Die verkehrte Welt der Spitäler

Wenn wir „Spital“ hören, denken wir an ein Gebäude, in dem wir, wenn wir schwer krank sind, so behandelt werden, dass wir wieder gesund werden.

Es ist davon auszugehen, dass es (den meisten von) uns lieber wäre, „zuhause“ behandelt zu werden. Für uns ist der „optimale“ Weg der, dass wir erst ins Spital müssen, wenn es nicht anders geht. Im Spital soll dann jene Gesundheit „produziert“ werden, die außerhalb nicht produziert werden kann – und zwar ohne Profitstreben und für alle, nicht nur für die, die es sich leisten können. Das ist nicht nur der moralische Auftrag, sondern auch der objektive Grund für unsere Spitäler. Ist das auch real?

Die Politik definiert Spitäler mittlerweile gerne anders. Zwar wird noch von „optimaler“ Versorgung gesprochen, aber immer klarer festgehalten, dass der volkswirtschaftliche Aspekt wichtig ist. Die Politik hat das eigentliche Ziel aus dem Fokus genommen. Zwar könnte es noch immer sein, dass Gesundheit produziert wird, aber so sicher ist das nicht mehr. Stellen wir uns eine virtuelle Region vor, die plötzlich gesund ist, dann könnte das dortige Spital keine Gesundheit mehr produzieren – aus volkswirtschaftlicher Sicht dürfte es trotzdem nicht gesperrt werden!

Die Zahl der Spitalsaufnahmen schießt seit Jahren in die Höhe. Wir zählen (offiziell) mittlerweile 26,7 Aufnahmen pro 100 Einwohner, während die Deutschen mit nur 20,6 auskommen (EU 15,6). Und als kleines Beispiel: Bei uns liegen Patienten mit Herzschwäche gleich drei Mal häufiger im Spital als in Deutschland. Es entsteht der Eindruck, dass doch viele im Spital behandelt werden, obwohl sie gesund genug wären, zuhause behandelt zu werden. Das ist keine „optimale“ Versorgung!

Warum ist das so? Weil die Politik es nicht schafft, oder schaffen will, Spitäler und niedergelassene Ärzte so abzustimmen, dass Aufnahmen vermieden werden. Und solange genug Geld da war, offenbar zur beiderseitigen Zufriedenheit.

Nun laufen die Spitalskosten aus dem Ruder, und man hat, statt unnötige Spitäler zu sperren, begonnen, diese von Managern betriebswirtschaftlich optimieren zu lassen. Um das zu können, müssen Gewinnabsichten möglich werden. Es sind zwar nur „Scheingewinne“, aber ohne diese Messgröße ist eine Optimierung nicht möglich. Würde der Gewinn daran gemessen, welche Gesundheit zu welchen Kosten produziert wird, wäre das gar nicht schlimm. Aber: Wir messen keine Gesundheit!

Was wir messen sind nur die Kosten, die für Patienten anfallen. Und weil Spitäler „leistungsorientierte“ Fall-Pauschalen als Erlös erhalten, ist die einzige Chance, „Gewinne“ zu machen, die, die Kosten niedriger zu halten, als die Fall-Pauschale abwirft. Damit hat sich das Produkt verändert. Jetzt wird nicht mehr Gesundheit produziert, sondern Patienten (Fälle). Und weil es darum geht, „Fall-Kosten“ zu reduzieren, bedeutet das praktisch, möglichst viele Fälle (Economy of Scale) zu produzieren und möglichst „gesunde“ Patienten (je nach Pauschale also leichte statt schwere Fälle) zu behandeln. Zudem sind betriebswirtschaftliche Spitäler angehalten, Zusatzeinnahmen zu lukrieren. Und wo gibt es die? Bei privatversicherten Klassepatienten! Das alles führt zur Patientenselektion, die eigentlich nur in „profit-orientierten“ Systemen vorkommt.

Perversion bezeichnet eine, den vorherrschenden Moralvorstellungen entgegenwirkende, Eigenschaft. Sie liegt vor, wenn das, was man beobachtet, dem widerspricht, was sozial anerkannt ist und erwartet werden darf.

Warum mir das im Zusammenhang mit unseren Spitälern einfällt?

Dieser Artikel wurde im Oktober 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

BIP-Mythen im Gesundheitssystem

Volkswirtschaft ist schwierig! Umso leichter ist es, „BIP-Mythen“ und „es gibt keine Kostenexplosion im Gesundheitssystem“-Märchen zu erzählen.

Wenn Sie 100 Euro verdienen und 50 davon für Miete ausgeben, dann sind das 50 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens. Sollte ihr Einkommen schneller wachsen, als Ihre Miete, dann sinkt der Prozentsatz, auch wenn die Miete steigt. Wenn Sie also nach einer gewissen Zeit sagen wir doppelt soviel, folglich 200 Euro verdienen, aber die Miete nur um 50 Prozent auf 75 Euro gestiegen ist, dann zahlen sie nur mehr 35 Prozent ihres Geldes für das Wohnen. Soweit so gut!

