Vollkasko oder Eigenverantwortung?

Warum die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Patienten im Österreichischen Gesundheitswesen ein politisches Ablenkungsmanöver ist – erklärt in 14 Sätzen:

1.   Hinter der Frage „Vollkasko oder Eigenverantwortung“ steckt, wenn auch nicht offensichtlich, das Problem der Informationsasymmetrie zwischen dem Patienten und „seinem“ Arzt.

1.1.        Diese Asymmetrie verhindert automatisch ein Begegnen auf Augenhöhe

1.2.        Daraus resultiert, dass der Patient sich auf den Arzt verlassen muss –

1.3.        Der Patient hat alleine KEINE Chance, selbst wenn er Mediziner ist, diese Asymmetrie zu beheben

2.   Hinter dem Arzt steht ein Versorgungssystem, und dahinter wieder das eigentliche, politisch gesteuerte, Gesundheitssystem

3.   Wird die Informationssymmetrie seitens des Gesundheitssystem akzeptiert, oder toleriert, resultiert ein paternalistisches Gesundheitswesen – ein solches denkt und handelt als „guter Vater“ für den Patienten, der selbst keine Verantwortung tragen muss.

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Die Oberösterreich-Wahl aus gesundheitspolitischer Sicht

Die Flüchtlinge in Oberösterreich können nicht der einzige Grund sein, warum SPÖ und ÖVP dermaßen verloren haben.

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   Wenn ich über das politische Erdbeben in Oberösterreich reflektiere, dann fällt mir auf, dass es gesundheitspolitische Gründe gibt, warum man den (ehemals) großen Parteien einfach nicht mehr glauben will.

   Nehmen wir deren Spitalsreform. Sie wurde ja gleich zwei Mal durchgeführt – und zwar in den Jahren 2005 und 2012.

   Die erste Reform war eigentlich gar keine. Als 2004 erkannt wurde, dass man das, was man 2001 mit dem Bund gesetzlich fixiert hatte, nicht bis 2005 umsetzen kann (euphemistisch gesprochen, denn es wurde gar nichts getan), hat man, medial groß aufgezogen, noch mal (schein)verhandelt und versprochen, alles bis 2010 umzusetzen. Die Spitalsreform I war geboren. Doch statt dann aktiv zu werden, passierte wieder nichts. Mehr noch, statt die Zahl der Spitalsaufnahmen pro Einwohner, die mittlerweile die zweithöchste in ganz Österreich war, zu senken, stieg diese ab 2005 noch stärker als in den Jahren davor.

   Aber die Bevölkerung hat natürlich geglaubt, dass reformiert wurde – schließlich sprach die Politik ja ständig davon. Dass real nichts passierte, konnten nur Kenner erkennen. Und die sahen, dass alles schlimmer wurde. 2010 lag Österreich, was die Spitalsaufnahmen betrifft, ja schon etwa doppelt so hoch wie Europa, aber Oberösterreich lag mittlerweile gleich noch mal 20 Prozent über dem Österreichschnitt und mit Abstand an der Spitze.

   Nach über zehn Jahren „Schein“-Reformen musste irgendwann tatsächlich eine Kurskorrektur her: Und die nannte man Spitalsreform II. Diese Reform war alles andere als eine echte Reform, es war nur der Versuch, den populistischen Wildwuchs, der mittlerweile wucherte, zu begrenzen.

   Ja, Wildwuchs; nehmen wir Ried als Beispiel, in dessen Spital ohne Genehmigung ein Herzkatheter errichtet wurde – wie üblich. Man macht, und Politiker schauten darauf, dass entsprechende Genehmigungen nachgeholt werden, auch wenn man dazu nicht selten den Bund erpressen musste.

   Als nun dieser Herzkatheter im Nachhinein nicht genehmigt, sondern im Rahmen der Spitalsreform II verboten wurde, da waren die Granden vor Ort sauer – und wie man merkte, bis heute.

