Reformen: Der Patient wird oft vergessen

    Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des Einzelnen zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!

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   Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur in darin, wie auch der Patient.

   Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!

   Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.

   In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Millionen Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Millionen davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patient, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Millionen sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben.

   Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Millionen Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Millionen Patienten behandelt, die etwa 15 Millionen Mal dort erscheinen. 1,5 Millionen Patienten werden 2,5 Millionen Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Millionen Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.

   Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!

   Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80 Prozent aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 118 vom 17.06.2008

Der Fehler im Gesundheitssystem

Wenn Sie rund um Horn leben, können Sie etwas österreichweit Einzigartiges erleben – eine abgestufte medizinische Akutversorgung. Wie lange noch?

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   Die Waldviertler sind in Fragen der Gesundheitsreform reformfreudiger als andere. Als nach Jahren der Diskussion zwei Spitäler aus der Akut-Versorgung genommen wurden, entstand im Krankenhaus Horn die Frage, ob man nicht Betten aufbauen sollte. Immerhin wurden 70 Betten abgebaut und keiner wusste, ob es zu einer Unterversorgung kommen würde.

   Doch anders als üblich zeigten die Ärzte und regionalen Gesundheitsmanager Courage und ließen sich auf ein Experiment ein. Und so wurden nicht Betten aufgestellt, sondern in Abstimmung mit den niedergelassenen Ärzten ein abgestuftes Versorgungsmodell errichtet. Im Grunde ist die Idee simpel. Quasi zwischen den niedergelassenen Ärzten und dem Krankenhaus wurde eine rund um die Uhr offene ambulante Versorgungseinrichtung aufgebaut. Jeder, der ins Krankenhaus kommt, muss durch diese Einrichtung. Dort sitzen fertig ausgebildete Allgemeinmediziner und versuchen, die Patienten ambulant zu behandeln.

   Etwa 12.000 werden dort pro Jahr versorgt, die Hälfte davon kann ohne stationäre Aufnahme nach Haus gehen. Und siehe da, im Einzugsgebiet des Krankenhauses werden die Menschen jetzt um fast zehn Prozent seltener stationär aufgenommen als vorher, und das bei wenigstens gleicher Versorgungsqualität, hoher Zufriedenheit aller und deutlich geringeren Kosten pro Patient. Eigentlich sollten auch die Finanziers zufrieden sein. Da wird zu günstigeren Preisen jeder zufrieden gestellt.

   Allein: So funktioniert das österreichische System nicht. Denn was passiert da? Dadurch, dass Patienten nicht mehr stationär behandelt werden, fehlen diese im Krankenhaus. Die Finanzierung ist jedoch darauf ausgerichtet, nur für stationäre Patienten zu bezahlen. Ambulante Behandlung wird nur sehr schlecht finanziert. Also fehlen Einnahmen. Das macht den Krankenhausfinanzier unglücklich. Noch unglücklicher wird er, weil er, solange für dieses neue und innovative Versorgungsmodell keine reguläre Finanzierung existiert, dieses aus dem Krankenhausbudget bezahlen muss.

   Auch die Krankenkassen sind unglücklich. Genau genommen ist es ja ihre Aufgabe, die Bevölkerung mit ambulanter ärztlicher Leistung zu versorgen. Auch wenn man bei der fachärztlichen Versorgung seit Jahren streitet, allgemeinmedizinische Versorgung war noch nie Aufgabe der Krankenhäuser. Und das, was da in Horn vorgelebt wird, könnte darauf hindeuten, dass die Versorgung in irgendeiner Form reformbedürftig wäre. Das kann gar nicht sein! Also ist es besser, man tut so, als ob das, was da passiert, nur eine „krankenhausinterne“ Prozessoptimierung ist. Und die Patienten, die dort behandelt werden, wären vorher gar nicht da gewesen, sondern erst durch das Angebot entstanden. Als ob man nur krank wird, wenn ein Arzt in der Nähe ist. Und weil sich also die Mächtigen streiten, droht dieses Modell wieder zu verschwinden. Alles soll beim Alten bleiben, auch wenn es viel teurer ist.

