Die verkehrte Welt der Spitäler

Wenn wir „Spi­tal“ hören, den­ken wir an ein Ge­bäu­de, in dem wir, wenn wir schwer krank sind, so be­han­delt wer­den, dass wir wie­der ge­sund wer­den.

Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass es (den meis­ten von) uns lie­ber wäre, „zu­hau­se“ be­han­delt zu wer­den. Für uns ist der „op­ti­ma­le“ Weg der, dass wir erst ins Spi­tal müs­sen, wenn es nicht an­ders geht. Im Spi­tal soll dann jene Ge­sund­heit „pro­du­ziert“ wer­den, die au­ßer­halb nicht pro­du­ziert wer­den kann – und zwar ohne Pro­fit­stre­ben und für alle, nicht nur für die, die es sich leis­ten kön­nen. Das ist nicht nur der mo­ra­li­sche Auf­trag, son­dern auch der ob­jek­ti­ve Grund für un­se­re Spi­tä­ler. Ist das auch real?

Die Po­li­tik de­fi­niert Spi­tä­ler mitt­ler­wei­le gerne an­ders. Zwar wird noch von „op­ti­ma­ler“ Ver­sor­gung ge­spro­chen, aber immer kla­rer fest­ge­hal­ten, dass der volks­wirt­schaft­li­che As­pekt wich­tig ist. Die Po­li­tik hat das ei­gent­li­che Ziel aus dem Fokus ge­nom­men. Zwar könn­te es noch immer sein, dass Ge­sund­heit pro­du­ziert wird, aber so si­cher ist das nicht mehr. Stel­len wir uns eine vir­tu­el­le Re­gi­on vor, die plötz­lich ge­sund ist, dann könn­te das dor­ti­ge Spi­tal keine Ge­sund­heit mehr pro­du­zie­ren – aus volks­wirt­schaft­li­cher Sicht dürf­te es trotz­dem nicht ge­sperrt wer­den!

Die Zahl der Spi­tals­auf­nah­men schießt seit Jah­ren in die Höhe. Wir zäh­len (of­fi­zi­ell) mitt­ler­wei­le 26,7 Auf­nah­men pro 100 Ein­woh­ner, wäh­rend die Deut­schen mit nur 20,6 aus­kom­men (EU 15,6). Und als klei­nes Bei­spiel: Bei uns lie­gen Pa­ti­en­ten mit Herz­schwä­che gleich drei Mal häu­fi­ger im Spi­tal als in Deutsch­land. Es ent­steht der Ein­druck, dass doch viele im Spi­tal be­han­delt wer­den, ob­wohl sie ge­sund genug wären, zu­hau­se be­han­delt zu wer­den. Das ist keine „op­ti­ma­le“ Ver­sor­gung!

Warum ist das so? Weil die Po­li­tik es nicht schafft, oder schaf­fen will, Spi­tä­ler und nie­der­ge­las­se­ne Ärzte so ab­zu­stim­men, dass Auf­nah­men ver­mie­den wer­den. Und so­lan­ge genug Geld da war, of­fen­bar zur bei­der­sei­ti­gen Zu­frie­den­heit.

Nun lau­fen die Spi­tals­kos­ten aus dem Ruder, und man hat, statt un­nö­ti­ge Spi­tä­ler zu sper­ren, be­gon­nen, diese von Ma­na­gern be­triebs­wirt­schaft­lich op­ti­mie­ren zu las­sen. Um das zu kön­nen, müs­sen Ge­winn­ab­sich­ten mög­lich wer­den. Es sind zwar nur „Schein­ge­win­ne“, aber ohne diese Mess­grö­ße ist eine Op­ti­mie­rung nicht mög­lich. Würde der Ge­winn daran ge­mes­sen, wel­che Ge­sund­heit zu wel­chen Kos­ten pro­du­ziert wird, wäre das gar nicht schlimm. Aber: Wir mes­sen keine Ge­sund­heit!

Was wir mes­sen sind nur die Kos­ten, die für Pa­ti­en­ten an­fal­len. Und weil Spi­tä­ler „leis­tungs­ori­en­tier­te“ Fall-Pau­scha­len als Erlös er­hal­ten, ist die ein­zi­ge Chan­ce, „Ge­win­ne“ zu ma­chen, die, die Kos­ten nied­ri­ger zu hal­ten, als die Fall-Pau­scha­le ab­wirft. Damit hat sich das Pro­dukt ver­än­dert. Jetzt wird nicht mehr Ge­sund­heit pro­du­ziert, son­dern Pa­ti­en­ten (Fälle). Und weil es darum geht, „Fall-Kos­ten“ zu re­du­zie­ren, be­deu­tet das prak­tisch, mög­lichst viele Fälle (Eco­no­my of Scale) zu pro­du­zie­ren und mög­lichst „ge­sun­de“ Pa­ti­en­ten (je nach Pau­scha­le also leich­te statt schwe­re Fälle) zu be­han­deln. Zudem sind be­triebs­wirt­schaft­li­che Spi­tä­ler an­ge­hal­ten, Zu­satz­ein­nah­men zu lu­krie­ren. Und wo gibt es die? Bei pri­vat­ver­si­cher­ten Klas­se­pa­ti­en­ten! Das alles führt zur Pa­ti­en­ten­se­lek­ti­on, die ei­gent­lich nur in „pro­fit-ori­en­tier­ten“ Sys­te­men vor­kommt.

Per­ver­si­on be­zeich­net eine, den vor­herr­schen­den Mo­ral­vor­stel­lun­gen ent­ge­gen­wir­ken­de, Ei­gen­schaft. Sie liegt vor, wenn das, was man be­ob­ach­tet, dem wi­der­spricht, was so­zi­al an­er­kannt ist und er­war­tet wer­den darf.

Warum mir das im Zu­sam­men­hang mit un­se­ren Spi­tä­lern ein­fällt?

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Ok­to­ber 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

BIP-Mythen im Gesundheitssystem

Volks­wirt­schaft ist schwie­rig! Umso leich­ter ist es, „BIP-My­then“ und „es gibt keine Kos­ten­ex­plo­si­on im Ge­sund­heits­sys­tem“-Mär­chen zu er­zäh­len.

Wenn Sie 100 Euro ver­die­nen und 50 davon für Miete aus­ge­ben, dann sind das 50 Pro­zent ihres frei ver­füg­ba­ren Ein­kom­mens. Soll­te ihr Ein­kom­men schnel­ler wach­sen, als Ihre Miete, dann sinkt der Pro­zent­satz, auch wenn die Miete steigt. Wenn Sie also nach einer ge­wis­sen Zeit sagen wir dop­pelt so­viel, folg­lich 200 Euro ver­die­nen, aber die Miete nur um 50 Pro­zent auf 75 Euro ge­stie­gen ist, dann zah­len sie nur mehr 35 Pro­zent ihres Gel­des für das Woh­nen. So­weit so gut!

Wenn je­doch ihr Ver­mie­ter nicht am Geld, son­dern an Pro­zen­ten in­ter­es­siert ist, und daher fest­legt, dass Sie, egal was Sie ver­die­nen, 50 Pro­zent zah­len müs­sen, müss­ten Sie ent­we­der 100 Euro Miete zah­len oder, viel wahr­schein­li­cher, eine an­de­re Woh­nung su­chen. Ein­fach des­we­gen, weil Sie, wie jeder an­de­re auch, an Geld, und nicht an Pro­zen­ten in­ter­es­siert sind.

