Ärztekammer kritisiert langes Warten auf Medizin-Ausbildungsplätze

Und sie hat eine Lösung: Mehr von allem – wohl, um die eigene Klientel mit Aktivismus zu bedienen.

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Kürzlich erfuhren wir durch den obersten Ärztekammerfunktionär in Angelegenheiten der Spitalsärzte, dass 460 Absolventen der Medizinischen Universitäten im Jahr 2015/16 heute nicht als Ärzte in Österreich arbeiten.

Der Grund: Wir haben zu wenige postpromotionelle Spitals-Ausbildungsplätze. Die Regierung sollte lieber hier einige Millionen in die Schaffung neuer Ausbildungsplätze investieren, statt 227 Millionen an universitären Ausbildungskosten zu verlieren.

Zudem soll es pro Abteilung einen Ausbildungsoberarzt geben, der für die Ausbildung des Nachwuchses von seinem Dienst freigestellt wird. Da stellt sich doch die Frage, wie so ein Oberarzt, ohne Patienten zu behandeln, den Jungen etwas beibringen soll? Ganz abgesehen davon, dass jede kleine Abteilung schlicht zusperren müsste -viele schaffen ihre Diensträder (um 24 Stunden den Betrieb aufrechtzuerhalten, braucht es mindestens sechs Ärzte) doch nur, weil sie (semilegal, wie ich glaube) vier Fachärzte und zwei Nachwuchsärzte einsetzen.

Womit wir auch schon bei dem Mangel an Spitals-Ausbildungsplätzen sind. Noch nie gab es so viele Nachwuchsärzte wie heute. 7168 im Jahr 2016 -das sind 14 Prozent mehr als im Jahr davor. Diesen Nachwuchsärzten stehen 15.000 Fachärzte gegenüber -das Verhältnis beträgt in etwa 2:1; denn die Ärztekammer verlangt dieses Verhältnis, damit eben Ausbildung möglich wird.

Mehr Ausbildungsplätze verlangen mehr Spitalsärzte -und damit mehr Spitäler. Eine eigenartige Forderung, wird doch seit Jahrzehnten beklagt, dass wir viel zu viele Spitäler haben.

Aber was hat es auf sich, dass wir 227 Millionen Euro für eine sinnlose Ausbildung rauschmeißen? Nun, seit Jahrzehnten bilden wir mehr Mediziner aus, als in unseren Spitälern unterkommen. Im Durchschnitt etwa 450 pro Jahr, weil viele nach dem Studium Familie gründen, in Forschung oder Wirtschaft wechseln oder ins Ausland gehen. Das ist nichts Neues.

Die Universitäten rechnen pro Studienplatz und Jahr mit 63.000 Euro Kosten; pro Absolvent macht das knapp 400.000 Euro. Zum Vergleich: Ein Harvard-Absolvent kostet weniger als 300.000 -das ist bedenklich, vor allem, wenn wir uns internationale Rankings ansehen.

Damit wären nicht 227 sondern nur 175 Millionen „rausgeworfen“ – die Ärztekammer war immer schon großzügig. Macht nichts, ist auch viel Geld. Und wenn man meint, es ist fehlinvestiert, sollte man nachdenken. Schauen wir uns an, wie viele Absolventen wir haben: Inklusive neuer MedUni Linz, Absolventen der Privat-Unis und Absolventen mit ausländischem Pass kommen wir auf etwa 26 Absolventen pro 100.000 Einwohner. Tja, das ist mehr als doppelt so viel wie in der EU üblich. Wenn wir also 1000 Absolventen pro Jahr mehr als im EU-Schnitt haben und feststellen, dass die nicht in unseren Spitälern antreten, obwohl wir die meisten Spitalspatienten in der EU haben, ist es dann vernünftig, mehr Ausbildungsstellen in Spitälern für frisches Geld zu fordern?

Aber die Forderung nach weniger Absolventen ist wohl eher weniger sexy.

„Wiener Zeitung“ vom 15.03.2018  

Das Krankenhaus Nord – eine Wiederauflage des AKH?

Laut Rechnungshof wurde der Gemeinderat nicht umfassend informiert. Es dräut ein Skandal großen Ausmaßes.

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   Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) ist etwas Merkwürdiges. Per Landesgesetz wird er zu einer „Unternehmung“ gemacht. Das klingt, als ob er ein Unternehmen, also etwas Eigenständiges wäre – ist er aber nicht. Realiter ist er Teil der Gemeinde Wien. Das bedeutet, seine operativen Entscheidungsträger kommen aus der Exekutive, der Landesregierung. Weil aber eine Exekutive nur exekutiert, was die Legislative, in dem Fall der Gemeinderat von Wien (der mit dem Landtag ident ist) ihm vorschreibt, werden alle wichtigen Entscheidungen nicht durch die Landesregierung, sondern im Gemeinderat getroffen – meint man. Was der KAV beziehungsweise seine Generaldirektion eigenständig machen kann, und welche Entscheidungen höheren Orts, also durch zuständige Magistratsdirektion, zuständige Landesräte oder Gemeinderat, zu treffen sind, wird vage in einem Statut festgehalten. Nichtsdestotrotz darf, entsprechende Beschlüsse vorausgesetzt, der KAV als Bauherr auftreten, was er im Falle des Krankenhauses Nord auch tat – dilettantisch, wie der noch geheime Rechnungshof-Rohbericht aufzeigt.

