Die ewige Spitalsambulanz-Gebühr

 Die Frage, ob Spitalsambulanzgebühren real den Zustrom von Patienten mit Lappalien einzudämmen vermögen, ist seit Jahren beantwortet: nein.

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   Dass Ambulanzen überfüllt sind und in vielen Fällen eine Überversorgung darstellen, ist unbestritten. Ein banaler Schnupfen muss nicht um 22 Uhr in einer Spitalsambulanz versorgt werden. Aber nicht nur dort findet Überversorgung statt; ein Schnupfen hat auch beim niedergelassenen Facharzt nichts verloren. Im Spital fällt es nur besonders auf und ist sicher die teuerste Überversorgung. Ambulanzgebühren sind nun der theoretische Versuch, diese Überversorgung wegzubringen. Doch ist das real?

   Nein, schlicht, weil Gebühren von sich aus ja nicht unterscheiden können, ob ein Arztbesuch, vor allem außerhalb der Öffnungszeiten der Hausärzte, not wendig ist oder nicht, diese Entscheidung muss der Patient fällen. Der Patient muss Informationen einholen, die Dringlichkeit einschätzen und dann entscheiden. Geld spielt da keine Rolle, entscheidend ist die Gesundheitskompetenz.

   Doch ist der österreichische Patient ausreichend kompetent für diese Entscheidung? Ist er nicht! Ein Akademiker in Österreich kann gesundheitsrelevante Fragen weniger gut beantworten als ein Schulabbrecher aus den Niederlanden – das will was heißen!

   Aber warum kann ein Niederländer besser zwischen Banalem und Ernstem unterscheiden? Warum versucht der dortige es zuerst mit Hausmedizin, und wenn die nicht hilft, geht er zum Hausarzt, egal zu welchem Zeitpunkt, während der hiesige sofort zum Facharzt oder in die Spitalsambulanz rennt?

   Er ist schlicht mündiger, weil dort seit Jahren das System darauf dringt, Patienten zu helfen, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Unser paternalistisches, intransparentes System will keine mündigen Patienten, also gibt es sie auch nicht.

   Mehr noch, unsere Primärversorgung, also vor allem die Hausarztversorgung, ist heillos überfordert, weil völlig unterbewertet. Aber es sind nun einmal vor allem die Hausärzte, die eine entscheidende Rolle spielen. Und wenn es sie nicht ausreichend gibt, können Ambulanzgebühren auch keine sinnvolle, steuernde Wirkung erzielen.

   Diese würden sicher die eine oder andere Überversorgung, vor allem bei jenen, die aus Bequemlichkeit in Ambulanzen gehen (aber das völlig zu Recht, denn der Hindernislauf im extramuralen Bereich von einem Arzt zum anderen, ist unattraktiver Nonsens), reduzieren, aber im Allgemeinen nur Zusatzeinnahmen und in vielen Fällen Unterversorgung generieren.

   In der ambulanten Versorgung existieren vier voneinander völlig unabhängig arbeitende Systeme: das (an sich schon inhomogene) Kassensystem, das Wahlarztsystem, die Ambulatorien und die Spitalsambulanzen. Hier kann keine vernünftige Versorgung rauskommen, sondern nur der zu beobachtende Verschiebebahnhof. Wenn es nicht gelingt, leicht verständliche und patientenorientierte Regeln der Zusammenarbeit herzustellen, aber vor allem eine funktionierende, sieben Tage pro Woche, 16 Stunden pro Tag geöffnete Primärversorgung zu etablieren, und zwar so attraktiv, dass sie vom Patienten akzeptiert wird, wird es keine Lösung für überfüllte Spitalsambulanzen geben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 231 vom 28.11.2013 

Wir wollen keine Kinder, die Rehabilitation brauchen

Es ist unappetitlich, dass Macht- und Geldstreitereien in unserem Gesundheitssystem auf dem Rücken kranker Kinder ausgetragen werden.

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   Eines meiner ersten großen Projekte war der Rehabilitationsplan 2004, der 2002 erarbeitet wurde. Schon damals wurde unwürdig über die Kinder-Reha diskutiert und die finanzielle Verantwortung zwischen Sozialversicherung und Ländern hin und her geschoben.

