Eine Studie, die keine oder alle Schlüsse zulässt

630.000 Euro für 1400 Seiten, davon 930 in gesundheitsökonomischem Fachenglisch, die unübersetzt blieben.

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   Leichte Kost ist die Studie nicht. Die Rede ist von einer Studie der London School of Economics (LSE) im Auftrag des Sozialministeriums, die    eine Handlungsanleitung zur Reform der Sozialversicherung geben sollte.

Nach der Lektüre einiger hundert Seiten stellt sich das Werk als Zusammenfassung bekannter Lehrmeinungen und Theorien ohne eigene Berechnungen dar – also ein Lehrbuch. Eine Studie, die helfen soll Entscheidungen zu treffen, ist es nicht – nicht nur wegen des Umfangs. Selbst dort, wo es Vorschläge gibt, bleibt es eine Aufzählung von dem, was die Lehre der Gesundheitssystemforschung anzubieten hat. Eine Bewertung der Vorschläge fehlt, womit beliebig gewählt werden kann. Und so verwundert es nicht, dass sich alle auf das sogenannte „Modell 4“ stürzen, das alles so beibehält, wie es ist, und nur durch mehr Risikostrukturausgleich und bessere Koordination durch gemeinsame Servicezentren ergänzt.

Nun, in der Studie (Kapitel 4, Seite 131 ff) klingt das anders.

   Da wird klar, wie mächtig diese gemeinsamen „Servicezentren“ sein müssten; sie übernähmen alle wesentlichen Aufgaben aller Krankenkassen, wie etwa die Verhandlungen mit den Ärztekammern. Es wäre daher eine Art virtuelle Kassenfusion. Zudem müssten alle Kassen all ihr Geld (nicht nur zwei Prozent) in einen Topf werfen, von dem dann, je nach Krankheitsrisiko der Versicherten, mehr oder weniger zurückfließt. Und weil es keine weitreichenden Gesetzesänderungen geben darf (so die Prämisse des Modells 4), muss alles freiwillig sein.

Da aber, wie zu lesen, erhebliche Rechtsrisiken blieben, etwa, dass die Beamtenversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen bei so einem Risikostrukturausgleich nicht mitmachen könnte, schlägt man Minischritte vor, an deren Ende die derzeitige Verfassung umgangen werden kann. Damit das funktioniert, soll der Staat mit Steuergeld in den Risikoausgleich einsteigen, freilich ohne mehr Mitspracherecht in der Selbstverwaltung zu erhalten.

Nach Schätzungen würde das etwa 1,2 Milliarden Euro ausmachen, die in höhere Arzthonorare (eine Steigerung um ein Drittel zu heute) fließen müssten. Das ist schwieriger umzusetzen als eine Verfassungsänderung, die in den Modellen 1 bis 3 notwendig wäre. Aber das macht nichts, kaum jemand kann so gut Englisch, dass er gesundheitsökonomische Fachliteratur lesen kann. Und weil dieses Werk so dick und unübersichtlich ist, werden selbst die, die es könnten, nicht monatelang darüber brüten. Die, die es tun, werden es tun, um herauszulesen, was für die eigene Institution passt. Und weil niemand nachlesen kann/will/wird, kommen die damit locker durch.

Und so hören wir, dass „die LSE-Studie der bestehenden Struktur der Sozialversicherungen ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt hat“, auch wenn dort steht, dass „davon ausgegangen werden muss, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre“.

   P.S.: Erschreckend ist die Fehlerquote. Bei einer monatelangen Verzögerung und einem Preis von etwa 500 Euro pro Seite könnte man ein Lektorat erwarten – oder wurde noch ganz schnell umgeschrieben?

„Wiener Zeitung“ Nr. 169 vom 31.08.2017  

Literaturservice: LSE-Studie und zugehörige Presseunterlagen

Zur ohnehin politisch schon sehr eingeklemmte Studie (hier in Englisch ), hat der Autor der Studie, Minister Stöger einen 12 Seiten langen Brief zur Studie übermittelt, der doch eine ganz andere Sprache spricht, als die Presseunterlagen.

