Die systemrelevante Allgemeine Unfallversicherungsanstalt?

Die Diskussion rund um die AUVA ist absurd überzogen, verunsichert alle und ist doch nur ein Machtkampf.

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   Von Kahlschlag und Kaputtsparen wird gesprochen, mancher fühlt sich gar in den autoritären Ständestaat zurückversetzt. Und was hören Bürger und Patienten heraus? Unfallkrankenhäuser (UKH) werden gesperrt, 370.000 Verletzte werden, wenn sie nicht auf der Straße verbluten wollen, alles selbst bezahlen müssen.

   Ist das so? In Österreich werden 2,8 Millionen Menschen jährlich in Spitäler aufgenommen – 40.000 davon in UKH. In Spitalsambulanzen fallen 8,9 Millionen Fälle an – 330.000 davon in UKH. Selbst in der flächendeckenden Unfallversorgung sind UKH nur von geringer Bedeutung: Denn mit sieben Spitälern in fünf Bundesländern versorgen sie weniger als ein Fünftel aller Unfallopfer.

   Wenn jetzt, wie manche skandieren, alle UKH über Nacht zusperrten, würde die Versorgung der Patienten Probleme bereiten, aber keinesfalls zusammenbrechen – dafür sind es einfach zu wenige.

   Und an das Schließen denkt niemand – es geht auch nicht. Denn, jeder hat ein Recht auf Versorgung, und weil die Unfallkrankenhäuser versorgungswirksam sind, muss deren Leistung, unabhängig, ob es die AUVA in der heutigen Form gibt oder nicht, aufrechterhalten werden.

   Und das ist der Grund für den Polit-Streit. In UKH werden zu 90 Prozent Patienten behandelt, für die diese nicht zuständig sind – nämlich solche nach Freizeitunfällen. Zuständig wären die Krankenkassen. Die jedoch haben die „normale“ Spitalsversorgung den Ländern übertragen und zahlen dafür, pauschal und unabhängig von der Anzahl der Patienten, einen definierten Prozentsatz ihrer Einnahmen. Diese Pauschale deckt jedoch nur die Hälfte der anfallenden Spitalskosten ab – der Rest kommt aus den Landesbudgets.

   UKH sind aber keine „normalen“ Spitäler. Die Kassen, und das ist rechtlich gar nicht anders möglich, bezahlen ihnen in etwa das Gleiche wie „normalen“ Spitälern. Da UKH aber keine Länder haben, um Defizite zu decken, muss die AUVA das aus Beiträgen stemmen. Es handelt sich also um eine Quersubvention der Krankenkassen und Länder durch die AUVA. Der Quell eines Jahrzehnte alten Polit-Streits.

   Dazu kommt, dass die stationäre Unfallversorgung im „normalen“ Spital pro Patient etwa 3400 Euro kostet, im UKH 5700 Euro. Ob diese Differenz gerechtfertigt ist, ist nicht eruierbar. Wenn sie gerechtfertigt ist, dann haben wir es mit einer öffentlich finanzierten Zwei-Klassen-Medizin zu tun; wenn sie es nicht ist, kann man daraus auf die Motivationslage jener schließen, die mit der Verunsicherung der Patienten um den Erhalt des AUVA-Systems (eine selbstverwaltete Institution, die eigene medizinische Einrichtungen betreibt – ein international seltenes Modell) kämpfen.

   Wie es aussieht, schafft es auch diese Regierung nicht, einen transparenten Reformprozess zu starten, der es den relativ wenigen „Systemprofiteuren“ verunmöglicht, Patienten zu verunsichern und vor die eigenen Interessen zu schieben. Wie katastrophal der Prozess läuft, sieht man im Übrigen daran, dass sich die SPÖ ohne Probleme schützend vor jene AUVA stellen kann, die sie vor einem Jahr, im Rahmen einer Reform, noch selbst abschaffen wollte.

„Wiener Zeitung“ Nr. 077 vom 19.04.2018  

Ärztekammer kritisiert langes Warten auf Medizin-Ausbildungsplätze

Und sie hat eine Lösung: Mehr von allem – wohl, um die eigene Klientel mit Aktivismus zu bedienen.

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Kürzlich erfuhren wir durch den obersten Ärztekammerfunktionär in Angelegenheiten der Spitalsärzte, dass 460 Absolventen der Medizinischen Universitäten im Jahr 2015/16 heute nicht als Ärzte in Österreich arbeiten.