   Praktisch niemand dachte an die Kinder, deren Leben ohnehin schon sauer ist. Ein Kind, das eine Reha braucht, hat eine lebensverändernde, oft lebensbedrohende Krankheit hinter sich – KEINE Krankheit, die durch ungesunde Lebensweise selbst verursacht ist.

   Denken wir an die etwa 500 Klein- und Schulkinder jährlich, die davon betroffen sind. Wo erhalten die ihre Rehabilitation?

   Sie liegen in irgendwelchen Spitälern und werden meist unzureichend betreut – selten findet man Lehrer oder Kindergartenpädagogen oder ein entsprechendes Freizeit angebot. Die Kinder sind oft alleine und haben keine Gleichaltrigen, mit denen sie spielen können. Liegen sie auf Kinderabteilungen – nicht einmal das ist sicher –, wechseln dort „normal“ kranke Kinder so schnell, dass, kaum wurde eine Freundschaft geschlossen, diese auch schon wieder getrennt wird.

   Manchmal liegen Kinder in Reha-Einrichtungen – mit Schlaganfall patienten und Hüftoperierten, in der Regel alten Menschen, zusammen. Eine familienorientierte Rehabilitation für Kinder mit Krebserkrankung, also die Möglichkeit, die Familie einzubinden, ist praktisch unmöglich; lieber lässt man sie mit dem einschneidenden Erlebnis alleine. Auch für Kinder mit Lungenerkrankungen, Rheuma und Stoffwechselkrankheiten gibt es kein Angebot.

   In den Einrichtungen hängt man irgendwo einen Hampelmann auf, klebt eine Blume ans Fenster und denkt, das sei kindgerecht. Damit die Kinder alleine auf die Erwachsenen-Toiletten gehen können und das Waschbecken erreichen, stellt man ihnen kleine Treppchen hin.

   Und – so paradox es klingt – ein paar Glückliche, deren Eltern sich mehrere Wochen freinehmen können und genug Geld für einen längeren Auslandsaufenthalt haben, dürfen vielleicht auch in einer ausländischen, auf Kinder spezialisierten Reha-Einrichtung auf Kosten einer Sozialversicherung genesen – aber nur, wenn sie eine Krankheit haben, keine geburtsbedingte Behinderung. Eine geburtsbedingte Behinderung ist weder als Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne noch als Unfall zu qualifizieren und daher nicht Sache der Sozialversicherungen. Es ist Sache der Länder. Und hier liegt das Problem.

   Patienten mit angeborener Behinderung und solche mit Krankheiten im sozialversicherungsrechtlichen Sinn (was für eine bürokratisch schwachsinnige Unterscheidung) „gehören“ zwei unterschiedlichen Finanziers, die eifersüchtig darauf schauen, nur ja keine Kosten des anderen zu übernehmen. Und so bleibt eine vernünftige Versorgung unmöglich.

   Nach wenigstens 15 Jahren Diskussion hat es nach einer Einigung ausgesehen. Aber jetzt, wo es darum geht, Geld in die Hand zu nehmen, stehen sie wieder da, die Länder, und teilen wie üblich mit, dass das gefälligst der Bund zahlen soll – und wir fangen wieder bei null an.

Wiener Zeitung“ Nr. 212 vom 31.10.2013       

Gesundheitspolitische Konsequenzen der Wahlen

      1969, also vor 44 Jahren, hat die WHO kritisiert, dass unser Gesundheitssystem zu wenig „zentralistisch“ ist.

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   Die Bundesregierung (gerne als „die Wiener“ tituliert) hat keine Möglichkeit, in die Spitalslandschaft einzugreifen – mit willkürlichen und der Qualität abträglichen Folgen, meinte die WHO.

   Um die Willkür einzufangen, wurde zwischen 1996 und 2001 der ÖKAP (ein Bettenplan) verhandelt und gesetzlich eingeführt. Als 2004 dieser Plan evaluiert wurde, war der Umsetzungsgrad so niedrig, dass beschlossen wurde, niemandem davon zu erzählen – und aus dem Evaluierungsbericht wurde eine supergeheime Geheimstudie.

