Alpbach, Solidarität und eine Maniküre

Alpbach stand unter dem Titel „Sozial- und Gesundheitssystem zwischen Geschichte, Wunsch und Realität“ – und da gibt es viel nachzudenken.

Für unser Gesundheitssystem ist die solidarische Finanzierung seit jeher ein Schlagwort. Gemeinhin wird ja kommuniziert, dass eine solche vorliegt, wenn auch Gesunde die Versorgung von Kranken bezahlen. Um das aber wirklich zu sein, müsste die Gesunden irgendetwas mit den Kranken verbinden. Und um es sophistisch auszudrücken, wenn bereits im Ansatz Gesunde und Kranke auseinander gehalten werden, dann ist man weit weg von einer solidarischen Finanzierung. Und wird per Gesetz und über Zwang diese durchgesetzt, dann ist sie gänzlich verschwunden.

Was verbindet, was hält zusammen – das ist die Frage nach der Solidarität; doch die wird heute nicht mehr ernsthaft gestellt. Viel mehr findet man überall populistische Blüten.

Die meisten dieser Blüten fungieren nach dem alten Prinzip. Achte auf die Deinen und verachte die anderen. Und da finden wir auf der einen Seite Dinge wie eine „Soziale Heimatpartei“ oder etwas verklausulierter, ein „Niederösterreichisches Sozialmodell“, und auf der anderen Seite alte Klassenkampfrufe gegen Reiche, Großgrundbesitzer und Gutsherren. Ist Solidarität wirklich (wieder) nur mehr weckbar, indem tiefe Gräben in die Gesellschaft gerissen werden?

Nun, ich bin gegenüber jeder Kollektivierung, ob nun nach sozialen, berufsständischen, irgendwelchen geographischen oder gar genealogischen Kriterien, sehr skeptisch. Wenn es zur Bildung von Solidargemeinschaften kommen soll, dann nur über freie Entscheidung freier Menschen.

Für Gesundheitssysteme gibt es ausreichend Beweise, dass sie, öffentlich finanziert und gelenkt, für den einzelnen, wie für die Gemeinschaft bessere Ergebnisse erzielen können, als solche, die von der Entscheidung des Individuums abhängen. Dazu müssen allerdings alle gleich behandelt werden (also die gleichen, niedrigen Eintrittsschwellen, die gleiche Behandlung für die gleiche Krankheit etc.), und, damit das System entscheidungsfähig bleibt, dürfen Kompetenzen nicht zersplittert sein – wenn niemand entscheiden kann, wer wo wie am besten versorgt ist, dann funktioniert es nicht.

Es gibt also überzeugende Gründe, warum man auf Solidarität bauen sollte – und die haben alle nichts mit Dünkel zu tun. Und doch scheint es, als ob die vorherrschen. Schon 1955 gab es einen Kompromiss zwischen den ehemaligen Vertretern des Ständestaats und der Kammermacht und denen der Basisdemokratie und Gewerkschaftsmacht. Schon damals wurden Gräben nicht zugeschüttet, sondern mit faulen Kompromissen überbrückt. Das, was vielleicht an echter Solidarität hätte aufgebaut werden können, wurde seit dem, getriggert durch ständige Wahlkämpfe, gründlichst zwischen Partikularinteressen und Klientelpolitik zerrieben.

Statt auf ein funktionierendes System zu achten (was mit echten Reformen einherzugehen hätte) und mit transparenter Leistung die Bevölkerung immer und immer wieder davon zu überzeugen, dass institutionalisierte Solidarität hier wichtig und richtig ist, wurde das System zum Lehnswesen. Wenn heute die Mehrheit glaubt, dass „Reiche“ bessere Medizin erhalten und man die richtigen Leute kennen muss, um „richtig“ behandelt zu werden, kann man keine solidarische Finanzierung mehr erwarten, sondern muss Zwangsabgaben einheben. Und wenn folgerichtig jeder einzelne versucht, es sich zu richten, dann braucht man über Solidarität nicht mehr nachdenken – auch wenn die herrschende Klasse das anders sehen möge.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Solidarität – eine Reflexion

Politiker und Sozialpartner tun so, als ob in der Bevölkerung eine tragfähige Solidarität besteht. Sie dürfte aber eher aufgezwungen, als freiwillig sein – und das ist etwas anderes.

Herr M. ist 62 und in Invaliditätspension, weil er, so sagen Gutachter, nicht mehr arbeiten kann. Grund wäre sein Rücken und seine Knie, alles erheblich abgenützt. 40 Jahre hat er als Maurer gearbeitet, die letzten 15 davon als Polier und sein Job könnte durchaus als körperlich anstrengend bezeichnet werden.

Der wahre, oder wenigstens sehr wesentliche Grund, für seine Invalidität ist aber woanders zu suchen. Herr M. bringt auf seine knapp 1,75 Meter Körpergröße über 100 Kilo. Er ist also fett. Zudem trinkt er täglich etwa fünf Liter Bier, liebt es, üppig zu essen und viel zu rauchen. Dass er Diabetiker ist und unter Bluthochdruck leidet, muss kaum extra erwähnt werden.

