Das Krankenhaus Nord – stationär vor ambulant?

   Wie­der ein­mal ver­wir­ren die Zah­len des KH Nord. Und dies­mal zei­gen sie, wel­che Ge­fah­ren da­durch für den Pa­ti­en­ten ent­ste­hen.

Wei­ter­le­sen: Das Kran­ken­haus Nord – sta­tio­när vor am­bu­lant?

   Wer­ner Stein­böck ist jetzt seit einem Jahr Ver­wal­tungs­di­rek­tor des KH Nord. Als er im Fe­bru­ar 2019 vor der Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on aus­sa­gen muss­te, war er aber nicht nur als sol­cher dort, son­dern auch als ehe­ma­li­ger Con­trol­ler des KAV. Als Con­trol­ler sah er sich als „Be­darfs­de­cker“ und hält sehr re­flek­tiert fest, dass ein Spi­tal Leis­tun­gen er­brin­gen muss, um einen Be­darf zu de­cken, et­wai­ge Ein­spa­run­gen dür­fen nicht durch Leis­tungs­kür­zun­gen ent­ste­hen. Des­we­gen ist Leis­tungs­pla­nung wich­tig.

   Dann wird er nach den Leis­tun­gen, die er heute als Ver­wal­tungs­di­rek­tor mit den ein­zel­nen Ab­tei­lun­gen in Leis­tungs- und Ziel­ver­ein­ba­run­gen gießt, ge­nau­er be­fragt. Sei­nen An­ga­ben nach, rech­net er mit 46.000 sta­tio­nä­ren Pa­ti­en­ten. Also genau der Zahl, die seit 2012 ver­laut­bart wird.

   His­to­risch be­trach­tet waren es einst nur 40.000 Pa­ti­en­ten. Ver­mut­lich wurde die Zahl der Pa­ti­en­ten nicht dem Be­darf nach fest­ge­legt, son­dern über die Zahl der ge­plan­ten Bet­ten und Ab­tei­lun­gen. Als die Po­li­tik diese mehr oder we­ni­ger frei­hän­dig be­schlos­sen hat, dau­er­te eine Spi­tals­be­hand­lung eben so und so lange, und daher reich­ten die Bet­ten für 40.000 Pa­ti­en­ten. Um 2012 be­gann man sich mit der Be­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on zu be­schäf­ti­gen und stell­te fest, die Ver­weil­dau­er ist ge­sun­ken. Weil eben po­li­tisch die Zahl der Bet­ten den Be­darf be­stimmt und nicht um­ge­kehrt, wur­den 46.000 Pa­ti­en­ten dar­aus. Das ist leicht nach­re­chen­bar.

   Doch sind nun in die­sen Pa­ti­en­ten auch jene ein­ge­rech­net, die ta­ges­kli­nisch be­treut wer­den sol­len? Und da ant­wor­tet Stein­böck mit ja – und er­zeugt ein Pro­blem. Um das zu ver­ste­hen, muss man wis­sen, wie sehr ta­ges­kli­ni­sche Pa­ti­en­ten die durch­schnitt­li­che Ver­weil­dau­er be­ein­flus­sen. Ein Bei­spiel. Etwa 15 Pro­zent der Chir­ur­gie-Pa­ti­en­ten wer­den ta­ges­kli­nisch be­han­delt; 85 Pro­zent lie­gen län­ger. Rech­net man nur diese, ist deren durch­schnitt­li­che Ver­weil­dau­er 4,1 Tage, rech­net man aber alle Pa­ti­en­ten, sinkt sie auf 3,5 Tage.

   Diese Un­ter­schei­dung hat große Wir­kung. Wenn man die heu­ti­ge Ver­weil­dau­er, an­ge­passt an die Fä­cher­struk­tur des KH Nord her­an­zieht, zeigt sich, dass die Bet­ten für etwa 46.000 voll­sta­tio­nä­re Pa­ti­en­ten aus­rei­chen. Rech­net man je­doch die ta­ges­kli­ni­schen Pa­ti­en­ten ein, rei­chen sie für 57.000 Pa­ti­en­ten. Oder im Um­kehr­schluss, wenn diese 46.000 Pa­ti­en­ten wirk­lich in­klu­si­ve ta­ges­kli­ni­scher Pa­ti­en­ten sind, bräuch­te man nicht 785 Bet­ten, son­dern nur 643.

Und genau hier be­ginnt das Pro­blem für Pa­ti­en­ten und Steu­er­zah­ler. Es ist sehr schwer vor­stell­bar, dass Ab­tei­lun­gen in den Leis­tungs- und Ziel­ver­ein­ba­run­gen mit dem Ver­wal­tungs­di­rek­tor leere Bet­ten pla­nen. Und so wer­den wohl die Am­bu­lan­zen zu Ak­qui­si­ti­ons­schie­nen, um aus ei­gent­lich am­bu­lan­ten Pa­ti­en­ten sta­tio­nä­re zu ma­chen. Und weil in der Not­fall­auf­nah­me jeden Tag im Schnitt 700 Pa­ti­en­ten und in den Ter­mi­n­am­bu­lan­zen an jedem Werk­tag 1000 Pa­ti­en­ten be­han­delt wer­den, wird es nicht schwer­fal­len, Bet­ten zu fül­len, um Vor­ga­ben ein­zu­hal­ten. Und so wird Fehl­pla­nung nicht nur teuer, son­dern auch schäd­lich, denn egal wie toll das KH Nord auch sein soll, Spi­tals­kei­me wird es auch dort geben.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 14.03.2019 

Es dauert alles viel zu lange

   Po­li­ti­ker den­ken nicht dar­über nach, was die Zö­ger­lich­keit bei ge­sund­heits­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen für Le­bens­pla­nun­gen be­deu­tet.

Wei­ter­le­sen: Es dau­ert alles viel zu lange

   1986 woll­te ich nach der Ma­tu­ra ein Jahr frei­wil­lig zum Bun­des­heer – wenn schon, denn schon. Aber, da­mals kam die Dis­kus­si­on auf, dass die Wehr­pflicht ab­ge­schafft wer­den soll­te, die wegen Pe­res­troi­ka und Glas­nost nicht mehr nötig sei. Dar­auf­hin ent­schied ich, zu­erst zu stu­die­ren und ab­zu­war­ten. Ich habe also eine weit­rei­chen­de Ent­schei­dung ge­trof­fen, da die Po­li­tik mir miss­ver­ständ­li­che Si­gna­le gab. Denn, die Wehr­pflicht wurde nicht ab­ge­schafft, aber es wurde wei­ter­dis­ku­tiert. Eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung gab es erst 2013 – und zwar ir­gend­wie ab­surd, denn die Ab­schaf­fung ginge des­we­gen nicht, weil das So­zi­al­sys­tem mitt­ler­wei­le auf die quasi Zwangs­ar­beit von Zi­vil­die­nern an­ge­wie­sen sei. Ich denke, kei­nem Po­li­ti­ker war klar, dass Le­bens­pla­nun­gen an Ihrer Un­ent­schlos­sen­heit aus­ge­rich­tet wer­den muss­ten, aber nicht konn­ten!