   Denn als 2012 die Reform von SPÖ und ÖVP beschlossen wurde, kam es nicht zu dem nötigen Schulterschluss zwischen den Parteien. Im Wahlkampf 2015 wurde vor allem durch SPÖ-Funktionäre ständig auf die durch die Reform angeblich auftretenden Probleme hingewiesen. Mit völlig unfundierten Zahlen wurde behauptet, Patienten fänden keine Versorgung, und sie müssen sogar sterben – besonders, weil der Rieder Herzkatheter nicht bewilligt wurde. Mit einer ganz klaren Folge: der Verwirrung der Bevölkerung.

   Wäre ich Oberösterreicher, ich wüsste nach mittlerweile 15 Jahren Reform nicht, was wichtig ist, weil die, die entscheiden, praktisch dauernd was anderes sagen und sich noch darüber streiten. So etwas würde mich verängstigen, ich würde denken, da geht es um etwas anderes, was ich nicht verstehe, und es scheint denen da oben auch egal zu sein, was mit mir wird. Und wenn dem so ist, dann gibt es wohl kaum einen Grund, diese Parteien zu wählen – und genau das haben die Oberösterreicher getan.

„Wiener Zeitung“ Nr. 190 vom 01.10.2015     

Die Angst der Ärztekammer vor der Primärversorgung

Primärversorgung ist international erfolgreich und erprobt und will möglichst alle gesundheitlichen Probleme möglichst wohnortnah adressieren.

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   Primärversorgung agiert nach dem Bio-Psycho-Sozialen Krankheitsmodell, das eben nicht nur eine biologisch nachweisbare Krankheit behandelt, sondern auch seine Auswirkungen: ein einsamer Mensch empfindet Kopfschmerzen anders als ein sozial eingebundener Mensch – der eine braucht Zuspruch, der andere nimmt selbst eine Tablette.

   Die Einrichtungen, in denen Primärversorgung stattfinden soll, werden Primary Health Care Center, kurz PHC, genannt, müssen von der Prävention über Kuration, Rehabilitation bis zur Pflege alles anbieten können. Damit sind nicht nur Kassen, sondern auch Pensionsversicherung und Länder zuständig.

   Der Gesamtvertrag, um den es aktuell geht, wird NUR zwischen Krankenkassen und Ärztekammern abgeschlossen und kann nur abdecken, für das Krankenkassen zuständig sind, praktisch nur den kurativen Bereich. Das ist zu wenig.

   Und weil jede Region etwas anderes braucht (Waidhofen ist nicht St. Pölten), ist die Flexibilität über bestehende Gesamtvertragsregelung, die Patienten nicht nach ihren Lebensumständen, sondern nur nach ihrer Versicherung klassifiziert, nicht gegeben. Daher braucht es, wie bei Ambulatorien heute schon, Einzelverträge, um nach regionalem Bedarf zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln – es sei denn, wir wollen diese Aufgabe dem Markt überlassen.

   Der Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart greift die Idee dieser Einzelverträge heftig an. Er erklärt, dass „große internationale Konzerne die Chance nützen, die PHC-Zentren zu übernehmen und PHC-Ketten nach ausschließlich betriebswirtschaftlichen Überlegungen zu führen. Das wäre ein Groß angriff auf die soziale Medizin, weil damit die soziale Versorgung nicht mehr vom ärztlichen Ethos gesteuert wird, sondern von ausschließlich kapitalistischem Ethos, und die Gesundheitsversorgung gleichsam ins Ausland ,verkauft‘ wird“.

   Wenn das nicht passiert, dann wird aber eine staatliche Zentralmacht kommen, die „bis ins Detail den Ton angeben könnte“ und damit die „PHC am Gängelband der Obrigkeit“ hängen.

   Am Ende ist klar, überall sind Feinde, die „die bestehenden Versorgungsstrukturen zerstören“. Der einzige Retter des „seit mehr als 100 Jahren funktionierenden Modells“ ist die Ärztekammer.

   Eigentlich geht es nur um den Gesamtvertrag und das Monopolrecht der Ärztekammer, diesen zu verhandeln. Das ist das einzige echte Machtinstrument der Ärztekammer. Es zu verlieren, heißt Macht verlieren. Eine Macht, die ohnehin nur um der Macht willen existiert.

