Karriere nach dem Turnus

Skurril, wie man junge Ärzte nach ihrer Ausbildung zum Hausarzt auf die Zukunft vorbereiten will. Da ist wohl noch einiges zu überdenken.

An was denkt man wohl, wenn man Osteopathie, Neuraltherapie, angewandte Kinesiologie, chinesische Diagnostik und Arzneitherapie, anthroposophische Medizin, orthomolekulare Medizin, moderne F. X. Mayr Medizin oder Homotoxikologie hört?

Da fallen mir als Pathologe und geeichten Schulmediziner Dinge ein wie: Alternative Medizin für die, die es sich leisten können und wollen, Firlefanz nach dem Prinzip “Hilft’s net, schad’t’s net“, vollkommen zurecht keine Leistungen auf Krankenschein etc.

Keinesfalls käme ich auf die Idee, darin Karrierechancen für angehende Hausärzte zu sehen, die sich nach einer Krankenhaus- und Gerätemedizin-lastigen Ausbildung mit Fokus auf Blut abnehmen und Infusionen anhängen (man spricht auch gerne und abfällig von Fachärzten für periphere Venepunktion) auf ihre Zukunft vorbereiten sollen. Und doch ist es so.

In einem Folder der Ärztekammer für Wien mit dem Titel „Karriere nach dem Turnus“, werden Turnusärzte eingeladen, sich auf die Zeit danach vorzubereiten. An 15 avisierten Abenden sollen karrierefördernde „Zusatzqualifikationen“ vorgestellt werden, die, neben wenigen vernünftigen Vorschläge wie Geriatrie und Palliativmedizin (dafür ist nur ein Abend reserviert), mit dem Bild des Hausarztes aber auch gar nichts zu tun haben.

Keine Rede von z.B. „Koordination zwischen Leistungserbringern verschiedener Ebenen für chronisch Kranke (Fachärzte, stationärer Bereich, Apotheken, soziale und medizinische Dienste)“ oder „Systematische Primär- und Sekundär- und Tertiärprävention“ oder „Strukturiertes Management der Patientenbetreuung unter Kosten-Nutzenüberlegungen (prä- und poststationäres Management, Voruntersuchung und Vorbereitung für geplante Eingriffe,..)“ oder „Durchführung und Koordination der palliativmedizinischen Betreuung in häuslicher Umgebung und in Pflegeheimen in Kooperation mit anderen Berufsgruppen“ oder „Betreuung und Management von Mehrfacherkrankten“ oder „Problemerkennung und Intervention im Sozialbereich“ oder schlicht die „Hauskrankenbehandlung“ – alles Themen, die nicht nur nach Meinung der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zur Rolle der Hausärzte gehören – und deren Beherrschung karriereförderlich sein sollte!

Für diese Fertigkeiten gibt es aber keine Ärztekammer-Diplome, aber auch keine Ausbildung im Turnus. Diese Qualifikationen müssen wohl angeboren sein, strukturiert erwerben kann man sie nicht.

Andererseits ist es verständlich, dass die Ärztekammer dafür keine Ausbildungsschiene etabliert. Von den etwa 1.000 Ärzten, die jährlich fertig zum Hausarzt ausgebildet werden, haben vielleicht 200 Chancen auf einen Kassenvertrag; wenn sie sich so einen überhaupt selbst zutrauen (was ich nicht würde mit der jetzigen Ausbildung). Einige hundert werden das Glück haben, eine Facharztausbildungsstelle zu ergattern und damit vielleicht auch die Chance in einer sicheren Anstellung zu bleiben oder wenigstens noch eine Galgenfrist rauszuschlagen.

Der Rest – mehrere hundert pro Jahr – werden in den freien Markt gespuckt. Und dort, im kassenfreien Raum, kann man als „Wahl-Hausarzt“ nur überleben, wenn man sich auf Einnahmen konzentriert, die nichts mit Schul- und Kassenmedizin zu tun haben. Gleichzeitig, als nicht unerwünschter Nebeneffekt, werden sich so „zusatzqualifizierten“ Ärzte auch nicht um den Kassenkuchen, der ohnehin schon für die etablierten Kassenärzte kaum mehr reicht, anstellen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Sechs Stunden Wartezimmer

Ärztemangel, zu wenig Geld, Neoliberale – alles ist Schuld am fortschreitenden Versagen des Gesundheitssystems, aber nicht Struktur und Politik! Oder?

Es ist 10:30 Uhr, und er sitzt seit zweieinhalb Stunden im Wartezimmer. In der Früh ist er aufgewacht und hat, zu dem seit einer Woche bestehenden Husten, 39 Grad Fieber bekommen.

Als er endlich drankommt, hat der Arzt vier Minuten Zeit. Dieser hört ihn ab, verschreibt ihm Antibiotika und überweist ihn zur Sicherheit an den Radiologen.

Adresse samt Lageplan des nächsten Röntgeninstituts – eigentlich ein netter Service – hat ihm die Sprechstundenhilfe mit Rezept und Überweisung in die Hand gedrückt.