Wenn jedoch ihr Vermieter nicht am Geld, sondern an Prozenten interessiert ist, und daher festlegt, dass Sie, egal was Sie verdienen, 50 Prozent zahlen müssen, müssten Sie entweder 100 Euro Miete zahlen oder, viel wahrscheinlicher, eine andere Wohnung suchen. Einfach deswegen, weil Sie, wie jeder andere auch, an Geld, und nicht an Prozenten interessiert sind.

Nun, wenn es um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht, ist das anders. Denn es ist modern geworden, nur mehr in BIP-Prozenten zu reden.

Gerade im Gesundheitssystem ist diese BIPitis ausgebrochen. Und Politiker, insbesondere Ärztekämmerer, erzählen Land auf Land ab, es gäbe keine Kostenexplosion, da die Ausgaben, gemessen am BIP, seit „Jahrzehnten“ stabil bei ungefähr zehn Prozent liegen.

Gerne wird außer Acht gelassen, dass das so betrachtete BIP immer 100 Prozent beträgt. Wenn also, wie großzügig gesagt wird, die Ausgaben „ungefähr“ gleich geblieben sind, wird verschwiegen, dass ein „Mehr“ dort, immer ein „Weniger“ woanders bedeutet. Und ein Blick in die Zahlen zeigt, dass das gar nicht so ungefähr ist. Der Anteil am BIP lag 1995 noch bei 9,5 (ungefähr 10?) Prozent und 2008 bei 10,5 (auch ungefähr 10?). Nach heutigem Geldwert beträgt die Differenz schlichte 2,7 Milliarden Euro, ein bisschen viel für „Ungefähr“.

Und weil es ja um Prozente geht, heißt dass nichts anderes, als dass diese Milliarden Euro heute jemand anderem zur Verfügung stehen, als noch 1995. Ob dieses Geld über Steuern und Beiträge der Bevölkerung schlicht abgenommen und das frei verfügbare Einkommen reduziert, oder aber aus anderen öffentlichen Bereichen (Bildung, Forschung, Verkehr, Sicherheit etc.) abgezogen wurde, soll nicht näher betrachtet werden. Wesentlich ist, diese Mittel wurden „umgeschichtet“. Und angesichts der demographischen Veränderung, wird diese Umschichtung munter weitergehen!

Und wenn wir schon bei BIP-Prozentrechnungen sind, dann sei ein bisschen in die „Zukunft“ geschaut.

Aus welchen Gründen auch immer, obwohl wir Ende 2010 haben, sind die Daten für 2009 vom Gesundheitsministerium noch nicht veröffentlicht. In diesem Jahr schrumpfte das BIP. Die Ausgaben in echtem Geld sind jedoch munter weiter gestiegen. Und so kann man auch ohne ministerielle Hilfe gut abschätzen, was, gemessen am BIP, so in die Gesundheit geflossen sein wird. Und wenn nicht irgendwelche unerkannt gebliebenen Wunder aufgetreten sind, dann werden es wohl ungefähr 11,5 Prozent werden; eine „explosionsartige“ Steigerung um 10 Prozent verglichen mit 2008.

Und da nicht unwichtige Teile des BIP 2009 auf Schulden aufgebaut sind, unsere Gläubiger, so wie jeder andere auch, nicht an Prozenten sondern echtem Geld interessiert sein werden, wird zukünftig der „frei verfügbare BIP-Kuchen (echtes Geld und keine Prozente)“ wohl kleiner werden. Mal sehen, wie die, die heute noch erzählen, dass die Gesundheitsausgaben „stabil“ sind, dann argumentieren werden.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Deutschland gegen Österreich: 2 zu 1

Dass die Deutschen einen doppelt so hohen Beitragssatz für die Krankenkassen haben, ist eher ein Zeichen für deren (mögliche) Effizienz. Aber wen interessiert’s?

„Wir hier in Österreich zahlen nur etwas mehr als sieben Prozent Kassenbeiträge. In Deutschland sind es 15 Prozent! Daran kann man sehen, wie gut und effizient unser Gesundheitssystem funktioniert.“

So ähnliches hört man leider nicht nur gelegentlich von hohen und höchsten Politikern. Ob diese Aussage schlicht auf Unwissen (was bei diesen Personen, die über riesige Beraterstäbe von Parteisoldaten und Beamten verfügen, an unbelehrbare Ignoranz erinnern muss), oder Dummheit (dafür könnte man ja nichts) basieren, oder auf bewusste Volksverblendung ausgerichtet sind, entzieht sich leider jeder Erkenntnis.

Klar allerdings ist, dass die Deutschen nicht deswegen doppelt so hohe Beiträge zahlen, weil sie schlechter wären, nein, die nehmen manche Grundsätze der selbstverwalteten Kassen mit solidarischer Finanzierung halt noch ernst. Und einer dieser Grundsätze ist es, durch Beiträge das zu bezahlen, was man bestellt und sich nicht auf „andere“, zum Beispiel Steuerzahler, zu verlassen.

Und so zahlen die deutschen Kassen halt noch (fast) alles selbst, wo bei uns längst Steuergelder herangezogen werden.