Der Grund: Wir haben zu wenige postpromotionelle Spitals-Ausbildungsplätze. Die Regierung sollte lieber hier einige Millionen in die Schaffung neuer Ausbildungsplätze investieren, statt 227 Millionen an universitären Ausbildungskosten zu verlieren.

Zudem soll es pro Abteilung einen Ausbildungsoberarzt geben, der für die Ausbildung des Nachwuchses von seinem Dienst freigestellt wird. Da stellt sich doch die Frage, wie so ein Oberarzt, ohne Patienten zu behandeln, den Jungen etwas beibringen soll? Ganz abgesehen davon, dass jede kleine Abteilung schlicht zusperren müsste -viele schaffen ihre Diensträder (um 24 Stunden den Betrieb aufrechtzuerhalten, braucht es mindestens sechs Ärzte) doch nur, weil sie (semilegal, wie ich glaube) vier Fachärzte und zwei Nachwuchsärzte einsetzen.

Womit wir auch schon bei dem Mangel an Spitals-Ausbildungsplätzen sind. Noch nie gab es so viele Nachwuchsärzte wie heute. 7168 im Jahr 2016 -das sind 14 Prozent mehr als im Jahr davor. Diesen Nachwuchsärzten stehen 15.000 Fachärzte gegenüber -das Verhältnis beträgt in etwa 2:1; denn die Ärztekammer verlangt dieses Verhältnis, damit eben Ausbildung möglich wird.

Mehr Ausbildungsplätze verlangen mehr Spitalsärzte -und damit mehr Spitäler. Eine eigenartige Forderung, wird doch seit Jahrzehnten beklagt, dass wir viel zu viele Spitäler haben.

Aber was hat es auf sich, dass wir 227 Millionen Euro für eine sinnlose Ausbildung rauschmeißen? Nun, seit Jahrzehnten bilden wir mehr Mediziner aus, als in unseren Spitälern unterkommen. Im Durchschnitt etwa 450 pro Jahr, weil viele nach dem Studium Familie gründen, in Forschung oder Wirtschaft wechseln oder ins Ausland gehen. Das ist nichts Neues.

Die Universitäten rechnen pro Studienplatz und Jahr mit 63.000 Euro Kosten; pro Absolvent macht das knapp 400.000 Euro. Zum Vergleich: Ein Harvard-Absolvent kostet weniger als 300.000 -das ist bedenklich, vor allem, wenn wir uns internationale Rankings ansehen.

Damit wären nicht 227 sondern nur 175 Millionen „rausgeworfen“ – die Ärztekammer war immer schon großzügig. Macht nichts, ist auch viel Geld. Und wenn man meint, es ist fehlinvestiert, sollte man nachdenken. Schauen wir uns an, wie viele Absolventen wir haben: Inklusive neuer MedUni Linz, Absolventen der Privat-Unis und Absolventen mit ausländischem Pass kommen wir auf etwa 26 Absolventen pro 100.000 Einwohner. Tja, das ist mehr als doppelt so viel wie in der EU üblich. Wenn wir also 1000 Absolventen pro Jahr mehr als im EU-Schnitt haben und feststellen, dass die nicht in unseren Spitälern antreten, obwohl wir die meisten Spitalspatienten in der EU haben, ist es dann vernünftig, mehr Ausbildungsstellen in Spitälern für frisches Geld zu fordern?

Aber die Forderung nach weniger Absolventen ist wohl eher weniger sexy.

„Wiener Zeitung“ vom 15.03.2018  

Das Krankenhaus Nord – eine Wiederauflage des AKH?

Laut Rechnungshof wurde der Gemeinderat nicht umfassend informiert. Es dräut ein Skandal großen Ausmaßes.

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   Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) ist etwas Merkwürdiges. Per Landesgesetz wird er zu einer „Unternehmung“ gemacht. Das klingt, als ob er ein Unternehmen, also etwas Eigenständiges wäre – ist er aber nicht. Realiter ist er Teil der Gemeinde Wien. Das bedeutet, seine operativen Entscheidungsträger kommen aus der Exekutive, der Landesregierung. Weil aber eine Exekutive nur exekutiert, was die Legislative, in dem Fall der Gemeinderat von Wien (der mit dem Landtag ident ist) ihm vorschreibt, werden alle wichtigen Entscheidungen nicht durch die Landesregierung, sondern im Gemeinderat getroffen – meint man. Was der KAV beziehungsweise seine Generaldirektion eigenständig machen kann, und welche Entscheidungen höheren Orts, also durch zuständige Magistratsdirektion, zuständige Landesräte oder Gemeinderat, zu treffen sind, wird vage in einem Statut festgehalten. Nichtsdestotrotz darf, entsprechende Beschlüsse vorausgesetzt, der KAV als Bauherr auftreten, was er im Falle des Krankenhauses Nord auch tat – dilettantisch, wie der noch geheime Rechnungshof-Rohbericht aufzeigt.