Beim Radiologen kommt er überraschend schnell dran. Nur zwanzig Minuten nach seinem Eintreffen ist das Röntgen fertig. Allerdings wartet er dann eineinhalb Stunden auf den Befund. Es ist jetzt 14:30 und er ruft beim Hausarzt an, ob er noch vorbei kommen könne. „Nein, heute nicht mehr. Kommen Sie gleich morgen Früh.“

Um 8:00 ist er dort. Als er drankommt, ist es 9:45 Uhr. Der Arzt schaut auf das Röntgen und sagt, dass die Antibiotika schon gut sind, allerdings gefalle ihm das Bild nicht richtig und überweist ihn ohne weiteren Kommentar an einen Lungenfacharzt. Um 9:50 verlässt er die Praxis mit einer neuen Überweisung.

Zuhause angekommen, versucht er einen Termin zu kriegen. Die beiden ersten Lungenfachärzte, die er anruft, teilen mit, dass sie keine Kassenpatienten mehr nehmen können. Erst beim dritten erhält er einen Termin – in drei Wochen! Das nächste Mal, so beschließt er, fährt er gleich in Krankenhaus; da muss man weniger warten, nicht herumfahren und hat seine Diagnose sicher innerhalb von einem Tag!

Was ist denn da los? Wenn man als Patient nach zweit Tagen und 6 Stunden Wartezimmer noch immer seine Diagnose nicht hat, jedenfalls ein Organisationsproblem. Aber es könnte auch ein Ärztemangel vorliegen, wenn man die Wartezeiten ansieht. Doch ist das so?

Betrachtet man die offiziellen Zahlen der OECD, dann haben wir mit 3,7 Ärzte (ohne Zahnärzte) pro 1.000 Einwohner eigentlich gar nicht so wenige Ärzte. Genau genommen sogar viele, da die meisten westeuropäischen Länder weniger haben.

Von den etwa 29.000 fertig ausgebildeten Ärzten arbeiten 12.000 im Krankenhaus. 17.000 sind niedergelassene Ärzte. Von letzteren jedoch haben nur knapp 8.000 einen Kassenvertrag, der Rest sind meist Wahlärzte. Nehmen wir an, 20 Prozent der Bevölkerung kann und will sich den Luxus eines Wahlarztes leisten und rechnen dann auf die Restbevölkerung nur Kassen- und Spitalsärzte. Plötzlich haben wir nur mehr 3 Ärzte pro 1.000 Einwohner. Mit dieser Zahl, landen wir auf den hintersten Rängen, knapp vor Großbritannien und Finnland.

Und schon wird die Sache klar. Uns fehlt es nicht an Ärzten, sondern an Kassenärzten. Noch klarer wird es, wenn wir bemerken, dass die Zahl der Kassenstellen wenigstens seit 1995 (soweit reichen meine Zahlen zurück) unverändert ist, gleichzeitig aber die demographische Veränderung – Stichwort Alterung – immer mehr Ärzte erfordern würde.

Es ist also kein Wunder, dass die Ambulanzen immer voller werden und die Patienten immer schwieriger einen Kassenarzttermin, insbesondere beim Facharzt ergattern können, ja sogar von Kassenärzten abgewiesen werden, auch wenn letzteres meiner Meinung nach nicht korrekt ist.

Und statt sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, was erleben wir tagtäglich? Die Finanzierung der Kassen muss gesichert werden! Nein, Geld ist nicht das Problem, es sind unsere überkommenen Strukturen – die allerdings, will keiner angreifen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der nächste Sündenfall

Jetzt haben wir (k)ein neues Kapitel in der Gesundheitsreform, wieder Einahmenseitiges und wieder ein Stück weiter weg von Demokratie und Kostenwahrheit.

Dass die Kassen neues Geld kriegen, darf nicht verwundern. Standhafte Politiker hat es vermutlich nie gegeben – sie entstammen einer Sagenwelt, wie die Gesundheitsreform. Und folgt man den Aussagen des Gesundheitsministers in Alpbach, dann ist die Reform dort auch gut aufgehoben. Das beste System braucht keine, schon gar keine Strukturreform, nur eine Weiterentwicklung. Dass über eine Kassenreform nachweislich seit den frühen 1960er Jahren diskutiert wird, dürfte an der für Österreich typischen Reformfreudigkeit liegen. Reformen um der Reformen willen, das macht das Land aus!?

So ist auch das Kassenpaket zu sehen. Die kriegen frisches Geld. Der Steueranteil an deren Einnahmen wird über 25 Prozent (weit über 3 Mrd. Euro jährlich) betragen – aber ohne Reform, also mehr Mitspracherecht des Steuerzahlers. Ganz im Gegenteil, demokratisch legitimierte Volksvertreter haben weniger Einfluss denn je! Kassen werden künftig so agieren, wie sie es sich mit der Ärztekammer ausmachen. Die anderen sollen schweigen und zahlen.

Klar wird das neue Geld öffentlichkeitswirksam an Bedingungen geknüpft – man will zeigen, dass dieses Land noch von einer Regierung regiert wird. So müssen die Kassen belegen, dass sie die ominösen 1,7 Mrd. Euro Einsparungen wirklich realisieren. Einmal abgesehen, dass die dahinterstehenden Milchmädchenrechnungen nicht nachvollziehbar sind, erinnert mich das an jene Auflagen, die die Länder 2005 erhalten haben. Diese mussten gesetzlich innerhalb von vier Jahren 300 Millionen Euro (weniger als 1% p.a.) in den Spitälern einsparen. Als dann 2008 der neue Finanzausgleich vorgezogen wurde, und der Bund den Nachweis verlangte – der natürlich nicht erbracht werden konnte – hat man einfach ins Gesetzt geschrieben, dass die vorgeschriebenen Einsparungen als erbracht betrachtet werden – so leicht ist das, wenn man das Gewaltmonopol hat!