Wissenschaftlich betrachtet ist Herr M. für seinen Gesundheitszustand über weite Teile selbst verantwortlich. Das weiß er auch. Schließlich erzählt ihm seit Jahren jeder, vom Hausarzt bis zu seinen Kindern, dass er sich noch „umbringen“ werde.

Solche Warnungen wurden leichtfertig abgetan. Wenn man krank ist, geht man zum Arzt, der macht einen wieder gesund.

Vor zwei Jahren hat er sein Ziel, die Frühpension, erreicht. Die ist zwar mager, kann aber durch Pfusch leicht aufgefettet werden. Und weil er chronisch krank, aber unbelehrbar ist, geht er oft zum Arzt, ein bis zwei mal pro Jahr ins Spital und schluckt haufenweise, dafür unregelmäßig, Medikamente.

Dass das viel kostet, ist ihm egal. Er hat ja ein Leben lang einbezahlt und jetzt ein Recht darauf. Da allerdings täuscht er sich gewaltig.

Denn, bezahlt wird alles nach dem Solidaritätsprinzip, was konkret bedeutet, dass Herr M. sich darauf verlassen muss, dass irgendwer sich mit ihm solidarisch erklärt und die anfallenden Kosten freiwillig übernimmt. Aber warum sollte das jemand tun? Er selbst stellt sich die Frage übrigens nicht – für ihn ist wichtig, dass alles bezahlt wird. Woher das Geld kommt ist ihm herzlich egal.

Und das ist traurig. Denn wenn Solidarität fehlt, wird das Geld nur durch Zwang aufgebracht werden können – und das wäre etwas ganz anderes.

Menschen haben sich schon seit langem zu Gemeinschaften zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu helfen. Mit der Gründung solcher Solidargemeinschaften konnten sich ihre Mitglieder sowohl gegen wirtschaftliche als auch politische Unbilden „absichern“. Basis dieser freiwilligen und selbstverwalteten Zusammenschlüsse war stets das Bekenntnis zu etwas Gemeinsamen, zu dem jeder seinen Beitrag liefern muss; darin liegt der Solidaritätsgedanke; der theoretisch auch unserem Sozialversicherungssystem unterlegt ist.

In wie weit es diesen Gedanken nach 1955 (dem Jahr der Einführung des ASVG) gab, ist ohnehin zu hinterfragen. Hier herrschte immer ein „unfreies“ Pflichtsystem. Ja selbst die Mitbestimmung der Mitglieder ist fragwürdig, da sie über weite Strecken nur über Kammerwahlen möglich ist. Wer die Wahlbeteiligung in diesen Organisationen mit Pflichtmitgliedschaft kennt, kann schnell erkennen, dass Mitbestimmung kaum stattfindet.

In unserem System steckt also bereits sehr viel Zwang, und das ist der Förderung des Solidaritätsgedanken nicht dienlich. Nichtsdestotrotz wird seitens der Politik (inklusive der Kammern) daran festgehalten und so getan, als ob er unverbrüchlich besteht.

Nun, man kann hoffen, dass die gepredigte Solidarität nie in der Realität geprüft wird. So gefühlt, besteht sie längst nicht mehr. Weder von denen, die von ihr leben, noch von denen die dafür aufkommen.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die leeren Kassen beginnen zu diktieren? Zumindest ist hinter den Kulissen mehr Bewegung zu bemerken, als jemals zuvor. Die Angst, die „Spitalswesen“-Titanic könnte doch sinken, geht um.

Im März 2009, als die Finanz- zur Wirtschaftskrise wurde, stand an dieser Stelle, dass die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Spitäler, die durch die Länder für 2009 aufzubringen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Milliarden Euro) deutlich anwachsen werden. Hintergrund dieser Rechnung war, dass die Einnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken werden, weil sie wesentlich vom Steuer- und Beitragsaufkommen abhängen. Da aber die Kosten ungeachtet der Krise weiterwachsen werden, wird das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben größer.

Schon bisher schlossen die Länder dieses Loch durch die Abgangsdeckung, eine Art automatischer Defizitdeckung. Und die war nicht gering. Oberflächlich ausgedrückt, machten die öffentlichen Spitäler pro Jahr 30 bis 35 Prozent Miese, die im Landesbudget hängen blieben; seit 2009 jedoch sind es wohl 40 und mehr Prozent – und das wird solange bleiben, solange die Wirtschaft das durch die Krise entstandene Minus nicht selbst (ohne Staathilfen) kompensiert hat, oder die Kosten der Spitäler real sinken. Ersteres könnte Jahre dauern, und zweiteres ist gegen den Willen der Landespolitik.

Langsam dürfte dort aber die Erkenntnis wachsen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das langsam geht, hat zwei Ursachen.

Erstens, weil wirtschaftliche Berechnungen der Spitäler sehr lange brauchen. In der Regel liegen „fertige“ Zahlen erst mit einem Jahr Verzögerung vor. Also sind die Zahlen für 2009 erst Ende dieses Jahres „fertig“. Natürlich gibt es da und dort auch gescheite Mitarbeiter, die unterjährig Schätzungen anstellen, aber ein echtes Controlling ist auf Landesebene die Ausnahme. Das kommt daher, dass Landespolitiker geschätzte Zahlen, wenn sie unangenehm sind, nicht, oder wenigstens so spät wie möglich, hören wollen. Und so warten „brave“ Mitarbeiter darauf, dass sie nur mit „fertigen“ Zahlen zur Politik wandern. Sollte es doch jemand wagen, unerwünschte Zahlen „zu früh“ zu präsentieren, dann riskiert er manchenorts sogar seinen Job. Die Folge dieser Vogelstrauss-Politik ist eine endlose Erkenntnisverzögerung. Nichts desto trotz dürfte langsam auch auf politischer Ebene bemerkt werden, dass es echte Finanzierungsprobleme gibt.

