Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

Vom Reformwillen ist nichts mehr da. Im Gegenteil, die Zeichen stehen wieder einmal auf „Einnahmenseitige Reparatur“!

Es ist so gut, dass man schnell vergisst und auch, dass es nichts Älteres gibt, als die Zeitung von gestern. Anders wäre die Welt wohl kaum ertragen.

Vor mittlerweile eineinhalb Jahren war die Gesundheitsreformdiskussion richtig heiß. Unglaublich, wie lange das schon wieder her ist. In dem Sog der Diskussionen wurden doch tatsächlich einige mutig und wagten sich vor.

Der wohl mutigste und daher hochgeschätzt, ist Franz Bittner, Chef der WGKK und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellen. Unverblümt stellte er fest: „Wir haben keine Transparenz, keine Qualität und keine Effizienz im Gesundheitswesen“ Allein diese Aussage brachte ihn wohl intern unter Druck, aber mit dem Spruch: „Es würde uns gut tun, weniger föderalistisch zu sein, auch bei den Sozialversicherungen“, hat er es sich wohl mit einigen endgültig verscherzt.

Für eine Ministerin im Amt ist folgende Aussage wohl nicht ideal, wenn auch goldrichtig: „Kein Mensch kann wissen, welches Geld in welchen Topf geht.“ Genau so unglücklich wie bei Andrea Kdolsky ist es wohl auch bei Alfred Gusenbauer gelaufen, als er meinte: „Das Problem ist, dass wir bei diesem Riesensystem, in dem es um rund 30 Milliarden Euro geht, sehr unterschiedliche Interessen haben“. Naja, beide sind nicht mehr!

Noch im Rennen ist ein anderer: „Schauen Sie die Finanzierungsstruktur unseres Gesundheitswesens an – da brauchen Sie ein Stamperl Magenbitter, dass Sie das aushalten“ meinte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer und Chef des Wirtschaftsbundes, um dann eigenartige Veränderungsvorschläge zu machen, die eines sicher nicht verändert hätten, die Finanzierungsstruktur.

Interessant, dass ausgerechnet der, der der schärfste Kritiker Leitls war und die Gesundheitsreformdebatte wegen Eigeninteressen ruiniert hat, heute die Gesundheitsreform mit Erfahrung, wie er betont, verhandeln soll: Fritz Neugebauer, ein Tausendsassa. Eigentlich Volksschullehrer, ist er Chef des ÖAAB, Chef der Beamtengewerkschaft (nur Gott kann erklären wie das zusammengeht!), Stellvertretender Klubobmann der ÖVP und Nationalratsabgeordneter. Ein Lebenslauf, der ja geradezu prädestiniert, eine Gesundheitsreform zu konzipieren. Ein Beweis seiner großen Fähigkeiten, für den Patienten und ohne Eigeninteressen zu handeln, sind da auch seine Aussagen. Vor der Wahl war er der Meinung, dass „ein so sensibles Thema“ nicht übers Knie gebrochen werden darf, „weil man so die betroffenen (!) Gruppen, etwa die Ärzte und Länder, nicht erreichen kann“. Heute hat er zwar den Patienten noch immer nicht entdeckt, aber dafür will er sehr viel schneller arbeiten: „Die gesamte Reform muss bis Mitte 2009 stehen“. Seine klaren Linien zeigen auch folgende Aussagen: (vor der Wahl!) „Mehr Geld in die Krankenkassen zu investieren sei zunächst nicht notwendig“, (nach der Wahl!) „Es braucht eine rasche Geldspritze für jene Kassen, die akut bedroht sind“.

Tja, und nachdem sein Gegenüber, der Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, stellvertretende Vorsitzende des Hauptverbandes und Abgeordnete zum Nationalrat Wilhelm Haberzettel ebenfalls ein sehr kreativer, innovativer Kopf ist, der ja bereits festgehalten hat wie es geht („Um das Gesundheitssystem mittelfristig zu finanzieren, brauchen wir die Vermögenszuwachssteuer. Wer das verschweigt, betreibt eine Vogel-Strauß-Politik“), können wir uns auf eine „echte“ Reform freuen.

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Was drauf steht soll auch drinnen sein

Weil politischer Mut längst populistischem Handeln gewichen ist, wird die Spitalsversorgung immer schlechter – Gott sei dank merkt es niemand.

Stellen sie sich vor, Sie kaufen Seifenblasen. Sie nehmen die Verpackung und lesen, dass die gewählten Seifenblasen die schönsten der Welt sind. Sie sind groß und bunt für die, die sie groß und bunt wollen, oder klein und lustig hüpfend für die, die das wollen. Gut, denken Sie, das, was da drauf steht wird wohl nicht ganz stimmen, aber Seifenblasen lassen sich sicher erzeugen.

Sie kommen nach Hause, ihre Kinder scharen sich um Sie, Sie nehmen die Verpackung, tauchen den Stiel in die Flüssigkeit, pusten und – nichts geschieht. Auch jeder weitere Versuch bleibt erfolglos. Sie ärgern sich und riechen an der Seifenflüssigkeit – und stellen fest, es ist nur Wasser drinnen. Was geht durch Ihren Kopf? Sie wollen sich beschweren oder gar die Firma verklagen – und haben mit diesen Gedanken vollkommen recht.

