Die Palliativversorgung bleibt ein ewiges Problem

Die Politik verspricht seit Jahren, die Palliativversorgung patientenorientiert zu gewährleisten – mit mäßigem Erfolg.

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   In Salzburg wurde 2002, als es so aussah, dass die Palliativversorgung (PAL) bedarfsgerecht ausgebaut werden soll, ein Hospiz errichtet. Allerdings blieb vieles Lippenbekenntnis. Selbst als es 2005 zu einem Plan zwischen Bund, Ländern und Kassen kam, den Ausbau voranzutreiben, blieben Fortschritte mager.

   Ende 2012 schloss das Hospiz.

   Ein Tag kostete dort etwa 430 Euro. Die Kassen übernahmen 51 Euro, das Land 80. Der Patient steuerte 170 Euro pro Tag bei, die restlichen 130 der Träger – und als die wegfielen, war Schluss. So wichen Patienten wieder auf Spitäler aus.

   PAL-Stationen sind für Spitalsbetreiber finanziell und politisch unattraktiv. Daher sind die intramuralen Kapazitäten so ausgelegt, dass sie nur reichen, wenn die extramuralen entsprechend ausgebaut sind.

   Da das nicht so ist, gibt es einen Mangel. Hintergrund ist das Problem, dass keiner weiß (und auch nicht wissen will), ob PAL ins Gesundheits- oder Sozialsystem gehört.

   Im ersten Fall bezieht man PAL als Sachleistung unentgeltlich. Für Finanzierung wären Kassen und Länder (ohnehin schon schwer genug, die beiden zusammenzubringen) verantwortlich. Im zweiten Fall ist sie von jedem selbst zu bezahlen, oder eben über Spenden zu finanzieren. Die Abgrenzungsprobleme sind verrückt. Und so schieben sich alle seit Jahren den Schwarzen Peter gegenseitig zu.

   Das ist teuer und unmenschlich. Da viele Patienten auf normalen Abteilungen versorgt werden, fallen dort Kosten zwischen 800 und 1000 Euro pro Tag an – bei nachweislich sinkender Lebensqualität der Patienten.

   Warum wollen Kassen und Länder also keinen gemeinsamen Weg finden, eine PAL-Versorgung ohne Selbstbehalte zu ermöglichen?

   Die Antwort ist zynisch. Wenn das erwähnte Hospiz geschlossen wird, sparen sich Kassen 180.000 Euro. Die Länder sind nicht abgeneigt, Patienten in Spitälern zu versorgen, weil sie diese ja erhalten wollen. Und da politisch und finanziell eine normale Abteilung attraktiver als eine „Sterbe-Abteilung“ ist, werden diese auch nicht ausgebaut.

   Da es kaum Fortschritt gab, wurde im Juni 2014 die Enquete-Kommission zur „Würde am Ende des Lebens“ im Parlament beschlossen. Ein halbes Jahr wurde parliert, ein halbes Jahr verhandelt und – zehn Jahre nach dem ersten Beschluss über den Ausbau einer abgestuften Palliativ- und Hospizversorgung – ein Plan über den stufenweisen Ausbau und die mögliche Regelfinanzierung beschlossen. Nach weiteren drei Monaten wurde ein neues Gremium geschaffen, das Hospiz- und Palliativforum, dessen Präsidentinnen Waltraud Klasnic (ÖVP) und Elisabeth Pittermann (SPÖ) wurden. Und jetzt steht wieder alles.

   Im April 2017, nach 15 Jahren fortwährender Versprechen, dass es zu einer Lösung des Kompetenzproblems und einer Regelfinanzierung kommt, erklärt die Caritas, dass weiterhin der Bedarf nur zu 50 Prozent gedeckt und maßgeblich auf Spenden angewiesen ist – was bedeutet, dass wegen der Unfähigkeit zur Lösung abertausenden Menschen ein Sterben in Würde vorenthalten wurde und wird.

„Wiener Zeitung“ Nr. 072 vom 13.04.2017   

Ärztekammerwahlkampf auf Ciceros Spuren

Gegen „Primärversorgungszentren“ wird mobilisiert – doch worum geht es wirklich?

