Völlige Verwirrung – der stabilste Weggefährte

   Ein weiterer ständiger Begleiter dieser Pandemie ist die gegenseitige Schuldzuweisung, wer für Verwirrung gesorgt hat.

Weiterlesen: Völlige Verwirrung – der stabilste Weggefährte

   Das Verwirrspiel begann früh: Als Ende April die Maßnahmen verschärft wurden, weil bald jeder jemanden kennen würde, der an Covid-19 gestorben wäre, löste die erste Kluft zwischen Wissenschaft und Politik Irritation aus.

   Dann die Diskussion über Kinder als Superspreader: Seit der ersten Clusteranalyse und im Einklang mit wissenschaftlicher Literatur war klar: Kindergärten und Volksschulen spielen keine Rolle im Infektionsgeschehen. Doch erst jetzt traut sich ein Minister, das öffentlich zu sagen. Vermutlich hat sich der Irrglaube an infektiöse Kinder verfestigt. Denn er wurde monatelang politisch bestärkt, weil Meinungsumfragen ergaben, dass die Bevölkerung das glaubt und glauben will: Also Kindergärten und Volksschulen schließen. Warum sollte man über unpopuläre Fakten aufklären, wenn man populäre Alternativen bedienen kann?

   Dann die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Supermärkten: Grund war eine Meinungsumfrage! Die Mehrheit hatte Angst, sich dort anzustecken. Das zeigte, wie wenig das Wissen über richtiges und falsches Verhalten verbreitet ist – wenn es da wäre, hätte keiner oder wenigstens nicht die Mehrheit der Wähler nach Masken gerufen. Supermärkte sind unbedeutend im Ansteckungsgeschehen, weil wir dort kein Risikoverhalten an den Tag legen.

   Und jetzt die Ampel: Eigentlich sollte sie die regionale Bevölkerung über regionale Gefahrenlagen informieren, um zu lernen, was richtig ist, was läuft, und so Risikoverhalten verändern – dezentral. Aber warum sollte das funktionieren? Niemals wurde Risikoverhalten erklärt, immer nur wurden zentral Verhaltensregeln vorgeschrieben!

   Meinungsumfragen-gestützte Symbolpolitik und Verhaltensvorschriften sind leichter umzusetzen, als mühsam evidenzbasiertes Wissen über Infektionsgeschehen und zu vermeidendes Risikoverhalten zu verbreiten. Und so wird es weitergehen. Populistisch. Wenn jetzt aus dem Nichts die Grippeimpfung empfohlen wird, dann wohl deshalb, weil irgendeine Meinungsumfrage zeigt, dass die Mehrheit sich (jetzt) impfen lassen will. Dass dies weniger dem Individual- als dem Herdenschutz dient, wird die Mehrheit nicht wissen (man nennt das Präventionsparadox). Um das Wissen aufzubauen, hätte man seit Monaten klar (nicht einfach!) kommunizieren müssen – bekannt ist das Problem ja seit Mai! Ob jetzt noch Aufklärung funktioniert? Wenn nicht, wie wird die Politik auf fragwürdige Schwarzmarkt-Impfstoffe reagieren, die sich die Menschen in der Angst ums eigene Wohl selbst besorgen?

   Und weil die Verwirrung groß ist, gib es das andere Spiel: die gegenseitige Schuldzuweisung. Die (vor allem junge) Bevölkerung, die sich nicht an Verhaltensregeln halten will, reißt sich nicht zusammen; oder Eltern, die sich nicht ordentlich informieren, sind an der Verwirrung schuld; oder eben eine andere als die eigene Behörde; das Land; der Bund; die EU. Jeder – vom Bürgermeister über politische Bildungsdirektoren, Landes- und Stadträte bis hin zu Ministern – kennt jemanden, der schuld ist.

„Wiener Zeitung“ vom 24.09.2020  

Masken im Supermarkt gegen Chöre in Freikirchen

   Masken wirken dort, wo Menschen in schlecht belüfteten Räumen gedrängt laut reden oder singen – im Supermarkt sind sie nur symbolisch.

Weiterlesen: Masken im Supermarkt gegen Chöre in Freikirchen

   Es ist dunkel. Auf einer spärlich beleuchteten Straße sehen Sie unter einer Laterne einen Mann, der offensichtlich etwas auf dem Boden sucht. Auf der anderen Straßenseite, die nicht beleuchtet und daher stockdunkel ist, steht ein Auto. Höflich fragen Sie, was der Mann denn täte und ob Sie helfen könnten. Er ist erfreut und sagt, er habe seinen Autoschlüssel verloren. Wo habe er ihn denn das letzte Mal gesehen? Nun, der Schlüssel sei runtergefallen, als er sein Auto öffnen wollte, sagt er und zeigt dabei zum Auto im Dunkeln hinüber. Verwirrt fragen Sie, warum er dann nicht dort suche. Na, weil es drüben dafür zu dunkel sei, hier aber im Licht der Laterne könne er suchen.