   Lassen wir einmal die mit diesem Dilettantismus hunderte Millionen versenkten Euro beiseite, steht im Raum, warum eine Exekutive so ganz ohne legislative Kontrolle agieren kann? Oder hat der Gemeinderat diesen Bau-Skandal gar genehmigt? Nein. Folgt man dem Rechnungshof, konnte der seine Genehmigungspflicht gar nicht wahrnehmen, denn, und das ist doch irritierend, er wurde schlicht nicht informiert. Zwischen 2006 und 2011 gab es praktisch gar keine Informationen und danach (das Statut des KAV wurde dahingehend geändert, dass dem Gemeinderat Wirtschafts- und Investitionspläne vorzulegen sind) nur Angaben zu den Gesamtkosten und der Höhe einzelner Jahresraten. Eine fundierte Entscheidung war damit nicht möglich. So entschied die Exekutive eben ohne Genehmigung. Und weil die so gar keine Ahnung zu haben schien, wie man eine Baustelle dieser Größenordnung abwickelt, haben wir eben jetzt das, was wir haben.

   Und was ist das? Ja, das ist die Frage: Nehmen wir das Landeskrankenhaus Klagenfurt her, dessen Neubau 2007 vom KAV noch als Vorbild für eine Grobschätzung galt. Mit 1344 Betten, 63.000 stationären und 470.000 ambulanten Patienten ist es deutlich größer als das Krankenhaus Nord. Dort sind 785 Betten, 40.000 stationäre und 250.000 ambulante Patienten geplant. Klagenfurt hat (zu Preisen 2013) unter 350 Millionen Euro gekostet, in Wien können wir froh sein, wenn es unter 1,4 Milliarden Euro bleibt.

   Ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist, werden wir in den nächsten Jahren aufarbeiten. Vielleicht mit einer Untersuchungskommission im Gemeinderat, die, dank der gültigen Geschäftsordnung, mit hoher Wahrscheinlichkeit von der regierenden Partei genau dann beendet werden wird, wenn die Fragen vor der nächsten Landtagswahl zu peinlich werden.

   Aber im Grunde ist das egal! Die befassten Generaldirektoren sind längst weg, und die politisch Verantwortlichen werden leicht jede politische Verantwortung übernehmen können – aus der Polit-Pension heraus.

„Wiener Zeitung“ Nr. 032 vom 15.02.2018  

Gesundheit im Regierungsprogramm

Das Kapitel Gesundheit umfasst nur fünf Seiten, dazu noch eine Seite Pflege – aber die Inhalte haben es in sich.

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   Im Grunde wird eine Fülle von Schlagworten – oder Schlagsätzen – aneinandergereiht. Ob dahinter detailliertere Gedanken oder operationalisierbare Konzepte stehen, bleibt unklar. Zu vermuten ist es, da sich einiges unter mehreren Überschriften des Regierungsprogramms wiederholt – zumindest hoffen sollte man das.

    Klar ist, dass es in Bezug auf das Gesundheitswesen in den vergangenen 20 Jahren niemals ein mutigeres Regierungsprogramm gab. Üblicherweise wird ein mutiges Vorhaben im Rahmen der Verhandlungen derart entstellt, dass das, was übrig bleibt, eine gut klingende Anleitung zum Waschen ohne Nasswerden ist. Nicht diesmal.

   Da ist einmal die Idee, die 22 Sozialversicherungen (also nicht nur Kassen) zu fünf zu fusionieren – ein echter Tabubruch. Zwar wird festgehalten, dass das alles nur gemeinsam mit den Ländern und unter Wahrung der partizipativen Selbstverwaltung passieren soll – alleine, dass es da steht, ist für einen langjährigen Beobachter aber atemberaubend.

    Betrachtet man zudem, dass dezidiert festgehalten wird, dass es künftig statt föderaler Ärzte-Gesamtverträge nur mehr österreichweite und zudem flexiblere Kassenverträge (die regionale Zu- und Abschläge erlauben) geben soll, will man der Regierung Reformwillen abkaufen. Niemand stellt so etwas vor, wenn er es nicht umsetzen will, ist doch der politische Schaden passiert, sobald man es ankündigt.