   Bestraft werden in diesem System zwei Gruppen – da wären einmal alle, die Innovative Lösungen umsetzen wollen. Innovation wird nicht gefragt. Und dann sind da natürlich noch die Beitrags- und Steuerzahler, die ja für alles geradestehen „dürfen“. Solange eine Reform solche Probleme nicht löst, solange ist sie nicht als Reform zu bezeichnen. Ob die jetzigen Zentralisierungstendenzen die Sache nicht verschlimmern werden, wird sich erst in Zukunft zeigen. Es ist aber zu erwarten.

„Wiener Zeitung“ Nr. 113 vom 10.06.2008  

Von den Reförmchen zur Reform

Eine Gesundheitsreform steht schon lange an, das merken die Wähler. Da Regieren hierzulande von Reagieren kommt, muss es überhaps gehen!

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   Auch diesmal droht, dass Geschwindigkeit mehr zählt als Vernunft. Will man aber ein solidarisches Gesundheitssystem erhalten, dann wird man sich Zeit nehmen müssen. In einem transparenten Meinungsbildungsprozess muss eine für alle Österreicher – für die, die bezahlen, genauso wie für die, die profitieren – tragfähige Zieldefinition entstehen. Erst wenn man weiß, was man vom Gesundheitssystem erwartet, kann man Umsetzungspläne schmieden. Realistisch wird man für die Zieldefinition fünf Jahre und für die Konkretisierung noch einmal fünf weitere brauchen. Darunter ist an eine substantielle Reform gar nicht zu denken. Konsequenterweise bedeutet das aber auch, dass bis dahin das alte System ausfinanziert wird – koste es, was es wolle!

   Weil die Politik dazu neigt, populistische Reförmchen anzugehen, ist es nötig eine „Kontroll-Instanz“ einzusetzen. Man sollte einen unabhängigen Weisenrat installieren, dessen einzige Aufgabe es ist, das „vernünftige Gewissen“ der Reform zu sein. Keinesfalls dürfen diese Weisen aber aus den bestehenden Machtkomplexen, also Kammern, Gewerkschaften, Ländern etc. kommen. Der Weisenrat soll auf Basis seiner Expertise so oft wie möglich – insbesondere in den Medien – seine Meinung kundtun und freimütig den Reformprozess kommentieren. Und damit diese „Weisen“ sich das trauen, wird es nötig sein, ihnen unkündbare, gut bezahlte Verträge für wenigstens drei Legislaturperioden zu geben.

   Um den breitest möglichen demokratischen Konsens zu erzielen, ist eine Steuerungsgruppe einzurichten, in der alle Budget- und Gesundheitssprecher aller parlamentarischen Parteien von der Bundes-und Landesebene vertreten sind. Die Steuerungsgruppe soll auf folgende fünf Fragen populismusfreie Antworten geben.

   Was gehört zur Gesundheitsversorgung (Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege, Palliation; alles oder nur Teile) und was davon soll öffentlich sein?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode diese Auswahl treffen?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode feststellen, ob die Patienten auch das erhalten, was sie brauchen?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode feststellen, wie viel solidarisch aufgebrachtes Geld zur Verfügung steht?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode festlegen, wer in welcher Form welchen Anspruch hat?

   Jede dieser fünf Fragen wird eine Fülle von Detailfragen aufwerfen, die nur unter Einbindung von Sozialversicherungen, Interessens- und Standesvertretungen sowie den Patientenvertretern beantwortet werden können. Um „Geheimdiplomatie“ hintan zu halten, sollten diese in Arbeitsgruppen organisiert werden. Dort sollen dann im durch die Steuerungsgruppe festgelegten Rahmen die Details des neuen Systems maßgeblich bestimmt werden.

   Nach vielen Abstimmungen und Verhandlungen wird die Steuerungsgruppe ein Gesetzeswerk vorlegen, das auf den Antworten aufbaut und das neue System normiert. Dieses Gesetzeswerk ist letztendlich in einer All-Parteien-Einigung im Verfassungsrang zu beschließen.

   So könnte man tatsächlich eine richtige Reform angehen. Allerdings klingt dieser Weg für den gelernten Österreicher so fremd, dass er sicher keine Chance hat. In der Wirklichkeit wird es weitere nicht nachhaltige Reförmchen geben, bis das solidarische Gesundheitssystem endgültig zusammenbricht – und dann wird sich der freie Markt den Gesundheitsbereich zurückerobern

„Wiener Zeitung“ Nr. 108 vom 03.06.2008 

Sand in die Augen der Patienten

Die angedachte Gesundheitsreform wird höhere Steuern und höhere Selbstbehalte bringen. Dass also der Patient davon nichts merken wird, stimmt nicht.