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   Der Gesetzesentwurf für die neue Primärversorgung in Österreich spricht von PrimärversorgungsEINHEITEN (PVE), die als ZENTREN oder NETZWERKE organisiert sein können. Sie sollen von den niedergelassenen Kassen-Hausärzten, als Eigentümer und Betreiber, gebildet werden – wohnortnah. Niemand wird „seinen“ Hausarzt verlieren. Da bestehende Verträge nicht angerührt werden, wird auch kein Arzt gezwungen mitzumachen. Es muss sich auch keiner sorgen, dass ihm Konkurrenz vor die Nase gesetzt wird, denn es wird weiter Gesamtverträge zwischen Kassen und Ärztekammern geben; die weiter verbindliche und vor Konkurrenz schützende Stellenpläne enthalten. PVEs sind nicht starre Strukturen, sondern flexible Einheiten, deren Mitarbeiter (das PHC-Team) selbstentwickelte Versorgungskonzepte rund um ihre Patienten umsetzen sollen. Je nach Konzept wird die personelle und infrastrukturelle Ausstattung aussehen. Wegen langfristiger Übergangsregeln wird eine Vielfalt von Modellen entstehen. Deswegen wird es auch die für Kettenbildung („McDonaldisierung“) wichtigen Skaleneffekte nicht geben und damit keine Konzerne oder anonyme Finanziers. Das Gesetz wird auch beherrschende Eigentümerstrukturen verbieten. Und weil PVE-Verträge ein völlig neues Honorierungsmodell erhalten, wird es auch zu keinen Dumpingtarifen kommen. Eine kontaktunabhängige Grundpauschale wird Infrastruktur und nichtärztliches Personal finanzieren, dazu kommen Fallpauschalen, Einzelleistungsvergütungen sowie Bonuszahlungen – finanziert durch zusätzliches Geld. Was also bewegt die Ärztekammer, allen voran Vize-Präsidenten Johannes Steinhart, heftigst dagegen zu mobilisieren? Sorge um die Ärzteschaft? Um die Patienten? Ich denke, dahinter steckt nur Wahlkampf. Vor fünf Jahren hat der amtierende Präsident Thomas Szekeres mit einer abenteuerlichen Koalition die Erbpacht auf das Präsidentenamt der Fraktion beendet, der Steinhart angehört. Und diesen „Fehler“ gilt es zu korrigieren. Steinhart will auch österreichischer Ärztekammerpräsident werden – das geht nur, wenn er zuvor Wiener Präsident wird. Da im letzten Jahr sein Konkurrent Szekeres sich rund um den Konflikt mit Stadträtin Sonja Wehsely stark profilieren konnte, ist Steinharts Ausgangsposition schwach. Weil jedoch tiefes Misstrauen gegenüber legitimierten Politikern und der Marktwirtschaft der Kitt ist, der fast alle Ärzte zusammenhält, werden Klischees bedient: Es komme zu einer Verstaatlichung durch profitorientierte Investoren, die Ärzte „zu abhängigen Gesundheitsdienstleistern“ und „Normunterworfenen“ degradieren und mit Dumping-Tarifen abspeisen wollen. Egal wie absurd die Argumente sind und wie wenig sie mit der Realität zu tun haben – es werden äußere Feinde der Ärzte (und Patienten) stilisiert, um innere Solidarität zu provozieren. Denn was empfiehlt schon Cicero: „Passe Deine Aussagen an die Gründe an, warum dich einer unterstützt“, und: „Sieh zu, dass dein ganzer Wahlkampf eine brillante, glänzende und populäre Show ist, die größte Aufmerksamkeit erzielt.“

„Wiener Zeitung“ Nr. 052 vom 16.03.2017  

Fehlgeleitet

Patienten werden von den Krankenkassen bewusst zu Wahlärzten und in Spitalsambulanzen verschoben.

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   Vorweg: Ein Kassenarzt ist verpflichtet, eine Mindeststundenanzahl offen zu haben. Wenn Patienten außerhalb dieser Zeit behandelt werden, kann ein Zuschlag verrechnet werden, der dazu dient, die mit den außertourlichen Öffnungszeiten verbundenen Mehrkosten, etwa Überstundenzuschläge für Mitarbeiter, zu kompensieren.

   Weil die Leistungshonorare, vor allem der Gebietskrankenkassen, sehr niedrig und viele nicht einmal mehr kostendeckend sind und durch Privatleistungen quersubventioniert werden müssen, entstehen durch außertourliche Öffnungszeiten nicht nur Mehrkosten, sondern auch Opportunitätskosten. Am Ende ist es für Kassenärzte ein wirtschaftliches (und wohl auch gewolltes) Problem, länger offen zu halten.

   Vor etwa einem Monat gab es das Gerücht, dass Kassenärzte, wenn sie etwa bei Grippewellen länger offen hatten, für Patienten keinen „Zuschlag“ abgegolten erhielten. Die Krankenkassen hätten diese Zuschläge, mit der Aussage, dass ja Spitalsambulanzen offen waren, im Nachhinein abgelehnt. Wie gesagt, nur ein Gerücht, das von Kassen dementiert wurde. Daten dazu gibt es nicht.

