Billige Arbeitskräfte in neuen MedUnis

   Der Ruf nach der Verdoppelung der MedUnis wird von standhaft vertretenen alternativen Fakten begleitet.

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   Österreichs MedUnis bilden bezogen auf die Einwohner die meisten Mediziner in Europa aus. Im langjährigen Schnitt bleiben 90 Prozent der inländischen Absolventen (etwa 900) hier und arbeiten als Ärzte. Und auch die ausländischen Absolventen wandern immer seltener ab. Etwa die Hälfte bleibt uns erhalten. Es gibt also keine Massenemigration, wie manche behaupten, eher das Gegenteil. Denn seit einigen Jahren kommen jährlich etwa 500 Ärzte aus dem Ausland neu hinzu. Am Ende sind es 1.600 Ärzte, die jährlich neu in der Ärzteliste eingetragen werden. Demgegenüber stehen etwa 800 Ärzte, die aus dem Beruf ausscheiden. Die Zahl der Ärzte wächst – und das seit Jahrzehnten.

   Nun hört man, es gebe einen Ärztemangel, weil Kassenstellen – und hier vor allem die der Hausärzte – nicht besetzt werden könnten. Aber das ist halt auch falsch. Es gibt etwa 4.000 Kassen-Hausärzte; demgegenüber gibt es mehr als 3.000 Hausärzte, die meisten unter 55 Jahre alt, die eine Wahlarzt-Ordination betreiben, 2.000 leben ausschließlich von ihr. Diese Wahlärzte wollen einfach keinen Kassenvertrag. Ähnliches gilt auch bei den Fachärzten. Da einen generellen Ärztemangel hineinzuinterpretieren, ist schlicht Realitätsverweigerung.

   Bei der Forderung der Länder nach der Verdoppelung der MedUnis kann der akute „Hausärztemangel“ nur vorgeschoben sein – das müssen sogar sie selbst erkennen, ist doch frühesten 2035 mit fertigen Ärzten aus diesen neuen Unis zu rechnen. Und wenn es nur darum ginge, die enttäuschten Eltern und Großeltern der Kinder zu beruhigen, die keinen Studienplatz gekriegt haben, würden sie das nicht so beharrlich fordern. Doch da gibt es noch andere Motive.

   Das Arbeitszeitgesetz für Spitalärzte aus dem Jahr 2015 wird eingehalten und führt zur Arbeitszeitreduktion von bis zu 20 Prozent. Da die Arbeitsdichte vor 2015 schon recht hoch war (in der Arzt-Patienten-Relation gehört Österreich zu Europas „produktivsten“ Staaten), müsste eigentlich die Zahl der Ärzte entsprechend gestiegen oder aber die Belastung gesunken sein (weniger Patienten). Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Ärzte stieg bis 2018 um lediglich 6 Prozent, und die Belastung blieb gleich. Es kam zur Arbeitsverdichtung – oder?

   Was völlig übersehen wird: Es gibt neue „Mitarbeiter“, die in Statistiken nicht auftauchen und zu allem Möglichen eingesetzt werden können – nämlich die Studenten im Klinisch-Praktischen Jahr, die sogenannten KPJler. Bis zu 1.500 gibt es jedes Jahr – neu. Und weil sie oft Tätigkeiten der „alten“ Turnusärzte übernehmen (Papierkram, Blutabnahmen, Infusionen, etc.), federn sie einiges ab. Um die Lücke zu füllen, bräuchte es jedoch rund 3.000.

   Und plötzlich versteht man die Begehrlichkeit der Länder nach Verdoppelung der Studienplätze.

   Denn mit mehr KPJlern kann man nicht nur Spitalpersonal praktisch zum Nulltarif entlasten, mehr noch, man erhält auch viele hunderte Millionen Euro zusätzlich vom Bund für die ländlichen Spitalspielplätze – weil sich die bundesfinanzierten MedUnis ja in bestehenden Spitälern einmieten müssen und die Miete von den Ländern de facto selbst festgelegt wird. gastkommentar@wienerzeitung.at

„Wiener Zeitung“ vom 28.11.2019 

Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld

   Das Wiener KH Nord, das gern als modernstes Spital Europas, ja der Welt gepriesen wird, hat diese Attribute nicht verdient. Im Grunde ist es ein einfaches „Provinzspital“ ohne sonderlich aufwendige Ausstattung, das schlicht viel zu teuer errichtet wurde und dessen Errichtung viel zu lange gedauert hat.