Bleibt der Prosateil des Kassensanierungspapiers. Da steht viel drinnen – lauter Absichtserklärungen. Und auch dafür gibt es historische Beispiele. Wussten Sie z.B., dass bereits 1996 beschlossen wurde, einen Stellenplan für alle niedergelassenen Ärzte verbindlich einzuführen? Jetzt steht das wieder drinnen, und wird als Verhandlungserfolg verkauft. 2005 wurden zum Erhalt der Qualität in Spitälern Mindestfrequenzen gesetzlich fixiert! Kleinstkrankenhäuser wie Bad Aussee stehen aber fester denn je. Papierene Reformen wurden noch nie umgesetzt!

Kommen wir zu den Ländern. Dass deren Sparwille mehr als unterentwickelt ist, ist bekannt. Was werden diese nach dieser Kassen-Einigung denken!? Das die Länder pleite sind, wird offensichtlich. Dass so gut wie jedes Bundesland – trotz anderslautender Meldungen – die Bau- und Investitionsprogramme nach hinten streckt ist nur ein kleines Zeichen. Dass aber bereits in zwei Ländern die Landeskrankenhäuser trotz Landeshaftung keine Bankkredite mehr kriegen, wäre anderswo ein Alarmsignal! Oder doch nicht?

Wenn der Finanzminister schon Kassen nicht in den Konkurs schickt, was wird er erst unternehmen, um die Länder zu retten? Wenn er jetzt so einfach pro Jahr eine Viertel Milliarde Euro zusätzlich aus unseren Taschen zieht, dann werden die Länder für ihre Krankenhäuser sicher eine halbe, oder gleich eine ganze Milliarde mehr kriegen!?

Und dann schaue ich in die Augen meines zweijährigen Sohnes und frage mich: „Wie willst du das alles bezahlen – oder willst du das überhaupt bezahlen?“

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Umgehungsmaßnahmen und „Betrügereien“

Wären Ärzte nicht bereit, das System zu umgehen, um ihre Patienten versorgen zu können, würde die Versorgung längst nicht mehr funktionieren.

Frau M. ist 75, Witwe, ihre Kinder sind von Wien weggezogen, ihre Freunde größtenteils unter der Erde. Frau M geht es so eigentlich gut, aber natürlich ist sie mit 75 nicht mehr ganz gesund. Sie geht, teils weil nötig, größtenteils jedoch weil sie Ansprache erhält, ein bis zwei Mal pro Woche zu ihrem Hausarzt Dr. H. Der ist noch beseelt von seinem Beruf und gehört zu denen, die ihre „seelsorgerische“ Funktion wahrnehmen. Er empfängt Frau M. wirklich fast jedes Mal, um sie zu untersuchen. Klar weiß er, dass er nichts finden wird, aber die „therapeutische Untersuchung“ ist halt was, was zu seinem Beruf gehört.

Eine solche „therapeutische Untersuchung“ nimmt, mit Dokumentation in etwa 10 Minuten seiner Zeit in Anspruch. Da er Frau M. pro Quartal etwa 14 Mal sieht, bedeutet das etwa 140 Minuten seiner Arbeitszeit. Von der Kassa erhält er pro Quartal eine Pauschale inkl. Hausarztzuschlag von 29,50 EURO. Sagen wir, dass ein Drittel davon in die Aufrechterhaltung der Infrastruktur (Miete, Personal, Heizung etc) fließen, dann bleibt für seine Zeit ein Stundenlohn von 8,60 EURO. Würde man das jetzt auf 14 Gehälter und unter Anrechnung der Urlaubszeit umrechnen, sind das heiße 6,20 pro Stunde – brutto!

Davon eine Familie ernähren geht nicht. Also was tut Dr. H.? Einerseits könnte er, wie viele seiner Kollegen, Frau M. sofort weiterüberweisen – am besten in die Spitalsambulanz; was rechtens wäre, aber nicht patientenorientiert (und für uns sehr teuer). Andererseits könnte er bei jedem oder jedem zweiten Besuch ein EKG schreiben. Pro EKG kriegt er 10 EURO und das bessert seinen Stundenlohn auf. Rechtens ist das nicht, weil er nur Leistungen erbringen darf, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; und sooft ein EKG zu schreiben, ist definitiv nicht nötig. Trotzdem hat Dr. H. sich dafür entschieden. Jetzt hat Frau M. eines der bestdokumentierten gesunden Herzen, und Dr. H. fühlt sich wohl, geholfen zu haben, ohne dass seine Familie verhungern muss – dass er damit das System „betrügt“, ist ihm, seiner Patientin und wohl auch den meisten Entscheidungsträgern in der Kasse egal. Es weiß da wie dort ohnehin jeder, dass die Versorgung zusammenbrechen muss, wenn alle Hausärzte Dienst nach Vorschrift machten.