   Und in der Ge­sund­heits­po­li­tik?

   Be­trach­ten wir die Ju­bel­mel­dung, dass die E-Me­di­ka­ti­on 2022 ein­ge­führt sein soll. Die Dis­kus­si­on dar­über hat An­fang des 21. Jahr­hun­derts be­gon­nen. 2012 wurde per Ge­setz die Ein­füh­rung der E-Me­di­ka­ti­on bis zum 31.12.2014 be­schlos­sen – und das Ge­setz dann ein­fach igno­riert. Was für ein Si­gnal? Un­ter­neh­men, die sich mit damit be­schäf­tig­ten, tra­fen Ent­schei­dun­gen, in­ves­tier­ten und stan­den am Ende vor der Tat­sa­che, dass nichts wei­ter geht. Und jetzt, wird es wirk­lich 2022 so­weit sein?

   Oder die Lehr­pra­xis für an­ge­hen­de Haus­ärz­te? Die dis­ku­tie­ren wir seit den 1970ern (!). Seit da­mals ist klar, dass die spi­tals­las­ti­ge Aus­bil­dung nicht gut ist, will man Haus­ärz­te aus­bil­den und mo­ti­vie­ren, Haus­ärz­te zu wer­den. Seit da­mals wird auch über die Auf­wer­tung der Haus­arzt­me­di­zin ge­re­det, etwa in dem diese als Spe­zi­al­aus­bil­dung (Fach­arzt) aus­ge­baut wird – 2018 (!) wurde die Fi­nan­zie­rung der Lehr­pra­xis ge­ra­de ein­mal für die nächs­ten zwei Jahre be­schlos­sen, die An­er­ken­nung als Fach­ärz­te ist wei­ter weit weg, das Thema wei­ter­hin offen. Was soll sich ein jun­ger Arzt den­ken? Dass Haus­arzt wer­den Zu­kunft hat?

   Ein an­de­res Bei­spiel ist die Kin­der-Re­ha. Die mas­si­ve Un­ter­ver­sor­gung wurde 1999 fest­ge­stellt, dann end­los dis­ku­tiert, und erst 2019 wer­den Re­ha­zen­tren in Be­trieb gehen – wie viele Ärzte haben sich wohl in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren spe­zia­li­siert und dann was an­de­res ma­chen müs­sen, weil es keine Be­rufs­aus­sich­ten gab? Von den Kin­dern, die wir be­hin­dert ins Er­wach­se­nen­le­ben ent­las­sen haben ganz ab­ge­se­hen.

   Oder Pal­lia­tiv­ver­sor­gung? Um 2000 be­gann das Thema auf­zu­tau­chen und bald waren alle ob der Zu­stän­dig­kei­ten zer­strit­ten – um die­sen (un­wür­di­gen) Streit zu lösen, wurde eine ge­mein­sa­me Stra­te­gie zur ab­ge­stuf­ten Pal­lia­tiv­ver­sor­gung be­schlos­sen – das war 2005. Und heute?

   Die Re­gel­ver­sor­gung für Kin­der exis­tiert wei­ter­hin nicht, son­dern hängt von Pri­vat­in­itia­ti­ven und Spen­den ab, 14 Jahre nach einer „vor­ge­spiel­ten“ Ei­ni­gung. Wie viele In­itia­ti­ven wur­den da wohl ein­ge­stellt, weil eine po­li­ti­sche Ei­ni­gung nie in der Wirk­lich­keit an­kom­men muss.

   Ich denke, po­li­ti­sche Eli­ten den­ken gar nicht mehr dar­über nach, was ihre In­ef­fek­ti­vi­tät be­deu­tet, wie viel Le­bens­pla­nun­gen sie ver­un­mög­licht und wie viel Frust dar­aus er­wächst.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 14.02.2019  

Die Personalbedarfsberechnungen des Krankenhauses Nord

   Die Ent­schei­dungs­trä­ger des KH Nord dürf­ten nicht als Re­chen­künst­ler in die Ge­schich­te ein­ge­hen, das be­trifft auch den ge­plan­ten Ärz­te­be­darf.

Wei­ter­le­sen: Die Per­so­nal­be­darfs­be­rech­nun­gen des Kran­ken­hau­ses Nord

   Der Wie­ner Kran­ken­an­stal­ten­ver­bund (KAV) be­haup­tet, von 405 be­darfs­not­wen­di­gen Arzt­stel­len im Kran­ken­haus Nord (KH Nord) seien fast alle be­setzt. Die Ärz­te­kam­mer meint, 405 sind zu wenig, es müss­ten 506 Stel­len sein. Beide be­zie­hen sich auf ei­ge­ne Be­rech­nun­gen. Be­ein­dru­ckend, wie weit da die Sche­re aus­ein­an­der­geht. Über­trägt man diese Be­rech­nungs­wei­sen auf den ge­sam­ten KAV mit sei­nen mehr als 3100 Ärz­ten, heißt das nichts an­de­res, als dass ak­tu­ell in den KAV-Spi­tä­lern ent­we­der 620 Ärzte zu wenig oder aber 780 zu viel ar­bei­ten – das ist schon ver­wir­rend.

   Das KH Nord plant 46.000 sta­tio­nä­re Pa­ti­en­ten. Nicht ein­ge­rech­net und in Rech­nun­gen ir­gend­wie ver­schwun­den sind ta­ges­kli­ni­sche Pa­ti­en­ten, die künf­tig über­wie­gend „spi­tals­am­bu­lant be­han­delt“ (auch in Son­der­klas­se-Am­bu­lan­zen) wer­den. Wei­ters soll es 250.000 „am­bu­lan­te Be­su­che“ geben; eine, ver­gli­chen mit an­de­ren KAV-Spi­tä­lern, ab­surd nied­ri­ge Zahl. Viel­leicht sind ja nur Pa­ti­en­ten ge­meint, die in Ter­mi­n­am­bu­lan­zen be­stellt sind. Geht es mit rech­ten Din­gen zu, wer­den Selbst­zu­wei­ser und über­wie­se­ne Pa­ti­en­ten diese Zahl real ver­dop­peln.

   Schaut man nun, wie viele Ärzte in Wien für so eine Zahl an Pa­ti­en­ten ak­tu­ell ein­ge­setzt wer­den, und über­trägt das auf das KH Nord, müss­te es dort etwa 500 Stel­len geben, womit die von der Ärz­te­kam­mer ge­nann­te Zahl wohl eher stimmt, als die des KAV. 400 Ärzte, wie vom KAV vor­ge­schla­gen, wür­den eine Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung von mehr als einem Vier­tel be­deu­ten, oder an­ders ge­spro­chen, fast ein Vier­tel we­ni­ger Arzt-Zeit pro Pa­ti­ent. Ginge das, müss­te es lo­gi­scher­wei­se mög­lich sein, im KAV bis zu 780 Ärzte ab­zu­bau­en, ohne dass die Pa­ti­en­ten­ver­sor­gung ver­schlech­tert wird?

