat erwarten – oder wurde noch ganz schnell umgeschrieben?

„Wiener Zeitung“ Nr. 169 vom 31.08.2017  

Schelling, Stöger, Oberhauser – zwei Nachrufe und ein Vorruf

  

Selten, dass an der Spitze der Gesundheitspolitik dermaßen viel Bewegung ist. Doch was bringen diese Personalrochaden?

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   Hans Jörg Schelling: Politisch verkauft wird er als Kassen-Sanierer. Betrachtet man die Zahlen genauer, stellt man fest, dass der Schuldenabbau wohl weniger sein Verdienst war. Es waren eher die durch Patentabläufe relativ gesunken Medikamentenpreise, in früheren Jahren DIE Kostentreiber, und die Steuerzahler, die erhebliche Mittel in die Kassen zahlten. Die Kassen wurden also nicht durch eigene Kraft oder Umstrukturierungen „saniert“, sondern durch geldwerte Segnungen von außen.

   Allerdings hat Schelling etwas sehr viel Wichtigeres geschafft. Unter seiner Führung wurde das Denken des Hauptverbandes weg vom reinen Verwalter hin zum Gestalter des Gesundheitssystems geändert. Der Hauptverband ist heute im Denken viel moderner. Er fühlt sich stärker als Versorger denn als Dachverband von Krankenkassen, die mit Ärztekammern verhandeln. Dieses „gestalten statt verwalten“ diffundiert langsam auch in die vielen Kassen hinein – und das nicht ohne Konflikte, vor allem mit Ärztekammern und Ländern. Ob dieser Weg fortgesetzt wird, jetzt, wo Schelling fort ist, und die Konflikte größer werden, ist ungewiss. Ein Rückfall in die selbstgefällige Verwaltung ist durchaus realistisch,

   Alois Stöger: Er verlässt nach neun Jahren die Gesundheitspolitik – länger war er nicht dabei! Auch wenn gerne behauptet wird, Stöger wurde wegen seiner Erfahrung Gesundheitsminister; wer genau schaut, sieht, er kam über die Gewerkschaft erst 2005 als Obmann der OÖ-GKK in das Gesundheitssystem. Und dort erntete er im Grunde das, was sein Vorgänger gesät hatte. Nur drei Jahre später war er dann Minister. Auch dort wird ihm sehr viel zugesprochen – aber auch das hält nicht stand. So wie viele seiner Vorgänger hat auch er nur papierene Reformen hinterlassen, die noch lange nicht leben. Wer beispielsweise die Landes-Zielsteuerungsverträge, Kernstücke der Gesundheitsreform, analysiert, erkennt, dass seine Reform, wie alle davor, an Ländern und Kassen zerschellt.

   Sabine Oberhauser: Ich habe natürlich genau hingehört, was die neue Gesundheitsministerin sagt, denn sie spricht exzellent. Wer Nietzsche liest, so sagt man, sollte es zwei Mal tun, denn seine mächtige Sprache lenkt beim ersten Mal lesen von den oft nur dünnen Gedanken ab, die man dann beim zweiten Mal klar erkennt.

   Und so ist es wohl auch hier. Rhetorisch (glatt) geschliffen und überzeugend erklärt die neue Ministerin eigentlich nur, dass sie keine weiteren Reformen wünscht, schon gar nicht Strukturreformen. Sie will den Weg ihres Vorgängers am grünen Tisch fortsetzen – dessen Reformen bilden aber eher Sackgassen, weil es keine Strukturreform gibt. Aber dort, wo es möglicherweise opportun scheint, ist ihr ein Aufweichen des Kurses möglich – vor allem bei der Elga, hier darf es ruhig noch ein bisschen länger dauern.

   Dafür will sie beim Nicht-Raucher-Schutz, bei all den Problemen, die unser Gesundheitssystem hat, nicht das drängendste, aktiv werden: Ein totales Rauchverbot in der Gastronomie soll zu einem „Zeitpunkt fixieren werden, der in der Zukunft zu finden ist“.

