EHCI 2012: Europas 17.schlechtestes Gesundheitssystem!

Kritische Betrachtung des Euro Health Consumer Index© 2012

 

 

„Österreich absolviert einen Sturzflug auf der Rangliste des Euro Health Consumer Index (EHCI) 2012, als dieser am 16.5. im Europäischen Parlament in Brüssel vorgestellt wurde. […] Österreich erhielt 737 Punkte und fällt damit von Rang 4 (2009) (Anm. 2007 Rang 1) auf Rang 11. […] Österreich stellt seine Ärzte noch immer höher als seine Patienten. Das System ist weder transparent noch benutzerfreundlich. Österreich zeigt überraschende Schwächen bei grundlegenden öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen wie Kinderimpfungen oder Mammographien. Die Diagnosen sind mittelmäßig. Die Inanspruchnahme von E-Health erfolgt nur langsam und das kann die Patientensicherheit und -transparenz gefährden. […] Der Leistungseinbruch im Gesundheitssystem ist alarmierend und Brüssel sollte sich, in Anbetracht der Tatsache, dass sich die EU die Reduzierung der Lücken im Gesundheitssystem zum Ziel gesetzt hat, darüber Gedanken machen!“

 

Schmeichelhaft sind sie nicht die Aussagen, die im EHCI© 2012 über Österreich stehen.

 

Nun, der EHCI© war nie ein wissenschaftlicher Maßstab für die Systemqualität und er ist es heute auch nicht. Gesundheitssystem-Forschung geht einfach anders! Es gab zwar im Laufe der Jahre (seit 2007 sind mehrere Indices veröffentlicht worden) methodisch massiv Verbesserungen (die Daten werden besser recherchiert, Aussagen von nationalen Autoritäten werden nicht mehr unbedingt als bare Münze genommen etc.), aber der Index bleibt unsicher und misst wohl nicht wirklich das, was er messen will. Auch die Autoren dieses Werkes betonen immer  wieder, das der Index gar nicht wissenschaftlich sein will und nicht zu einfachen Schlüssen führen darf.

Zudem ist der Index so aufgesetzt, dass er nur Relativwerte wider gibt; man kann also einfach deswegen schlechter werden, weil die anderen sich verbessern! Die Grundsätzliche Idee ist,  Anregung zur Verbesserung zu liefern! – Eine  Botschaft, die bei uns nie angekommen ist!

 

Der EHCI© 2012 besteht aus fünf Untereinheiten, die ihrerseits durch mehrere Indikatoren definiert werden. Insgesamt gibt es 43 Indikatoren, für jeden werden (willkürlich) Referenzwerte festgelegt, die eine Einteilung in die „Qualitäten“ rot, gelb und grün ermöglicht. Zudem gibt es auch ein Punktesystem, bei dem maximal 1000 Punkte erreicht werden können.

Im Wesentlichen werden die Indikatoren aus mehr oder weniger leicht zugänglichen Daten (einer Mischung aus offiziellen Statistiken, publizierten Studien und Befragungen von nationalen Funktionären) gebildet und so zusammengestellt, dass sie geeignet scheinen, Aussagen über die Patientenfreundlichkeit eines Gesundheitssystem zu treffen.

 

Wir haben in Summe 737/1000 Punkten erreicht und landen damit auf Platz 11. Wie die unten stehende Analyse zeigt, sind auch diesmal viele Angaben falsch, besonders dort, wo sich die Autoren auf Befragungen von Funktionären verlassen müssen. Eine Neubewertung, die auf Fakten und nicht politischen Wunschvorstellungen beruht, führt zu einem Abzug von 71 Punkten, womit wir statt den ausgewiesenen 737/1000 Punkten nur 666 erreichen und damit auf Platz 17 (nach Deutschland mit 704 und Tschechien mit 694)) von 34 landen dürften (sofern bei den anderen Ländern nicht ebensolche Fehler zu finden sind!).

 

Der EHCI 2012 wurde übrigens mit unbegrenzten Fördergeldern von EFPIA (europäischer Dachverband der nationalen Verbände forschender Pharmaunternehmen und einzelner Pharmaunternehmen), Pfizer Inc., Novartis SA und Medicover SA unterstützt.

