Über Selbstbehalte

Selbstbehalte leben in Österreich im Gesundheitssystem und kommen in allen Subsystemen vor. Lästig sind sie aber nur dort, wo sie auch so heißen.

Als Herr SC i.R MR Dipl-Ing. Breitfuss seine Abrechnung erhalten hat, hat er sich wieder einmal geärgert. „Wenn alle Selbstbehalte zahlen müssten, dann müssten wir das Gesundheitssystem nicht reformieren“ sinniert er in sich hinein, während er den Erlagschein ausfüllt. „Das wäre doch so einfach!“

In der Realität ist das aber ganz anders.

Das beginnt damit, dass zwar die meisten Bürger in den neun Gebietskrankenkassen (GKK) organisiert sind, doch gibt eine Unmenge anderer Kassen. Da haben neben den Bundesbeamten die Bauern, die Eisenbahner, die VÖSTler etc. ihre eigenen. Dazu kommen die Krankenfürsorgeanstalten (KFA), die sich um Bedienstete der Länder und Gemeinden kümmern. Am Ende gibt es ca. 60 KFA, die zu den mehr als 20 Krankenkassen kommen. Wer also welchen Selbstbehalt zahlt, das weiß niemand. Wie man so ein Wirrwarr umstellen könnte ist fraglich. Aber tun wir so, als ob es ginge. Doch ist es gescheit?

Nehmen wir der Einfachheit halber die Beamtenversicherten als Pars pro Toto. Diese zahlen einen lästigen 20-prozentigen Selbstbehalt auf alle Gesundheitsleistungen, die sie konsumieren. Und siehe da, die Beamtenversicherung gehört zu denen, die nicht von Pleite bedroht ist. Der einfache und für die meisten daher zwingende Schluss: Selbstbehalte halten Patienten davon ab, unnötige Leistungen in Anspruch zu nehmen. In der Kombination mit der ebenso einfachen Theorie, dass unnötige Leistungen das System unfinanzierbar machen, ist daher logisch: Selbstbehalte retten das Gesundheitssystem!

Wäre es so einfach, hätte die ganze Welt bereits top funktionierende Systeme und lauter gesunde Menschen.

Leider entstehen durch Krankheit aber weiterhin Kosten. Und nur zu einem Bruchteil sind diese durch Jux und Tollerei – was man ja bei der Konsumation von unnötigen Leistungen unterstellen muss – begründet. Die meisten „unnötigen Leistungen“ werden, wenn überhaupt, durch falsche Anreizsysteme vom Leistungserbringer verursacht, nicht vom Patienten. Selbstbehalten können hier kaum helfen. Der, der krank ist kostet. Daran ändern Selbstbehalte nichts. Nur wer gesund ist kostet nichts!

Und da kommen wir auf des Pudels Kern. Heute ist Gesundheit weniger eine Frage der Kosten des Systems, als eine Frage komplex ineinandergreifender sozioökonomischer Faktoren wie Bildung, Einkommen, Altersversorgung etc., die alle irgendwie das Gesundheitsbewusstsein beeinflussen. Und genau darin liegt es, warum die Beamtenversicherung schwarze Zahlen schreibt. Ihre Versicherten gehören auf Grund der Berufswahl automatisch zu den höchst Ausgebildeten. Sie haben verglichen mit den typischen GKK-Versicherten, den Arbeitern und Angestellten, die höchste Maturanten- und Akademikerquote. Dazu kommt, dass ihr Durchschnittseinkommen verglichen mit den GKKlern das höchste ist. Und last but not least beziehen Beamte im Vergleich zu den oben erwähnten die höchsten Pensionen. Wissenschaftlich betrachtet, müssten Beamte also zu den gesündesten der Republik gehören und daher am wenigsten kosten (auch dann, wenn sie die längsten Krankenstände aufweisen, was vermutlich anders zu erklären sein wird).

Selbstbehalte wie bei den Beamten haben eine untergeordnete Rolle auf das Gesundheitsbewusstsein. Keinesfalls könnte eine Einführung solcher Selbstbehalte die GKK sanieren. Da muss man schon die Selbstbehalte so umbauen, dass sie auch Anreize bilden, gesund zu bleiben. Und das würde dauern!

Dieser Artikel wurde im August 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheit ist nicht gratis!

Das „Gratis-Gesundheitssystem“ ist ein geliebter und heiß verteidigter Mythos.

Und? Haben Sie wahrgenommen, dass bald Heftiges passieren wird, weil nichts auf der Welt gratis oder kostenlos ist? Dass es nicht irgendwo einen Gelddrucker gibt, der inflationsfrei Geld druckt? Na ja, im Gesundheitssystem werden spätestens im Frühjahr 2009, wahrscheinlich aber noch diesen Herbst Politiker erleben, dass es so ist. Die brauchen jetzt viel Geld, für die ÖBB, die Wahlkämpfe und -zuckerl. Da wird dann wenig für das Gesundheitssystem oder eine Reform bleiben. Das macht aber nichts, immerhin kann man ja noch die Selbstbehalte erhöhen!