Bei uns betragen die reinen Kassen-Beiträge, also ohne irgendwelche direkten oder indirekten Steuergelder, je nach Rechenart etwa neun bis elf Milliarden Euro. Die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für die Gesundheitsversorgung, also sowohl das, was die Sozialversicherungen als auch das, was Bund, Länder und Gemeinden bezahlen, belaufen sich auf knapp 21 Milliarden Euro. Daher werden weniger als die Hälfte dieser Kosten durch Beiträge berappt. Der Rest kommt zum überwiegenden Teil aus Steuern. Und so ist es leicht verständlich, dass unsere Beitragssätze nur halb so hoch sind.

Daraus abzuleiten, wir sind effizienter ist schon mehr als Chuzpe. Besonders, wenn wir auf die Ausgaben in richtigem Geld schauen. Pro Kopf geben wir, gerechnet in harter Währung, nämlich fünf bis zehn Prozent mehr (!) aus als unser Nachbar. Und erreichen wir damit mehr? Sind die Österreicher gesünder als die Deutschen? – ein wesentliches Kriterium der Effizienz ist ja, bei gleicher Effektivität weniger Ressourcen zu verbrauchen!

Nun, ein kleiner Blick in ein paar harte Zahlen lässt wenigstens berechtigten Zweifel zu. Hierzulande sind wir absolute Spitze bei der Zahl der Invaliden, gemessen an den Invaliditätspensionisten, und bei der Pflege unumstrittene Sieger, wenn wir die Zahl der Pflegegeldbezieher als Kriterium heranziehen.

Also genau geschaut ist unser System definitiv nicht effizienter als das Deutsche – und ohne es jetzt belegen zu wollen, deren System zeichnet sich im internationalen Umfeld nicht gerade durch hohe Effizienz aus. Daran wird auch die letzte Reform nichts ändern. Denn hier wie dort sind es Blockierer auf allen Ebenen, die echte Strukturreformen verhindern und immer nur nach mehr Geld schreien.

Was die Deutschen uns aber voraus haben ist, dass, wenn es denn zu einer echten Kassenreform kommt, die Finanzierung aus einer Hand erfolgen könnte. Bei uns hingegen, werden weiter die „virtuellen Geldgeber“ Sozialpartner und Länder – die ja, wie uns Vizekanzler Pröll offen gestanden hat, nach der Realverfassung gewichtiger sind, als die politischen Entscheidungsgremien, die unsere „echte“ Verfassung vorsieht – streiten und jeder wird sagen, wie toll und effizient er denn nicht agiere, und das beste aller System feiern.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Primary Health Care – eine kleines Lehrstück

Von offizieller Seite wird verbreitet, der Ruf nach der Aufwertung der Hausärzte ist nur dazu da, dass diese mehr Geld verdienen – ein Hinweis auf mangelndes Verständnis.

Primary Health Care (PHC) ist, obwohl schon dreißig Jahre alt und das wohl erfolgreichste Versorgungskonzept moderner Gesundheitssysteme, hierzulande fast unbekannt, und wenn überhaupt, dann gerade mal als Hausarztmodelle im Gespräch.

Die Idee war so einfach wie genial: Um ein vernünftiges Gesundheitssystem errichten zu können, sollte man möglichst viele Gesundheitsprobleme – was sehr viel mehr ist, als nur Krankheitsprobleme – wohnortnah zu lösen versuchen; wohnortnah beginnt übrigens in den vier Wänden des Patienten, eine Spitalsambulanz ist nie wohnortnah, egal wie viele Spitäler auch herumstehen.

Es war von Anfang an klar, dass Heilbehandlung nur ein Teil des PHC ist. Daher war es immer schon ein interdisziplinärer Ansatz. Es ging um ambulante, wohnortnahe medizinische, pflegerische und therapeutische Betreuung der Bevölkerung durch ein PHC-Team. In diesem Team sollten neben dem Hausarzt (der die wichtigste Rolle spielen sollte) Physiotherapeuten genau so arbeiten wie Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter und Psychologen. Und das Spektrum der rein ambulanten Versorgung sollte von der Prävention über Rehabilitation (auch für alte Menschen!) bis zu Pflege reichen.

Es ist verblüffend, was mit solchen Teams erreicht werden kann. Die Zahl der Spitalsaufenthalte sinkt genau so, wie die der Überweisungen zum Facharzt. Die Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen werden seltener. Die Patienten, vor allem wenn sie chronisch krank sind, leben länger und bei besserer Gesundheit, und jene Krebsformen, die man bei Früherkennung gut behandeln kann (z.B.: Brust-, Dickdarmkrebs aber auch den schwarzen Hautkrebs und andere) bringen weniger Menschen um. Und als ob das nicht genug wäre, sinken mit der Einführung auch die Gesamtkosten der Gesundheitsversorgung.

Nun, es gibt einige Eckpunkte, die, will PHC funktionieren, nicht wegdiskutiert werden können.

Da wäre beispielsweise die Sache mit der Bedarfsprüfung. Wenn es eine solche nicht gibt, oder diese, à la Österreich ein politisches Gemauschel ist, dann wird die Verteilung der Hausärzte – wie ja zu sehen ist – inhomogen und der Zugang zu Versorgung diskriminierend sein; beides doch eher schlecht!

Auch muss es spezifische, auf den Bedarf ausgerichtete Ausbildung geben, sowohl für Hausärzte als auch alle anderen Berufsgruppen, die im PHC arbeiten sollen. Nun, es reicht bereits ein kleiner Blick in die Turnusarztdiskussion, um zu sehen, dass die Ausbildung unserer Hausärzte auf alles, nur nicht auf Ihre eigentliche Rolle ausgerichtet ist. Und fehlt der Hausarzt, kann es auch kein PHC-Team geben.

