Löbliche Abteilung

Mit den Sparvorhaben der Krankenkassen soll es ernst werden. Und mit „bedarfsorientierten Kassenverträgen“ hört man wirklich Neues(?)!

Wenn ein Arzt etwas von einer Spitalsabteilung will, dann ist es Etikette, diese auf dem Überweisungsschein mit „löbliche Abteilung“ anzusprechen. Was man dann will, das ist oft kryptisch. Allzu oft steht nach formvollendeter Anrede nur: „Fachärztliche Abklärung erbeten“. Welches Fach gemeint ist, oder welches Problem abgeklärt werden soll, das kann sich der Spitalsarzt aus den Fingern saugen. In der Regel wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und zu welchem Ergebnis sie geführt haben und nur selten wird eine konkrete Frage gestellt.

Diese Seltsamkeit – auch bekannt als Schnittstellenproblem – hat zwei Ursachen: (1) es gibt keinen einheitlichen Katalog für ambulante Leistungen (es gibt 14 Kassen-Honorarkataloge und in den Spitalsambulanzen gar nichts) und (2) fehlt jegliche Abstimmung zwischen Kassenbereich und Ambulanzen. Damit fehlt eine gemeinsame Grundlage, ja selbst eine gemeinsame Sprache ist unmöglich.

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt, die Anzahl der Patientenkontakte bei Kassenärzten mit der der Ambulanzbesuche und stationären Aufnahmen zu vergleichen. Definitiv in Verbindung stehen Ambulanzbesuche und stationäre Aufnahmen. Das heißt, dort, wo Patienten oft in eine Ambulanz gehen, dort werden diese auch oft aufgenommen – ein Effekt des Finanzierungssystems, das ambulante Leistungen schlecht und stationäre gut bezahlt. Überhaupt keine Übereinstimmung findet man aber zwischen Kassenarztkontakten und Ambulanzbesuchen. Anders ausgedrückt, die beiden Welten „Kassensystem“ und „Spitalssystem“ haben statistisch betrachtet nichts mehr miteinander zu tun.

Welche Auswirkung dieses seit 1995 (damals haben sich die Kassen aus den Ambulanzen zurückgezogen und sich selbst überlassen) bestehende Nebeneinander hat, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Die Zahl der Ambulanzpatienten ist von 4,5 auf 7,5 Millionen gestiegen. Die Kosten haben sich verdoppelt und liegen bei 1,4 Mrd. Euro. Die stationären Patienten sind von knapp 2 auf über 3 Millionen gestiegen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, es gab – verstärkt durch das Kassenhonorarsystem – eine massive Verlagerung in die Spitäler, die ein Vielfaches einer wohnortnahen Behandlung durch niedergelassene Ärzte kosten – aber diese Kosten gehören eben wem anderen: den Steuerzahlern (vertreten durch Landesfürsten).

Wenn also künftig Kassenverträge nicht automatisch nachbesetzt werden, sondern nur nach Bedarf, sofern Leistungen nicht auch von Spitälern oder Ambulanzen erbracht werden können, dann bin ich gespannt, wie dieser Bedarf bei fehlenden Leistungskatalogen und -abgrenzungen (Wer soll was wann wo machen) ermittelt werden soll. Denken wir praktisch. Reicht die Nähe eines Spitals aus, dass es keinen niedergelassenen Arzt mehr geben muss? Wird so jede Stadt mit Spital frei von Kassenärzten? Wenn noch mehr in Spitäler verlagert wird, was wird uns Steuerzahler dann die Einsparung der Kassen kosten?

Sehen wir es positiv. Der Ansatz der am Patientenbedarf orientierten Planung ist goldrichtig (aber nicht neu – denn schon seit 1958 Gesetz!). Politiker haben zwar hierzulande keine Ahnung, wie man so was macht und noch nicht einmal geeignete Daten, um so was abzuschätzen, aber so nach 50 bis 100 Jahren, werden sie schon draufkommen, wie es geht – mittels „try and error“, dem wohl gängigsten und teuersten Steuerungsinstrument des hiesigen Gesundheitssystems.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Arzt aus Leidenschaft ist immer in Ihrer Nähe

Was ein Chorsänger und eine Pensionistin in den nächsten Wochen gemein haben? Sie sollen der Ärztekammer helfen, beliebt zu werden!

Jetzt, wo die EU-Wahl hinter uns liegt, und die freundlich lächelnden Papp-Spitalsärzte der Wiener Ärztekammer im Plakatdschungel wohl nicht ganz zur Wirkung kamen, werden sie uns sicher auffallen, die neuen Plakate der Österreichischen Ärztekammer.

Im Juni sollen an rund 1.100 öffentliche Stellen Straßenplakate stehen, auf denen einem Chorsänger der Hals von einer adretten Blondine untersucht wird – während er singt, versteht sich.

Die Plakate, so verspricht sich die Kammer, werden insgesamt etwa 19 Millionen Kontakte in der Zielgruppe 18 Jahre und älter erzielen. Nicht nur Plakate solle es geben, auch Radio-Werbung. Zwei Hörfunk-Spots sollen insgesamt 147 Mal ausgestrahlt werden. Die Hörfunkspots und die Straßenplakate haben zusammen eine Reichweite von über 90 Prozent. Das heißt: „Jeder Bürger oder jede Bürgerin kommt mit den Botschaften unserer Werbung öfter in Kontakt.“ Und was ist die Botschaft? Ein Arzt aus Leidenschaft ist immer in Ihrer Nähe.