Dabei liegt Österreich im OECD-Vergleich mit mindestens 25% im Spitzenfeld – weit vor anderen Ländern, die wir gerne als unsoziale Abschreckungsbeispiele zitieren. Und es stimmt, Selbstbehalte sind ein Zeichen für die Entsolidarisierung eines solidarischen Systems.

Aber halt, Selbstbehalte gibt es bei uns ja gar nicht! Höchstens bei den Beamten! Oder? Der österreichische Weg der Selbstbehalte ist ein verschlungener. Sie heißen nicht einmal so. Man nennt sie Gebühren oder ähnliches. Und wenn man mehr Geld braucht, erhöht man nicht Selbstbehalte, sondern Rezeptgebühren oder Verpflegskostenbeiträge etc.

Nehmen wir die Rezeptgebühr. Normalerweise ist eine Gebühr dazu da, einen Beitrag für eine Dienstleistung zu erbringen. In Wirklichkeit aber ist die Rezeptgebühr längst ein Selbstbehalt am Medikamentenpreis. Will man nun, dass dieser höher wird, ohne die Gebühr zu erhöhen, braucht man nur die erlaubten Packungsgrößen verkleinern. Schon kann man mehrmals Rezeptgebühr verrechnen. Und so verwundert es nicht, wenn heute viele Medikamente, die anscheinend „gratis“ sind, durch die Rezeptgebühr bereits voll ausbezahlt werden – also 100% Selbstbehalt haben! Oftmals teilt einem der Apotheker sogar mit, dass man das Medikament lieber selbst bezahlen soll, weil die Rezeptgebühr über dem eigentlichen Preis liegt. So steuern die Krankenkassen über die Packungsgröße und das Ministerium über die Rezeptgebühr den Selbstbehalt – den es eigentlich gar nicht gibt. Wen wundert es, dass so die Einnahmen aus Rezeptgebühren seit 2000 um 37 Prozent stärker gewachsen sind, als die Wirtschaft. Die Folge dieser Politik ist, dass, ohne das Wort Selbstbehalt zu verwenden, bereits über 30 Prozent der Medikamenten- und Heilmittelausgaben nicht mehr durch die Krankenkassen bezahlt werden – komisch, dass wir immer mehr das Gefühl haben, es bleibt nichts im Tascherl.

Ähnliches gibt es so gut wie in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung. Im Detail betragen beispielsweise die „Selbstbehalte“ für medizinische Dienstleistungen außerhalb des Krankenhauses fast 40 Prozent, für Rehabilitation mehr als 50, und im Bereich der Pflege, der nach internationalen Standards eigentlich Teil des Gesundheitswesens wäre, kann man nicht einmal herausfinden, wie viel Geld wirklich aus den eigenen Taschen fließt.

Ein interessantes Detail am Rande stellen die Selbstbehalte im Krankenhaus dar. Sie sind mit etwas mehr als zwei Prozent im Vergleich kaum vorhanden. Kein Wunder also, dass alles ins Krankenhaus drängt. Gesundheitsökonomischer Unsinn; aber das interessiert offenbar auch niemanden. Denn wenn das Geld knapp wird, wird man halt auf der Einnahmenseite „korrigieren“, „anpassen“ oder „harmonisieren“ – ohne jedoch Selbstbehalte einzuführen. Intransparenz ist ein hervorragendes Instrument zur Herstellung und Bewahrung der Illusion eines „Gratis-Gesundheitssystems“.

Dieser Artikel wurde im August 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Weg damit! – Ein innerer Monolog

Facharztdienste sind – in den meisten Fällen – lang und öd. Und manch altgedienter Oberarzt sinnt über das Leben nach.

„Schon wieder in einem der unnötigsten ärztlichen Tätigkeitsbereiche: dem DIENST (siehe 1 unten).

Da wären Millionen drin, wenn man die unnötigen Dienste reduzieren würd’. Wer braucht z.B. MICH im XS-Spital? Andererseits verdien’ ich wenigstens mehr. Vom Grundgehalt kann man ja nicht leben. Ich hab’ gehört, die Jungen im AKH verdienen ohne Dienste gerade einmal 1.100 € – Brutto! Wahnsinn!

