Ärztekämmerer – die Besten der Besten

Das Arbeitspensum der hohen Kammerfunktionäre ist unglaublich – Normalsterbliche könnten das nicht. Eine Polemik.

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   Jahrzehnte als Kassenarzt in hohen Funktionen in der Wiener und der österreichischen Ärztekammer, hatte er immer noch Zeit für anderes. Neben Kammer und Kassenordination war er Oberarzt in einem Ordensspital, das er auch als Geschäftsführer leitete, und in seiner Freizeit übernahm er Beratungsaufträge, wenn Not am Mann war. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Der neue Wiener Ärztekammerpräsident Dr. Johannes Steinhart (67) ist fleißig. Und weil er seine Spitaljobs vor einiger Zeit aufgab, wird er genug Zeit haben, den Posten des Ärztekammerpräsidenten auszufüllen.

   Gleich und Gleich gesellt sich gern. Deshalb steht hinter ihm ein Koalitionsteam voller Fleißiger: etwa Dr. Stefan Ferenci (45), der als Kassenarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sicher viel zu tun hat und sich trotzdem in der Ärztekammer als Funktionär engagiert. Gewählt wurde er als Kassenarzt. Nebenbei hat er auch eine Privatordination in Wien. Und weil er hier schon als Turnusarzt Politik gemacht hat, wollte er das auch weiter tun. Damals kam er über die Fraktion „Turnusärzte für Turnusärzte“ in die Kammer, sogar noch 2017, als er gerade Oberarzt wurde. Nun, das ist Jahre her.

   Klar, er ist jetzt Kassenfacharzt, da ist es rechtlich unmöglich, als Turnusarzt zu kandidieren. Doch glücklicherweise hat sein langjähriger Parteifreund Dr. Mojtaba Pachala (39), mittlerweile Funktionär für die „Liste Steinhart“, eine Frau, die niedergelassene Hausärztin ist. Und die hat ihn als Turnusarzt angestellt; für 15 Wochenstunden. Und so kandidierte er, wieder für „Turnusärzte für Turnusärzte“. Und es war gut! Denn jetzt ist er sogar Vizepräsident und oberster Vertreter aller angestellten Wiener Ärzte. Das geht locker neben seiner Ausbildung, seinen Ordinationen und seiner Funktionärstätigkeit für Kassenärzte in Niederösterreich.

   Sein Freund Dr. Pachala, ebenfalls langjähriger Ärztekammerfunktionär, ist auch ein Fleißiger. Er hat eine Wahlarztordination und ist zudem Gesellschafter und Geschäftsführer eines Ärztezentrums, gemeinsam mit Dr. Uros Klickovic (43). Der ist ebenfalls noch Turnusarzt (am AKH) und Funktionär für „Turnusärzte für Turnusärzte“.

   Am AKH gibt es da noch zwei fleißige Betriebsräte fürs Wissenschaftliche Personal, die im Team von Dr. Steinhart sind. Der eine ist Dr. Stefan Konrad (39). Er hat es zwar nicht geschafft, Professor zu werden, aber er ist Oberarzt für Strahlentherapie-Radioonkologie. Dort dürfte er eine sehr wichtige Position einnehmen, weil er nebenbei eine Privatordniation betreibt, bei der er Terminvergaben für Strahlentherapie anbietet. Und dann noch Dr. Frédéric Tömböl (32): Er hat sich schon immer neben seiner Ausbildung politisch engagiert – zuerst in der Studentenkammer (ÖH) und jetzt, neben der Betriebsratstätigkeit und seiner Ausbildung, als Wiener Ärztekämmerer. Dort ist er Finanzreferent und Teil des inneren Zirkels.   

Das sind lange nicht alle Fleißigen, aber einmal ehrlich: Wir sollten froh sein. Denn obwohl sie in der Privatwirtschaft ein Vielfaches verdienen könnten, engagieren sich die Besten der Besten in Österreich in den diversen Kammern. Und dort arbeiten sie aufopfernd für uns alle.

„Wiener Zeitung“ vom 02.06.2022   

Es ist schon alles sehr zäh

In der Corona-Zeit hat sich gezeigt, dass sich das Rad der Gesundheitspolitik nicht bewegt – es sich also nicht langsam dreht und daher lange beobachtet werden muss – nein, es steckt fest. Die Welt dreht sich aber weiter und das öffentliche Gesundheits-und Pflegesystem wird schlicht von Realitäten überrollt werden – egal welche merkwürdigen Verbote (etwa der Wahlärzte) und Zwänge (etwa postpromotionelle Bindung an ein Spital für 15Jahre) angedacht oder gar umgesetzt werden!