Die zweite Ursache ist „Maastricht“.

Früher war Geld für gestandene Landespolitiker kein Problem; wurde es knapp, musste „Wien“ zahlen. Doch diesmal ist das anders, denn der Bund kann nicht mehr so einfach neue Schulden aufnehmen, nur um Weihnachtsmannpolitik zu bedienen. Und er kann es vermutlich auch nicht mehr Erlauben, dass Länder, statt wie gesetzlich vereinbart, Budgetüberschüsse zu erzielen und ins Bundesbudget einzuzahlen, weiter Schulden machen. Der laufende Betrieb der Spitäler reißt mittlerweile aber so tiefe Löcher in die Landesbudgets, dass ein Überschuss ohne Spitalsreform irreal ist. Wenn jedoch die Länder keinen Überschuss abliefern, erhöht sich das Bundesdefizit, was die Einhaltung der Maastrichtkriterien erschwert und – wichtiger – bei Rating-Agenturen schlecht ankommen wird. Neue Schulden unter diesem Titel würden erhebliche Probleme bereiten – das kriegen auch die Länder langsam mit.

Und so beginnt etwas, das wirklich nach ernsthaften Spitalsreformüberlegungen klingt, von Oberösterreich angefangen, bis nach Wien. Nur Niederösterreich tut noch so, als ob es auf unendlichen Geldquellen sitzt, Aber auch dort wird die Erkenntnis reifen, dass die Quellen zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hausarztmodelle – schön und gut!

Hausarztmodelle können nur funktionieren, wenn die Kompetenzen dort, wo sie wirken sollen, bereinigt werden – dazu braucht es Gemeinden, Länder, verschiedene Ministerien, Kassen – und mutige Politiker.

Als ich für „Die Zeit“ einen Artikel zum Thema SVA schreiben sollte, verwendete ich das Wort: „Hausarzt-Modelle“. Der Redakteur teilte mit, das müsse erklärt werden, weil das niemand verstehe. Wenigstens das dürfte sich anlässlich der jetzigen Diskussion ändern. Mit etwas Glück schafft es das Thema zu einer gewissen Breitenakzeptanz.

Es ist an der Zeit zu fragen, warum es die nicht hat und warum hierzulande erst etwas diskutiert werden muss, das anderswo bereits seit Jahrzehnten gute Praxis ist.

Schauen wird einfach in die Realität. Unser „Bild“ vom Hausarzt stammt aus den Nachkriegsjahren. Damals herrschte Ärztemangel, vor allem bei Fachärzten. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, durften Praktiker quasi alles. Und selbst in den 1980er Jahren gab es noch Landärzte, die Geburten machten. Unser Hausarzt war also sehr breit aufgestellt – und das lange Zeit zu recht.

Aber seit wenigstens zwanzig Jahren ist das anders. Die Ärztedichte ist international am höchsten, und Spitalsambulanzen liefern eine Spezialversorgungsbreite, wie sonst nirgendwo. Es ist nicht mehr nötig, dass Hausärzte „alles“ können und dürfen. Zudem hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert. Solange die Bevölkerung „jung und gesund“ war, musste der Hausarzt anderes leisten als heute, wo zunehmend alte, und immobile Patienten zu versorgen sind.

Kurz, das „alte“ Bild vom Hausarzt hat ausgedient. Und hier kommen wir zum Kernproblem. Die Politiker wissen einfach nicht, was sie mit dem Hausarzt noch anfangen sollen. Genau genommen, braucht man keine mehr (glaubt man!). Und aufbauend auf einem Gesetz (ASVG), dass niemand mehr versteht, und von Einzelinteressen zur Fratze verzerrt wurde, ist die Entwicklung eines „neuen“ Bildes kaum möglich.

International will man von Hausarztmodellen, dass möglichst viele gesundheitlichen Probleme vor Ort adressiert werden. Das Stichwort ist gesundheitlich – kein Wort von medizinisch, denn das wäre eine Einschränkung, die nicht funktioniert. Hausärzte (mit ihren Ordinationen) sollten niedrigschwellige Leistungen aus allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, von Prävention bis zur Pflege, anbieten (nicht bloß koordinieren!) können, nicht nur Heilbehandlung, wie es das ASVG vorsieht.

Prävention für alte Menschen (z.B.: Heimhilfen, damit Patienten nicht wegen häuslicher Verwahrlosung krank oder zum Pflegefall werden), die eben die wichtigste Patientengruppe heute darstellen, hat mit Heilbehandlung wenig zu tun, ja selbst Rehabilitation, wenn sie darauf abzielt, alte Menschen möglichst lange in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen (z.B. aktivierende Pflege) ist ihr nicht zuzurechnen. Und trotzdem gehören all diese Dinge zum „Hausarzt“, wie er sein sollte. Aber genau dort besteht ein Kompetenzwirrwarr zwischen Gemeinden, Länder, verschiedenen Ministerien, Kassen und wer weiß wem sonst noch. Dass hier ein Hausarzt wirklich steuernd eingreifen kann, setzte eine Strukturreform voraus.