Was hat das mit dem Spitalswesen zu tun? Nun, da erleben wir in Österreich Skurriles. Längst (wenigstens jedoch seit die WHO es 1969 in einem Bericht festgehalten hat) ist bekannt, dass die Qualität in Österreichs Spitälern nicht immer das ist, was sie zu sein scheint. Als Hauptgrund wurde damals genannt, dass es zu viele Häuser gäbe und es nicht möglich ist, bei so einer Vielzahl an Standorten die Qualität aufrecht zu erhalten. Und trotzdem haben wir es in den letzten 40 Jahren nicht geschafft, eine ordentliche und ausnahmsweise am Patienten statt an Wählerstimmen orientierte Reform umzusetzen.

Und die medizinische Entwicklung schreitet voran. Man muss sich vorstellen, dass jährlich 500.000 medizinisch-wissenschaftliche Artikel erscheinen. Bei so einer Fülle an Informationen ist es schlicht nicht möglich, in jedem unserer Spitäler eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Versorgungsqualität zu gewährleisten. Spezialisierung und Zentralisierung sind deswegen international seit Jahrzehnten ein Thema. Bei uns nicht. Und so verfügen wir über 40 Prozent mehr Spitalsbetten und nehmen um 70 Prozent mehr Patienten pro Jahr auf wie der europäische Durchschnitt. Bei solchen Zahlen ist es aber vollkommen klar, dass in vielen Spitälern schon längst keine Spitäler mehr drinnen sind. Statt eine fachärztliche Versorgungseinrichtung zu sein, die nur Patienten zur Verfügung steht, die entsprechend ihre Krankheit und den Therapiemöglichkeiten eine stationäre Versorgung benötigen, sind sie bei uns „Auffangbecken“ für wen auch immer. Und an jedem Standort wird festgehalten als ob es darum ginge, die Welt zu retten.

Jetzt wird das Geld knapp und Politiker wie willfährige Ökonomen suchen krampfhaft nach Sparpotential. Die einzig sinnvolle und längst überfällige Sparmaßnahme ist jedoch endlich diese vielen unnotwendigen Spitäler zu sperren und das freigesetzte Geld in eine moderne Gesundheitsversorgung zu investieren, die sich um den Patienten und nicht um regionalpolitische Wünsche kümmert. Aber das ist keine Option. Stattdessen wird lieber die Qualität weiter verwässert und bei Fortbildung und personeller wie technischer Ausstattung gespart. Dafür werden Eingangshallen „modernisiert“ und ein „Wohncharakter“ erzeugt. Und dem Patienten, dem sagt man einfach, alles sei vom Allerfeinsten und überhaupt ist die Versorgung auf allerhöchstem Niveau. Was für ein Glück, dass der Patient so wenig über Medizin weiß; so kann man ihm erklären, was man will. Und wer was anderes tut, der verunsichert Patienten und ist böse. Ach, und im Übrigen verweise ich auf H.D. Thoreau!

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie viel verdienen Ärzte wirklich?

Dass Ärzte gut verdienen ist ein Gerücht. Die meisten verdienen mittelmäßig und wenn man ihren Stundenlohn errechnen würde, wenig.

„Was wird ein Arzt verdienen? – na so sechs bis sieben Tausend!“ „Brutto?“ „Nana, schon netto!“ Wenn man so hineinhört in die Stammtischrunden, dann kann man erahnen, was Ärzte verdienen – oder auch nicht, denn die Zahlen sprechen etwas anderes.

Beginnen wir bei den niedergelassenen Ärzten. Laut den offiziellen Angaben kann man davon ausgehen, dass Allgemeinmediziner, von denen es etwa 5500 gibt, rund 3.500 Euro im Monat netto verdienen (auf 14 Mal im Jahr gerechnet). Wie lange sie dafür arbeiten müssen, kann man nicht sagen. Wer sich umhört, wird erfahren, dass das unter 50 Wochenstunden wohl kaum möglich ist.

Den etwa 5000 Fachärzten geht es da schon besser. Ihr Einkommen liegt bei 5.500 Euro. Ein Einkommen, das man aber erst nach einer jahrzehntelangen Ausbildung erreicht. Sie sind die „Bestverdiener“ im niedergelassenen Bereich und der „volksgemeinten“ Höhe am nächsten.

Kommen wir zu den Spitalsärzten. An der untersten Stufe stehen 6000 Turnusärzte. Meist wird behauptet, sie werden ja noch ausgebildet und daher schlecht bezahlt. Ich meine, die Turnuszeit ist eine Fortbildung und keine Ausbildung; die endet nämlich mit der Universität. Keiner käme auf die Idee zu sagen, Gesellen dürften nicht viel verdienen, weil sie erst als Meister fertig ausgebildet sind. Wie auch immer, Turnusärzte kommen – inklusive aller Zulagen, Klassegelder und Bezahlungen für Wochenend- und Nachtdienste – auf 2.000 Euro netto. Dafür arbeiten sie etwa 70 Stunden in der Woche. Also fast doppelt so lange wie ein „normaler“ Mensch.