   Im Jahr 2006 trat mit dem ÖSG, nach vierjährigen Verhandlungen die nächste Reform in Kraft. Länder sollten nicht mehr Betten, sondern Leistungen planen. Haben sie das gemacht? Nein! Es gibt, nach wie vor reine Bettenplanung, die reiner politischer Willkür folgt.

   Die gesetzlichen Vorgaben wurden allesamt ignoriert – also gebrochen. Und das ohne Folgen, weil „die Wiener“ den Ländern nichts vorschreiben wollen.

   Die Krankenkassen, stets Teil der Reformen, sind in ihrer Gesetzestreue aber keinen Deut besser; muss ja auch nicht sein, weil im Parlament immer jemand sitzen wird, der darauf achtet, dass sie nicht zu arg zur Verantwortung gezogen werden.

   Der Grund für dieses Ignorieren der Gesetze ist schlicht die Entscheidungsunfähigkeit des Systems. Besonders „schön“ ist diese rund um das Brustkrebsvorsoge-Programm zu sehen.

   Das Programm steht seit zehn Jahren auf der politischen Agenda. Nach acht Jahren Verhandlungen wurde entschieden, es einzuführen. Und jetzt, zwei Jahre nach dem Grundsatzbeschluss, scheitert alles, weil sich in zwei Bundesländern Landesärztekammer und Landes-Gebietskrankenkasse nicht einigen können.

   Denn selbst wenn man „in Wien“ eine Entscheidung trifft, müssen danach alle 36 Kassen und alle zehn Ärztekammern einzeln zustimmen. Sollte es den Spitalsbereich berühren, dann spielen auch noch neun Landesfürsten mit. Und niemand kann Druck ausüben oder gar eine Entscheidung durchsetzen.

   Wie wird die nun anstehende Gesundheitsreform laufen?

   Sehr vereinfacht dargestellt, setzt die Reform voraus, dass sich Länder und Kassen auf gemeinsame Versorgung einigen.

   Wie das nicht funktioniert, sieht man bei den 2005 eingeführten Reformpoolprojekten, die gerade ein Prozent der Geldmittel hätten bewegen sollen. Gesetzlich festgelegt war, erfolgreiche Projekte in die Regelversorgung zu übernehmen. Aber auch wenn die meisten Projekte erfolgreich waren, also gezeigt haben, dass die Versorgung der Patienten gemeinsam besser funktioniert und dabei auch günstiger wird, Regelversorgung wurden sie nie; Länder und Kassen konnten sich nicht einigen.

   Die Realverfassung, also das üblich gewordene Brechen von Gesetzen durch jene, die real die Macht haben, ist mittlerweile unüberwindbar.

   Diese Macht zurückzustutzen setzt voraus, die Verfassung so zu ändern, dass der direkte Eingriff der Bundesregierung möglich wird. Und dann noch, dass es „einen Wiener“ gibt, der den Mut besitzt, seine verfassungsmäßigen Rechte durchzusetzen.

   Eine Stärkung der Bundesregierung wäre also ein Weg, endlich eine Gesundheitsreform durchzusetzen – aber ist das nach diesem Wahlergebnis zu erwarten?

„Wiener Zeitung“ Nr. 193 vom 03.10.2013

Massenhaft bejubelte Meilensteine

Die AUVA bejubelt die Einigung auf eine Definition von Prävention als „Meilenstein“ – tatsächlich gibt es darüber seit 1986 eine Verständigung.

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Euphorisch klingt die Presseaussendung der AUVA, in der mitgeteilt wird, dass seit 18. 8. 2013 „Österreichs politische Gesundheitslandschaft ein gemeinsames Verständnis der Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung hat“: Sozialversicherung, Bund, Länder und die Wirtschaft saßen in Alpbach zusammen und: „Wir haben uns auf dieses Begriffsverständnis gemeinsam geeinigt, es ist ein großer Erfolg für die Österreicherinnen und Österreicher.“

   Festgehalten wurde: „Prävention ist ein pathogenetische Ansatz. Was macht krank? Gesundheitsförderung bedeutet den Ansatz ‚Was erhält gesund, was stärkt die Ressourcen des Einzelnen, wie lässt sich der Zustand verbessern‘?“

   Eine meilensteinige Abgrenzung der beiden Begriffe – und so innovativ. Warum sollte auch die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, in der solche Definitionen natürlich zu finden sind und auf denen weltweit eine Fülle von Konzepten aufbauen, in der hiesigen Gesundheitspolitik heute schon angekommen sein? Dieses Dokument wurde am 21. 11. 1986 zum Abschluss der Ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Ottawa veröffentlicht und von Franz Kreuzer, Gesundheitsminister in der Regierung Vranitzky I (SPÖ-FPÖ-Koalition), mitunterschrieben.