   Denn in Ländern, in denen eine funktionierende Primärversorgung besteht, geht es den Hausärzten deutlich besser. Und bedenkt man, dass auch Spitalsärzte (Stichwort EU-Arbeitszeit) nicht gut und Wahlärzte noch nie wirklich vertreten waren, dann bleiben etwa 4000 Kassenfachärzte übrig, um die es nun geht: 4000 von 42.000!    Und um auch die anderen 38.000 Ärzte zu mobilisieren, muss man mit allen Ängsten und Ressentiments spielen (ausländisches Großkapital und zentralstaatlicher Machtapparat), egal wie widersprüchlich (Verstaatlichung oder Privatisierung – was ist es eigentlich jetzt?) es auch sein mag

„Wiener Zeitung“ Nr. 175 vom 10.09.2015  

Steuersubventionierte Wahlarzt-Ordinationen

Marktmechanismen übernehmen zusehends die Steuerung im Gesundheitssystem – aber ganz anders, als so mancher jetzt zu verstehen meint.

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   Die ganze Welt, nun, eigentlich nur dort, wo es ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen gibt, entscheidet sich, dieses entweder über Sozialversicherungen (beitragsfinanziertes Bismarck-Modell) oder über öffentliche Behörden (steuerfinanziertes Beveridge-Modell) zu organisieren.

   Eine Aufteilung in einen Bismarck- und einen Beveridge-Teil macht niemand; niemand außer – genau – Österreich. Naja, das stimmt nicht ganz, auch Griechenland meint so einen Sonderweg gehen zu müssen.

   Warum man sich überall, wie von der WHO dringendst empfohlen, entweder für das eine oder das andere entscheidet, hängt damit zusammen, dass so das Gesundheitssystem aus einer Hand finanziert wird. Die „Finanzierung aus einer Hand“ verhindert, dass zwei Akteure widersprüchliche Strategien verfolgen, sich Kosten zuschieben und blockieren können. Ein Spiel, das uns nur allzu bekannt ist.

   Bis dato hat dieses Spiel zwischen den – für Kassenärzte zuständigen – Kassen und den – für Spitäler zuständigen – Ländern zum zerfranstesten ambulanten Versorgungssystem der Welt geführt. Von Spitalsambulanzen und Erstversorgungsstationen, Ambulatorien, Wahlärzten, Kassenärzten und neuerdings auch PHCs (Primary-Health-Care-Einrichtungen) machen im Grund alle, was sie wollen. Die einen nach den Ideen der 36 Krankenkassen, die anderen nach den der neun Länder, die dritten überhaupt nur nach völlig eigenen Vorstellungen (etwa die Wahlärzte). In diesem Chaos werden Versorgungslücken größer und Kosten höher.

   Doch statt diesen Wahnsinn zu reformieren, werden immer mehr Flicken aufgesetzt. Dass in vielen Gemeinden bereits Steuergeld in die Hand genommen wird, um Kassenärzten bei der Finanzierung der Ordinationen zu helfen, die eigentlich über die Kassenhonorare abgedeckt sein sollten, war da nur der Anfang. Der Dammbruch wird jetzt aus Tirol vermeldet.

   In Wildschönau, einem Bezirk mit 4211 Einwohnern, in dem es der Krankenkasse nicht gelingt, die zwei verwaisten Kassenhausarztstellen neu zu besetzen, werden jetzt durch den Bürgermeister zwei Wahlärzte angesiedelt. Wird ein Wildschönauer dort behandelt, muss er, wie üblich, das Honorar des Wahlarztes zuerst vorstrecken. Ebenfalls wie üblich erhält er einen Teil (im Schnitt etwa 60 Prozent) von der Kasse zurück. Absolut neu ist, dass die verbleibende Differenz (etwa 40 Prozent) nun von der Gemeinde übernommen werden – mit Steuergeld.