   Doch das ist nicht das ein­zig Merk­wür­di­ge. Es kur­siert eine Zahl, die der KAV-Rech­nung zu­grun­de lie­gen soll. Sie geht davon aus, dass ein Voll­zeit­arzt netto 1997 Ar­beits­stun­den pro Jahr leis­tet. Zum Ver­gleich: Die Net­to-Jah­res­ar­beits­zeit bei einer 40-Stun­den­wo­che be­trägt für „nor­ma­le“ Ar­beit­neh­mer 1650 (also 350 we­ni­ger) Stun­den. Ein Voll­zeit-Arzt darf, unter Ein­rech­nung der Über­stun­den, die an­ge­ord­net wer­den dür­fen, und im Ein­klang mit der EU-Ar­beits­zeit­richt­li­nie, im Jah­res­schnitt 48 Wo­chen­stun­den ar­bei­ten. Rech­net man jetzt kor­rekt Ur­lau­be und Fei­er­ta­ge sowie Fort­bil­dung und Gut­stun­den für Nacht­diens­te ein, geht sich das haar­scharf aus – nur krank darf der Arzt dann nie wer­den. Ist er nur halb so oft krank wie ein durch­schnitt­li­cher An­ge­stell­ter und soll trotz­dem 1997 Stun­den leis­ten, steigt die Wo­chen­ar­beits­zeit auf un­er­laub­te 50 Stun­den.

   Eine Pla­nung, die so kal­ku­liert, kann nicht funk­tio­nie­ren. Soll­te sie allen KAV-Spi­tä­lern zu­grun­de lie­gen (was hof­fent­lich nicht der Fall ist), ist klar, warum so viele Spi­tals­ärz­te jam­mern.

   Die vor­ge­leg­te Be­darfs­rech­nung geht ein­fach nicht auf und im­po­niert re­tro­grad ka­li­briert (rück­wir­ken­des An­pas­sen einer Be­rech­nung, um ein po­li­tisch ge­woll­tes Er­geb­nis zu „er­rech­nen“): Ir­gend­wann hat wohl ir­gend­wer Dienst­pos­ten ge­schaf­fen, wohl eher nach Maß­ga­be von Bud­get­vor­ga­ben als Leis­tungs­zah­len, und dann wohl mehr oder we­ni­ger tra­di­tio­nell oder nach po­li­ti­scher Will­kür ver­teilt.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 17.01.2019  

Die Verlogenheit der Sonderklassemedizin

      Die Ärz­te­kam­mer meint, wenn es keine Zwei-Klas­sen-Am­bu­lan­zen gibt, wird es eine Zwei-Klas­sen-Me­di­zin geben – und die Län­der stim­men zu.

Wei­ter­le­sen: Die Ver­lo­gen­heit der Son­der­klas­se­me­di­zin

   Die Son­der­klas­se (SKL) ist merk­wür­di­ge. Ab­tei­lun­gen, die hin­sicht­lich Ver­pfle­gung und Un­ter­brin­gung hö­he­ren An­sprü­chen ent­spre­chen, dür­fen SKL-Ge­büh­ren ein­he­ben; und das nicht di­rekt, son­dern über einen ho­no­r­ar­be­rech­tig­ten Arzt, in der Regel Pri­mar­arzt, mit dem SKL-Ver­si­che­run­gen einen Ver­trag haben. Was die­ser SKL strikt ver­bo­ten ist, ist eine bes­se­re Be­hand­lung re­spek­ti­ve Ver­sor­gung (zum Bei­spiel kür­ze­re War­te­zei­ten).

   Dass das ver­bo­ten ist, er­gibt sich aus dem po­li­ti­schen Ver­spre­chen, dass alle alles be­kom­men, auf al­ler­höchs­tem Ni­veau, über­all und immer. Daher kann es keine „bes­se­re Be­hand­lung oder Ver­sor­gung“ geben, nur eine bes­se­re „Ho­tel­kom­po­nen­te“.

   Das ist al­ler­dings ein Ver­spre­chen, das jene 1,8 Mil­lio­nen Ös­ter­rei­cher, die eine SKL-Ver­si­che­rung haben, nicht glau­ben. Fragt man diese, sind es ge­ra­de ein­mal 18 Pro­zent, die die Ho­tel­kom­po­nen­te als Kauf­grund an­füh­ren. Der Rest will Pri­vi­le­gi­en er­kau­fen, bes­se­re Be­hand­lung und Ver­sor­gung, be­vor­zug­te und bes­se­re Be­treu­ung. Lau­ter Dinge, die recht­lich nicht an­ge­bo­ten wer­den kön­nen, aber trotz­dem ge­kauft wer­den? Wenn jetzt über SKL-Am­bu­lan­zen ge­re­det wird, in denen Snacks oder Le­der­ses­sel an­ge­bo­ten wer­den, dann ist das eben dem Recht ge­schul­det. Für Pa­ti­en­ten ist das kein Kauf­grund.

   Doch warum ist das ein Pro­blem?

   Es ist ge­plant, am­bu­lan­te Ver­sor­gung zu stär­ken, was dazu führt, dass es zur Ver­la­ge­rung von sta­tio­nä­ren Pa­ti­en­ten in die Am­bu­lan­zen kommt – ei­gent­lich sehr ver­nünf­tig. Aber, soll­te es keine Zwei-Klas­sen-Am­bu­lan­zen geben, wür­den Spi­tä­ler um viel­leicht zehn Mil­lio­nen Euro we­ni­ger SKL-Ein­nah­men haben als heute. Ver­gli­chen mit den etwa 16.000 Mil­lio­nen Euro, die die Spi­tä­ler kos­ten, ein ver­kraft­ba­rer Ver­lust. Doch das ist eben nur die halbe Wahr­heit. Denn die­sen zehn Mil­lio­nen Euro, die die Spi­tä­ler ver­lie­ren, ste­hen 80 Mil­lio­nen Euro Ein­kom­mens­ver­lus­te der Ärzte ge­gen­über – und dort, wo be­son­ders viel ver­la­gert wer­den soll, etwa On­ko­lo­gie, Der­ma­to­lo­gie oder auch Augen, müss­ten wohl ei­ni­ge Pri­mar­ärz­te Ver­lus­te von 20 Pro­zent oder mehr hin­neh­men. Das sind schnell meh­re­re Tau­send pro Monat – Auf­tritt Ärz­te­kam­mer.