   Es stört mich zwar, dass wir Jahrzehnte hinterherhängen, was mich aber ärgert, ist, mit welcher Selbstverständlichkeit Jubelmeldungen abgesetzt werden, für Dinge, die eigentlich peinlich sein sollten – und zwar allen, egal ob Krankenkassenfunktionär, Landeshauptmann oder Gesundheitsminister.

   Ein anderes Beispiel: 1969 hat die WHO festgehalten, dass es keine Vorkehrung für eine systematische Bewertung der Qualität der Arbeit der einzelnen Spitäler gibt. Im Jahr 2000 wurde jubelnd zwischen Bund und Ländern vereinbart: „Zur flächendeckenden Sicherung und Verbesserung der Qualität (. . .) ist die systematische Qualitätsarbeit (. . .) zu intensivieren. Dazu ist ein gesamtösterreichisches Qualitätssystem einvernehmlich zwischen den Vertragsparteien zu entwickeln, umzusetzen und regelmäßig zu evaluieren und weiterzuentwickeln.“ Mit jubelnden Worten wurde 2005 sogar ein Gesetz beschlossen, das Gesundheitsqualitätsgesetz.

   Und in der jetzigen Reform, deren erste Einigung bereits im November 2010 bejubelt wurde, danach x-fach wieder – bei der „Beschlussfassung“ von der Verhandlungsgruppe, bestehend aus zwei Länder-, zwei Bundes- und zwei Kassenvertretern, dann von der Landeshauptleutekonferenz, vom Ministerrat, im Parlament. Vor kurzem gab es noch einmal Lob, als die Trägerkonferenz im Hauptverband (wer?) unter Anwesenheit hoher und höchster Würdenträger zustimmte . Und da steht zum Thema Qualität Folgendes: „Bundeseinheitliche Mindest anforderungen an Qualitätsmanagementsysteme für alle Einrichtungen des Gesundheitswesens definieren und in der Folge schrittweise einführen und evaluieren.“

   So ganz unter uns – warum ist es Politikern nicht peinlich, so viel zu jubeln, obwohl eigentlich nichts weitergeht?

„Wiener Zeitung“ Nr. 173 vom 05.09.2013                    

Gesundheitspolitischer Zynismus

 Je genauer ich die Versorgung chronisch Kranker analysiere, desto zynischer imponiert die Reformunfähigkeit der Kassen und Bundesländer.

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   Es ist alles andere als neu, dass Patienten mit Herzschwäche, will man sie gut versorgt wissen, mehr brauchen als nur eine Diagnose und ein Rezept. Sie brauchen Betreuung.

   Seit zwei Jahrzehnten werden daher gesundheitsökonomisch sinnvolle Programme erprobt, die mehr als nur punktuelle Arzt-Patientenkontakte vorsehen – sogenannte Disease Management Programme.

   Die Wirksamkeit der Programme ist immer und immer wieder bewiesen worden. Dass sie nicht nur viel Leid und vorzeitigen Tod vom Patienten abwenden können und auch sparen helfen: Schlecht betreute Patienten erzeugen hohe Folgekosten über häufige und teure Spitalaufenthalte.

   Als vor bereits zwölf Jahren die Ergebnisse einer großen europäischen Vergleichsstudie erschienen, da war nicht nur klar, dass wir unsere Patienten schlecht betreuen, sondern auch, dass etwas getan werden muss. Und so schossen Pilotprojekte aus dem Boden und Politiker überschlugen sich in Ankündigungen.

   Das „Tiroler Modell“, das „Kremser Modell“, das „Wiener Modell“, das Flachgauer „Kardiomobil“ wurden entwickelt, erprobt und evaluiert – und alle haben gezeigt, dass auch in Österreich eine intensivere Betreuung der Herz-Patienten bei geringeren Versorgungskosten zu mehr Lebensqualität und längerem Überleben führt.