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   Aufgrund der heftigen Debatte um das geplante Reförmchen, kann man davon ausgehen, dass jeder davon weiß. Was man davon halten soll, insbesondere wenn man Patient ist, das wird wohl noch im Nebel liegen.

   Vorweg: Der Versuch, die wirre Situation der Krankenkassen mit den unterschiedlichen Leistungsangeboten und Honorarkatalogen zu bereinigen, ist zu begrüßen. Immerhin ist dieser „Wildwuchs“ aus nur einem österreichweit geltenden Gesetz entstanden und sollte daher nicht zu unterschiedlichen Behandlungen führen. Umso mehr sollte das nicht passieren, als das Kassensystem ein Pflichtsystem ist und der Patient keine Wahlfreiheit hat. Zweifelsfrei ist auch der Vorschlag, mit der Reform mehr Transparenz in das System zu bringen, ein Riesenschritt in die richtige Richtung.

   Trotzdem ist Skepsis angebracht. Das beginnt schon damit, dass die Macht des Hauptverbandes ausgereicht hätte, vieles zu ändern – allein, es ist nicht geschehen! Warum die Umorganisation in eine Holding daran etwas ändern soll, ist schleierhaft. Aber was wirklich zweifeln lässt, dass es um nicht mehr als nur um Macht geht, sind die Aussagen, dass sich für Patienten und Bezahler nichts ändern wird.

   Wer die Unterlagen genau liest, wird verwundert sein, dass die Ausgabensteigerung für Kassenärzte angeblich auf 2 Prozent jährlich gedrückt werden kann. Das ist nicht einmal das, was man durch die Demographie zu erwarten hätte (2,5 Prozent mehr Patienten jährlich!), geschweige denn, den medizinischen Fortschritt abbildet. Wie soll das gehen? Oder rechnet man eine Reduktion der Kassenärzte ein?

Trotz Dementis ist das wahrscheinlich, da man ja Oberösterreich als Richtwert anlegen will. Tut man das, werden österreichweit 10 bis 20 Prozent weniger Kassenärzte zur Verfügung stehen, als heute. Wenn man aber die Zahl der Ärzte auf das oberösterreichische Maß reduziert, dann wird man das sehr wohl merken, sei es, dass die Wartezeiten länger werden oder die Patienten häufiger in Spitalsambulanzen ausweichen. Nur am Rande sei bemerkt, dass der Hauptverband seit Jahren Oberösterreich dafür kritisiert, dass es dort zu wenige Kassenärzte gibt.

   Aber vielleicht will man ja die Patienten in den Wahlarztbereich abdrängen: Es spricht viel dafür. Kommt das Gesetz wie vorgeschlagen, dann wird das ein gigantischer Impuls für Kassenärzte sein, ihre Kassenverträge zurückzulegen und eine Wahlarztordination zu eröffnen. Da gibt es keine Gängelungen, man kann sich die Patienten aussuchen und die Preise selbst festsetzen. Für die Krankenkassen kommt das zudem billiger, weil sie nur 80 Prozent des Tarifs ersetzen müssen. Der Rest muss dann halt selbst bezahlt werden. Das ist aber eine versteckte Erhöhung des Selbstbehalts!

   Apropos Erhöhung der Selbstbehalte: Bei der Aut- idem-Regelung sind diese ebenfalls versteckt. Jeder, der ein Originalmedikament haben will – weil er es nicht besser weiß oder weil er glaubt es sei das bessere -, muss aufzahlen, zusätzlich zu den ohnehin schon hohen Rezeptgebühren, die ja nach offizieller Lesart auch keine Selbstbehalte sondern eben Gebühren sind.

   Und last but not least wird es spannend, wie Wirtschaftskammer – einst Hort wirtschaftlichen Denkens -, Gewerkschaften und Politiker denkenden Menschen klar machen, dass die Milliardenspritze für die Kassen keine „neuen“ Steuern sind.    So ist die Reform vermutlich wenigstens eine Steuererhöhung, wahrscheinlich aber auch eine Selbstbehaltserhöhung und womöglich auch eine Verschlechterung der Versorgung.

„Wiener Zeitung“ Nr. 103 vom 27.05.2008   

Kühle Rechner oder machthungrige Funktionäre?