„Wiener Zeitung“ Nr. 173 vom 05.09.2014  

Was ist wichtiger: Zahnspangen oder Kinder-Rehabilitation?

Eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitspolitik ist, zu entscheiden, wem welche Ressourcen zur Verfügung stehen – also Prioritäten zu setzen.

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   80 Millionen Euro, so schätzt das Gesundheitsministerium, wird es kosten, alle Kinder mit Gratis-Zahnspangen zu versorgen. Aber natürlich auch nur, wenn es gelingt, den erwünschten Preisverfall bei den Verhandlungen mit den freiberuflichen Zahnärzten zu erreichen. Das Geld für diese Zahnspangen stellt der Bund den Krankenkassen zur Verfügung (also eine Sonderfinanzierung). Profitieren sollen davon 85.000 Kinder.

   Der Grund, warum diese Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, wird fallweise medizinisch (Folgeschäden und -kosten bei schiefen Zähnen), aber meist sozialpolitisch argumentiert; durch diese Ressourcen soll die „soziale Stigmatisierung unserer Kinder“ beendet werden.

   Nun, es ist in manchen Kreisen löblich, mit Gesundheitsausgaben Sozialpolitik zu betreiben, wie wenn es auch für die vorliegende Problematik in Österreich kaum Hinweise gibt, dass durch die derzeitige kieferorthopädische Versorgung eine soziale Stigmatisierung stattfindet. In anderen, europaweit betrachtet deutlich größeren Kreisen, geht es bei der Entscheidung, wer welche Ressourcen erhält, doch meistens um den Patientennutzen. Und da stellt sich schon die Frage, ob diese 80 Millionen nicht besser verwendet werden könnten?

   Was könnte man sich sonst noch so um diesen Betrag leisten? Das von Minister Alois Stöger und Vorgängern versprochene bedarfsorientierte Angebot stationärer Kinderrehabilitation für schulpflichtige Kinder würde jährlich etwa 18 Millionen kosten. Werden, wie ebenfalls schon länger versprochen, die ambulanten therapeutischen Angebote (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädische Therapie sowie Psychotherapie) ausreichend und ohne Selbstbehalt zur Verfügung gestellt, würde das jährlich etwa 40 Millionen Euro kosten. Von so einem Angebot würden jährlich etwa 70.000 Kinder profitieren. Und damit die Zuweisung zu den rehabilitativen Angeboten auch gut funktioniert, könnte man die Zahl der Kassenkinderärzte um ein Drittel erhöhen, was noch einmal 25 Millionen kostet.

   Macht zusammen 83 Millionen Euro, die ausschließlich in die Kinderversorgung – einem Schwerpunktthema, wie Minister Alois Stöger unter Verweis auf seinen Kindergesundheitsdialog nicht müde wird zu betonen – investiert würden. Die Frage ist, würden diese Maßnahmen einen höheren Patientennutzen erzeugen als die Gratis-Zahnspangen?

   Nun, dass wissen wir in Österreich offiziell natürlich nicht. Nicht, dass das nicht irgendwer ausrechnen könnte, nein, es ist schlicht für die Entscheidung, wo denn die Ressourcen hinfließen irrelevant. Selbst die Aufrechnung solcher Dinge gilt als unmoralisch, da man doch Patientengruppen nicht gegeneinander ausspielen darf. Leider aber sind Ressourcen, auch wenn es viele nicht hören wollen, real immer knapp. Die Entscheidung, wer welche kriegt, ist nun einmal zu stellen. In einem öffentlichen Gesundheitswesen werden diese Ressourcenallokationsfragen von der Politik beantwortet – und wie es aussieht, ist dort der Fang von Wählerstimmern wichtiger als der Patientennutzen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 056 vom 20.03.2014  

Zahnspangen, frische Gratis-Zahnspangen!

Schon ziemlich verwirrend, was sich da rund um die Gratis-Zahnspangen  so tut. Die Gratis-Mundhygiene fehlt leider.