Wer so viel Geld in Imagekampagnen investiert, der hat dafür seine Gründe.

Nun, wenn man einmal absieht, dass diese Kampagnen nicht wirklich das Image der Ärzte verbessern kann (Die Kammer selbst zitiert aus Studien, wonach die Ärzte weiterhin Traumwerte erzielen und solange die Informationsasymmetrie zwischen dem hilfesuchenden Patienten und dem studierten Arzt existiert, wird sich daran kaum was ändern), muss was anderes dahinter stehen.

Vielleicht hat die Kammer ja einfach zuviel Geld, das sie teuren PR-Agenturen geben will. Natürlich könnte auch ein interner Machtkampf dahinter stehen. Schließlich zerreisst es die Kammer, weil sie die Grätsche zwischen den angestellten Ärzten, den niedergelassenen Kassenärzten und den Wahlärzten kaum mehr auf die Reihe bringt. Dieser Konflikt wird früher oder später zu einer Trennung der Bereiche führen müssen – oder die Kammer in die Bedeutungslosigkeit verbannen.

Aber ich persönlich tippe auf etwas viel Simpleres. Der 30. Juni steht vor der Tür, und dann wird man Reformvorschläge durch den Hauptverband vorfinden. Bei einigen wird man mitkönnen, bei anderen – insbesondere wenn es um Verträge und Honorar geht – wird man eine starke Verhandlungsposition brauchen. Und die gilt es vorzubereiten.

Beim letzten Mal hat das mit dem Streik ja noch geklappt, aber die Bevölkerung war da schon skeptisch. Zudem gibt es aus Deutschland ganz andere Signale. Dort ist die Regierung in ihren Reformschritten sehr viel unbarmherziger und lässt sich auch von Massendemonstrationen und Streiks nicht abbringen. Und um hiesige Politiker gleich weich zu kochen, wird ihnen daher mitgeteilt, dass alle Österreicher von dieser Kampagne gleich öfter erfahren werden! Also aufpassen, liebe Politiker!

Daher wird es wohl nur darum gehen, sich mit sehr viel Geld für Streikmaßnahmen zu rüsten. Wohlgemerkt stammt das Geld aus Pflichtbeiträgen aller Ärzte, also der angestellten genau so, wie von den etwa 10.000 armen Schluckern, die zwar niedergelassene Ärzte sind, aber keinen Kassenvertrag haben. Aber wie der Text der Pressekonferenz zu dieser Kampagne verrät, geht es eigentlich nur um Kassenärzte.

Aber was soll’s. Ich finde die Plakate drollig. Besonders das Plakat, das in den Ordinationen aufgehängt werden soll. Da überprüft ein junger adretter Arzt einer alten Dame den Kniereflex – während diese mit ihrer ebenfalls betagten Freundin Tauben im Park füttert.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Geschlossene Gesellschaft

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – wenn zwei sich einigen, bezahlt das der Dritte. Aber wer ist das wohl – unsere Kinder oder doch wir?

Es ist wie eh und je, was abläuft bleibt den öffentlichen Ohren verwehrt. Das Volk soll nicht zu viel mitkriegen! Schließlich wissen jene, die da verhandeln, am besten, was uns gut tut. Und so dringt nicht viel von dem nach außen, was Ende Juni unser Gesundheitssystem retten soll.

Was ist bekannt?

Da wäre einmal der Auftrag an den Hauptverband. Dieser soll zwei Dinge erledigen: Zuerst soll er innerhalb von sechs Monaten ein, mit allen abgestimmtes, Konzept zur mittelfristigen Sanierung der Krankenkassen vorlegen. Wer das Schauspiel länger kennt, der weiß, dass alleine die Festlegung, wer zu „allen“ gehört, kein leichtes Spiel ist (nur Ärztekammern und Kassen, oder auch die Wirtschaftskammer? Sind die Länder dabei? Was ist mit der Pharmaindustrie? etc). Aber selbst wenn das gelänge, dann ist es unmöglich, all diese Interessensgruppen in so kurzer Zeit zu einem Beschluss zu bringen. Also wird es wohl wieder nur eine geschlossene Gesellschaft sein, die da was ausmauschelt – die anderen bleiben draußen.

Der zweite Teil der Aufgabe ist noch unmöglicher. Der Hauptverband soll die Finanzierung aus einer Hand – oder wie es neuerdings heißt „aus einem Topf“ – vorbereiten, bei Beibehaltung der Verhandlungshoheit der einzelnen Krankenkassen. Alleine darüber nachdenken macht einen Knopf im Kopf.

Was weiß man noch?

Da gibt es eine ganze Menge Arbeitsgruppen; die meisten und offiziellen im Hauptverband, aber auch jede andere Gruppe, ob in Verhandlungen eingebunden oder nicht, hat solche inoffiziell eingerichtet – die Ärzte, die Pharmaindustrie, die Länder, die einzelnen Kassen, das Ministerium, die Parteien etc. Wer da was arbeitet, weiß man nicht – man kann aber vermuten, dass sich alle sicherheitshalber aufrüsten – für den Tag danach, also den 1. Juli.