Besonders beachtenswert ist – neben den nicht neuen Darstellungen der Schwächen und den „bemerkenswerten“ Fakten (trotz Innhomogenität kriegen alle was sie brauchen; trotz enormer Spitalshäufigkeit sind die Ausgaben niedrig) – vor allem die Modell-Variante 4, die hier als Reform vorgeschlagen wird. Sie ist im Grunde keine Reform, sondern es kann alles bleiben wie es ist, sofern bestimmte Rahmenbedingungen hergestellt (klingt eben nach – was muß sich ändern, damit alles beliben kann wie es ist) werden. Es ist die einzige Variante, die in diesem Brief näher beleuchtet wird, gerade so, als ob die LSE fürchtet, dass diese (mMn „wünsch-dir-was)Variante von der Politik derart präferiert wird, dass sie behauptet: „es sei eh jetzt schon alles bestens, und die LSE bestätigt das auch“

Und wie zu erwarten war (wobei ich sicher bin, dass bereits im Vorfeld heftig darüber geredet wurde – vielleicht auch deswegen der lange Brief) entscheidet sich die Politik sofort für Variante 4 und will diese gleich umsetzen – allerdings, und das zeigen die Presseunterlagen – nicht im Sinne der Studie: kein Wort von einer Reform des Risikostrukturausgleichs ALLER Kassen, kein Wort vom Herauslösen der Spitalsambulanzen, um sie im Kassensystem zu integrieren, kein Wort von eine Leistungsharmonisierung aller Leistungen aller Kassen (nur „nicht-ärztliche“ Leistungen sollen harmonisert werden, also keine Veränderung im Gesamtvertragssystem. Deswegen kostet die Harmonisierung auch nur wenig – eine echte würde 1,2 Mrd.€ kosten, die vorgeschlagene ein paar hundert Millionen)

Die Variante 4, wenn sie im Sinne des Briefes umgesetzt werden sollte, wäre mit Abstand die komplexeste und langwierigste. Und weil ich eben glaube, dass es den Politikern eigentlich nicht um eine wirkliche Reform geht, wird diese Variante gewählt und dann versanden – wie endlos viele Reformen davor.

 

Eine endgültige Bewertung kann ich aber erst nach den 1.400 Seiten vornehmen – und auch erst dann, wenn sie online ist!

 

 

Gesundes Altern statt Pflege

Den Pflegeregress abzuschaffen, wird das Pflegesystem eher verschlechtern – also bei mehr Geld zu noch weniger Gesundheit führen.

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   Ein Blick in die OECD-Daten zeigt, 2013, pro Kopf und kaufkraftbereinigt, gaben die Dänen exakt gleich viel für Gesundheit und Pflege aus wie Österreich. Setzt man das in Relation zum Anteil der Bevölkerung über 65, der in seinen täglichen Aktivitäten stark eingeschränkt, also echt pflegebedürftig ist, erlebt man eine Überraschung: Bei uns beträgt der Anteil 22 Prozent, in Dänemark acht. Dänemark hat es also geschafft, „gesundes Altern“ zu ermöglichen, wir nicht.

   Doch was machen die so anders?

   Die Antwort ist einfach. Dänemark hat die gesamte Pflege ins Gesundheitssystem integriert. Dort bezieht man von der Einkaufshilfe bis zur Herztransplantation alles als Sachleistung, und alle Leistungen werden so eingesetzt, dass möglichst viel Gesundheit rauskommt. Daher gibt es kaum informelle Pflege und Betreuung. Und der sinnvolle Einsatz von Profis führt zu besseren Ergebnissen.