Nun, wenn es um das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) geht, ist das an­ders. Denn es ist mo­dern ge­wor­den, nur mehr in BIP-Pro­zen­ten zu reden.

Ge­ra­de im Ge­sund­heits­sys­tem ist diese BI­Pi­tis aus­ge­bro­chen. Und Po­li­ti­ker, ins­be­son­de­re Ärz­te­käm­me­rer, er­zäh­len Land auf Land ab, es gäbe keine Kos­ten­ex­plo­si­on, da die Aus­ga­ben, ge­mes­sen am BIP, seit „Jahr­zehn­ten“ sta­bil bei un­ge­fähr zehn Pro­zent lie­gen.

Gerne wird außer Acht ge­las­sen, dass das so be­trach­te­te BIP immer 100 Pro­zent be­trägt. Wenn also, wie groß­zü­gig ge­sagt wird, die Aus­ga­ben „un­ge­fähr“ gleich ge­blie­ben sind, wird ver­schwie­gen, dass ein „Mehr“ dort, immer ein „We­ni­ger“ wo­an­ders be­deu­tet. Und ein Blick in die Zah­len zeigt, dass das gar nicht so un­ge­fähr ist. Der An­teil am BIP lag 1995 noch bei 9,5 (un­ge­fähr 10?) Pro­zent und 2008 bei 10,5 (auch un­ge­fähr 10?). Nach heu­ti­gem Geld­wert be­trägt die Dif­fe­renz schlich­te 2,7 Mil­li­ar­den Euro, ein biss­chen viel für „Un­ge­fähr“.

Und weil es ja um Pro­zen­te geht, heißt dass nichts an­de­res, als dass diese Mil­li­ar­den Euro heute je­mand an­de­rem zur Ver­fü­gung ste­hen, als noch 1995. Ob die­ses Geld über Steu­ern und Bei­trä­ge der Be­völ­ke­rung schlicht ab­ge­nom­men und das frei ver­füg­ba­re Ein­kom­men re­du­ziert, oder aber aus an­de­ren öf­fent­li­chen Be­rei­chen (Bil­dung, For­schung, Ver­kehr, Si­cher­heit etc.) ab­ge­zo­gen wurde, soll nicht näher be­trach­tet wer­den. We­sent­lich ist, diese Mit­tel wur­den „um­ge­schich­tet“. Und an­ge­sichts der de­mo­gra­phi­schen Ver­än­de­rung, wird diese Um­schich­tung mun­ter wei­ter­ge­hen!

Und wenn wir schon bei BIP-Pro­zent­rech­nun­gen sind, dann sei ein biss­chen in die „Zu­kunft“ ge­schaut.

Aus wel­chen Grün­den auch immer, ob­wohl wir Ende 2010 haben, sind die Daten für 2009 vom Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um noch nicht ver­öf­fent­licht. In die­sem Jahr schrumpf­te das BIP. Die Aus­ga­ben in ech­tem Geld sind je­doch mun­ter wei­ter ge­stie­gen. Und so kann man auch ohne mi­nis­te­ri­el­le Hilfe gut ab­schät­zen, was, ge­mes­sen am BIP, so in die Ge­sund­heit ge­flos­sen sein wird. Und wenn nicht ir­gend­wel­che un­er­kannt ge­blie­be­nen Wun­der auf­ge­tre­ten sind, dann wer­den es wohl un­ge­fähr 11,5 Pro­zent wer­den; eine „ex­plo­si­ons­ar­ti­ge“ Stei­ge­rung um 10 Pro­zent ver­gli­chen mit 2008.

Und da nicht un­wich­ti­ge Teile des BIP 2009 auf Schul­den auf­ge­baut sind, un­se­re Gläu­bi­ger, so wie jeder an­de­re auch, nicht an Pro­zen­ten son­dern ech­tem Geld in­ter­es­siert sein wer­den, wird zu­künf­tig der „frei ver­füg­ba­re BIP-Ku­chen (ech­tes Geld und keine Pro­zen­te)“ wohl klei­ner wer­den. Mal sehen, wie die, die heute noch er­zäh­len, dass die Ge­sund­heits­aus­ga­ben „sta­bil“ sind, dann ar­gu­men­tie­ren wer­den.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Ok­to­ber 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Deutschland gegen Österreich: 2 zu 1

Dass die Deut­schen einen dop­pelt so hohen Bei­trags­satz für die Kran­ken­kas­sen haben, ist eher ein Zei­chen für deren (mög­li­che) Ef­fi­zi­enz. Aber wen in­ter­es­siert’s?

„Wir hier in Ös­ter­reich zah­len nur etwas mehr als sie­ben Pro­zent Kas­sen­bei­trä­ge. In Deutsch­land sind es 15 Pro­zent! Daran kann man sehen, wie gut und ef­fi­zi­ent unser Ge­sund­heits­sys­tem funk­tio­niert.“

So ähn­li­ches hört man lei­der nicht nur ge­le­gent­lich von hohen und höchs­ten Po­li­ti­kern. Ob diese Aus­sa­ge schlicht auf Un­wis­sen (was bei die­sen Per­so­nen, die über rie­si­ge Be­ra­ter­stä­be von Par­tei­sol­da­ten und Be­am­ten ver­fü­gen, an un­be­lehr­ba­re Igno­ranz er­in­nern muss), oder Dumm­heit (dafür könn­te man ja nichts) ba­sie­ren, oder auf be­wuss­te Volks­ver­blen­dung aus­ge­rich­tet sind, ent­zieht sich lei­der jeder Er­kennt­nis.

Klar al­ler­dings ist, dass die Deut­schen nicht des­we­gen dop­pelt so hohe Bei­trä­ge zah­len, weil sie schlech­ter wären, nein, die neh­men man­che Grund­sät­ze der selbst­ver­wal­te­ten Kas­sen mit so­li­da­ri­scher Fi­nan­zie­rung halt noch ernst. Und einer die­ser Grund­sät­ze ist es, durch Bei­trä­ge das zu be­zah­len, was man be­stellt und sich nicht auf „an­de­re“, zum Bei­spiel Steu­er­zah­ler, zu ver­las­sen.

Und so zah­len die deut­schen Kas­sen halt noch (fast) alles selbst, wo bei uns längst Steu­er­gel­der her­an­ge­zo­gen wer­den.

Bei uns be­tra­gen die rei­nen Kas­sen-Bei­trä­ge, also ohne ir­gend­wel­che di­rek­ten oder in­di­rek­ten Steu­er­gel­der, je nach Re­chen­art etwa neun bis elf Mil­li­ar­den Euro. Die Ge­samt­aus­ga­ben der öf­fent­li­chen Hand für die Ge­sund­heits­ver­sor­gung, also so­wohl das, was die So­zi­al­ver­si­che­run­gen als auch das, was Bund, Län­der und Ge­mein­den be­zah­len, be­lau­fen sich auf knapp 21 Mil­li­ar­den Euro. Daher wer­den we­ni­ger als die Hälf­te die­ser Kos­ten durch Bei­trä­ge be­rappt. Der Rest kommt zum über­wie­gen­den Teil aus Steu­ern. Und so ist es leicht ver­ständ­lich, dass un­se­re Bei­trags­sät­ze nur halb so hoch sind.