   Diese Ärzte wür­den dann völ­lig zu Recht eine ent­spre­chen­de Ge­halts­for­de­rung an ihre Ar­beit­ge­ber stel­len. Da aber Ge­halts­ver­hand­lun­gen wegen der Kol­lek­tiv­ver­trä­ge so starr sind, dass es kaum mög­lich wäre, den Ein­kom­mens­ver­lust in­di­vi­du­ell aus­zu­glei­chen, droht eine all­ge­mei­ne Ge­halts­er­hö­hung vor allem der hö­he­ren Ärzte, was po­li­ti­sche un­an­ge­nehm ist – Auf­tritt Län­der.

   Ehr­lich lös­bar wäre das nur, wenn die Po­li­tik die Dis­kre­panz zwi­schen dem, was Men­schen kau­fen (bes­se­re Be­hand­lung), und dem, was Po­li­tik „er­laubt“ („Ho­tel­kom­po­nen­te“), zu kau­fen, ge­schlos­sen würde.

So etwas geht aber nur mit har­ten Schnit­ten – etwa der end­gül­ti­gen Be­en­di­gung der SKL in öf­fent­li­chen Spi­tä­lern. So­lan­ge öf­fent­li­che Spi­tä­ler je­doch auf die Quer­sub­ven­tio­nie­rung der Arzt­ge­häl­ter durch SKL-Ver­si­che­rung set­zen, wird das nicht pas­sie­ren. Und des­we­gen wird die Ver­lo­gen­heit rund um die SKL auf Am­bu­lan­zen aus­ge­dehnt – mit dem fes­ten Ver­spre­chen, dass es dort wie über­all keine Bes­ser­stel­lung geben wird. Denn alle be­kom­men alles auf al­ler­höchs­tem Ni­veau, über­all und immer.

„Wie­ner Zei­tung“ vom 27.12.2018

Die E-Card, das Foto und der Sozialmissbrauch

   Ein Foto auf der E-Card soll So­zi­al­miss­brauch be­en­den. Was das ist, ist nicht so klar, ver­wen­det wird das Wort gerne als Syn­onym für So­zi­al­be­trug.

Wei­ter­le­sen: Die E-Card, das Foto und der So­zi­al­miss­brauch

   Ös­ter­reich rühmt sich, dass jeder Kran­ke die Be­hand­lung er­hält, die er braucht. Das ist im Üb­ri­gen etwas, das in ganz Eu­ro­pa, in­klu­si­ve Tür­kei, als Teil der so­zia­len Si­che­rungs­sys­te­me üb­lich ist. Zudem haben prak­tisch alle Län­der ein Sach­leis­tungs­prin­zip – die Leis­tun­gen des Ge­sund­heits­sys­tems wer­den un­mit­tel­bar am Pa­ti­en­ten und dort un­ent­gelt­lich zu Ver­fü­gung ge­stellt, ab­ge­rech­net wird im Hin­ter­grund. Auf die­ser ad­mi­nis­tra­ti­ven Ebene un­ter­schei­den sich die Sys­te­me.

Wie kann man da einen So­zi­al­be­trug kon­stru­ie­ren? Ein Pa­ti­ent, wenn der Pa­ti­ent krank ist, wird er Hilfe er­hal­ten, egal woher er kommt, es ist nur die Frage wo und wer dafür be­zahlt. Hier kann es also kaum So­zi­al­be­trug geben, son­dern im Grun­de nur einen mehr oder we­ni­ger will­kür­li­chen „Ad­mi­nis­tra­ti­ons­feh­ler“, selbst wenn die Hilfe über eine „ge­lie­he­ne E-Card“ be­zo­gen wird. Jeder, der im Aus­land ist und einen Arzt sucht, ist froh, wenn er un­bü­ro­kra­ti­sche Hilfe er­hält, und in den meis­ten Län­dern ist es glück­li­cher­wei­se auch so, weil Ärzte Pa­ti­en­ten und nicht Bü­ro­kra­tie­mons­ter be­han­deln.   

So­zi­al­be­trug kann sich daher nur auf sol­che Fälle be­zie­hen, bei denen Per­so­nen, die nicht krank sind, über die E-Card Leis­tun­gen er­schlei­chen, die sie dann zu Geld ma­chen. In einem Sach­leis­tungs­prin­zip ist das in re­le­van­ten Grö­ßen­ord­nun­gen kaum mach­bar, am ehes­ten durch die Er­schlei­chung von Me­di­ka­men­ten, die dann il­le­gal ver­kauft wer­den.

Immer wie­der wird ar­gu­men­tiert, aber nie vor­ge­rech­net, dass der Scha­den 200 Mil­lio­nen Euro jähr­lich (bei 25.000 Mil­lio­nen Euro öf­fent­li­chen Ge­sund­heits­aus­ga­ben) be­trägt; denk­bar ist diese Milch­mäd­chen­rech­nung:

Etwa 200.000 E-Cards gehen jedes Jahr ver­lo­ren oder wer­den ge­stoh­len (in der Regel samt Brief-oder Hand­ta­sche). Um­ge­rech­net heißt das, dass jeder von uns alle 44 Jahre eine Er­satz- E-Card braucht – nicht au­ßer­ge­wöhn­lich. Weil nie­mand genau weiß, was mit der E-Card zwi­schen dem Ver­lust und der Ver­lust­mel­dung pas­siert, un­ter­stellt man in der Zeit einen Miss­brauch mit be­trü­ge­ri­schen Ab­sich­ten und einem Scha­den von 1000 Euro pro E-Card – macht 200 Mil­lio­nen Euro (ge­ra­de ein­mal 0,8 Pro­zent der öf­fent­li­chen Ge­sund­heits­aus­ga­ben).

Will man das über er­schli­che­ne Me­di­ka­men­te er­zie­len, braucht man dazu etwa sie­ben Mil­lio­nen Ver­ord­nun­gen. Wenn auf einer E-Card un­ge­wöhn­lich viele und oder teure Me­di­ka­men­te ver­ord­net wer­den, dann fin­den die Kas­sen diese „Aus­rei­ßer“ und den ver­ord­nen­den Arzt schnell.

Will man be­trü­gen, muss man daher unter dem Radar blei­ben. Aber um sie­ben Mil­lio­nen Ver­ord­nun­gen un­sicht­bar zu hal­ten, müss­ten tau­sen­de „Be­trü­ger“, zu hun­der­ten Ärz­ten gehen, um dort jene Krank­hei­ten zu si­mu­lie­ren, die zu den ge­wünsch­ten Me­di­ka­men­ten füh­ren. Oder aber es sind hun­der­te Ärzte ein­ge­weiht und ma­chen bei dem Be­trug mit. Das ist echte Ver­schwö­rungs­theo­rie.

Aber hier geht es wohl nicht um Fak­ten, eher um al­ter­na­ti­ve Fak­ten, um ein Bild zu zeich­nen, das den Tür­ken Ali mit sei­nem Cou­sin Mus­ta­fa als So­zi­al­be­trü­ger zeigt, denen end­lich das Hand­werk ge­legt wer­den muss

„Wie­ner Zei­tung“ vom 22.11.2018 

Kassenfusion – ein absolutes No-Go

Die Kas­sen­re­form soll eine Macht­ver­schie­bung zu den Ar­beit­ge­bern brin­gen und die Selbst­ver­wal­tung aus­höh­len.