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Daraus ist ein Investitionsrückstau entstanden. Etwa im vor sich hin bröselnden Wilhelminenspital, dessen nun abgesagter Neubau längst hätte beginnen müssen und das nur noch durch Fotos, die es in die Medien schaffen, auffällt.

   Selbst in einer Schmalspurvariante stehen im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) 2,7 Milliarden Euro an Investitionen an, hunderte Millionen mehr als erwartet. Genau da liegt das Problem: Das Geld ist nicht da.

   Und so müssen sich Wiens Politiker etwas einfallen lassen.

   Wiens Spitäler sind sehr teuer – zwar nicht so sehr im patientennahen Bereichen, sondern vor allem in den patientenfernen, nicht-medizinischen. Dort fallen die österreichweit höchsten Personal- und Sachkosten an. Dort könnte man sparen. Könnte man, wenn man sich mit Gewerkschaften und Netzwerken anlegte. Vor Wien-Wahlen und gerade jetzt ist das keine Option fürs „rote“ Wien.

   Also Einnahmen erhöhen!

   Und das geht über Gastpatienten, die in einem anderen Bundesland behandelt werden, als sie wohnen. Seit 1997 harrt deren Finanzierung einer sinnvollen Lösung. Nach wie vor gibt es das damals eingeführte Provisorium über den Finanzausgleich. Dort wird verhandelt, wie der bundesweite Spitalsfinanzierungstopf auf die Länder verteilt wird. Und weil Wien viele Gastpatienten versorgt, erhält es mehr Geld, als es die Einwohnerzahl rechtfertigen würde. Und mangels anderer, patientenorientierter Lösungen ist es leicht, hier Gerüchte zu lancieren.

   Denn weder steigt die Zahl der Gastpatienten, noch lässt sich eine Kostensteigerung bei diesen ableiten. Es kommt also nicht wie gerne verkündet zu einer Steigerung von vor allem teuren Patienten. Und trotzdem wird gerade das behauptet. Vor allem das „schwarze“ Niederösterreich (nicht aber das „rote“ Burgenland) verdränge ungebührlich teure Patienten nach Wien, heißt es.

   Früher gab es solche Behauptungen nicht. Da gab es die Schiene Erwin Pröll/Michael Häupl, die das nicht zugelassen hat. Jetzt aber gibt es neue Spitzen in den beiden Bundesländern, und da dürfte das Klima anders sein. Wien bringt sich in Stellung, beim nächsten Finanzausgleich will es mehr. Dazu wird mobilisiert.

   Und das geht aktuell ganz leicht. Einerseits ist Wien-Bashing in den Bundesländern üblich geworden, Wien kann daher leicht in eine Opferrolle schlüpfen. Und zudem ziehen die Politiker damit die Ärztekammer an sich, statt sie gegen sich zu haben. Denn die Ärzte stöhnen nach der Arbeitszeitverkürzung unter einer enormen Arbeitsverdichtung. Anders als kolportiert, ist die Zahl der Ärzte nicht derart gestiegen, dass die Zahl der Patienten pro Arzt nach der Arbeitszeitreform gleichgeblieben wäre. Nein, sie ist gestiegen! Daher wünschen sich die Ärzte weniger Patienten und liefern den Politiker auch noch beweisende Anekdoten.

   Ja, so geht Politik

„Wiener Zeitung“ vom 24.10.2019  

Mehr MedUnis braucht das Land – viel mehr

   Auf den ersten Blick ist nicht klar, was da passiert. Denn Österreichs MedUnis bilden, bezogen auf die Einwohner, die meisten Mediziner in Europa aus.

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Es sieht zwar in den offiziellen OECD-Statistiken so aus, als ob die Zahl der Absolventen sinke, das ist aber nur darauf zurückzuführen, dass dort nur Inländer der öffentlichen Universitäten zählen. So was macht halt sonst keiner. Aber selbst mit dieser Einschränkung kommen wir auf 13,4 Absolventen pro 100.000 Einwohner und liegen damit über dem EU-Schnitt (12,7). Zählen wir die Ausländer dazu, steigt die Zahl auf etwa 18; zählt man noch Privatunis und die neue MedUni in Linz dazu, sind es demnächst 22 Absolventen pro 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland sind es aktuell gerade einmal 11.