Dar­aus ab­zu­lei­ten, wir sind ef­fi­zi­en­ter ist schon mehr als Chuz­pe. Be­son­ders, wenn wir auf die Aus­ga­ben in rich­ti­gem Geld schau­en. Pro Kopf geben wir, ge­rech­net in har­ter Wäh­rung, näm­lich fünf bis zehn Pro­zent mehr (!) aus als unser Nach­bar. Und er­rei­chen wir damit mehr? Sind die Ös­ter­rei­cher ge­sün­der als die Deut­schen? – ein we­sent­li­ches Kri­te­ri­um der Ef­fi­zi­enz ist ja, bei glei­cher Ef­fek­ti­vi­tät we­ni­ger Res­sour­cen zu ver­brau­chen!

Nun, ein klei­ner Blick in ein paar harte Zah­len lässt we­nigs­tens be­rech­tig­ten Zwei­fel zu. Hier­zu­lan­de sind wir ab­so­lu­te Spit­ze bei der Zahl der In­va­li­den, ge­mes­sen an den In­va­li­di­täts­pen­sio­nis­ten, und bei der Pfle­ge un­um­strit­te­ne Sie­ger, wenn wir die Zahl der Pfle­ge­geld­be­zie­her als Kri­te­ri­um her­an­zie­hen.

Also genau ge­schaut ist unser Sys­tem de­fi­ni­tiv nicht ef­fi­zi­en­ter als das Deut­sche – und ohne es jetzt be­le­gen zu wol­len, deren Sys­tem zeich­net sich im in­ter­na­tio­na­len Um­feld nicht ge­ra­de durch hohe Ef­fi­zi­enz aus. Daran wird auch die letz­te Re­form nichts än­dern. Denn hier wie dort sind es Blo­ckie­rer auf allen Ebe­nen, die echte Struk­tur­re­for­men ver­hin­dern und immer nur nach mehr Geld schrei­en.

Was die Deut­schen uns aber vor­aus haben ist, dass, wenn es denn zu einer ech­ten Kas­sen­re­form kommt, die Fi­nan­zie­rung aus einer Hand er­fol­gen könn­te. Bei uns hin­ge­gen, wer­den wei­ter die „vir­tu­el­len Geld­ge­ber“ So­zi­al­part­ner und Län­der – die ja, wie uns Vi­ze­kanz­ler Pröll offen ge­stan­den hat, nach der Re­al­ver­fas­sung ge­wich­ti­ger sind, als die po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­gre­mi­en, die un­se­re „echte“ Ver­fas­sung vor­sieht – strei­ten und jeder wird sagen, wie toll und ef­fi­zi­ent er denn nicht agie­re, und das beste aller Sys­tem fei­ern.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Primary Health Care – eine kleines Lehrstück

Von of­fi­zi­el­ler Seite wird ver­brei­tet, der Ruf nach der Auf­wer­tung der Haus­ärz­te ist nur dazu da, dass diese mehr Geld ver­die­nen – ein Hin­weis auf man­geln­des Ver­ständ­nis.

Pri­ma­ry Health Care (PHC) ist, ob­wohl schon drei­ßig Jahre alt und das wohl er­folg­reichs­te Ver­sor­gungs­kon­zept mo­der­ner Ge­sund­heits­sys­te­me, hier­zu­lan­de fast un­be­kannt, und wenn über­haupt, dann ge­ra­de mal als Haus­arzt­mo­del­le im Ge­spräch.

Die Idee war so ein­fach wie ge­ni­al: Um ein ver­nünf­ti­ges Ge­sund­heits­sys­tem er­rich­ten zu kön­nen, soll­te man mög­lichst viele Ge­sund­heits­pro­ble­me – was sehr viel mehr ist, als nur Krank­heits­pro­ble­me – wohn­ort­nah zu lösen ver­su­chen; wohn­ort­nah be­ginnt üb­ri­gens in den vier Wän­den des Pa­ti­en­ten, eine Spi­tals­am­bu­lanz ist nie wohn­ort­nah, egal wie viele Spi­tä­ler auch her­um­ste­hen.

Es war von An­fang an klar, dass Heil­be­hand­lung nur ein Teil des PHC ist. Daher war es immer schon ein in­ter­dis­zi­pli­nä­rer An­satz. Es ging um am­bu­lan­te, wohn­ort­na­he me­di­zi­ni­sche, pfle­ge­ri­sche und the­ra­peu­ti­sche Be­treu­ung der Be­völ­ke­rung durch ein PHC-Team. In die­sem Team soll­ten neben dem Haus­arzt (der die wich­tigs­te Rolle spie­len soll­te) Phy­sio­the­ra­peu­ten genau so ar­bei­ten wie Pfle­ge­fach­kräf­te, So­zi­al­ar­bei­ter und Psy­cho­lo­gen. Und das Spek­trum der rein am­bu­lan­ten Ver­sor­gung soll­te von der Prä­ven­ti­on über Re­ha­bi­li­ta­ti­on (auch für alte Men­schen!) bis zu Pfle­ge rei­chen.

Es ist ver­blüf­fend, was mit sol­chen Teams er­reicht wer­den kann. Die Zahl der Spi­tals­auf­ent­hal­te sinkt genau so, wie die der Über­wei­sun­gen zum Fach­arzt. Die Fehl­dia­gno­sen und Fehl­be­hand­lun­gen wer­den sel­te­ner. Die Pa­ti­en­ten, vor allem wenn sie chro­nisch krank sind, leben län­ger und bei bes­se­rer Ge­sund­heit, und jene Krebs­for­men, die man bei Früh­er­ken­nung gut be­han­deln kann (z.B.: Brust-, Dick­darm­krebs aber auch den schwar­zen Haut­krebs und an­de­re) brin­gen we­ni­ger Men­schen um. Und als ob das nicht genug wäre, sin­ken mit der Ein­füh­rung auch die Ge­samt­kos­ten der Ge­sund­heits­ver­sor­gung.

Nun, es gibt ei­ni­ge Eck­punk­te, die, will PHC funk­tio­nie­ren, nicht weg­dis­ku­tiert wer­den kön­nen.

Da wäre bei­spiels­wei­se die Sache mit der Be­darfs­prü­fung. Wenn es eine sol­che nicht gibt, oder diese, à la Ös­ter­reich ein po­li­ti­sches Ge­mau­schel ist, dann wird die Ver­tei­lung der Haus­ärz­te – wie ja zu sehen ist – in­ho­mo­gen und der Zu­gang zu Ver­sor­gung dis­kri­mi­nie­rend sein; bei­des doch eher schlecht!

Auch muss es spe­zi­fi­sche, auf den Be­darf aus­ge­rich­te­te Aus­bil­dung geben, so­wohl für Haus­ärz­te als auch alle an­de­ren Be­rufs­grup­pen, die im PHC ar­bei­ten sol­len. Nun, es reicht be­reits ein klei­ner Blick in die Tur­nus­arztdis­kus­si­on, um zu sehen, dass die Aus­bil­dung un­se­rer Haus­ärz­te auf alles, nur nicht auf Ihre ei­gent­li­che Rolle aus­ge­rich­tet ist. Und fehlt der Haus­arzt, kann es auch kein PHC-Team geben.