Wie man Vorurteile bedient

   Es ist in Österreich sehr beliebt, mit Anekdoten etwas zu beweisen – aber sie beweisen nichts, weil Anekdoten keine Beispiele sind.

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   Ich wohne im 1. Bezirk in Wien – also dort, wo der Steffl steht und die Immobilienpreise astronomisch sind. Seit der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, dominiert Slawisch das Sprachengewirr in der Innenstadt. Deutsch war hier auf den Straßen ohnehin, und vermutlich immer, eher selten, so wie wohl auch Italienisch in Venedig kaum gehört wird.

   Ich kann nicht sagen, ob es Russisch, Ukrainisch, Polnisch oder Serbisch ist, was da gesprochen wird. Aber weil es eben zeitlich zusammenpasst, dürfte dieses deutliche Mehr an Slawisch wohl Ukrainisch sein.

   Viele, sehr viele, dieser slawisch sprechenden Personen zeichnen sich auch durch ein besonderes Auftreten aus. Die Frauen sehen, was Frisur, Make-up und Kleidung betrifft, oft irgendwie aus wie Mitglieder der Familie Kardashian. Die Männer hingegen tragen Kurzhaarschnitt, teuer imponierende Sneakers, Jogginganzüge mit großen Markenaufschriften und sind leicht übergewichtig. Parallel dazu ist die Zahl der Luxus-Limousinen mit ukrainischem Kennzeichnen praktisch explodiert. Das hat sich mittlerweile gelegt – ob die Besitzer dieser Autos mit selbigen wieder abgereist sind oder sie nur in einer Garage geparkt haben, weiß ich nicht.

   Übrig bleibt aber der Eindruck, dass der typische geflüchtete Ukrainer neureich ist. Und das Geld stammt wohl aus Korruption, denn die Ukraine ist, wie Transparency International feststellt, ein ziemlich korruptes Land, das irgendwie seit Jahren korrupter statt weniger korrupt wird. Und weil ich ja viele Beobachtungen gemacht habe, die das bestätigen, dürften also die Ukrainer, die vor dem Krieg fliehen, Kleptokraten sein, die sich bei uns in den Immobilien verstecken, die sie davor mit dubiosen Geldern aus dubiosen Firmenkonstruktion, gekauft haben.

   Wäre ich jetzt unwillig zu reflektieren, ob das, was ich da beobachte, beispielhaft oder anekdotisch ist, würde ich das auch glauben – es klingt doch alles plausibel. Spannend finde ich, dass jedoch der Großteil der Bevölkerung, wenigstens habe ich den Eindruck, dies als Verdrehung der Tatsachen erkennt und man schon propagandistisch verblendet sein muss, um es als wahr anzunehmen.

   In der Gesundheitspolitik ist das aber alles ganz anders. Wenn ein Bürgermeister den Ärztemangel beklagt und ein Landeshauptmann seine Forderung nach mehr Studienplätze formuliert, wird das mit unbesetzten Kassenstellen untermauert. Wenn ein Gesundheitslandesrat die hohe Zahl der Spitalsbetten verteidigt, wird das mit der Pandemie erklärt. Wenn ein Kassenfunktionär das Wahlarztsystem als ungerecht beschreibt, wird dabei das Bild des ohnehin schon reichen Professors, der am Nachmittag eine Wahlarztordination zur weiteren Mehrung seines Reichtums betreibt, gezeichnet. Und wenn ein Mikrobiologe die Gefährlichkeit von Covid bei Kindern erklärt, beweist er das mit Kindern, die an Covid gestorben sind. Keiner belegt dabei sein Argument mit Zahlen und illustriert diese mit Beispielen – alle bedienen (oder erschaffen) Vorurteile, die sie mit Anekdoten, die Gefühle wecken, „beweisen“ – und der Großteil der Bevölkerung erkennt nicht, dass es Propaganda ist.

„Wiener Zeitung“ vom 28.04.2022 

Die Pseudodemokratie der Ärztekammer

   Die Wahl der Medizinervertreter interessiert die Öffentlichkeit nicht. Sollte sie aber.