Ihre „fertig ausgebildeten“ 12000 Kollegen, die Oberärzte, sind besser dran. Zwar ändert sich die Arbeitszeit kaum, aber ihr Gehalt. Mit etwa 3000 Euro inklusive allem, also auch den Klassegeldern, denen man ja mystische Höhen zuspricht, sind sie aber weit weg von den 6.000 Euro, die ihnen das Volk zudenkt.

Mit fast 9.000 Euro netto verdienen eigentlich nur Primarärzte richtig gut. Es gibt zwar nicht einmal 1000 von Ihnen, aber sie prägen das Bild des „reichen“ Arztes. Dass diese Primarärzte für 9 Milliarden Euro verantwortlich sind, sollte man nicht vergessen, wenn man über ihre Gehälter spricht. Nur wenn sie gut bezahlt werden, kann man erwarten, dass sie gute Arbeit leisten. Skurril ist daher die Tatsache, dass ihr Einkommen nicht aus ihrem eigentlichen Job kommt. Die Hälfte bis zwei Drittel des Einkommens bestehen aus Klassegeldern. Also eigentlich Geldern, die mit Ihrer Leitungsaufgabe nichts zu tun haben; ein eigenartiges „Honorierungssystem“.

In Summe werden in den Statistiken etwa 32000 Ärzte erfasst und haben ein Nettoeinkommen von 3.300 Euro pro Monat. Da es aber offiziell 38000 Ärzte gibt, fehlt uns eine Gruppe. Denn, rund 6000 Ärzte werden zwar in den Ärztelisten geführt, aber in keiner Einkommensstatistik erfasst. Diese Ärzte leben von Vertretungsjobs, Notfallarzttätigkeiten oder Ähnlichem. Was sie dort verdienen reicht wohl höchstens als Nebenverdienst.

Aber wie ist so eine Fehleinschätzung in der Bevölkerung zu erklären. Mit einem Vollzeitjob verdient man rund 1.400 Euro netto. Nicht eingerechnet ist der „Pfusch“. Nimmt man an, dass etwa ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung sein Einkommen verbessert, dann landet man bei einem Nettoeinkommen von 2.900 Euro. Ein Arzt, so würde ich das interpretieren, dürfte der Volksmeinung nach ruhig doppelt so viel verdienen, also 6.000 Euro. Alleine, es entspricht nicht der Realität.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Das ASVG – Indikator schlechter Gesundheitspolitik

Österreich hatte wirklich einmal visionäre Gesundheitspolitiker – schade nur, dass visionäre Gesundheitspolitik nichts mehr gilt, weil Politiker immer kürzer denken und bereits fünf Jahre nicht mehr überblicken wollen.

Wer kann sich noch erinnern, als 1956 ein Meilenstein in der Sozialpolitik gesetzt wurde – das allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG).

Klar waren damals schon manche österreichischen Kompromiss-Dummheiten dabei, als man etwa für alle möglichen, heute als „kleine Kassen“ bekannte, Interessensgruppen Ausnahmen verankerte. Aber im Großen und Ganzen war das ASVG hochmodern. Das Gesundheitssystem umfasste alles, von der Vorsorge bis zur Pflege, und für alles waren die Kassen verantwortlich. Es war dezentralisiert in politkunabhängige Gesundheitssprengel, die viel Autonomie besaßen. Die gesamte Finanzierung erfolgte aus einer Hand – der Hand der Kassen. Und es war nach dem Umlageprinzip (dem berühmten Generationenvertrag) ausschließlich beitragsfinanziert. Die Beiträge wurden, um tagespolitische Diskussionen zu vermeiden, von den Arbeitgebern und –nehmern (der berühmten Sozialpartnerschaft) selbstverantwortlich verwaltet (die noch berühmtere Selbstverwaltung).

Überall wurde diese Idee gerühmt und manche Länder haben sie sogar umgesetzt.

Es wäre nicht Österreich, wenn wir das ASVG nicht über Gemauschel und Gewurstel verwässert hätten. Weil wir die Lohnnebenkosten nicht steigen lassen wollten (und Machtkämpfe tobten), wurden mehr und mehr Bereiche aus dem ASVG ausgegliedert und Kompetenzen zersplittert. Zuerst wurde die Pflege den Gemeinden und Ländern übergeben, kurz darauf die Krankenhausfinanzierung (die Kassen zahlen nur mehr eine, von den tatsächlichen Kosten unabhängige, Pauschale), dann die Spitalsambulanzen (bis 1995 hatte jede Spitalsambulanz einen Kassenvertrag – jetzt wird pauschal bezahlt). Auch große Teile der Vorsorge und der Rehabilitation gehören heute nicht mehr den Kassen. Die Lohnnebenkosten sind trotzdem gestiegen – Politik ist wenigstens so gierig wie die Finanzwelt.

Am schlimmsten verwässert ist wohl die Kassen-Finanzierung. Eigentlich sollte diese ja über Beiträge erfolgen und ohne Steuern auskommen; nur so wäre es eine echte Selbstverwaltung. Das ist aber schon lange nicht mehr so. Welche Einnahmen die Kassen haben, weiß keiner mehr genau. Denn neben den Beiträgen erhalten sie heute aus Steuern einen „Hebesatz“, der die Arbeitgeberbeiträge der Pensionisten „simuliert“ (eine eigenartige Interpretation der Beitragsidee und des Generationenvertrages). Dann erhalten sie Einnahmen aus der Tabaksteuer, weiters noch die Selbstbehalte und Gebühren, und nicht zuletzt, die Rückerstattung der Mehrwertssteuer (MwSt) auf Medikamente.