   Lassen wir einmal die mit diesem Dilettantismus hunderte Millionen versenkten Euro beiseite, steht im Raum, warum eine Exekutive so ganz ohne legislative Kontrolle agieren kann? Oder hat der Gemeinderat diesen Bau-Skandal gar genehmigt? Nein. Folgt man dem Rechnungshof, konnte der seine Genehmigungspflicht gar nicht wahrnehmen, denn, und das ist doch irritierend, er wurde schlicht nicht informiert. Zwischen 2006 und 2011 gab es praktisch gar keine Informationen und danach (das Statut des KAV wurde dahingehend geändert, dass dem Gemeinderat Wirtschafts- und Investitionspläne vorzulegen sind) nur Angaben zu den Gesamtkosten und der Höhe einzelner Jahresraten. Eine fundierte Entscheidung war damit nicht möglich. So entschied die Exekutive eben ohne Genehmigung. Und weil die so gar keine Ahnung zu haben schien, wie man eine Baustelle dieser Größenordnung abwickelt, haben wir eben jetzt das, was wir haben.

   Und was ist das? Ja, das ist die Frage: Nehmen wir das Landeskrankenhaus Klagenfurt her, dessen Neubau 2007 vom KAV noch als Vorbild für eine Grobschätzung galt. Mit 1344 Betten, 63.000 stationären und 470.000 ambulanten Patienten ist es deutlich größer als das Krankenhaus Nord. Dort sind 785 Betten, 40.000 stationäre und 250.000 ambulante Patienten geplant. Klagenfurt hat (zu Preisen 2013) unter 350 Millionen Euro gekostet, in Wien können wir froh sein, wenn es unter 1,4 Milliarden Euro bleibt.

   Ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist, werden wir in den nächsten Jahren aufarbeiten. Vielleicht mit einer Untersuchungskommission im Gemeinderat, die, dank der gültigen Geschäftsordnung, mit hoher Wahrscheinlichkeit von der regierenden Partei genau dann beendet werden wird, wenn die Fragen vor der nächsten Landtagswahl zu peinlich werden.

   Aber im Grunde ist das egal! Die befassten Generaldirektoren sind längst weg, und die politisch Verantwortlichen werden leicht jede politische Verantwortung übernehmen können – aus der Polit-Pension heraus.

„Wiener Zeitung“ Nr. 032 vom 15.02.2018  

Gesundheit im Regierungsprogramm

Das Kapitel Gesundheit umfasst nur fünf Seiten, dazu noch eine Seite Pflege – aber die Inhalte haben es in sich.

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   Im Grunde wird eine Fülle von Schlagworten – oder Schlagsätzen – aneinandergereiht. Ob dahinter detailliertere Gedanken oder operationalisierbare Konzepte stehen, bleibt unklar. Zu vermuten ist es, da sich einiges unter mehreren Überschriften des Regierungsprogramms wiederholt – zumindest hoffen sollte man das.

    Klar ist, dass es in Bezug auf das Gesundheitswesen in den vergangenen 20 Jahren niemals ein mutigeres Regierungsprogramm gab. Üblicherweise wird ein mutiges Vorhaben im Rahmen der Verhandlungen derart entstellt, dass das, was übrig bleibt, eine gut klingende Anleitung zum Waschen ohne Nasswerden ist. Nicht diesmal.

   Da ist einmal die Idee, die 22 Sozialversicherungen (also nicht nur Kassen) zu fünf zu fusionieren – ein echter Tabubruch. Zwar wird festgehalten, dass das alles nur gemeinsam mit den Ländern und unter Wahrung der partizipativen Selbstverwaltung passieren soll – alleine, dass es da steht, ist für einen langjährigen Beobachter aber atemberaubend.