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   Die Ärztekammer ist definitiv mächtig. Macht ist der Begriff, der benutzt wird, wenn jemand, warum auch immer, festlegen darf, was eine Ressource ist und zu welchem Ziel diese einzusetzen ist. Ein Beispiel: Wer über seine Zeit bestimmen darf und auch darüber, was er damit anfängt, hat Macht, denn er legt fest, dass die Zeit teilbar und verfügbar, also eine Ressource ist und zielgerichtet eingesetzt werden kann.

   Die Macht der Ärztekammer besteht darin, dass sie entweder alleine oder aber über ein Veto-Recht festlegt, wer wann wie Arzt wird, wie viele es wo und in welcher Organisationsform geben darf und was sie tun dürfen, aber sonst niemand anderer. Einige ebenfalls mächtige Partner im Gesundheitssystem, die sich aber gerne um anderes kümmern, sind in Teilen ihrer Existenz von ihr abhängig – es geht um Arbeiter- und Wirtschaftskammern samt ihren Krankenkassen.

   Würde die Ärztekammer nicht mit ihnen zusammenarbeiten, also ein vertragsloser Zustand entstehen, wären sie alle zusammen in der Gesundheitspolitik existenziell gefährdet. Andere Machthaber, die Länder, würden das Vakuum füllen. Das ist der Stellungskrieg, der seit Jahrzehnten jegliche sinnvolle Entwicklung im Keim erstickt.

   Dass es so weit gekommen ist, ist dem angeborenen Trieb des Individuums, ein Monopolist zu werden, geschuldet. Dieser Trieb, gerne auch als Gier tituliert, wenn es andere betrifft, sollte durch zivilisierte Instrumente gezähmt werden, in unserem Fall durch demokratische. Doch die Machtgier steht dem entgegen und versucht sich dieser Zähmung zu entziehen. Etwas, das in der Ärztekammer grandios geglückt zu sein scheint. Eine Meinungsbildung des Wahlvolks, die bindend wäre, kann hier nicht mehr stattfinden.

   Schon Sunzi, und 2.000 Jahre später Niccolò Machiavelli, war klar: „Spalte und herrsche.“ Die Kammerwahl tut dies. Sie findet üblicherweise in vier Sektionen statt: Bei den angestellten wird in Turnusärzte und Berufsberechtigte, bei den niedergelassenen in Allgemeinmediziner und Fachärzte gespaltet. Das Ärztevolk, es geht ja um irgendwas Demokratisches, zerfällt also in Subvölker, die ihrerseits nun in parteiische Subgruppen zerfallen – und das in jedem Bundesland. Über teils absurde Koalitionen mit Kleinstgruppen (in Wien reichen 65 Stimmen für ein Mandat im Ärzteparlament) wird dann je ein Landespräsident ernannt. Und zum Schluss wählen diese neun aus ihren Reihen den Oberpräsidenten – der vereinigt dann vielleicht 1.000 Stimmen aus vier Ärztevölkern auf sich, wird aber mit dem Recht ausgestattet, über ein anderes, sehr großes Volk – nämlich das der Pflichtversicherten – Macht auszuüben.

   Bei einer derartig auseinanderdividierten Wählerschaft ist klar, dass Herrscher lange herrschen. Das wissen die auch. Daher haben die Altparteien über die Vergabe von Posten und Funktionen, ähnlich dem Verteilen von Titeln und Pfründen, eine stabile Situation für sich und die Ihren geschaffen, deren alleiniges Ziel nicht das Wohl aller Ärzte und schon gar nicht der Pflichtversicherten ist, sondern schlicht der Machterhalt. Und praktisch niemand kann das ohne Revolution ändern.

„Wiener Zeitung“ vom 24.03.2022 

12 für die Kids, 60 für die Fisch’

   Kinder und Jugendliche erhalten Hilfe zur Bewältigung der psychosozialen Corona-Folgen. Ein Text voller verwirrender Zahlen.

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   Angaben in Millionen Euro: 2.600 für Covid-Tests, 1.000 für eine Impflotterie, 12 für psychologische und psychotherapeutische Beratungen und Behandlungen zur Bewältigung der psychosozialen Folgen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen. Ja, da nimmt die Regierung Geld in die Hand.

Im Begleitpapier zu „Gesund aus der Krise“, das wohl kaum jemand liest (nicht die Schuld des Ministeriums, aber dort wohl einkalkuliert), steht, dass aktuell etwa jeder Zweite unter 21 Jahren eine mittelgradige depressive Symptomatik aufweist – eine Verdreifachung gegenüber sonst. Und ein potenziell lebensbegleitendes Problem. Also tun wir was! Üblicherweise geht man davon aus, dass 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung professionelle Hilfe bräuchten – bei den Jugendlichen sind es durch die Pandemie nun 10 Prozent.