Wei­ter­le­sen: Kas­sen­fu­si­on – ein ab­so­lu­tes No-Go

    Die Kampf­ru­fe gegen die Kas­sen­re­form sind laut, vor allem von denen, die bis­her Pos­ten in der Selbst­ver­wal­tung der neun Ge­biets­kran­ken­kas­sen be­set­zen konn­ten und dies als Erb­pach­ten be­trach­te­ten. Denn wer genau schaut, er­kennt, dass es eben nur um Pos­ten geht und sonst nichts.

   Die Re­form bringt neue Ab­stim­mungs­we­ge in den neuen deut­lich ver­klei­ner­ten Gre­mi­en. Und diese sind in der „Ös­ter­rei­chi­schen Ge­sund­heits­kas­se“ (ÖGK) so ge­stal­tet, dass weder Wirt­schafts- noch Ar­bei­ter­kam­mer Ober­hand haben, also im Grun­de so wie heute. Die Macht der Kam­mern bleibt er­hal­ten und damit auch die Macht der do­mi­nie­ren­den Frak­tio­nen – also Wirt­schafts­bund und so­zia­lis­ti­sche Ge­werk­schaf­ter.

   Genau ge­nom­men steigt deren Macht sogar, weil das Ein­zi­ge, was sich än­dert, die Zahl der Funk­tio­nä­re ist, und damit die klei­ne­ren Frak­tio­nen keine Funk­tio­nä­re mehr ent­sen­den wer­den kön­nen. Die oh­ne­hin schon kaum vor­han­de­ne Plu­ra­li­tät in der Selbst­ver­wal­tung wird noch ge­rin­ger.

   Selbst­ver­wal­tung be­deu­tet ei­gent­lich, dass wir Ver­si­cher­te uns – ohne Ein­mi­schung der Po­li­tik – selbst ver­wal­ten. Wir wäh­len dazu aus un­se­ren Rei­hen einen Selbst­ver­wal­tungs­kör­per. Selbst­ver­wal­tung kann es aber nur sein, wenn wir mit­be­stim­men kön­nen, und genau das kön­nen wir kaum. Es ist eine lange kri­ti­sier­te Fehl­kon­struk­ti­on un­se­rer Selbst­ver­wal­tung, dass sie nur eine sehr ein­ge­schränk­te Mit­spra­che er­laubt. Ei­ner­seits, weil es keine Mög­lich­keit gibt, sich eine Ver­si­che­rung aus­zu­su­chen, an­de­rer­seits, weil die Re­prä­sen­tan­ten aus­schließ­lich von Kam­mern ent­sen­det wer­den. Jeder Nicht-Er­werbs­tä­ti­ge, zum Bei­spiel ein Pen­sio­nist, hat kein Mit­spra­che­recht – gar kei­nes.

   Bis in die 80er wurde die­ser auf­grund der De­mo­gra­fie noch gar nicht so große Feh­ler durch eine Un­zahl an Funk­tio­nä­ren wett­ge­macht. Dann kam eine Re­form, und aus etwa 8000 Funk­tio­nä­ren (in­klu­si­ve Ver­tre­tern) wur­den 2000 – der erste Schritt in eine Funk­tio­närs­eli­te. Die „Selbst­ver­wal­tung“ ver­lor Augen und Ohren. In­for­ma­tio­nen über das Funk­tio­nie­ren der Ver­sor­gung kamen immer schwe­rer ins Sys­tem. Und da es keine Ver­sor­gungs­for­schung gab, be­gann ein Blind­flug der Funk­tio­nä­re.

   Und jetzt? Jetzt wird deren Zahl wei­ter auf knapp 500 ge­senkt. 370 davon sind für die All­ge­mei­ne Un­fall­ver­si­che­rungs­an­stalt (AUVA), ÖGK, So­zi­al­ver­si­che­rung der Selbst­stän­di­gen (SVS) und Ei­sen­bah­nen und Berg­bau (BVAEB) zu­stän­dig, ent­sen­det aus den Pflicht­kam­mern, denen eine brei­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on fehlt. Sie sind ge­setz­lich ihren Pflicht­mit­glie­dern, also ihrer Kli­en­tel, ver­pflich­tet und sonst nie­man­dem. Nach Abzug der Aus­ga­ben für Fonds­spi­tä­ler ent­schei­den diese Funk­tio­nä­re über die Ver­tei­lung von etwa 14 Mil­li­ar­den Euro. Die öf­fent­li­che Hand ver­wal­tet etwa sechs Mal mehr. Die „ge­rech­te“ Ver­tei­lung wird dabei von 50.000 „Funk­tio­nä­ren“ in Ge­mein­de- und Stadt­rä­ten, in Land­ta­gen, Bun­des­rat und Na­tio­nal­rat kon­trol­liert; das sind 135 Mal mehr Funk­tio­nä­re.

   Es ist mensch­lich ver­ständ­lich, wenn die ab­zu­bau­en­den Funk­tio­nä­re laut jam­mern und einen An­griff auf die Selbst­ver­wal­tung wäh­nen – durch die Schrump­fung wird wohl der Kon­kur­renz­kampf in­ner­halb der Funk­tio­närs­eli­ten an­ge­heizt; und wer setzt sich dem schon gerne aus. Mit einer Sorge um uns un­ter­wor­fe­ne Pflicht­ver­si­cher­te hat das wenig zu tun.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 208 vom 25.10.2018   

Definitiv nicht die „größte Strukturreform der Zweiten Republik“

  Ein Berg hat ge­kreißt, eine Maus wurde ge­bo­ren! Die Kas­sen­re­form ist nicht für Pa­ti­en­ten ge­macht, son­dern ein par­tei­po­li­ti­sches Hick­hack.

Wei­ter­le­sen: De­fi­ni­tiv nicht die „größ­te Struk­tur­re­form der Zwei­ten Re­pu­blik“

   Dank kli­en­tel­po­li­ti­scher Ge­set­ze ist die am­bu­lan­te Akut­ver­sor­gung au­ßer­halb der Spi­tä­ler völ­lig zer­split­tert. Hier agie­ren 19 Kran­ken­kas­sen (KK) und 15 Kran­ken­für­sor­gean­stal­ten (KFA), deren Ei­gen­tü­mer po­li­tisch klar zu­ge­ord­net wer­den kön­nen, deren Ver­si­cher­te aber keine Wahl haben. Die Leis­tungs­spek­tren wer­den über Leis­tungs- und Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge de­fi­niert, die mit an­de­ren Mo­no­po­lis­ten ver­han­delt wer­den – den zehn Ärz­te­kam­mern.