   Die Idee der Entlastung des spitalsambulanten Bereichs ist nicht neu. Auch nicht, dass es zu einer Anpassung der Finanzierungsströme (Geld folgt Leistung; ambulante und niedergelassene Finanzierung) kommen muss. Nimmt sich die Regierung ernst, wird sie endlich Gesetze verabschieden, die einen sinnvollen Geldfluss zwischen diesen beiden Welten ermöglichen – 20 Jahre nach dem Erkennen des Problems der dualen Finanzierung der ambulanten ärztlichen Versorgung (steuerfinanzierte Spitalsambulanzen und kassenfinanzierte Vertragsärzte). Beeindruckend.

   Und schließlich findet man noch etwas: Die Finanzierung von Gesundheit, Vorsorge und Pflege muss gesamtheitlich betrachtet werden. Bis dato wurde immer nur bis zur Pflege gedacht und peinlich genau darauf geachtet, dass Pflege im Sozialsystem vom Gesundheitssystem getrennt blieb. Diese Schnitt stelle wird aufgeweicht, indem das Geldleistungsprinzip der Pflege durch Gewährung von Sachleistungen komplementiert werden soll. Die „Bemühungen zur Festigung der Gesundheit und der Prävention für Pflegebedürftige, um eine Stabilisierung beziehungsweise eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen“ – so im Regierungsprogramm – würden erheblich erleichtert.   

Ob das alles kommt oder am Ende doch nur Show ist wie die meisten Regierungsprogramme, werden wir bald erkennen können. Denn so revolutionär das alles klingt, in der Umsetzung wird es wesentlich davon abhängen, wer welche Vetorechte erhält. Wenn, wie in der Vergangenheit üblich, Ländern, Kassen und Kammern großzügige Vetorechte eingeräumt werden oder in Gremien immer nur ein Einstimmigkeitsprinzip eingeführt wird, dann wird alles – wie immer – in der Ankündigung stecken bleiben

„Wiener Zeitung“ Nr. 247 vom 22.12.2017  

Kassen und Spitäler gemeinsam denken

Kassenfusionen sind ein altes Thema. Denn die aktuelle Situation schadet seit Jahrzehnten Patienten, Versicherten und Steuerzahlern.

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    Zu viele Krankenkassen, ein Kassenhonorarsystem, das vernünftige Planung verhindert, strikt getrenntes und doppelgleisiges Arbeiten inner- und außerhalb von Spitälern – das sind keine neuen Probleme, die hat uns die Weltgesundheitsorganisation WHO schon 1969 aufgezeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Regierungen sich der Lage nicht bewusst wären. Die Idee, Kassenärzte und Spitäler wenigstens planerisch zusammen zu denken, findet man beispielsweise 1996 in einem Bund-Länder-Kassen-Vertrag, der vorsah, dass es für alle ein einheitliches Leistungsgerüst geben soll. Die Leistungsharmonisierung ist ein Vorhaben, das nie Realität wurde, aber immer wieder zu finden ist – das letzte Mal 2013 im Bundeszielsteuerungsvertrag. Dort nahm sich die Regierung vor, ab 2016 einen einheitlichen Leistungskatalog einzuführen. Sie hat es halt wieder nicht geschafft . . .

   Und warum sollte man Kassen und Spitäler gemeinsam denken?

   Nun, weil es patientenfreundlicher ist; und billiger. Wegen fehlender Abstimmung liegen 900.000 Patienten in Spitälern, die ambulant behandelt werden könnten. Von diesen stecken sich 50.000 unnötigerweise mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern), und einige Hundert werden unnötigerweise sterben. Abgesehen davon, dass die stationäre Behandlung dieser 900.000 Patienten wohl ein bis zwei Milliarden Euro unnötige Kosten erzeugt, sollte es doch wenigstens das Ziel sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusionierung wieder aufpoppt, sollte es nicht darum gehen, ein paar hundert Versorgungsposten einzusparen, die es zweifellos gibt. Thema ist, dass die Abstimmung zwischen Krankenkassen, Ärztekammern und Spitalsträgern einfach nicht klappt, ja nicht klappen kann, selbst wenn die eingebundenen Entscheidungsträger Engel und keine politischen Machtmenschen wären. Es gibt einfach zu viele und vor allem schlecht definierte Entscheidungsebenen.

   Natürlich haben sich Länder und Gebietskrankenkassen an einen dezentralen Modus Vivendi gewöhnt. Davon abzuleiten, dass diese nur regional wüssten, wie es geht, ist aber falsch. Gänzlich ausgeblendet wird, dass es große Kassen gibt, die bundesweit agieren: Beamten-, Bauern- und die Selbständigen-Kasse, und auch noch die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AUVA und die Pensionsversicherung.