   7.600: So viel sollen von „Gesund aus der Krise“ profitieren, das entspricht etwa 10 Prozent eines Jahrgangs. Die Förderungen reichen also für einen (!) Jahrgang. Angenommen, unter Elfjährige brauchen keine Hilfe – bleiben zehn Jahrgänge. Das Programm reicht also gerade einmal für ein zusätzliches Prozenterl. Und das bei einer ohnehin massiven Unterversorgung, da die über das Gesundheitssystem bereitgestellte Hilfe in normalen Zeiten nicht einmal die Hälfte des Bedarfs deckt. Zu den zehntausenden unterversorgten jungen Patienten kommen also jetzt ein paar zehntausend dazu. Womit „Gesund aus der Krise“ ein Minderheitenprogramm ist, das so vor allem jenen hilft, die am wenigsten Hilfe brauchen (das nennt man „Inverse Care Law“).

   Vielleicht haben wir einfach zu wenige Therapeuten? Geschätzte 10.000 gibt es. Alle zehn Jahrgänge wären rund 80.000 Patienten, also 8 zusätzliche Patienten à 15 Stunden pro Therapeuten – macht 120 zusätzliche Stunden in 12 Monaten. Ich denke, das ginge, wenn man will – aber will man? Eher nicht. Denn das würde 120 Millionen Euro kosten. Und bei der Summe fängt man als Politiker an, genauer nachzudenken: „Wählen tun mich doch eher Pensionisten. Wenn ich zwischen Pensionserhöhung und Kindergesundheit entscheiden muss, dann lieber Pensionserhöhung. Außerdem ist das eigentlich Aufgabe der Kassen. Sollen die das machen.“ Und wie denken Kassenchefs? „Kinder und Jugendliche – die sind ja meist mitversichert und arbeiten nicht – also weder gewerkschaftlich organisiert noch unternehmerisch tätig. (Anmerkung: Chefetagen der Kassen werden über Arbeiterkammer- und Wirtschaftskammerwahlen, besetzt – Kinder dürfen nicht wählen, sind also egal). Wenn ich Geld aus der Kur bereitstellen oder, Gott bewahre, mich mit der Ärztekammer anlegen und Honorare zu Psychologen umlenken soll – da tu ich doch besser so, als ob mich das nichts angeht.“

Und so wird für Kinder und Jugendliche eben gerade so viel getan wie nötig, um Schlagzeilen zu bekommen, ohne der eigenen Klientel was wegzunehmen.    Ah ja, die Wasserkraftbetreiber werden jährlich 12 Millionen Euro in den Ausbau der Fischwanderhilfen stecken – fünf Jahre lang.

„Wiener Zeitung“ vom 24.02.2022 

Mein Körper gehört mir – nicht immer

   Es ist unvernünftig, sich – sofern medizinisch möglich – nicht gegen Covid impfen zu lassen. Noch unvernünftiger ist aber eine allgemeine Impfpflicht.

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   In der Verteidigung der Covid-Impfpflicht wurden und werden sehr viele Argumente ins Feld geführt. Da erklärte etwa Agnes Sirkka Prammer von den Grünen im Parlament, die allgemeine Impfpflicht sei ein kleinerer Schaden, als das Prinzip der sozialen Krankenkassen aufzuweichen. Dieses Prinzip ermöglicht jedem – theoretisch – den gleichen Zugang „zum weltbesten Gesundheitssystem“, ohne dass das persönliche Risiko als Grundlage für die Beitragshöhe herangezogen wird. Egal, wie man sich verhält, ob man gesund lebt oder nicht, der finanzielle Beitrag ist für alle gleich. Und weil dieses Prinzip besteht, sind etwaige Selbstbehalte oder sonstige ungleiche Beteiligung Ungeimpfter an den Kosten der Gesundheitsversorgung abzulehnen. Daher, so die grüne Abgeordnete, sei die allgemeine Impfpflicht unausweichlich und eben der geringere Schaden.

   Das sehe ich ganz anders. Eine Impfung, egal wie geringfügig, ist jedenfalls ein invasiver Eingriff, der die Integrität des Köpers verletzt. Diese Integrität ist aber ein unveräußerliches Recht des Individuums – ein Menschenrecht. Es gibt dieses fundamentale Menschenrecht nicht umsonst: An ihm orientiert sich die Abschaffung der Prügelstrafe genauso wie das Ende der Sklaverei. An diesem Recht kristallisiert sich das Recht auf Abtreibung genauso wie das Verbot verstümmelnder Strafen, etwa der Brandmarkung oder des Schlitzens von Ohren, und natürlich auch der Todesstrafe.