   Wir hingegen setzen auf selbst organisierte, informelle Pflege (also durch Angehörige oder „illegale“ Betreuung), die oft nur gut gemeint ist. Und wir reizen das an, in dem wir „Pflegegeld“ ohne Zweckwidmung auszahlen. Und auch Pflegegeld gibt es erst, wenn täglich mehr als zwei Stunden Pflege- beziehungsweise Betreuungsbedarf besteht; davor ist es ausschließlich selbst zu finanzieren.

   Das Pflegegeld ist dann so berechnet, dass zwischen drei und fünf Euro pro Betreuungs- oder Pflegestunde herauskommt – damit kann man noch nicht einmal eine Putzkraft schwarz finden.

   Wir fordern also massiv die informelle Pflege – und erhöh(t)en den Druck über Regresse. Und so darf es nicht verwundern, dass zwar 450.000 Österreicher Pflegegeld erhalten, aber nur 146.000 davon (auch) formale Pflege in Anspruch nehmen.

   Ist das bei den niedrigen Pflegestufen vielleicht noch zu vertreten, wird es bei den höheren Stufen krass. Von den 77.000 Patienten, die mindesten sechs Stunden Pflege pro Tag brauchen, werden 42.000 (17.000 davon bettlägerig) informell gepflegt, nehmen also weder mobile Dienste noch ein Pflegeheim in Anspruch. Nur ein Bruchteil davon wird eine (legale) 24-Stundenbetreuung haben. Diese informelle Pflege macht unser System günstig, im Gegensatz zum dänischen, das eines der teuersten ist.

   Doch, ersparen wir uns da wirklich etwas? Eben nicht, denn ein sinnvolles, auf Prävention ausgerichtetes, auf Sachleistungen aufgebautes, integriertes System ermöglicht das „gesunde Altern“ und reduziert Kosten in der Akutversorgung. Am Ende kriegen Dänen mehr Gesundheit für das gleiche Geld.

   Und weil es bei dem Thema Pflegegeld immer so einen Reflex gibt: In Dänemark werden die Leistungen nicht von öffentlich angestellten Kräften erbracht. Es gibt einen „Pflegemarkt“ und freie Wahl der Anbieter. Der Unterschied ist, dass die eben nicht von Patienten, sondern von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Bei uns ist es nicht selten anders – da gibt es Regionen, in denen so etwas wie Gebietsschutz für Anbieter gibt (meist entsprechend der parteipolitischen Farbenlehre), der Patient also keine Wahlfreiheit hat, dafür aber direkt bezahlen muss, was er kriegt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 130 vom 06.07.2017 

Wieder eine papierene Gesundheitsreform

Geheime Papiere, die toll angepriesen und gefeiert werden, und Monitoringberichte, die tunlichst unbemerkt erscheinen.

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   Juhu, wir haben einen neuen B-ZV! Einen was? Einen Bundes-Zielsteuerungsvertrag – das ist der „Fahrplan Gesundheit für die nächsten fünf Jahre“ (© Gesundheitsministerium). Und weiter: „Dass wir heute (24. März, Anm.) den B-ZV für die Zeit von 2017 bis 2021 beschlossen haben, zeigt, dass die Gesundheitsreform funktioniert“ (© Hauptverband). Leider ist dieser toll gefeierte Vertrag (noch) unter Verschluss – und kein Journalist hat nachgefragt, wo er denn sei. Wir sollen ihn nicht lesen, wenigstens nicht vor der Wahl. Bis dahin muss es reichen, von ihm zu hören und zu akzeptieren, dass der Rücktritt von Ulrike Rabmer-Koller unverständlich ist.

   Weil ich ihn schon habe (vertraulich – wie üblich), weiß ich, dass der neue B-ZV ein paar lustige Dinge enthält – so kommt „aut idem“ wieder. Eine Reformidee, die vor zehn Jahren schon mal war, und bei der es darum geht, dass nicht Ärzte entscheiden, welches Medikament der Patient kriegt, sondern Apotheker, die ein anderes als das verordnete, aber wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben dürfen. Das hilft, deren Lagerkosten zu reduzieren.