   Die Idee, nur wenige, bundesweite Kassen zu haben, denen eine bundesweit agierende Spitalsplanung gegenübersteht, ist logisch. Umso mehr, als es eben auch bundesweite Regeln für Beiträge und Steuern gibt. Aber man kann es auch anders machen: neun Länder und neun Kassen, die dann aber ihre Steuern und Beiträge selbst einheben müssen – bundesweite Entscheidungsstrukturen und Finanzierungsregeln sind dann unnötig.   

Die jetzige Reformverweigerung kommt wohl woanders her. Bedient doch die aktuelle Situation die Machtbestrebungen aller. Landespolitiker und Gewerkschaften freuen sich darüber, dass die Abstimmung nicht klappt – denn das ist der Garant für ausgelastete Spitäler, über die Posten zu besetzen sind, und die für einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad sorgen. Mit dem Patienten hat das nichts zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 227 vom 23.11.2017  

Das Narrativ einer echten Gesundheitsreform

Warum wir eine Gesundheitsreform brauchen, die sich am Patientenwohl und nicht an Machtstrukturen orientiert.

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   Frau M. (78) lebt alleine. Die häufigen Besuche ihrer Tochter reichen aus, dass sie mit dem täglichen Leben keine Schwierigkeiten hat. Zudem kommen oft ihre Enkel samt Ur-Enkel vorbei. Das freut sie, und für diese hält sie sich auch fit. Eines Tages bekommt sie Fieber. Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung und schickt sie ins Spital. Dort wird sie auf Pneumokokken-Pneumonie sieben Tage lang behandelt. Im Krankenhaus lässt ihre intellektuelle Kraft Tag für Tag nach. Als sie wieder nach Hause kommt, ist sie verwirrt. Die Familie ist überfordert. Statt auf professionelle (und kostspielige) Hilfe zu setzen, versucht sie mit häufigeren Besuchen und der Übernahme von Tätigkeiten, die Frau M. früher selbst erledigt hat, zu helfen. Aber alles hilft nicht, Frau M. dämmert immer mehr ein. Sechs Monate später muss sie ins Heim, wo sie, schwer dement, nach drei Jahren stirbt.

   Was ist passiert? Der Spitalsaufenthalt hat Frau M. aus der Bahn geworfen. Er stellte ein Life-Event dar, das, weil nicht richtig behandelt (reaktivierende Pflege), zur „Dekompensation“ führte – die durch eigenen Willen und Training hintan gehaltene (kompensierte) Demenz tritt plötzlich auf.

Der initiale Spitalsaufenthalt hat etwa 4000 Euro gekostet. Das Pflegeheim, das sich die Familie nicht leisten konnte, wurde von der Sozialabteilung bezahlt und kostete bis zum Tod von Frau M. 40.000 Euro. War das nötig? Nein. Beginnen wir damit, dass der Hausarzt die Pneumonie zu Hause behandeln und den Spitalsaufenthalt, der ja Auslöser war, vermeiden hätte können. Kosten, vielleicht 1500 Euro, die aktuell nur unzureichend vom Kassensystem getragen werden. Das System verdrängt gerade ältere Patienten ins Spital.

   Dann das Heim. Auch das wäre nicht nötig gewesen. Würde bedarfsorientierte Pflege genauso als Sachleistung zur Verfügung stehen wie das Spital, hätte Frau M. für ein paar Wochen täglich eine reaktivierende Pflege und allenfalls eine Haushaltshilfe erhalten, die zusammen vielleicht 3000 Euro gekostet und den Verlauf hätten mildern oder gar verhindern können. Macht in Summe 4500 Euro, ein Zehntel der Summe, die aufgebracht wurde – und das bei einem deutlich besseren Ergebnis.

Natürlich ist das simpel gedacht. Die Welt wäre leicht zu retten, wenn alles so einfach wäre, aber vieles deutet darauf hin, dass es, bei sinkenden Kosten, gerade bei alten Menschen viel bringt, Spitalsaufenthalte zu vermeiden. Und selbst wenn wir annehmen, dass die Kosten nicht gesenkt werden können, eines hätten wir jedenfalls erreicht: eine höhere Lebensqualität, nicht nur für die Patientin, sondern auch für die Familie.

   Um das zu erreichen, müssten die Ressourcen (das ist mehr als Geld), die wir ins Gesundheits- und Pflegesystem stecken, in eine patientenorientierte Versorgung investiert werden. Doch genau das ist nicht möglich. Denn wir verteilen nur Gelder nach (Macht)Silos – ins Kassensystem, ins Spitalsystem, ins Pflegesystem. Und dann kümmert sich jedes System mit vollem, verfassungsmäßig fixiertem Recht um sich selbst. Nur eine Verfassungsänderung könnte diese Machtblöcke daran erinnern, wofür sie da sind.