Ach ja, die MwSt auf Medikamente! Da ist was Skurriles im Gange. Im Vorwahlchaos wurde diese von 20 auf 10 Prozent gesenkt. Nun muss man wissen, dass die Kassen bisher pauschal 70 Prozent der abgeführten MwSt zurückerhalten haben (also von den 20 Prozent wurden 14 zurückbezahlt). Da aber jetzt die Steuer auf 10 Prozent gesenkt wurde, müsste der Bund weniger zahlen. Das erkennend, haben die Kassen bereits deponiert, dass sie davon ausgehen, dass weiter in gleicher Höhe bezahlt wird. Die „Mehreinnahmen“ bleiben natürlich bei den Kassen. Eine neue, beitragsunabhängige, steuerfinanzierte Einnahmequelle taucht am Horizont auf.

Nach mehr als 60 Novellen ist das ASVG nicht mehr als ein Rumpf, der nur lebt, weil die Verflechtungen der Selbstverwaltung mit der Parteipolitik nicht mehr entwirrt werden können. Visionär ist das nicht mehr. Mal sehen, ob wieder ein Weltkrieg nötig ist, um eine große Reform zu machen!

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Monopolist müsste man sein – Teil 3

Wer mit wenig nicht auskommt, der kommt mit viel auch nicht aus! Eine uralte Weisheit, die man sich beim heutigen Kassensystem zu Herzen nehmen sollte – bevor man wieder das Füllhorn leert!

Warnung: Sanfte Gemüter sollten jetzt zu lesen aufhören – oder sich damit abfinden, dass Auswandern vielleicht eine Alternative ist.

In Österreich leben gerade einmal acht Millionen Menschen. Für diese wird „ein“ Gesundheitssystem organisiert. Wäre es ein privates, dann würden sich viele Versicherungen am Markt tummeln. Da es aber ein öffentliches und noch dazu ein Pflichtsystem ist (niemand kann sich seine Versicherung aussuchen – dies Entscheidung trifft man für ihn), sollte man denken, wäre eine deutlich geringere Zahl an Versicherungen, vielleicht auch nur eine – oder gar keine – nötig. Allein so ist es nicht. Hierzulande wird das Volk in mehr als 20 Krankenkassen und über 60 Krankenfürsorgeanstalten organisiert.

Jede Institution hat Chefs, die Obleute. Diesen zur Seite werden (bis zu 27!) Stellvertreter gestellt. Die Arbeit erledigen Direktoren und deren Stellvertreter. Wer glaubt, dass es sich bei dieser Führungsgilde um Fachleute handelt, irrt. Um in diese Kreise vorzudringen, ist Kompetenz unnötig, sehr wohl jedoch die richtige Abstammung. Wenn man in der WGKK was werden will, dann sollte (muss) man SPÖler und Drucker-Gewerkschafter sein, bei der OÖGKK dagegen Metaller, bei der Kasse der Beamten natürlich ÖVPler und GÖD, bei der Kasse der gewerblichen Wirtschaft vom Wirtschaftsbund und bei der der Bauern idealerweise seit Generationen Bauernbündler – alles Erbpachten. Dass da nicht gerade große Ehrlichkeit, sondern partei- und klientelpolitische Raison regiert, das sollte nicht verwundern. Ja, man sollte nicht einmal überrascht sein, dass das Wort Patient eine nur untergeordnete Rolle spielt.

Wer sich gefragt hat, warum die Prognosen der Kassen in den letzten Jahren immer falsch waren, dem sei erklärt, dass sie kein Planungsinstrument haben, das auf demographische oder medizinische Veränderungen eingehen könnte. Das einzige, was Kassen gern tun ist Verhandeln – Vorausdenken oder gar kunden- bzw. patientenorientiert Gestalten, das ist nicht das Ihre, sind sie doch alle primär Gewerkschafter. Kassen warten darauf, dass der Bund (möglichst viel) Geld gibt. Wie das dann verteilt wird, das verhandeln sie alleine mit den eigenen Unterorganisationen und den Ärztekammern.

Die Ärztekammern sind ebenfalls eigentlich Gewerkschaften und ebenfalls alles andere als demokratisch legitimiert. Man muss sich vorstellen, dass der derzeitige Präsident, bzw. dessen Fraktion, gerade einmal von 1500 Ärzten gewählt wurde und nun so tut, als ob er für alle Österreicher reden darf. Auch die Ärztekammern sind nicht daran interessiert, das Gesundheitssystem zu gestalten (in den letzten 15 Jahren wurde von ihnen kein einziger Reformvorschlag der Regierung befürwortet), sondern nur daran, über (möglichst viel) Geld zu verhandeln. Aber wer kann ihnen das auch verdenken.