    Betrachtet man zudem, dass dezidiert festgehalten wird, dass es künftig statt föderaler Ärzte-Gesamtverträge nur mehr österreichweite und zudem flexiblere Kassenverträge (die regionale Zu- und Abschläge erlauben) geben soll, will man der Regierung Reformwillen abkaufen. Niemand stellt so etwas vor, wenn er es nicht umsetzen will, ist doch der politische Schaden passiert, sobald man es ankündigt.

   Die Idee der Entlastung des spitalsambulanten Bereichs ist nicht neu. Auch nicht, dass es zu einer Anpassung der Finanzierungsströme (Geld folgt Leistung; ambulante und niedergelassene Finanzierung) kommen muss. Nimmt sich die Regierung ernst, wird sie endlich Gesetze verabschieden, die einen sinnvollen Geldfluss zwischen diesen beiden Welten ermöglichen – 20 Jahre nach dem Erkennen des Problems der dualen Finanzierung der ambulanten ärztlichen Versorgung (steuerfinanzierte Spitalsambulanzen und kassenfinanzierte Vertragsärzte). Beeindruckend.

   Und schließlich findet man noch etwas: Die Finanzierung von Gesundheit, Vorsorge und Pflege muss gesamtheitlich betrachtet werden. Bis dato wurde immer nur bis zur Pflege gedacht und peinlich genau darauf geachtet, dass Pflege im Sozialsystem vom Gesundheitssystem getrennt blieb. Diese Schnitt stelle wird aufgeweicht, indem das Geldleistungsprinzip der Pflege durch Gewährung von Sachleistungen komplementiert werden soll. Die „Bemühungen zur Festigung der Gesundheit und der Prävention für Pflegebedürftige, um eine Stabilisierung beziehungsweise eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen“ – so im Regierungsprogramm – würden erheblich erleichtert.   

Ob das alles kommt oder am Ende doch nur Show ist wie die meisten Regierungsprogramme, werden wir bald erkennen können. Denn so revolutionär das alles klingt, in der Umsetzung wird es wesentlich davon abhängen, wer welche Vetorechte erhält. Wenn, wie in der Vergangenheit üblich, Ländern, Kassen und Kammern großzügige Vetorechte eingeräumt werden oder in Gremien immer nur ein Einstimmigkeitsprinzip eingeführt wird, dann wird alles – wie immer – in der Ankündigung stecken bleiben

„Wiener Zeitung“ Nr. 247 vom 22.12.2017  

Kassen und Spitäler gemeinsam denken

Kassenfusionen sind ein altes Thema. Denn die aktuelle Situation schadet seit Jahrzehnten Patienten, Versicherten und Steuerzahlern.

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    Zu viele Krankenkassen, ein Kassenhonorarsystem, das vernünftige Planung verhindert, strikt getrenntes und doppelgleisiges Arbeiten inner- und außerhalb von Spitälern – das sind keine neuen Probleme, die hat uns die Weltgesundheitsorganisation WHO schon 1969 aufgezeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Regierungen sich der Lage nicht bewusst wären. Die Idee, Kassenärzte und Spitäler wenigstens planerisch zusammen zu denken, findet man beispielsweise 1996 in einem Bund-Länder-Kassen-Vertrag, der vorsah, dass es für alle ein einheitliches Leistungsgerüst geben soll. Die Leistungsharmonisierung ist ein Vorhaben, das nie Realität wurde, aber immer wieder zu finden ist – das letzte Mal 2013 im Bundeszielsteuerungsvertrag. Dort nahm sich die Regierung vor, ab 2016 einen einheitlichen Leistungskatalog einzuführen. Sie hat es halt wieder nicht geschafft . . .

   Und warum sollte man Kassen und Spitäler gemeinsam denken?

   Nun, weil es patientenfreundlicher ist; und billiger. Wegen fehlender Abstimmung liegen 900.000 Patienten in Spitälern, die ambulant behandelt werden könnten. Von diesen stecken sich 50.000 unnötigerweise mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern), und einige Hundert werden unnötigerweise sterben. Abgesehen davon, dass die stationäre Behandlung dieser 900.000 Patienten wohl ein bis zwei Milliarden Euro unnötige Kosten erzeugt, sollte es doch wenigstens das Ziel sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusionierung wieder aufpoppt, sollte es nicht darum gehen, ein paar hundert Versorgungsposten einzusparen, die es zweifellos gibt. Thema ist, dass die Abstimmung zwischen Krankenkassen, Ärztekammern und Spitalsträgern einfach nicht klappt, ja nicht klappen kann, selbst wenn die eingebundenen Entscheidungsträger Engel und keine politischen Machtmenschen wären. Es gibt einfach zu viele und vor allem schlecht definierte Entscheidungsebenen.