   Jetzt kann man einwenden, dass Ärzte dieses Gerücht gestreut haben, weil sie irgendeine versteckte Agenda verfolgen. Doch da erreicht mich folgende Geschichte einer Patientin (Name bekannt, Text gekürzt): „Mit einem akuten gesundheitlichen Problem suche ich den Wahlarzt meines Vertrauens auf, welcher nach ausführlichster Untersuchung samt Ultraschall 140 wohlverdiente Euro verrechnet. Frohen Mutes reiche ich diese Honorarnote bei der Krankenkasse ein, um in Worten sechs Euro rück erstattet zu bekommen. Nun dachte ich, jene Summe rückerstattet zu bekommen, die ein niedergelassener Facharzt mit Kassenvertrag erhalten hätte (wohl kaum 6 Euro, sonst kann der zumachen), und rufe bei der Krankenkasse mit der Bitte um Aufklärung an: ,Ja, das ist wegen dem Ultraschall. Der wird ja nicht bezahlt.‘ Ich darauf: ,Naja, wie soll er in mich reinschauen, mit dem Röntgenblick?‘ Sie darauf: ,Gehen Sie halt das nächste Mal in eine Spitalsambulanz, da ist ohnehin nachher ein Krankenhaus nötig.‘ Darauf ich: ,Aha, das soll ich also schon vorher wissen? Und, da komm’ ich Ihnen dann billiger in der Ambulanz?‘ Darauf sie: ,Das zahlt dann wer anderer, verstehen Sie?‘“

   Natürlich bleibt auch das wieder Anekdote – doch das Bild verdichtet sich, dass die Kassen ihre Patienten bewusst zu Wahlärzten und in Spitalsambulanzen verdrängen. Denn der (altersstandardisierte) Anteil der Bevölkerung, der 2014 wenigstens einmal einen Facharzt (Wahl- oder Kassenarzt) sah, stieg, verglichen mit 2007, um 40 Prozent, der Anteil in einer Spitalsambulanz um 34 Prozent. Im Gegenzug dazu stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Kassenfachärzte nur um 4 Prozent, die Zahl der Spitalsärzte aber um 30 Prozent und die Zahl der reinen Wahlfachärzte (also jene niedergelassenen Ärzte ohne Kassenvertrag, die nur davon leben und keinerlei zusätzliche Anstellung haben) gar um 370 Prozent. Und wenn 1+1=2 ist, dann ist die Verdrängung der Patienten vom Kassenarzt zum Wahlarzt und in die Spitalsambulanz kein Zufall.

„Wiener Zeitung“ Nr. 032 vom 16.02.2017  

Der „Plan A“ – Wahlkampf oder genial?

Im Grundsatzpapier des SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern findet sich auch einiges zu Gesundheit und Pflege.

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   Neben einer der Tagespolitik geschuldeten Detailverliebtheit, etwa der Begrenzung der „Wartezeiten auf MR- und CT-Untersuchungen“, findet sich auch Grundsätzlicheres.

   Alle Kassen sollen die gleichen Leistungen anbieten. Eine gewaltige Ansage, wenn auch nicht neu. Die Leistungsharmonisierung poppt seit Jahrzehnten immer wieder auf – freilich, ohne jemals passiert zu sein. Denn dazu müssten entweder alle Kassen zu einer fusioniert oder die Selbstverwaltung abgeschafft werden. Beides ist nicht denkbar, sind Selbstverwaltung, Kassenvielfalt und Pflichtversicherung in der SPÖ doch unangreifbare Grundsätze. Zersplitterte verfassungsrechtliche Kompetenzen, fragmentierte Rechtsgrundlagen und wirre Finanzierungs- und Organisationsstrukturen (nachzulesen im Bericht für die Regierung Faymann I der Expertengruppe aus Rechnungshof, Wifo, IHS, StA und KDZ) müssen unangetastet bleiben.

   Wenn die Harmonisierung trotzdem passieren soll, dann nur, indem der Staat Geld in die Hand nimmt und sich alle Kassen und Ärztekammer auf das maximale Leistungsspektrum einer Kasse (vermutlich der BVA) zu deren Preisen einigen.

   Bezahlt werden soll das aus den Rücklagen der Kassen. Weil aber die Guthaben der (meist ÖVP-nahen) Kassen heute im Maastricht-Budget defizitsenkend wirken, wird die Staatsverschuldung steigen.

   Aktuell werden etwa 2,5 Mrd. Euro an Honoraren für Kassenärzte ausbezahlt. Die Rücklagen betragen 2,6 Mrd. Es ist zwar unklar, in welchem Zeitraum diese aufgelöst werden sollen, aber am Ende werden die öffentlichen Gesundheitsausgaben deutlich höher sein (etwa 10 Prozent). Ob die Leistungen harmonisiert bleiben, ist unklar – denn die Verhandlungshoheit wird weiterhin den dutzenden Selbstverwaltungspartnern obliegen. Und die werden schnell verstehen, dass sie bei einer derartigen Vorgangsweise (Kassenfusion über die Hintertür) faktisch abgeschafft werden, und nicht untätig zuschauen.