   Wie viele Ka­ta­lo­ge im Um­lauf sind, ist nicht klar, denn KFAs ent­zie­hen sich jeg­li­cher Kon­trol­le, am Ende sind es mehr als 20. Wie in­ho­mo­gen die­ses „Preis­sys­tem“ ist, zeigt, dass bei­spiels­wei­se ein EKG im Rah­men eines Haus­be­su­ches bei einem Ver­si­cher­ten der Ge­biets­kran­ken­kas­se (GKK) in Nie­der­ös­ter­reich mit 53 Euro ho­no­riert wird, bei einem GKK-Pa­ti­en­ten in der Stei­er­mark aber nur mit 13 Euro.

   Die glei­chen Ver­hand­ler be­stim­men über Kas­sen-Stel­len­plä­ne auch die Kas­sen­arzt-Dich­te – eben­falls in­ho­mo­gen. So ist die Kas­sen-Fach­arzt­dich­te im Wes­ten Wiens dop­pelt so hoch wie die im Mühl­vier­tel, ob­wohl es dort nicht an jeder Ecke Spi­tals­am­bu­lan­zen gibt. In der Folge wer­den Pa­ti­en­ten nicht dort be­han­delt, wo es sinn­voll wäre, son­dern dort, wo An­ge­bot und Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge sie hin­len­ken. Um das zu re­for­mie­ren, muss man tief in die Sys­tem­ar­chi­tek­tur ein­grei­fen. Und das hat die Re­gie­rung ver­spro­chen. Nun wurde die Re­form vor­ge­stellt, mit der Kas­sen fu­sio­niert und Leis­tun­gen har­mo­ni­siert wer­den – al­lei­ne, die De­tails spre­chen eine an­de­re Spra­che. Die KFAs, die tra­di­tio­nell die höchs­ten Ho­no­ra­re (min­des­tens dop­pelt so hoch wie die der GKKs) be­zah­len, wur­den nicht an­ge­rührt. Zwar ist die Zahl der Ver­si­cher­ten ver­hält­nis­mä­ßig klein und daher könn­te man dar­über hin­weg­se­hen, doch, da KFA-Ver­si­cher­te haupt­säch­lich in Bal­lungs­räu­men leben, stel­len sie für Ärzte einen An­reiz dar, dort zu or­di­nie­ren. Ana­lo­ges gilt für SVA und BVA, die eben­falls ihre Ka­ta­lo­ge be­hal­ten. Damit wurde die Chan­ce ver­passt, für Ärzte An­rei­ze zu set­zen, sich au­ßer­halb von Bal­lungs­räu­men nie­der­zu­las­sen.

   Kern­stück der Re­form soll aber die Fu­si­on der neun GKKs zu einer ÖGK sein. Ver­spro­chen wurde ein ein­heit­li­cher Leis­tungs- und Ho­no­rar­ka­ta­log. Doch, jedes Bun­des­land be­hält eine au­to­no­me Lan­des­stel­le, die wei­ter mit den re­gio­na­len Ärz­te­kam­mern ei­ge­ne Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge und Stel­len­plä­ne ver­han­delt und das dafür nö­ti­ge Bud­get von der Zen­tra­le krie­gen muss. Die Zahl der Ka­ta­lo­ge und Stel­len­plä­ne än­dert sich kaum und damit bleibt alles, wie es ist.    

Doch warum dann der Auf­ruhr? Das liegt an den ein­ge­bau­ten Bos­haf­tig­kei­ten. Die Zahl der (meist roten Ge­werk­schafts-) Funk­tio­nä­re und hohen Ver­wal­tungs­pos­ten wird re­du­ziert. Das al­lei­ne ist schon ein An­griff auf das aus­ta­rier­te Ge­fü­ge der ge­werk­schaft­li­chen „Erb­pach­ten“. Rich­tig böse wird es, wenn man das neu ein­ge­führ­te Aus­bil­dungs­pro­fil für Funk­tio­nä­re be­trach­tet. Ent­we­der müs­sen sie ein Stu­di­um nach­wei­sen oder SV-in­ter­ne Fort- und Aus­bil­dun­gen ab­ge­schlos­sen haben. Wer das nicht hat, darf kein Funk­tio­när mehr sein – das trifft eine ganze Reihe vor allem roter Ob­män­ner und ihre Stell­ver­tre­ter. Hier wird’s per­sön­lich

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 188 vom 27.09.2018

Die Überdimensionierung des Krankenhauses Nord

Ich habe nicht nur pro­fes­sio­nel­les, son­dern auch per­sön­li­ches In­ter­es­se, habe ich doch bei der Di­men­sio­nie­rung des KH Nord mit­ge­wirkt.

Wei­ter­le­sen: Die Über­di­men­sio­nie­rung des Kran­ken­hau­ses Nord

   2004 und 2006 hat die Stadt Wien das ÖBIG, die heu­ti­ge GÖG, be­auf­tragt, die Spi­tals­land­schaft auf ihre Not­wen­dig­keit und ge­rech­te Ver­tei­lung zu ana­ly­sie­ren. Es wur­den zwei Stu­di­en an­ge­fer­tigt. Ich ent­sin­ne mich, dass die zwei­te, die dann zur Di­men­sio­nie­rung des KH Nord ge­führt hat, sehr selt­sam war. Man hat uns ein paar Va­ri­an­ten vor­ge­legt, die mit der ers­ten Stu­die prak­tisch nichts ge­mein hat­ten und ge­sagt: Sucht euch eine aus – die soll es wer­den.

   Nun, end­lo­se 15 Jahre spä­ter, soll das KH er­öff­net wer­den, und es stellt sich die Frage, ob die Di­men­sio­nie­rung von da­mals wirk­lich jene ist, die für 2020 und da­nach passt? Vor­weg: nein!

   In der Ver­sor­gungs­re­gi­on 93 – Wien Nord-Ost, so heißt die Re­gi­on Trans­da­nu­bi­en bei Spi­tals­pla­nern, leben etwa 320.000 Ein­woh­ner. Folgt man den ge­setz­li­chen Pla­nungs­vor­ga­ben des ÖSG, das ist die Pla­nungs­grund­la­ge für alle Bun­des­län­der und wird vom ÖBIG er­ar­bei­tet, wer­den 2020 die dor­ti­gen Ein­woh­ner 72.000 Mal sta­tio­när (ohne Ta­ges­kli­nik) be­han­delt wer­den müs­sen – eine im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich aber­wit­zig hohe Kran­ken­haus­häu­fig­keit. Diese Zahl ist üb­ri­gens er­war­tungs­ge­mäß um 12.000 höher als noch 2004 – weil diese Re­gi­on wächst.

   In der Re­gi­on gibt es dem­nächst zwei Spi­tä­ler: das SMZ Ost und das KH Nord. Zu­sam­men kön­nen sie 115.000 Pa­ti­en­ten ver­sor­gen. Weil auch Pa­ti­en­ten aus an­de­ren Bun­des­län­dern (Gast­pa­ti­en­ten), ver­sorgt wer­den müs­sen, ste­hen nur 80 Pro­zent der Ka­pa­zi­tä­ten den Wie­nern zur Ver­fü­gung: macht 92.000; er­war­tet wer­den aber nur 72.000! Damit stün­den 2020 mehr als 300 Bet­ten für 20.000 Pa­ti­en­ten leer.