Ach, und dann gibt es bereits erste Aussagen. Die Ärzte meinten vor zwei Wochen noch, dass es unmöglich ist, in so kurzer Zeit ein Konzept vorzulegen. Letzte Woche dann der Schwenk, jetzt soll doch was Gescheites rauskommen. Was mag passiert sein?

Der Minister hat ausrichten lassen, dass er keinesfalls eine Fristverlängerung zulassen will. Weiß er bereits mehr?

Und jetzt wage ich eine Prognose!

Im Konzept wird stehen, dass die Steuerzahler zu ihrem eigenen Wohl mehr in die Kassen zahlen „dürfen“, natürlich ohne demokratisches Mitspracherecht. Argumentiert wird das mit den kassenfremden Leistungen. Die Selbstverwaltung bleibt in ihrer derzeitigen Form, mit allen Kassen und ihren Verhandlungshoheiten bestehen, der Hauptverband dient dazu, die zusätzlichen Steuergelder nach irgendeinem abstrusen Schlüssel zu verteilen. Damit werden die Kassen erhalten und der Hauptverband hat seinen „Topf“.

Die Ärzte werden ruhig gestellt, weil durch die Kassen-Entschuldung und den damit wegfallenden Zinszahlungen (die meisten Schulden haben die Kassen bei den Steuerzahlern, die also nicht nur die Schulden bezahlen, sondern gleichzeitig auch auf Zinsen verzichten werden müssen), Spielraum für Honorarsteigerungen sein wird.

Die Länder, nachdem ihnen erlaubt wurde, deftige Schulden aufzubauen, um ihre Lieblingsspielwiese – die Spitäler – weiter zu kultivieren, haben ohnehin bereits klargemacht, dass sie vor 2013 keinen Reformbedarf sehen.

Und damit sind alle glücklich. Nur für die, die nicht dabei sind, was die geschlossene Gesellschaft beschließt, wird das Ergebnis vermutlich die Hölle – seien es wir Steuerzahler oder unsere Kinder.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Typisches Schauspiel um eine Abteilungsschließung

Vom Rest Österreichs weitgehend unbemerkt, versucht man in der Steiermark, eine Chirurgiereform durchzuziehen, die beispielhaft sein könnte.

Die schlechte Auslastung der kleinen Chirurgien (die meisten davon sind kaum zur Hälfte ausgelastet, obwohl man mittlerweile jeden noch so kleinen Eingriff, der sonst überall ambulant durchgeführt wird, stationär aufnimmt) und die Befürchtung, dass sowohl die Ergebnis- als auch die Aus- und Fortbildungsqualität nicht mehr dem Stand des Wissens entspricht, hat die Steirer dazu bewogen, sehr kleine Chirurgien aus der stationären Versorgung zu nehmen. Was jedenfalls vorort bleiben soll, ist eine ambulante chirurgische Versorgung durch in einem nächstgelegenen größeren Spital angestellte Ärzte. Vom Versorgungsstandpunkt aus ist so ein abgestuftes Modell goldrichtig – aber für manche Politiker offenbar ein Armageddon.

Eines der betroffenen Spitäler steht in Bad Aussee, dessen Chirurgie seit Jahrzehnten als Schließungskandidat diskutiert wird. Das Spital liegt 27 Kilometer und eine Landesgrenzen von Bad Ischl entfernt und ist daher eigentlich nicht als Randlage zu betrachten – außer, man macht die Landesgrenze „dicht“, dann ist das nächste Spital 55 Kilometer entfernt; und für österreichische Verhältnisse – wohlgemerkt nur hier zulande – ist die Entfernung dann „extrem“.

Beeindruckend der Stil der Diskussion: Die Chirurgie Bad Aussee ist DAS Herzensanliegen der Bevölkerung, sie stellt die Seele der Region dar. Atemberaubend! Es ist ja nicht so, dass man den Grundlsee trockenlegen oder die Wälder zubetonieren will. Dass man in so einem Fall davon sprechen könnte, man reißt der Region das Herz und die Seele heraus, wäre verständlich; aber die Chirurgie?

Um ein bisschen mehr Sachlichkeit und weniger Polemik in die Diskussion zu bringen, hat die Landesregierung eine Enquete veranstaltet. Dazu wurden Experten geladen, die ihre Meinungen abgaben. Aus wissenschaftlicher Sicht war nichts Neues zu hören. Mindestfallzahlen – deren Nicht-Erreichung eines der wichtigsten Argumente für die Schließung ist – seien zwar kein Garant für gute Qualität, aber es gibt doch deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität. Jedenfalls muss man Prozessqualität mitberücksichtigen. Und der deutsche Experte stürmte vor und sagte, dass, seit Ergebnisqualitätsparameter (Komplikationen und Sterblichkeitsraten) pro Spital publiziert werden, ein Qualitätssprung gemacht worden ist, der die Mengen-Relationen stark verwässert hat. Auch kleine Spitäler können gute Qualität liefern.