Übrigens müssen für ein funktionierendes PHC Hausärzte mehr verdienen als Fachärzte. Hierzulande verdienen sie aber nur 60 Prozent ihrer Fachkollegen. Was für ein Anreizsystem!

Für Patienten sollten alle Leistungen unentgeltlich – also öffentlich finanzierte Sachleistungen – sein. Hierzulande, sehen wir vom Arzt ab, sind alle anderen Leistungen direkt zu bezahlen – die pflegerischen genau so wie die sozialarbeiterischen und die psychologischen sowieso. Außer man geht ins Spital, da sind die Leistungen dann „gratis(?)“.

Und warum gibt es bei uns kein funktionierendes PHC? Warum sind unsere Hausärzte so „abgewertet“? Nun, um das alles umzusetzen braucht man echte und am Gesamtsystem interessierte Entscheidungsstrukturen – und darin mangelt es hierzulande wohl am meisten.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Metternich, die Gesundheitspolitik und der Vormärz

Gut geführte und gesteuerte Gesundheitssysteme zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Entscheidungsträger willens und fähig sind, ihre Arbeit kritisch zu hinterfragen.

Herr L* ist ein bekannter und kritischer Wissenschaftsjournalist. Seine Einstellung mag vielleicht als kontroversiell eingestuft werden, aber seine Arbeiten sind gut recherchiert und haben Hand und Fuß. Und weil eben seine Arbeit gut und nicht nur einfach sensationslüstern ist (ein Vorwurf, der ihm oft von denen gemacht wird, die er kritisiert), ist er ein gern gesehener Vortragender.

Nun kommt es, dass er wieder einmal gebucht war, diesmal zu einem Kongress, der von einigen landeseigenen Krankenhäusern in einem Bundesland, dessen Namen man nicht aussprechen sollte, organisiert wird. Als jedoch die Obrigkeit erfuhr, dass Herr L. einen Vortrag halten soll, wurden kurzerhand die Verantwortlichen in die Zentrale zitiert, gescholten und mit dem Auftrag nach Hause geschickt, den ganzen Kongress abzusagen – denn um diese Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tarnen, wurde nicht nur einfach Herr L. ausgeladen, sondern eben alles abgesagt. Die Wortwahl der Absage wurde vorgegeben und im Übrigen alle zur Verschwiegenheit verpflichtet!

Ist das ein Einzelfall von gekränkter Eitelkeit einzelner, von öffentlichen Geldern bezahlter, Entscheidungsträgern? Mitnichten!

Als beispielsweise in einem anderen Bundesland Herr P* im Rahmen seiner Amtstätigkeit – mittlerweile ist er von dort entfernt – mehr Transparenz herstellen wollte und jede öffentlich finanzierte Studie, die in seiner Abteilung durchgeführt wurde, auch publizieren wollte, hat man hat ihm das schlicht von oben herab verboten.

Auch Herr N* – ebenfalls ein anderes Bundesland – könnte so seine Geschichte erzählen. Als er die Unerhörtheit besaß, die Sinnhaftigkeit eines Spitals-Neubaus, mit Fakten belegt, zu hinterfragen, war die Konsequenz seine Degradierung.

Und auch ich kann mich in diese unvollständige Liste einreihen. Bisher wurden drei, von den eigentlichen Veranstaltern diverser Tagungen gebuchte, Vorträge deswegen storniert, weil es von „Oben“ so gewünscht wurde.

Und das mein damaliger Arbeitsplatz kurz nach dem Erscheinen meines systemkritischen Buches „überflüssig“ und daher abgebaut wurde, ist sicher nur ein Zufall (ich war damals für die Entwicklung eines Spitalsplans zuständig, der bis heute nicht offiziell vorliegt, aber durch eine externe Beratungsfirma erstellt wurde, dessen Honorar bei einem mehrstelligen Vielfachen meines Jahreseinkommens liegt).

Bei all dem habe ich noch gar nicht an meine Zeit im Österreichischen Bundesinstitut im Gesundheitswesen (ÖBIG, heute GÖG) gedacht, als Berichte „zensuriert“ wurden; Berichte, die größtenteils ohnehin nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken durften, selbst dann nicht, wenn die Zensur jede noch so gerechtfertigte Kritik entfernt hatte – schließlich ist selbst die leiseste Kritik nicht erwünscht und die Wahrheit dem Volk nicht zuzumuten.

Es gilt als bewiesen, dass öffentliche Gesundheitssysteme besser funktionieren können, als privatisierte. Dazu allerdings müssen sie gut geführt und gesteuert werden. Die Qualität der Führung und Steuerung hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob die, die wirklich entscheiden, fähig und willens sind, ihre Arbeit immer und immer wieder kritisch und transparent zu beleuchten.

Aber genau das ist weit und breit nicht zu erkennen. Es scheint so, dass jede Kritik von außen eine Majestätsbeleidigung und von innen Hochverrat ist – wie zu Metternichs Zeiten, die auch als Vormärz bezeichnet werden.