   Be­trach­ten wir das KH Nord al­lei­ne, kön­nen 46.000 Pa­ti­en­ten sta­tio­när ver­sorgt wer­den. 2020, bei vor­han­de­ner Fä­cher­struk­tur und unter Ein­be­zie­hung über­re­gio­na­ler An­ge­bo­te ist, in­klu­si­ve Gast­pa­ti­en­ten, aber nur mit 35.000 zu rech­nen. Woher sol­len die feh­len­den 11.000 Pa­ti­en­ten kom­men?

   Ab­sur­der­wei­se wer­den ei­ni­ge Ab­tei­lung trotz­dem Über­ge­hen – denn, die Fä­cher­di­men­sio­nie­rung stammt eben­falls aus einer an­de­ren Zeit. Da­mals wur­den viel zu viele chir­ur­gi­sche Bet­ten, zu­las­ten der ei­gent­lich nö­ti­gen kon­ser­va­ti­ven Fä­cher ge­plant. Diese Fehl­pla­nung ist bis heute spür­bar. Wäh­rend Ab­tei­lun­gen der in­ne­ren Me­di­zin re­gel­mä­ßig mit Gang­bet­ten Schlag­zei­len ma­chen, ste­hen ein Vier­tel der chir­ur­gi­schen Bet­ten in Wien leer. 2002 bis 2004, als die Ta­ges­kli­nik ein­fach nicht vom Fleck kom­men woll­te und die sta­tio­nä­ren Auf­nah­men enorm an­stie­gen, war das KH Nord nicht an­ders zu pla­nen. All das hat sich aber mas­siv ver­än­dert. Die Ta­ges­kli­nik hat sich ver­dop­pelt, gleich­zei­tig sin­ken sta­tio­nä­re Auf­nah­men seit 2008 – und zum Zeit­punkt des Spa­ten­sti­ches 2010 war das alles be­kannt.

   Kein Spi­tals­pla­ner hätte das KH Nord da­mals so di­men­sio­niert, wie es heute da­steht. Das Schlim­me aber ist: Der jet­zi­ge Chef der GÖG meint in der Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on, die den Skan­dal rund um das KH Nord klä­ren soll, die Di­men­sio­nen sind rich­tig. Er fällt damit sei­nem Team, dass seit Jahr­zehn­ten darum kämpft, die aber­wit­zi­ge Zahl sta­tio­nä­rer Pa­ti­en­ten zu re­du­zie­ren, in den Rü­cken – und damit auch ir­gend­wie mir.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 163 vom 23.08.2018   

Kassenfusion – ein Match zwischen Reformern und Reaktionären

 Viel­leicht ist es Zeit, dass nach 50 Jah­ren eine echte Re­form statt­fin­det – aber die Macht­struk­tu­ren sind davon wohl nicht über­zeugt.

Wei­ter­le­sen: Kas­sen­fu­si­on – ein Match zwi­schen Re­for­mern und Re­ak­tio­nä­ren

   Zu viele Kas­sen, Dop­pel­glei­sig­kei­ten in­ner- und au­ßer­halb von Spi­tä­lern und keine ver­nünf­ti­ge Pla­nung – das ist nicht neu, son­dern hat uns die WHO schon 1969 (!) auf­ge­zeigt.

   Wegen feh­len­der Ab­stim­mung lie­gen 900.000 Pa­ti­en­ten, die am­bu­lant be­han­delt wer­den könn­ten, un­nö­tig in Spi­tä­lern. Von die­sen ste­cken sich 50.000 mit Spi­tals­kei­men an (das ist nicht zu ver­hin­dern!) und ei­ni­ge Hun­dert wer­den ster­ben – un­nö­tig. Ab­ge­se­hen davon, dass das ein bis zwei Mil­li­ar­den Euro un­nö­ti­ger Kos­ten er­zeugt, soll­te es doch Ziel sein, Pa­ti­en­ten nicht un­nö­tig zu scha­den.

   Wenn also die Rede von der Kas­sen­fu­si­on ist, soll­te es nicht um ein paar hun­dert Ver­sor­gungs­pos­ten gehen; Thema ist, dass die Ab­stim­mung zwi­schen Kran­ken­kas­sen, Ärz­te­kam­mern und Spi­tals­trä­gern seit Jahr­zehn­ten nicht klappt – es gibt ein­fach viel zu viele und vor allem schlecht de­fi­nier­te Ent­schei­dungs­ebe­nen.

   Die Idee, dass we­ni­ge, bun­des­wei­te Kas­sen einer bun­des­wei­ten Spi­tals­pla­nung ge­gen­über­ste­hen, ist lo­gisch. Umso mehr, als es eben auch bun­des­wei­te Re­geln für Bei­trä­ge und Steu­ern gibt. Man kann es auch an­ders ma­chen: neun Län­der und neun Kas­sen, die Steu­ern und Bei­trä­ge selbst ein­he­ben und selbst schau­en, wie sie die Fi­nan­zie­rung der Pa­ti­en­ten, die Bun­des­län­der­gren­zen über­schrei­ten, hin­krie­gen (im Spi­tals­be­reich ist die­ses „Gast­pa­ti­en­ten-Pro­blem“ seit 25 Jah­ren ein Pro­vi­so­ri­um). Gänz­lich ab­ge­schafft müss­ten dann die bun­des­wei­ten Kas­sen der Be­am­ten, Bau­ern, Selb­stän­di­gen und auch die AUVA wer­den.

   Aber, das wol­len die Län­der auch nicht. Mir scheint, denen schwebt Fol­gen­des vor.

   Das SV-Sys­tem be­steht ja aus Kran­ken-, Un­fall-, und Pen­si­ons-Ver­si­che­run­gen. Ei­ni­ge Trä­ger bie­ten alle (etwa VAEB), an­de­re nur zwei (etwa BVA), viele nur eine (GKKs, PVA, AUVA, VA des ös­terr. No­ta­ri­ats) Ver­si­che­rung an.

   Nimmt man das Re­gie­rungs­pro­gramm wört­lich und zieht von „ma­xi­mal fünf SV“ die PVA ab, blei­ben ma­xi­mal vier für Kran­ken und Un­fall­ver­si­che­rung.