Gut, so kleine Spitäler wie Bad Aussee ist (74 Betten!) sind in Deutschland eine Seltenheit. Aber man darf es glauben. Größe alleine ist nicht ausschlaggebend, öffentliche Ergebnisqualitätsparameter schon. Aber nachdem in Österreich kaum Prozessdefinitionen bestehen und man das Wort Ergebnisqualität im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung nicht einmal denken darf, bleibt der Politik halt nur, sich auf Strukturqualität und damit auch auf Mindestfallzahlen zu stützen – leider!

Wie dem auch sei, die Reaktion der Politik auf diese Experten war schon merkwürdig. Jeder hat nur das gehört, was er hören wollte. Besonders beeindruckend die ÖVP, die sich in einer brachialoppositionellen Rolle gut gefallen hat. Sachlich war da nichts mehr.

Es gilt zu hoffen, dass auch Österreich beginnt, Ergebnisqualitätsparameter öffentlich zugänglich zu machen, statt sich in peinlicher Parteipolitik zu ergehen und die Stimmungslage der Bevölkerung so dermaßen zu missbrauchen, um Angst zu verbreiten.

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Kritik der praktischen Medizin – ein Teufelskreis

Die Fehler im ambulanten Versorgungssystem sind mittlerweile Kulturgut geworden. Und Kulturen kann man nicht schnell ändern – wenn überhaupt.

Da sitze ich mit einem Freund, technischer Physiker und einer jener Menschen, die ich als Genie bezeichnen würde, im Gastgarten, unsere Kinder spielen im Sand und wir reden – was sonst – über das Gesundheitssystem. Und ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, jedenfalls stellt er fest, er braucht keinen Hausarzt, weil er am besten Wisse, welchen Facharzt er benötigt. Und wenn er das ohnehin wisse, dann geht er doch lieber gleich in die Spitalsambulanz, da gibt es alles, was er braucht. Und gleich heißt gleich – Öffnungszeiten sind da unwichtig.

Es hat mich wieder richtig gerissen. Ist das die Einstellung der heutigen Patienten? Um Arzt zu werden, braucht es eine 10- bis 15-jährige Ausbildung, erst dann hat man das Recht, krank von gesund zu unterscheiden. Wie also kann ein „Laie“ so selbstsicher davon ausgehen, dass er es besser wisse? Wie kann es passiert sein, dass der Patient der Arzt-Patienten-Beziehung so wenig traut, dass er lieber in eine hochtechnisierte Ambulanz geht, als sich seinen Arzt zu suchen?

Aber andererseits ist es verständlich.

Es schaut so aus, als ob die Infrastrukturen im niedergelassenen Bereich ausgehöhlt wurde: In den Spitälern hat sich die Zahl der Ärzte in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Und bei den Kassenstellen für Hausärzte? Da hat sich eigentlich nichts getan. Zudem ist das Leistungsspektrum zurückgegangen. Hat ein Hausarzt früher noch kleine Wunden genäht, sogar Röntgenbilder gemacht, war er früher „regelmäßig“ bei den Familien zu Hause, wartet er zunehmend, nur mehr mit dem Stethoskop in den Ohren in seiner Ordination auf Patienten.

Wohlgemerkt war das nicht der Wunsch der praktischen Ärzte, denn in deren Reihen waren und sind immer wieder Idealisten, die versuchen, die Rolle des Hausarztes zu stärken. Es war das System, dass offenbar wenig für sie über hat. Interessanterweise hat die WHO bereits 1969 (!) festgehalten, dass es die steigende Tendenz gibt, Patienten in Spitäler einzuweisen, und dass diese Tendenz durch das Honorierungssystem (das die Ärztekammer mitzuverantworten hat!) gefördert wird. Aber außer unzählbaren politischen Lippenbekenntnissen hat sich wenig getan, und so wird der Hausarzt halt immer unwichtiger und in der Versorgung unwirksamer.

Wen wundert es, dass Patienten den Hausarzt nur mehr als „Überweiser“ und „Krankschreiber“ und nicht mehr als vertrauenswürdigen Diagnostiker und Therapeuten wahrnehmen? Warum sollte man einem Arzt vertrauen, der keine Zeit hat, bei dem man lange warten muss, der dann ohnehin nur überweist – und das oft in die Ambulanz? Mehr noch, durch den massiven Ausbau des Spitalssektors und einer maßlosen Schönwetterpolitik, werden mittlerweile vermutlich viele Patienten, selbst wenn sie vom Hausarzt richtig und ausreichend therapiert wurden, anschließend die Ambulanz aufsuchen, weil sie der Meinung sind, Spitzenmedizin gibt es nur dort.

Dass bei so einer Politik aber die Wohnortnähe verloren geht, ist offenbar unwichtig, ebenso, dass damit eine sinnlose und teure Überversorgung erzeugt und bald wegen jedem Schnupfen ein komplettes Labor angefordert wird.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wenn man Gesundheitspolitik mit Populismus paart. Alle erhalten alles, jederzeit, gratis, auf allerhöchstem Niveau ohne Eigenverantwortung und ohne Rücksicht auf Kosten. Ob man die ambulante Versorgung jemals wieder auf zukunftsträchtige Beine stellen kann? Ich weiß es nicht!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ernsthaft oder trickreich?

Der Hauptverband will bei den Spitälern mitreden; sehr vernünftig und sehr schwierig. Wird daraus eine Reform oder doch nur eine Geldbeschaffungsaktion?