   Setzt man die Zahl der inländischen Absolventen in Relation zu den inländischen Turnusärzten, dann ist es erstaunlich, dass im 15-Jahres-Schnitt 90 Prozent von ihnen nicht auswandern oder der Medizin den Rücken kehren, sondern hierbleiben und als Ärzte arbeiten. Und auch die Ausländer wandern immer seltener ab. So genau wissen wir das zwar nicht, da aber deren Plätze begrenzt sind, sollten pro Jahr etwa 300 Ausländer hier promovieren. Und siehe da: 150 bis 200 bleiben. Es ist also keine Massenemigration zu sehen und schon gar nicht die immer wieder genannten ominösen 40 Prozent. Und weil sogar ausländische Absolventen immigrieren, kommt am Ende ein Nullsummenspiel heraus.

   Vielleicht brauchen wir trotzdem mehr Absolventen, weil so viele Hausärzte in Pension gehen? Betrachtet man aber die Allgemeinmediziner mit eigener Ordination, findet man tausende außerhalb des Kassensystems, vor allem bei den unter 50-Jährigen. Die wollen offenbar keine Kassenärzte werden. Würden mehr Absolventen nicht einfach die Zahl der Wahlärzte vergrößern? Warum also wird eine Verdoppelung der Studienplätze gefordert, um dem „Hausärztemangel“ zu begegnen?

   Einmal abgesehen davon, dass frühestens 2035 mit fertigen Ärzten aus den neuen Unis zu rechnen ist – also dann, wenn die so bedrohlich aufgeputschte Pensionierungswelle längst verebbt sein wird –, muss es doch was anderes geben, was Politiker antreibt. Warum also?

   7546 oder 40 Prozent aller österreichischen AHS-Maturanten nahmen am Medizinaufnahmetest teil, nur 1260 erhielten einen Studienplatz. Daher sind etwa 13.000 Eltern und sicher noch einmal so viele Großeltern enttäuscht. Was machen die jetzt? Sie wenden sich an Bürgermeister oder Landehauptleute und jammern – von wegen Ärztemangel etc. – und so kommen rund um die Zusendung der Testergebnisse Mitte September endlose Telefonate zustande, die dann in einer politischen Reaktion münden: 2016 forderte Norbert Darabos „nur“ 1000 zusätzliche Plätze, diesmal will Johanna Mikl-Leitner gleich 1700 Plätze.

   Meist vergeht das vorbei, diesmal aber sind wahlwerbende Bundespolitiker in den Ring gestiegen. Und das heißt wohl, dass es demnächst neue MedUnis geben wird. Egal, was die Fakten sagen.

„Wiener Zeitung“ vom 26.09.2019 

Pflegkräftemangel -Mythos

(Lesezeit 10 Min) Die Meldung kam für alle überraschend. Laut den ersten offiziellen Daten des Pflegeregisters, sind 141.096 Personen in einem Gesundheits- und Krankenpflegeberuf ausgebildet. Dazu zählen Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz. Diese Zahl ist erstaunlich hoch, und passt gar nicht in das Bild, das die Politik seit Jahren zeichnet.

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Der planwirtschaftliche Unternehmer und seine Büros

   2011 gab es laut Alois Stöger die „größte Strukturreform seit Jahrzehnten“: die „Ärzte-GmbH“ – eine Totgeburt. Das Gesetz, das den Ärzten das Anstellen von Ärzten erlauben soll, ist eine ebensolche.

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   Die Gründung von GmbHs war, dank absurder Kompromisse, völlig unattraktiv. Heftig diskutiert wurde, ob es möglich sein soll, dass Ärzte Ärzte anstellen.

Kassenfunktionäre hatten Angst, der anstellende Arzt geht golfen, während seine angestellten Ärzte arbeiten. Ärztekammerfunktionäre waren sich nicht sicher, weil die Grenzen zwischen Ordination mit angestellten Ärzten und Krankenanstalt in der Form eines selbständigen Ambulatoriums unklar sind. Letztere werden seit jeher bekämpft, weil sie der Wirtschaftskammer unterstellt sind und über Einzelverträge außerhalb des Gesamtvertrages stehen – also die Ärztekammer keinerlei Macht darüber hat. Dazu kommt, dass sich so mancher Arzt in seiner Kassenordination dauerhaft von anderen Ärzten vertreten lässt. Diese Dauervertretung ist heikel, weil das eigentlich Scheinselbständigkeit ist und Vertreter angestellt werden müssten, was aber eben einem Ordinationsbesitzer nicht erlaubt, sondern Krankenanstalten vorbehalten ist, die aber bekämpft werden.