Der Erfolg eines Hausarztmodells wird u.a. daran gemessen, ob unnötige Spitalsaufenthalte und Facharztüberweisungen weniger werden. Damit werden die Interessen der Länder und Fachärzte direkt betroffen – Einsparungen könnten zu ihren Lasten gehen. Es ist schwer vorstellbar, dass das dem Hausarzt in der Realität „erlaubt“ würde – ohne Strukturreform.

Will man also wirklich Hausarztmodelle, muss man das System umbauen – alles andere wäre eine „österreichische“ Lösung!

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Profitgier im Gesundheitssystem

Wer am Patienten verdienen will, will durch Leid und Krankheit Gewinne machen. Das ist unmoralisch! Nur der gerechte Lohn darf verlangt werden – und den setzen Politiker fest. Gott sei Dank!

Am Stammtisch, in Diskussionen und auch guten Zeitungen ist es zu erfahren: Die Pharmabranche ist nur an Profit und nicht am Wohl des Patienten interessiert. Nur um Gewinne nicht sinken zu lassen, sind sie sogar bereit ihm zu schaden. Der Shareholder-Value ist wichtiger, als der Stakeholder-Value!

Nun, das ist möglicherweise nicht ganz unrichtig, auch wenn es in Österreich von den Fakten her nicht nachvollziehbar ist.

Gemessen an den Gesundheitsausgaben liegen die für Medikamente, nach den letzten OECD-Daten, mit 13 Prozent weiter sehr niedrig. Also verdient die Branche offenbar nicht auf Kosten anderer Stakeholder, die ja von den verbleibenden 87 Prozent leben. Wenigstens diese (dazu gehören vor allem all Lohn- und Einkommensbezieher) werden offenbar nicht verdrängt.

Pro Kopf und in Geld gemessen, liegen wir im Schnitt. Das heißt, dass wir wenigstens nicht beim Patienten knausern. Allerdings kommen wir auf den Wert nur, weil die Pharmabranche auf Masse macht. Und das wiederum macht sie, weil die Stückpreise im internationalen Vergleich sehr niedrig sind. Und die sind niedrig, weil Preise hierzulande nicht vom Markt, sondern durch Behörden festgelegt werden. Ob das patientenfreundlich ist, wäre sehr fraglich – ist aber logische Folge des Systems.

Wie dem auch sei, die Pharmabranche verdient mit uns nicht wirklich gut. Objektiv betrachtet kann ungezügelte „Profitgier“, wenn es sie gibt, hierzulande jedenfalls nicht umgesetzt werden. Und trotzdem haben so viele das Gefühl, es wäre so!

Vielleicht ist das ja deswegen, weil die Regulierung so streng ist, dass die Pharmabranche rasch an Grenzen stößt und diese dann legitimerweise auch auslotet. An diesen Grenzen jedoch wird das Gefühl von „unmoralischem“ Verhalten geweckt. Ist eine bezahlte Beobachtungsstudie Bestechung oder Forschung? Sind Einladungen zu Kongressen Korruption oder für das System wichtig? Darf ein Pharmareferent Abos für wissenschaftliche Periodika verschenken, oder ist das Anfütterung? All das liegt in Grauzonen, und mir stellt sich die Frage, ob unser Korsett nicht irgendwie „falsch“ ist. Das Gefühle, dass alles was die Pharmabranche macht, nur dem Ziel dient, „unmoralisch“ hohe Gewinne zu erzielen, wird aber in der Realität genau an den Grenzen gut genährt.

Und wer profitiert davon?

Nun, die Pharmabranche ist der einzige Stakeholder, der offen nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten handelt und daher Gewinne machen will. Alle anderen, angefangen bei den Spitälern samt Arbeitsplätzen, politischen Einflussnahmen und wählerstimmenmaximierenden Möglichkeiten, über niedergelassene Ärzte bis hin zu Kassen, Gewerkschaften und Kammern, alle sind sie der (selbstgemachten?) Meinung, dass sie nur für das Wohl des „wichtigsten“ (?) Stakeholders – des Patienten – arbeiten. Sie wollen nichts verdienen, oder gar Gewinne machen! Sie wollen nur ihren gerechten Lohn für die Fürsorge, die sie angedeihen lassen. Und was gerecht ist, dass sagt uns am besten ein Kassenobmann, ein Kammerpräsident, ein Landeshauptmann oder ein Minister.

Zunehmend jedoch werden diese hinterfragt! Und was ist es dann leichter, als auf das gute alte Modell des äußeren Feindes zurückzugreifen. Und da nur die Pharmabranche ihre Gewinnabsicht ehrlich zur Schau trägt, machen jene, die sich anmaßen, Moral von Unmoral zu unterscheiden, daraus ein Kainsmal – und können so ihre eigene Position „moralisch“ absichern.