   Genau so ist die Diskussion über Masken in Supermärkten. Diese haben in Epidemien einen schlechten Ruf, weil dort alle hinmüssen und das im Falle der Ausbreitung über Schmierinfektion ein echtes Problem darstellt. Aber eben nur, wenn Schmierinfektion wichtig ist. Und gegen eine solche helfen Masken gar nichts. Die helfen gegen Tröpfcheninfektion – und da richtig gut, vor allem dort, wo Abstandhalten schwierig ist. Doch wie es aussieht, ist das in Supermärkten nicht der Fall. Sonst hätten wir dort Cluster identifiziert und viele infizierte Verkäufer entdeckt. Abstandhalten und Hust-Nies-Hygiene funktionieren – und die Menschen halten sich im Supermarkt daran.

   Die Verbreitung von Sars-CoV2 findet anderswo statt. Einzelne Superspreader, denen man die Möglichkeit gibt, nahe und lang genug mit anderen zu reden, führen zu Ausbrüchen. Die meisten Infizierten sind kaum ansteckend, dafür ist jeder zehnte ein potenzieller Superspreader. Das ist eigentlich gut, denn damit bleiben Cluster leichter beherrschbar. Und Ampelkarten, die glücklicherweise manche Wissenschafter einfach so publizieren, ohne auf Politiker zu warten, zeigen schön, dass eben nur da oder dort einzelne Bezirke rot aufleuchten und die Umgebung grün bleibt. Das Virus sickert nicht einfach so durch die Gegend. Und das macht Test and Trace – also testen, so viel wie geht, und jedem Fall nachlaufen und isolieren – machbar. Und obwohl die Zahlen steigen, sind die Cluster beherrschbar, oder nicht?

   Jedenfalls sind alle öffentlich gewordenen Cluster, von gemeinsamem Singen bei Gottesdiensten bis zum Postzentrum (würden Clubs wieder öffnen, wären sie auch dabei), genau dort, wo die Wissenschaft sie erwartet hat: in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen (closed), in denen sich Menschen drängen (crowd) und laut miteinander reden (conversation), wozu auch singen gehört – die drei Cs!

   Wer sich an ihnen orientiert und dort Superspread-Ereignisse unterbindet, darf mit einem R unter 1 rechnen. Und wenn eine 3C-Veranstaltung nicht verhindert werden kann, dann braucht man eben Masken. Supermärkte weisen, wenn überhaupt, sehr selten die drei Cs auf. Deswegen gibt es dort – mit und ohne Maske – kaum Verbreitung. Und doch sollen dort Masken wiederkommen. Aber wie sollen diese dort Cluster in Freikirchen verhindern?

„Wiener Zeitung“ vom 23.07.2020 

Lagen die Epidemiologen alle falsch?

   Man kann hinterher gescheiter sein. Aber jene, die damals recht hatten, heute als Irrende darzustellen, ist Chuzpe.

Weiterlesen: Lagen die Epidemiologen alle falsch?

   Es ist anscheinend bei uns weit verbreitet, anzunehmen, dass sich WHO, CDC, RKI und überhaupt alle Epidemiologen geirrt haben, aber nicht einmal den Mut besitzen, ihre Fehleinschätzungen zuzugeben. Als Beweis dafür wird verschiedenes vorgebracht, unter anderem, sie hätten Masken viel zu spät und zögerlich empfohlen. Mehr noch, man hört sogar, Millionen Menschen hätten gerettet werden können, wenn WHO & Co ihre Empfehlungen früher angepasst hätten. Aber glücklicherweise haben einige weise Politiker, auch gegen die irrenden Epidemiologen, diese eingeführt.

   Ist das so? Haben sich die geirrt? Und haben uns weise Politiker vor falschen Experten gerettet? Eher nicht!

Es zeigt halt nur Unverständnis, wie Epidemiologen in einer Pandemie arbeiten. Es gibt, wie mittlerweile bekannt sein sollte, zwei Infektionswege: über Schmiere und Tröpfchen. Zweitere teilt man in sehr kleine, schwebende Tröpfchenkerne und in große Tröpfchen, also das, was uns im Gesicht landet, wenn das Gegenüber uns direkt anniest, anhustet oder laut anspricht – oder aber innerhalb von zwei Metern runterfällt und dort Schmiere bildet. Letztere entsteht aber nicht nur durch falsche „Nies- und Husthygiene“, sondern vor allem durch fehlende Händehygiene. Beim Griff ins Gesicht, vor allem in die Nasenregion, werden Erreger zuerst auf Finger und von dort dann auf alles, was man angreift, übertragen – um von dort wieder im Gesicht eines anderen zu landen.