Es ist 19:30, Freitag: Herr M. (54) betritt den Untersuchungsraum der Unfallambulanz des Spitals A. Als der Arzt fragt, wie lange denn das Fußgelenk weh tut, antwortet Herr M: „14 Tage, seit er mit Freunden Fußball gespielt hat – und das in seinem Alter! Kindisch! Aber lustig war’s schon“. „Ob er beim Hausarzt war“, will der Arzt wissen. „Nein, erstens müsse man da lange warten und dann hat es sich gerade gut getroffen, weil er in der Nähe einen Termin hatte und die Schmerzen schnell einmal abklären lassen wolle“. Eine halbe Stunde später geht der Patient mit einem Röntgen und einer Heparinsalbe gegen seine Verstauchung nach Hause.

Was hat so ein Patient in einer Unfallambulanz zu suchen? Nichts! Aber warum ist er dort? Weil das System der ambulanten Versorgung nicht richtig funktioniert!

Aus den Medien kann man entnehmen, dass der Hauptverband mehr Mitsprache in den Spitälern anstrebt, weil eine Sanierung der Kassen nur funktioniert, wenn man niedergelassene Ärzte und Spitäler als Teile EINES Systems denkt. Dieses Ansinnen ist absolut richtig. Aber wird ehrlich argumentiert?

Hauptargument ist, dass die Kassen viel in die Spitäler zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Zwar stimmt das, aber dieses Schicksal ist selbst gewählt. Vor vielen Jahren haben sich die Kassen freiwillig aus dem Spitalswesen zurückgezogen. Man hat vereinbart, dass sie nicht mehr an den realen Kostensteigerungen beteiligt sein sollen, sondern nur mehr einen fixen Prozentsatz ihrer Einnahmen abliefern.

Für die ambulante Versorgung hat das nichts weniger bedeutet, als dass sie 1995 in zwei separate Welten zerhackt wurde – die Spitalsambulanzen und die niedergelassenen Ärzte. Und um die Ambulanzen mussten sich die Kassen nun keine Sorgen mehr machen. Dass die 400 Millionen Euro, die sie dort einzahlen, heute nur mehr ein Drittel der Kosten decken, ist für sie unerheblich, und dass sich die Zahl der Patienten in den Spitalsambulanzen seither um 60 Prozent erhöht hat, nebensächlich! Wenn man solche Zahlen betrachtet, dann kann man sehen, dass das Argument, es werden immer mehr Leistungen aus dem Spital zu den niedergelassenen Ärzten verlagert, falsch ist. Genau genommen kam es zu einer massiven Verschiebung in die Spitäler.

Und weil die ambulante Versorgung vollkommen dezerebriert in zwei unabhängige Welten getrennt wurde, und weil weder Leistungen, noch Öffnungszeiten, noch sonst irgendetwas gegenseitig abgestimmt wurden, war es logisch, dass Doppelgleisigkeiten aufgebaut wurden. Schätzungen gehen davon aus, dass diese jährlich etwa 500 Millionen Euro kosten. Anders ausgedrückt wurden additive Leistungen, die niemandem helfen, provoziert, die gesamtwirtschaftlich betrachtet viel Geld verschlingen, auch wenn die Kassen betriebswirtschaftlich „scheinbar“ entlastet wurden.

Was ist also gemeint, wenn der Hauptverband mehr mitreden will?

Will er die Fehler der Vergangenheit ausmerzen? Will er jetzt EINEN Leistungskatalog mit einheitlichen Honoraren für Ärzte und Spitalsambulanzen einführen? Will er ein vernünftiges Bedarfsberechnungsmodell einrichten, um die Doppelgleisigkeiten zu reduzieren? Wem wird er das Geld dafür wegnehmen wollen? Den Spitalsambulanzen (und damit den Ländern) oder den niedergelassenen Fachärzten?

Soll es wirklich eine Reform geben oder ist es wieder nur ein Trick, Steuergeld in die Kassen zu spielen, die dann über Schulden der Länder im Staatsdefizit landen?

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gutgepflegte Realitätsverweigerung

In der ganzen westlichen Welt werden die Gesundheitssysteme reformiert, weil offenbar alle glauben, es ist wichtig – nur wir sind anderer Meinung.

Ruhig ist es geworden um die Gesundheitsreform. Viel hört man nicht und wissen tut man noch weniger. Soviel scheint sicher: Alle kriegen mehr Geld, die Länder behalten ihre Krankenhäuser und die Kassen werden allesamt erhalten bleiben.

1976 präsentierte die WHO das sogenannte Primärversorgungsmodell. Darin wurde festgehalten, dass die Versorgung so dezentral wie möglich (!) sein soll. Wohnortnähe wurde als Merkmal guter Qualität erkannt. Dabei wurde jedoch nicht an die wohnortnahe Nierentransplantation gedacht, sondern daran, dass dezentral möglichst alle Gesundheitsdienstleister – von Ärzten über Pflege, Hebammen zu Ernährungsberatern und Sozialarbeitern – koordiniert daran arbeiten sollten, Prävention, Rehabilitation, Pflege und Kuration, also das gesamte Spektrum der Gesundheitsversorgung möglichst nahe an die Bevölkerung heranzutragen.