   Doch was ist aus diesen Programmen geworden, was aus den Ankündigungen, die 160.000 Herzschwäche-Patienten besser versorgen zu wollen? 2012 wurde erhoben, wie denn deren Versorgung ist – und sie ist weiterhin schlecht. Nicht einmal die Hälfte der in Behandlung stehenden Patienten erhält jene Therapie, die sie braucht. In anderen Ländern, in denen Gesundheitsökonomie wichtiger ist als kleinkarierte Machtspielchen, sind es 90 Prozent.

   Zwar haben auch die in Österreich erprobten Programme bewiesen, dass man pro Jahr mehrere 10.000 qualitativ wertvolle Lebensjahre gewinnen könnte – aber warum sollte das wichtiger sein, als wohlerworbene Pfründe? Denn was nie gelang ist, die Kompetenz- und Finanzierungsfragen dieser Programme zu klären. In den Spitälern sind die Länder, draußen die Kassen zuständig. Draußen kosten diese Programme, drinnen erspart man sich Kosten durch vermiedene Spitalaufnahmen – wie soll man da das Geld aufteilen? Wer soll diese Programme leiten?

   Sich gemeinsam um diese Patienten zu kümmern, das setzte voraus, dass man Mauern niederreißt und eine Vision entwickelt. Warum sollte man das tun? Wo doch politisch alles erreicht wurde: Man zeigte Initiative, kündigte an, ließ sich als die Retter der Patienten bejubeln. Und als das Volk das verstanden hat, warum sollte man dann noch etwas umsetzen? Bringt doch politisch nichts mehr und führt nur zu Problemen. Umsetzen ist nur etwas für Menschen mit Gestaltungswillen. Die, die mit Machtwille ausgestattet sind, brauchen das nicht.

   Und so werden österreichische Herzschwäche-Patienten weiterhin damit leben, ein bis zwei Jahre zu früh zu sterben – aber wenigstens die Sicherheit haben, dass sie das „im besten Gesundheitssystem“ der Welt tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 155 vom 09.08.2013 

Analyse – Der Bundes-Zielsteuerungsvertrag

Erstaunlich, aber die Gesundheitsreform wurde so oft verkündet, dass der eigentliche Akt der Reform, also der Beschluss des Bundes-Zielsteuererungsvertrags (B-ZV) kaum mehr diskutiert wird.

Vielleicht langweilt es die Medien, ständig das Gleiche bringen zu müssen; denn schließlich hat die Regierung diese Reform alleine 2013 bereits 5 mal unter Jubel präsentiert. Alternativ denkbar ist, dass es unendlich viele geheime Nebenabsprachen unter „Freunden“ gibt, sodass keine Diskussion nötig ist, also alle Akteure mehr oder weniger zufrieden gestellt wurden. Aber vielleicht ist der ganze B-ZV auch nur nichtssagend.

Nun, auf den ersten Blick scheint letzteres nicht der Fall zu sein. Der Vertrag zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen enthält, neben der üblichen Selbstbeweihräucherung, neue und gute Managementinstrumente – ein Verdienst der Kassen?

Wenn man die Ziel- und Maßnahmenkataloge der Kapitel 6, 7 und 8 ansieht, dann ist man ob der Klarheit richtig erstaunt. Transparent werden strategische und operative Ziele genannt, Maßnahmen, Messgrößen und Zeitachsen vorgegeben. Aber dann kommt das große ABER.

Denn realiter sind diese Kapitel nur eine Detaillierung der 15a-Vereinbarung, eine echte Konkretisierung findet man nicht. Im Gegenteil, in vielen, vor allem heiklen Themen, ist die 15a-Vereinbarung sogar konkreter und findet im B-ZV keine Entsprechung; z.B. ist die Veröffentlichungspflicht von Monitoringberichten– Abschnitt 7 d. 15a – im B-ZV nicht mehr beschrieben. Man kann also wieder einmal nur hoffen, dass die Transparenz nicht wie immer auf dem Weg zur Reform verschwindet. Und die wenigen Ansätze des B-ZV, die konkret sind, liefern alles andere als Anlass zu Hoffnung.