 

 

Hintergrund: Detail-Analyse

 

Die Studie findet man unter www.healthpowerhouse.com.

 

 

Der EHCI© 2012  besteht aus fünf Untereinheiten:

I.      Patientenrechte und Patienteninformation,

II.     Zugang / Wartezeiten für Behandlungen,

III.     Outcomes (Ergebnisqualität)

IV.    Vorsorge, Vielfalt und Umfang der angebotenen Leistungen

V.      Pharmazeutika

 

Jede Untereinheit wird durch mehrere Indikatoren definiert. Insgesamt gibt es 42 solcher Indikatoren. Für jeden Indikator werden (willkürlich) Referenzwerte festgelegt, die eine Einteilung in „Qualitäten“ rot, gelb grün ermöglicht. Zudem gibt es Punkte, die dann – über verschiedene Rechenwege und Gewichtungen – so addiert werden, dass man maximal 1000 Punkte erreichen kann.

 

Im Folgenden werden nur jene Untereinheiten diskutiert, die meiner Meinung nach falsch bewertet wurden.

 

Untereinheit „Patientenrechte und -information“, zwölf Indikatoren – am Ende steht die gegebene Bewertung für Österreich

 

(1)               Gesundheitssystemgesetzgebung basiert auf Patientenrechten  – grün

(2)               Patientenorganisationen sind in Entscheidungsprozesse involviert – grün

(3)               Entschädigung (Versicherung) bei unverschuldeten Schadensfällen  – grün

(4)               Recht auf Zweit-Meinung – grün

(5)               Zugang zur eigenen Krankengeschichte – grün

(6)               Qualitätsgesicherte Liste ärztlicher Dienstleister inklusive deren Qualifikation – grün

(7)               24Stunden/7Tage medizinisch/ärztliche Beratung vie Telefon oder Internet – gelb

(8)               Finanzierung bei Behandlungen im EU-Ausland – gelb

(9)               Qualitätsranglisten für Gesundheitsdienstleister- gelb

(10)           Verwendung einer elektronischen Patientenakte beim Hausarzt- gelb

(11)           Online-Termin-Vergabe/Buchung- rot

(12)           Elektronisches Rezept- gelb

 

 

 

Ad (1) Gesundheitssystemgesetzgebung basiert auf Patientenrechten – grün

Grün würde bedeuten, dass unsere Gesetzgebung ausdrücklich auf den Patientenrechten aufbaut. Patientenrechte sind nur sehr schwach verankert, keinesfalls aber Grundlage für die Gesetzgebung. Umso mehr, als diese, wenn überhaupt berücksichtigt nur in den Spitälern Gültigkeit hätten. Mit ist nicht bekannt, dass im ASVG Patientenrechte verankert wurden. Selbst bei den Patienten-Chartas, die in einzelnen Bundesländern bestehen, sind diese meist nur unverbindlich. Als Quelle für diese Bewertungen wurden mehrere Internetlinks angegeben, u.a. auch http://europatientrights.eu/ . Dort ist nachzulesen, dass wir jedenfalls internationale Patientenrechte weder unterschrieben, noch ratifiziert haben. Jedenfalls, der Versuch die Bewertung aus den angegebenen Quellen abzuleiten glückte nicht. Aus Innensicht würde wohl eine gelbe Bewertung eher passen.

 

Ad (2) Patientenorganisationen sind in Entscheidungsprozesse involviert – grün

Grün würde bedeuten, dass Patientenorganisationen in allen Entscheidungsprozessen eingebunden ist. Die Patientenanwaltschaft ist in vielen Gesundheitsplattformen stimmberechtigt, sie sind in vielen Kommissionen vertreten und werden in vielen Entscheidungsprozessen gehört. Aber eben nicht in allen, vor allem im Kassenbereich sind Patientenorganisationen eher unbekannt, und natürlich bei den wirklich großen Entscheidungen, da finden sich ausschließlich Regierung Länder und Sozialpartner zusammen. Patienten (wie auch Ärzte) sind da nicht gefragt. Also wäre gelb eher gerechtfertigt.