   Ist also der „Plan A“ genial oder Wahlkampf-Populismus?

   Für Letzteres spricht, dass der Kanzler ohne Gespräche mit den Selbstverwaltungspartnern bei SVA-Versicherten, traditionelle ÖVP-Wähler, den Selbstbehalt streichen und für KMUs die Krankengeldregelung großzügiger gestalten will – mit dem Geld der SVA und der AUVA, zwei Versicherungen, die der ÖVP „gehören“. So ein unorthodoxes Vorgehen in der „anderen“ Reichshälfte spricht nicht für Reformwillen, sondern für Neuwahlen.

   Warum auch Reformen, schließlich heißt es im „Plan A“, dass unser System eines der besten sei (auch wenn das nachweislich falsch ist)? Und mehr noch, es heißt darin, dass „Österreich ein glückliches Land“ sei, weil 5 Prozent der Bevölkerung Pflegegeld beziehen (dass es keine Pflegeprävention, aber eine Pflegequote von 5 Prozent und damit wohl die höchste der EU gibt, stört nicht).

   Also bleibt: Unser System ist „zwar nicht wirklich krank, aber auch nicht topfit“, und es braucht mehr Geld – keine Struktur-Reformen.    Die stören im Wahlkampf.

„Wiener Zeitung“ Nr. 012 vom 19.01.2017   

Die Existenzängste der Kassen-Hausärzte

Ein Hausarzt verdient bei einem Jahresumsatz von durchschnittlich 250.000 Euro rund 50.000 Euro netto.

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    Ein wesentlicher Teil des Gewinns stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus quersubventionierenden Tätigkeiten.

   Da wäre die Hausapotheke, ohne die die Patientenversorgung, wie sie auf dem Land stattfindet, keinesfalls bestünde. Und dann gibt es Einnahmen aus Alternativmedizin und Ästhetik. Scharenweise bessern Hausärzte ihr Auskommen mit Low-Level-Laser, Magnetfeld-Therapie oder Homöopathie auf, die allesamt als medizinisch-wissenschaftliche Tätigkeiten angeboten werden. Oder sie verabreichen Botox-Spritzen.

   Da der Kassenarzt Unternehmer ist, hat er keinen bezahlten Krankenstand, Urlaub, doppelte Gehälter oder Arbeitslosengeld. So etwas gibt es nicht, selbst wenn die Ärztekammer den Kassenvertrag als Kollektivvertrag verkauft. Das ist Polemik, um vermeintlich mehr politischen Druck auf die aus der Gewerkschaft stammenden Gesundheitsminister auszuüben.

   Mehr noch, als Unternehmer muss der Kassenarzt seinen Arbeitsplatz selbst finanzieren, also auch Investitionen aus dem Gewinn stemmen – oder eben nicht. Denn bei so einem geringen Gewinn ist es viel gescheiter, Investitionen fremdzufinanzieren. Und das hat Konsequenzen. Die meisten Kassenärzte, vor allem wenn sie unter 50 sind, sind hoch verschuldet. Und genau deswegen sind sie bereits heute ökonomischen Zwängen unterworfen, auch wenn das gerne und vor allem seitens der Ärztekammer verschwiegen wird.

   Außerhalb der gut beheizten politischen Büros in Ländern, Kassen und Ärztekammern sitzen 4100 Kassenhausärzte in ihren fremdfinanzierten Ordinationen und haben Existenzangst. Natürlich sind die meisten zu elegant, das zuzugeben, schließlich arbeiten sie primär für den Patienten und nicht für Geld, aber real sind es die nächste Kreditrate, die Miete und das nächste doppelte Gehalt für Angestellte, die drücken. Die meisten fürchten sich wohl auch nicht, keine Arbeit mehr zu finden, und sei es angestellt in einem Primary-Health-Care-Zentrum; sie fürchten, auf tausenden Euro Schulden sitzen zu bleiben.

   International wurde deswegen bei Strukturreformen das unternehmerische Risiko immer von den Reformern (zum Beispiel die Politik) übernommen. Fonds wurden eingerichtet und Ordinationen, die geschlossen werden sollten, abgelöst. Es gab einen von Anfang an klar kommunizierten Investitionsschutz, der nicht über einen langwierigen, teuren und unsicheren Rechtsweg (den es bei uns auch gibt) erstritten werden musste. Da stellt sich die Frage, warum dieses Thema niemand aufnimmt. Wer hätte die Aufgabe, die Interessen der Ärzte zu vertreten – aber keinerlei Legitimation, über Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens zu entscheiden?