Ein Beispiel:

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Das Hausärztesterben, Alois Stöger und die jungärztliche Ausbildungsreform

Weil der Lohn der Turnusärzte pro geleisteter Arbeitsstunde unter der einer diplomierten Pflegekraft liegt, kommt kein Spital mehr ohne sie aus – ohne Turnusärzte müssten Spitäler geschlossen, oder aber das ohnehin teuerste Spitalswesen Europas noch teurer werden. Keine sehr attraktiven Alternativen für Landespolitiker.

Gleichzeit, und das wird gerne vergessen, sind Turnusärzte aber der Nachwuchs für Hausärzte. Sie sollten im Turnus primär ausgebildet werden und nicht arbeiten. Aber, wie alle wissen, passiert das immer weniger. Statt ausgebildet zu werden, werden sie als Systemerhalter herangezogen, weswegen immer weniger nach ihrer „Ausbildungszeit“ im Spital in eine Hausarztordination wechseln. In Vorarlberg wurde beispielsweise gerade abgefragt, wer denn nach dem Turnus Hausarzt werden will – das Ergebnis: 82% wollen NICHT.

Warum will keiner Hausarzt werden? Und: Warum machen trotzdem alle den Turnus?

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Der Bundes-Zielsteuerungsvertrag – eine Analyse

  

Erstaunlich, aber die Gesundheitsreform wurde so oft verkündet, dass der eigentliche Akt der Reform kaum mehr diskutiert wird.

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   Vielleicht langweilt es, ständig das Gleiche bringen zu müssen. Alternativ denkbar ist, dass es unendlich viele geheime Nebenabsprachen unter „Freunden“ gibt, sodass keine Diskussion nötig ist. Aber vielleicht ist der ganze Bundes-Zielsteuerungsvertrag auch nur nichtssagend.

   Auf den ersten Blick scheint er das nicht zu sein. Der Vertrag zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen enthält, neben der üblichen Selbstbeweihräucherung, neue und gute Managementinstrumente – ein Verdienst der Kassen.

   Wenn man die Ziel- und Maßnahmenkataloge ansieht, dann ist man ob der Klarheit richtig erstaunt. Transparent werden strategische und operative Ziele genannt, Maßnahmen, Messgrößen und Zeitachsen vorgegeben. Aber dann kommt das große ABER.

   Denn realiter sind diese Kapitel nur eine Detaillierung der 15a-Vereinbarung, eine echte Konkretisierung findet man nicht. Ein Beispiel: Die Zahl der Spitalsaufnahmen soll, entsprechend dem strategischen Ziel die Krankenhaushäufigkeiten zu senken, reduziert werden. Und was finden wir dort für eine Zielgröße? Eine Reduktion bis 2016 um 1,1 Prozent (jährlich?)! Das ist nichts. Wenn wir in der Geschwindigkeit vorgehen, dann werden wir 33 Jahre brauchen, bis wir den OECD-Schnitt erreicht haben, der irgendwann ja mal als Ziel angedacht war.

   Konsequenterweise sind die Ziele, den ambulanten Sektor zu stärken nicht besser: 2016 soll es ganze zwei moderne ambulante Versorgungsstrukturen (also vernünftige Gruppenpraxen) pro Bundesland geben – zwei!

   Und was die Stärkung der Hausarztversorgung betrifft, einigt man sich darauf, dass ein Prozent (!) der Bevölkerung pro Bundesland über solche Konzepte versorgt werden soll! Praktisch niemand!

   Und weil in den Kernkapiteln kaum Konkretes zu finden ist, ist es verständlich, dass im Rest auch alles vage bleibt. Kein Wort mehr von „virtuellen Budgets“, die die gemeinsame Finanzierung der Versorgung konkreter Patientengruppen (etwa Diabetikern) ermöglichen soll. Keine klaren Angaben, dass das Geld wirklich der Leistung folgen soll, also der ambulante Bereich Geld erhält, wenn er nachweislich Leistungen erbringt, die Krankenhausaufenthalte vermeiden. Ja, es finden sich nicht einmal konkrete Angaben, wie denn die Kostenberechnungen stattfinden sollen. Wo in den Vorentwürfen des Vertrags die Länder sich in die Karten hätten schauen lassen müssen, haben sie alles rausverhandelt. Übrig bleibt Nebel.