 

Ad (4) Recht auf Zweit-Meinung – grün

Grün meint  ein uneingeschränktes Recht, dass auch gelebt wird. Ein solches Recht ist im österreichischen Sozialversicherungssystem nicht vorgesehen. Um eine Zweit-Meinung zu erhalten kann man zwar einfach zwei Mal zu unterschiedlichen Ärzte gehen und sich so zwei mal untersuchen und therapieren lassen – also „Ärzte-Hopping“ betreiben. Das hat aber gar nichts mit dem Prinzip einer Zweit-Meinung zu tun. Bei genauerer Recherche oder wenigstens einem Interview mit einem unabhängigen (unpolitischen) Rechtsexperten wäre ein anderes Ergebnis herausgekommen, nämlich rot.

 

Ad (5) Zugang zur eigenen Krankengeschichte – grün

Grün heißt, seine Krankengeschichte einfach bei seinem Arzt über Nachfragen zu erhalten. Jeder der schon einmal versucht hat seine Krankengeschichte – und zwar die vollständige – einzusehen, weiß, dass es wenigstens als schwer einzustufen ist. Rot würde bedeuten, dass es nicht einmal ein Recht dazu gäbe – soweit sind wir nicht, aber über gelb kommen wir sicher nicht drüber.

 

Ad (7) 24Stunden/7Tage medizinisch/ärztliche Beratung vie Telefon oder Internet – gelb

Gelb meint, dass es zwar generell verfügbar ist, aber schlecht vermarktet wird. Das ist interessant, schließlich war der Indikator 2007 noch rot, was eben bedeutet, dass es dieses Möglichkeit nicht oder nur sporadisch gibt.. Hab ich da was versäumt? Nein! Er bleibt rot.

 

Ad(8) Finanzierung bei Behandlungen im EU-Ausland – gelb

Gelb bedeutet, dass Patienten, wenn sie es vorher anmelden, sich ohne weiter Probleme im EU-Ausland behandeln lassen können. Das ist in Österreich unzulässig. Eine Behandlung wird nur genehmigt, wenn der Patient nachweisen kann, dass die gewünschte (und natürlich auch notwendige)  Behandlung in Österreich nicht angeboten werden kann. Sowohl über die Notwendigkeit als auch das Angebot wird von der zuständigen Kasse beurteilt, die sich auch das Recht herausnimmt, alternative Behandlungsmethoden als ausreichend zu bewerten. Und genau dieses Vorgehen wird im EHCI 2012 als rot qualifiziert.

 

Ad (9) Qualitätsranglisten für Gesundheitsdienstleister – gelb

Gelb bedeutet, dass es solche Ranglisten in einem gewissen Ausmaß und nur regional gibt. Tja, wenn damit die Listen von „News“ gemeint sind, dann stimmt gelb wohl, aber rot ist wohl richtiger!

 

Ad (12) Elektronisches Rezept –  gelb

Gelb bedeutet, dass das E-Rezept bereits pilotiert wird und der deklarierte politische Wunsch besteht, dieses Landesweit umzusetzen. Wer die Diskussion über ELGA kennt und weiß, dass die Apotheken noch nicht einmal an der E-Card teilnehmen, dann kann man ahnen, wie rot der Indikator noch ist! (was bedeutet, dass es nur ein politisches Bekenntnis gibt das irgendwanneinmal umzusetzen)

 

 

Untereinheit „Zugang / Wartezeiten“, fünf Indikatoren

 

(1)   Hausarzttermin am selben Tag – gelb

(2)   Direkter Zugang zum Facharzt – grün

(3)   Wartezeit auf große, elektive Operationen <90 Tage – gelb

(4)   Wartezeit auf Krebstherapie <21 Tage – grün

(5)   Wartezeit auf CT <7 Tage – grün

 

 

Ad (5) Wartezeit auf CT <7 Tage – grün

Grün wäre eine Wartezeit auf NICHT-akute CT-Untersuchungen von üblicherweise weniger als 7 Tage. Das gilt wohl allerhöchstens für stationäre Patienten. Die andern warten Wochen. Gelb bedeutet unter, rot über drei Wochen Wartezeit. Transparenz besteht hier nicht, aber unter Gelb sollte man eher von Wunschdenken ausgehen.

