Wir werden das Problem nie wieder los – einfach, weil es politisch so probat ist.
Halten wir fest: Etwa 10.000 österreichische Maturanten melden sich pro Jahr für den Medizinaufnahmetest „MedAt“ an, rund 7.500 nehmen tatsächlich teil. Zur Orientierung: Es gibt 20.000 AHS-Maturanten. Kann es sein, dass 7.500 Maturanten dafür brennen, Ärzte zu werden? Selbst in den stärksten Jahren bei freiem Zugang gab es selten mehr als 3.000 Studienanfänger. Warum soll ein Test Berufungen erhöhen?
Die Zahl der Absolventen hat sich übrigens kaum verändert. Der „MedAt“-Tet hat die Drop-out-Quote gesenkt – sonst nichts. Seither haben mehrere Privatunis eröffnet. Und so ist die Zahl aller Anfänger mit mehr als 2.500 höher als zu Zeiten der Ärzteschwemme. Ab etwa 2025 werden wir jährlich mehr als 2.000 Absolventen haben – ein historischer Höchstwert, der 60 Prozent über dem EU-Schnitt liegt.
Weil eine Medizinerausbildung mit etwa 400.000 Euro Steuergeld sehr teuer ist, wurden zwischen 1995 und 2010 regelmäßig Ärztebedarfsstudien erstellt. Jede hat deutlich weniger Ärzte als bedarfsnotwendig ausgewiesen, als es real Ärzte gab, also einen Ärzteüberschuss belegt – die Zeit der Ärzteschwemme.
In den frühen 2000ern wurde gewarnt, wenn die Ausbildungskapazitäten nicht begrenzt würden, werde es tausende arbeitslose Ärzte geben. Damals ging man davon aus, dass es neben dem öffentlichen System, das ja verspricht, dass alle alles auf allerhöchstem Niveau bekommen, und zwar immer, überall und gratis, kein Parallelsystem geben könne. Eine Wahlarztversorgung wie heute schien absurd und keinesfalls erstrebenswert.
Die Ärztekammer war damals die wichtigste Stimme, die vor der Ärzteschwemme warnte: Es sei zynisch, und man müsse nun endlich der laufenden Illusionszerstörung der Jugend ein Ende setzen. Es war die Zeit der taxifahrenden Jungärzte. Doch kammerintern beschäftigte man sich um 2005 mit einer anderen Frage: der Finanzierbarkeit der Wohlfahrtsfonds. Diese Pflichtzusatzpensionsfonds der Ärzte waren damals noch rein umlagefinanziert. Versicherungsmathematische Studien hielten fest, dass entweder Pensionen gekürzt oder Einnahmen erhöht werden müssten. Pensionskürzungen kamen nicht in Frage, die einzige Chance auf höhere Einnahme bestand und besteht aber nur darin, dass immer mehr Ärzte einzahlen.
Um 2005/2006 kippten die Argumente der Ärztekammer von der Ärzteschwemme in den Ärztemangel – plötzlich und ansatzlos. Die Argumente, die 2014 zur Gründung der MedUni in Linz führten, nutzten diese versicherungsmathematischen Studien, interpretierten aber einen drohenden Ärztemangel hinein; mit Erfolg. Doch hat die zusätzliche Uni die Diskussion über den Ärztemangel beendet? Nein!
Noch merkwürdiger ist, dass die Ziele, die in diesen versicherungsmathematischen Studien genannt werden – also wie viele Ärzte zur Finanzierung der Wohlfahrtsfonds benötigt werden – übertroffen werden (2020: 48.000 vs. 45.000), doch auch das ohne Auswirkung auf den postulierten Ärztemangel. Heute arbeiten rechnerisch um 50 Prozent mehr Ärzte am Patienten als im EU-Schnitt. Weil aber wesentliche Player politisch vom Ärztemangel gut leben, wird er uns erhalten bleiben.
„Wiener Zeitung“ vom 27.04.2023