Wie würde sich eine Anstellungsoption da auswirken? Also wurde diese sicherheitshalber nicht eingeführt. Im Grunde hat sich nichts geändert, deswegen war die Novelle des Ärztegesetzes Anfang 2019, die erlaubt, dass Ärzte Ärzte anstellen, irgendwie ein echter Reformschritt – dachte ich. Ich habe sogar darüber hinweggesehen, dass die Ärztekammer nun gesetzlich festhalten ließ, dass Vertretungsärzte, egal wie sehr sie weisungs-, orts- und zeitgebunden sind, also Attribute der Anstellung aufweisen, immer freiberuflich arbeiten. Das schafft Rechtssicherheit für die, die nebenbei eine Privatordi in der Schweiz oder einen Präsidentenjob in der Kammer haben und ihre Kassenordi jemand anderem überlassen.

Jetzt aber, wo die Details zur „Reform“ offenbar werden, ist klar, dass von der Idee, über den Ausbau der ambulanten Arbeitskraft vor allem die Hausarztebene zu stärken, nichts geblieben ist. Umgerechnet auf Einwohner, arbeiten in dieser Ebene in England fast doppelt so viele Hausärzte und gleich fünfmal so viele Pflegekräfte. Wir könnten also kräftig investieren – doch, würden wir das tun, käme es zu dramatischen Patienten-Rückgängen in Ambulanzen und Spitälern (aber auch bei Fachärzten). Und das wollen die Kassen verhindern.

Denn ein ins Spital (oder zum Wahlarzt) verdrängter Patient kostet kaum etwas, jeder, der beim Hausarzt versorgt wird, kostet viel mehr. Daher darf man Hausärzten keinesfalls erlauben, einfach so Ärzte anzustellen. Die „Reform“ sieht daher vor, dass die Anstellung eines Mitarbeiters nicht Sache des Unternehmers, sondern der Kasse und Kammer ist. Deren Büros planen, wo Ärzte gebraucht werden. Wird mehr als einer gebraucht, darf ein Arzt einen anderen anstellen: Teilzeit und befristet. Wenn die Büros meinen, es braucht keinen zweiten mehr, nehmen sie den einfach weg – Kammer- und Kassenfunktionäre behalten ihre Macht, spielen Planwirtschaft und reden vom freien Arzt. Analog den Ärzte-GmbHs wird diese Reform, die allerhöchstens einigen wenigen Funktionären nutzen wird, daher tot geboren.

„Wiener Zeitung“ vom 05.09.2019 

Pflegkräftemangel – ein Mythos?

   Österreich hat die zweitmeisten Pflegkräfte in der EU – Trotzdem herrscht ein Mangel.

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   Lange schon hören wir, es gibt zu wenige Pflegekräfte und es wird immer schwerer solche zu finden. Ebenso lange wird mit einer OECD-Statistik argumentiert, in der wir nur acht Pflegekräfte auf 1000 Einwohner haben, und damit im EU-weiten Vergleich in der unteren Hälfte liegen; und ebenso lange wird die Fußnote dieser Statistik ignoriert: dort steht, dass Österreich (neben Griechenland) nur die Spitals-Pflegekräfte meldet. Dass das so ist, hing damit zusammen, dass nie irgendwelche Daten erhoben wurden. Wieviele Personen eigentlich in der Pflege arbeiten, schien niemanden wirklich zu interessieren.

   Nach zwei Jahrzehnten Diskussion hat sich die Politik dann doch durchringen können, auch bei uns ein Pflegeregister einzurichten. Ein Jahr lang war Einschreibefrist, die Einschreibung für alle Pflegekräfte obligatorisch. Am 30. Juni lief die Frist aus und am 1. Juli wurden die Ergebnisse präsentiert.

Leider war da niemand mehr aufnahmefähig; die Regierung gesprengt, Ibiza in aller Munde und die Schulferien hatten begonnen. Und wenn dann das Ergebnis auch so gar nicht in das politische Bild des „Pflegenotstands“ passt, darf man sich nicht wundern, dass sich weiter niemand dafür interessiert.