Wen wundert es, dass mittlerweile jede Kasse eine eigene Klasse bildet und schon lange keine „Gleichheit“ mehr zwischen den Pflichtversicherten besteht. Was ein Niederösterreicher bekommt, das wird möglicherweise dem Wiener bereits verweigert. Wer Beamter ist, kriegt möglicherweise eine bessere Behandlung, weil seine Kasse für die gleiche Leistung mehr bezahlt als die OÖGKK.

Als Mediziner, Gesundheitsökonom und, viel wichtiger, als Demokrat bin ich dafür, dieses Kassenmonopol eher abzuschaffen, als immer weiter Geld hinein zu stecken. Darauf, meine ich, hätten die Menschen in diesem Land ein Recht.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Monopolist müsste man sein – Teil 2

Wenn man Dir gibt, dann nimm, wenn man Dir nimmt, dann schrei! Die konkreten Auswirkungen des Sittenbildes in unserem Gesundheitssystem.

Die Krankenkassen (KK) schreien, sie werden von der Politik ausgehungert. Einmal abgesehen, dass demokratisch legitimierte Politiker das tun dürften, ist diese Aussage falsch und volksverblendend.

Zwischen 2002 und 2006 hat man den KK zwar einiges aufgebürdet, doch dafür auch einen Haufen Geld gegeben.

Die Rezeptgebühr ist in diesem Zeitraum angehoben worden und hat zu 19 Prozent Mehreinnahme geführt (die Wirtschaft ist gerade um 7 Prozent gewachsen). Gebracht hat das 140 Mio. Euro. 2004 und 2005 wurden die Höchstbemessungsgrundlagen angehoben, was zu zusätzlichen 65 Mio. geführt hat. Ab 2004 wurden die Beiträge zwischen Arbeitern und Angestellten „harmonisiert“, ein Plus von 290 Mio. Die Anhebung der Unfallversicherung seit 2004 hat 300 Mio. gebracht, die zusätzlichen Einnahmen aus der Tabaksteuer seit 2002 ebenfalls 300 Mio. Die Beiträge für die Mitversicherten bei den Selbständigen fallen mit 60 Mio. gering aus, haben dafür die Klein- und Kleinstbetriebe richtig getroffen. Mit ein paar anderen Maßnahmen, wie der e-Card-Gebühr, haben die KK – neben den „normalen“ Erhöhungen durch steigende Löhne (unsere Beiträge sind ja Prozentsätze und nicht absolut) – zwischen 2002 und 2006 zusätzlich über 2 Mrd. Euro mehr gekriegt.

Demgegenüber hat man die KK zusätzlich belastet. Das Wichtigste ist wohl die Sache mit den Arbeitslosen und dem Kindergeld. Hier wurden Pauschalierungen vorgenommen. Gekostet hat das 400 Mio. Und dann die Sache mit dem Hebesatz. Da Pensionisten keinen Arbeitgeber haben, bezahlt der Bund aus Steuern einen fiktiven Arbeitgeberanteil, den sogenannten „Hebesatz“. Der wurde gesenkt. Die „Verluste“ daraus sind mit etwa 45 Mio. gering. Aber argumentiert wird ja mit ganz was anderem. Nämlich, dass die Beiträge nicht kostendeckend wären, und daher der Bund mehr zahlen soll. Komisch, man hört kaum, dass die Beiträge der „Reichen und Gesunden“ viel höher sind als die Kosten, die sie verursachen. Und schon gar keiner will deswegen deren Beiträge kürzen. Tja, wenn man Dir gibt, dann nimm, wenn man Dir nimmt, dann schrei! Nichtsdestotrotz, in Summe war die Mehrbelastung 1,3 Mrd. wert.

Wer rechnen kann, wird sich fragen, ob zusätzliche 700 Mio. in fünf Jahren wirklich Zeichen einer Aushungerung sind! Die 1,3 Mrd. waren nie für die KK gedacht, sondern sollten nur ihren „Cash-Flow“ aufblasen, damit sie liquid bleiben. Es war quasi geliehenes Geld. Die Zinsen, die hätten die KK behalten können – aber halt nicht das Geld. Jetzt die 1,3 Mrd. einzufordern ist echte Chuzpe.

Und wie schaut es mit ihren Leistungen aus? Haben die KK wenigstens mehr geleistet? – Nun, die Besuche in den Spitalsambulanzen sind um 30 Prozent auf 6,5 Mio. gestiegen, die Wahlärzte, die man ja zu einem nicht unbeträchtlichen Teil selbst bezahlen muss, haben um 50 Prozent auf über 11.000 zugenommen. Einmal ganz abgesehen von den echten Leistungskürzungen, nenne ich das versteckte Leistungseinschränkung!

Und nur um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Die Länder sind, wenn man von den wenigen vernünftigen wie Bugendland absieht, keinen Deut besser. Aber, und das ist wesentlich, fabrizieren sie demokratisch legitimierten Blödsinn, den das Volk theoretisch abstellen könnte. Die Kassen allerdings, die entziehen sich dieser Kontrolle – eben echte Monopolisten!

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Monopolist müsste man sein – Teil 1

Wenn man dir gibt, dann nimm. Wenn man Dir nimmt, dann schrei.