   Ein Mix aus Beveridge und Bismarck in einer Ordination, die nach Marktgesetzen funktioniert.    Das mag auf den ersten Blick irgendwie nicht so blöd oder sogar lösungsorientiert klingen – aber ist das so? Nein! Denn jetzt haben wir ein Beveridge-Modell, das in sich in Bund, Länder und Gemeinden fragmentiert ist, und ein Bismarck-Modell, das in 36 Kassen und neun Ärztekammern zerfällt. Zusammengehalten wird das durch marktkonform agierende Wahlärzte. So ein Modell hat keine Möglichkeit, Anreize willentlich so zu setzen, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit beim richtigen Arzt ankommt. Aber genau das sollte ein öffentliches, solidarisches System anstreben. Ohne dieses Ziel ist ein solidarisches System nicht besser als der reine Markt, nur teurer

„Wiener Zeitung“ Nr. 151 vom 06.08.2015   

Kärnten weist die Zukunft der Spitalspolitik

Viele hoffen, dass es dann zu einer echten Spitalsreform kommt, wenn das Geld weg ist. Kärnten zeigt, dass es diesen Zustand nie geben wird.

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   In Kärnten wurden die Spitalspläne für 2020 vorgelegt. Und weil Kärnten so richtig pleite ist, müsste es eigentlich zu einer vernünftigen Reform kommen. Alleine, es stimmt nicht.

   Der Spitalsplan 2020 erklärt ausführlich, welche Planungsgrundsätze angeblich angewandt wurden. Da ist viel von Sicherstellung einer bestmöglich erreichbaren, bedarfsgerechten, qualitativ sinnvollen und hochwertigen, effizienten und effektiven sowie regional gleichwertigen Versorgung die Rede.

   Und wer sich nicht auskennt, ist geblendet von der ausgestrahlten Kompetenz dieses Plans, gestützt durch weise klingendes Fachchinesisch und einer breiten Datenbasis – die allerdings nur textlich angedeutet, nicht aber veröffentlicht wird (soll ja niemand nachrechnen können).

   Niemand würde auf die Idee kommen, dass die Planungsaussagen, sachlich in Tabellen ausgearbeitet, nicht logischen Argumenten folgen. Niemand, der denken würde, die Zahl der Betten und die Verteilung der Abteilungen auf Spitäler wäre politisch ausgemauschelt – und doch ist es so.

   Denn, zwischen den Methodenbeschreibungen und den Ergebnis tabellen klafft eine riesige Logik-Lücke, die nur durch politische Willkür entstanden sein kann.

   Nehmen wir die beiden Spitäler Spittal/Drau und Wolfsberg, das eine privat geführt, dass andere gehört dem Land.

   Wolfsberg hat ein Einzugsgebiet von 70.000 Einwohnern, und versorgt damit 15.000 bis 20.000 Einwohnern weniger als das Spital in Spittal. Spittal liegt im zerfurchten und schwer erreichbaren Oberkärnten, Wolfsberg im flacheren Unterkärnten, zwischen Graz und Klagenfurt an einer Autobahn.

   Ginge es tatsächlich um bestmöglich erreichbare, bedarfsgerechte, sowie regional gleichwertige Versorgung, müsste Wolfsberg längst kleiner sein als Spittal, war es aber nicht; jetzt jedoch könnte man beide Häuser „bedarfsgerecht“ dimensionieren.

   Aber weil es offenbar nicht darum geht, wird es 2020 etwa gleich viele chirurgische Betten in Wolfsberg, wie die in Spittal geben. Und die konservativen Fächer werden in Wolfsberg sogar um ein Drittel größer ausfallen. Legte man ehrliche Planungsmethoden an, dann werden die Betten für konservative Patienten in Spital kaum reichen (Unterversorgung?!), während in Wolfsberg, planerisch, ein Drittel der Betten leer stehen müsste – was nicht passieren wird, denn ein errichtetes Bett ist ein gefülltes.

   Und diese offensichtlich aus politischem Kalkül dimensionierten Überkapazitäten werden jährlich etwa 20 Millionen Euro kosten – politisches Spielgeld, das Kärnten eigentlich nicht mehr haben dürfte. Denn Spittal, dessen Patienten sich kaum von denen in Wolfsberg unterscheiden, schafft es, etwa die gleiche Zahl an Patienten um 40 Prozent günstiger zu versorgen.

   Und warum werden diese 20 Millionen investiert?