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  Begonnen hat alles im September 2013, wenige Wochen vor der Nationalratswahl, als Gesundheitsminister Alois Stöger, gemeinsam mit dem SPÖ-Bundesgeschäftsführer und einem prominenten Professor für Innere Medizin verkündete, alle Zahnspangen und zahnärztliche Mundhygiene werden gratis. Mangels Geld wurden nach den Wahlen die Mundhygiene gestrichen und die Zahl der Gratis-Spangenträger reduziert – klassisches Vorher/ Nachher!

   Stögers wesentliche Argumente für Gratis-Spangen: „Für uns zählt nicht die Kreditkarte, sondern die E-Card.“ Und gleich noch klassenkämpferisch: „Ich möchte nicht, dass man am Gebiss des Kindes das Einkommen der Eltern ablesen kann.“

   Spannend, denkt man, und so sozial, schließlich ist es wirklich nicht einzusehen, dass die Reichen mit geraden, die Armen mit schiefen Zähnen durchs Leben gehen.

   Doch ist das so? 2008 wurden die 18-Jährigen untersucht. 94 Prozent hatten mindestens eine kieferorthopädische Untersuchung, 52 Prozent haben oder hatten eine entsprechende Behandlung – also praktisch alle, die eine Zahnspange nötig hatten, hatten auch eine. Es ist definitiv nicht so, dass nur Kinder reicher Eltern gerade Zähne haben.

   Es gibt festsitzende oder abnehmbare Spangen. Die festsitzenden kosten die Eltern für die Dauer der Behandlung pro Monat etwa 125 Euro Selbstbehalt (Kassen zahlen 30 Euro), die abnehmbaren nur 35 Euro (Kassenbeitrag 35 Euro) – ein offenbar für alle sozioökonomischen Schichten erschwinglicher und nicht diskriminierender Betrag.

   Für festsitzende Spangen ist gute Zahnhygiene unabdingbar – also sind sie nur möglich, wo sich der Zahnarzt auf entsprechende Zahnpflege verlassen kann. Bei den abnehmbaren ist das nicht so heikel. Karies wegen mangelnder Zahnhygiene ist jedoch mit dem sozioökonomischen Status der Eltern assoziiert – heißt, vor allem Kinder aus schwachen Familien kommen seltener für festsitzende Spangen infrage.

   Was heißt es nun, wenn alle Spangen gratis werden? Ganz klar: Statt jenen Bevölkerungsschichten zu helfen, bessere Zähne zu bekommen, die es brauchen (es geht eben nicht um schiefe Zähne, sondern um Karies, also Mundhygiene, die nicht gratis sein wird), werden vor allem jene unterstützt, die heute bereits die gesünderen Zähne haben und es sich zudem leisten können, den hohen Selbstbehalt für festsitzende Spangen zu bezahlen.

   Was bleibt von dem ministeriellen Wunsch, am Gebiss des Kindes das Einkommen der Eltern nicht ablesen zu können? Nichts!

   Aber vermutlich ging es gar nicht darum, etwas Sinnvolles zu tun. Es ging um klassenkämpferische Töne und ein 6000-Euro-Wahlkampf zuckerl (das kostet in etwa eine festsitzende Spange über drei Jahre).

   Ein 80 Millionen Euro teurer Populismus! Was könnte man damit alles Sinnvolleres anfangen: von regelmäßiger Gratis-Mundhygiene im Mutter-Kind-Pass bis hin zur vollen Ausfinanzierung der Lehrpraxis der Allgemeinmediziner und noch einiges mehr. Aber diese Themen sind eben keine Wahlkampfzuckerl. Und sie sind nicht klassenkämpferisch verkaufbar.

„Wiener Zeitung“ Nr. 037 vom 21.02.2014

Ärzteausbildung – Stögers Sündenfall

Alle wissen es: Die Ausbildung für Jungärzte – Turnus genannt – ist schlecht. Turnusärzte sind Systemerhalter, mehr nicht. Und das soll sich nicht ändern.