„Wiener Zeitung“ Nr. 209 vom 27.10.2017 

Mehr Medizin-Universitäten braucht das Land

 Ärztemangel: Weg mit dem Aufnahmetest und her mit mehr, viel mehr Studienplätzen.

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   Der Ärztemangel, er hat uns fest im Griff. Kein Tag, an dem nicht über eine nicht nachbesetzbare Kassen-Arztstelle berichtet und auch gleich die Lösung gefunden wird: Wir brauchen mehr Medizin-Absolventen. Die Diskussion schwappt aus Deutschland, wo es wirklich Probleme gibt, nach Österreich. Doch bei uns? Sachlich betrachtet haben wir mit mehr als 505 ärztlich tätigen Medizinern pro 100.000 Einwohner die meisten in der EU – verglichen mit Deutschland (411) gleich um ein Viertel mehr. Da hilft es auch nicht, wenn von manchen politischen Akteuren merkwürdige Rechnungen angestellt werden, um die Zahl kleinerzurechnen; etwa dadurch, dass man Turnusärzte nicht mitzählt, weil die ja noch in der postpromotionellen Ausbildung stehen – was aber falsch ist, weil alle anderen diese mitzählen.

   Zudem haben wir keine übermäßige Pensionierungswelle zu erwarten. Der Anteil der Ärzte über 55 Jahren liegt bei etwa 27 Prozent, in Deutschland bei 42. Dort wird es bald wirklich rund gehen.

   Vor allem deshalb, weil in Deutschland mit 15 Absolventen pro 100.000 Einwohner nur knapp überdurchschnittlich (EU: 12) viele Mediziner ausgebildet werden. Wir bilden hingegen alleine an öffentlichen Universitäten 23 pro 100.000 Einwohner aus. Zählen wir die privaten Unis dazu, steigt die Zahl auf 27. Da hilft es auch nicht, wenn von manchen politischen Akteuren merkwürdige Rechnungen angestellt werden, um die Zahl kleinerzurechnen, indem etwa nur inländische Absolventen der öffentlichen Unis berücksichtigt werden. So rechnet international niemand – wieso auch?

   Also wieso sind sich trotzdem alle so sicher, dass wir einen Ärztemangel haben, der durch mehr Studienplätze (manche verlangen eine Verdoppelung) behebbar ist?

   Bei den Ärztekammern kann man das noch irgendwie nachvollziehen. Sie sind die Verwalter eines verpflichtenden Zusatzpensionsprogramms für Ärzte, des sogenannten Wohlfahrtsfonds. Sie können, einem Pyramidenspiel nicht ganz unähnlich, ihren Verpflichtungen aus der Vergangenheit nur nachkommen, wenn die Zahl der Ärzte kontinuierlich wächst – was ja dank der enormen Zahl an Absolventen seit vielen Jahren garantiert ist (im Durchschnitt 900 Ärzte pro Jahr).

   Doch warum schreien so viele Politiker? Da, so ist zu vermuten, liegt der Grund wo anders. Es gibt etwa 46.000 Maturanten. Fast jeder Vierte meldet sich beim Aufnahmetest für Medizin an. Doch nur 1100 erhalten einen Studienplatz. Viele Tausende, die nicht durchkommen, haben dann unzufriedene Eltern, von denen sich viele Tausende bei der Politik beschweren – begonnen bei Bürgermeistern, hinauf zu den Landeshauptleuten. Wie kann es sein, dass es Ärztemangel gibt (kann man jeden Tag in der Zeitung lesen, außerdem müsse man lange auf einen Arzttermin warten, wie es heißt, und Kassenstellen können auch nicht nachbesetzt werden), und das eigene Kind darf nicht studieren? Und der Test sagt gar nichts aus, weil das eigene Kind sicher ein sehr guter Arzt geworden wäre.    So etwas ist lästig. Und wie löst man das politisch am elegantesten? Man fordert laut mehr Studienplätze und Abschaffung des Aufnahmetests – wegen des Ärztemangels.

„Wiener Zeitung“ Nr. 194 vom 05.10.2017 

Eine Studie, die keine oder alle Schlüsse zulässt

630.000 Euro für 1400 Seiten, davon 930 in gesundheitsökonomischem Fachenglisch, die unübersetzt blieben.

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   Leichte Kost ist die Studie nicht. Die Rede ist von einer Studie der London School of Economics (LSE) im Auftrag des Sozialministeriums, die    eine Handlungsanleitung zur Reform der Sozialversicherung geben sollte.

Nach der Lektüre einiger hundert Seiten stellt sich das Werk als Zusammenfassung bekannter Lehrmeinungen und Theorien ohne eigene Berechnungen dar – also ein Lehrbuch. Eine Studie, die helfen soll Entscheidungen zu treffen, ist es nicht – nicht nur wegen des Umfangs. Selbst dort, wo es Vorschläge gibt, bleibt es eine Aufzählung von dem, was die Lehre der Gesundheitssystemforschung anzubieten hat. Eine Bewertung der Vorschläge fehlt, womit beliebig gewählt werden kann. Und so verwundert es nicht, dass sich alle auf das sogenannte „Modell 4“ stürzen, das alles so beibehält, wie es ist, und nur durch mehr Risikostrukturausgleich und bessere Koordination durch gemeinsame Servicezentren ergänzt.