Aber auch im Spital wird das System untergraben. Hierzulande liegen wir 40 Prozent häufiger mit Pneumonie und gleich 300 Prozent öfter mit chronischem Herzversagen im Krankenhaus als die Deutschen. Klar könnten wir glauben, dass wir viel kränker sind und deswegen häufiger ins Spital müssen – rechtlich darf dort nämlich nur liegen, wer aus medizinischen Gründen einer stationären Versorgung bedarf. Real ist das natürlich anders. Wenn heute ein Patient ins Spital kommt, und der Arzt sich nicht sicher ist, ob die ambulante Versorgung, sei sie pflegerisch oder medizinisch, garantiert ist, dann nimmt er den Patienten halt mit irgendeiner Diagnose auf – Gesetz hin, Gesetz her.

Unser System ist schlecht. Keine Rede davon, dass es die realen Bedürfnisse der Versorgung unterstützt, im Gegenteil wird es täglich hinderlicher. Gott sei dank, lebt die Versorgung von Menschen mit Rückgrad, denen Systemvorschriften wurscht sind, wenn sie Patienten helfen müssen. Schade allerdings, dass sie dabei immer „krimineller“ werden. Und das nur, weil die Systemverantwortlichen an Machterhalt interessiert sind, und die eigentliche Versorgung längst aus dem Blick verloren haben.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Machtmissbrauch im Gesundheitssystem

Der Kampf, wer jetzt die Hand sein darf, die alles finanziert, ist ausgebrochen – um in die Organisation einzugreifen und seine Macht auszudehnen!

Chronisch krank sind sie, die beiden Burschen, die letzthin in einer ORF-Sendung zu sehen waren, und ein Paradebeispiel für die Systemfehler. Die beiden brauchen, damit die Folgen ihrer genetischen Krankheit das Leben nicht in Unerträglichkeit verwandeln, regelmäßig Physiotherapie. Doch wer bezahlt diese? Klar ist, beide sind Pflegefälle und es besteht, wie bei allen chronischen Krankheiten, keine Chance auf Heilung, sondern nur auf Linderung. Und weil das so ist, leben sie zwischen den Welten.

Wenn sie zuhause wundliegen oder wegen fehlender Bewegung Lungenentzündungen kriegen, ja, dann erhalten sie ihre (dann viel teureren) Therapien von der Krankenkasse. Durch regelmäßige Physiotherapie Wundliegen und Pneumonie zu vermeiden, das ist nicht Sache der Kassen. Zwar müssen diese Therapien bezahlen, wenn eine Verschlechterung einer Krankheit vermieden werden kann, aber wie ist das bei unheilbaren Krankheiten? In diesem Fall kommt das Argument, dass die Länder zahlen müssen – weil es ja Pflegefälle sind. Länder allerdings sehen ihre Aufgabe darin, Pflegeheime zu finanzieren. Kosten für Physiotherapie zu übernehmen, um eine Einweisung in ein Heim zu vermeiden, also präventiv tätig zu werden, das steht nicht auf deren Aufgabenliste – dafür ist wer anderer zuständig, oder?

Es ist ein zynisches Spiel, das hinter all dem steht. Es ist der Versuch, möglichst dem anderen Kosten zu überlassen. Das geht nicht nur bei den Welten Pflege-Krankenversorgung so, auch bei der Prävention, der Rehabilitation und der Palliativversorgung ist es das gleiche – schlicht überall dort, wo die Finanzierung jeweils jemand anderem gehört. Und am Ende ist das alles nicht nur sauteuer, sondern vor allem unmenschlich.

Deswegen, und wegen nichts anderem, braucht man die Finanzierung aus einer Hand. Das Spiel der betriebswirtschaftlichen Optimierung der einzelnen Finanziers, die noch dazu allesamt Pflicht-Institutionen sind – niemand darf aus diesem Spiel aussteigen und dank Selbstverwaltung in vielen Fällen nicht einmal die Entscheidungsträger abwählen – auf dem Rücken der Patienten und zu Lasten der Steuer- und Beitragszahler muss beendet werden.

Aber, aus der Finanzierung aus einer Hand eine operative Aufgabe abzuleiten, das ist skurril. Doch offenbar verstehen das manche so. Da wird ernsthaft darüber nachgedacht, dass die Umstellung auf so eine Finanzierung dazu führen muss, mit zentralen Büros Krankenhäuser, Ordinationen etc. zu führen.

Das ist aber nicht der Sinn der Finanzierung aus einer Hand. Ganz im Gegenteil. Um umsetzbar zu sein, muss die Organisation so dezentral wie möglich sein. Und dort soll eine demokratisch legitimierte Hand für die Bevölkerung in überschaubaren Versorgungsgebieten alle regional benötigten präventiven, diagnostischen, therapeutischen, rehabilitativen, pflegenden oder palliativen Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, die sich mit Krankheiten, Symptomen oder Verhaltenstörungen, die ein Individuum aufweist, befassen, einkaufen – von Anbietern, die im Wettbewerb stehen!