   Genau da ist Kritik an der Ärztekammer angebracht. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich um Patienten zu kümmern, sehr wohl aber, die Interessen ihrer Pflichtmitglieder wahrzunehmen. Doch würde die Kammer zum Thema Ablösen Gespräche führen, wäre das ja eine implizite Zustimmung. Weil aber bei der Reform klar ist, dass Kammerfunktionäre stark an Macht und Einfluss verlieren, dürfte es denen lieber sein, Ängste zu schüren, um gegen die Reform zu mobilisieren, statt diese „ärztefreundlich“ zu gestalten.

„Wiener Zeitung“ Nr. 248 vom 22.12.2016  

Budgettricks in gewaltigen Dimensionen  

Die Länder werden ihre geforderten 500 Millionen Euro doch bekommen. Zahlentricks im Finanzausgleich machen es möglich.

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Dass Österreichs Politiker in allen Institutionen etwas gegen Fakten haben, ist bekannt und hängt wohl damit zusammen, dass Fakten keine Meinung zulassen. Rund um die Gesundheitsreform fällt das dann doch krass aus. Während die Ärztekammer behauptet, dass 2021 um 4,5 Milliarden Euro weniger (von was?) ausgegeben werden, meint das Ministerium, es sind um 4,6 Milliarden mehr.

In der Ärztekammer meint man, dass „irrelevante Luftbuchungen“ enthalten sind, und im Ministerium, dass die Ärztekammer die Grundrechnungsarten nicht beherrscht. Bei zehn Milliarden Euro wäre ein bisschen mehr Klarheit angebracht, sollte man meinen. Also wie ist es wirklich?

Rein rechnerisch dürfte das Ministerium recht haben. Aber was genau rechnen die dort? Ein Blick in das Zahlenwerk der Gesundheitsreform offenbart nämlich Verblüffendes – genau bedacht, ist das aber gar nicht so verblüffend. Denn, wir erinnern uns, die Länder haben 500 Millionen Euro pro Jahr mehr gefordert, aber nur 200 Millionen für fünf Jahre erhalten. Und selbst die sind so verklausuliert, dass keiner genau weiß, ob es die jetzt extra gibt oder nicht. Warum also waren die Länder nicht sauer?

War Finanzminister Schelling so gut, dass er sie ausgebremst hat? Nun, eher nicht. Denn, er hat sogar mehr als 500 Millionen rausgerückt, aber eben nur sehr gut und gesichtswahrend versteckt. Alles liegt an der vereinbarten Bemessungsgrundlage. Bei den zukünftigen Gesundheitsausgaben wird als Ausgangsbasis jener Wert angenommen, den man vor vier Jahren als Obergrenze für 2016 angenommen hat. Aber das ist keine reale Zahl. Denn, wie ja auch medial bejubelt, die Grenze wurde stets unterschritten. 2015 lag man 800 Millionen Euro unter dem selbstgesteckten Ziel, das, wie auch der Rechnungshof bekrittelte, viel zu hoch angesetzt war. Und 2016 (da kamen die Ausgabensteigerungen für die Gehälter der Spitalsärzte dazu) waren es noch immer 500 Millionen Euro weniger. Und wie es aussieht, werden diese nächstes Jahr draufgelegt – ohne dass es jemand bemerkt. Und weil es in den Folgejahren ja um Prozente geht, wachsen die dann im Schnitt um 3,4 Prozent jährlich – also sogar weit über der Inflation!

Und, wohl um den Sozialversicherungen (via Ländern) etwas zustecken zu können, zudem dürfen die Ausgaben stärker als noch 2012 vereinbart wachsen. Das macht dann noch einmal etwa 100 Millionen zusätzlich und jährlich.

Am Ende dürfen die Kosten 2017 um über sechs Prozent steigen. Das ist doppelt so hoch wie das nominale Wirtschaftswachstum, und weit weg von den uns kolportierten 3,6 Prozent. Das war es mal endgültig mit der Gesundheitsreform 2012, aber es passiert eigentlich noch mehr. Denn auch wenn zugegebener Maßen diesmal die Argumentation auf der Seite der Ärztekammer besonders absurd ausfällt – bei solchen Steigerungen ein „unsoziales Kaputtsparen“ zu erkennen, lässt wirklich nicht auf ausreichende Rechenkapazitäten schließen –, ist es doch ein unwürdiges Propaganda-Spiel mit Zahlen, das alle Seiten aufführen, nur um der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen

„Wiener Zeitung“ Nr. 229 vom 24.11.2016    

Kriegserklärung über den Finanzausgleich

Die Wiener Ärztekammer hat dem Verhandlungsduo aus Stadtregierung und Gebietskrankenkasse ein „10-Punkte-Programm“ vorgelegt.