Nun, in der Studie (Kapitel 4, Seite 131 ff) klingt das anders.

   Da wird klar, wie mächtig diese gemeinsamen „Servicezentren“ sein müssten; sie übernähmen alle wesentlichen Aufgaben aller Krankenkassen, wie etwa die Verhandlungen mit den Ärztekammern. Es wäre daher eine Art virtuelle Kassenfusion. Zudem müssten alle Kassen all ihr Geld (nicht nur zwei Prozent) in einen Topf werfen, von dem dann, je nach Krankheitsrisiko der Versicherten, mehr oder weniger zurückfließt. Und weil es keine weitreichenden Gesetzesänderungen geben darf (so die Prämisse des Modells 4), muss alles freiwillig sein.

Da aber, wie zu lesen, erhebliche Rechtsrisiken blieben, etwa, dass die Beamtenversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen bei so einem Risikostrukturausgleich nicht mitmachen könnte, schlägt man Minischritte vor, an deren Ende die derzeitige Verfassung umgangen werden kann. Damit das funktioniert, soll der Staat mit Steuergeld in den Risikoausgleich einsteigen, freilich ohne mehr Mitspracherecht in der Selbstverwaltung zu erhalten.

Nach Schätzungen würde das etwa 1,2 Milliarden Euro ausmachen, die in höhere Arzthonorare (eine Steigerung um ein Drittel zu heute) fließen müssten. Das ist schwieriger umzusetzen als eine Verfassungsänderung, die in den Modellen 1 bis 3 notwendig wäre. Aber das macht nichts, kaum jemand kann so gut Englisch, dass er gesundheitsökonomische Fachliteratur lesen kann. Und weil dieses Werk so dick und unübersichtlich ist, werden selbst die, die es könnten, nicht monatelang darüber brüten. Die, die es tun, werden es tun, um herauszulesen, was für die eigene Institution passt. Und weil niemand nachlesen kann/will/wird, kommen die damit locker durch.

Und so hören wir, dass „die LSE-Studie der bestehenden Struktur der Sozialversicherungen ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt hat“, auch wenn dort steht, dass „davon ausgegangen werden muss, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre“.

   P.S.: Erschreckend ist die Fehlerquote. Bei einer monatelangen Verzögerung und einem Preis von etwa 500 Euro pro Seite könnte man ein Lektorat erwarten – oder wurde noch ganz schnell umgeschrieben?

„Wiener Zeitung“ Nr. 169 vom 31.08.2017  

Gesundes Altern statt Pflege

Den Pflegeregress abzuschaffen, wird das Pflegesystem eher verschlechtern – also bei mehr Geld zu noch weniger Gesundheit führen.

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   Ein Blick in die OECD-Daten zeigt, 2013, pro Kopf und kaufkraftbereinigt, gaben die Dänen exakt gleich viel für Gesundheit und Pflege aus wie Österreich. Setzt man das in Relation zum Anteil der Bevölkerung über 65, der in seinen täglichen Aktivitäten stark eingeschränkt, also echt pflegebedürftig ist, erlebt man eine Überraschung: Bei uns beträgt der Anteil 22 Prozent, in Dänemark acht. Dänemark hat es also geschafft, „gesundes Altern“ zu ermöglichen, wir nicht.

   Doch was machen die so anders?

   Die Antwort ist einfach. Dänemark hat die gesamte Pflege ins Gesundheitssystem integriert. Dort bezieht man von der Einkaufshilfe bis zur Herztransplantation alles als Sachleistung, und alle Leistungen werden so eingesetzt, dass möglichst viel Gesundheit rauskommt. Daher gibt es kaum informelle Pflege und Betreuung. Und der sinnvolle Einsatz von Profis führt zu besseren Ergebnissen.

   Wir hingegen setzen auf selbst organisierte, informelle Pflege (also durch Angehörige oder „illegale“ Betreuung), die oft nur gut gemeint ist. Und wir reizen das an, in dem wir „Pflegegeld“ ohne Zweckwidmung auszahlen. Und auch Pflegegeld gibt es erst, wenn täglich mehr als zwei Stunden Pflege- beziehungsweise Betreuungsbedarf besteht; davor ist es ausschließlich selbst zu finanzieren.

   Das Pflegegeld ist dann so berechnet, dass zwischen drei und fünf Euro pro Betreuungs- oder Pflegestunde herauskommt – damit kann man noch nicht einmal eine Putzkraft schwarz finden.