Daher sei klar festgehalten: Die Finanzierung aus einer Hand ist kein Garant, aber liefert gute Voraussetzungen, eine integrierte Versorgung aufzubauen in der Patienten zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle mit der richtigen Leistung versorgt werden. Sie ist kein auch nur irgendwie geartetes Argument zentralistischer Machtgelüste.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Milchmädchen und Milchbübchen

Die vergangene Woche war eine echte Sparwoche. Nicht nur im Gesundheitssystem wurden Millionen eingespart, auch ich kann auf Erfolge verweisen.

Letzte Woche war super. Fangen wir mit der privaten Seite an.

Ich war in einem für meine Verhältnisse viel zu teuren Restaurant. Und weil ich es mir gut gehen lassen wollte, habe ich ein schönes, saftiges Steak bestellt. 30 Euro! Ein Wahnsinn, aber auch wirklich schmackhaft.

Glücklicherweise bin ich ein paar Tage darauf mit Freunden in einem Beisel gewesen. Dort habe ich mir ein Schnitzel bestellt, dass mit nur zehn Euro ein sehr gutes Preis/Leistungsverhältnis gehabt hat und auch schmackhaft war. Auf dem Heimweg habe ich mich so gefreut, dass ich 20 Euro gespart habe, dass ich meiner Frau ein kleines Geschenk kaufte. Sie hat sich gefreut, ich habe mich gefreut – alle waren glücklich.

Am nächsten Tag ging ich wieder an dem viel zu teuren Restaurant vorbei und dachte, dass meine Frau das Geschenk eigentlich auch ohne meine Einsparung verdient hätte. Eigentlich, so dachte ich weiter, hab ich die 20 Euro, die ich gespart hatte also noch. Kurz überlegt, schnell gehandelt, ich genoss noch einmal dieses herrliche Steak. Zwar könnte ich es mir noch immer nicht leisten, da ich aber 20 Euro gespart hatte, kostete mich das Steak genaugenommen ja nur zehn statt 30 Euro – und verglichen mit dem Schnitzel, kann ich nur sagen, kein Vergleich.

Nicht nur privat gab es letzte Woche Highlights, auch beruflich.

Ich hatte ja schon Angst, dass die ganzen Sparprognosen der Kassen reiner Fake sind. Da lag ich offenbar falsch. Die hoffen nun auf ein leichtes Plus von 7,5 Millionen Euro. Nun gut, ihre Defizitprognose lag ursprünglich bei 100 Millionen, sie haben dann 120 Millionen Zuschüsse erhalten und können (noch) auf hohe Einnahmen wegen einer (noch) hohen Beschäftigung zurückblicken, aber, wie der Hauptverband zurecht stolz verkündet, zeigen die Sparmaßnahmen erste Erfolge. Anders wäre das Plus nicht zu erklären. Und weil ich lernfähig bin – anders als irgendwelche Finanzminister – bin ich jetzt auch dafür, dass man den Kassen möglichst alles gibt, was sie sich wünschen. Wer innerhalb weniger Wochen so viel sparen kann, der hat das verdient.

Aber nicht nur die Kassen haben mich überzeugt. In einem Bundesland, das in den letzten Jahren alle Spitäler übernommen hat, wurde mitgeteilt, durch Synergien die jährliche Ausgabensteigerung von 9 bis 10 Prozent auf 5 bis 6 gedrückt zu haben.

Zwar betrugen die Kostensteigerungen erst 9 bis 10 Prozent, seit alle Spitäler unter zentralistischer Führung stehen (davor waren es unter 5 Prozent) und die für die Kostensteigerungen verantwortlich gemachten Modernisierungsinvestitionen haben (noch?) keinen Niederschlag in den Abschreibungen gefunden und sind daher noch gar nicht eingepreist. Aber, so wird verlautet, werden dort durch kluge Politik fünf Prozent der jährlichen Kosten – das sind über 74 Millionen Euro – gespart. Ich hoffe, die werden gut veranlagt.

So, wie es aussieht, sind die Länder also ganz groß dabei, bei den Spitälern zu sparen. Ich denke, das wird beim nächsten Finanzausgleich 2013 vom Wasserkopf Wien auch entsprechend gewürdigt.

Ach, ich freue mich schon auf nächste Woche. Statt einem Koenigsegg kauf ich mir nur einen Lotus – und zwar von dem Geld, das ich mir erspare, weil ich keinen Koenigsegg kaufe. Vom Rest kriegt meine Frau endlich ihr lang ersehntes Häuschen im Grünen. Und wenn dann noch was übrig bleibt, bezahl ich vielleicht auch meine Schulden.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Heere Ziele und Schachfiguren

Die Argumente im Gesundheitssystem werden immer skurriler. Fast hat man den Eindruck, gezielte Desinformation wird eingesetzt, um Monopole zu halten.

Die Ziele eines solidarischen Gesundheitssystems sind heer – beinah pathetisch. Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit werden angestrebt, der Patient soll sich der Qualität sicher sein können und dabei zufrieden sein. Auch ohne Politik sind diese Ziele voll von inneren Widersprüchen.