Trotzdem; drei Fachärzte und ein Turnus-Sklave (siehe 2 unten) hier im Dienst, in unserer Quetsch’n! Völliger Schwachsinn! Nur weil’s ein Landesgesetz gibt, des vorschreibt, wie viele Ärzte da sein müssen – egal ob man’s braucht oder net. Und kaum si’ma im Dienst, wer’ma mit lauter Unsinn konfrontiert; angebotsinduzierte Nachfrage, ein Klassiker.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen! Dienst ist zum überwiegenden Teil Unsinn, daher gibt’s im Dienst überwiegend nur Unsinn. Zweckmäßig ist hier nichts. Außer, dass ma’ deppert wird im Schädel und am nächsten Tag müd’ wie a alter Hund.

Wer braucht im XXL sieben (oder sind’s eh schon 15?) Kardiologen im Dienst? GLEICHZEITIG? Unfassbar. Und keiner schreit öffentlich auf, weil dem Volk vorgegaukelt wird, es sei eine gute Versorgung, wenn Fachärzte vor sich hindümpeln und artfremde Tätigkeiten verrichten; und in ihrer Überqualifikation dem Burn-Out entgegentreiben. Unterforderung KANN nur krank machen!

Im XL haben’s an Haut-Arzt, an HNO-Kollegen und fünf Internisten im Dienst! Samt zugehörigen Turnus-Sklaven, die stundenlang Spritzen geben und Infusionen anhängen – bei Patienten die davon eh nix haben. Nur weil die Schwestern vor lauter Doku-Wahn ständig Zeitmangel haben. Wer hat ihnen eigentlich diesen Blödsinn aufgedrückt. Sicher wieder irgend a Gesetz!

Warum gibt’s nicht kompetente kleine mobile Notfall-Teams für die Nachtstunden? Statt ausgelaugter Hundertschaften von Fachärzten, die in entwürdigenden Dienstzimmern entweder blödsinnig Fernschau’n, mürrisch ins Telefon plärr’n, insuffiziente Arztbriefe von unbekannten Patienten diktieren oder tschechern, bis sie ins verlotterte Dienstbett fallen, wo sie bestenfalls noch eine junge naive Kollegin verführen können?

Die Ärzte machen diesen Dienst-Scheiss ja nur, weil ihr Gehalt davon abhängt. NOTWENDIG oder EFFIZIENT ist das bei Gott nicht. Gebt den Fachärzten ein ordentliches Grundgehalt und Schluss! Wäre locker ein Drittel billiger. Wo es im niedergelassenen Bereich eh schon Fachärztemangel gibt, sitzen alle blöd im Dienst herum. Und alles auf Kosten der Allgemeinheit!

Hätten wir fliegenden Notfallteams, dann bräucht’ ma genau niemand! Außer vielleicht auf einer Gyn, einer Unfall, der Chirurgie, im Herzlabor und auf der Intensiv. Ansonsten reicht a Allgemeinmediziner, der kommt am Abend und geht in der Früh. Raus mit den Fachärzten, rein mit den Allgemeinmedizinern! Aber des geht gesetzlich wieder net.

Warum können die eigentlich keine g’scheiten Gesetze machen, die Bezahlern und Patienten nützen? Wenn es nach mir ginge, einfach weg damit!“

PS: Wer diesen inneren Monolog für Dichtung hält, der hat den Boden der Realität bereits verlassen! Tatsächlich ist er aus der Feder eines Spital-Facharztes.

1. vulg. für Nacht- und Wochenend-Dienste

2. Turnus: Bezeichnung für die mindestens dreijährige praktische Pflichtausbildung nach dem Medizinstudium. Turnus-Ärzte stehen in der Nahrungskette im Krankenhaus ganz hinten – also gerade noch höher als die ausgelagerten Reinigungskräfte. Daher das Wort Sklave.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer nicht entscheidet, für den wird entschieden!

Der Wunsch, ärztliche Entscheidungen wieder den Ärzten zu überlassen – und nicht den Ökonomen – ist zu spüren! Allerdings nur halbherzig.

Schließen Sie die Augen! Sie sind zehn Jahre alt und haben entsetzliche Bauchschmerzen. Der Blinddarm muss raus. Glücklicherweise ist alles früh festgestellt worden und der Operateur entscheidet, den Blinddarm endoskopisch, also mit Knopflochchirurgie, zu entfernen. Am zweiten Tag kommt der Arzt und sagt: „Sie sind gesund, sie können gehen“. Doch nein! Unmittelbar nach dem Arzt kommt der Krankenhausverwalter, ein Ökonom, und sagt: „Sie müssen bleiben, weil wir noch ein bisschen an Ihnen verdienen wollen.“ Der Arzt, der daneben steht, fällt dem Ökonomen jetzt nicht ins Wort und weist ihn zu Recht – nein, er gibt dem Ökonomen spontan recht.

Wachen Sie jetzt auf und lassen sich erklären, welchen Schwachsinn Sie geträumt haben.