   Wir fordern also massiv die informelle Pflege – und erhöh(t)en den Druck über Regresse. Und so darf es nicht verwundern, dass zwar 450.000 Österreicher Pflegegeld erhalten, aber nur 146.000 davon (auch) formale Pflege in Anspruch nehmen.

   Ist das bei den niedrigen Pflegestufen vielleicht noch zu vertreten, wird es bei den höheren Stufen krass. Von den 77.000 Patienten, die mindesten sechs Stunden Pflege pro Tag brauchen, werden 42.000 (17.000 davon bettlägerig) informell gepflegt, nehmen also weder mobile Dienste noch ein Pflegeheim in Anspruch. Nur ein Bruchteil davon wird eine (legale) 24-Stundenbetreuung haben. Diese informelle Pflege macht unser System günstig, im Gegensatz zum dänischen, das eines der teuersten ist.

   Doch, ersparen wir uns da wirklich etwas? Eben nicht, denn ein sinnvolles, auf Prävention ausgerichtetes, auf Sachleistungen aufgebautes, integriertes System ermöglicht das „gesunde Altern“ und reduziert Kosten in der Akutversorgung. Am Ende kriegen Dänen mehr Gesundheit für das gleiche Geld.

   Und weil es bei dem Thema Pflegegeld immer so einen Reflex gibt: In Dänemark werden die Leistungen nicht von öffentlich angestellten Kräften erbracht. Es gibt einen „Pflegemarkt“ und freie Wahl der Anbieter. Der Unterschied ist, dass die eben nicht von Patienten, sondern von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Bei uns ist es nicht selten anders – da gibt es Regionen, in denen so etwas wie Gebietsschutz für Anbieter gibt (meist entsprechend der parteipolitischen Farbenlehre), der Patient also keine Wahlfreiheit hat, dafür aber direkt bezahlen muss, was er kriegt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 130 vom 06.07.2017 

Wieder eine papierene Gesundheitsreform

Geheime Papiere, die toll angepriesen und gefeiert werden, und Monitoringberichte, die tunlichst unbemerkt erscheinen.

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   Juhu, wir haben einen neuen B-ZV! Einen was? Einen Bundes-Zielsteuerungsvertrag – das ist der „Fahrplan Gesundheit für die nächsten fünf Jahre“ (© Gesundheitsministerium). Und weiter: „Dass wir heute (24. März, Anm.) den B-ZV für die Zeit von 2017 bis 2021 beschlossen haben, zeigt, dass die Gesundheitsreform funktioniert“ (© Hauptverband). Leider ist dieser toll gefeierte Vertrag (noch) unter Verschluss – und kein Journalist hat nachgefragt, wo er denn sei. Wir sollen ihn nicht lesen, wenigstens nicht vor der Wahl. Bis dahin muss es reichen, von ihm zu hören und zu akzeptieren, dass der Rücktritt von Ulrike Rabmer-Koller unverständlich ist.

   Weil ich ihn schon habe (vertraulich – wie üblich), weiß ich, dass der neue B-ZV ein paar lustige Dinge enthält – so kommt „aut idem“ wieder. Eine Reformidee, die vor zehn Jahren schon mal war, und bei der es darum geht, dass nicht Ärzte entscheiden, welches Medikament der Patient kriegt, sondern Apotheker, die ein anderes als das verordnete, aber wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben dürfen. Das hilft, deren Lagerkosten zu reduzieren.

   Aber grundsätzlich ist der neue B-ZV langweilig, steht doch alles schon in ähnlicher Form im alten. Auffällig ist nur, dass die Zahl der Ziele deutlich geschrumpft wurde. Im alten gab es noch viele „strategische Ziele“, „operative Ziele“ und Maßnahmen, eh oft schwammig definiert, aber immerhin. Jetzt gibt es praktisch nur Überschriften, und Zielwerte werden gerne mit kleinen Pfeilen dargestellt, die je nachdem nach unten oder nach oben zeigen – praktisch für die Zielerreichung. Der Grund dafür ist klar. Denn während der geheime, aber neue B-ZV groß abgefeiert wurde, ist, völlig ohne Tamtam, Ende Mai der II/2016- Monitoringbericht erschienen – die Berichte erscheinen halbjährlich und listen auf, wo die Gesundheitsreform steht. Sie zeigen also, wie diese funktioniert. Und weil sie (siehe oben) funktioniert, müssten die Erfolge des alten B-ZV, der von 2012 bis 2016 gegolten hat, in diesem Quasi-Abschluss-Bericht stehen. Wenn es etwas zum Feiern gäbe, dann eigentlich den II/2016-Bericht, nicht den neuen B-ZV.