Die Sozialpartner übernehmen die Macht im Gesundheitssystem – und haben dabei nicht einmal ihr eigenes Geschäft im Griff. Wohin führt das?

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   Wer liest schon ein technokratisches Papier, das von irgendwelchen Vereinen geschrieben wird? Kaum jemand! Mit diesem Kalkül sind wohl auch die Autoren des Reformvorschlags „Zukunftssicherung für die soziale Krankenversicherung“ vorgegangen. Anders ist es nicht zu erklären, da das, was da veröffentlicht wurde, nicht gerade von hoher Kompetenz zeugt. Und trotzdem ist es die Basis einer Reform.

   Nichtsdestotrotz gibt es einige, die sich mit solchen Papieren auseinandersetzen. Dazu gehören unter anderen die Mitglieder der kleinen aber feinen Österreichischen Public Health Gesellschaft. Und es ist nicht verwunderlich, dass diese Kreise, die halt eher denken als plaudern, schon bei Bekanntwerden des oben erwähnten Papiers nur ein Kopfschütteln übrig hatten.

   Da ist einmal eine Darstellung der Finanzströme. Abgesehen davon, dass weder Quellen- oder auch nur Jahresangaben zu finden sind, sind die Zahlen alles andere als schlüssig. Das beginnt damit, dass offenbar alle irgendwie im Vorhinein Geld haben. Steuer- und Beitragszahler, die das Geld bereitstellen, kommen gar nicht vor. Ebenfalls wird nicht dargestellt, wofür das Geld ausgegeben wird, also für Krankenhäuser oder Ärzte etwa. Ausgewiesen wird nur, wie es hin und her geschoben wird. Und siehe da, die dargestellten Institutionen wie Kassen oder Länder schieben das Geld so lange hin und her – wenigstens aus Sicht der Sozialpartner – bis die Länder 4,4 Milliarden Euro Einnahmen ohne Ausgaben haben, während die „armen“ Sozialversicherungen 2,7 Milliarden mehr ausgeben als sie einnehmen.

   Noch skurriler wird es, wenn man all das Hin- und Hergeschiebe summiert, dann werden es alleine durch die Bewegung des (Monopoly)Geldes innerhalb eines Jahres 430 Millionen Euro mehr!? Eigenartige Vermehrung – wird da spekuliert oder einfach falsch gerechnet?

   Doch nicht nur die Zahlen sind unschlüssig. Im Kapitel Spitäler wird festgehalten, dass es im EU-Durchschnitt 17,14 Aufnahmen in Akutkrankenhäusern pro 100 Einwohner gab. Für Österreich lag dieser Wert bei 26,09 und damit um 52 Prozent über dem EU-Schnitt. Soweit so gut. Ein bisschen weiter unten auf derselben Seite liest man dann voll Erstaunen, dass Verlagerungen vom Spitalsbereich in den kassenfinanzierten Bereich stattfinden. Was jetzt? Rein oder raus? Oder beides? Natürlich stimmt das nicht für das Hanusch-Krankenhaus, das einzige Krankenhaus, das von einem Sozialpartner (Wiener Gebietskrankenkasse) betrieben wird. Denn wie man nachlesen kann, entlastet das besagte Krankenhaus – offenbar als einziges Österreichs – das Land Wien in seinem Versorgungsauftrag. Von diesem wird hiefür allerdings nur unzureichend Kostenersatz geleistet. Auch eine einzigartige Situation?

   Wer nun hofft, es gäbe ein ausführlicheres Papier, das dem Ganzen zugrunde liegt, der wird enttäuscht. Es gibt nichts, zumindest nichts, das man als Bürger zu sehen bekäme. Aber all diese Widersprüche sind offenbar vollkommen egal; denn „kreative Buchführung“ scheint ja in „gewerkschaftseigenen“ Einrichtungen nicht unüblich zu sein.

   Und so verwundert es nicht, dass es den ansonsten eher unpolitischen Mitgliedern der oben erwähnten Gesellschaft sogar ein mitleidiges Wort entlockt: „Mir tun der Bundeskanzler und die Frau Minister leid, mit so unklaren Phrasen werden die gefüttert und dürfen dann dafür die Verantwortung übernehmen . . .“ Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gewerkschaft und Wirtschaftskammer doch eher an der Macht als an der Sache interessiert sind.