   In einer Pandemie mit einem neuen Erreger versuchen Epidemiologen, so schnell wie möglich herauszufinden, welcher Infektionsweg wie wichtig ist, um dann Handlungsempfehlungen zu geben. Und genau das haben sie getan und tun sie noch heute. Denn dass wir heute wissen, dass Tröpfchenkerne und Schmierinfektion eine nur untergeordnete Rolle einnehmen, ist noch nicht lange bekannt – und ein unglaubliches Glück.

   Denn damals, als WHO & Co von Masken abrieten, aber populistische Politiker, flankiert von Virologen, die Maskenpflicht (eigentlich den Mund-Nasen-Schutz) eingeführt haben, war das unklar. Masken führen jedoch dazu, dass viel mehr Schmiere in die Welt kommt. Einerseits, weil in den Masken die Erregerkonzentration steigt, aber viel wichtiger, weil der Griff ins Gesicht für ungeübte Maskenträger viel häufiger wird. Und gegen Aerosole wirken Masken nicht, aber weil sie psychologisch einen Schutz liefern, werden Menschen unvorsichtiger. Der einzige Infektionsweg, der dadurch reduziert wird, ist der über große Tröpfchen.

   Und wenn Sars-CoV-2 nicht hauptsächlich über solche übertragen worden wäre, dann wären Masken Brandbeschleuniger gewesen. Supermärkte, öffentliche Verkehrsmittel und Büros wären tatsächlich zu den Superspreadern geworden, wie es in manchen Modellen, auch in Österreich, befürchtet wurde.    Aber dem war nicht so – Gott sei Dank! Doch dass das alles gut ausgegangen ist, war keine Leistung weiser Politiker – es war pures Glück. Und dass jetzt so kommuniziert und geglaubt wird, Epidemiologen hätten sich geirrt, weil sie gegen die Masken waren, ist Chuzpe

„Wiener Zeitung“ vom 25.06.2020   

Wie wir zu Kleinkindern degradiert wurden

   Eigentlich sollte die große Mehrheit mittlerweile ein wenig Covid-19-Wissen aufgebaut haben oder wenigstens keine falschen Theorien vertreten. Oder doch?

Weiterlesen: Wie wir zu Kleinkindern degradiert wurden

   Es gibt zwei Infektionswege: Schmiere und Tröpfchen. Zweitere teilt man in Aerosole, also sehr kleine, schwebende Tröpfchenkerne, und große Tröpfchen, also das, was uns im Gesicht landet, wenn das Gegenüber uns direkt anniest, anhustet oder anschreit – oder aber runterfällt und Schmiere bildet, die infektiös sein kann.

   Ob es zur Infektion kommt, hängt von Virenmenge und Infektiosität ab. Masern etwa sind über die Luft schon bei kleinen Mengen hochansteckend. Wie schwer die Infektion abläuft, bestimmt die Virulenz. Diese ist von Virus zu Virus und Mensch zu Mensch anders und hängt vom Immunsystem ab. Ist dieses alters- und/oder krankheitsbedingt geschwächt, wird der Verlauf schwerer.

   Für Covid-19 ist der wichtigste Infektionsweg außerhalb der eigenen vier Wände jener durch große Tröpfchen. Was nicht heißt, dass es nicht auch über die anderen Wege ginge – aber eben viel weniger wahrscheinlich.

   Daher ist die Ansteckung dort am häufigsten, wo Erwachsene (!) einander anschreien, weil die Musik laut (Clubs) oder der Gesprächspartner schwerhörig (Pflegeheime) ist, oder wo ausgelassene Massen wild brüllen (Fußballspiele) – im Grunde also überall, wo Erwachsene nicht darauf achten, ob sie beim Artikulieren spucken – das gilt auch für Chorgesang.

   Andere feucht anzusprechen (nicht im Vorbeigehen anzuatmen), ist ein wichtiges Risikoverhalten, auf das jeder achten sollte – und über das öffentlich aufgeklärt werden müsste.

   In der Versorgungswissenschaft nennt man das Patienten-Empowerment; also die Aufklärungsarbeit so zu gestalten, dass der Patient ermächtigt wird, das Richtige zu erkennen. Wird das erreicht, kann man auf dessen Adhärenz bauen, also auf die eigenverantwortliche Umsetzung eines richtigen Verhaltens oder die Vermeidung eines Risikoverhaltens.