   Aber grundsätzlich ist der neue B-ZV langweilig, steht doch alles schon in ähnlicher Form im alten. Auffällig ist nur, dass die Zahl der Ziele deutlich geschrumpft wurde. Im alten gab es noch viele „strategische Ziele“, „operative Ziele“ und Maßnahmen, eh oft schwammig definiert, aber immerhin. Jetzt gibt es praktisch nur Überschriften, und Zielwerte werden gerne mit kleinen Pfeilen dargestellt, die je nachdem nach unten oder nach oben zeigen – praktisch für die Zielerreichung. Der Grund dafür ist klar. Denn während der geheime, aber neue B-ZV groß abgefeiert wurde, ist, völlig ohne Tamtam, Ende Mai der II/2016- Monitoringbericht erschienen – die Berichte erscheinen halbjährlich und listen auf, wo die Gesundheitsreform steht. Sie zeigen also, wie diese funktioniert. Und weil sie (siehe oben) funktioniert, müssten die Erfolge des alten B-ZV, der von 2012 bis 2016 gegolten hat, in diesem Quasi-Abschluss-Bericht stehen. Wenn es etwas zum Feiern gäbe, dann eigentlich den II/2016-Bericht, nicht den neuen B-ZV.

   Eigentlich, wäre da nicht ein klitzekleines Problem; denn alle relevanten Ziele des alten B-ZV wurden schlicht nicht erreicht. Eigentlich hat sich in substanziellen Zielen niemand an den Vertrag gehalten. Das zeigt dieser Bericht sehr unangenehm auf. Also muss man den neuen B-ZV feiern. Damit feiert man eine ferne Zukunft. Und um die Chancen zu erhöhen, dass nicht wieder unangenehme Berichte das eigene Versagen monitorisieren (vielleicht liest ja doch mal ein Journalist diese Berichte), steckt man sich weniger, weniger konkrete und weniger hohe Ziele. Denn, am Ende ist der B-ZV ja nicht dazu da, ein Vertrag zu sein, der Vertragspartner an ein gemeinsames Vorhaben bindet (so wäre es in der realen, unseren Welt), sondern ein Papier, das gut klingt, wenn man es verkündet, das richtig nach was ausschaut und blenden kann – eben eine papierene Reform, die niemandem weh tut, schon gar nicht Politikern und Funktionären.

„Wiener Zeitung“ Nr. 116 vom 16.06.2017    

Der Patient steht im Mittelpunkt und dort allen im Weg  

 Vor zehn Jahren gab es die gleiche unwürdige Pflege-Diskussion wie heute. Sie war der Auslöser für mein Buch über eine Gesundheitsreform.

  Hier ein (leicht geänderter) Auszug aus der Einleitung:

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„Auslöser, dieses Buch zu schreiben, war die Diskussion um die Pflegeversorgung. Eine solche Diskussion wäre zu rechtfertigen, wenn das Gesundheitssystem privatisiert wäre. Wahrscheinlich würde die Diskussion auch stimmen, wenn wir mit den Ausgaben für das Gesundheitssystem irgendwo an letzter oder vorletzter Stelle in der OECD lägen. Eventuell wäre diese Diskussion gerechtfertigt, wenn man sie vor 20 (heute 30, Anm.) Jahren geführt hätte. Heute und in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt gehört und sich selbst als das beste bezeichnet, ist diese Diskussion unwürdig.

Der Grund, warum es zu einer solchen kommt, hängt stark mit der Unwilligkeit zusammen, im Gesundheitsbereich substanzielle Reformen umzusetzen. Jeder, der hier irgendwie irgendetwas zu reden hat, verteidigt sein Revier – und das seit Jahrzehnten sehr erfolgreich. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir Strukturen haben, die wie aus einer anderen Zeit anmuten.