   Die allgemeine Impfpflicht veräußert nun diese unveräußerliche Rechte, und ich hoffe, dass damit kein Präzedenzfall entsteht – denn theoretisch wäre nun etwa eine Zwangssterilisation bei Erbkrankheiten genauso wieder verhandelbar.

   Und was heißt das praktisch? Nun, stellen wir uns eine Frau vor, etwa 80 Jahre alt, Impfbefürworterin. Sie gehört zu denen, die früh geimpft wurden und daher auch früh den zweiten Stich bekam. In zeitlicher Nähe zur zweiten Impfung kam es zu einem Herzproblem – was genau, ist völlig unwichtig. Wichtig ist, dass sie ins Spital kam und dort vom behandelnden Kardiologen erfuhr, dass das wohl eine Reaktion auf die Impfung war. Damals, als eine Impfpflicht völlig ausgeschlossen schien, wurde der Vorfall nicht weiter untersucht. Warum auch, es rechnete ja keiner damit, dass Derartiges nötig würde.

   Als es nun um den dritten Stich ging, hatte diese Frau, völlig logisch, Angst und wollte ihn nicht. Daher verlor sie ihr gültiges Impfzertifikat. Versuche, vom Dritt-Stich befreit zu werden, scheiterten. Also war klar: Sie musste geduldig sein, bis die Beschränkungen aufgehoben würden. Und sie war geduldig.

   Doch jetzt kommt die Impfpflicht. Die Dame sitzt zu Hause, wird sich keine Impfung mehr geben lassen und irgendwann automatisch für ihr Verhalten bestraft – doch für welches Verhalten? Die impfwillige Impfbefürworterin hat einfach nur Todesangst, der man nicht vernünftig begegnen kann – doch die reicht eben nicht aus, weil ihr Köper in dem Fall nicht mehr ihr gehört.

   Klar, das ist eine Anekdote – aber sie ist plausibel. Es wird tausende ähnliche Fälle geben. Und das Gesetz wird diese automatisiert für ihre Angst bestrafen.

„Wiener Zeitung“ vom 27.01.2022 

Der Lockdown und die Impfpflicht

   Das Alles-oder-nichts ist etwas für Hasardeure, aber nicht für Regierungen.

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   Es ist beeindruckend, wie wenig differenziert unsere Regierungen (vom Bund abwärts über Länder und Kammern bis zu Gemeinden) nach so langer Zeit agieren. Wider besseres Wissen setzen sie weiter auf kurzsichtige und populistische Maßnahmen und überlassen das Lernen anderen,

   Wie war das etwa, als die Ampel-Karten eigeführt wurden – dezentral sollten Gemeinden und Bezirke Maßnahmen setzen und voneinander lernen. Geblieben ist davon nichts. Nicht einmal Bundesländer lernen voneinander, wenn man das Burgenland und Oberösterreich anschaut. Klar, lernen könnte man ja nur aus Fehlern, die will aber niemand gemacht haben.

   Und jetzt ein Lockdown für alle und überall, weil Österreich „zu klein“ sei und kein „Fleckerlteppich“ werden solle. Und im Frühjahr kommt die allgemeine Impfpflicht. Keinerlei Gedanken, was man hätte anders machen können oder vielleicht noch könnte, keine Diskussion über Zielgruppen und Anreizmodelle, nein: „Die intensive Aufklärung hat nicht gereicht, jetzt kommt die Pflicht für alle“ – hau drauf, und Schluss!

   Unsere Regierungen haben es nicht geschafft, wenigstens ein paar Gruppen zu differenzieren und zielgruppengerecht zu agieren. In Österreich – und das ist nicht neu, wenn wir an die Masern-Impfdiskussion vor zwei Jahren denken – haben wir relativ wenige Befürworter. Die aktiven, also die, die nicht nur dafür sind, sondern auch aktiv impfen gehen, stellen etwa 60 Prozent. Dafür haben wir viele Gegner, die – dank der absurden eminenzbasierten Medizin, die ohne große Probleme jeden esoterischen Schmarren mit dem Qualitätssiegel „Arztvorbehalt“ heiligt – in ihrer Evidenzleugnung gehätschelt werden. Doch auch wenn wir doppelt so viele wie üblich haben, stellen sie nur 5 bis 6 Prozent.