Betrachten wir beispielsweise „Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit bei gesicherter Qualität“. Wer in der Nähe einer großen Klinik mit breitem Angebot lebt, wird immer einen leichteren Zugang zu hochqualitativer Versorgung haben. Soll er, im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit, nun höhere Beiträge zahlen, als die, die weit entfernt wohnen? Oder sollen wir überall große Kliniken errichten? Wenn aber hinter jedem Busch solche Kliniken stehen, was ist dann mit der gesicherten Qualität? In peripheren Lagen ist bei geringen Fallzahlen ein breites, qualitativ gesichertes Angebot nicht möglich.

Alternativ dazu – und das wäre das einzig logische – dürfte nur mehr eine hausärztliche Minimalversorgung angeboten werden. Die kann man noch am besten regional gerecht aufteilen und so für alle den gleichen Zugang gewähren. Was darüber hinausgeht, müsste dann dem einzelnen überlassen werden. Denn, sobald auch die Facharztversorgung angeboten wird, werden wir feststellen, dass Ballungszentren bevorzugt werden.

Ich behaupte, kein System der Welt schafft es, diese hochtrabenden Ziele zu erreichen. Real muss es ständig Kompromisse geben. Wo Kompromisse nötig sind, ist aber Politik nötig, und die verliert sich dann in populistischen Entscheidungen. Verständlich, ist doch nur die Patientenzufriedenheit für Wahlen wichtig.

Das treibt skurrile Blüten. So wurden Studienergebnisse (nicht die Studie) veröffentlicht, die feststellen, dass 98 Prozent der Bevölkerung mit der Versorgung zufrieden sind. Genauer geschaut, waren nur die 15- bis 65-Jährigen so zufrieden. Dort, wo Menschen wirklich oft mit der Versorgung in Kontakt kommen, also ab 65, dort wurde nichts publiziert!

Die meisten anderen Umfragen sind daher auch selbstgestrickt und unwissenschaftlich. Und die Zustimmungswerte liegen stets jenseits der 95 Prozent!

Und weil man alle anderen Ziele nicht mehr verfolgt, muss man diese durch Propaganda ersetzen. Von oben herab wird der Bevölkerung erklärt, dass alle alles überall auf allerhöchstem Niveau kriegen – gratis! Und um diese Lüge zu stützen, werden Patienten zunehmend auch zur Qualität befragt. Einer Umfrage unter Patienten zufolge sollen 80 Prozent der niedergelassenen Ärzte gut oder sehr gut sein! Können Patienten, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arzt stehen, die Qualität wirklich beurteilen? Ich halte das alles für einen Missbrauch des Patienten zu taktischen Zwecken.

Und als ob das nicht reicht, gibt es neuerdings eine andere Beweisführung: Wenn unser System nicht so toll wäre, dann würden die Österreicher im Urlaub keine Rückholversicherung abschließen! Wäre das wirklich ein Maß, dann dürften US-Amerikaner auf Österreichurlaub eigentlich keine solche Versicherung haben.

Wer lange genug schönfärbt, erzieht die Patienten zu unmündigen Konsumenten, die dankbar annehmen, was man ihnen vorsetzt. Durch diese paternalistisch-monopolistische Desinformation schaltet man aber die einzigen Instrumente aus, die als Korrektiv dienen könnten – Demokratie und Wettbewerb. Und am Ende steht ein System, dass nicht nur immer teurer wird, sondern auch immer schlechtere Qualität liefert.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Man hat uns fest im Griff

Das Sommerloch ist da: Zeit für eine (sehr komplizierte) philosophische Hintergrundanalyse – über das MAN, den Verfall und das Ende.

Vielfach wird behauptet, Gesetze sind Ausdruck praktischer Moral, also so etwas wie eine in Worten geronnene, gelebte Moral. Ob nun aufgeschrieben oder nicht, am Ende bleibt Moral schlicht die Konstitution des Wertegerüsts einer, wie auch immer definierten, Gesellschaft, die, wenigstens theoretisch, aus Individuen besteht. Doch stimmt das noch? Wird die Gesellschaft noch von Individuen gestellt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Gesellschaft nur mehr daraus besteht, dass man etwas macht, weil MAN es macht?

Wenn MAN Geld für Banken hat, dann muss es auch für die Gesundheit vorhanden sein! MAN hat den Kassen Geld weggenommen und muss es jetzt zurückgeben! Wenn MAN ein Hochleistungs[Gesundheits]system will, kann MAN es nicht kaputtsparen! MAN muss, MAN kann, MAN darf, MAN soll … .

Doch wer oder was ist denn dieses MAN, das offenbar genau weiß, was für jeden von uns das Beste ist, das nie echte Geldprobleme hat, das stets richtig liegt? Nun, genau genommen ist es niemand und jeder gleichzeitig! Auch ist es ein beliebtes Versteck für jene, die zwar zuständig, aber nicht verantwortlich sein wollen. Und, es hat das Ich und das Wir ersetzt.

Nicht, dass es nicht eine abstrakte Ebene geben dürfte, in der MAN Dinge festlegen kann; aber MAN kann nie von sich aus aktiv werden. Das kann in erster Linie nur ich selbst. Mehrere „Ich“ können freiwillig ein „Wir“ gründen. Funktionierende Solidargemeinschaften sind stets Ausdruck wohlgeordneter demokratischer Verhältnisse, die aus mehreren Ich aktiv ein Wir gestalten. Solidarität, wenn sie denn wirklich eine solche sein soll, ist so nur durch unsere demokratischen Entscheidungen gerechtfertigt. Jedes Sozialsystem, dessen Zukunft nicht in der Tyrannei einer selbstherrlichen Elite ersticken will, braucht das Wir, braucht uns.