Da sich jedoch die Welt weiterdreht und die demographischen Entwicklungen nicht Halt machen, egal wie sehr sich das manche wünschten, sind diese Strukturen anachronistisch geworden. ,Wie sehr‘ uns der alte Mensch am Herzen liegt, sieht man alleine schon daran, dass das Fachgebiet der geriatrischen Medizin gar nicht existiert, gerade einmal ein Fortbildungsdiplom der Ärztekammer gibt es dafür. Ein ,Geriatrieplan‘ in Analogie zu Kinderversorgungsplänen oder Strukturplänen gibt es nicht. Und wenn, dann ist das nicht mehr als eine Auflistung von Pflegeheimen und Absichtserklärungen. Eine den Prozessen entsprechende, bedarfsgerecht abgestufte Versorgung gibt es in der Pflege genauso wenig wie in der ambulanten ärztlichen Versorgung.

Was es sehr wohl gibt, ist die Verdrängung der Patienten in andere Versorgungsstrukturen, wie dem Krankenhaus. Aus gesamtwirtschaftlicher Betrachtung ist das jedoch Irrsinn, da ein Krankenhaus mindestens doppelt so teuer und fachlich falsch qualifiziert ist, als die eigentlich benötigte und bedarfsgerechte Struktur.

Anders ausgedrückt, könnte man, wenn man sich auf eine große Reform einigt, für das gleiche Geld doppelt so viele pflegebedürftige Personen betreuen. Und wenn man dann auch noch vernünftige Konzepte für die Pflegeversorgung (insbesondere abgestufte Modelle) entwickelt, dann sind es vermutlich drei oder vier Mal so viele – ohne, dass der Patient was zahlen müsste. Und wenn man die Kuration endlich gemeinsam mit dem Pflegebereich abstimmen würde, dann könnte man sich sämtliche Selbstbehalte in der Pflege sparen und diese solidarisch finanzieren.

In der Pflege besteht ein noch größerer Reformbedarf als in der Kuration. Es fehlen geeignete Definitionen, die die Leistungen der öffentlichen Hand von Privatleistungen trennen, die Angebote sind nicht am Bedarf ausgerichtet, die Abstimmung des Leistungsgeschehens mit angrenzenden Bereichen fehlt komplett.“

Zehn Jahre sind ins Land gezogen – und trotzdem klingt alles aktuell

„Wiener Zeitung“ Nr. 092 vom 11.05.2017  

Der Patient steht im Mittelpunkt und dort allen im Weg

2007 habe ich ein Buch geschrieben, weil die Probleme der Pflegeversorgung massiv waren – und da in den letzten 10 Jahren nichts passiert ist, werden die Probleme immer größer und das Kaschieren immer schwerer und teurer.