   Natürlich haben sich Länder und Gebietskrankenkassen an einen dezentralen Modus Vivendi gewöhnt. Davon abzuleiten, dass diese nur regional wüssten, wie es geht, ist aber falsch. Gänzlich ausgeblendet wird, dass es große Kassen gibt, die bundesweit agieren: Beamten-, Bauern- und die Selbständigen-Kasse, und auch noch die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AUVA und die Pensionsversicherung.

   Die Idee, nur wenige, bundesweite Kassen zu haben, denen eine bundesweit agierende Spitalsplanung gegenübersteht, ist logisch. Umso mehr, als es eben auch bundesweite Regeln für Beiträge und Steuern gibt. Aber man kann es auch anders machen: neun Länder und neun Kassen, die dann aber ihre Steuern und Beiträge selbst einheben müssen – bundesweite Entscheidungsstrukturen und Finanzierungsregeln sind dann unnötig.   

Die jetzige Reformverweigerung kommt wohl woanders her. Bedient doch die aktuelle Situation die Machtbestrebungen aller. Landespolitiker und Gewerkschaften freuen sich darüber, dass die Abstimmung nicht klappt – denn das ist der Garant für ausgelastete Spitäler, über die Posten zu besetzen sind, und die für einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad sorgen. Mit dem Patienten hat das nichts zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 227 vom 23.11.2017  

Aktuelle Entwicklungen im österreichischen Pflegesystem

Abschaffung des Pflege-Regresses ist kein Reformschritt zu einem vernünftigen Pflegesystem. Dieses müsste Pflegevermeidung, nicht Pflegeversorgung anstreben.

Litt bis vor einigen Jahrzehnten der typische Patient des Gesundheitssystems an einer akuten und heilbaren Krankheit, leidet er heute an chronischen Krankheiten und altersentsprechenden Einschränkungen der Gesundheit – Aus der Sicht des Patienten verschwimmen die Grenzen zwischen Pflege- und Gesundheitssystem.

Die Erkenntnis, dass die Progression der Pflegebedürftigkeit nicht nur die Lebensqualität reduziert, sondern auch mit einer verstärkten Inanspruchnahme des Gesundheitssystems einhergeht, es jedoch Möglichkeiten gibt, die Progression der Pflegebedürftigkeit zu verlangsamen, führt dazu, dass  praktisch alle Regierung in Europa Anstrengungen unternehmen, die Pflege in das Gesundheitssystem zu integrieren. Der Weg dazu ist eine „moderne“ Definition der Pflege (aktivierende statt kompensatorische Pflege), die als Teil des Gesundheitssystems gedacht, also in das System integriert wird.

Österreich jedoch reagiert auf diese Entwicklung kaum, und hat mit der Abschaffung des Pflegeregresses sogar Schritte unternommen, die in die Gegenrichtung zeigen.

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Das Narrativ einer echten Gesundheitsreform

Warum wir eine Gesundheitsreform brauchen, die sich am Patientenwohl und nicht an Machtstrukturen orientiert.

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   Frau M. (78) lebt alleine. Die häufigen Besuche ihrer Tochter reichen aus, dass sie mit dem täglichen Leben keine Schwierigkeiten hat. Zudem kommen oft ihre Enkel samt Ur-Enkel vorbei. Das freut sie, und für diese hält sie sich auch fit. Eines Tages bekommt sie Fieber. Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung und schickt sie ins Spital. Dort wird sie auf Pneumokokken-Pneumonie sieben Tage lang behandelt. Im Krankenhaus lässt ihre intellektuelle Kraft Tag für Tag nach. Als sie wieder nach Hause kommt, ist sie verwirrt. Die Familie ist überfordert. Statt auf professionelle (und kostspielige) Hilfe zu setzen, versucht sie mit häufigeren Besuchen und der Übernahme von Tätigkeiten, die Frau M. früher selbst erledigt hat, zu helfen. Aber alles hilft nicht, Frau M. dämmert immer mehr ein. Sechs Monate später muss sie ins Heim, wo sie, schwer dement, nach drei Jahren stirbt.