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   Diese Punkte lasen sich wie ein Ultimatum. Gefordert wurden unter anderem etwa 50 Prozent mehr Kassenstellen für Fachärzte, Eingliederung von Röntgenambulatorien in die Ärztekammer, Rücknahmen diverser Maßnahmen und natürlich zusätzliche finanzielle Mittel. Und Ärztekammer Vize Johannes Steinhart weiß auch, woher die kommen sollten: aus dem Finanzausgleich. Wird alles erfüllt, führt das zur Beruhigung der Ärzteschaft (oder der Ärztekammerfunktionäre- wer weiß das schon).

   Erstaunlich war die damalige, besonnene Reaktion von Stadträtin Sonja Wehsely und WGKK-Obfrau Ingrid Reischl – beide nicht für konfliktscheue Politik berühmt. Ruhig formulieren sie, dass, „die Zusammenarbeit aller wichtigen Institutionen im Gesundheitswesen unumgänglich ist.“ Nun, im Nachhinein hat das eine andere Konnotation. Denn, wie es aussieht, haben „alle wichtigen Institutionen“ (Landesräte und Kassenobleute) die Kriegserklärung der Ärztekammer angenommen und kontern mit Geheimverhandlungen rund um den Finanzausgleich.

   Finanzausgleichsverhandlungen dienen normalerweise nicht dazu, große Reformen zu konzipieren. Umso überraschender nun die Informationen, die jedoch nur durch die Ärztekammer verbreitet werden. Kein regierender Politiker oder Kassenfunktionär hat sich geäußert. Medienberichte sind dürftig – was damit zusammenhängt, dass sich keine der „wichtigen Institutionen“ äußert, und damit Journalisten zwingt, zu spekulieren – was die wegen der Sorgfaltspflicht jedoch nicht sollen. Aber in diesem unüberprüfbaren geheimen Geheimpapier – von dem ich ausgehe, dass es existiert – steht revolutionäres.

   Wahlärzte sollen in Versorgungswirksame und die Nicht-Versorgungswirksame geteilt werden. Patienten, die zu letzteren gehen, werden von ihren Pflichtkrankenkassen keine Rückerstattung bekommen. Kassenstellen sollen ohne Mitsprache der Ärztekammer gestrichen werden können, es soll zu einer Gleichstellung von Ambulatorien und Kassenärzten kommen (was das heißt, wurde das letzte Mal hier erläutert), und deren Verteilung völlig neu aufgestellt werden. Dazu die Idee, Spitalsambulanzen auf Kosten niedergelassener Ärzte zu stärken. Und über alles entscheiden ausschließlich „alle wichtigen Institutionen“ – die uns aber nicht sagen, wie und warum.

   Wenn das wahr ist, ist das eine Revolution, keine Reform. Denn, meiner Einschätzung nach geht das ohne Verfassungsänderung gar nicht und widerspricht wohl auch dem EU-Recht.

   Aber das gravierendste ist, dass hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit etwas beschlossen wird, nur um die Ärztekämmerer auszuschalten. Zwar ist es verständlich, dass die überschießenden und heftigen Aktionen der Ärztekammer irgendwann einmal zu deren Ausschaltung führen müssen – aber ich frage mich, ob das der Weg ist? Denn, liege ich richtig, wird hinkünftig Gesundheitspolitik nur mehr in den hintersten Hinterzimmern „aller wichtigen Institutionen“ gemacht. Doch so ein paternalistisches, intransparentes und bürokratisches Vorgehen ist für uns alle schlecht, weil es nicht funktionieren kann.

„Wiener Zeitung“ Nr. 210 vom 27.10.2016 

Die immerwährende Reform

Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien – ein Streit, der so alt ist wie die Zweite Republik und nun wieder aufflammt.

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   Herbst 1955 – seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung kommt eine schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang. Worum es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen. Die Kammer forderte fixe Kassenplanstellen und ein Veto-Recht bei Errichtung von Ambulatorien. Sie fürchtete, nicht zu Unrecht, dass Kassen mit ihren Ambulatorien über kurz oder lang niedergelassene Ärzte verdrängen würden.

   Ja, so lange existiert der Konflikt, der uns im Rahmen der PHC-Gesetzes-Werdung wieder beschäftigt. Und auch weiterhin ist die Begründung der Ärztekammer nicht unrichtig. Denn obwohl vorgeschrieben ist, dass sich kasseneigene Ambulatorien durch die gleichen Honorare wie Kassenärzte finanzieren müssen, schaffen das gerade mal 10 Prozent. 90 Prozent werden subventioniert, in dem ihre Defizite aus Kassenmittel gedeckt werden. Wenn das auch mit den PHC-Zentren, die als Ambulatorien geführt werden sollen, passiert, sind diese eine unbezwingbare Konkurrenz, niedergelassene Kassen-Hausärzte würden verschwinden.