   Kaum wo findet man etwas anderes als die Absicht, bis 2014, 2015 oder 2016 Konzepte, Programme oder Rahmenbedingungen entworfen haben zu wollen. Umsetzungs- und Wirkungsorientierung, wie versprochen, ist nicht zu finden.

   Wenn man noch die zu diesem Vertrag konterkarierende Änderung der Ärzteausbildung bedenkt, die eben eine vernünftige Hausarztausbildung NICHT ermöglicht, aber für eine maximale Verfügbarkeit von billigen Turnusärzten in Spitälern sorgen soll (die neue medizinische Fakultät in Linz dient ja auch diesem Ziel), bleibt von der Reform genau nichts übrig, außer wirkungsloses, populistisches Reform-Getue.

„Wiener Zeitung“ Nr. 135 vom 12.07.2013 

Ärzteausbildung – Stögers Sündenfall

Alle wissen es: Die Ausbildung für Jungärzte – Turnus genannt – ist schlecht. Turnusärzte sind Systemerhalter, mehr nicht. Und das soll sich nicht ändern.

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   Weil der Lohn der Turnusärzte pro Arbeitsstunde unter der einer diplomierten Pflegekraft liegt, kommt kein Spital mehr ohne sie aus. Gleichzeitig sind Turnusärzte aber der Nachwuchs für Hausärzte. Und wie ebenfalls alle wissen, wollen immer weniger nach ihrer „Ausbildungszeit“ im Spital in eine Hausarztordination wechseln. Kein Wunder, ist die Welt dort doch komplett anders: andere Krankheiten, keine teuren, jederzeit bereit stehenden Diagnosegeräte, keine ärztlichen Kollegen, die man fragen kann, und das Ganze als selbständiger Unternehmer!

   Um Schwellenängste zu verringern, ist es international üblich, während des Studiums mehrwöchige Praktika in einer Hausarztordination vorzuschreiben und nach dem Studium einen Großteil seiner Ausbildung dort zu absolvieren. Aber was gelten schon internationale Erkenntnisse.

   Bei uns gilt es nicht, einem Haus ärztemangel zu begegnen, sondern Spitäler zu retten, die wegen zunehmender Emigration der Jungärzte immer schwerer Turnusärzte finden. Daher wird deren Ausbildung reformiert.

   Es beginnt mit einer gemeinsamen Ausbildung aller Jungärzte. Ein neun Monate langer „common trunk“ im Spital in den Fächern Chirurgie und Innere Medizin – also jenen Fächern, die am dringendsten billige, ärztliche Arbeitskräfte brauchen. Eine Approbation – also das Recht, sich niederzulassen und als Arzt zu arbeiten – wird es danach nicht geben. Auch das ist eine internationale Besonderheit. Aber schließlich brauchen wir die Turnusärzte in den Spitälern!

   Nach dem „common trunk“ folgen verpflichtend 33 Monate in den verschiedenen Fächern, auch hier wieder Chirurgie und Inneren Medizin. Immerhin, bis zu 6 Monate davon darf man in einer Lehrpraxis absolvieren. Darf wohlgemerkt, denn kaum ein Turnusarzt wird eine Lehrpraxis finden – diese gibt es praktisch nicht mehr, seit die Ärztekammer das Mindestgehalt der „Lehrpraktikanten“ kollektiv geregelt hat und niemand für deren Ausbildung bezahlen will.

   Fazit: Die Ausbildung dauert nun mindestens 42 statt 36 Monate, und man kann Hausarzt werden, ohne eine Hausarztordination gesehen zu haben.

   Und um ganz sicher zu gehen, dass genug Turnusärzte zur Verfügung stehen, wird man als Allgemeinmediziner auch kein Facharzt; international ebenfalls ungewöhnlich.

   Die Forderung, Facharzt werden zu können, hat weniger mit Titelgeilheit zu tun als mit der gesetzlichen Lage. Während jedes Spital so viele Allgemeinmediziner „ausbilden“ darf, wie es will/braucht, ist jede einzelne Facharztausbildungsstelle separat zu bewilligen – von der Ärztekammer; das kommt sicher nicht in Frage.