Üb­ri­gens müs­sen für ein funk­tio­nie­ren­des PHC Haus­ärz­te mehr ver­die­nen als Fach­ärz­te. Hier­zu­lan­de ver­die­nen sie aber nur 60 Pro­zent ihrer Fach­kol­le­gen. Was für ein An­reiz­sys­tem!

Für Pa­ti­en­ten soll­ten alle Leis­tun­gen un­ent­gelt­lich – also öf­fent­lich fi­nan­zier­te Sach­leis­tun­gen – sein. Hier­zu­lan­de, sehen wir vom Arzt ab, sind alle an­de­ren Leis­tun­gen di­rekt zu be­zah­len – die pfle­ge­ri­schen genau so wie die so­zi­al­ar­bei­te­ri­schen und die psy­cho­lo­gi­schen so­wie­so. Außer man geht ins Spi­tal, da sind die Leis­tun­gen dann „gra­tis(?)“.

Und warum gibt es bei uns kein funk­tio­nie­ren­des PHC? Warum sind un­se­re Haus­ärz­te so „ab­ge­wer­tet“? Nun, um das alles um­zu­set­zen braucht man echte und am Ge­samt­sys­tem in­ter­es­sier­te Ent­schei­dungs­struk­tu­ren – und darin man­gelt es hier­zu­lan­de wohl am meis­ten.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Metternich, die Gesundheitspolitik und der Vormärz

Gut ge­führ­te und ge­steu­er­te Ge­sund­heits­sys­te­me zeich­nen sich da­durch aus, dass ihre Ent­schei­dungs­trä­ger wil­lens und fähig sind, ihre Ar­beit kri­tisch zu hin­ter­fra­gen.

Herr L* ist ein be­kann­ter und kri­ti­scher Wis­sen­schafts­jour­na­list. Seine Ein­stel­lung mag viel­leicht als kon­tro­ver­si­ell ein­ge­stuft wer­den, aber seine Ar­bei­ten sind gut re­cher­chiert und haben Hand und Fuß. Und weil eben seine Ar­beit gut und nicht nur ein­fach sen­sa­ti­ons­lüs­tern ist (ein Vor­wurf, der ihm oft von denen ge­macht wird, die er kri­ti­siert), ist er ein gern ge­se­he­ner Vor­tra­gen­der.

Nun kommt es, dass er wie­der ein­mal ge­bucht war, dies­mal zu einem Kon­gress, der von ei­ni­gen lan­des­ei­ge­nen Kran­ken­häu­sern in einem Bun­des­land, des­sen Namen man nicht aus­spre­chen soll­te, or­ga­ni­siert wird. Als je­doch die Ob­rig­keit er­fuhr, dass Herr L. einen Vor­trag hal­ten soll, wur­den kur­zer­hand die Ver­ant­wort­li­chen in die Zen­tra­le zi­tiert, ge­schol­ten und mit dem Auf­trag nach Hause ge­schickt, den gan­zen Kon­gress ab­zu­sa­gen – denn um diese Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit zu tar­nen, wurde nicht nur ein­fach Herr L. aus­ge­la­den, son­dern eben alles ab­ge­sagt. Die Wort­wahl der Ab­sa­ge wurde vor­ge­ge­ben und im Üb­ri­gen alle zur Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet!

Ist das ein Ein­zel­fall von ge­kränk­ter Ei­tel­keit ein­zel­ner, von öf­fent­li­chen Gel­dern be­zahl­ter, Ent­schei­dungs­trä­gern? Mit­nich­ten!

Als bei­spiels­wei­se in einem an­de­ren Bun­des­land Herr P* im Rah­men sei­ner Amts­tä­tig­keit – mitt­ler­wei­le ist er von dort ent­fernt – mehr Trans­pa­renz her­stel­len woll­te und jede öf­fent­lich fi­nan­zier­te Stu­die, die in sei­ner Ab­tei­lung durch­ge­führt wurde, auch pu­bli­zie­ren woll­te, hat man hat ihm das schlicht von oben herab ver­bo­ten.

Auch Herr N* – eben­falls ein an­de­res Bun­des­land – könn­te so seine Ge­schich­te er­zäh­len. Als er die Un­er­hört­heit besaß, die Sinn­haf­tig­keit eines Spi­tals-Neu­baus, mit Fak­ten be­legt, zu hin­ter­fra­gen, war die Kon­se­quenz seine De­gra­die­rung.

Und auch ich kann mich in diese un­voll­stän­di­ge Liste ein­rei­hen. Bis­her wur­den drei, von den ei­gent­li­chen Ver­an­stal­tern di­ver­ser Ta­gun­gen ge­buch­te, Vor­trä­ge des­we­gen stor­niert, weil es von „Oben“ so ge­wünscht wurde.

Und das mein da­ma­li­ger Ar­beits­platz kurz nach dem Er­schei­nen mei­nes sys­tem­kri­ti­schen Bu­ches „über­flüs­sig“ und daher ab­ge­baut wurde, ist si­cher nur ein Zu­fall (ich war da­mals für die Ent­wick­lung eines Spi­tals­plans zu­stän­dig, der bis heute nicht of­fi­zi­ell vor­liegt, aber durch eine ex­ter­ne Be­ra­tungs­fir­ma er­stellt wurde, des­sen Ho­no­rar bei einem mehr­stel­li­gen Viel­fa­chen mei­nes Jah­res­ein­kom­mens liegt).

Bei all dem habe ich noch gar nicht an meine Zeit im Ös­ter­rei­chi­schen Bun­des­in­sti­tut im Ge­sund­heits­we­sen (ÖBIG, heute GÖG) ge­dacht, als Be­rich­te „zen­su­riert“ wur­den; Be­rich­te, die größ­ten­teils oh­ne­hin nie das Licht der Öf­fent­lich­keit er­bli­cken durf­ten, selbst dann nicht, wenn die Zen­sur jede noch so ge­recht­fer­tig­te Kri­tik ent­fernt hatte – schließ­lich ist selbst die lei­ses­te Kri­tik nicht er­wünscht und die Wahr­heit dem Volk nicht zu­zu­mu­ten.

Es gilt als be­wie­sen, dass öf­fent­li­che Ge­sund­heits­sys­te­me bes­ser funk­tio­nie­ren kön­nen, als pri­va­ti­sier­te. Dazu al­ler­dings müs­sen sie gut ge­führt und ge­steu­ert wer­den. Die Qua­li­tät der Füh­rung und Steue­rung hängt je­doch maß­geb­lich davon ab, ob die, die wirk­lich ent­schei­den, fähig und wil­lens sind, ihre Ar­beit immer und immer wie­der kri­tisch und trans­pa­rent zu be­leuch­ten.

Aber genau das ist weit und breit nicht zu er­ken­nen. Es scheint so, dass jede Kri­tik von außen eine Ma­jes­täts­be­lei­di­gung und von innen Hoch­ver­rat ist – wie zu Met­ter­nichs Zei­ten, die auch als Vor­märz be­zeich­net wer­den.