   Selb­stän­di­ge (Bau­ern, Un­ter­neh­mer) er­hal­ten eine ge­mein­sa­me (schwar­ze) Kran­ken­kas­se – es wird die ein­zi­ge Fu­si­on blei­ben. Denn, die (schwar­ze) BVA muss blei­ben, sagt die Ver­fas­sung. Au­ßer­dem, wie soll diese mit den (über­wie­gend roten) KFAs und der (roten) VAEB fu­sio­nie­ren. Womit klar ist, die VAEB bleibt auch. Die KFAs sind ja ei­gent­lich keine SV, also zäh­len sie nicht. Jetzt haben wir drei SV – bleibt nur noch Platz für eine wei­te­re, näm­lich die (farb­lo­se?) ÖKK, also die zu einer Kassa fu­sio­nier­ten (teils schwar­zen, über­wie­gend roten) GKKs. Aber wo bleibt die (schwar­ze) AUVA? Nun, da gibt es eine Lö­sung.

    Die „ma­xi­mal fünf SV“ könn­ten ja, ein biss­chen po­li­ti­scher Wille vor­aus­ge­setzt, erst nach Abzug der PVA gel­ten? Dann ist Platz für die AUVA. Und wenn die ÖKK aus neun au­to­no­men Zwei­gen be­steht, haben wir sie: die Kas­sen­fu­si­on, bei der „ma­xi­mal fünf SV“ üb­rig­ge­blie­ben sind, ohne viel zu än­dern – außer, dass es ein neues Gre­mi­um gibt, dass sich ÖKK nennt. Kommt das, haben Re­gie­rung, Be­völ­ke­rung und Pa­ti­en­ten ver­lo­ren und die alten Macht­struk­tu­ren, die die paar hun­dert Ver­sor­gungs­pos­ten nicht auf­ge­ben wol­len, ge­won­nen.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 091 vom 11.05.2018 

Die systemrelevante Allgemeine Unfallversicherungsanstalt?

Die Dis­kus­si­on rund um die AUVA ist ab­surd über­zo­gen, ver­un­si­chert alle und ist doch nur ein Macht­kampf.

Wei­ter­le­sen: Die sys­tem­re­le­van­te All­ge­mei­ne Un­fall­ver­si­che­rungs­an­stalt?

   Von Kahl­schlag und Ka­putt­spa­ren wird ge­spro­chen, man­cher fühlt sich gar in den au­to­ri­tä­ren Stän­de­staat zu­rück­ver­setzt. Und was hören Bür­ger und Pa­ti­en­ten her­aus? Un­fall­kran­ken­häu­ser (UKH) wer­den ge­sperrt, 370.000 Ver­letz­te wer­den, wenn sie nicht auf der Stra­ße ver­blu­ten wol­len, alles selbst be­zah­len müs­sen.

   Ist das so? In Ös­ter­reich wer­den 2,8 Mil­lio­nen Men­schen jähr­lich in Spi­tä­ler auf­ge­nom­men – 40.000 davon in UKH. In Spi­tals­am­bu­lan­zen fal­len 8,9 Mil­lio­nen Fälle an – 330.000 davon in UKH. Selbst in der flä­chen­de­cken­den Un­fall­ver­sor­gung sind UKH nur von ge­rin­ger Be­deu­tung: Denn mit sie­ben Spi­tä­lern in fünf Bun­des­län­dern ver­sor­gen sie we­ni­ger als ein Fünf­tel aller Un­fall­op­fer.

   Wenn jetzt, wie man­che skan­die­ren, alle UKH über Nacht zu­sperr­ten, würde die Ver­sor­gung der Pa­ti­en­ten Pro­ble­me be­rei­ten, aber kei­nes­falls zu­sam­men­bre­chen – dafür sind es ein­fach zu we­ni­ge.

   Und an das Schlie­ßen denkt nie­mand – es geht auch nicht. Denn, jeder hat ein Recht auf Ver­sor­gung, und weil die Un­fall­kran­ken­häu­ser ver­sor­gungs­wirk­sam sind, muss deren Leis­tung, un­ab­hän­gig, ob es die AUVA in der heu­ti­gen Form gibt oder nicht, auf­recht­er­hal­ten wer­den.

   Und das ist der Grund für den Po­lit-Streit. In UKH wer­den zu 90 Pro­zent Pa­ti­en­ten be­han­delt, für die diese nicht zu­stän­dig sind – näm­lich sol­che nach Frei­zeit­un­fäl­len. Zu­stän­dig wären die Kran­ken­kas­sen. Die je­doch haben die „nor­ma­le“ Spi­tals­ver­sor­gung den Län­dern über­tra­gen und zah­len dafür, pau­schal und un­ab­hän­gig von der An­zahl der Pa­ti­en­ten, einen de­fi­nier­ten Pro­zent­satz ihrer Ein­nah­men. Diese Pau­scha­le deckt je­doch nur die Hälf­te der an­fal­len­den Spi­tals­kos­ten ab – der Rest kommt aus den Lan­des­bud­gets.

   UKH sind aber keine „nor­ma­len“ Spi­tä­ler. Die Kas­sen, und das ist recht­lich gar nicht an­ders mög­lich, be­zah­len ihnen in etwa das Glei­che wie „nor­ma­len“ Spi­tä­lern. Da UKH aber keine Län­der haben, um De­fi­zi­te zu de­cken, muss die AUVA das aus Bei­trä­gen stem­men. Es han­delt sich also um eine Quer­sub­ven­ti­on der Kran­ken­kas­sen und Län­der durch die AUVA. Der Quell eines Jahr­zehn­te alten Po­lit-Streits.

   Dazu kommt, dass die sta­tio­nä­re Un­fall­ver­sor­gung im „nor­ma­len“ Spi­tal pro Pa­ti­ent etwa 3400 Euro kos­tet, im UKH 5700 Euro. Ob diese Dif­fe­renz ge­recht­fer­tigt ist, ist nicht eru­ier­bar. Wenn sie ge­recht­fer­tigt ist, dann haben wir es mit einer öf­fent­lich fi­nan­zier­ten Zwei-Klas­sen-Me­di­zin zu tun; wenn sie es nicht ist, kann man dar­aus auf die Mo­ti­va­ti­ons­la­ge jener schlie­ßen, die mit der Ver­un­si­che­rung der Pa­ti­en­ten um den Er­halt des AU­VA-Sys­tems (eine selbst­ver­wal­te­te In­sti­tu­ti­on, die ei­ge­ne me­di­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen be­treibt – ein in­ter­na­tio­nal sel­te­nes Mo­dell) kämp­fen.

   Wie es aus­sieht, schafft es auch diese Re­gie­rung nicht, einen trans­pa­ren­ten Re­form­pro­zess zu star­ten, der es den re­la­tiv we­ni­gen „Sys­tem­pro­fi­teu­ren“ ver­un­mög­licht, Pa­ti­en­ten zu ver­un­si­chern und vor die ei­ge­nen In­ter­es­sen zu schie­ben. Wie ka­ta­stro­phal der Pro­zess läuft, sieht man im Üb­ri­gen daran, dass sich die SPÖ ohne Pro­ble­me schüt­zend vor jene AUVA stel­len kann, die sie vor einem Jahr, im Rah­men einer Re­form, noch selbst ab­schaf­fen woll­te.

„Wie­ner Zei­tung“ Nr. 077 vom 19.04.2018