Hier das Vorwort aus dem Jahr 2007

Auslöser dieses Buch zu schreiben, war die Diskussion um die Pflegeversorgung in Österreich. Eine solche Diskussion wäre zu rechtfertigen, wenn in Österreich das Gesundheitssystem privatisiert wäre. Wahrscheinlich würde die Diskussion auch stimmen, wenn wir mit den Ausgaben für das Gesundheitssystem irgendwo an letzter oder vorletzter Stelle in der OECD lägen. Eventuell wäre diese Diskussion auch gerechtfertig, wenn man sie vor 20 Jahren geführt hätte. Heute und in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt gehört und sich selbst gerne als das beste bezeichnet, ist diese Diskussion jedoch unwürdig.
Der Grund, warum es überhaupt zu einer solchen Diskussion kommen musste, hängt stark mit der Unwilligkeit zusammen, im Gesundheitsbereich substantielle Reformen umzusetzen. Jeder, der irgendwie irgendetwas im Gesundheitssystem zu reden hat, verteidigt sein Revier – und das seit immerhin 50 Jahren sehr erfolgreich. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir in Österreich Strukturen haben, die wie aus einer anderen Zeit anmuten. Da sich jedoch die Welt weiterdreht und die demographischen und medizinischen Entwicklungen auch vor Österreich nicht halt machen, egal wie sehr sich das manche wünschten, sind diese Strukturen mittlerweile anachronistisch geworden.
„Wie sehr“ uns der alte Mensch am Herzen liegt, sieht man alleine schon daran, dass das Fachgebiet der geriatrischen Medizin gar nicht existiert, gerade einmal ein Fortbildungsdiplom der Ärztekammer gibt es dafür. Googelt man nach den Begriffen „geriatrische Rehabilitation“, erhält man 214 000 deutschsprachige Einträge – aus Österreich stammen 308. Ein „Geriatrieplan“ in Analogie zu Kinderversorgungsplänen oder Strukturplänen gibt es eigentlich nicht. Und wenn, dann ist das meist nicht mehr als eine Auflistung von Pflegeheimen und Absichtserklärungen. Eine den Prozessen entsprechende und bedarfsgerecht abgestufte Versorgung gibt es demnach in der Pflege genauso wenig wie in der ambulanten ärztlichen Versorgung.
Was es allerdings sehr wohl gibt, ist die Verdrängung der Patienten in andere Versorgungsstrukturen, wie dem Krankenhaus. Aus gesamtwirtschaftlicher Betrachtung ist das jedoch Irrsinn, da ein Krankenhaus vermutlich mindestens doppelt so teuer und fachlich falsch qualifiziert ist, als die eigentlich benötigte und bedarfsgerechte Struktur. Anders ausgedrückt, könnte man, wenn man sich auf eine große Reform einigt, für das gleiche Geld doppelt so viele pflegebedürftige Personen betreuen! Und wenn man dann auch noch vernünftige Konzepte für die Pflegeversorgung (insbesondere abgestufte Modelle) entwickelt, dann sind es vermutlich drei oder vier Mal so viele – ohne dass der Patient was zahlen müsste. Und wenn man die Kuration endlich gemeinsam mit dem Pflegebereich abstimmen würde, dann könnte man sich sämtliche Selbstbehalte in der Pflege überhaupt sparen und die Pflege solidarisch finanzieren – ohne Beiträge erhöhen zu müssen.
In der Pflege besteht ein noch größerer Reformbedarf als in der Kuration. Es fehlen geeignete Definitionen, die die Leistungen der öffentlichen Hand von Privatleistungen klar trennen, die Abstufung der Angebote ist nicht am Bedarf der pflegebedürftigen Personen ausgerichtet, die Abstimmung des Leistungsgeschehens mit angrenzenden Bereichen fehlt komplett.

 

Und hier das ganze Buch als PDF

GESUNDE ZUKUNFT  

ÖSTERREICHS GESUNDHEITSVERSORGUNG NEU
Diskussionsgrundlage zur Entwicklung neuer Strategien im Gesundheitswesen

 

Lesezeit 3,5 Stunden – es ist sehr leicht zu lesen! darauf bin ich heute noch stolz

Totgeburt des PHC-Gesetzes? Ein Erfolg für wen?

(Lesezeit 14 Minuten) Einigermassen verwirrend sind die Aussagen der Ärztekammer, bzw. dessen Kurienobmann Dr. Steinhart, zum nun in Begutachtung gegangenen Primärversorgungsgesetz (PVG) . Angeblich wurde es wesentlich verbessert und ein Verhandlungserfolg erzielt, weil „Patienten nicht plötzlich ihren Vertrauensarzt verlieren und Ärzten die Standort- und Planungssicherheit erhalten bleibt.

Ganz so aber kann das nicht sein, denn die als Erfolg verkauften Tatsachen, wie der Erhalt des Gesamtvertrags oder die Bevorzugung von Kassenärzten vor Ambulatorien waren bereits im ursprünglichen Entwurf.

Warum also eine Verbesserung?

Wirklich geändert haben sich drei Dinge – und die sind in Kombination meines Erachtens als Misserfolg zu werten, wenn es darum geht eine Stärkung der Hausärzte erreichen zu wollen. Wenn es darum geht, aus dem Entwurf eine Totgeburt zu machen, dann allerdings war es ein Erfolg.