   Was ist passiert? Der Spitalsaufenthalt hat Frau M. aus der Bahn geworfen. Er stellte ein Life-Event dar, das, weil nicht richtig behandelt (reaktivierende Pflege), zur „Dekompensation“ führte – die durch eigenen Willen und Training hintan gehaltene (kompensierte) Demenz tritt plötzlich auf.

Der initiale Spitalsaufenthalt hat etwa 4000 Euro gekostet. Das Pflegeheim, das sich die Familie nicht leisten konnte, wurde von der Sozialabteilung bezahlt und kostete bis zum Tod von Frau M. 40.000 Euro. War das nötig? Nein. Beginnen wir damit, dass der Hausarzt die Pneumonie zu Hause behandeln und den Spitalsaufenthalt, der ja Auslöser war, vermeiden hätte können. Kosten, vielleicht 1500 Euro, die aktuell nur unzureichend vom Kassensystem getragen werden. Das System verdrängt gerade ältere Patienten ins Spital.

   Dann das Heim. Auch das wäre nicht nötig gewesen. Würde bedarfsorientierte Pflege genauso als Sachleistung zur Verfügung stehen wie das Spital, hätte Frau M. für ein paar Wochen täglich eine reaktivierende Pflege und allenfalls eine Haushaltshilfe erhalten, die zusammen vielleicht 3000 Euro gekostet und den Verlauf hätten mildern oder gar verhindern können. Macht in Summe 4500 Euro, ein Zehntel der Summe, die aufgebracht wurde – und das bei einem deutlich besseren Ergebnis.

Natürlich ist das simpel gedacht. Die Welt wäre leicht zu retten, wenn alles so einfach wäre, aber vieles deutet darauf hin, dass es, bei sinkenden Kosten, gerade bei alten Menschen viel bringt, Spitalsaufenthalte zu vermeiden. Und selbst wenn wir annehmen, dass die Kosten nicht gesenkt werden können, eines hätten wir jedenfalls erreicht: eine höhere Lebensqualität, nicht nur für die Patientin, sondern auch für die Familie.

   Um das zu erreichen, müssten die Ressourcen (das ist mehr als Geld), die wir ins Gesundheits- und Pflegesystem stecken, in eine patientenorientierte Versorgung investiert werden. Doch genau das ist nicht möglich. Denn wir verteilen nur Gelder nach (Macht)Silos – ins Kassensystem, ins Spitalsystem, ins Pflegesystem. Und dann kümmert sich jedes System mit vollem, verfassungsmäßig fixiertem Recht um sich selbst. Nur eine Verfassungsänderung könnte diese Machtblöcke daran erinnern, wofür sie da sind.

„Wiener Zeitung“ Nr. 209 vom 27.10.2017 

Mehr Medizin-Universitäten braucht das Land

 Ärztemangel: Weg mit dem Aufnahmetest und her mit mehr, viel mehr Studienplätzen.

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   Der Ärztemangel, er hat uns fest im Griff. Kein Tag, an dem nicht über eine nicht nachbesetzbare Kassen-Arztstelle berichtet und auch gleich die Lösung gefunden wird: Wir brauchen mehr Medizin-Absolventen. Die Diskussion schwappt aus Deutschland, wo es wirklich Probleme gibt, nach Österreich. Doch bei uns? Sachlich betrachtet haben wir mit mehr als 505 ärztlich tätigen Medizinern pro 100.000 Einwohner die meisten in der EU – verglichen mit Deutschland (411) gleich um ein Viertel mehr. Da hilft es auch nicht, wenn von manchen politischen Akteuren merkwürdige Rechnungen angestellt werden, um die Zahl kleinerzurechnen; etwa dadurch, dass man Turnusärzte nicht mitzählt, weil die ja noch in der postpromotionellen Ausbildung stehen – was aber falsch ist, weil alle anderen diese mitzählen.

   Zudem haben wir keine übermäßige Pensionierungswelle zu erwarten. Der Anteil der Ärzte über 55 Jahren liegt bei etwa 27 Prozent, in Deutschland bei 42. Dort wird es bald wirklich rund gehen.