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Enten aus der Gesundheitspolitik

Um eine sommerliche Debatte anzuregen, könnte man doch ein paar gänzlich frei erfundene Gerüchte ausstreuen – echte und bewusste Zeitungsenten eben.

Österreich ist mit Spitälern unterversorgt: Entgegen landläufiger Meinung, wir hätten zu viele Spitäler, gibt es tatsächlich zu wenige. Die Vorgaben im Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (Bundesgesetz) verlangen für 50.000 bis 90.000 Einwohner eine Standardkrankenanstalt (also die einfachste Spitalsvariante mit wenigstens Innerer Medizin und Chirurgie).

Da aber ein Drittel der Spitäler ein größeres Einzugsgebiet als selbst die Obergrenze von 90.000 hat, besteht, bei entsprechender Lesart des Gesetzes, in vielen Regionen eine Unterversorgung. So hat beispielsweise das Spital in Mödling ein Einzugsgebiet von 188.000 Einwohnern. Es fehlen hier also gleich zwei ganz neue, zusätzliche Spitäler. Es ist dringend an der Zeit, dass die Politik reagiert und gesetzeskonform neue Spitäler errichtet.

Angeblich arbeitet die Landeshauptleute-Konferenz unter Vorsitz Niederösterreichs, das zu jenen Ländern zählt, die die meisten unterversorgten Regionen aufweist, an einer entsprechenden Forderung; eine Art Spitalsrettungstopf soll Bundesgelder (also unsere Steuern) freimachen, um endlich den vom Gesetz vorgegebenen Spitalsausbau zu finanzieren. Dabei soll es reichen, wenn der Bund das Geld gibt, bauen könne man dann selbst.

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Die MedUni-Innsbruck übersiedelt: Gemäß dem oben genannten Gesetz haben Bundesländer mit mehr als einer Million Einwohner wenigstens ein Zentralspital (also ein Spital der Maximalvariante, das alles, aber auch wirklich alles hat) vorzuhalten. Medizinische Unis müssen jedenfalls solche Maximal-Spitäler sein.

Da Tirol nur etwa 700.000 Einwohner hat, sind sie nicht verpflichtet, ein Zentralspital vorzuhalten, da in Innsbruck aber eine Universität steht, verfügt das Land trotzdem über eines. Angeblich ist das aber zu teuer, deswegen wollen die Tiroler viel Geld vom Bund (unsere Steuern).

Aber auch aus der Steiermark ist zu hören, dass man eigentlich nicht sehr glücklich ist, eine Uni zu haben. Im Gegensatz dazu haben weder Ober- noch Niederösterreich eigene Unis; wollen aber gerne welche haben.

Unbestätigten Gerüchten zufolge arbeitet jetzt eine geheimste Arbeitsgruppe daran, neue MedUni-Standorte zu suchen. So soll die Uni-Innsbruck nach Linz und die Uni-Graz entweder nach Wiener Neustadt (wegen dem MedAustron) oder aber nach St. Pölten übersiedeln. Die fallweise ebenfalls genannte Stadt Krems dürfte eher Außenseiterchancen haben.

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Oberösterreich bald ohne Herzinfarkt-Opfer: Dank der vielen neuen Einrichtungen kann ab 2011 so gut wie jeder Oberösterreicher innerhalb von 20 Minuten bequem mit dem eigenen Auto zum nächsten Spital mit Herzkatheter fahren, um sein Herz untersuchen zu lassen. Und da es dann auch ausreichend Kapazitäten gibt, um drei bis vier Millionen Menschen zu versorgen, sollte es kein Problem sein, jeden, der auch nur ein leichtes Druckgefühl in der Brust verspürt, einer Koronarangiographie zu unterziehen. Damit dürfte der Herzinfarkt in Oberösterreich ab 2011 der Geschichte angehören.

Man hört, dass dieses Modell bei anderen Bundesländern auf größtes Interesse stößt. Daher soll die bisher geltende Richtlinie, dass für 90 Prozent der Einwohner ein Spital mit Herzkatheter innerhalb von 60 Minuten erreichbar sein soll, vom Bund auf 20 Minuten geändert wird. Damit erspart man sich dann die lästigen Bedarfs- und Kostendiskussionen im Vorfeld.

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitspolitik? Gute Nacht Österreich!

Erschreckend, wo die Gesundheitspolitik angekommen ist – selbst Ludwig XIV. hatte wohl mehr Skrupel, sich über Realitäten hinwegzusetzen, als unsere Politiker.

F. Nietzsche und O.Spengler würden hämisch lachen, J. Evola wäre entzückt über das Gehabe hiesiger Landespolitiker. Machiavelli wäre stolz, dass, nach 500 Jahren und scheinbarem Untergang des Absolutismus, seine Ratschläge noch immer beherzigt werden. Was diese Philosophen eint? Mit Ausnahme letzterem haben sie alle die Demokratie verachtet. Letzterer, zwar theoretisch Anhänger von Republiken, hat trotzdem allen Machthungrigen, und besonders selbsternannten Fürsten, eine Anleitung gegeben, wie sie durch Lug, Trug und Täuschungen ihre Macht mehren können.

Was mich zu diesen Philosophen geführt hat? Der Expertenbericht „Gesundheit und Pflege“, samt Spitalsschließungsdiskussion und den konsequenten Politikerreaktionen.