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Die Palliativversorgung bleibt ein ewiges Problem

Die Politik verspricht seit Jahren, die Palliativversorgung patientenorientiert zu gewährleisten – mit mäßigem Erfolg.

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   In Salzburg wurde 2002, als es so aussah, dass die Palliativversorgung (PAL) bedarfsgerecht ausgebaut werden soll, ein Hospiz errichtet. Allerdings blieb vieles Lippenbekenntnis. Selbst als es 2005 zu einem Plan zwischen Bund, Ländern und Kassen kam, den Ausbau voranzutreiben, blieben Fortschritte mager.

   Ende 2012 schloss das Hospiz.

   Ein Tag kostete dort etwa 430 Euro. Die Kassen übernahmen 51 Euro, das Land 80. Der Patient steuerte 170 Euro pro Tag bei, die restlichen 130 der Träger – und als die wegfielen, war Schluss. So wichen Patienten wieder auf Spitäler aus.

   PAL-Stationen sind für Spitalsbetreiber finanziell und politisch unattraktiv. Daher sind die intramuralen Kapazitäten so ausgelegt, dass sie nur reichen, wenn die extramuralen entsprechend ausgebaut sind.

   Da das nicht so ist, gibt es einen Mangel. Hintergrund ist das Problem, dass keiner weiß (und auch nicht wissen will), ob PAL ins Gesundheits- oder Sozialsystem gehört.

   Im ersten Fall bezieht man PAL als Sachleistung unentgeltlich. Für Finanzierung wären Kassen und Länder (ohnehin schon schwer genug, die beiden zusammenzubringen) verantwortlich. Im zweiten Fall ist sie von jedem selbst zu bezahlen, oder eben über Spenden zu finanzieren. Die Abgrenzungsprobleme sind verrückt. Und so schieben sich alle seit Jahren den Schwarzen Peter gegenseitig zu.

   Das ist teuer und unmenschlich. Da viele Patienten auf normalen Abteilungen versorgt werden, fallen dort Kosten zwischen 800 und 1000 Euro pro Tag an – bei nachweislich sinkender Lebensqualität der Patienten.

   Warum wollen Kassen und Länder also keinen gemeinsamen Weg finden, eine PAL-Versorgung ohne Selbstbehalte zu ermöglichen?

   Die Antwort ist zynisch. Wenn das erwähnte Hospiz geschlossen wird, sparen sich Kassen 180.000 Euro. Die Länder sind nicht abgeneigt, Patienten in Spitälern zu versorgen, weil sie diese ja erhalten wollen. Und da politisch und finanziell eine normale Abteilung attraktiver als eine „Sterbe-Abteilung“ ist, werden diese auch nicht ausgebaut.

   Da es kaum Fortschritt gab, wurde im Juni 2014 die Enquete-Kommission zur „Würde am Ende des Lebens“ im Parlament beschlossen. Ein halbes Jahr wurde parliert, ein halbes Jahr verhandelt und – zehn Jahre nach dem ersten Beschluss über den Ausbau einer abgestuften Palliativ- und Hospizversorgung – ein Plan über den stufenweisen Ausbau und die mögliche Regelfinanzierung beschlossen. Nach weiteren drei Monaten wurde ein neues Gremium geschaffen, das Hospiz- und Palliativforum, dessen Präsidentinnen Waltraud Klasnic (ÖVP) und Elisabeth Pittermann (SPÖ) wurden. Und jetzt steht wieder alles.

   Im April 2017, nach 15 Jahren fortwährender Versprechen, dass es zu einer Lösung des Kompetenzproblems und einer Regelfinanzierung kommt, erklärt die Caritas, dass weiterhin der Bedarf nur zu 50 Prozent gedeckt und maßgeblich auf Spenden angewiesen ist – was bedeutet, dass wegen der Unfähigkeit zur Lösung abertausenden Menschen ein Sterben in Würde vorenthalten wurde und wird.