Fast überall begann man diese Idee umzusetzen. Hausarztmodelle wurden etabliert und Gesundheitszentren errichtet, in denen interprofessionell gearbeitet wird. Alleinstehende Gesundheitsdienstleister wurden entweder abgeschafft oder dezentral vernetzt und die Systeme so ausgerichtet, die Bevölkerung entweder gesund zu halten oder so schnell wie möglich wieder gesund zu machen. In einigen Ländern ist das besser, in anderen schlechter gelungen. Aber nirgendwo wird mehr an der Richtigkeit der Idee gezweifelt.

Wir machen es bis heute anders, weil wir der festen Überzeugung sind, dass alleinstehende Arztpraxen, die sich auf die kurative Medizin konzentrieren, ein besserer Weg sind (die Pflege wurde sicherheitshalber 1978 aus dem Gesundheitssystem ausgegliedert!).

Längstens seit den 1980ern, als große Probleme mit multiresistenten Krankheitserregern auftraten, war klar, Spitäler sind ansteckend und machen krank. Um die Infektionsgefahr zu dämmen, begann man, weniger traumatische Operationstechniken zu entwickeln (Knopflochchirurgie!). Man begann die Aufenthaltsdauern zu reduzieren und setzte immer stärker auf ambulante oder tagesklinische Versorgung. In Holland hat man die Spitalshäufigkeit so weit reduziert, dass Patienten, wenn man sie schon aufnehmen muss, in Einzelzimmern liegen. Seit den 1990er Jahren kommt ein anderes Phänomen hinzu. Sehr alte Patienten werden durch einen Spitalsaufenthalt leicht aus der Bahn geworfen. Nach der Entlassung sind sie oft verwirrt und werden rasant zu Pflegefällen.

All das war Grund genug, dass europaweit die Spitalshäufigkeit in den letzen 15 Jahren trotz demographischer Veränderung entweder abgenommen oder sich wenigstens nicht erhöht hat.

Anders hierzulande; denn bei uns wird behauptet, Spitalsversorgung ist Spitzenmedizin. Und quasi als Zeichen der weltbesten Versorgung haben wir Europas höchste und weiter steigende Spitalshäufigkeit.

2008 hat die WHO den Staaten, die nach dem Untergang des Kommunismus ihre Systeme neu aufgestellt haben, eindrücklich gesagt: Je zersplitterter die Finanzierung ist, desto teurer und schlechter wird ein Gesundheitssystem funktionieren.

Was macht das schon aus, dass unser System als Paradebeispiel für Zersplitterung gilt. An zwei Dingen ist dennoch nicht zu rütteln: an der Macht der Länder und der Hoheit der Selbstverwaltung.

Die Selbstsicherheit, mit der behauptet wird, was in der Welt passiert gilt nicht für uns, ist frappant; keine Diskussion soll zweifeln lassen, dass wir die besten sind – und dass die anderen Reformen durchführen, beweist das doch nur!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Als ob es kein Morgen gäbe oder nach uns die Sintflut

Uff! Ich dachte schon, es müsste wirklich Reformen geben, jetzt wo das Geld auszugehen drohte! Gott sei Dank haben wir noch ein paar Milliarden gefunden.

Jetzt ist sie also aus dem Sack, die Katze. Statt Reformen gibt es wie üblich mehr Geld – und das überreichlich.

Den Ländern geht es am besten! Zwar gibt es seit 40 Jahren keinen ernstzunehmenden Experten, der nicht erzählt, dass das Spitalswesen reformiert gehört, aber was sind schon 40 Jahre. Jetzt, weil eben die Spitäler nicht mehr finanzierbar schienen, hat man tatsächlich hoffen dürfen. Immerhin liegen 30 von 100 Österreichern einmal im Jahr im Spital. Die Deutschen – auch nicht schlecht, was die Spitalshäufigkeit angeht – schaffen 20, in der EU liegt der Wert bei 17. Und ein Spitalsaufenthalt kostet im Schnitt 3.000 Euro! Da könnte man doch meinen, dass Vernunft statt Populismus am Zug ist. Falsch gedacht!

Nur um nichts ändern zu müssen, hat man den Ländern schlicht „erlaubt“, Defizite zu schreiben. Und wir sprechen hier nicht von Peanuts. Statt 1,4 Mrd. Euro ins Budget einzuzahlen, machen sie jetzt 1,4 Mrd. Schulden. So erhöht sich der „Spielraum“ der Länder für Weihnachtsmannpolitik auf jährlich fast 3 Mrd. Euro (40 Mrd. Schilling). Da kann man dann Spitäler betreiben, ob man sie braucht oder nicht!

Und auch bei den Krankenkassen hat man sich nicht lumpen lassen. Pro Jahr gibt es mindestens zusätzliche 250 Steuer-Millionen. Also, wenn man nicht will, braucht sich gar nichts ändern! Hier scheint noch nicht alles verloren, denn der jetzige Hauptverbandschef Dr. Schelling spricht Probleme offen an und möchte was ändern. Man nimmt ihm ab, dass er nicht daran glaubt, dass man das System auf Pump aufrecht halten kann. Doch glaubt das ein anderer politischer Entscheidungsträger außer ihm auch?