*Namen dem Autor be­kannt

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Alpbach, Solidarität und eine Maniküre

Alp­bach stand unter dem Titel „So­zi­al- und Ge­sund­heits­sys­tem zwi­schen Ge­schich­te, Wunsch und Rea­li­tät“ – und da gibt es viel nach­zu­den­ken.

Für unser Ge­sund­heits­sys­tem ist die so­li­da­ri­sche Fi­nan­zie­rung seit jeher ein Schlag­wort. Ge­mein­hin wird ja kom­mu­ni­ziert, dass eine sol­che vor­liegt, wenn auch Ge­sun­de die Ver­sor­gung von Kran­ken be­zah­len. Um das aber wirk­lich zu sein, müss­te die Ge­sun­den ir­gend­et­was mit den Kran­ken ver­bin­den. Und um es so­phis­tisch aus­zu­drü­cken, wenn be­reits im An­satz Ge­sun­de und Kran­ke aus­ein­an­der ge­hal­ten wer­den, dann ist man weit weg von einer so­li­da­ri­schen Fi­nan­zie­rung. Und wird per Ge­setz und über Zwang diese durch­ge­setzt, dann ist sie gänz­lich ver­schwun­den.

Was ver­bin­det, was hält zu­sam­men – das ist die Frage nach der So­li­da­ri­tät; doch die wird heute nicht mehr ernst­haft ge­stellt. Viel mehr fin­det man über­all po­pu­lis­ti­sche Blü­ten.

Die meis­ten die­ser Blü­ten fun­gie­ren nach dem alten Prin­zip. Achte auf die Dei­nen und ver­ach­te die an­de­ren. Und da fin­den wir auf der einen Seite Dinge wie eine „So­zia­le Hei­mat­par­tei“ oder etwas ver­klau­su­lier­ter, ein „Nie­der­ös­ter­rei­chi­sches So­zi­al­mo­dell“, und auf der an­de­ren Seite alte Klas­sen­kampf­ru­fe gegen Rei­che, Groß­grund­be­sit­zer und Guts­her­ren. Ist So­li­da­ri­tät wirk­lich (wie­der) nur mehr weck­bar, indem tiefe Grä­ben in die Ge­sell­schaft ge­ris­sen wer­den?

Nun, ich bin ge­gen­über jeder Kol­lek­ti­vie­rung, ob nun nach so­zia­len, be­rufs­stän­di­schen, ir­gend­wel­chen geo­gra­phi­schen oder gar ge­nea­lo­gi­schen Kri­te­ri­en, sehr skep­tisch. Wenn es zur Bil­dung von So­li­dar­ge­mein­schaf­ten kom­men soll, dann nur über freie Ent­schei­dung frei­er Men­schen.

Für Ge­sund­heits­sys­te­me gibt es aus­rei­chend Be­wei­se, dass sie, öf­fent­lich fi­nan­ziert und ge­lenkt, für den ein­zel­nen, wie für die Ge­mein­schaft bes­se­re Er­geb­nis­se er­zie­len kön­nen, als sol­che, die von der Ent­schei­dung des In­di­vi­du­ums ab­hän­gen. Dazu müs­sen al­ler­dings alle gleich be­han­delt wer­den (also die glei­chen, nied­ri­gen Ein­tritts­schwel­len, die glei­che Be­hand­lung für die glei­che Krank­heit etc.), und, damit das Sys­tem ent­schei­dungs­fä­hig bleibt, dür­fen Kom­pe­ten­zen nicht zer­split­tert sein – wenn nie­mand ent­schei­den kann, wer wo wie am bes­ten ver­sorgt ist, dann funk­tio­niert es nicht.

Es gibt also über­zeu­gen­de Grün­de, warum man auf So­li­da­ri­tät bauen soll­te – und die haben alle nichts mit Dün­kel zu tun. Und doch scheint es, als ob die vor­herr­schen. Schon 1955 gab es einen Kom­pro­miss zwi­schen den ehe­ma­li­gen Ver­tre­tern des Stän­de­staats und der Kam­mer­macht und denen der Ba­sis­de­mo­kra­tie und Ge­werk­schafts­macht. Schon da­mals wur­den Grä­ben nicht zu­ge­schüt­tet, son­dern mit fau­len Kom­pro­mis­sen über­brückt. Das, was viel­leicht an ech­ter So­li­da­ri­tät hätte auf­ge­baut wer­den kön­nen, wurde seit dem, ge­trig­gert durch stän­di­ge Wahl­kämp­fe, gründ­lichst zwi­schen Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen und Kli­en­tel­po­li­tik zer­rie­ben.

Statt auf ein funk­tio­nie­ren­des Sys­tem zu ach­ten (was mit ech­ten Re­for­men ein­her­zu­ge­hen hätte) und mit trans­pa­ren­ter Leis­tung die Be­völ­ke­rung immer und immer wie­der davon zu über­zeu­gen, dass in­sti­tu­tio­na­li­sier­te So­li­da­ri­tät hier wich­tig und rich­tig ist, wurde das Sys­tem zum Lehns­we­sen. Wenn heute die Mehr­heit glaubt, dass „Rei­che“ bes­se­re Me­di­zin er­hal­ten und man die rich­ti­gen Leute ken­nen muss, um „rich­tig“ be­han­delt zu wer­den, kann man keine so­li­da­ri­sche Fi­nan­zie­rung mehr er­war­ten, son­dern muss Zwangs­ab­ga­ben ein­he­ben. Und wenn fol­ge­rich­tig jeder ein­zel­ne ver­sucht, es sich zu rich­ten, dann braucht man über So­li­da­ri­tät nicht mehr nach­den­ken – auch wenn die herr­schen­de Klas­se das an­ders sehen möge.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Solidarität – eine Reflexion

Po­li­ti­ker und So­zi­al­part­ner tun so, als ob in der Be­völ­ke­rung eine trag­fä­hi­ge So­li­da­ri­tät be­steht. Sie dürf­te aber eher auf­ge­zwun­gen, als frei­wil­lig sein – und das ist etwas an­de­res.

Herr M. ist 62 und in In­va­li­di­täts­pen­si­on, weil er, so sagen Gut­ach­ter, nicht mehr ar­bei­ten kann. Grund wäre sein Rü­cken und seine Knie, alles er­heb­lich ab­ge­nützt. 40 Jahre hat er als Mau­rer ge­ar­bei­tet, die letz­ten 15 davon als Po­lier und sein Job könn­te durch­aus als kör­per­lich an­stren­gend be­zeich­net wer­den.

Der wahre, oder we­nigs­tens sehr we­sent­li­che Grund, für seine In­va­li­di­tät ist aber wo­an­ders zu su­chen. Herr M. bringt auf seine knapp 1,75 Meter Kör­per­grö­ße über 100 Kilo. Er ist also fett. Zudem trinkt er täg­lich etwa fünf Liter Bier, liebt es, üppig zu essen und viel zu rau­chen. Dass er Dia­be­ti­ker ist und unter Blut­hoch­druck lei­det, muss kaum extra er­wähnt wer­den.

Wis­sen­schaft­lich be­trach­tet ist Herr M. für sei­nen Ge­sund­heits­zu­stand über weite Teile selbst ver­ant­wort­lich. Das weiß er auch. Schließ­lich er­zählt ihm seit Jah­ren jeder, vom Haus­arzt bis zu sei­nen Kin­dern, dass er sich noch „um­brin­gen“ werde.