Das Spitalswesen hierzulande wird von einem wenig vernünftigen System finanziert – der leistungsorientierten Krankenanstalten-Finanzierung (LKF). Es pauschaliert Leistungen, was Bezahlung als auch Aufenthaltsdauer betrifft. Beides wird von Statistikern berechnet, die Daten dafür werden in Referenzspitälern erhoben. Ökonomen haben hier nichts zu sagen. Die Einnahmen aus den Pauschalen decken längst nicht mehr die Kosten. Würden Ökonomen das Sagen haben, würden Sie versuchen, Kosten zu vermeiden. Gott sei Dank, haben Sie das aber nicht.

Für eine endoskopische Blinddarmentfernung gibt das System drei bis sieben Tage Aufenthaltsdauer an. Vom LKF her könnte man also ohne „Einnahmenverluste“ am dritten Tag entlassen, medizinisch noch früher. Unsere Kinder „dürfen“ aber durchschnittlich fünf Tage liegen. Offenbar ist nicht der Ökonom an der späten Entlassung Schuld, sondern doch eher wer anderer.

Vielleicht ist der Blinddarm ein schlechtes Beispiel. Schauen wir uns die Curretage oder die Konisation an. Zwei Eingriffe, die viele Frauen kennen – Männer nicht. Dafür liegen sie zwei Tage im Spital. Bezahlt wird vom System aber auch die ambulante Versorgung und sogar deutlich besser. Allein die Patientinnen würden so die Betten nicht belegen. Wer also legt die Patientinnen auf die Station? Der Ökonom? Vielleicht muss man an dieser Stelle festhalten, dass österreichweit die gynäkologischen Abteilungen nicht einmal mehr zu zwei Drittel ausgelastet sind. Viele Abteilungen müssten längst gesperrt sein, wenn die Ökonomen das Sagen hätten; und zwar ohne Qualitätsverlust. Manche behaupten sogar, mit Qualitätssteigerung – aber das sind besondere Wirrköpfe.

Wenn also Ökonomen nicht schuld sind, sondern doch Ärzte, warum ist das so? Schwierig! Ich bleibe dabei, dass Primarärzte darauf achten, Ihre Abteilungen auszulasten. Immerhin sind Betten der einzige Maßstab für die Personalzumessung, und Klassebetten sind mit einem fixen Schlüssel an die Zahl der Abteilungsbetten gebunden. Zwei wichtige Argumente.

Und um klar zu stellen. Krankenhäuser sind auch in Österreich infektiös. Es ist daher nicht ihre Aufgabe, Sicherheit und Geborgenheit vorzutäuschen. Noch dazu um einen Preis, für den man in einer geborgeneren Versorgungseinrichtung – den eigenen vier Wänden – viel mehr Patienten kompetent betreuen könnte – auf Kosten des Systems!

Ja, es wäre wichtig, dass die Entscheidung, wie und wo behandelt und wann entlassen wird, wieder zu einer ärztlichen wird. Allerdings reicht es nicht aus, das zu fordern. Man muss es tun, jeden Tag! Und keinesfalls darf man sich als Arzt hinter irgendwelchen Ökonomen verstecken – sie sind nur Sündenböcke für die eigenen Sünden.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Muss es wirklich immer so lang sein?

Wären Politiker entscheidungsfreudiger und Ärzte ehrlicher, müssten Patienten rund 50 Millionen Euro pro Jahr weniger aus der eigenen Tasche bezahlen.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen wegen einer Star-Operation ins Spital. Wären Sie irgendwo in Europa, würden Sie in der Früh ins Krankenhaus gehen und am Abend nach Hause. In Österreich bleiben Sie drei Tage im Spital! Stellen Sie sich vor, Sie brauchen eine Gallenblasenoperation. Wären Sie irgendwo in Europa, würden Sie mit einem Spitalsaufenthalt von drei Tagen rechnen. In Österreich sind es sieben! Solche Beispiele gäbe es noch viele. Am Ende kommen fünf Millionen Krankenhaustage zustande, die eigentlich nicht nötig wären. Abgesehen davon, dass das der Allgemeinheit Kosten in Milliardenhöhe aufbürdet, müssen Patienten dafür aus der eigenen Tasche rund 50 Millionen Euro bezahlen – den sogenannten „Verpflegskostenbeitrag“.

Dass wir Weltmeister im Spitalsliegen sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Warum wir es sind, diese Frage ist schon interessanter. Einmal ehrlich, hat der Patient wirklich eine Chance weniger im Spital zu liegen? Der Durchschnittsösterreicher hat weder Medizin studiert, noch kennt er sich mit Fragen der Versorgungsqualität aus. Das eine – so zumindest die Theorie – sollten doch die Ärzte am besten können, das zweite ist eigentlich Aufgabe der Länder. Beide betonen aber, dass alles zum Besten ist. Wer bleibt sonst übrig, um Patienten vor zu langen Spitalsaufenthalten zu bewahren? Nein, der Patient ist sicher kein selbstgemachter Weltmeister, sondern nimmt nur an, dass Ärzte und Politiker ihren Job gut machen. Wenn man aber ein bisschen genauer schaut, dann erkennt man rasch, dass es nicht so ist.