   Dass Politiker gewillt sind, solche Subventionen zu bezahlen, sieht man am Vorzeigeprojekt „Maria Hilf“. In dieses PHC-Zentrum, das nicht mehr als eine Gruppenpraxis von drei Kassen-Hausärzten ist, fließen jährlich 230.000 Euro. Da es aber nicht als Ambulatorium firmiert, können diese Subventionen nicht dauerhaft rechtskonform ausbezahlt werden. Jede Änderung hier wird daher durch die Ärztekammer blockiert – und das ist auch ihr gesetzlicher Auftrag. Denn sie ist nicht für die Versorgung zuständig, sondern hat die Interessen der Ärzte zu vertreten. Und wenn die Kammer zustimmte, dass Ärzte in Konkurs gehen, weil sie von subventionierten Einrichtungen niederkonkurrenziert werden, hätte sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Art und Weise allerdings, wie die Kammer vorgeht, ist destruktiv und polemisch. Man bedenke die Argumente. Es drohe Staatsmedizin à la DDR, gleichzeitig wird vor profitgierigen Großkonzernen gewarnt, die die niedergelassenen Ärzte als freien Berufsstand bedrohen. Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig?

   Nun, aus der Historie ist dieses Paradox erklärbar – Ambulatorien, entweder in den Händen der Kassen (DDR-Staatsmedizin) oder von Privaten (profitgierige Großkonzerne), stellen eine Konkurrenz für die Ärztekammer dar – und daher sind beide prinzipiell böse. Aber wie schaut es denn mit uns, den Finanziers und Nutznießern unseres Gesundheitswesens, aus? Es gibt tonnenweise wissenschaftliche Literatur, dass das, was wir „Gesundheitssystem“ nennen, teuer und ineffektiv ist. Wir bezahlen diese Streitereien mit viel Geld und weniger gesunden Lebensjahren; und die, die chronisch krank sind, mit vielen verlorenen Lebensjahren – die sterben einfach früher als nötig. Wir, so denke ich, hätten ein Recht darauf, dass diese Machtklüngel endlich zu einer Lösung kommen – nach mehr als 60 Jahren!

„Wiener Zeitung“ Nr. 191 vom 29.09.2016

Wenn zwei streiten: Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte

Zwischen Wiener Ärztekammer und Stadtregierung fliegen die Fetzen. Dahinter stehen entweder politische Motivation oder falsche Ausgangsdaten.

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    Via Presseaussendungen richtet die Generaldirektion des Krankenanstaltenverbundes (KAV) der Ärztekammer aus, sie lüge, stilisiere den KAV zum Feindbild und betreibe Zuchtmeisterei; keine feine Klinge. In einer dieser Aussendungen fand sich eine bemerkenswerte Aussage. Demnach habe die Ärztearbeitszeit vor der Arbeitszeit-Umstellung nur 46 Wochenstunden betragen. Die EU erlaubt 48 Wochenstunden. Demnach hätte der KAV keinen Grund gehabt, schnell eine Reform durchzuführen. Wenn die veraltete Dienstzeitregelung geändert werden sollte, hätte Wien sich Zeit lassen können. Trotzdem wurde alles sehr schnell geändert und davon gesprochen, dass es zu einer Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich kommen soll. Aber das ist unverständlich, weil es ja, wenn die 46 Stunden stimmen, zu einer Gehaltserhöhung und nicht zu einer Kompensation des Verdienstentganges durch reduzierte Anwesenheitszeiten gekommen wäre. Ein Argument, das aber erst seit wenigen Tagen vorgebracht wird. Stimmen die 46 Stunden, wird auch ein anderes Argument der Stadt verständlich, nämlich, dass es nur zu einer Verlegung der Arbeitszeit kommt und nicht zu einer Reduktion, es also keinen Grund gibt, dass weniger Patienten versorgt werden können.

   Aber stimmen die 46 Stunden? Die Arbeitszeitaufzeichnung im KAV ist schlecht. Und auch die komplizierte Berechnung der Arbeitszeit dürfte nicht gut gelingen. Will man wissen, wie viele Wochenstunden, arbeitsrechtlich korrekt berechnet, gearbeitet wurden, darf man nicht einfach die geleisteten Stunden durch die Kalenderwochen dividieren. Der Divisor ist kompliziert, um Abwesenheitszeiten zu bereinigen. Wird nicht sauber gerechnet, verliert man schnell den Überblick. Real dürfte die Arbeitszeit bei 55 Stunden gelegen haben. Und genau da werden die Argumente der Ärztekammer verständlich. Denn dann verfügt der KAV aktuell über 15 Prozent weniger ärztliche Arbeitszeit als noch vor zwei Jahren. Das führte zu keiner Verlegung der Arbeitszeit, sondern zu einer Reduktion und einer Arbeitsverdichtung. Es legt also ein Problem vor, das einer objektiven Annäherung bedarf – wie viele Stunden waren Ärzte anwesend und wie viele sind sie es nun. Aber eine sachliche Herangehensweise ist zwischen den Verhandlungspartnern unmöglich.