   Denn wie schaut es aus? 141.000 Pflegekräfte (Diplomierte Pflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz) sind nun registriert. Legt man diese Zahl auf 1000 Einwohner um – so wie es die OECD macht –, erleben wir erstaunlicherweise, dass Österreich, nach Norwegen, die meisten Pflegekräfte hat. Verglichen mit der EU (8,4) schwimmen wir mit 15,9 pro 1000 Einwohner geradezu in Pflegekräften.   

Doch wo sind die? Zieht man die wenigen Publikationen zu dem Thema zurate (Wirtschaftsforschungsinstitut und Arbeiterkammer haben um die Jahreswende dazu publiziert), ergibt sich folgendes Bild: In Spitälern und Rehazentren arbeiten fast 70.000 (30 Prozent davon Teilzeit), in Pflegeheimen fast 31.000 (40 Prozent davon Teilzeit) und bei den mobilen Diensten fast 11.000 (85 Prozent davon Teilzeit). Zusammen ergibt das aber nur 111.000 Pflegekräfte (ohne Betreuungskräfte wie die 24-Stundenbetreuung), also um etwa 30.000 Personen weniger, als registriert. Bedenkt man nun, dass da und dort in Arztordinationen und Ambulatorien, in Krankenpflegeschulen und 24-Stunden-Betreuungsvereinen Pflegekräfte arbeiten, bleiben trotzdem zehntausende übrig, von denen niemand weiß wo und was sie arbeiten, nur dass sie das, ähnlich dem Wahlarztsektor, nicht im öffentlichen Versorgungssystem tun.

Der Zug in Richtung Privatversorgung ist also auch in der Pflege angekommen und führt, wie bei den Ärzten, dort zu Engpässen, wo die Arbeitsplatzattraktivität durch die öffentliche Hand geregelt wird. Und gleich noch eine Analogie findet man: dem angeblichen Ärztemangel wollen Politiker mit mehr Medizin-Absolventen begegnen, dem Pflegemangel mit der Pflegelehre – es soll also mehr Personen geben, noch mehr, dann wird alles gut – oder so! Wer mit Ressourcen nicht umgehen kann, wird nie genug davon haben, das mag eine Weisheit außerhalb der politischen Elfenbeintürme sein, innerhalb ist sie es nicht

„Wiener Zeitung“ vom 09.08.2019 

Könnte die Kassenfusion doch klappen?

   Erstaunlich, was für Fantasien eine so einzigartige Übergangsregierung hervorrufen kann – sogar die einer echten Kassenfusion.

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   Hintergrund ist ein vor drei Monaten (zwei Monate vor Ende der ÖVP-FPÖ Koalition) publik gewordenes, innerhalb der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) beschlossenes Organigramm. Demnach werden praktisch alle Entscheidungen in der Generaldirektion in Wien zentralisiert, und alle Kasseneinnahmen ohne Bundeslandbezug in einem großen Topf zusammenfließen. Landesstellen werden nur mehr Repräsentanzen, Landespolitiker genauso entmachtet, wie föderalistisch organisierte Ärztekammern. In der Generaldirektion werden Fachbereiche errichtet, die bundesländerübergreifend alle Inhalte abarbeiten – und mit alle meine ich alle.

Es geht also um eine echte Harmonisierung der neuen Gebietskrankenkassen zu einer ÖGK; inklusive der Vereinheitlichung des Leistungs- und des Honorarkatalogs der Kassenärzte. Ohne eine solche Vereinheitlichung kann es keine Reform geben – ein Wissen, das Jahrzehnte alt ist, und Grundlage für die ausgesprochen inhomogene Versorgungslage gebildet hat.

Jede Kasse ist längst eine eigene Klasse geworden, womit wir eben kein Zwei-Klassen-, sondern ein Viel-Klassensystem, mit eingeschränkter Wahl haben. Da aber nur die „Wiener Zeitung“ (18.04.2019 „Nach Kassenfusion Länder entmachtet“) darüber berichtete, und keinerlei politische Reaktionen publik wurden, ging ich fix davon aus, diese völlig unösterreichische Machtverteilung überlebt keinesfalls die nächsten Monate, schon gar nicht die nächste Wahl.