   Vor allem deshalb, weil in Deutschland mit 15 Absolventen pro 100.000 Einwohner nur knapp überdurchschnittlich (EU: 12) viele Mediziner ausgebildet werden. Wir bilden hingegen alleine an öffentlichen Universitäten 23 pro 100.000 Einwohner aus. Zählen wir die privaten Unis dazu, steigt die Zahl auf 27. Da hilft es auch nicht, wenn von manchen politischen Akteuren merkwürdige Rechnungen angestellt werden, um die Zahl kleinerzurechnen, indem etwa nur inländische Absolventen der öffentlichen Unis berücksichtigt werden. So rechnet international niemand – wieso auch?

   Also wieso sind sich trotzdem alle so sicher, dass wir einen Ärztemangel haben, der durch mehr Studienplätze (manche verlangen eine Verdoppelung) behebbar ist?

   Bei den Ärztekammern kann man das noch irgendwie nachvollziehen. Sie sind die Verwalter eines verpflichtenden Zusatzpensionsprogramms für Ärzte, des sogenannten Wohlfahrtsfonds. Sie können, einem Pyramidenspiel nicht ganz unähnlich, ihren Verpflichtungen aus der Vergangenheit nur nachkommen, wenn die Zahl der Ärzte kontinuierlich wächst – was ja dank der enormen Zahl an Absolventen seit vielen Jahren garantiert ist (im Durchschnitt 900 Ärzte pro Jahr).

   Doch warum schreien so viele Politiker? Da, so ist zu vermuten, liegt der Grund wo anders. Es gibt etwa 46.000 Maturanten. Fast jeder Vierte meldet sich beim Aufnahmetest für Medizin an. Doch nur 1100 erhalten einen Studienplatz. Viele Tausende, die nicht durchkommen, haben dann unzufriedene Eltern, von denen sich viele Tausende bei der Politik beschweren – begonnen bei Bürgermeistern, hinauf zu den Landeshauptleuten. Wie kann es sein, dass es Ärztemangel gibt (kann man jeden Tag in der Zeitung lesen, außerdem müsse man lange auf einen Arzttermin warten, wie es heißt, und Kassenstellen können auch nicht nachbesetzt werden), und das eigene Kind darf nicht studieren? Und der Test sagt gar nichts aus, weil das eigene Kind sicher ein sehr guter Arzt geworden wäre.    So etwas ist lästig. Und wie löst man das politisch am elegantesten? Man fordert laut mehr Studienplätze und Abschaffung des Aufnahmetests – wegen des Ärztemangels.

„Wiener Zeitung“ Nr. 194 vom 05.10.2017 

Eine Studie, die keine oder alle Schlüsse zulässt

630.000 Euro für 1400 Seiten, davon 930 in gesundheitsökonomischem Fachenglisch, die unübersetzt blieben.

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   Leichte Kost ist die Studie nicht. Die Rede ist von einer Studie der London School of Economics (LSE) im Auftrag des Sozialministeriums, die    eine Handlungsanleitung zur Reform der Sozialversicherung geben sollte.

Nach der Lektüre einiger hundert Seiten stellt sich das Werk als Zusammenfassung bekannter Lehrmeinungen und Theorien ohne eigene Berechnungen dar – also ein Lehrbuch. Eine Studie, die helfen soll Entscheidungen zu treffen, ist es nicht – nicht nur wegen des Umfangs. Selbst dort, wo es Vorschläge gibt, bleibt es eine Aufzählung von dem, was die Lehre der Gesundheitssystemforschung anzubieten hat. Eine Bewertung der Vorschläge fehlt, womit beliebig gewählt werden kann. Und so verwundert es nicht, dass sich alle auf das sogenannte „Modell 4“ stürzen, das alles so beibehält, wie es ist, und nur durch mehr Risikostrukturausgleich und bessere Koordination durch gemeinsame Servicezentren ergänzt.

Nun, in der Studie (Kapitel 4, Seite 131 ff) klingt das anders.

   Da wird klar, wie mächtig diese gemeinsamen „Servicezentren“ sein müssten; sie übernähmen alle wesentlichen Aufgaben aller Krankenkassen, wie etwa die Verhandlungen mit den Ärztekammern. Es wäre daher eine Art virtuelle Kassenfusion. Zudem müssten alle Kassen all ihr Geld (nicht nur zwei Prozent) in einen Topf werfen, von dem dann, je nach Krankheitsrisiko der Versicherten, mehr oder weniger zurückfließt. Und weil es keine weitreichenden Gesetzesänderungen geben darf (so die Prämisse des Modells 4), muss alles freiwillig sein.