 

 

Untereinheit „Outcomes (Ergebnisqualität)“ – 8 Untereinheiten

 

(1)   Herzinfarktsterblichkeit – gelb

(2)   Säuglingssterblichkeit – grün

(3)   Überlebensrate bei Krebs – gelb)

(4)   Vermeidbare verlorene Lebensjahre – gelb

(5)   MRSA-Infektionen – gelb

(6)   Kaiserschnitt-Rate – rot

(7)   Nicht  diagnostizierte Diabetiker – rot

(8)   Depression – gelb

 

Die Datengrundlage für die Untereinheit waren samt und sonders internationale Datenbanken / Studien. Daher sind die Angaben als richtig zu werten und decken sich dort, wo ich tieferen Einblick habe auch mit meiner Innensicht.

 

 

Untereinheit „Vorsorge, Vielfalt und Umfang der angebotenen Leistungen“ – 10 Untereinheiten

 

(1)   Selbstbehalte – gelb

(2)   Star-OP pro 100.000 EW 65+ – grün

(3)   4fach-Impfung bei Kinder – rot

(4)   Nierentransplantationen pro 1 Mio.EW – grün

(5)   Öffentliche zahnmedizinische Versorgung – grün

(6)   Mammographie-Rate – rot

(7)   Kuvert-Medizin – gelb

(8)   Rauch-Prävention – rot

(9)   Langzeitversorgung im Alter – gelb

(10)                      % an Dialysen, außerhalb des Spitals – rot

 

 

Ad (5) „Öffentliche zahnmedizinische Versorgung“ – grün

Grün würde bedeuten, dass die öffentliche Zahnversorgung finanziell wie jeder andere Bereich behandelt würde. Gelb, wenn mehr als 40% der Kosten durch die öffentliche Hand getragen werden. Ein Blick in die laufenden Gesundheitsausgaben nach SHA 2010 http://www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/gesundheitsausgaben/index.html   zeigt, dass von den 1,4 Mrd.€ im extramuralen Bereich (intramural unbedeutend, max. 35 Mio.€) 700 Mio.€ selbst bezahl wurden. Öffentlich bezahlt werden „nur“ 52%. Damit liegt der Selbstbehalt hier deutlich höher als in den anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung (lt. SHA etwa 23%). Daher kann die Bewertung nur gelb sein!

 

 

Untereinheit „Pharmazeutika“ – 7 Untereinheiten

 

(1)   Prozentuelle Kostenerstattung von verschreibungspflichtigen Medikamenten – gelb

(2)   Laienverständliche Pharmacopoe – grün

(3)   Verbreiterung neuer Krebstherapien – grün

(4)   Zeit zwischen Zulassung und Aufnahme in das Erstattungssystem – gelb

(5)   Verbreitung von Alzheimer-Meidkamenten – grün

(6)   Verbreitung von Schizophrenie-Medikamenten – grün

(7)   Bekanntheitsgrad über die Wirksamkeit von Antibiotika GEGEN Virus – rot

 

Ad (2) Laienverständliche Pharmacopoe – grün

Grün bedeutet, dass von einer objektiven Quelle ein leicht zugängliches, laienverständliches Medikamenten-Lexikon existiert. Sowas existiert nicht, zumindest habe ich es selbst nach einer halben stunde Internetsuche nicht gefunden. Was man eventuell findet, sind Internetseiten, die entsprechende Informationen liefern. Ob diese Informationen qualitätsgesichert sind, bzw. von wem diese Informationen letztlich stammen kann man so nicht herrausfinden. Damit ist mindestens eine gelbe, vielleicht sogar eine rote Bewertung gerechtfertigt.

 

 

Zusammenfassung

11 von 42 Bewertungen halten einer Überprüfung nicht stand und mussten nach unten korrigiert werden. Eine Neubewertung, entsprechend den Rechenregeln und Gewichtungsfaktoren des EHCI 2012 führt zu einem Abzug von 71 Punkten, womit wir statt den ausgewiesenen 737/1000 Punkten nur 666 Punkte erreichen und damit auf Platz 17 (nach Deutschland mit 704, Tschechien mit 694 und der Solvakei mit 675 Punkten) landen dürften (

Wenn allerdings 25% der ausgewählten Indikatoren in Österreich schlicht nicht stimmen, dann stellt sich die Frage, was in anderen Ländern nicht stimmt, weswegen dieser Rang nicht in Stein gemeißelt ist.