Besonders deswegen, weil nichts darauf hindeutete, dass sich irgendetwas in der Umsetzung der Gesundheitsreform bewegt. Und da das Reform-Gesetz schwammig formuliert ist, und alle möglichen Spielarten zulässt, vor allem jene, wo die alten GKKs als Landesstellen genau so weitermachen können wie bisher – also mit neun eigenen Leistungskatalogen und neun eigenen Honorarkatalogen, ging ich von einer Eintagsfliege aus; es wäre nicht die erste in der Gesundheitspolitik.

Solange die „Zentrale“ eine Filiale der föderalen Machtzentren ist, würde alles gleich bleiben – dachte ich! Und dann kam die Übergangsregierung – und das änderte alles!

Denn, diese Regierung ist angetreten, um zu verwalten. Da das Organigramm innerhalb der ÖGK bereits beschlossen ist, wird es in den nächsten Monaten mit Leben erfüllt werden können und Tatsachen schaffen, die nicht mehr leicht rückgängig zu machen sind.

Rechtlich ist das gedeckt, da die Selbstverwaltung sich selbst organisatorische Regeln geben darf. Diese Regeln könnte nur das Ministerium oder das Parlament verbieten. Vonseiten der Regierung ist nicht mit Querschüssen zu rechnen, und das Parlament hat de facto keine Chance, diesen Weg zu beenden.

Und weil mit Bernhard Wurzer als neuer Generaldirektor der ÖGK jemand sitzt, der genau dieses Organigramm wollte, der die Fragmentierung in GKKs als unfair betrachtet und willens ist, aus den neun GKKs wirklich eine ÖGK zu machen, könnte es tatsächlich passieren, dass eine echte Kassenfusion kommt.

Mit keiner anderen Regierung wäre das gegangen, dafür sind alle Parteien schon viel zu populistische und hätten, wie immer, darauf geachtet, dass die eigene Klientel nicht zu kurz kommt.

„Wiener Zeitung“ vom 06.07.2019   

Jetzt gibt es ein echtes Transparenz-Fenster

   Viele Informationen darüber, wie unser Gesundheitssystem funktioniert, sind wegen des Amtsgeheimnisses geheim – aber warum?

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   Mit welchem Personalschlüssel planen die Niederösterreichischen Spitäler, mit welchem die Wiener? Wie viele Patienten behandeln die Ärzte im Bezirk Kufstein und wie viele überweisen sie an Spitalsambulanzen? Wie viele Mühlviertler oder Favoritner wurden vergangenes Jahr wegen Herzschwäche, COPD oder Diabetes im Spital aufgenommen und wie lange waren Sie dort? Das sind typische Maßzahlen für die Qualität eines Gesundheitssystems. Solche Informationen würden in anderen Ländern regelmäßig und zeitnah veröffentlicht; bei uns ist das anders.

   Es ist ja nicht so, dass es diese Informationen nicht gäbe, sie werden halt nur geheim gehalten. Österreichs Gesundheitssystem ist intransparent – im internationalen Vergleich liegt nur mehr ein europäisches Land hinter uns: Griechenland!

Der Grund dafür ist simpel: Nur in der Intransparenz ist es möglich, Mythen wie den des besten Systems der Welt aufrecht zu halten. Und wer schlägt daraus Profit? All jene Politiker, in Kammern, Gewerkschaften und Ländern, die sich eine persönliche Machtposition geschaffen haben, die es zu verteidigen gilt.

   Doch wie verteidigen sie die?

   Da kommt etwas ins Spiel, das beschönigend Realverfassung genannt wird. Denn die meisten dieser Machtpositionen sind rechtlich gar nicht so stark abgesichert. Aber was noch viel wichtiger ist, die von den Mächtigen hergestellte Intransparenz ist es noch viel weniger.

Das Gesundheitsministerium ist Herr über endlos viele Informationen, die, geschützt durch das Amtsgeheimnis, verborgen bleiben. Zwischen ihnen und der Öffentlichkeit steht oft nur die Realverfassung. Ein Minister, will er nicht in der Versenkung verschwinden, ist zu vorauseilendem Gehorsam verdammt. Nichts, was Kämmerer, Gewerkschafter oder Landesfürsten brüskieren könnte, darf veröffentlicht werden. Sollte ein Minister diesen Gehorsam verweigern, er wäre seinen Job und seine Parteikarriere los.