Auf der einen Seite sind da die Primarärzte. Das wichtigste Argument in der Frage der eigenen Existenzsicherung ist selbst im 21. Jahrhundert nicht der Patient, sondern noch immer die Anzahl der ausgelasteten Betten. Kurze Liegedauer oder gar ambulante Versorgung würde die Zahl der ausgelasteten Betten sinken lassen und so die eigene Existenz gefährden. Aber noch wesentlicher als die Betten, sind die Einnahmen aus den Klasseversicherungen. Wegen komplizierter verfassungsrechtlicher Bestimmungen sind die sogenannten Klassegelder noch immer weitgehend an die Länge des Spitalsaufenthalts gebunden. Je kürzer Patienten liegen, desto geringer diese Zusatzeinnahmen. Und um die Klasse-Patienten ja nicht auf den Geschmack kurzer Aufenthalte zu bringen, werden sicherheitshalber alle länger behalten.

Auf der anderen Seite stehen die Landespolitiker. Sie wären verpflichtet, die Krankenhaushäufigkeit und Liegedauer auf das medizinisch notwendige Maß zu minimieren. Würden sie diese Gesetzesvorschrift wirklich ernst nehmen, dann müssten sie Krankenhäuser sperren – und zwar viele. Damit würde sie aber ihre Spielwiesen verlieren. Auch wenn es zum Wohle des Patienten wäre, ist das eine Denkunmöglichkeit! Da ist es schon besser, man versteckt sich hinter den Primarärzten und behauptet wie sie, dass lange Aufenthalte notwendig sind (siehe oben).

Solange diese beiden Gruppen behaupten, dass lange Aufenthalte medizinisch begründet sind, wird es den Patienten schwer fallen, etwas anderes zu vermuten. Solange alles so bleibt wie es ist, werden sie dafür, angeblich zu ihrem eigenen Wohl, Jahr für Jahr Unsummen auf den Tisch legen. Und nur, dass es nicht zu Missverständnissen kommt, selbst wenn wir die oben beschriebenen fünf Millionen Krankenhaustage nicht mehr hätten, würden wir im europäischen Vergleich noch immer zum obersten Drittel der Spitalslieger gehören.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitspolitik: Um was es wirklich geht!

Wen interessiert eigentlich noch der Patient und dessen Versorgung – eine emotionale Reflexion über ein bravouröses Stück Politiker-Mikado!

Kennen Sie sich noch aus? Diese Frage hat der ORF genau so gestellt, als die Verhandlungen rund um die Gesundheitsreform – eher das Kassensanierungsunterfangen – von einer 75/25 Chance für ein Zustandekommen über mehrmalige Unterbrechungen bis hin zum Scheitern, von keinem mehr so richtig beobachtet werden konnte.

Erlauben Sie mir ausnahmsweise eine emotionale und unbeherrschte Meinungsäußerung zu diesen Vorgängen, denn ich bin glücklich, dass dieses Werk nicht vollendet wird. Man hätte ein ohnehin schon sehr schwaches Konzept durch immer faulere Kompromisse so verwässert, dass nicht einmal das wenige, das erreicht hätte werden sollen, auch nur annähernd jemals erreicht hätte werden können. Das Scheitern aber eröffnet vielleicht jenen Weg, der mit Konsens und Vernunft – und der entsprechenden Zeitachse – gegangen werden kann, und dessen Ziel die Patientenversorgung und nicht der Erhalt von Machtkomplexen sein könnte.

Nichts desto trotz, war es spannend zu sehen, wie ignorant die einzelnen Machtkomplexe sich mittlerweile dem Thema der Gesundheitsversorgung widmen. Mit grundsätzlichen Fragen wie „Was wollen wir vom System?“, „Wie soll die Versorgung aussehen?“, „Erhalten die Patienten was sie brauchen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle?“ etc hat man sich erst gar nicht auseinandergesetzt. Aber das ist ja auch nicht nötig bei dem besten System des Universums, das sowieso allen und überall eine Versorgung auf allerallerhöchstem Niveau bietet – gratis, versteht sich! Auch die Frage nach Struktur- und Kompetenzveränderungen stoppte sofort an dem Punkt, wo die Mächtigen ihre Macht zugunsten der Patienten hätten aufgeben müssen – statt dessen konnten alle zuschauen wie ein peinlicher Machtkampf entbrannte und die Mächtigen nicht einmal mehr den Anstand wahren mussten, wenigstens nach außen für die Patienten einzustehen.