Kinz & Kunz (KK) betreiben ein Geschäft mit vielen Filialen und noch mehr Chefs. Hauptsächlich organisieren sie Dienstleistungen. Eigentlich ist es aber ein Versicherungsgeschäft, aber auch nicht richtig. Denn die Kunden – und das macht ihr Geschäft so anders – müssen bei ihnen einkaufen und im Vorhinein bezahlen. Sie haben seit jeher Privilegien, die man eher aus dem Mittelalter kennt und dort dem Adel vorbehalten waren.

Ihre Geschäfte sind in neun Brav & Lieb-Einkaufszentren (BL) eingemietet. Die Besitzer sind so etwas wie Aktionäre. Theoretisch handelt es sich um eine Publikumsgesellschaft mit 100% Streubesitz. Ein Aufsichtsrat und neun Vorstände (sehr skurril!) machen – sagen sie – alles zum Wohle der Aktionäre (die ja wegen dem Streubesitz oft gleichzeitig Kunden sind!). Aber wie bei allen selbstherrlichen Gesellschaften scheint es, dass auch hier der Wurm drinnen ist und die Aktionäre wurst sind.

Wie auch immer, die eingemieteten KK-Geschäfte sind seit Jahren finanziell marode. Nicht, dass die Kunden zu wenig bezahlen; nein, ganz im Gegenteil. Um die Geschäfte am Laufen zu halten, wurden sie trickreich immer kräftiger geschröpft. Am Schluss hat man von ihnen sogar Eintrittgelder verlangt, auch wenn sie gar nicht Einkaufen gingen! Jaja, Monopolist müsste man sein! Gleichzeitig haben KK immer mehr Leistungen gestrichen und die Kunden sich selbst überlassen. Wenn BL nicht begonnen hätten, Kunden zu übernehmen, dann hätte diese gar nichts erhalten – obwohl sie bezahlt haben.

Kurz, KK sind nicht in der Lage, ihre Geschäfte richtig zu führen. Das ist aber auch verständlich, sind doch alle Chefs und Chefstellvertreter – wie im Übrigen auch bei BL – keine Profis, sondern nach anderen Kriterien amtseingesetzt. Viele sind zudem mit Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern von BL verbandelt und verwandt – eine Geschichte, die auch an feudale Strukturen erinnert. Jedenfalls haben unergründlicherweise BL KK nie fallen lassen.

Trotz aller Finanztricks hat es trotzdem nicht gereicht. Der letzte Trick aber ist nach hinten losgegangen. Um, wie üblich, die Geldgeschenke vor dem Volke zu tarnen hat der BL-Aufsichtsrat (sic!) KK mit Aufgaben betraut, die eigentlich nicht ihre sind. Dafür erhalten sie im Vorhinein eine Menge Geld. Das muss man sich so vorstellen, also ob ein guter Vater bereits Anfang des Jahres Geld leiht, das man erst Ende des Jahres braucht, um sein Konto abzudecken. Dazwischen kann man mit dem Geld machen was man will und die Zinsen behalten – also ehrlich, das ist doch nett! Dass KK irgendwann einmal auf die Idee kämen, das geliehene Geld als das „eigene“ zu bezeichnen, daran hat niemand gedacht. Aber genau das passiert jetzt. Trotz aller Wohltaten kommen KK wieder nicht über die Runden. Und listig wie sie sind, versuchen sie das geliehene Geld schlicht als das eigene zu reklamieren – anderenfalls gehen sie in Konkurs, an dem nicht sie Schuld sind, sondern der, der das Geld geliehen hat!? – verkehrte Welt!

Über was hier gesprochen wird ist wohl klar – Die Einkaufszentren sind unser Gesundheitssystem, die BL die Bundesländer, die KK die Krankenkassen, der Aufsichtsrat das Parlament, die neun Vorstände die Landesregierungen und die Aktionäre alle Österreicher – die man für blöd verkauft. Jaja, Lebenskunst ist die Fähigkeit auf etwas Notwendiges zu verzichten, um sich etwas Unnötiges zu leisten – ebenfalls ein sehr aristokratischer Ansatz.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Outlaws der Gesundheitspolitik

Gesetzte sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, einfach zu ignorieren.

Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

Gehen wir zurück ins Jahr 2000. Das Jahr war in der Gesundheitspolitik besonders. Nach langen Verhandlungen haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet.

Bis dahin gab es den Österreichischen Krankenanstalten Plan (ÖKAP). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Die Zahl wurde einerseits wissenschaftlich errechnet, andererseits politisch verhandelt. Ziel war es, die stationäre Versorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, um die Wahrheit zu sagen, an den ÖKAP hat sich sowieso niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinah jedes einzelne Krankenhaus, hat trotzdem gemacht was es wollte – meist wider die Vernunft. Und wenn was nicht ÖKAP-konform war, dann hat man die Politik losgeschickt, um den ÖKAP umschreiben zu lassen. Einmal wurde der ÖKAP sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es das gar nicht gäbe – muss ja keiner wissen, dass man sich an die eigenen Pläne nicht hält.

Aber ab 2000 wird alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung ist eingeleitet worden: Die herkömmliche Planung wird durch eine gemeinsame, einheitliche, auf der bedarfsorientierten Leistungsangebotsplanung basierende Rahmenplanung aller Teilbereiche abgelöst. Die Planung umfasst so die stationäre UND ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar ein bisschen die Pflege. Sie plant auch nicht mehr Betten, sondern soll vom Patienten ausgehend jene Leistungen planen, die man braucht, um eine gute Versorgung zu erreichen. Die Leistungen selbst dürfen nur erbracht werden, wenn man dafür auch bestimmte Qualitätskriterien erfüllen kann. Somit soll die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen.