Sol­che War­nun­gen wur­den leicht­fer­tig ab­ge­tan. Wenn man krank ist, geht man zum Arzt, der macht einen wie­der ge­sund.

Vor zwei Jah­ren hat er sein Ziel, die Früh­pen­si­on, er­reicht. Die ist zwar mager, kann aber durch Pfusch leicht auf­ge­fet­tet wer­den. Und weil er chro­nisch krank, aber un­be­lehr­bar ist, geht er oft zum Arzt, ein bis zwei mal pro Jahr ins Spi­tal und schluckt hau­fen­wei­se, dafür un­re­gel­mä­ßig, Me­di­ka­men­te.

Dass das viel kos­tet, ist ihm egal. Er hat ja ein Leben lang ein­be­zahlt und jetzt ein Recht dar­auf. Da al­ler­dings täuscht er sich ge­wal­tig.

Denn, be­zahlt wird alles nach dem So­li­da­ri­täts­prin­zip, was kon­kret be­deu­tet, dass Herr M. sich dar­auf ver­las­sen muss, dass ir­gend­wer sich mit ihm so­li­da­risch er­klärt und die an­fal­len­den Kos­ten frei­wil­lig über­nimmt. Aber warum soll­te das je­mand tun? Er selbst stellt sich die Frage üb­ri­gens nicht – für ihn ist wich­tig, dass alles be­zahlt wird. Woher das Geld kommt ist ihm herz­lich egal.

Und das ist trau­rig. Denn wenn So­li­da­ri­tät fehlt, wird das Geld nur durch Zwang auf­ge­bracht wer­den kön­nen – und das wäre etwas ganz an­de­res.

Men­schen haben sich schon seit lan­gem zu Ge­mein­schaf­ten zu­sam­men­ge­schlos­sen, um sich ge­gen­sei­tig zu hel­fen. Mit der Grün­dung sol­cher So­li­dar­ge­mein­schaf­ten konn­ten sich ihre Mit­glie­der so­wohl gegen wirt­schaft­li­che als auch po­li­ti­sche Un­bil­den „ab­si­chern“. Basis die­ser frei­wil­li­gen und selbst­ver­wal­te­ten Zu­sam­men­schlüs­se war stets das Be­kennt­nis zu etwas Ge­mein­sa­men, zu dem jeder sei­nen Bei­trag lie­fern muss; darin liegt der So­li­da­ri­täts­ge­dan­ke; der theo­re­tisch auch un­se­rem So­zi­al­ver­si­che­rungs­sys­tem un­ter­legt ist.

In wie weit es die­sen Ge­dan­ken nach 1955 (dem Jahr der Ein­füh­rung des ASVG) gab, ist oh­ne­hin zu hin­ter­fra­gen. Hier herrsch­te immer ein „un­frei­es“ Pflicht­sys­tem. Ja selbst die Mit­be­stim­mung der Mit­glie­der ist frag­wür­dig, da sie über weite Stre­cken nur über Kam­mer­wah­len mög­lich ist. Wer die Wahl­be­tei­li­gung in die­sen Or­ga­ni­sa­tio­nen mit Pflicht­mit­glied­schaft kennt, kann schnell er­ken­nen, dass Mit­be­stim­mung kaum statt­fin­det.

In un­se­rem Sys­tem steckt also be­reits sehr viel Zwang, und das ist der För­de­rung des So­li­da­ri­täts­ge­dan­ken nicht dien­lich. Nichts­des­to­trotz wird sei­tens der Po­li­tik (in­klu­si­ve der Kam­mern) daran fest­ge­hal­ten und so getan, als ob er un­ver­brüch­lich be­steht.

Nun, man kann hof­fen, dass die ge­pre­dig­te So­li­da­ri­tät nie in der Rea­li­tät ge­prüft wird. So ge­fühlt, be­steht sie längst nicht mehr. Weder von denen, die von ihr leben, noch von denen die dafür auf­kom­men.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Au­gust 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die lee­ren Kas­sen be­gin­nen zu dik­tie­ren? Zu­min­dest ist hin­ter den Ku­lis­sen mehr Be­we­gung zu be­mer­ken, als je­mals zuvor. Die Angst, die „Spi­tals­we­sen“-Ti­ta­nic könn­te doch sin­ken, geht um.

Im März 2009, als die Fi­nanz- zur Wirt­schafts­kri­se wurde, stand an die­ser Stel­le, dass die not­wen­di­gen Mit­tel zur Fi­nan­zie­rung der Spi­tä­ler, die durch die Län­der für 2009 auf­zu­brin­gen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Mil­li­ar­den Euro) deut­lich an­wach­sen wer­den. Hin­ter­grund die­ser Rech­nung war, dass die Ein­nah­men durch die Wirt­schafts­kri­se sin­ken wer­den, weil sie we­sent­lich vom Steu­er- und Bei­trags­auf­kom­men ab­hän­gen. Da aber die Kos­ten un­ge­ach­tet der Krise wei­ter­wach­sen wer­den, wird das Loch zwi­schen Ein­nah­men und Aus­ga­ben grö­ßer.

Schon bis­her schlos­sen die Län­der die­ses Loch durch die Ab­gangs­de­ckung, eine Art au­to­ma­ti­scher De­fi­zit­de­ckung. Und die war nicht ge­ring. Ober­fläch­lich aus­ge­drückt, mach­ten die öf­fent­li­chen Spi­tä­ler pro Jahr 30 bis 35 Pro­zent Miese, die im Lan­des­bud­get hän­gen blie­ben; seit 2009 je­doch sind es wohl 40 und mehr Pro­zent – und das wird so­lan­ge blei­ben, so­lan­ge die Wirt­schaft das durch die Krise ent­stan­de­ne Minus nicht selbst (ohne Staat­hil­fen) kom­pen­siert hat, oder die Kos­ten der Spi­tä­ler real sin­ken. Ers­te­res könn­te Jahre dau­ern, und zwei­te­res ist gegen den Wil­len der Lan­des­po­li­tik.

Lang­sam dürf­te dort aber die Er­kennt­nis wach­sen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das lang­sam geht, hat zwei Ur­sa­chen.

Ers­tens, weil wirt­schaft­li­che Be­rech­nun­gen der Spi­tä­ler sehr lange brau­chen. In der Regel lie­gen „fer­ti­ge“ Zah­len erst mit einem Jahr Ver­zö­ge­rung vor. Also sind die Zah­len für 2009 erst Ende die­ses Jah­res „fer­tig“. Na­tür­lich gibt es da und dort auch ge­schei­te Mit­ar­bei­ter, die un­ter­jäh­rig Schät­zun­gen an­stel­len, aber ein ech­tes Con­trol­ling ist auf Lan­des­ebe­ne die Aus­nah­me. Das kommt daher, dass Lan­des­po­li­ti­ker ge­schätz­te Zah­len, wenn sie un­an­ge­nehm sind, nicht, oder we­nigs­tens so spät wie mög­lich, hören wol­len. Und so war­ten „brave“ Mit­ar­bei­ter dar­auf, dass sie nur mit „fer­ti­gen“ Zah­len zur Po­li­tik wan­dern. Soll­te es doch je­mand wagen, un­er­wünsch­te Zah­len „zu früh“ zu prä­sen­tie­ren, dann ris­kiert er man­chen­orts sogar sei­nen Job. Die Folge die­ser Vo­gel­strauss-Po­li­tik ist eine end­lo­se Er­kennt­nis­ver­zö­ge­rung. Nichts desto trotz dürf­te lang­sam auch auf po­li­ti­scher Ebene be­merkt wer­den, dass es echte Fi­nan­zie­rungs­pro­ble­me gibt.