   Ganz klar, hinter jedem Bett, egal ob sinnvoll belegt oder nicht, stehen Arbeitsplätze. Und weil Wolfsberg ein Landesspital ist, sind das Arbeitsplätze, auf die, anders als in Spittal, das Land direkten Einfluss hat. Und egal wie wenig Geld noch da ist, diesen Einfluss aufzugeben, ist politisch nicht gewollt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 11.06.2015   

Verwaltungskosten-Tricksereien der Krankenkassen

 Neos haben für Aufruhr gesorgt, als sie meinten, die angegebenen 2,8 Prozent Verwaltungskosten der Krankenkassen lassen sich nicht nachvollziehen.

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   Neos argumentieren mit Personalkosten, die so gar nicht zu den 2,8 Prozent Verwaltungskosten passen wollen – diese betrügen nämlich 6,9 Prozent. Und weil, so die etwas irrige Annahme, Personalkosten den Verwaltungskosten ähnlich sein müssten, können die 2,8 Prozent einfach nicht stimmen.

   Der Konter der Kassen war klar: Neos irren (weil sie keine Bilanzen lesen können). Und haben da gar nicht so unrecht. Was Neos nämlich nicht bedachten, sind (1) die Personalkosten der SV-eigenen Einrichtungen, die Patienten versorgen und nicht der „Verwaltung und Verrechnung“ dienen, und (2) die Personalkosten, die für Verwaltungstätigkeiten anfallen, die die Kassen für andere übernehmen – etwa die Einhebung der SV-Beiträge und die Überweisung dieser an Pensionsversicherung, Unfallversicherung etc.

   Besonders Zweiteres sind eine Freude für die, die Bilanzen lesen können (die können nämlich mit Kassen-Bilanzen nichts anfangen, weil das keine Bilanzen, sondern höchstens grobe Einnahmen/Ausgaben-Rechnungen sind). Dort findet man unter „Ersätze“ Einnahmen in der Höhe von etwa 300 Millionen Euro, die dazu dienen, diesen „fremden“ Leistungsaufwand abzudecken. Eine Aufschlüsselung wenigstens nach Sach- und Personalaufwand gibt es nicht. Klar ist nur, dass diese 300 Millionen Euro von den 740 Millionen Euro, die als Brutto-Verwaltungsaufwand ausgewiesen werden, abgezogen werden müssen. Dann kommt man zum Netto-Aufwand, und der beträgt 440 Millionen Euro. Aufgerechnet auf die etwa 15 Milliarden Euro Gesamtausgaben, sind das dann die berühmten 2,8 Prozent – womit die Kassen klar belegen, Neos können keine Bilanzen lesen.

   Ach, wenn es so einfach wäre. Aber nehmen wir an, die 300 Millionen Euro dienen wirklich der Verwaltung von „fremden“ Leistungen. Auf Köpfe berechnet, erhalten unsere Kassen dann 37 Euro pro Nase „Ersatz“ für den Verwaltungsaufwand. Die deutschen Kassen kriegen für vergleichbare Leistungen nur 27 Euro ersetzt und müssen sich ständig rechtfertigen, weil jeder eine Verwaltungssubvention wittert.

   Und wenn wir schon in Deutschland sind: Da hat sich ein Finanzer einer großen Krankenkasse daran gemacht, einen Verwaltungskostenvergleich mit Österreich anzustellen.    Und heraus kam, dass Österreich einige Positionen unerklärlicherweise einfach nicht als Verwaltungskosten verrechnet, wie etwa „sonstige betriebliche Aufwände“. Dafür werden bei den Gesamtausgaben Durchlaufposten mitgerechnet, die sicher keine relevanten Verwaltungskosten erzeugen, etwa die über 4 Milliarden Euro Pauschalüberweisungen an die Spitäler. Am Ende werden mit allerlei Tricks Verwaltungskosten klein-, Gesamtausgaben großgerechnet, damit die Verwaltungsquote schön niedrig bleibt. Realitätsnah und mit Deutschland vergleichbar, kostete 2013 die interne (reine) Kassenverwaltung jedoch 682 Millionen Euro (offiziell zugegeben werden 440 Millionen), bei einem verwalteten Volumen von weniger als 10 Milliarden Euro (offiziell über 15 Milliarden) – und das macht nach Adam Riese nicht 2,8, sondern 6,8 Prozent Verwaltungskosten. Die Deutschen brauchen übrigens 5,7 Prozent, geben aber nur 5,1 zu – schwindeln also auch, aber halt weniger