Unzählige Arbeitgruppen haben getagt und Projekte wurden gestartet. In einem fünfjährigen Prozess, der so zwei, drei Millionen Euro gekostet haben dürfte, wurde der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) entwickelt. In der Endphase – so ab Mitte 2005 – jagt eine Sitzung die andere. Die Politik – obwohl in den gesamten Prozess eingebunden – hat am Ende noch jede Menge Änderungswünsche parat und oft auch wider jede Vernunft durchgesetzt. Wie auch immer, mit großem Pomp wurde die Gesundheitsreform 2005 beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, das der ÖSG geltendes Recht ist.

Heute, 2008, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und sieh da, kaum etwas. Obwohl Gesetz, ist die Planung der Teilbereiche nicht aufeinander abgestimmt; Länder machen weiter die Krankenhäuser, die Kassen die niedergelassenen Ärzte, der Hauptverband die Rehabilitation und die Pflege – naja, darüber ein Wort zu verlieren ist unnötig. Qualitätskriterien, ebenfalls Gesetz, werden nicht eingehalten. Oder kennen Sie Krankenhäuser bzw. Abteilungen, die, weil sie die zur Aufrechterhaltung der Qualität nötigen Fallzahlen – z.B. bei Geburten – nicht erreichten, geschlossen wurden?

So endet wieder ein Kapitel. Und wir harren dem nächsten Gesundheitsreform-Gesetz, das auch wieder nicht umgesetzt wird – Gesetze gelten halt nur für Parksünder.

Dieser Artikel wurde im September 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Das Geld der anderen

Wer aus dem zehnten Stock springt, der kann, solange er fliegt, behaupten: „Ist ja eh nichts passiert! Und weil eh nichts passiert ist, wird auch nichts passieren!“ Eine irreale Posse.

Wer zum Bankomaten geht weiß, dass er nur abheben kann, was auf dem Konto ist. Am Konto wird nur das sein, was eingezahlt wurde. Anders verhält es sich mit den magischen Bankomaten der Länder, die werfen immer Geld aus – und zwar Bundesgelder. Glücklicherweise hat auch der Bund einen Zauber-Bankomaten. Woher dieser das Geld nimmt, das weiß man nicht genau! Aus Steuereinnahmen, der inflationstreibenden und enteignenden Notenpresse oder doch den ungeborenen Enkelkindern?

Verfolgt man die Medien, dann häufen sich wieder die Rufe der Krankenkassen nach neuem Geld – eigentlich beschämend. Wie die Niederösterreichsche Krankenkasse (NÖGKK) mitteilt, rechnet sie 2008 mit Mehr-Einnahmen von 7,1 Prozent. Erstaunlich viel, wenn man bedenkt, wie wenig die Realeinkommen in diesem Jahr gewachsen sind. Eine Netto-Gehaltserhöhung von 7,1 Prozent wäre für die meisten wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Man würde darüber nachdenken, ob man in Neues investieren oder einen Notgroschen anlegen soll. Die NÖGKK – wie fast alle anderen Kassen – macht aber Miese! Warum? Ach ja, die demographische Entwicklung. Komisch, das die erst jetzt auffällt.

Demographische Prognosen zählen zu den stabilsten. Sie sind fast so stabil wie Naturgesetze. Das das alles jetzt passiert, ist daher nur für Nicht-Eingeweihte überraschend. Die Pleite der Kassen wurde bereits in den 1980ern vorausgesagt – und zwar für die Jahre nach 2005. Es war allen Experten klar, dass das System baden gehen wird. Mit der heutigen Situation hätte man also bereits seit zwanzig Jahren rechnen und daher darauf reagieren können – wenn man vorausgedacht oder wenigstens zugehört hätte.

Der kluge Beobachter wird sich fragen: „Warum leiden eigentlich die anderen Finanziers des Gesundheitswesens nicht an denselben Problemen?“ Nun, sie tun es, aber: Ist die Finanzierung des Kassensystems schon ein riesenhaftes Lügengerüst, ist es verglichen mit den anderen richtig ehrlich. Schon 1969 hat die WHO gemeint, dass zur Herstellung einer Kostenwahrheit Globaldefizitdeckungen kein geeignetes Mittel sind. Macht nichts. Wir machen es trotzdem noch immer. Die Länder zahlen aus politischem Kalkül Unsummen an Steuergeldern für die Erhaltung jedes auch noch so unwichtigen Krankenhauses, die Pensionsversicherung – hauptverantwortlich für die Rehabilitation und Eigner der meisten Kur- und Rehabilitationszentren – ruht sich auf der Defizitdeckung durch den Bund aus, und wenn irgendwo Schulden in öffentlichen Pflegeheimen auftreten, dann sind Landesgelder – und wie man hört bald auch Bundesgelder – dazu da, sie aufzufangen. Alle haben bereits ihren Zauber-Bankomaten als unversiegbare Geldquelle. Die einzigen, die noch keinen haben, sind die Kassen. Und die wollen diese Ungerechtigkeit beseitigt sehen. Aber natürlich ohne die Selbstverwaltung – also jene demokratisch kaum legitimierte Macht der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter mit deutlichem Gewicht auf den Arbeitnehmern – aufzugeben.