„Wiener Zeitung“ Nr. 99 vom 20.05.2008 

Die Ohnmacht der Patienten

Eine Stärkung der Sozialpartner in der Gesundheitspolitik hätte zur Folge, dass Patienten, Steuer- und Beitragszahler immer weniger zu entscheiden haben. Kein guter Weg.

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   Wussten Sie, dass Sie ein Mitspracherecht haben, wenn es um Ihre Krankenkasse geht? Nein? Da geht es Ihnen wie den meisten. Fakt bleibt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber, auch wenn sie es nicht wissen, mit ihrer Stimme bei Arbeiter- und Wirtschaftskammerwahlen entscheiden, welche Fraktion wie viele Vertreter in die Vorstände der Sozialversicherungen entsendet. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die die Beiträge ja praktisch bezahlen müssen, verwalten also theoretisch die Kasse über ihre gewählte Vertretung selbst. Klappt die medizinische Versorgung in den Kassenordinationen nicht, wären dann die gewählten Gewerkschafts- und Wirtschaftskammerfunktionäre schuld – sehr theoretisch.

   Wenn der niedergelassene Arzt kaum mehr Hausbesuche macht, weil er gemessen am Aufwand so gut wie nichts daran verdient oder eine Gemeinde dringend einen zweiten Arzt bräuchte, aber nicht bewilligt erhält, wird wohl eher der Politiker von seinen Wählern zur Verantwortung gezogen als ferne Kassenobleute. Die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter wird kaum die nächsten AK-Wahlen verlieren, weil ihre Funktionäre die Kassen in die Pleite geführt haben oder die Zahl der Kassenärzte zu gering ist.

   Die Sozialpartner haben sich mit ihren Versicherungen eine Nische geschaffen, in der sie für die österreichischen Patienten kaum greifbar sind. Zum einen ist überhaupt nur etwas mehr als ein Drittel aller Österreicher bei den Arbeiter- und Wirtschaftskammerwahlen stimmberechtigt. Zum anderen messen die Österreicher den Sozialpartnern mit nur knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung – natürlich nur, wenn Wahlbeteiligung etwas aussagt – offenbar oder irrigerweise eine untergeordnete Bedeutung bei. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass zwar 85 Prozent der Arzt-Patienten-Kontakte Menschen über 65 Jahre, also Pensionisten, betreffen, diese aber nicht einmal wahlberechtigt sind. Die Entscheidungsträger der österreichischen Sozialpartner müssen sich also ausgerechnet jener Gruppe, die am meisten auf das Gesundheitswesen angewiesen ist, nicht einmal zur Wahl stellen.

   Geht es nach dem Willen der Sozialpartner, entscheiden sie künftig auch über die Geldmittel für die Spitalsversorgung, die bislang in die Verantwortung der Länder fiel. Das österreichische Gesundheitssystem, genauer genommen nur die Akutversorgung, ist dann endgültig in der Hand eines Monopolisten, der negative Folgen von Fehlentscheidungen nicht fürchten muss.

   Die Politik wäre schlecht beraten, wenn sie das Ruder im Gesundheitssystem zugunsten von Nischen-Monopolisten wie den Sozialversicherungen aus der Hand gibt. Wenn die Patienten unzufrieden sind, wird sich der Volkszorn über jenen entladen, die greifbarer sind als Gewerkschafts- und Wirtschaftskammerfunktionäre. Die Rechnung für schlechte Gesundheitsversorgung werden Regional-, Landes- und Bundespolitiker präsentiert bekommen. Den Sozialversicherern dann aber die Schuld für eine Wahlschlappe zu geben, wird schwer zu argumentieren sein.

   Und wenn es wirklich dazu kommen sollte, dass die Sozialpartner in der Gesundheitsversorgung weiter gestärkt werden, wird die Politik kaum noch Möglichkeiten haben, das Ruder in der Gesundheitspolitik zurückzureißen. Und da die Macht der Sozialpartner dank der Neuauflage von Rot-Schwarz nun auch in der Verfassung steht – eine für künftige Regierungen unumstößliche Tatsache – haben Bürger und Patienten wohl auch keine Chance mehr, ihre gesundheitspolitischen Interessen durchzusetzen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 94 vom 13.05.2008

Ärztekammer: Schachmatt?