„Wiener Zeitung“ Nr. 097 vom 21.05.2015   

Selbstbehaltsfantasien

In der ÖVP werden wieder fantastische Selbstbehaltspläne geschmiedet. Aber eher um Neidreflexe zu bedienen und mehr Geld einzunehmen.

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   In einem Interview in der „Presse“ antwortete ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka auf die Frage, ob Selbstbehalte generell kommen sollen, Folgendes: „Der Staat ist auch verantwortlich für die Bürger. Aber vor dem Staat kommt die Eigenverantwortung. Und auf lange Sicht ist unser Gesundheitssystem nur finanzierbar, wenn wir uns unserer Eigenverantwortung stärker bewusst werden. Und Teil dieser Eigenverantwortung kann sicher ein Selbstbehalt für alle sein. Selbstverständlich muss es Sonderregeln für chronisch Kranke und sozial Schwache dabei geben.“

   Nun, soweit mir bekannt ist, wird die Gesundheitsversorgung durch uns selbst finanziert – es ist also nicht der Staat, denn der hat ja kein Geld, es sei denn unseres. Damit haben wir also immer 100 Prozent Selbstbehalt. Allerdings wird der eben innerhalb der Bevölkerung derart aufgeteilt, dass nicht das Krankheitsrisiko, sondern das Einkommen ausschlaggebend ist,

   Nun ist offenbar geplant, die „Selbstbehaltsverteilung“ als Instrument einzusetzen, um Eigenverantwortung zu stärken.

   Eine kluge Idee, meint man, doch wenn man mit Selbstbehalten erreichen will, dass Menschen mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, geht das nur, wenn die auch wissen, wie das geht. Die Menschen brauchen dazu die Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu lesen, zu filtern und zu verstehen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Man nennt das Gesundheitskompetenz.

   Dank unseres extremen Paternalismus, der generell aber im Gesundheitswesen besonders herrscht, ist die Gesundheitskompetenz bei uns so richtig schlecht. Man stelle sich vor, ein niederländischer Schulabbrecher ist in dieser Hinsicht kompetenter als ein hiesiger Akademiker. In Österreich ist praktisch niemand ausreichend kompetent, Gesundheitsinformationen zu lesen, zu filtern und zu verstehen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Wie können dann Selbstbehalte die Eigenverantwortung stärken? Gar nicht!

   Aber, setzen wir einmal eine ausreichende Gesundheitskompetenz voraus, dann könnten Selbstbehalte auf das Gesundheitsbewusstsein nur einwirken, wenn diese schmerzhaft hoch sind und keine Sonderregelungen für sozial Schwache bestehen – denn genau die sind es ja, die man durch fühlbare finanzielle Anreize dazu bringen will, sich gesundheitsbewusster zu verhalten. Werden sozial Schwache, aber auch chronisch Kranke gesondert geregelt – was nur geringere Selbstbehalte bedeuten kann –, bleibt vom Wunsch der Stärkung der Eigenverantwortung gar nichts übrig.

   Am Ende geht es wohl darum, Neidreflexe der eigenen Klientel zu befrieden (SVA und BVA, beide ÖVP-dominiert, verlangen Selbstbehalte), und eine Art Beitragserhöhung durchzusetzen, ohne Beiträge zu erhöhen. Das war’s.

   PS.: Dass die BVA schwarze Zahlen schreibt, liegt nicht am Selbstbehalt, sondern daran, dass Beamte zur Gruppe der Bestgebildeten, deren Krankheitsrisiko das geringste ist, und der Bestverdienenden, womit die BVA über sehr hohe Einnahmen verfügt, gehören: Ähnliches galt lange auch für die SVA, die jedoch nun wegen der vielen neuen Selbständigen plötzlich Miese schreibt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 16.04.2015