„Wiener Zeitung“ Nr. 072 vom 13.04.2017   

Ärztekammerwahlkampf auf Ciceros Spuren

Gegen „Primärversorgungszentren“ wird mobilisiert – doch worum geht es wirklich?

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   Der Gesetzesentwurf für die neue Primärversorgung in Österreich spricht von PrimärversorgungsEINHEITEN (PVE), die als ZENTREN oder NETZWERKE organisiert sein können. Sie sollen von den niedergelassenen Kassen-Hausärzten, als Eigentümer und Betreiber, gebildet werden – wohnortnah. Niemand wird „seinen“ Hausarzt verlieren. Da bestehende Verträge nicht angerührt werden, wird auch kein Arzt gezwungen mitzumachen. Es muss sich auch keiner sorgen, dass ihm Konkurrenz vor die Nase gesetzt wird, denn es wird weiter Gesamtverträge zwischen Kassen und Ärztekammern geben; die weiter verbindliche und vor Konkurrenz schützende Stellenpläne enthalten. PVEs sind nicht starre Strukturen, sondern flexible Einheiten, deren Mitarbeiter (das PHC-Team) selbstentwickelte Versorgungskonzepte rund um ihre Patienten umsetzen sollen. Je nach Konzept wird die personelle und infrastrukturelle Ausstattung aussehen. Wegen langfristiger Übergangsregeln wird eine Vielfalt von Modellen entstehen. Deswegen wird es auch die für Kettenbildung („McDonaldisierung“) wichtigen Skaleneffekte nicht geben und damit keine Konzerne oder anonyme Finanziers. Das Gesetz wird auch beherrschende Eigentümerstrukturen verbieten. Und weil PVE-Verträge ein völlig neues Honorierungsmodell erhalten, wird es auch zu keinen Dumpingtarifen kommen. Eine kontaktunabhängige Grundpauschale wird Infrastruktur und nichtärztliches Personal finanzieren, dazu kommen Fallpauschalen, Einzelleistungsvergütungen sowie Bonuszahlungen – finanziert durch zusätzliches Geld. Was also bewegt die Ärztekammer, allen voran Vize-Präsidenten Johannes Steinhart, heftigst dagegen zu mobilisieren? Sorge um die Ärzteschaft? Um die Patienten? Ich denke, dahinter steckt nur Wahlkampf. Vor fünf Jahren hat der amtierende Präsident Thomas Szekeres mit einer abenteuerlichen Koalition die Erbpacht auf das Präsidentenamt der Fraktion beendet, der Steinhart angehört. Und diesen „Fehler“ gilt es zu korrigieren. Steinhart will auch österreichischer Ärztekammerpräsident werden – das geht nur, wenn er zuvor Wiener Präsident wird. Da im letzten Jahr sein Konkurrent Szekeres sich rund um den Konflikt mit Stadträtin Sonja Wehsely stark profilieren konnte, ist Steinharts Ausgangsposition schwach. Weil jedoch tiefes Misstrauen gegenüber legitimierten Politikern und der Marktwirtschaft der Kitt ist, der fast alle Ärzte zusammenhält, werden Klischees bedient: Es komme zu einer Verstaatlichung durch profitorientierte Investoren, die Ärzte „zu abhängigen Gesundheitsdienstleistern“ und „Normunterworfenen“ degradieren und mit Dumping-Tarifen abspeisen wollen. Egal wie absurd die Argumente sind und wie wenig sie mit der Realität zu tun haben – es werden äußere Feinde der Ärzte (und Patienten) stilisiert, um innere Solidarität zu provozieren. Denn was empfiehlt schon Cicero: „Passe Deine Aussagen an die Gründe an, warum dich einer unterstützt“, und: „Sieh zu, dass dein ganzer Wahlkampf eine brillante, glänzende und populäre Show ist, die größte Aufmerksamkeit erzielt.“

„Wiener Zeitung“ Nr. 052 vom 16.03.2017  

Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

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