Dass alle Experten, wie das parlamentarische Expertenhearing gezeigt hat, mit der vorliegenden Reform nichts anfangen konnten, hat auch nicht zu einer vertieften und vielleicht sachorientierten Reflexion geführt. Ganz im Gegenteil! Der Vorwurf der populistischen Politiker in allen Parteien, dass man als Experte ja nichts umsetzen muss und daher leicht reden kann, wurde erhoben. Dieser Vorwurf ist getragen von genau der Ignoranz, die erst dazu führte, dass die Machtkomplexe immer weiter und tiefer Entscheidungen nach populistischen statt nach vernünftigen Kriterien getroffen haben. Und genau diese Ignoranz ist es auch, die es der ach so umsetzungsstarken Kaste erlaubt hat, den Patienten und dessen Versorgung endgültig aus allen Diskussionen herauszuhalten. Und mit genau der gleichen Ignoranz wurden konsequenterweise seit Jahrzehnten Expertenmeinungen unterdrückt und Kritiker verjagt– es geht ja offenbar um wichtigeres.

Die Machtkomplexe müssen sich wieder einmal darauf besinnen, dass der Patient nur dann ein Gesundheitssystem braucht, wenn er im System gesünder werden kann, als ohne es! Das Gesundheitssystem ist nicht dazu da, Krankenhäuser zu erhalten, Ärzte zu ernähren, regionale Politiker glücklich zu machen oder die Existenz von Krankenkassen zu sichern. Es ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Aber solange die Politik nicht daran erinnert wird, wird wohl ein öffentliches Gesundheitssystem österreichischen Zuschnitts durch Ignoranz und Festhalten an der Macht um jeden Preis weiterwursteln.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsplattformen – die unbekannten Wesen

Ohne größere Bekanntheit erlangt zu haben sterben die letzten zarten Pflänzchen einer sinnvolleren Reform ab – und niemand wird es merken!

Wer noch nie von Gesundheitsplattformen gehört hat, der soll sich nicht grämen, er gehört zur großen Mehrheit. Die, die wenigstens schon was gehört haben, sind in der Minderzahl. Die seltenen Vögel, die sogar wissen, was diese Institutionen für Aufgaben hätten – und es sind deren viele – sind echte Exoten.

Die Kernidee dieser unbekannten Wesen, die in jedem Bundesland institutionalisiert wurden, war die DEZENTRALE Planung des Gesundheitssystems. Da saßen Länder und Sozialversicherungen als Finanziers zusammen und sollten, so der gesetzliche Auftrag, GEMEINSAM für die Gesundheitsversorgung der REGIONALEN Bevölkerung sorgen. Wenn man die aktuellen Entwicklungen beobachtet, dann weiß man, dass diese Idee in den letzten Zügen liegt.

Andererseits hat sie nie wirklich einen richtigen Zug gehabt. Keine Plattform hat es geschafft auch nur die klitzekleinen Reformprojekte Realität werden zu lassen. Eine gemeinsame Vorgangsweise gibt es, wenn überhaupt, nur in vereinzelten, kaum wahrnehmbaren Ansätzen. Der Pflegebereich wurde gleich gar nicht in die Agenda aufgenommen. Und die wenigen Plattformen, die es sich geleistet haben, ein sachlich kompetentes – und nicht politisch tickendes – gemeinsames Büro einzurichten, haben dieses bald wieder abgeschafft.

Die Folge dieses offensichtlichen aber verleugneten Scheiterns kennt man mittlerweile: die Kassen gehen pleite und die Spitalsausgaben explodieren (wie man hört in einigen Bundesländern um 36% in zwei Jahren!). Schuld ist natürlich der Bund – der macht ja immer alles falsch. Interessant, dass die WHO schon 1969 gesagt hat, dass die Bundesregierung keine Kompetenzen hat, den Finanziers verbindliche Weisungen zu erteilen. Trotzdem ist der Bund schuld – weil immer andere schuld sein müssen.

Ehrlicher- und daher unausgesprochenerweise  sind die Gesundheitsplattformen aber selber schuld. Man beachte nur wie skurril die Kompetenzen verteilt wurden. Was die niedergelassenen Ärzte betrifft, haben immer die Sozialversicherungen das Sagen, was die Spitäler betrifft die Länder – Zeugt das von einem gemeinsamen Willen?

Aber was hat man denn erwartet? Da sitzen die dem Populismus zugeneigten Länder und die in klassenkämpferischen Verhandlungen geübten Gewerkschaften zusammen und sollen gemeinsam gestalten, eine gemeinsame Vision, eben die gemeinsame Sorge um die Patienten, entwickeln. Einmal ehrlich – ist das nicht zu naiv gedacht? Kann man wirklich erwarten, dass sich Organisationen mit reinem Machtwillen zusammensetzen und plötzlich aus heiterem Himmel einen gemeinsamen Gestaltungswillen entdecken?