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   Weil der Lohn der Turnusärzte pro Arbeitsstunde unter der einer diplomierten Pflegekraft liegt, kommt kein Spital mehr ohne sie aus. Gleichzeitig sind Turnusärzte aber der Nachwuchs für Hausärzte. Und wie ebenfalls alle wissen, wollen immer weniger nach ihrer „Ausbildungszeit“ im Spital in eine Hausarztordination wechseln. Kein Wunder, ist die Welt dort doch komplett anders: andere Krankheiten, keine teuren, jederzeit bereit stehenden Diagnosegeräte, keine ärztlichen Kollegen, die man fragen kann, und das Ganze als selbständiger Unternehmer!

   Um Schwellenängste zu verringern, ist es international üblich, während des Studiums mehrwöchige Praktika in einer Hausarztordination vorzuschreiben und nach dem Studium einen Großteil seiner Ausbildung dort zu absolvieren. Aber was gelten schon internationale Erkenntnisse.

   Bei uns gilt es nicht, einem Haus ärztemangel zu begegnen, sondern Spitäler zu retten, die wegen zunehmender Emigration der Jungärzte immer schwerer Turnusärzte finden. Daher wird deren Ausbildung reformiert.

   Es beginnt mit einer gemeinsamen Ausbildung aller Jungärzte. Ein neun Monate langer „common trunk“ im Spital in den Fächern Chirurgie und Innere Medizin – also jenen Fächern, die am dringendsten billige, ärztliche Arbeitskräfte brauchen. Eine Approbation – also das Recht, sich niederzulassen und als Arzt zu arbeiten – wird es danach nicht geben. Auch das ist eine internationale Besonderheit. Aber schließlich brauchen wir die Turnusärzte in den Spitälern!

   Nach dem „common trunk“ folgen verpflichtend 33 Monate in den verschiedenen Fächern, auch hier wieder Chirurgie und Inneren Medizin. Immerhin, bis zu 6 Monate davon darf man in einer Lehrpraxis absolvieren. Darf wohlgemerkt, denn kaum ein Turnusarzt wird eine Lehrpraxis finden – diese gibt es praktisch nicht mehr, seit die Ärztekammer das Mindestgehalt der „Lehrpraktikanten“ kollektiv geregelt hat und niemand für deren Ausbildung bezahlen will.

   Fazit: Die Ausbildung dauert nun mindestens 42 statt 36 Monate, und man kann Hausarzt werden, ohne eine Hausarztordination gesehen zu haben.

   Und um ganz sicher zu gehen, dass genug Turnusärzte zur Verfügung stehen, wird man als Allgemeinmediziner auch kein Facharzt; international ebenfalls ungewöhnlich.

   Die Forderung, Facharzt werden zu können, hat weniger mit Titelgeilheit zu tun als mit der gesetzlichen Lage. Während jedes Spital so viele Allgemeinmediziner „ausbilden“ darf, wie es will/braucht, ist jede einzelne Facharztausbildungsstelle separat zu bewilligen – von der Ärztekammer; das kommt sicher nicht in Frage.

   Und so wird Minister Alois Stöger eine Reform verordnen, die, auch wenn anders verkauft, schlicht Länder befriedigt. Er wird das Hausärztesterben beschleunigen, aber die Spitäler glücklich machen. Da ist es wenig interessant, dass eine Studie errechnet, dass 4000 vorzeitige Todesfälle vermieden werden könnten, wenn die Zahl der Hausärzte um 20 Prozent höher wäre. Tote können nicht wählen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 117 vom 18.06.2013  

Ein überraschtes WIFO und ein tauber Minister

Prof. Aiginger vom WIFO und Minister Stöger lesen den Rezeptblock nicht. Sonst wäre in der letzten Woche etwas anderes zu hören gewesen.