   Und dann ist da die große Gruppe dazwischen. Diese reicht von „Ich bin eh dafür, hab aber noch keine Zeit gehabt“ über „Mich freut es nicht, mich damit zu beschäftigen, und wenn die anderen gehen, auf mich kommt es nicht an“ bis hin zu „Ich trau dem Ganzen nicht, weil ich dem System misstraue“.

   Diese inhomogene Gruppe erreicht man durch differenzierte und konsequente Aufklärung und Motivation. Aufklären heißt nicht, einfach immer wieder zu sagen: „Impfen ist sicher.“ Wer dem Sager nicht traut, traut auch nicht dem Gesagten! Das verfängt nur bei denen, die eigentlich nur motiviert werden müssen. Aber auch das ist nicht simpel. So kann etwa Geldbelohnung den Zweifel erhöhen – denn wenn „die“ mir was zahlen, damit ich es nehme, dann ist es wohl nicht gut . . . Klar ist aber, dass Strafen am wenigsten bringen. Die führen sicher zum Schulterschluss mit denen, die dem System nicht trauen – und gemeinsam werden sie die Gegner stärken.    Aber so differenziert zu denken und zu handeln, liegt unseren Regierungen nicht. Lockdown und Impfpflicht für alle, weil die Ungeimpften unbelehrbar sind – das reicht. Wie gut das funktioniert, dazu eine kleine Anekdote: In meinem Bekanntenkreis gibt es eine dreiköpfige Familie, die Eltern akademisch gebildet, alle sind gegen alles geimpft – außer gegen Covid. Da sind sie echte Gegner geworden. Eine grandiose Leistung, aus Impfbefürwortern Impfgegner zu machen.

„Wiener Zeitung“ vom 25.11.2021

Assistierter Suizid

   In der wesentlichen gesundheitspolitischen Frage – Lebensqualität – wird prokrastiniert.

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   Das Erkenntnis, dass das Verbot der „Hilfeleistung zum Suizid“ verfassungswidrig war, ist der vorläufige Höhepunkt einer Diskussion, die unsere Politiker seit Jahrzehnten meiden. Zu wenig kann man damit gewinnen, zu viel verlieren.

Die Basis der Vermeidungsstrategie ist die Gretchenfrage, ob Lebensqualität Teil unseres Denkens und Handelns im Gesundheitswesen (das ist mehr als nur das Gesundheitssystem!) sein darf. Bis dato wurde die Frage durch Politiker eindeutig mit „Nein“ beantwortet. Da ein Leben unendlich viel wert ist, ist der einzig gültige Grundsatz die Lebensverlängerung, und die im Grunde um jeden Preis. Nun, im täglichen Leben war und ist das anders.

   Die Vermeidung jeglicher Diskussion über Lebensqualität führte und führt zu gewaltigen Problemen, denn die Lebensqualität eines Menschen kann derart absinken, dass das Leben zur Qual wird. Je früher und wirksamer man Lebensqualität adressiert, desto länger könnte diese Qual hinausgezögert oder sogar vermieden werden. Doch dazu muss man Lebensqualität als Parameter erlauben. Dessen Messung – ja, das ist möglich – stellt stark auf Selbstbestimmung ab. Und weil der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Suizid“ gegen das Recht auf Selbstbestimmung verstößt, kommt Lebensqualität plötzlich als wesentlicher Parameter ins Spiel – das irritiert alle.

   Neu ist das alles nicht – neu ist nur, dass die Zahl derer, die (in Friedenszeiten und in Freiheit) jene Phase des Lebens erreichen, in der Lebenslänge gegen Lebensqualität abgewogen wird, seit den 1970ern steigt. International haben Gesundheitswesen darauf mit dem Konzept der Palliativversorgung reagiert. Um die Jahrtausendwende – also rund 20 Jahre, nachdem das Konzept international bereits anerkannt war – stand fest: Wir werden um das Thema nicht herumkommen.

   Nach jahrelangen Streitereien ohne Lösung (wir wissen noch nicht einmal, ob Palliativversorgung zum Gesundheits-, oder zum Sozialsystem gehört – eine wesentliche Verfassungsfrage!) hat man sich 2005 auf ein Konzept geeinigt, aber dieses eben nicht umgesetzt. 2015 wurde, um die Untätigkeit zu kaschieren, die parlamentarische Enquete „Würde am Ende des Lebens“ abgehalten, um am Ende doch wieder nur Lippenbekenntnisse abzugeben. Eine endlose Geschichte, wie das Beispiel eines Hospizes in Salzburg, das 2012 nach zehn Jahren Betrieb wieder geschlossen wurde, zeigt.