   Und genau da kommt die Übergangsregierung ins Spiel. Welche Karriere steht denn der jetzigen Gesundheitsministerin noch bevor? Welcher Partei muss sie gehorchen? Ein bisschen Mut der Ministerin und ihrer Beamten vorausgesetzt, ein bisschen Schutz durch die Bundeskanzlerin, und vieles könnte die Öffentlichkeit erreichen. Und das ohne rechtliche Gegenwehr, denn, da all diese Informationen ja vorliegen und die Veröffentlichung nur ein Knopfdruck ist, der praktisch nichts kostet, greift nicht einmal der Konsultationsmechanismus, über den die Länder den Bund stets gängeln.

   Was rauskäme, wäre nichts Furchtbares, sondern einfach Informationen über den echten Zustand unseres Systems. Damit würde es dem einen oder anderen Mythos, der Ländern, Kammern und Gewerkschaften als Schutz gegen jegliche Reform dient, an den Kragen gehen. Der Boden für eine echte Reform nach den Wahlen wäre aufbereitet. Und was soll schon passieren? Dass einem Minister, weil er gesetzestreu jene Informationen und Daten publiziert, die nur wegen des unerträglichen Gemauschels und Getauschels geheim gehalten werden, das Misstrauen ausgesprochen wird? Von wem?

„Wiener Zeitung“ vom 07.06.2019  

Impfpflicht?

Österreich gehört seit Jahrzehnten zu den Ländern mit den meisten Masernfällen – weil wir Impfmuffel sein dürfen.

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   Wir haben ein Problem mit der Durchimpfungsrate. Darunter versteht man den Bevölkerungsanteil, der zweimal geimpft wurde – empfohlen wird, dass diese Rate bei Kindern mindestens 95 Prozent betragen soll. Zwischen 2000 und 2009 meldete Österreich der OECD schwankende Durchimpfungsraten, errechnet aufgrund verkaufter Impfdosen (Impfdaten gab es keine), zwischen 74 Prozent und 81 Prozent. Damit war Österreich europaweit immer Schlusslicht.

Nun, die Masernausbrüche blieben nicht aus und verborgen, und nach einem größeren Ausbruch 2008 hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) sich die Situation einmal angeschaut. Dabei wurde festgestellt, dass wir noch nicht einmal vernünftige Daten haben. Wir haben dann fest versprochen, dass ab 2009 das bereits für 2006 versprochene Impfregister eingerichtet sein wird, damit Impflücken identifiziert und gezielt geschlossen werden können. Das geschah natürlich nicht, womit halt weiter keine Daten erhoben werden konnten, die Impflücken offenblieben und die Masern immer wieder kamen.

Und wohl weil es einigen peinlich war, wurden ein paar Jahre keine Daten gemeldet – Kopf, Sand und so. 2014 mussten wir aber dann doch wieder etwas melden – und was lag näher, als einen Erfolg zu melden. Wegen fehlender Daten konnte ja niemand das Gegenteil beweisen. Und so behaupteten offizielle Stellen einfach mal, die Rate liege bei den empfohlenen 95 bis 96 Prozent – und das wird seither jedes Jahr gemeldet.

   Alleine – es ist falsch. Denn 2016 wurde, statt über die Verkaufszahlen zu rechnen, ein mathematisches Modell (Impfdaten gab es ja immer noch nicht) etabliert, das für 2015 von einer Durchimpfungsrate von 82 Prozent ausgeht – eine Rate, die besser zur Historie vor 2009 und den fehlenden Impfinitiativen seither passt. Man bedenke, in Italien wurde die Impfpflicht eingeführt, weil die Rate auf 86 Prozent gesunken ist – ein Wert, den wir noch nie erreicht haben.

   Wäre jetzt also auch bei uns eine allgemeine Impfpflicht eine Lösung? Nein, denn diese ist erst sinnvoll, wenn man weiß, wo und warum es Impflücken gibt, und zuerst versucht, dort Impfskeptiker (das sind noch keine Impfgegner) zu informieren und aufzuklären und dieses Feld nicht germanischen Medizinern, Loibner-Jüngern, Homöopathen oder Esoterikern überlässt. Solange die das Sagen haben, wäre eine allgemeine Impfpflicht nur kontraproduktiv.