   Und so wird Minister Alois Stöger eine Reform verordnen, die, auch wenn anders verkauft, schlicht Länder befriedigt. Er wird das Hausärztesterben beschleunigen, aber die Spitäler glücklich machen. Da ist es wenig interessant, dass eine Studie errechnet, dass 4000 vorzeitige Todesfälle vermieden werden könnten, wenn die Zahl der Hausärzte um 20 Prozent höher wäre. Tote können nicht wählen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 117 vom 18.06.2013  

Faktensichere Systemkritik

Seit kurzem existiert ein Blog, der sich mit den frei zugänglichen Daten unseres Gesundheitssystems beschäftigt.

   Mit jugendlichem Elan, fast Leichtsinn, wenn man das verpolitisierte Gesundheitswesen kennt, stellt der Autor eines neuen Blogs (www.healthquanti.bplaced.net/wordpress/), Florian Habersberger, Zusammenhänge dar und konkretisiert längst bekannte Fakten in einer Klarheit, die fast weh tut.

   Dass die hohe Krankenhaushäufigkeit (KHH) weniger mit medizinischer Notwendigkeit, sondern mehr mit der Dichte an Spitalsbetten zu tun hat (doppelt so hoch wie Dänemark oder Schweden), ist ja mittlerweile Allgemeinwissen, aber wie diese Bettendichte innerhalb Österreichs dazu führt, dass in den Regionen mehr oder weniger Patienten auftreten, ist schon weniger klar.

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   Das hat der studierte Volks- und Betriebswirt eben herausgefunden. Steigt die regionale Bettendichte um ein Prozent, führt das zu einer 1,11 Prozent höheren KHH.

   Ebenfalls (qualitativ) vermutet, ist der Zusammenhang zwischen der Dichte an ambulant tätigen Ärzten (Kassenärzte und Ärzte in der Spitalsambulanz) und der stationären Aufnahmen. Bis dato unbekannt war die Quantität. Steigt die Zahl der ambulanten Ärzte in einer Region um ein Prozent, sinkt die KHH um 0,65 Prozent.

   Und da ja so gut wie alle Länder der Welt zeigen, dass man mit weniger Spitalsaufenthalten auskommen kann, müssen wir davon ausgehen, dass es nicht Patienten sind, die Spitäler brauchen, sondern Spitäler Patienten „erzeugen“ – und das, obwohl jeder Spitalsaufenthalt mit Risiken (etwa Hospitalismus, Nosokomiale Infektionen, unnötige Operationen) verbunden ist, über die auch alle Gesundheitspolitiker, Kassen- und Spitalsmanager oder Primarärzte Bescheid wissen.

   Auch für die oftmals postulierte, aber stets dementierte Verdrängung aus dem Kassenbereich in die Spitalsambulanzen konnte Habersberger Zahlen finden.

   Zwischen 2006 und 2010 ist die Versorgungswirksamkeit der Kassenärzte (entweder, weil Kassenstellen gestrichen wurden oder aber Kassenärzte weniger arbeiten, was bei dem Honorarsystem hochvernünftig ist) um acht Prozent gesunken. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der Ärzte in den Spitalsambulanzen um 26 Prozent.

   Auf Fächer aufgeteilt findet sich oft Überraschendes. Gab es 2006 noch mehr Internisten in wohnortnahen Kassen-Ordinationen (6,7 je 100.000 Einwohner) als in Spitalsambulanzen (5,6), hat sich seit 2008 das Verhältnis gedreht (Kassen 5,2, Spital 7,8). Ähnliches gilt auch bei Neurologen – zwei Fächer, die eigentlich wegen der alternden Bevölkerung vermehrt statt reduziert werden sollten (es sei denn, man will Patienten in die Spitäler verdrängen). In diesem Zusammenhang beeindruckend und klar: Steigt der Anteil der über 60-Jährigen in einer Region um ein Prozent, steigt die KHH um 2,62 Prozent.

   Das eigentlich erschütternde ist, dass diese Zahlen vor allem jenen bekannt sein müssten, die darauf aufbauend unsere Versorgung zu organisieren hätten. Da aber das, was sie sagen und das, was sich hier in Zahlen abbilden lässt, nicht zusammenpasst, ist die Frage, ob diese Zahlen denn überhaupt Bedeutung im politischen Diskurs haben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 095 vom 16.05.2013