Auf der einen Seite die Stadt. Hier herrscht eine straffe Organisation, in der Loyalität großgeschrieben wird. Wenn oben etwas beschlossen wird, ziehen alle mit.   

Und auf der anderen Seite steht die Ärztekammer, die erst vor kurzem die Rolle der Vertreter der Spitalsärzte von der Gewerkschaft übernommen hat. Das Vertrauen in die Kammer ist gering. Kein Arzt wird seine Meinung an die seines Präsidenten anpassen. Damit ist der Präsident ein von der Basis getriebener.

Und während die Stadt „oben“ etwas ausmachen kann, stellt die Kammer fest, dass sie gar nichts von oben nach unten „befehlen“ kann. So prallen zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander. Und weil keiner Verständnis für den anderen hat und weil beide sich beflegeln, können sachlich lösbare Probleme nicht gelöst werden

„Wiener Zeitung“ Nr. 171 vom 01.09.2016 

Primary Health Care – wieder einmal

Obwohl die Idee 100 Jahre alt ist und seit fast 40 Jahren zum Standard gehört, können wir nicht einmal richtig über Erstversorgungszentren reden.

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   Egal wer in der Gesundheitspolitik das Wort Primary Health Care (PHC) in den Mund nimmt, verwendet es so, dass sich tunlichst die eigene Klientel in den Aussagen wiederfindet; Inhalt ist egal. Es ist diese faktenfreie und populistische Art, die unser durchpolitisiertes Gesundheitswesen endlos lähmt.

   Eines der am öftesten vorgebrachten Argumente in der PHC-Diskussion ist, dass man nicht viel ändern, gar nichts Neues erfinden und schon gar nicht PHC-Zentren errichten muss – denn wir haben ja seit eh und je eine Primärversorgung und eine sehr gute dazu.

   Solche Aussagen stimmen, überlegt man, wie PHC international konzipiert ist, so gar nicht. Aber natürlich findet in Österreich Primärversorgung statt. Das geht gar nicht anders, weil Menschen, die sich mit einem gesundheitlichen (das ist mehr als nur medizinisch) Problem an professionelle Hilfe wenden, dies immer bei irgendwem als Erstes, also primär, machen müssen. Es ist unmöglich, sein Problem beim ersten Mal gleich zum zweiten Mal zu erzählen.

   Die Frage ist jedoch, wer ist der Erste? Und wie geht der mit dem Problem um? Gibt es so etwas wie eine Struktur oder eine Idee, wie „Erstansprechpartner“ miteinander zusammenarbeiten? Wenn es die gibt, dann spricht man international von PHC, wenn es die nicht gibt, dann ist das eben eine andere Form der Erstversorgung, aber kein PHC.

   Wenn nun die Ärztekammer, als Monopolwächterin ärztlicher Tätigkeit, laut und immer wieder verkündet, dass Kassen-Hausärzte (ob nun alleine oder in einer Gruppenpraxis) PHC anbieten, dann ist das falsch, soll aber nur der eigenen Klientel sagen – wir brauchen keine Änderungen, denn so wie es ist, ist es gut.

   In der Folge halten Hausärzte überzeugt fest, sie machen seit eh und je PHC (in der Regel ist so eine Aussage verbunden mit der Einladung, sich doch mal in die Ordination zu setzen, um zu sehen, wie es wirklich ist).

    Aber das ist falsch. Was Hausärzte machen, ist meist Erst-Behandlung. In vielen, vielleicht den meisten, Fällen ist der Primärversorger jemand anderer, denn oft werden Patienten von anderen Berufsgruppen, die die wirklich ersten Ansprechpartner waren (Apotheker, Pflegekräfte) zum Hausarzt „überwiesen“. In so einem F all wäre der Hausarzt der Zweitversorger, selbst wenn er weiter Primär-Behandler bleibt, sofern es um eine (Be-)Handlung geht, die unter ärztlichem Vorbehalt steht.

   Gute Behandlung heißt, die richtige Handlung vorzunehmen. Gute Versorgung heißt, den richtigen Patienten zur richtigen Zeit zum richtigen Arzt (international wird vom richtigen Gesundheits-Professionisten gesprochen) zu bringen. PHC ist eben kein Behandlungs-, sondern ein Versorgungskonzept, das versucht, die Behandlung so wohnortnah wie möglich zu organisieren.

    Wenn wir nicht endlich beginnen, den Unterschied zwischen Versorgung und Behandlung in die Diskussion aufzunehmen, wenn wir nicht endlich beginnen, gesundheitliche Probleme nicht mit medizinischen gleichzusetzen, dann ist diese ganze PHC-Diskussion völlig sinnlos.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 09.06.2016