Dabei hallt das Wort Rauch-Kallats noch nach: Die Gesundheitsreform steht! Heute, drei Jahre später, ist davon aber nichts übrig, auch wenn man nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Real werden die jetzigen Reformschritte die Kluft zwischen den Finanziers (eigentlich nur die Verwalter unseres Geldes! Aber das will auch niemand hören!) sogar vergrößern und eine dezentrale Planung noch unmöglicher machen; Plattformen hin oder her.

Was aber wird nun mit den Gesundheitsplattformen passieren? Natürlich nichts. Sie werden weiter existieren. Oder hat man in Österreich schon jemals eine politische Einrichtung abgeschafft, nur weil sie nutzlos wurde? Es ist typisch für uns, tote Pferde zu reiten und allen zu erzählen, dass es sich dabei um eine österreichische und international unvergleichlich gute Galoppversion handelt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Arzt-Patienten-Beziehung – eine sensible Größe

Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!

Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur darin, wie auch der Patient.

Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!

Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.

In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Mio. Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Mio. davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patienten, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Mio. sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben. Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Mio. Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Mio. Patienten behandelt, die etwa 15 Mio. Mal dort erscheinen. 1,5 Mio Patienten werden 2,5 Mio. Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Mio. Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.

Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!

Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80% aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

EHCI 2007: Europas bestes Gesundheitssystem – Der Mythos lebtt

Kritische Betrachtung des Euro Health Consumer Index© 2007

 

Der aktuell ständig zitierte Euro Health Consumer Index© (EHCI©) kommt zum Ergebnis, dass das Österreichische Gesundheitssystem das beste Europas ist. Insbesondere seitens der Ärztekammer wird angesichts der Studie gemahnt, dass eine Reform – und sei es auch nur ein Reförmchen – eine Bedrohung für diesen Status ist. Der Mythos des besten Gesundheitssystems wird wieder beschworen und als Schutzschild gegen jede Änderung eingesetzt. Dabei ist Österreichs Gesundheitssystem nur deswegen so leicht als „das beste der Welt“ zu bezeichnen, da das Gegenteil aufgrund der Intransparenz und Unehrlichkeit nur schwer zu beweisen ist. Und paradoxerweise könnte diese „Studie“ genau das.

Vorab muss gesagt werden, dass der EHCI© nicht, wie z.B. im Ärztekammerblatt „Medizin populär“ verbreitet wurde, eine offizielle EU-Studie ist. Obwohl das Wort „Euro“ im Titel steht und das publizierende Büro in Brüssel ist, handelt es sich um die private Studie einer schwedischen Beratungsfirma. Eigentlich ist der EHCI© nicht einmal eine Studie im herkömmlichen Sinn. Sogar die Autoren weisen darauf hin, dass die Aussagen nicht wissenschaftlich und die Ergebnisse mit großer Vorsicht zu interpretieren sind und nur sehr restriktiv für Rückschlüsse herangezogen werden dürfen. Anders sieht der Ärztekammerpräsident (http://www.aerztekammer.at;  Presseaussendung 3.10. 2007) die „wissenschaftliche Untersuchung schwedischer Experten“. Für ihn „ist [damit] nachgewiesen, dass das österreichische Gesundheitssystem auch dem wirtschaftlichen Kriterium der Effizienz entspricht. Das Lamento heimischer Pseudo-Ökonomen, die unser System laufend mies machen, ist daher überflüssig“. Ob er mit den Pseudo-Ökonomen unter anderem den Obmann der WGKK gemeint hat, der kurz davor  (Die Presse 29.8.2007) meinte: „Wir haben keine Transparenz, keine Qualität und keine Effizienz im Gesundheitswesen“, lässt sich nicht sagen.

Der EHCI© besteht aus fünf Untereinheiten – „Patientenrechte und -information“, „Wartezeiten“, „Heilungserfolge“, „Großzügigkeit“ und „Arzneimittelzugang“ – die ihrerseits durch mehrere Indikatoren definiert werden. Insgesamt gibt es 27 Indikatoren, für jeden werden (willkürlich) Referenzwerte festgelegt, die eine Einteilung in die „Qualitäten“ rot, gelb und grün ermöglicht. Zudem gibt es auch ein Punktesystem, bei dem maximal 1000 Punkte erreicht werden können. Im Wesentlichen werden die Indikatoren aus mehr oder weniger leicht zugänglichen Daten (einer Mischung aus offiziellen Statistiken und publizierten Studien) gebildet und so zusammengestellt, dass sie geeignet erscheinen, Aussagen über das Gesundheitssystem zu treffen. Eine so einfache Methode ist für eine so komplexe Fragestellung nicht geeignet. Ob es dann reicht, durch eine willkürliche Auswahl von Interviewpartnern die Datenlage zu konkretisieren, ist fraglich. Als kleines Detail am Rande: in Österreich hat das Ministerium eine Mitarbeit abgelehnt, für Interviews standen, wie Studienautor Björnberg (Der Standard 1.10.2007) mitteilt, im Wesentlichen nur Vertreter der Österreichischen Ärztekammer zu Verfügung. Normalerweise lehnen Ärzte es kategorisch ab, über Indikatoren gemessen zu werden. Im Zusammenhang mit dem EHCI© dürfte diese grundsätzliche Einstellung (nach bekannt werden des Ergebnisses?) geändert worden sein.