Doch wie schaut es aus? Die Diskussion über die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme ist nahezu beweisend, dass wir das, was MAN uns vorsetzt, nicht mehr wollen. Würden wir es wirklich wollen, würden wir uns darum sorgen, dass es finanziert wird. Keine Diskussion würde entstehen, woher das Geld kommt, weil wir es freiwillig geben würden. Aber offenbar wollen wir etwas anderes. MAN dürfte das aber geflissentlich ignorieren und so weiter wursteln wie bisher, weil MAN halt nichts ändern kann. Die Distanz zwischen uns und dem MAN ist groß geworden und entfaltet seine destruierende Kraft.

Ja, das MAN hat uns bereits fest im Griff. Moralische Vorstellungen, also jene Werte, die wir eigentlich – ob nun von uns selbst oder von Gott abgeleitet – aufstellen sollten, werden weniger und weniger. Und wenn MAN diese Werte quasi ohne uns festlegt, darf es nicht verwundern, dass ich mich und wir uns zunehmend nicht daran gebunden fühlen.

Und in weiterer Folge ist niemand mehr für sich oder andere verantwortlich, Populismus (sei er von links oder rechts) lenkt die Politik, Paternalismus pervertiert zur Diktatur und übrig bleibt ein Haufen Asche. Vielleicht müssen wir uns abfinden, dass demokratische Staatsformen genau so wenig geeignet sind, den moralischen Verfall zu verhindern, wie undemokratische. Wenn diese Entwicklung anhält – und nichts spricht dagegen – dann wird es sehr bald dunkel für unsere Sozialsysteme. Während Pensions- und Arbeitslosensysteme mit Härte aber überlebbar einbrechen, werden solidarische Gesundheitssysteme, wenn sie denn kollabieren, mit sehr viel unabwendbarem Leid einhergehen.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Arme Universitäten – ehrlich!

Über die fortschreitende Aushöhlung der medizinischen Universitäten durch immer mehr Patienten – zum Wohle der Länder, zum Weh von Österreich!

Wer in Wien, Graz oder Innsbruck lebt, geht, wenn er ein Spital braucht, gerne in die Universitätskliniken. Dort, so der landläufige Verdacht, wird wirklich Spitzenmedizin betrieben. Kaum jemand weiß allerdings um die komplizierten Verhältnisse, die darin herrschen.

Die Spitäler Steiermarks, Tirols und Wiens – die drei Bundesländer mit öffentlichen medizinischen Universitäten – kosten zusammen etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr. 450 Millionen davon werden allerdings nicht durch die Länder bezahlt, sondern von den Universitäten selbst, die dafür vom Bund Geld kriegen. Das Bundesgeld – und es ist im internationalen Vergleich sehr viel – soll dazu dienen, die „Mehr“-Kosten, die durch Forschung und Ausbildung von Medizinstudenten entstehen, abzugelten.

Wie in jedem Spital, arbeiten auch in Uni-Kliniken Ärzte, Pflege-, Verwaltungspersonal etc. Allerdings, die Ärzte stehen auf dem Lohnzettel der Universität, alle anderen auf dem des „gastgebenden“ Landes. Die Sachkosten teilen sich auch beide. Und zwar zahlt das Land etwa 80 Prozent, den Rest die Uni. Seit vielen Jahrzehnten gibt es um diese Aufteilung Streitereien.

Seit einigen Jahren, was wohl nicht zufällig mit den größer werdenden Finanzproblemen der Länder zusammenhängt, werden immer mehr Patienten durch die Uni-Kliniken „geschleust“. Pro Arzt und Jahr werden mittlerweile ca. 180 stationäre Patienten behandelt (Graz: 130, Innsbruck: 210, Wien: 175). Zum Vergleich, in den größten Spitälern, die keine Universität sind, sind es 235.

Nun, das schaut auf den ersten Blick doch so aus, als ob die Unis über Reserven für Forschung und Lehre verfügen. Aber ist das so? Ein Blick in Nachbarländer bringt Klarheit. In der Schweiz werden pro Arzt 96, in Deutschland gar nur 60 Patienten behandelt. Da bleibt Zeit für international herzeigbare Forschung und qualitativ hochstehende Studenten- Ausbildung – die eigentlichen Aufgaben der Universitäten. Bei uns wird diese Zeit wohl knapp, insbesondere in der Forschung. Kein Wunder also, dass immer weniger gute Forscher hier bleiben wollen!

Um diese Situation zu verbessern, ist es natürlich verlockend, gleich nach mehr Uni-Ärzten zu schreien. Doch an der Anzahl liegt es nicht. In der Schweiz gibt es pro 100.000 Einwohner 25,1, bei uns 25,6 Uni-Ärzte. Deutschland, das ein praxisorientiertes Ausbildungssystem hat (es gibt keinen Turnus, diese Ausbildungsschritte sind in das Studium integriert), verfügt über 32. Dass unsere Uni-Ärzte so viele Patienten behandeln, liegt also nicht an einer „Unterausstattung“, sondern schlicht an einer Überlastung mit „Routine-Fällen“, die an einer Uni eigentlich nichts zu suchen haben.