Statt ihre Hausaufgaben zu erledigen, prügeln die Ärztekämmerer mit schlafwandlerischer Sicherheit auf die „falschen“ ein. Handeln im Interesse der eigenen Mitglieder ist nicht ihre Stärke.

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   Letzten Herbst hat der Oberösterreichische Ärztekammerpräsident noch vollmundig – und demokratisch vollkommen unlegitimiert – „die Regierung unter Überwachung“ gestellt, um sie von „Verstaatlichungsplänen“ abzuhalten. Mit gleichem Übermut verteilte der Österreichische Ärztekammerpräsident Dorner Ordnungsrufe für die, die den freien Arzt auch nur schief anschauen.

   Jetzt ist das anders. Jetzt, da die Kassen kein Interesse mehr an den Verträgen zu haben scheinen, hört man, dass diese doch „Kollektivverträge“ seien und ist verwundert, dass gerade die Gewerkschaft „ärztliche Kündigungsschutzregelungen“ in Frage stellt. Wo ist er geblieben, der freie, unternehmerische Arzt – mit Kollektivvertrag und Kündigungsschutz?

   Der Grund dieses Sinneswandels ist wohl darin zu suchen, dass die Ärztekammer ihre Macht nur darin vermutet, kollektive Kassenverträge zu verhandeln. Und wenn der Vertragspartner abhanden kommt, dann ist es aus mit der Macht. Anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, hat sich die Kammer darauf konzentriert, Strukturreformen mit durchsichtiger Polemik im Keim zu ersticken und auf ihre gesetzlich gesicherte Verhandlungsmacht zu setzen. Hätten die Ärztevertreter in den letzten Monaten etwas besonnener agiert, hätten die Sozialversicherer wohl weniger Chancen, die Regierung für jene Gesetzesänderungen zu gewinnen, die genau diese Verhandlungsmacht beenden.

   Da die Plakate mit Bundeskanzler Alfred Gusenbauers und Gesundheitsministerin Andrea Kdolskys Konterfei aber bereits die Wände vieler Ordinationen zieren, haben die Regierungsmitglieder nun kaum mehr einen Grund, sich vor der Reaktion der ärztlichen Standesvertreter zu fürchten.

   Zudem werden die Kämmerer gerade deswegen immer weniger ernst genommen, weil andere brisante Themen rund um den ärztlichen Beruf seit Jahren links liegen gelassen werden. Zu Problemen, wie dem Überhang arbeitsloser Medizinabsolventen bei gleichzeitig bestehendem Fachärztemangel oder der mehr als mangelhaften Ausbildungsqualität im Turnus, gab es keine adäquaten Lösungsansätze. Auch dass das Ärztearbeitszeitgesetz seit jeher von den meisten österreichischen Spitälern systematisch gebrochen wird, war bislang keine angemessene Reaktion wert. Die Messung der Ergebnisqualität wird seit Jahren erfolgreich torpediert, die Kuvertmedizin und die stark schwankende Behandlungsqualität in den Spitälern einfach unter den Tisch gekehrt, ganz abgesehen von den vielen kleineren und größeren Skandalen rund um prominente Ärzte.

   Auch als Patientenfighter ist die Ärztekammer nur wenig glaubhaft. So ist im aktuellen Rechnungshofbericht zur Wiener Gebietskrankenkasse nachzulesen, dass die Kasse den Vertrag eines wegen schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger strafrechtlich verurteilten Mediziners nicht kündigen konnte. Standesrechtliche Konsequenzen wie eine Streichung von der Ärzteliste, die eine Vertragskündigung ermöglicht hätte, hatte die Verurteilung also nicht.

   Lange hat die Ärztekammer darauf gesetzt, dass die aus dem Gesetz erwachsene Macht ewig halten wird. Sei es aus Angst vor der eigenen Qualität, sei es aus der irrigen Meinung heraus, dass Götter unantastbar sind, hat sie es in den letzten Jahren nicht geschafft, zu erkennen, was ihre eigentliche Aufgabe ist und woraus sie ihre eigentliche Macht entwickeln sollte. Ob jetzt die Zeit noch reicht, das Ruder so herumzuwerfen, um wieder ein echter Partner in der Gesundheitspolitik zu werden, das wird sich zeigen. Für das Gesundheitssystem wäre es wünschenswert.