Schon die Wahl der „Experten“ für den Bericht zeigt, dass die, die ihn beauftragten (Bundes- und Vizekanzler), nichts Überraschendes hören wollten. Wer Namen sucht wird enttäuscht, denn die Experten sind Institutionen.

Da sind das IHS, das als „roter“ Think-Tank gegründet wurde und das Wifo, als dessen „schwarzes“ Pendant. In beide wird, trotz Dementis, kräftig hineinregiert. Zu der „schwarz-roten“ Expertentruppe gesellen sich der, laut fürstlichem Entschlusse sich immer wieder irrende, Rechnungshof und das KDZ, eine eher unbekannte Größe, die sich seit Jahrzehnten mit der Verwaltungsreform beschäftigt – daher auch der Bekanntheitsgrad.

Diese „Vier“ sind DIE Experten für das Gesundheits- und Pflegewesen!? Andere sind wohl grundsätzlich mit keiner „Expertise“ ausgestattet. Zum Beispiel das ÖBIG (Österreichische Bundesinstitut im Gesundheitswesen, das jetzt unter Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) firmiert), das seit Jahrzehnten keine andere Aufgabe hätte, als die wissenschaftliche Durchdringung des Gesundheitswesens. Nicht einmal deren Publikationen werden von den „Vier“ herangezogen. Vielleicht deswegen, weil das ÖBIG, in skurriler Weise, von einem schwarzen Geschäftsführer bei einem roten Eigentümer (Gesundheitsministerium) geführt wird? Sehr unsichere Gesellen!

Wie dem auch sei, die „Vier“ haben in eineinhalb (!) Jahren einen 65 (!) Seiten langen (Geheim)Bericht erstellt, der Grundlage für politische Diskussionen einer „echten“ Reform sein soll. Puh! Wer in anderen, aber eben modernen Demokratien herumschaut, erschaudert sanft. Berichte von deutlich geringerer Tragweite haben 500 und mehr Seiten – ja selbst Kurzfassungen sind ausführlicher (z.B. deutscher Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen).

Wen wundert’s, dass in unserem Bericht nur arbiträre Meinungen zu finden sind. Das zeigt auch die Quellenangabe; fast nur eigene Arbeiten der „Vier“, kein Hinweis auf wissenschaftliche – und transparent publizierte – Literatur. Ich habe Diplomarbeiten gelesen, die besser recherchiert waren.

Aber egal wie schlecht dieser Bericht gemacht wurde und egal welche Winkelzüge Politiker im Vorfeld versucht haben, er ist für sie schlicht vernichtend. Offenbar sind selbst die „eigenen“ Experten nicht mehr bereit, Objektivität heuchelnd Lobeshymnen zu singen.

Und da kommt sie, die an Nietzsche & Co erinnernde Reaktion: Alles falsch, gemacht von „selbsternannten“ (sehr merkwürdig!) Experten, die keine Ahnung haben, um was es wirklich geht – und genau da stellen sich mir die Nackenhaare auf!

PS: wenn jemand den Bericht lesen will – per E-Mail unter Auflage strikter Geheimhaltung beim Rezeptblock erhältlich.

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ländliche Polemik in der Spitalsplanung

Rasend war der Zorn der Länder, als von Bundespolitikern Ideen zur Spitalsreform – politisch unprofessionell – ventiliert wurden.

Am lautesten war wohl der für „seine“ Spitäler zuständige NÖ-Finanzlandesrat W. Sobotka. Er erklärte Bundespolitiker zu Dilettanten, denen man Spitalsplanung nicht überlassen darf. Immerhin kennen die ja nicht einmal die Gesetzte, als da wären: 90 Prozent der Bevölkerung müssen innerhalb von 30 Minuten Fahrzeit (Individualverkehr!) ein Spital erreichen können, und für ein Einzugsgebiet von 50 bis 90 Tausend Einwohner ist jedenfalls ein Spital mit Abteilungen für Chirurgie und Innere Medizin vorzuhalten. Damit kann kein Spital geschlossen werden. Das ist natürlich falsch.

Seit Jahren hat der Landesrat eine theoretisch optimierte Standortwahl in der Schublade (oder weggeworfen), die, wenn man es voraussetzungslos darauf anlegte, die Erreichbarkeit mit acht Standorten garantiert; 27 braucht man dazu nicht. Aber vielleicht werden die 30 Minuten mit dem Ochsenkarren und nicht dem Auto berechnet. Und wie schaut es mit den Einzugsgebieten aus? Nicht besser. Neun der 27 Spitäler haben ein Einzugsgebiet unter 50.000 Einwohner. Eine gesetzliche Forderung besteht also nicht.

Ebenso falsch ist, dass NÖ gar nicht „so viele“ Spitäler und Betten hat. Und um das zu belegen, wurde eine „Studie“ angefertigt, derzufolge die Dichte an Spitälern und Betten unter dem Bundes-Schnitt läge. Was (absichtlich?) verschwiegen wird, ist, dass ein Viertel der Niederösterreicher in anderen Bundesländern behandelt werden. Korrekterweise müsste man die Abziehen – und dann ist man wieder auf dem Bundes-Schnitt.