Verantwortlich dafür sind die Länder, die, zwar an Bundesgeldern und dem Prestige einer Uni, nicht aber an Forschung und Lehre interessiert sind. Und so werden diese einfach als „Routinehäuser“ eingeplant. Bei der lautstark geforderten Linzer MedUni vermute ich die gleichen Gründe.

Es ist zu vermuten, dass bei immer leereren Kassen die Routine weiter steigt. Allerdings verlieren wir damit Generationen an guten Wissenschaftlern. Denn warum soll ein junger Forscher (junge Uni-Ärzte verdienen einen Spot und haben nur befristete Verträge; lediglich alte Professoren verdienen gut und sind zudem „leistungsfördernd“ pragmatisiert) an der Uni bleiben, wenn er doch nur Routine macht? Mit der kann er außerhalb der Universitätsmauern mehr und sicherer Geld verdienen.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ja, ja, die Länder

Die Länder zeigen machtbewusst Hauptverband und Gesundheitsminister die kalte Schulter – obwohl ihre Spitalsplanung kein Ruhmesblatt ist.

Vor 40 Jahren, als Fernseher noch schwarz-weiß flimmerten, schrieb die Weltgesundheitsorganisation über unser Spitalswesen u.a. folgendes: (1) Spitalsplanung ist nicht Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege. (2) Die Bundesregierung hat keine Kompetenzen, verbindliche Weisungen zu erteilen.

In der ersten Kritik steckt der unverändert andauernde Wahnsinn, dass die Spitäler sich ohne Abstimmung mit niedergelassenen Ärzten, Pflegebereich oder Rehabilitation entwickeln. Statt, wie üblich, den Hausarzt als Lotsen einzusetzen, der für und mit dem Patienten darauf achtet, dass die richtige Leistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort erbracht wird, dreht sich bei uns alles um Spitäler, die jedoch nicht Sonnen sind, sondern schwarze Löcher, deren gefräßige Gravitation Jahr für Jahr zunimmt.

Die zweite Kritik ist das bis heute wohlbekannte Phänomen, dass Länder machen, was sie wollen. Mit der Folge, dass Spitäler, ja einzelne Abteilungen nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten nachkommen, sondern persönlichen Eitelkeiten dienen. Denken wir an die Peinlichkeiten rund um die Chirurgien in Bad Aussee und Mürzzuschlag, das traurige Schauspiel um die Geburtshilfe in Mittersill, die Kasperliade um die Oberösterreichische Spitalsreform, die endlose Geschichte von Kitzbühl, die Doppelgleisigkeiten in Kittsee und Hainburg etc. Alles Beweise, dass eine, auf Länderebene angesiedelte Planung kaum mit Vernunft zu tun hat.

Und es nimmt kein Ende. Obwohl eines DER Argumente für einen Herzkatheter in Waidhofen/Ybbs (NÖ) die Versorgung der Region Steyr (OÖ) war, bekommt Steyr jetzt auch einen Herzkatheter; mit der Folge, dass beide Einrichtungen so wenige Fälle haben werden, dass die Qualität nicht stimmen wird (oder, was für Patienten schlimmer wäre, aber zu befürchten ist, die Fälle „künstlich“ erhöht werden). Landesgrenzen überschreitendes Denken ist kein Thema, besonders wenn Wahlen vor der Tür stehen – und dank neun Ländern, einem Bund, einer EU sowie Arbeiter- und Wirtschaftskammer stehen immer Wahlen an.

Der Österreichische Strukturplan Gesundheit wollte mit seiner Leistungsangebotsplanung diesem Spiel um Betten und Abteilungen ein Ende setzen. Zwischen 2000 und 2005 wurde verhandelt. Der faule Kompromiss über den ursprünglichen Plan hatte unter Naiven, wie mich, die Hoffnung genährt, dass der traurige Rest zu leben beginnt, und die Länder den Spitälern Versorgungsaufträge rund um definierte Leistungen erteilen. Doch wie schauen diese (gesetzlich vorgeschriebenen) regionalen Pläne aus? Soweit es sie überhaupt gibt, geht es wieder nur um Standorte, Betten und Abteilungen. Von einer Abstimmung mit der Rehabilitation, der Pflege oder den niedergelassenen Ärzten ganz zu schweigen.

Jetzt greift der Hauptverbandschef Dr. Schelling das Thema auf und möchte von der einrichtungsorientierten zur patientenorientierten Bedarfsplanung kommen; mutig und richtig. Doch wie regieren die Länder? Zum Gipfel letzter Woche entsenden sie Referenten! Was für ein Fauxpas. Stellen wir uns vor, der Papst lädt ein und Österreich lässt sich von einem Sekretär vertreten!

Es ist mir ja peinlich, weil ich Anhänger eines dezentralisierten, steuerfinanzierten Systems in der Hand gewählter Volksvertreter bin – aber ich glaube fast nicht mehr daran, dass je ein Bundesland jene Größe entwickelt, ein Gesundheitssystem zum Wohl der Bevölkerung zu entwerfen oder zu leiten.

Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.