Prof. Aiginger war nämlich überrascht, als er erfuhr, dass unser Gesundheitssystem zwar das zweit teuerste im Euro-Raum ist, aber gemessen an den zu erwartenden gesunden Lebensjahren, dem eigentlichen Ziel des Systems, so gut wie jedes Land besser ist, obwohl genau das vor zwei Monaten an dieser Stelle stand.

Dass Minister Stöger, als Verteidiger des „besten Systems“, diese Kolumne nicht liest, war zu erwarten. Dass er aber auch dem Aiginger nur mehr selektiv zuhört? Nicht anders ist jedoch seine Reaktion zu erklären, die die Fantasielosigkeit der letzten Jahrzehnte aufweist: „Da brauchen wir mehr Mittel.“ Um was zu erreichen? Das teuerste zu werden?

Auch der Minister sollte endlich lernen, dass wir nicht mehr Mittel brauchen, sondern er damit anfangen muss, diese vernünftig auf Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege und Palliativversorgung aufzuteilen, statt ständig nur über Krankenkassen und Spitäler zu reden, oder irgendwelche Dialoge einzurichten.

Hier eine Nachhilfe für die Prävention.

Der Mutter-Kind-Pass ist wohl das erfolgreichste Präventionsprogramm hierzulande. Es kostet etwa 60 Millionen Euro. Weil es funktioniert, würde es vielleicht auch bei Erwachsenen funktionieren. Schließlich ist Eigenverantwortung diesem Land fremd und Papa Staat für fast alles zuständig.

Wie machen wir es: Der Hauptverband überweist den Spitälern 200 Millionen (etwa zwei Prozent der Gesamtkosten) weniger. Mit diesem Geld finanziert er eine komplette neue Vorsorgeschiene beim Hausarzt.

Alle Österreicher zwischen 35 und 60 erhalten, wenn sie zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung gehen, 100 Euro bar. In dieser Untersuchung werden mit dem Patienten individuelle, aber wissenschaftlich abgesicherte, Ziele vereinbart (Abnehmen, Rauchen aufhören, mehr Bewegung etc.). Erreicht der Patient diese Ziele, erhält er zusätzlich 100 Euro – macht 200 Euro.

Über 60 wird es ein bisschen brenzliger: dort werden dem, der nicht hingeht, 300 Euro (pro Jahr!) von der (Brutto)Pension abgezogen – analog dem einbehaltenen Kinderbetreuungsgeld, wenn Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht wahrgenommen werden. Was für Familien in viel höheren Dimensionen erlaubt ist, kann bei Pensionisten nicht unmenschlich sein! Erreicht ein Pensionist seine Ziele, gibt es auch 100 Euro bar.

Rechnet man mit 50 Prozent Teilnahme bei den unter 60-jährigen und mit 80 Prozent bei Pensionisten, einer Zielerreichung bei der Hälfte, stellt die jetzige Vorsorgeuntersuchung ein und widmet die einbehaltenen Pensionsanteile dem neuen Programm, dann ist das alles um 200 Millionen zu haben, die den Spitälern nicht wirklich abgehen können.

Die Hausärzte würden um etwa 240 Millionen mehr Umsatz machen, was deren Job deutlich attraktiver macht und ihre Rolle enorm steigern würde. Es ist übrigens Schwachsinn, Prävention – wie in einigen Bundesländern angedacht – ins Spital zu ziehen. Die gehört zum wohnortnahen Hausarzt (eigentlich zu sogenannten Primärversorger, der unter Umständen auch ein Facharzt sein kann!) und sonst nirgendwo hin.

Der Vorschlag ist zwar vermutlich nicht wirklich effizient, aber es würden sicher einige Effekte, eine begleitende Versorgungsforschung vorausgesetzt, auftreten, auf denen man aufbauen kann – und zwar nachhaltig und ganz ohne Überraschungen!

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein durch und durch ländlicher Reformvorschlag

Es ist beeindruckend und erschreckend, die „Realverfassung“ arbeiten und den, jegliche Entwicklung unterdrückenden, Provinzialismus herrschen zu sehen.