Da aber, wie zu lesen, erhebliche Rechtsrisiken blieben, etwa, dass die Beamtenversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen bei so einem Risikostrukturausgleich nicht mitmachen könnte, schlägt man Minischritte vor, an deren Ende die derzeitige Verfassung umgangen werden kann. Damit das funktioniert, soll der Staat mit Steuergeld in den Risikoausgleich einsteigen, freilich ohne mehr Mitspracherecht in der Selbstverwaltung zu erhalten.

Nach Schätzungen würde das etwa 1,2 Milliarden Euro ausmachen, die in höhere Arzthonorare (eine Steigerung um ein Drittel zu heute) fließen müssten. Das ist schwieriger umzusetzen als eine Verfassungsänderung, die in den Modellen 1 bis 3 notwendig wäre. Aber das macht nichts, kaum jemand kann so gut Englisch, dass er gesundheitsökonomische Fachliteratur lesen kann. Und weil dieses Werk so dick und unübersichtlich ist, werden selbst die, die es könnten, nicht monatelang darüber brüten. Die, die es tun, werden es tun, um herauszulesen, was für die eigene Institution passt. Und weil niemand nachlesen kann/will/wird, kommen die damit locker durch.

Und so hören wir, dass „die LSE-Studie der bestehenden Struktur der Sozialversicherungen ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt hat“, auch wenn dort steht, dass „davon ausgegangen werden muss, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre“.

   P.S.: Erschreckend ist die Fehlerquote. Bei einer monatelangen Verzögerung und einem Preis von etwa 500 Euro pro Seite könnte man ein Lektorat erwarten – oder wurde noch ganz schnell umgeschrieben?

„Wiener Zeitung“ Nr. 169 vom 31.08.2017  

Literaturservice: LSE-Studie und zugehörige Presseunterlagen

Zur ohnehin politisch schon sehr eingeklemmte Studie (hier in Englisch ), hat der Autor der Studie, Minister Stöger einen 12 Seiten langen Brief zur Studie übermittelt, der doch eine ganz andere Sprache spricht, als die Presseunterlagen.

Besonders beachtenswert ist – neben den nicht neuen Darstellungen der Schwächen und den „bemerkenswerten“ Fakten (trotz Innhomogenität kriegen alle was sie brauchen; trotz enormer Spitalshäufigkeit sind die Ausgaben niedrig) – vor allem die Modell-Variante 4, die hier als Reform vorgeschlagen wird. Sie ist im Grunde keine Reform, sondern es kann alles bleiben wie es ist, sofern bestimmte Rahmenbedingungen hergestellt (klingt eben nach – was muß sich ändern, damit alles beliben kann wie es ist) werden. Es ist die einzige Variante, die in diesem Brief näher beleuchtet wird, gerade so, als ob die LSE fürchtet, dass diese (mMn „wünsch-dir-was)Variante von der Politik derart präferiert wird, dass sie behauptet: „es sei eh jetzt schon alles bestens, und die LSE bestätigt das auch“

Und wie zu erwarten war (wobei ich sicher bin, dass bereits im Vorfeld heftig darüber geredet wurde – vielleicht auch deswegen der lange Brief) entscheidet sich die Politik sofort für Variante 4 und will diese gleich umsetzen – allerdings, und das zeigen die Presseunterlagen – nicht im Sinne der Studie: kein Wort von einer Reform des Risikostrukturausgleichs ALLER Kassen, kein Wort vom Herauslösen der Spitalsambulanzen, um sie im Kassensystem zu integrieren, kein Wort von eine Leistungsharmonisierung aller Leistungen aller Kassen (nur „nicht-ärztliche“ Leistungen sollen harmonisert werden, also keine Veränderung im Gesamtvertragssystem. Deswegen kostet die Harmonisierung auch nur wenig – eine echte würde 1,2 Mrd.€ kosten, die vorgeschlagene ein paar hundert Millionen)

Die Variante 4, wenn sie im Sinne des Briefes umgesetzt werden sollte, wäre mit Abstand die komplexeste und langwierigste. Und weil ich eben glaube, dass es den Politikern eigentlich nicht um eine wirkliche Reform geht, wird diese Variante gewählt und dann versanden – wie endlos viele Reformen davor.

 

Eine endgültige Bewertung kann ich aber erst nach den 1.400 Seiten vornehmen – und auch erst dann, wenn sie online ist!