*Namen dem Autor bekannt

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Alpbach, Solidarität und eine Maniküre

Alpbach stand unter dem Titel „Sozial- und Gesundheitssystem zwischen Geschichte, Wunsch und Realität“ – und da gibt es viel nachzudenken.

Für unser Gesundheitssystem ist die solidarische Finanzierung seit jeher ein Schlagwort. Gemeinhin wird ja kommuniziert, dass eine solche vorliegt, wenn auch Gesunde die Versorgung von Kranken bezahlen. Um das aber wirklich zu sein, müsste die Gesunden irgendetwas mit den Kranken verbinden. Und um es sophistisch auszudrücken, wenn bereits im Ansatz Gesunde und Kranke auseinander gehalten werden, dann ist man weit weg von einer solidarischen Finanzierung. Und wird per Gesetz und über Zwang diese durchgesetzt, dann ist sie gänzlich verschwunden.

Was verbindet, was hält zusammen – das ist die Frage nach der Solidarität; doch die wird heute nicht mehr ernsthaft gestellt. Viel mehr findet man überall populistische Blüten.

Die meisten dieser Blüten fungieren nach dem alten Prinzip. Achte auf die Deinen und verachte die anderen. Und da finden wir auf der einen Seite Dinge wie eine „Soziale Heimatpartei“ oder etwas verklausulierter, ein „Niederösterreichisches Sozialmodell“, und auf der anderen Seite alte Klassenkampfrufe gegen Reiche, Großgrundbesitzer und Gutsherren. Ist Solidarität wirklich (wieder) nur mehr weckbar, indem tiefe Gräben in die Gesellschaft gerissen werden?

Nun, ich bin gegenüber jeder Kollektivierung, ob nun nach sozialen, berufsständischen, irgendwelchen geographischen oder gar genealogischen Kriterien, sehr skeptisch. Wenn es zur Bildung von Solidargemeinschaften kommen soll, dann nur über freie Entscheidung freier Menschen.

Für Gesundheitssysteme gibt es ausreichend Beweise, dass sie, öffentlich finanziert und gelenkt, für den einzelnen, wie für die Gemeinschaft bessere Ergebnisse erzielen können, als solche, die von der Entscheidung des Individuums abhängen. Dazu müssen allerdings alle gleich behandelt werden (also die gleichen, niedrigen Eintrittsschwellen, die gleiche Behandlung für die gleiche Krankheit etc.), und, damit das System entscheidungsfähig bleibt, dürfen Kompetenzen nicht zersplittert sein – wenn niemand entscheiden kann, wer wo wie am besten versorgt ist, dann funktioniert es nicht.

Es gibt also überzeugende Gründe, warum man auf Solidarität bauen sollte – und die haben alle nichts mit Dünkel zu tun. Und doch scheint es, als ob die vorherrschen. Schon 1955 gab es einen Kompromiss zwischen den ehemaligen Vertretern des Ständestaats und der Kammermacht und denen der Basisdemokratie und Gewerkschaftsmacht. Schon damals wurden Gräben nicht zugeschüttet, sondern mit faulen Kompromissen überbrückt. Das, was vielleicht an echter Solidarität hätte aufgebaut werden können, wurde seit dem, getriggert durch ständige Wahlkämpfe, gründlichst zwischen Partikularinteressen und Klientelpolitik zerrieben.

Statt auf ein funktionierendes System zu achten (was mit echten Reformen einherzugehen hätte) und mit transparenter Leistung die Bevölkerung immer und immer wieder davon zu überzeugen, dass institutionalisierte Solidarität hier wichtig und richtig ist, wurde das System zum Lehnswesen. Wenn heute die Mehrheit glaubt, dass „Reiche“ bessere Medizin erhalten und man die richtigen Leute kennen muss, um „richtig“ behandelt zu werden, kann man keine solidarische Finanzierung mehr erwarten, sondern muss Zwangsabgaben einheben. Und wenn folgerichtig jeder einzelne versucht, es sich zu richten, dann braucht man über Solidarität nicht mehr nachdenken – auch wenn die herrschende Klasse das anders sehen möge.

Dieser Artikel wurde im September 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Solidarität – eine Reflexion

Politiker und Sozialpartner tun so, als ob in der Bevölkerung eine tragfähige Solidarität besteht. Sie dürfte aber eher aufgezwungen, als freiwillig sein – und das ist etwas anderes.

Herr M. ist 62 und in Invaliditätspension, weil er, so sagen Gutachter, nicht mehr arbeiten kann. Grund wäre sein Rücken und seine Knie, alles erheblich abgenützt. 40 Jahre hat er als Maurer gearbeitet, die letzten 15 davon als Polier und sein Job könnte durchaus als körperlich anstrengend bezeichnet werden.

Der wahre, oder wenigstens sehr wesentliche Grund, für seine Invalidität ist aber woanders zu suchen. Herr M. bringt auf seine knapp 1,75 Meter Körpergröße über 100 Kilo. Er ist also fett. Zudem trinkt er täglich etwa fünf Liter Bier, liebt es, üppig zu essen und viel zu rauchen. Dass er Diabetiker ist und unter Bluthochdruck leidet, muss kaum extra erwähnt werden.