Wegen zu Guttenberg kaum beachtet, wurde das Jungendwohlfahrtsgesetz geändert. Anlass war nicht der Wunsch nach Verbesserung; nein, man musste was tun, weil unter den Augen der zuständigen Landesbehörden, die offenbar das Risiko falsch eingeschätzt hatten, mehrere Kinder zu Tode geprügelt wurden. Wesentlichste Änderung nun ist die Einführung eines Vier-Augen-Prinzips bei der Risikoeinschätzung. Diese Maßnahme könnte nicht nur Kinderleben retten sondern auch viel Leid und Tränen ersparen – aber sie kostet etwas: etwa 4 Millionen Euro für ganz Österreich!

4 Millionen! Die müssten bei den etwa 120.000 Millionen Euro, die uns die öffentlichen Hände jedes Jahr wegnehmen, einfach in der statistischen Unschärfe verschwinden. Jeder Mensch würde ohne Zögern ja sagen; aber, Landespolitiker sind anders: Wenn der Bund Kinder retten will (offenbar wollen Landespolitiker das nicht!), dann soll er das zahlen.

Deswegen haben sie – bestens organisiert in der Landeshauptleutekonferenz, einem nicht legitimiertem Kartell – schlicht Nein gesagt.

Man muss wissen, dass das Jungendwohlfahrtsgesetz, ähnlich dem Krankenanstaltengesetz, in der Ausführung Ländersache ist. Der Bund gibt den Rahmen vor und die Länder, über eigene Gesetze, die Umsetzung. Und da sie mit der Ausführungsgesetzgebung auch die Sanktionen bei Nicht-Einhaltung festlegen dürfen, ist klar, wenn sie nicht wollen, passiert wirklich nichts – Gesetz hin oder her! Und obwohl es für die einzelnen Länder hier nur um wenige hunderttausend Euro gegangen wäre, bezahlen wird es am Ende der Bund! Ohne dass es eine Garantie auf Umsetzung gäbe und das Geld nicht wie bei den Lehrern irgendwo verschwindet.

Jetzt geht es um die Spitalsreform und dabei nicht nur um vier, sondern um Hunderte Millionen Euro, die die Länder nicht haben, aber brauchen, wollen sie ihre Spitäler (eigentlich nur Einrichtungen, um über Ressourcen und Macht zu bestimmen) nicht verlieren. Und da die Länder bereits bewiesen haben, ohne jegliches Gewissen zu handeln, wenn nicht einmal geprügelte Kinder ihr Herz rühren, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie hier auch nur einen Fingerbreit nachgeben!

Daher sehe ich schwarz! Ganz abgesehen, dass die Gesundheitsreform schon wieder sinnlos fragmentiert und geldlastig diskutiert wird (Kassensanierung, Spitalsfinanzierung, Pflegefonds – grauenhaft), ist wohl außer zusätzlichem (Bundessteuer)Geld für die Länder nichts mehr möglich. Denn genau das, gut verklausuliert unter blendenden Absichten und nach Zugeständnissen klingenden Worten, bedeutet der Reformvorschlag, den die Länder letzten Freitag beschlossen haben.

Noch wird so getan, als ob es Verhandlungsspielraum gäbe. Immerhin konnte man bis vor kurzem noch hoffen, dass Maastricht helfen würde, den Wahnsinn zu beenden. Denn, wenn Milliarden Euro ausgelagerter und immer weiter wachsender Spitalsschulden ins Budget zurückfallen, sollte das ein Finanzminister – so sehr er am Gängelband familiärer Strukturen und der Realverfassung hängt – nicht ignorieren können. Und dann sind da noch Hans Jörg Schelling vom Hauptverband und Gesundheitsminister Alois Stöger. Beide woll(t)en der ländlichen Macht entgegentreten. Ihnen zur Seite stehen die gesamte Opposition, alle Medien, alle Experten und sogar das Volk.

Doch das reicht nicht! Denn die Kurfürsten der Realverfassung haben anders entschieden – und das kann niemand ändern. Armes Österreich!

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.