   Jetzt hat eben der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass das alles so nicht geht – wenn wir als Gesellschaft Menschen im Sterben alleine lassen, dann dürfen wir ihnen nicht verbieten, zu sterben. Aber weil man dabei als Politiker noch immer nichts gewinnen kann, wird einfach mehr Geld für die Palliativversorgung versprochen – denn „mehr“ löst bekanntlich alle Probleme. Wir kleben also wieder einen Flicken auf den alten Schlauch, um das Loch zu stopfen, und erkennen weiterhin nicht, dass es der Druck im Schlauch ist, der das Loch gerissen hat.

   Die eigentliche Frage – Lebensqualität versus Lebenslänge – wird nicht gelöst. Und damit wird unser Gesundheitswesen weiterhin auf Lebensverlängerung um jeden Preis ausgerichtet bleiben – koste es, was es wolle

„Wiener Zeitung“ vom 04.11.2021 

Viel zu viele Patienten

   Ein System, das strukturorientiert, aber patientenfern ist, führt unweigerlich zu hoher Belastung und niedrigen Gehältern bei mäßigem Erfolg – aber zu glücklichen Politikern.

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   Im Sommer stand an dieser Stelle, dass es zahlenmäßig keinen Ärzte- und Pflegekräftemangel gibt – aber auch, dass das die Politik wenig interessiert. Mehr zu fordern, ist einfach sehr beliebt. Doch was sind die Konsequenzen?

Seit langem wird moniert, dass die Versorgung viel zu spitalslastig ist. Zwar haben uns die Deutschen 2020 überholt, aber der Drittplatzierte in der EU behandelt 30 Prozent weniger Patienten im Spital, gegenüber dem EU-Schnitt sind es 60 Prozent. Umgerechnet in Patienten wären das etwa 750.000 vermeidbare Aufnahmen.

   Wenn wir Patienten im Spital behandeln, benutzen wir – gemessen an den Betriebs- ohne Personalkosten – die teuerste Infrastruktur. Wir geben schon ziemlich viel Geld dafür aus, aber verglichen mit anderen Ländern und in Relation zum Patientenaufkommen auch wieder nicht. Und um das zu erreichen, müssen bei uns die Personalkosten niedrig und die Belastung hoch sein.

Im Kassenbereich ist es das gleiche Spiel: extrem hohe Inanspruchnahme bei relativ geringen Ausgaben – viele, zu viele Patienten pro Arzt. Nur so als Beispiel: Ein Hausarzt in Österreich dürfte – die Datenlage hierzu ist schlecht – im Schnitt und in Relation zum Durchschnittseinkommen der Bevölkerung, im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht verdienen. Aber er sieht viermal so viele Patienten pro Tag wie seine internationalen Kollegen. Massenbetrieb eben, wie die Krankenkassen das vorsehen.

   Über die Wahlärzte wissen wir praktisch gar nichts – die Ausgaben dort werden nicht richtig erfasst, weil so getan wird, als würden diese großteils nur unwichtige Medizin betreiben. Da Ärzte umsatzsteuerbefreit sind und nur die bei den Kassen eingereichten Honorare erfasst werden, würde die Statistik nahelegen, dass die Wahlärzte alle am Hungertuch nagen– warum deren Zahl steigt, ist daher ungewiss.

   Und im Pflegebereich? Wir haben es geschafft, derart stark auf informelle Pflege zu setzen, dass Patienten zuerst ins Bett und dann ins Heim gepflegt werden. Auch hier haben wir viel zu viel stationäre Versorgung und damit wiederum die teuerste Infrastruktur und müssen bei den Personalkosten sparen.

Dazu kommt, dass der durchschnittliche Pflegefall, der professionell versorgt wird, bereits ein schwerer Pflegefall ist. All die modernen Pflegeansätze, die präventiv wirken, kommen zu spät. Und aus der Sicht der einzelnen Pflegekraft ist es psychisch daher unglaublich anstrengend, so viele „hoffnungslose“ Fälle zu sehen. Es ist kein Wunder, dass 85 Prozent der mobilen, und 40 Prozent der stationären Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten.