Wissenschaftlich betrachtet ist Herr M. für seinen Gesundheitszustand über weite Teile selbst verantwortlich. Das weiß er auch. Schließlich erzählt ihm seit Jahren jeder, vom Hausarzt bis zu seinen Kindern, dass er sich noch „umbringen“ werde.

Solche Warnungen wurden leichtfertig abgetan. Wenn man krank ist, geht man zum Arzt, der macht einen wieder gesund.

Vor zwei Jahren hat er sein Ziel, die Frühpension, erreicht. Die ist zwar mager, kann aber durch Pfusch leicht aufgefettet werden. Und weil er chronisch krank, aber unbelehrbar ist, geht er oft zum Arzt, ein bis zwei mal pro Jahr ins Spital und schluckt haufenweise, dafür unregelmäßig, Medikamente.

Dass das viel kostet, ist ihm egal. Er hat ja ein Leben lang einbezahlt und jetzt ein Recht darauf. Da allerdings täuscht er sich gewaltig.

Denn, bezahlt wird alles nach dem Solidaritätsprinzip, was konkret bedeutet, dass Herr M. sich darauf verlassen muss, dass irgendwer sich mit ihm solidarisch erklärt und die anfallenden Kosten freiwillig übernimmt. Aber warum sollte das jemand tun? Er selbst stellt sich die Frage übrigens nicht – für ihn ist wichtig, dass alles bezahlt wird. Woher das Geld kommt ist ihm herzlich egal.

Und das ist traurig. Denn wenn Solidarität fehlt, wird das Geld nur durch Zwang aufgebracht werden können – und das wäre etwas ganz anderes.

Menschen haben sich schon seit langem zu Gemeinschaften zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu helfen. Mit der Gründung solcher Solidargemeinschaften konnten sich ihre Mitglieder sowohl gegen wirtschaftliche als auch politische Unbilden „absichern“. Basis dieser freiwilligen und selbstverwalteten Zusammenschlüsse war stets das Bekenntnis zu etwas Gemeinsamen, zu dem jeder seinen Beitrag liefern muss; darin liegt der Solidaritätsgedanke; der theoretisch auch unserem Sozialversicherungssystem unterlegt ist.

In wie weit es diesen Gedanken nach 1955 (dem Jahr der Einführung des ASVG) gab, ist ohnehin zu hinterfragen. Hier herrschte immer ein „unfreies“ Pflichtsystem. Ja selbst die Mitbestimmung der Mitglieder ist fragwürdig, da sie über weite Strecken nur über Kammerwahlen möglich ist. Wer die Wahlbeteiligung in diesen Organisationen mit Pflichtmitgliedschaft kennt, kann schnell erkennen, dass Mitbestimmung kaum stattfindet.

In unserem System steckt also bereits sehr viel Zwang, und das ist der Förderung des Solidaritätsgedanken nicht dienlich. Nichtsdestotrotz wird seitens der Politik (inklusive der Kammern) daran festgehalten und so getan, als ob er unverbrüchlich besteht.

Nun, man kann hoffen, dass die gepredigte Solidarität nie in der Realität geprüft wird. So gefühlt, besteht sie längst nicht mehr. Weder von denen, die von ihr leben, noch von denen die dafür aufkommen.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die leeren Kassen beginnen zu diktieren? Zumindest ist hinter den Kulissen mehr Bewegung zu bemerken, als jemals zuvor. Die Angst, die „Spitalswesen“-Titanic könnte doch sinken, geht um.

Im März 2009, als die Finanz- zur Wirtschaftskrise wurde, stand an dieser Stelle, dass die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Spitäler, die durch die Länder für 2009 aufzubringen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Milliarden Euro) deutlich anwachsen werden. Hintergrund dieser Rechnung war, dass die Einnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken werden, weil sie wesentlich vom Steuer- und Beitragsaufkommen abhängen. Da aber die Kosten ungeachtet der Krise weiterwachsen werden, wird das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben größer.

Schon bisher schlossen die Länder dieses Loch durch die Abgangsdeckung, eine Art automatischer Defizitdeckung. Und die war nicht gering. Oberflächlich ausgedrückt, machten die öffentlichen Spitäler pro Jahr 30 bis 35 Prozent Miese, die im Landesbudget hängen blieben; seit 2009 jedoch sind es wohl 40 und mehr Prozent – und das wird solange bleiben, solange die Wirtschaft das durch die Krise entstandene Minus nicht selbst (ohne Staathilfen) kompensiert hat, oder die Kosten der Spitäler real sinken. Ersteres könnte Jahre dauern, und zweiteres ist gegen den Willen der Landespolitik.

Langsam dürfte dort aber die Erkenntnis wachsen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das langsam geht, hat zwei Ursachen.