Wenn man genauer schaut, sieht man aber, wie willkürlich Spitalsplanung ist. Während im bevölkerungsreichen nördlichen Industrieviertel die Spitalshäufigkeit niedrig ist, weil die Hälfte der Patienten nach Wien geschickt wird, ist sie in dem mit Spitälern überreich ausgestatteten Mostviertel gleich 14 Prozent über dem Bundes-Schnitt. Ob das damit zu tun hat, dass dort der Wahlkreis des Finanzlandesrates liegt?

Aber mit Polemik ist Niederösterreich nicht alleine – da sind alle Bundesländer gleich. Und überall wird Unterversorgung skandiert, wenn Spitäler schließen. Ein Blick in die EU macht sicher, dass das falsch ist. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle, mit 20, die EU mit 17 aus.

Wäre die Diskussion ehrlich und sachlich, gäbe es keinen Grund, alle Spitäler zu halten. Und damit ja niemand auf eine sachliche Ebene (herab oder hinauf?) steigen kann, hat man den alles stechenden Trumpf gleich am Anfang gezogen: Arbeitsplatzsicherung!

Nicht grundlos betont die WHO seit den 1980er immer wieder, dass aus beschäftigungspolitischen Gründen Spitäler keinesfalls erhalten werden sollten. Es gilt als bewiesen, dass so die Qualität sinkt. Trotzdem halten Landespolitiker fest: zehntausende verlören ihre Arbeit, wenn eine Spitalsreform kommt!

Aber das stimmt auch nicht, denn bei der derzeitigen demographischen Veränderung ist es schlicht unmöglich, auf tausende Arbeitskräfte zu verzichten – die Arbeit ist da und wird nicht weniger. Nur wie und wo sie erbracht wird, das könnte sich ändern.

Und da liegt auch der Grund – welcher Politiker will schon den direkten Einfluss auf tausende Mitarbeiter verlieren. So wie im Mittelalter die Macht eines Fürsten in der Zahl seiner leibeigenen Bauern gewogen wurde, ist es heute die Zahl der Spitalsmitarbeiter. Eine Spitalsreform würde diese Zahl schrumpfen lassen. Und das geht gar nicht.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Fünkchen Hoffnung

Für Laien ist die Vereinbarung zwischen der SVA und der Ärztekammer wohl kaum in ihrer Bedeutung nachzuvollziehen – aber sie ist wirklich epochal, wenn sie denn zu leben beginnt.

Wir schreiben das Jahr 20xy. Herr M. erhält einen Anruf seines Hausarztes Dr. K. Seine Blutbefunde seien eingetroffen und leider seien die Werte seiner Zuckerkrankheit nicht so, wie es sich beide erhofft hätten. Er bitte um einen Termin und avisiert seine Sprechstundenhilfe, die den Termin koordinieren wird.

Herr M. ärgert sich, weil er es nicht geschafft hat, mehr Selbstdisziplin an den Tag zu legen und die vereinbarten fünf Kilo abzunehmen – jetzt kriegt er die Rechnung. Aber andererseits freut er sich, dass es jemanden gibt, der ihm die Realität vor Augen hält und seinen Zucker nicht schönredet; denn Zucker ist keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Das weiß er.

Auch Dr. K. ärgert sich. Seine Praxis zählt zu den Top 5 Prozent in der Diabetikerbetreuung. Seine Patienten müssen selten ins Spital, die Amputationsraten hat er mehr als gedrittelt, Erblindungen kommen praktisch nicht mehr vor und kein einziger Patient wurde dialysepflichtig. Und das alles, obwohl die sozioökonomische Schicht seiner Patienten unterdurchschnittlich ist. So eine Qualität kann man nur erbringen, wenn man sich über jeden einzelnen Patienten, der seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ärgert.

Dr. K. hat schon früher, vor der Umstellung des Kassen-Honorarsystems, Diabetiker besonders betreut. Das hat viel (Frei)Zeit und Geld gekostet. Seine Frau und seine Kinder waren dagegen, aber er hat aus ethischer Sicht nicht anders können. Seit allerdings nicht mehr nur Menge, sondern auch Qualität bezahlt wird, hat sich das geändert. Mit seinen Qualitätskennzahlen verdient er jetzt mehr als vorher und kann sich dabei stärker auf seine Patienten konzentrieren. Die Reform, die 2010 zwischen der SVA und der Ärztekammer beschlossen und später von allen Kassen übernommen wurde, hat riesige Vorteile für ihn und seine Patienten gebracht. Zwar war er anfangs skeptisch, aber alle Zweifel sind mittlerweile verflogen.

Das, was für Systemkenner wie eine Utopie klingt, könnte Realität werden; denn die SVA-Ärztekammer-Vereinbarung, in der festgelegt ist, wie man das Kranken- in ein Gesundheits-Kassensystem umbauen will, könnte Grundlage für eine echte Reform sein.

Man soll aber auf dem Boden bleiben. Was vorerst in einer Punktation beschlossen wurde, ist ohne sehr viel theoretische Vorbereitungsarbeit nicht umzusetzen. Mehr noch, es besteht eine nicht zu unterschätzende Gefahr eines Total-Flops.