Aber, es entsteht der Eindruck, Politiker wollen eigentlich diese Impflücken gar nicht kennen, um nicht Wählerstimmen in diesen Kreisen zu verlieren. Und genau deswegen wird auch der E-Impfpass, der 2021 kommen soll, nicht weiterhelfen. Erstens ist er eine Elga-Anwendung, die Auswertungen nicht oder kaum erlaubt, und zweitens muss, wegen der Opt-out-Regeln, niemand seine Impfungen eintragen lassen. Damit bleibt alles, wie es ist, und wir werden weiterhin mit Masernausbrüchen konfrontiert sein.

PS: Etwa jedes tausendste Kind, das sich mit Masern ansteckt, stirbt. Diese Mortalität liegt deutlich höher als die, ohne Gurt Auto zu fahren – sollten wir die Gurtenpflicht überdenken?

„Wiener Zeitung“ vom 16.05.2019  

„Konzernisierung“ des österreichischen Gesundheitssystems

    Es wird wieder einmal vor der Übernahme des Gesundheitssystems durch Kapitalisten und Konzerne gewarnt.

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   Das österreichische Gesundheitssystem, bekanntermaßen das beste der Welt, ausschließlich auf das Wohl der Patienten ausgelegt und völlig frei von Eigeninteressen der Kammern, Parteien und Gewerkschaften, steht an der Schwelle zur „Konzernisierung“. Demnächst, so wird mancherorts klar, wird es eine Dominanz der Großkonzerne geben. In der Folge werden die Bedürfnisse der Patienten unwichtig, und es geht nur mehr um die Interessen der Investoren. Diese Entwicklung ist deutlich abzulesen.

   Denken wir an die Schweiz. Dort betreibt laut dem österreichischen Ärztekammerpräsidenten Thomas Szekeres der Schweizer Mischkonzern Migros, eine Genossenschaft, an mehr als 40 Standorten ambulante Gesundheitszentren – genau genommen sind es ja schon mehr als 50. Und damit arbeiten schon fast fünf Prozent der ambulant tätigen Ärzte der Schweiz für diesen Schweizer Konzern – eine klare Dominanz der Konzerne gegenüber den frei praktizierenden Ärzten. Das droht auch in Österreich.

   Und dann dieser Süßwaren- und Tierfutterproduzent Mars, der ist Weltmarktführer bei Tierkliniken und betreibt, seit er das Unternehmen AniCura gekauft hat, auch an fünf Standorten in Österreich Tierkliniken. AniCura wird nicht aufhören mit Tierkliniken, schließlich stellt Mars ja auch Süßwaren her – und ist ein Großkonzern und damit gierig.

   Ach ja, die Gier; 2017 investierten Finanzinvestoren in Europa elf Milliarden Euro in den Gesundheitssektor. Die Mehrzahl dieser Private-Equity-Gesellschaften haben ihren Firmensitz in diversen Steueroasen und ziehen die Gewinne steuerschonend ab. Und weil der Gesundheitssektor in Europa nur 2000 Milliarden Dollar schwer ist, ist demnächst mit der totalen Übernahme durch diese Investoren, denen es nicht um das Wohl der Patienten, sondern um ihre Rendite geht, zu rechen.

   Apropos Investoren: Die europäische Investitionsbank will 300 Millionen Euro in die Errichtung unserer Primärversorgungs-Infrastruktur investieren –ein schlagender Beweis dafür, dass internationale Finanzinvestoren vor der Tür stehen, um unser Gesundheitssystem zu zerstören.

   Und wer noch nicht überzeugt ist, dass profitgierige Kapitalisten unsere aktuell tätigen freiberuflichen Ärzte, die keinen Gewinn anstreben, sondern nur den gerechten Lohn erbitten, verdrängen: In Wien wollte doch tatsächlich eine Tochterfirma des privaten Baukonzerns Porr ein Primärversorgungszentrum errichten. Nun, besitzen und betreiben dürfte sie das ja nicht, weil das Gesetz klar vorschreibt, dass das nur die Ärzte dürfen, die dort arbeiten. Aber das macht nichts, denn schon das Errichten ist ein Einfallstor der Privatisierungen.   

Aber das konnte gerade noch verhindert werden – noch. Besser wäre natürlich, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, damit öffentliche Gebäude im Gesundheitssektor, etwa Spitäler, Kassenzentralen aber auch Ordinationen, nur mehr durch staatliche oder wenigstens kammereigene Baufirmen gebaut oder renoviert werden dürfen. Denn alles andere kommt einer Privatisierung und „Konzernisierung“ gleich

„Wiener Zeitung“ vom 12.04.2019