Selbst bei oberflächlicher Analyse sind Bewertungen des EHCI© oft nicht haltbar. So gibt es beispielsweise anders als angegeben kein „Recht auf eine Zweit-Meinung“. Warum die Bewertung des Indikators „Patientenorganisationen sind in Entscheidungsprozesse involviert“ rot ist, ist nicht nachvollziehbar. Die Patientenanwaltschaft ist in vielen Gesundheitsplattformen und Entscheidungsprozessen vertreten. Der Indikator „Wartezeiten für Herzkathetereingriffe, Hüft- und Knieoperationen“ wird gelb bewertet, was bedeutet, dass 50 – 90% der Patienten eine entsprechende Therapie innerhalb von 90 Tagen erhalten. Bei Wartezeiten von kolportierten 365 Tagen (in Wien) ist auch dieser Wert wenigstens anzuzweifeln. Die „Zahnmedizinische Versorgung durch das öffentliche Gesundheitssystem“ wurde grün bewertet, was bedeutet, dass die öffentlichen Ausgaben für Zahnversorgung mehr als 10% der gesamten öffentlichen Gesundheitsausgaben ausmachen müssten. Die Krankenkassen geben aber nur etwa 800 Mio.€ für die Zahnversorgung aus, also ein bisschen mehr als 4%. Das würde eine rote Bewertung bedeuten. Der Rest wird aus der eigenen und nicht der öffentlichen Tasche bezahlt.

Am Ende halten 13 von 27 Bewertungen einer Überprüfung nicht stand. Wenn allerdings 50% der Indikatoren in Österreich falsch bewertet wurden, dann stellt sich die Frage, was in anderen Ländern nicht stimmt. Andererseits würde Österreich bei einer Neuberechnung mit 688 statt 806 Punkten auf Platz 10 landen. Ein Platz, den wir in anderen Rankings – z.B.: der WHO – öfter erreichen.

Der EHCI© baut, wie die Autoren selbst zugeben, auf inhomogenen, schlecht vergleichbaren Daten aus offiziellen Statistiken und publizierten Studien auf. Das die österreichischen Daten in den offiziellen Statistiken teilweise falsch sind, ist den Autoren nicht vorzuwerfen. Was daraus jedoch ersichtlich wird, ist wie leichtfertig in Österreich Statistiken „gefälscht“ werden um „gut“ da zu stehen. Daten zur Ergebnisqualität medizinischer Leistungen werden weder systematisch gesammelt, geschweige denn miteinander verglichen oder veröffentlicht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Auf die Spitze wird diese Situation durch einige – hoffentlich nur wenige – Ärztekammerfunktionäre getrieben. Diese sind in den letzten Wochen immer wieder als vernunftresistente Reformverweigerer in Erscheinung getreten und haben ihre Thesen mit dem EHCI© untermauert. Ganz abgesehen davon, dass unterstellt werden muss, dass sich diese Funktionäre mit dem EHCI© kaum oder gar nicht auseinandergesetzt haben, werden andere Aussagen einfach verschwiegen, z.B. dass wir nach den Berechnungen der Autoren das zweitteuerste System Europas haben oder dass verglichen mit west- und nordeuropäischen Staaten ein Problem mit Schmiergeldzahlungen zu vermuten ist. Unehrlichkeit zieht sich durch das gesamte österreichische Gesundheitssystem und wird durch die herrschende Intransparenz unterstützt. Auch wenn sich die Akteure im Gesundheitssystem ansonsten selten einig sind, in einem Punkt herrscht Eintracht: Bloß keine Transparenz.

Der Präsident des schwedischen Beratungsunternehmen, das den EHCI© erstellt hat, Johan Hjertqvis empfiehlt im Übrigen folgendes: “Gesundheitsleitsysteme, wie beispielsweise NHS Direct in Großbritannien oder die dänische Krankenhausbeurteilung sind gute Beispiele dafür, wie man das österreichische Informationsdefizit in Angriff nehmen könnte!“ Dem ist nichts hinzuzufügen

 

 

Hintergrund: Detail-Analyse

  Weiterlesen „EHCI 2007: Europas bestes Gesundheitssystem – Der Mythos lebtt“