   Eigentlich, wäre da nicht ein klitzekleines Problem; denn alle relevanten Ziele des alten B-ZV wurden schlicht nicht erreicht. Eigentlich hat sich in substanziellen Zielen niemand an den Vertrag gehalten. Das zeigt dieser Bericht sehr unangenehm auf. Also muss man den neuen B-ZV feiern. Damit feiert man eine ferne Zukunft. Und um die Chancen zu erhöhen, dass nicht wieder unangenehme Berichte das eigene Versagen monitorisieren (vielleicht liest ja doch mal ein Journalist diese Berichte), steckt man sich weniger, weniger konkrete und weniger hohe Ziele. Denn, am Ende ist der B-ZV ja nicht dazu da, ein Vertrag zu sein, der Vertragspartner an ein gemeinsames Vorhaben bindet (so wäre es in der realen, unseren Welt), sondern ein Papier, das gut klingt, wenn man es verkündet, das richtig nach was ausschaut und blenden kann – eben eine papierene Reform, die niemandem weh tut, schon gar nicht Politikern und Funktionären.

„Wiener Zeitung“ Nr. 116 vom 16.06.2017    

Der Patient steht im Mittelpunkt und dort allen im Weg  

 Vor zehn Jahren gab es die gleiche unwürdige Pflege-Diskussion wie heute. Sie war der Auslöser für mein Buch über eine Gesundheitsreform.

  Hier ein (leicht geänderter) Auszug aus der Einleitung:

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„Auslöser, dieses Buch zu schreiben, war die Diskussion um die Pflegeversorgung. Eine solche Diskussion wäre zu rechtfertigen, wenn das Gesundheitssystem privatisiert wäre. Wahrscheinlich würde die Diskussion auch stimmen, wenn wir mit den Ausgaben für das Gesundheitssystem irgendwo an letzter oder vorletzter Stelle in der OECD lägen. Eventuell wäre diese Diskussion gerechtfertigt, wenn man sie vor 20 (heute 30, Anm.) Jahren geführt hätte. Heute und in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt gehört und sich selbst als das beste bezeichnet, ist diese Diskussion unwürdig.

Der Grund, warum es zu einer solchen kommt, hängt stark mit der Unwilligkeit zusammen, im Gesundheitsbereich substanzielle Reformen umzusetzen. Jeder, der hier irgendwie irgendetwas zu reden hat, verteidigt sein Revier – und das seit Jahrzehnten sehr erfolgreich. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir Strukturen haben, die wie aus einer anderen Zeit anmuten.

Da sich jedoch die Welt weiterdreht und die demographischen Entwicklungen nicht Halt machen, egal wie sehr sich das manche wünschten, sind diese Strukturen anachronistisch geworden. ,Wie sehr‘ uns der alte Mensch am Herzen liegt, sieht man alleine schon daran, dass das Fachgebiet der geriatrischen Medizin gar nicht existiert, gerade einmal ein Fortbildungsdiplom der Ärztekammer gibt es dafür. Ein ,Geriatrieplan‘ in Analogie zu Kinderversorgungsplänen oder Strukturplänen gibt es nicht. Und wenn, dann ist das nicht mehr als eine Auflistung von Pflegeheimen und Absichtserklärungen. Eine den Prozessen entsprechende, bedarfsgerecht abgestufte Versorgung gibt es in der Pflege genauso wenig wie in der ambulanten ärztlichen Versorgung.

Was es sehr wohl gibt, ist die Verdrängung der Patienten in andere Versorgungsstrukturen, wie dem Krankenhaus. Aus gesamtwirtschaftlicher Betrachtung ist das jedoch Irrsinn, da ein Krankenhaus mindestens doppelt so teuer und fachlich falsch qualifiziert ist, als die eigentlich benötigte und bedarfsgerechte Struktur.

Anders ausgedrückt, könnte man, wenn man sich auf eine große Reform einigt, für das gleiche Geld doppelt so viele pflegebedürftige Personen betreuen. Und wenn man dann auch noch vernünftige Konzepte für die Pflegeversorgung (insbesondere abgestufte Modelle) entwickelt, dann sind es vermutlich drei oder vier Mal so viele – ohne, dass der Patient was zahlen müsste. Und wenn man die Kuration endlich gemeinsam mit dem Pflegebereich abstimmen würde, dann könnte man sich sämtliche Selbstbehalte in der Pflege sparen und diese solidarisch finanzieren.

In der Pflege besteht ein noch größerer Reformbedarf als in der Kuration. Es fehlen geeignete Definitionen, die die Leistungen der öffentlichen Hand von Privatleistungen trennen, die Angebote sind nicht am Bedarf ausgerichtet, die Abstimmung des Leistungsgeschehens mit angrenzenden Bereichen fehlt komplett.“

Zehn Jahre sind ins Land gezogen – und trotzdem klingt alles aktuell

„Wiener Zeitung“ Nr. 092 vom 11.05.2017