Die zwei­te Ur­sa­che ist „Maas­tricht“.

Frü­her war Geld für ge­stan­de­ne Lan­des­po­li­ti­ker kein Pro­blem; wurde es knapp, muss­te „Wien“ zah­len. Doch dies­mal ist das an­ders, denn der Bund kann nicht mehr so ein­fach neue Schul­den auf­neh­men, nur um Weih­nachts­mann­po­li­tik zu be­die­nen. Und er kann es ver­mut­lich auch nicht mehr Er­lau­ben, dass Län­der, statt wie ge­setz­lich ver­ein­bart, Bud­get­über­schüs­se zu er­zie­len und ins Bun­des­bud­get ein­zu­zah­len, wei­ter Schul­den ma­chen. Der lau­fen­de Be­trieb der Spi­tä­ler reißt mitt­ler­wei­le aber so tiefe Lö­cher in die Lan­des­bud­gets, dass ein Über­schuss ohne Spi­tals­re­form ir­re­al ist. Wenn je­doch die Län­der kei­nen Über­schuss ab­lie­fern, er­höht sich das Bun­des­de­fi­zit, was die Ein­hal­tung der Maas­tricht­kri­te­ri­en er­schwert und – wich­ti­ger – bei Ra­ting-Agen­tu­ren schlecht an­kom­men wird. Neue Schul­den unter die­sem Titel wür­den er­heb­li­che Pro­ble­me be­rei­ten – das krie­gen auch die Län­der lang­sam mit.

Und so be­ginnt etwas, das wirk­lich nach ernst­haf­ten Spi­tals­re­form­über­le­gun­gen klingt, von Ober­ös­ter­reich an­ge­fan­gen, bis nach Wien. Nur Nie­der­ös­ter­reich tut noch so, als ob es auf un­end­li­chen Geld­quel­len sitzt, Aber auch dort wird die Er­kennt­nis rei­fen, dass die Quel­len zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Au­gust 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Hausarztmodelle – schön und gut!

Haus­arzt­mo­del­le kön­nen nur funk­tio­nie­ren, wenn die Kom­pe­ten­zen dort, wo sie wir­ken sol­len, be­rei­nigt wer­den – dazu braucht es Ge­mein­den, Län­der, ver­schie­de­ne Mi­nis­te­ri­en, Kas­sen – und mu­ti­ge Po­li­ti­ker.

Als ich für „Die Zeit“ einen Ar­ti­kel zum Thema SVA schrei­ben soll­te, ver­wen­de­te ich das Wort: „Haus­arzt-Mo­del­le“. Der Re­dak­teur teil­te mit, das müsse er­klärt wer­den, weil das nie­mand ver­ste­he. We­nigs­tens das dürf­te sich an­läss­lich der jet­zi­gen Dis­kus­si­on än­dern. Mit etwas Glück schafft es das Thema zu einer ge­wis­sen Brei­ten­ak­zep­tanz.

Es ist an der Zeit zu fra­gen, warum es die nicht hat und warum hier­zu­lan­de erst etwas dis­ku­tiert wer­den muss, das an­ders­wo be­reits seit Jahr­zehn­ten gute Pra­xis ist.

Schau­en wird ein­fach in die Rea­li­tät. Unser „Bild“ vom Haus­arzt stammt aus den Nach­kriegs­jah­ren. Da­mals herrsch­te Ärz­te­man­gel, vor allem bei Fach­ärz­ten. Um die Ver­sor­gung auf­recht­zu­er­hal­ten, durf­ten Prak­ti­ker quasi alles. Und selbst in den 1980er Jah­ren gab es noch Land­ärz­te, die Ge­bur­ten mach­ten. Unser Haus­arzt war also sehr breit auf­ge­stellt – und das lange Zeit zu recht.

Aber seit we­nigs­tens zwan­zig Jah­ren ist das an­ders. Die Ärz­te­dich­te ist in­ter­na­tio­nal am höchs­ten, und Spi­tals­am­bu­lan­zen lie­fern eine Spe­zi­al­ver­sor­gungs­brei­te, wie sonst nir­gend­wo. Es ist nicht mehr nötig, dass Haus­ärz­te „alles“ kön­nen und dür­fen. Zudem hat sich die Be­völ­ke­rungs­struk­tur ge­än­dert. So­lan­ge die Be­völ­ke­rung „jung und ge­sund“ war, muss­te der Haus­arzt an­de­res leis­ten als heute, wo zu­neh­mend alte, und im­mo­bi­le Pa­ti­en­ten zu ver­sor­gen sind.

Kurz, das „alte“ Bild vom Haus­arzt hat aus­ge­dient. Und hier kom­men wir zum Kern­pro­blem. Die Po­li­ti­ker wis­sen ein­fach nicht, was sie mit dem Haus­arzt noch an­fan­gen sol­len. Genau ge­nom­men, braucht man keine mehr (glaubt man!). Und auf­bau­end auf einem Ge­setz (ASVG), dass nie­mand mehr ver­steht, und von Ein­zel­in­ter­es­sen zur Frat­ze ver­zerrt wurde, ist die Ent­wick­lung eines „neuen“ Bil­des kaum mög­lich.

In­ter­na­tio­nal will man von Haus­arzt­mo­del­len, dass mög­lichst viele ge­sund­heit­li­chen Pro­ble­me vor Ort adres­siert wer­den. Das Stich­wort ist ge­sund­heit­lich – kein Wort von me­di­zi­nisch, denn das wäre eine Ein­schrän­kung, die nicht funk­tio­niert. Haus­ärz­te (mit ihren Or­di­na­tio­nen) soll­ten nied­rig­schwel­li­ge Leis­tun­gen aus allen Be­rei­chen der Ge­sund­heits­ver­sor­gung, von Prä­ven­ti­on bis zur Pfle­ge, an­bie­ten (nicht bloß ko­or­di­nie­ren!) kön­nen, nicht nur Heil­be­hand­lung, wie es das ASVG vor­sieht.

Prä­ven­ti­on für alte Men­schen (z.B.: Heim­hil­fen, damit Pa­ti­en­ten nicht wegen häus­li­cher Ver­wahr­lo­sung krank oder zum Pfle­ge­fall wer­den), die eben die wich­tigs­te Pa­ti­en­ten­grup­pe heute dar­stel­len, hat mit Heil­be­hand­lung wenig zu tun, ja selbst Re­ha­bi­li­ta­ti­on, wenn sie dar­auf ab­zielt, alte Men­schen mög­lichst lange in ihrer Selbst­stän­dig­keit zu un­ter­stüt­zen (z.B. ak­ti­vie­ren­de Pfle­ge) ist ihr nicht zu­zu­rech­nen. Und trotz­dem ge­hö­ren all diese Dinge zum „Haus­arzt“, wie er sein soll­te. Aber genau dort be­steht ein Kom­pe­tenz­wirr­warr zwi­schen Ge­mein­den, Län­der, ver­schie­de­nen Mi­nis­te­ri­en, Kas­sen und wer weiß wem sonst noch. Dass hier ein Haus­arzt wirk­lich steu­ernd ein­grei­fen kann, setz­te eine Struk­tur­re­form vor­aus.