Erstens, weil wirtschaftliche Berechnungen der Spitäler sehr lange brauchen. In der Regel liegen „fertige“ Zahlen erst mit einem Jahr Verzögerung vor. Also sind die Zahlen für 2009 erst Ende dieses Jahres „fertig“. Natürlich gibt es da und dort auch gescheite Mitarbeiter, die unterjährig Schätzungen anstellen, aber ein echtes Controlling ist auf Landesebene die Ausnahme. Das kommt daher, dass Landespolitiker geschätzte Zahlen, wenn sie unangenehm sind, nicht, oder wenigstens so spät wie möglich, hören wollen. Und so warten „brave“ Mitarbeiter darauf, dass sie nur mit „fertigen“ Zahlen zur Politik wandern. Sollte es doch jemand wagen, unerwünschte Zahlen „zu früh“ zu präsentieren, dann riskiert er manchenorts sogar seinen Job. Die Folge dieser Vogelstrauss-Politik ist eine endlose Erkenntnisverzögerung. Nichts desto trotz dürfte langsam auch auf politischer Ebene bemerkt werden, dass es echte Finanzierungsprobleme gibt.

Die zweite Ursache ist „Maastricht“.

Früher war Geld für gestandene Landespolitiker kein Problem; wurde es knapp, musste „Wien“ zahlen. Doch diesmal ist das anders, denn der Bund kann nicht mehr so einfach neue Schulden aufnehmen, nur um Weihnachtsmannpolitik zu bedienen. Und er kann es vermutlich auch nicht mehr Erlauben, dass Länder, statt wie gesetzlich vereinbart, Budgetüberschüsse zu erzielen und ins Bundesbudget einzuzahlen, weiter Schulden machen. Der laufende Betrieb der Spitäler reißt mittlerweile aber so tiefe Löcher in die Landesbudgets, dass ein Überschuss ohne Spitalsreform irreal ist. Wenn jedoch die Länder keinen Überschuss abliefern, erhöht sich das Bundesdefizit, was die Einhaltung der Maastrichtkriterien erschwert und – wichtiger – bei Rating-Agenturen schlecht ankommen wird. Neue Schulden unter diesem Titel würden erhebliche Probleme bereiten – das kriegen auch die Länder langsam mit.

Und so beginnt etwas, das wirklich nach ernsthaften Spitalsreformüberlegungen klingt, von Oberösterreich angefangen, bis nach Wien. Nur Niederösterreich tut noch so, als ob es auf unendlichen Geldquellen sitzt, Aber auch dort wird die Erkenntnis reifen, dass die Quellen zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hausarztmodelle – schön und gut!

Hausarztmodelle können nur funktionieren, wenn die Kompetenzen dort, wo sie wirken sollen, bereinigt werden – dazu braucht es Gemeinden, Länder, verschiedene Ministerien, Kassen – und mutige Politiker.

Als ich für „Die Zeit“ einen Artikel zum Thema SVA schreiben sollte, verwendete ich das Wort: „Hausarzt-Modelle“. Der Redakteur teilte mit, das müsse erklärt werden, weil das niemand verstehe. Wenigstens das dürfte sich anlässlich der jetzigen Diskussion ändern. Mit etwas Glück schafft es das Thema zu einer gewissen Breitenakzeptanz.

Es ist an der Zeit zu fragen, warum es die nicht hat und warum hierzulande erst etwas diskutiert werden muss, das anderswo bereits seit Jahrzehnten gute Praxis ist.

Schauen wird einfach in die Realität. Unser „Bild“ vom Hausarzt stammt aus den Nachkriegsjahren. Damals herrschte Ärztemangel, vor allem bei Fachärzten. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, durften Praktiker quasi alles. Und selbst in den 1980er Jahren gab es noch Landärzte, die Geburten machten. Unser Hausarzt war also sehr breit aufgestellt – und das lange Zeit zu recht.

Aber seit wenigstens zwanzig Jahren ist das anders. Die Ärztedichte ist international am höchsten, und Spitalsambulanzen liefern eine Spezialversorgungsbreite, wie sonst nirgendwo. Es ist nicht mehr nötig, dass Hausärzte „alles“ können und dürfen. Zudem hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert. Solange die Bevölkerung „jung und gesund“ war, musste der Hausarzt anderes leisten als heute, wo zunehmend alte, und immobile Patienten zu versorgen sind.

Kurz, das „alte“ Bild vom Hausarzt hat ausgedient. Und hier kommen wir zum Kernproblem. Die Politiker wissen einfach nicht, was sie mit dem Hausarzt noch anfangen sollen. Genau genommen, braucht man keine mehr (glaubt man!). Und aufbauend auf einem Gesetz (ASVG), dass niemand mehr versteht, und von Einzelinteressen zur Fratze verzerrt wurde, ist die Entwicklung eines „neuen“ Bildes kaum möglich.

International will man von Hausarztmodellen, dass möglichst viele gesundheitlichen Probleme vor Ort adressiert werden. Das Stichwort ist gesundheitlich – kein Wort von medizinisch, denn das wäre eine Einschränkung, die nicht funktioniert. Hausärzte (mit ihren Ordinationen) sollten niedrigschwellige Leistungen aus allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, von Prävention bis zur Pflege, anbieten (nicht bloß koordinieren!) können, nicht nur Heilbehandlung, wie es das ASVG vorsieht.