Lustig ist das Argument, dass es bereits früher eine so hohe NEUverschuldung gab. Ja, die gab es; aber erstens hatte man damals in den 1970er Jahren keine ALTschulden und zweitens hat man das Geld in Infrastruktur gesteckt. Heute ist das anders. Wir sitzen noch immer auf dem Berg an Schulden, den uns die damalige Politik hinterlassen hat, und wir stecken neue Schulden in Pensionen und Krankenversorgung. Also in Bereiche, die sich nie refinanzieren können, schon gar nicht bei der demographischen Entwicklung. Und während die Häuslbauer der 70er Jahre Werte geschaffen haben, die auch auf dem Markt bestehen, ist der Wert neugebauter bzw. modernisierter Spitäler, die niemand braucht, fraglich.

Aber vielleicht irre ich mich ja. Die sozialistisch-kommunistische Doktrin, die man tot glaubte, betrachtet Geld als marktunabhängiges, gesellschaftspolitisches Instrument. Zwar glauben nobelpreisgekrönte Wirtschaftsphilosophen, dass Geld etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun hat, man zwar das Angebot, aber nicht die Nachfrage planen kann, und dass man Schulden zurückzahlen muss; aber vielleicht liegen die ja falsch. Bei einer Staatsausgabenquote jenseits der 50 Prozent und branchenorientierten Konjunkturpaketen auf Pump, ist offenbar die Nachfrage doch planbar. Und Geld hat nur den Wert, den die Politik zubilligt. Konsequenterweise sind Schulden nur solange „wertvoll“, solange die Politik das will. Naja, und in ein paar Jahren wird die wohl hergehen und sagen, wir sind schuldenfrei, einfach so!

Wer nicht will, dass dieses Pyramidenspiel der Schuldenpolitik zusammenstürzt, dem kann man nur zurufen: „Vota Communista“. Alte, Kranke und sozial Abhängige sollten aber in Deckung gehen, wenn sich das alles ein weiteres Mal als Fantasie herausstellt.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer Köpfe zählt, der hat keine Ahnung

Nein, es müsste keinen Ärztemangel geben, wenn irgendwo ein solcher vorkommt, dann hat das nicht mit der Zahl der Ärzte zu tun, sondern mit Zynismus.

Was für ein Bild soll ein junger Mensch haben, wenn er hört, dass wir in einen Ärztemangel hineinschlittern? Soll er Medizin studieren, weil da krisensichere Jobs winken?

Bleiben wird bei den Fakten.

Anfang 2005 gab es 38.500 Ärzte, 2009 sind es schon 43.000. Also sind pro Jahr netto 900 Ärzte dazugekommen. In der gleichen Zeit wurden etwa 7.000 Ärzte mit dem Studium fertig. Zieht man die obigen 900 ab, haben 500 Ärzte pro Jahr entweder das Land verlassen oder aber frei werdende Stellen erhalten. Keine Rede von Mangel.

Von den 43.000 arbeiten 13.000 in Spitälern, dazu kommen noch 7.000 Turnusärzte, die darauf hoffen, später einen fixen Platz zu erhalten. 10.000 Ärzte haben einen Kassenvertrag. Also arbeiten 30.000 Ärzte im öffentlichen System, dass wenigstens 95 Prozent der Österreicher versorgt. Wo, fragt man sich, arbeitet der Rest; denn 13.000 haben im öffentlichen System keinen fixen Platz. Diese Ärzte verdingen sich als Wahlärzte, Vertretungsärzte, sitzen auf Karenzstellen oder fahren Notarztdienste. Keiner dieser Jobs ist sicher.

Warum soll plötzlich ein Mangel auftreten?

Ach ja, es wird argumentiert, dass demnächst so viele Ärzte in Pension gehen. Natürlich, wenn man sich nur jene anschaut, die im System sind, kann man den Eindruck haben. Aber wer schaut sich die 13.000 Ärzte an, die eben nicht im System sind? Wie alt sind die? Aber selbst bei den „System-Ärzten“ ist keine Gefahr in Verzug. Das Durchschnittsalter dieser Ärzte hat sich in den vergangen fünf Jahren gerade einmal um neun Monate erhöht. Und eine seriöse Berechnung hat ergeben, dass bis 2025 etwa 750 Ärzte pro Jahr in Pension gehen werden. Bis 2011 werden aber pro Jahr 1.600 Studenten fertig. Dann erst werden die Absolventen sinken – auf mindestens 1.1150, von denen wenigstens 850 aus Österreich kommen. Also selbst dann ist kein Mangel zu sehen. Bis zu dem Zeitpunkt ist die Zahl derer, die im System nicht unterkommen auf geschätzte 16.000 angeschwollen. Wollen wir auf diese einfach verzichten?

Noch ein Aspekt sollte einbezogen werden. Es gibt – was nicht bedeutet, dass es gut ist, nur dass es geht! – Gesundheitssysteme, die für die Versorgung von acht Mio. Einwohnern mit weniger als 20.000 Ärzten auskommen. Was passiert, wenn das Geld knapper wird und wir uns aus Kostengründen dorthin entwickeln? Werden dann noch mehr Ärzte im „Nichts“ verschwinden?