   Am Ende verzeichnen wir, weil die Politiker aller Ebenen es nicht schaffen, eine patienten- statt (pfründe-?)strukturorientierte Reform umzusetzen, eine extrem hohe Inanspruchnahme aller Gesundheitsleistungen, ohne hohe Gesundheit und niedrige Pflegebedürftigkeit zu erreichen – und weil wir dann in teuren Strukturen viele Gesundheitsprofessionisten mit möglichst niedrigen Kosten brauchen, spürt jeder einen Mangel und jammert übers Geld – das Prinzip „Mehr in der öffentlichen Versorgung“ führt so zu belastenden Arbeitsbedingung bei relativ niedrigen Gehältern und zu einer Flucht in die Teilzeit oder in den Wahlarztbereich

„Wiener Zeitung“ vom 01.10.2021

Menschen- und Weltbilder im Krankenkassensystem

  Worum geht es beim Streit um die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung?

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   Die telefonische Krankschreibung war eine jener Prozessinnovationen, die durch die Pandemie umgesetzt werden konnten.

   In vielen Länder ruft man als Arbeitnehmer den Arbeitgeber an und sagt, man sei krank – Punkt. Sollte ein Arbeitgeber meinen, dass jemand ungebührlich „krankfeiert“, kann er einen Arzt vorbeischicken oder den Mitarbeiter rauswerfen – warum also einen Arztbesuch vorschreiben?

   Unsere Form des Krankschreibens (mit persönlichem Ordinationsbesuch) ist international kein sehr weit verbreitetes Modell. Es verbraucht viele Ressourcen, angefangen von den Wegzeiten der Patienten über die Organisation in den Ordinationen bis hin zum ganzen Administrationsaufwand – teuer und nutzlos.

   Da kommt das wohlklingende Argument, wer sich krank fühle, sollte schon einen Arzt sehen. Ernsthaft? Wenn ich ein bisschen Fieber habe, soll ich zum Arzt? Übelkeit – Arzt? Grippaler Infekt – Arzt? Und das sofort? Wir haben ja keine Daten, aber können aus anderen Ländern, wo kein Arztbesuch nötig ist, Analogieschlüsse ziehen – und da zeigt sich halt, dass dort die Menschen nicht kränker sind oder kürzer leben und auch nicht länger im Krankenstand sind. Die meisten Krankschreibungen sind eben durch selbstlimitierende Krankheiten bedingt, die mit ein bisschen Schonung auch ganz ohne Arzt heilen. Die Krankschreibung ohne persönlichen Ordinationsbesuch auf Basis einer telemedizinischen Begutachtung wäre also etwas gewesen, um unsere überlasteten Hausarztordinationen zu entlasten – ganz ohne schädliche Nebenwirkung.

   Allerdings, und da liegt der Haken, wurde sie nicht eingeführt, weil es sinnvoll wäre, sondern um Ansteckungen in Wartezimmern (warum müssen die eigentlich so voll sein?) zu vermeiden – und folgerichtig abgeschafft, sobald die Ansteckungsgefahr gering wurde. Warum? Es sind die Menschenbilder der Entscheidungsträger in den dominierenden Institutionen, die allesamt Monopol-Vertretungsansprüche haben, die im Wesentlichen aus der Zwischenkriegszeit stammen und sich bis heute halten.

   Da geht es um tendenziell „faule Arbeiter“, denen man genau vorschreiben muss, was sie zu tun haben, und noch genauer kontrollieren, ob sie das eh machen (Taylorismus); und um tendenziell „ausbeuterischen Arbeitgeber“, denen man möglichst wenige Freiheiten geben darf, weil sie nichts anderes im Kopf haben, als ihre Arbeitnehmer auszubluten, um das eigene Kapital anzuhäufen (Marxismus); und natürlich um Ärzte, die geldgierig allesamt das „System“ nur ausnutzen wollen, um die eigenen Taschen zu füllen, und dabei den Hals nicht vollkriegen – und das als gerechten Lohn verkaufen (Universalismus).   

Diese Weltbilder schwingen bei jeder Entscheidung im Kassensystem mit. Deshalb sitzen alle einander misstrauisch gegenüber und verhandeln, aufbauend auf den Traditionen, niemals um Prozessinnovationen. So haben sie es geschafft, dass wir in Europa so ziemlich die meisten Arztkontakte, Spitalsaufenthalte und – als Folge der Unvernunft – Pflegefälle haben. Lieber alles so lassen, wie es ist, als dass der andere einen Vorteil hat.

„Wiener Zeitung“ vom 26.08.2021