Aber, es gibt international schon viel Wissen, wie man solche Reformen angehen kann. Viele Länder haben bereits seit Jahrzehnten Erfahrung mit Hausarzt- und Vorsorgemodellen. Auch mit der Umstellung von Einzelleistungs- auf qualitätsorientierte Betreuungs- Honorarsysteme gibt es Wissen, das dienlich sein könnte. Es liegt an den Verhandlern, dieses Wissen aufzugreifen, für hiesige Verhältnisse zu adaptieren und darauf zu achten, Fehler, die anderswo gemacht wurden, zu vermeiden. Bei gutem Willen und transparentem Vorgehen funktioniert das.

Aber neben der Theorie geht es jetzt vor allem um Überzeugungsarbeit. Viel Skepsis wird auftreten und es wird nicht reichen, nur Funktionäre zu überzeugen. Die Basis muss überzeugt werden! Wenn das aber gelingt, dann kann man wirklich von einer „epochalen Veränderung“ (Ärztekammerpräsident Dr. Dorner) sprechen.

Und weil ich sonst mit Lob sparsam bin, hier ist es angebracht – einfach weil Mut bewiesen wird und Bewegung in das anachronistische Kassensystem kommt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Neue Zeiten im Kassenbereich?

Seit Jahrzehnten verhandeln zehn Ärztekammern und dutzende Krankenkassen über Organisation und Finanzierung der ambulanten Versorgung – und das mit anachronistischen Methoden.

Ziel dieser Verhandlungen ist es, in kollektivvertragsartigen Gesamtverträgen festzulegen, wie viele Kassenärzte es wo geben muss, welche Leistungen von welchen Kassen bezahlt werden und in welcher Höhe die Leistungshonorare ausfallen.

Die Verhandlungen selbst liefen immer gleich ab. Die Kassen haben den Kammerfunktionären gesagt, wie viel mehr Geld es im nächsten Jahr geben wird und dann ist man daran gegangen, anhand von Honorarkatalogen, in denen die Leistungen taxativ festgehalten sind, zu überlegen, wie man das zusätzliche Geld verteilt. Und mal haben sich die einen (Fach)Ärzte durchgesetzt, mal die anderen.

Es gibt 13 oder 14 solcher Honorarkataloge (für die neun Gebietskrankenkassen je einen, für die restlichen zehn oder zwölf Kassen die restlichen) die allesamt nicht zusammenpassen, auch wenn über „Meta-Honorar-Ordnungen“ oder „Mapping-Strategien“ versucht wird, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Es wurde nämlich gänzlich vernachlässigt, die einzelnen Leistungen ordentlich zu definieren oder den Verhandlungen echte Kalkulationen zu Grunde zu legen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bedarf der Leistungen hat es ebenso wenig gegeben, wie den Versuch, herauszufinden, welche Anreize man mit den Honoraren schafft und welche Auswirkung das auf die Versorgung hat. Die Kataloge sind schlicht ein willkürliches Verteilungsinstrument.

Allerdings hat sich die Welt gehörig geändert. So ist das Monopol der ambulanten Versorgung durch Kassenärzte längst gebrochen. Seit den 1970ern nehmen die Spitalsambulanzen an Bedeutung zu. Anfangs waren sie noch Teil des Systems, weil sie den Kassen spezielle Honorare verrechnen konnten. Seit 1995 ist das vorbei. Seither gibt es nur patientenunabhängige Pauschalen, die an Landesregierungen ausbezahlt werden. Und wen wundert es, dass die Zahl der Patienten explodiert, die Anreize sind ja so ausgerichtet, dass Patienten dem Spital zugewiesen werden. Parallel stieg die Zahl der Wahlärzte an. Heute gibt es mittlerweile mehr als Kassenärzte. Welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte haben, wird sorgsam verschwiegen; aber sie sind sicher nicht mehr aus der ambulanten Versorgung wegzudenken. Und in all dem noch gar nicht berücksichtigt, sind die tagesklinischen (Spitals)Leistungen, die ja eigentlich auch der ambulanten Versorgung zuzurechnen sind.

Es wird Zeit, dass Kassen und Ärztekammern endlich verstehen, dass ihr liebgewonnener Weg anachronistisch ist. Will das Kassensystem überleben, wird es sich bewegen müssen.

Und genau das dürfte bei der SVA passieren. Denn, so der Vorschlag gegenüber der Ärztekammer, anstelle des alten Kataloges soll ein innovatives, patientenorientiertes Verrechnungsmodell treten. Moderne und flexible Honorierung nach Erkenntnissen der Versorgungswissenschaft und laufende Adaptierung des Leistungskatalogs nach neuesten medizinischen Erkenntnissen wird ebenso vorgeschlagen wie die Entlohnung in Abhängigkeit von der erbrachten Qualität, anstatt nur der Quantität. Es soll Anreize für integrative Versorgung geben, Hausarztmodelle sollten ebenso im Katalog enthalten sein, wie strukturierte Versorgungskonzepte für chronisch Kranke – alles in allem also eine komplette Umstellung der Finanzierungs- und Organisationsstruktur.

Das so etwas von der Ärztekammer vorerst (und reflexartig) abgelehnt werden muss, ist nur klar, aber dass es auf Dauer verhindert werden kann, Illusion.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.