Nichts desto trotz gibt es zunehmend Mangelerscheinungen. Es wird immer schwieriger gerade in der Peripherie Ärzte zu finden, die bereit sind, für wenig Geld viel zu arbeiten. Zudem ist der Anteil der Frauen unter den Ärzten unter 35 Jahren bereits fast 70 Prozent. Diesen Frauen machen wir im System kein Angebot, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Kann man solche Mangelerscheinungen mit noch mehr Uni-Absolventen lösen?

Natürlich nicht. Ob Absolventen, ausländische wie inländische, hier arbeiten wollen, hängt davon ab, welche Vision sie in Österreich haben. Und da scheitert das System furchtbar. Um diese Mängel zu beheben müssen wir über Anreizsysteme und Perspektiven reden – nicht über noch mehr Studenten.

PS: Bei der in Linz geforderten Universität dürfte es wohl eher darum gehen, für die Spitäler neue Geldquellen zu erschließen (bei Uni-Spitälern muss der Bund mitzahlen) und/oder den vielen unechten Professoren, die dort arbeiten, endlich die Chance zu geben, „Richtige“ zu werden. Um Patienten geht es meiner Meinung nicht.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

Weiterbildung und Forschung gibt es nicht gratis. Wenn die öffentliche Hand nicht zahlen will, muss das wer Anderer tun. Warum ist das Korruption?

Als ich noch Pathologe war, besuchte ich eine einwöchige Fortbildung in Edinburgh. Damals erhielt ich vom Dienstgeber drei Tage Sonderurlaub, 5.000 Schilling und die Teilnahmegebühr. Persönlich „durfte“ ich zwei Tage Urlaub und 15.000 Schilling beisteuern. Gewohnt habe ich in einem umgebauten Dachbesenkammerl, das noch immer 1.200 Schilling pro Nacht gekostet hat.

Andere hatten da mehr Glück. Deren „Selbstkosten“ wurden übernommen, darum glauben alle, Pharmafirmen kaufen sich Ärzte.

Nun gut, es gab Zeiten, als „wichtige“ Ärzte eine Woche nach Hawaii eingeladen wurden, um sich „fortzubilden“. Was nicht selten als Produktpräsentation während dem Frühstück passierte – der Rest des Tages war frei verfügbar. Auch die Fernseher zu Weihnachten sind Legende. Aber das ist alles längst vorbei und hat auch damals nur die „wichtigen“ Ärzte betroffen.

Ärzte wie Industrie knebeln sich mittlerweile und lobenswerterweise mit Verhaltenskodizes um den Geruch der Korruption los zu werden. Alleine es hilft nicht, und die Politik fühlt sich bemüßigt, gesetzlich einzugreifen. Und das endet dann noch skurriler.

Nur um ja nicht korrupt sein zu können, dürfen Kongresse nur mehr von jeweils einem Arzt pro Abteilung besucht werden. Kongresse, die immer nur einen Vortrag nach dem anderen abhalten, sind jedoch längst vorbei. Heute werden parallel zig Vorträge zu den verschiedensten Themen an ein und demselben Fachkongress gehalten. Was soll er also tun, der arme einzelne Arzt – sich teilen?

Und da haben wir noch gar nicht über die Kosten der Fortbildung, die im Übrigen verpflichtend ist, gesprochen. Vom Arbeitgeber gibt es wenig, und wer die Gehälter der Spitalsärzte kennt, wird sich fragen, wer das bezahlen soll. Ganz abgesehen, reicht es meiner Meinung nach, dass die Ärzte Freizeit (und oft auch Familienzeit) opfern.

Doch nicht nur die von der Industrie übernommenen Fortbildungskosten sind im Gespräch. Auch die Forschung sei „gekauft“. Seit den 70er Jahren, als man dem Ideal der „freien Wissenschaft“ nachjagte, gibt es Gesetze, die es einem forschenden Arzt unmöglich machen, mit seiner Forschung Geld zu verdienen. Man stelle sich vor, wenn man Forschungsmittel (von wem auch immer) erhält, kann man damit zwar Personal anstellen (sog. Drittmittel-Stellen); aber sich selbst ein Gehalt zu bezahlen? – Nein! Ob man forscht oder nicht, man verdient immer das Gleiche.

Wenn dann wenigstens die Gehälter entsprechend wären. Aber wirklich gut verdienen Uni-Ärzte nur, wenn sie alte Verträge haben. Junge Professoren (und das sind die meisten) krebsen irgendwo bei 3.000 Euro brutto herum. Das man bei so einem Gehalt lieber darauf achtet, den Professorentitel in einer Privatordination zu vergolden, statt für Ruhm zu forschen, ist leicht verständlich. Wer trotzdem forscht und dafür dann einen Konsulentenvertrag einer Pharmafirma annimmt, sollte ja eher belobigt werden, als dass man ihn korrupt nennt. Immerhin bleibt er so der Forschung erhalten.

Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es echte Schlitzohren gibt. Doch ich will glauben, dass sie eine verschwindende Minderheit sind, die man sowieso nicht erwischt. Wenn die Politik jedoch Gesetze macht, die jedem automatisch Korruption unterstellen und gleichzeitig auch nicht bereit ist, jene Kosten zu übernehmen, die heute durch die Industrie gedeckt werden, dann muss ich mir die Frage stellen – ist der Schelm nicht so wie er denkt?

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.