Und so kann man gespannt sein, wie die Politik die kranken Kassen retten wird. Der erste Schritt wird einmal die „Entschuldung“ sein – also ein Steuergeschenk, dass wir, die Bürger, bezahlen „dürfen“. Und das nächste? Wer weiß das schon. Am Ende kann man doch die Selbstbehalte erhöhen – egal ob das für Politiker vor den Wahlen in Frage kommt oder nicht. So ein ewig sprudelnder Selbstbehalts-Wunder-Bankomat, den kann doch keiner verwehren!

Dieser Artikel wurde im August 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Und nächsten Samstag Brahms

„Das Spital ist Österreichs liebster Zweitwohnsitz“; ein Zitat, das, weil drei von zehn Österreichern einmal pro Jahr im Spital liegen, zwar richtig ist, aber wohl nie als Programm gedacht war.

„Das war die Prager Sinfonie von Mozart. Danke, dass Sie bei unserer Samstagsmatinee waren – nächstes Mal gibt es Brahms – Schauen Sie noch bei unserer Vorsorgeabteilung vorbei – Eine Coloskopie ist immer einen Besuch wert!“ „Dieser Peter Rapp ist schon ein toller Moderator“, denkt sich Herr S., der noch immer ganz begeistert ist von der Akustik der neu errichteten großen Aula des Krankenhauses Zwettl. Es ist jetzt gerade 12:30 und er kann noch schnell seine Enkelin von der krankenhauseigenen Kinderbetreuung zur Vorstellung des Kindertheaters bringen – ebenfalls ein Angebot des Krankenhauses – bevor er seine Coloskopie kriegt. „Diese neuen Krankenhäuser sind schon spitze“ denkt er bei sich, “ich freue mich schon auf nächste Woche, da lass ich mir die Galle rausnehmen“.

So oder so ähnlich soll demnächst in Niederösterreichs Spitälern um Patienten gebuhlt werden. Man könnte fast meinen, es gäbe zu wenige Krankenhausaufenthalte und man müsste die Spitäler für die Niederösterreicher durch das Schaffen eines „normalen Lebensortes“ attraktiver gestallten; weil sonst Patienten gar zum niedergelassenen Arzt gehen und nicht – wie erwünscht – wegen jeder Kleinigkeit gleich in Spital.

Mit dem Konzept „Wohnen im Spital“, das bis 2016 jährlich mehr als 200 Mio. Euro an Investitionen verschlingen soll, beschreitet Niederösterreich einen absolut innovativen Weg. Zwar gibt es für so ein Vorgehen keine Erkenntnisse der Versorgungsforschung – eher im Gegenteil; geht man doch davon aus, dass man Spitalsaufenthalte so selten und kurz wie möglich halten soll, weil Krankenhäuser als Infektionsquelle bekannt sind, und man daher mit Recht sagen kann, Krankenhäuser machen (auch) krank. Aber solche Gedanken dürften nicht ins Gewicht fallen. Auch bekannt ist, dass das alles wahnsinnig viel kostet. Viel mehr als beispielsweise – wenn man internationaler Literatur folgt – die ambulante Behandlung, die, bei gleichem Ergebnis, um 50 bis 60 Prozent günstiger kommt. Aber was bedeutet schon Geld! Es sind doch nur Steuern, die man, um sie auszugeben, ja nur vorher der Bevölkerung abpressen muss. Und wenn es um Gesundheit geht, dann kann Geld doch keine Rolle spielen.

Die echte Innovation dürfte darin liegen, dass es das erste Mal in der langen, frustrierenden gesundheitspolitischen Debatte ist, dass ein Bundesland die Konsequenzen zieht und die niemals ernsthaft verfolgte Idee „ambulant vor stationär“ endgültig ad acta legt. Man muss wissen, dass wir uns seit den 1990er vom internationalen Trend, die stationären Spitalsaufnahmen zu reduzieren, abgekoppelt haben. Heute gibt es hierzulande um 70 Prozent mehr Aufnahmen als im EU-Schnitt. Selbst gegenüber dem zweitplazierten Deutschland liegen wir noch 40 Prozent höher. Und der Trend hält an. Da muss man schon den Schluss ziehen, dass der immer wieder geäußerte politische Wunsch weniger im Spital und mehr bei den niedergelassenen Ärzten zu behandeln, eher nur ein Lippenbekenntnis war.

Umso erfrischender jetzt das neue Konzept. Denn, wenn das Krankenhaus schon des Österreichers liebster Zweitwohnsitz ist, dann ist es politisch nur korrekt, diesen auch so wohnlich wie möglich zu machen. Was das allerdings für die wirkliche und nicht nur behauptete Versorgungsqualität heißt und wie es die Steuern belasten wird, das interessiert nur Kleingeister und Gesundheitsphilosophen, die, Gott sei dank, in Österreich nicht das Sagen haben.

Dieser Artikel wurde im August 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.