„Wiener Zeitung“ Nr. 89 vom 06.05.2008 

Die wundersame Medikamenten-Verbilligung

Reformen tun weh! Das weiß jeder Politiker. Daher sollten sie auch bei den anderen durchgeführt werden, zum Beispiel der Pharma-Industrie; die verdient ohnehin viel zu viel.

   Wenn wir demnächst zum Arzt gehen, dann kriegen wir, so jedenfalls die Vorstellung einiger „Reformer“, keine Medikamente mehr verschrieben, sondern nur mehr Wirkstoffe. Ob die Tablette dann rosa oder blau sein wird, das entscheidet der Apotheker und nicht der Arzt. Die Grundidee ist absolut richtig, aber aus qualitativen Gründen. Eine Verbilligung der Medikamentenpreise wird so nicht eintreten. Schon eher eine „Verstaatlichung“.

   Um die Diskussion zu verstehen, muss man wissen, dass der Pharma-Markt in Österreich alles andere als frei ist. Wenn ein Unternehmen ein Medikament zulassen will, dann darf es den Preis dafür nicht selbst festlegen. Der wird durch das Ministerium in einem der intransparentesten Bürokratieakte dieser Republik festgelegt. Der Pharma-Großhandel wiederum hat eine vom Staat festgelegte Handelsspanne, also auch keinerlei Gestaltungsfreiheit. Am Ende stehen die Apotheken und Hausapotheken, die ebenfalls nur einen staatlich festgelegten Aufschlag weiterverrechnen dürfen.

   Nicht, dass man sich jetzt um die Pharmabranche sorgen müsste, aber wenn man von Medikamentenpreisen spricht, dann sind diese vom Staat festlegt – nicht von der bösen Pharma-Industrie. Im Übrigen hat Österreich die niedrigsten Industrieabgabepreise Europas. Man kann also nicht behaupten, die Pharma-Industrie sei gierig. In Wahrheit muss man froh sein, dass sie überhaupt noch nach Österreich liefert.

   Worum wird dann gestritten? Wenn man genau zuhört, dann sind es die Mengenrabatte. Bei der Preisfestlegung, die einem Kuhhandel gleichen dürfte, versucht die Pharma-Industrie Kalkulationen vorzulegen, die durch die Menge an abgegebenen Pillen bestimmt ist. Wenn mehr abgegeben wird, kann man über den Mengeneffekt die Gewinne erhöhen. Dass ein solches System die Mengenausweitung und nicht den vernünftigen Medikamenteneinsatz fördert, ist zwar dumm, aber klar.

   Die Politik hat sich jedoch darauf eingestellt, regelmäßig Mengenrabatte einzufordern. Doch ist das offenbar nicht genug. Da ein leider immer größer werdender Teil der Kalkulation statt von Forschungs- von patientenfernen Marketingausgaben geprägt wird, haben es die Reformer nun auf dieses Geld abgesehen. Die Idee ist simpel. Wenn die Pharmaindustrie bei weniger Kunden (2000 Apotheken statt 30.000 Ärzte) werben muss, dann sinken die Marketingausgaben. Und diese Reduktion soll dann an die Politik weitergegeben werden, damit diese keine Reformen im eigenen Kreis machen muss. Dass so auch der Wettbewerb sinkt, dürfte egal sein.    Fassen wir zusammen. Die Preisbildung findet nicht, wie in der westlichen Welt üblich, über Angebot und Nachfrage statt. Das Vertriebsnetz soll aus gesetzlich vor Konkurrenz geschützten Geschäften, den Apotheken, bestehen. Und obwohl die Medikamentenwerbung ohnehin schon extrem reguliert wird, sollen Marketingmaßnahmen weiter beschnitten und Werbeausgaben begrenzt werden. Man kann ja darüber denken wie man will, aber so ein Vorgehen erinnert schon frappant an planwirtschaftliche Strukturen mit staatlich festgelegten Monopolisten. Bei allem, was man so in den letzten hundert Jahren über Markt- und Planwirtschaft gelernt hat, ist es schwer vorstellbar, dass mit solchen Maßnahmen die Ausgaben für Medikamente wirklich nachhaltig sinken können, selbst wenn vielleicht in den ersten paar Jahren eine Kostendämpfung zu beobachten sein könnte

„Wiener Zeitung“ Nr. 85 vom 29.04.2008