Prävention für alte Menschen (z.B.: Heimhilfen, damit Patienten nicht wegen häuslicher Verwahrlosung krank oder zum Pflegefall werden), die eben die wichtigste Patientengruppe heute darstellen, hat mit Heilbehandlung wenig zu tun, ja selbst Rehabilitation, wenn sie darauf abzielt, alte Menschen möglichst lange in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen (z.B. aktivierende Pflege) ist ihr nicht zuzurechnen. Und trotzdem gehören all diese Dinge zum „Hausarzt“, wie er sein sollte. Aber genau dort besteht ein Kompetenzwirrwarr zwischen Gemeinden, Länder, verschiedenen Ministerien, Kassen und wer weiß wem sonst noch. Dass hier ein Hausarzt wirklich steuernd eingreifen kann, setzte eine Strukturreform voraus.

Der Erfolg eines Hausarztmodells wird u.a. daran gemessen, ob unnötige Spitalsaufenthalte und Facharztüberweisungen weniger werden. Damit werden die Interessen der Länder und Fachärzte direkt betroffen – Einsparungen könnten zu ihren Lasten gehen. Es ist schwer vorstellbar, dass das dem Hausarzt in der Realität „erlaubt“ würde – ohne Strukturreform.

Will man also wirklich Hausarztmodelle, muss man das System umbauen – alles andere wäre eine „österreichische“ Lösung!

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Profitgier im Gesundheitssystem

Wer am Patienten verdienen will, will durch Leid und Krankheit Gewinne machen. Das ist unmoralisch! Nur der gerechte Lohn darf verlangt werden – und den setzen Politiker fest. Gott sei Dank!

Am Stammtisch, in Diskussionen und auch guten Zeitungen ist es zu erfahren: Die Pharmabranche ist nur an Profit und nicht am Wohl des Patienten interessiert. Nur um Gewinne nicht sinken zu lassen, sind sie sogar bereit ihm zu schaden. Der Shareholder-Value ist wichtiger, als der Stakeholder-Value!

Nun, das ist möglicherweise nicht ganz unrichtig, auch wenn es in Österreich von den Fakten her nicht nachvollziehbar ist.

Gemessen an den Gesundheitsausgaben liegen die für Medikamente, nach den letzten OECD-Daten, mit 13 Prozent weiter sehr niedrig. Also verdient die Branche offenbar nicht auf Kosten anderer Stakeholder, die ja von den verbleibenden 87 Prozent leben. Wenigstens diese (dazu gehören vor allem all Lohn- und Einkommensbezieher) werden offenbar nicht verdrängt.

Pro Kopf und in Geld gemessen, liegen wir im Schnitt. Das heißt, dass wir wenigstens nicht beim Patienten knausern. Allerdings kommen wir auf den Wert nur, weil die Pharmabranche auf Masse macht. Und das wiederum macht sie, weil die Stückpreise im internationalen Vergleich sehr niedrig sind. Und die sind niedrig, weil Preise hierzulande nicht vom Markt, sondern durch Behörden festgelegt werden. Ob das patientenfreundlich ist, wäre sehr fraglich – ist aber logische Folge des Systems.

Wie dem auch sei, die Pharmabranche verdient mit uns nicht wirklich gut. Objektiv betrachtet kann ungezügelte „Profitgier“, wenn es sie gibt, hierzulande jedenfalls nicht umgesetzt werden. Und trotzdem haben so viele das Gefühl, es wäre so!

Vielleicht ist das ja deswegen, weil die Regulierung so streng ist, dass die Pharmabranche rasch an Grenzen stößt und diese dann legitimerweise auch auslotet. An diesen Grenzen jedoch wird das Gefühl von „unmoralischem“ Verhalten geweckt. Ist eine bezahlte Beobachtungsstudie Bestechung oder Forschung? Sind Einladungen zu Kongressen Korruption oder für das System wichtig? Darf ein Pharmareferent Abos für wissenschaftliche Periodika verschenken, oder ist das Anfütterung? All das liegt in Grauzonen, und mir stellt sich die Frage, ob unser Korsett nicht irgendwie „falsch“ ist. Das Gefühle, dass alles was die Pharmabranche macht, nur dem Ziel dient, „unmoralisch“ hohe Gewinne zu erzielen, wird aber in der Realität genau an den Grenzen gut genährt.

Und wer profitiert davon?

Nun, die Pharmabranche ist der einzige Stakeholder, der offen nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten handelt und daher Gewinne machen will. Alle anderen, angefangen bei den Spitälern samt Arbeitsplätzen, politischen Einflussnahmen und wählerstimmenmaximierenden Möglichkeiten, über niedergelassene Ärzte bis hin zu Kassen, Gewerkschaften und Kammern, alle sind sie der (selbstgemachten?) Meinung, dass sie nur für das Wohl des „wichtigsten“ (?) Stakeholders – des Patienten – arbeiten. Sie wollen nichts verdienen, oder gar Gewinne machen! Sie wollen nur ihren gerechten Lohn für die Fürsorge, die sie angedeihen lassen. Und was gerecht ist, dass sagt uns am besten ein Kassenobmann, ein Kammerpräsident, ein Landeshauptmann oder ein Minister.

Zunehmend jedoch werden diese hinterfragt! Und was ist es dann leichter, als auf das gute alte Modell des äußeren Feindes zurückzugreifen. Und da nur die Pharmabranche ihre Gewinnabsicht ehrlich zur Schau trägt, machen jene, die sich anmaßen, Moral von Unmoral zu unterscheiden, daraus ein Kainsmal – und können so ihre eigene Position „moralisch“ absichern.

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.