Der Er­folg eines Haus­arzt­mo­dells wird u.a. daran ge­mes­sen, ob un­nö­ti­ge Spi­tals­auf­ent­hal­te und Fach­arzt­über­wei­sun­gen we­ni­ger wer­den. Damit wer­den die In­ter­es­sen der Län­der und Fach­ärz­te di­rekt be­trof­fen – Ein­spa­run­gen könn­ten zu ihren Las­ten gehen. Es ist schwer vor­stell­bar, dass das dem Haus­arzt in der Rea­li­tät „er­laubt“ würde – ohne Struk­tur­re­form.

Will man also wirk­lich Haus­arzt­mo­del­le, muss man das Sys­tem um­bau­en – alles an­de­re wäre eine „ös­ter­rei­chi­sche“ Lö­sung!

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Juli 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Profitgier im Gesundheitssystem

Wer am Pa­ti­en­ten ver­die­nen will, will durch Leid und Krank­heit Ge­win­ne ma­chen. Das ist un­mo­ra­lisch! Nur der ge­rech­te Lohn darf ver­langt wer­den – und den set­zen Po­li­ti­ker fest. Gott sei Dank!

Am Stamm­tisch, in Dis­kus­sio­nen und auch guten Zei­tun­gen ist es zu er­fah­ren: Die Phar­ma­bran­che ist nur an Pro­fit und nicht am Wohl des Pa­ti­en­ten in­ter­es­siert. Nur um Ge­win­ne nicht sin­ken zu las­sen, sind sie sogar be­reit ihm zu scha­den. Der Share­hol­der-Va­lue ist wich­ti­ger, als der Sta­ke­hol­der-Va­lue!

Nun, das ist mög­li­cher­wei­se nicht ganz un­rich­tig, auch wenn es in Ös­ter­reich von den Fak­ten her nicht nach­voll­zieh­bar ist.

Ge­mes­sen an den Ge­sund­heits­aus­ga­ben lie­gen die für Me­di­ka­men­te, nach den letz­ten OECD-Da­ten, mit 13 Pro­zent wei­ter sehr nied­rig. Also ver­dient die Bran­che of­fen­bar nicht auf Kos­ten an­de­rer Sta­ke­hol­der, die ja von den ver­blei­ben­den 87 Pro­zent leben. We­nigs­tens diese (dazu ge­hö­ren vor allem all Lohn- und Ein­kom­mens­be­zie­her) wer­den of­fen­bar nicht ver­drängt.

Pro Kopf und in Geld ge­mes­sen, lie­gen wir im Schnitt. Das heißt, dass wir we­nigs­tens nicht beim Pa­ti­en­ten knau­sern. Al­ler­dings kom­men wir auf den Wert nur, weil die Phar­ma­bran­che auf Masse macht. Und das wie­der­um macht sie, weil die Stück­prei­se im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich sehr nied­rig sind. Und die sind nied­rig, weil Prei­se hier­zu­lan­de nicht vom Markt, son­dern durch Be­hör­den fest­ge­legt wer­den. Ob das pa­ti­en­ten­freund­lich ist, wäre sehr frag­lich – ist aber lo­gi­sche Folge des Sys­tems.

Wie dem auch sei, die Phar­ma­bran­che ver­dient mit uns nicht wirk­lich gut. Ob­jek­tiv be­trach­tet kann un­ge­zü­gel­te „Pro­fit­gier“, wenn es sie gibt, hier­zu­lan­de je­den­falls nicht um­ge­setzt wer­den. Und trotz­dem haben so viele das Ge­fühl, es wäre so!

Viel­leicht ist das ja des­we­gen, weil die Re­gu­lie­rung so streng ist, dass die Phar­ma­bran­che rasch an Gren­zen stößt und diese dann le­gi­ti­mer­wei­se auch aus­lo­tet. An die­sen Gren­zen je­doch wird das Ge­fühl von „un­mo­ra­li­schem“ Ver­hal­ten ge­weckt. Ist eine be­zahl­te Be­ob­ach­tungs­stu­die Be­ste­chung oder For­schung? Sind Ein­la­dun­gen zu Kon­gres­sen Kor­rup­ti­on oder für das Sys­tem wich­tig? Darf ein Phar­ma­re­fe­rent Abos für wis­sen­schaft­li­che Pe­ri­odi­ka ver­schen­ken, oder ist das An­füt­te­rung? All das liegt in Grau­zo­nen, und mir stellt sich die Frage, ob unser Kor­sett nicht ir­gend­wie „falsch“ ist. Das Ge­füh­le, dass alles was die Phar­ma­bran­che macht, nur dem Ziel dient, „un­mo­ra­lisch“ hohe Ge­win­ne zu er­zie­len, wird aber in der Rea­li­tät genau an den Gren­zen gut ge­nährt.

Und wer pro­fi­tiert davon?

Nun, die Phar­ma­bran­che ist der ein­zi­ge Sta­ke­hol­der, der offen nach markt­wirt­schaft­li­chen Ge­sichts­punk­ten han­delt und daher Ge­win­ne ma­chen will. Alle an­de­ren, an­ge­fan­gen bei den Spi­tä­lern samt Ar­beits­plät­zen, po­li­ti­schen Ein­fluss­nah­men und wäh­ler­stim­men­ma­xi­mie­ren­den Mög­lich­kei­ten, über nie­der­ge­las­se­ne Ärzte bis hin zu Kas­sen, Ge­werk­schaf­ten und Kam­mern, alle sind sie der (selbst­ge­mach­ten?) Mei­nung, dass sie nur für das Wohl des „wich­tigs­ten“ (?) Sta­ke­hol­ders – des Pa­ti­en­ten – ar­bei­ten. Sie wol­len nichts ver­die­nen, oder gar Ge­win­ne ma­chen! Sie wol­len nur ihren ge­rech­ten Lohn für die Für­sor­ge, die sie an­ge­dei­hen las­sen. Und was ge­recht ist, dass sagt uns am bes­ten ein Kas­sen­ob­mann, ein Kam­mer­prä­si­dent, ein Lan­des­haupt­mann oder ein Mi­nis­ter.

Zu­neh­mend je­doch wer­den diese hin­ter­fragt! Und was ist es dann leich­ter, als auf das gute alte Mo­dell des äu­ße­ren Fein­des zu­rück­zu­grei­fen. Und da nur die Phar­ma­bran­che ihre Ge­winn­ab­sicht ehr­lich zur Schau trägt, ma­chen jene, die sich an­ma­ßen, Moral von Un­mo­ral zu un­ter­schei­den, dar­aus ein Kains­mal – und kön­nen so ihre ei­ge­ne Po­si­ti­on „mo­ra­lisch“ ab­si­chern.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Juli 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.