   Alternativ kann man paternalistisch vorgehen – also nicht mühsam erklären, sondern nach dem streng väterlichen Prinzip vorgehen: „Frag nicht, sondern mach was ich sage!“ Dann werden viele Patienten sich aber auch wie Kinder verhalten und, sobald der Papa nicht hinschaut, nicht folgen.

   Unsere Regierung hat bisher den paternalistischen Weg gewählt und – um ja niemanden zu diskriminieren – keinerlei differenzierte Betrachtung zugelassen. Überall sind alle Infektionswege und jeder Sozialkontakt gleich gefährlich, jeder ist gleich gefährdet, anzustecken oder angesteckt zu werden, und jeder Verlauf kann schwer sein. Daher werden undifferenziert ein Meter Abstand und Masken für alle dekretiert.

   Doch was passiert, wenn man so vorgeht? Dann reimt sich jeder selbst etwas zusammen.

   Und so werden sich die einen wild „argumentierend“ zu Tode fürchten, und andere werden nichts mehr ernst nehmen, weil es egal ist oder Corona gar nicht existiert. Kinder werden als Virenschleudern betrachtet und zu absurdem Sozialverhalten gezwungen, Jugendliche werden Party machen, halt „zu Hause“, und Kranke werden nicht zum Arzt gehen, um nicht an Covid-19 zu sterben.    Eine zweite Welle wird so kaum flachzuhalten sein, weil wir nicht aus der ersten lernen durften. Und dann? Dann kommt Papa wieder, sagt, dass er uns gewarnt hat, und verbietet alles – wieder.

„Wiener Zeitung“ vom 28.05.2020 

Covid-19 – eine verstörende Ansicht

   Darf man Freiheit und Selbstbestimmung des einen einschränken, wenn man damit das Leben eines anderen vielleicht verlängert?

   Es wird für viele verstörend sein, was hier zu lesen ist, denn die öffentliche und propagierte Meinung lässt diese Gedanken nicht zu – wer das tut, riskiert den Tod vieler.

Weiterlesen: Covid-19 – eine verstörende Ansicht

Halten wir fest: das Strafrecht kennt Geld- und Freiheitsstrafen, letztere gibt es abgestuft, von Einzelhaft bis Fußfessel. Strafen dienen dazu, die Lebensqualität des verurteilten Täters zu reduzieren und klarzumachen: „Wir wollen dein Verhalten nicht.“ Lebensqualitätseinschränkende Maßnahmen sind auch bei Kindern als Strafe gedacht. Kinder kriegen Hausarrest oder Fernsehverbot. Lebensqualität ist für Lebende ein wichtiges Lebenselement. Deswegen ist sie auch in der Gesundheitsökonomie wesentlich. Und nur, um Diskussionen vorzubeugen: Die Messung ist keine einfache Sache, aber möglich.

   Eine Verlängerung des Lebens um jeden Preis (nicht finanziell gemeint) gilt als unethisch, Schaden und Nutzen sind aufzuwiegen. Reduktion der Lebensqualität ist ein Schaden, Lebensverlängerung ein Nutzen. Gerechnet wird in qualitätsadjustierten Lebensjahren – jedes Lebensjahr wird mit einem Qualitätsfaktor multipliziert. Das ermöglicht dann, Lebenslänge und Lebensqualität gemeinsamen zu betrachten.

   Das ist für viele verstörend. Deswegen betrachten sie die Lebenslänge als unendlich viel wert und Lebensqualität als unwichtig – alles für die Lebenslänge! Damit ist jegliche Maßnahme gerechtfertigt, die dazu führt, dass auch nur ein einziger Mensch nur eine Minute länger lebt.

   Ich halte das gerade jetzt für unethisch, weil es die Opfer, die die Gesellschaft aktuell erbringt (Freiheitseinschränkungen und finanzielle Nachteile – also „Strafen“) als selbstverständlich nimmt. Und mehr noch, weil ein moralisches Diskussionsverbot existiert, wird noch nicht einmal das Ziel der Lebensverlängerung klar formuliert, denn vermutlich wäre eine Rechnung über „gewonnene Lebensjahre“ bei möglichen Covid-Patienten noch nicht einmal positiv – denn wie die aktuelle „Übersterblichkeitsstatistik“ zeigt, ist die Hälfte auf Nicht-Covid-Tote zurückzuführen. Haben wir da Lebenslänge bei den einen geopfert, um das Leben anderer zu verlängern?

   Aber um dieser „lästigen“ Diskussion zu entgehen, wird lieber eine Gefühlsdiskussion geführt. Das ist der mit Abstand leichteste Weg. Er braucht keine Zahlen, keine Daten und erlaubt es, die Mehrheit hinter sich zu scharen: Jeder Schaden ist schicksalhaft hinzunehmen, niemand opfert etwas, alle retten Leben.

   Alleine, es ist nicht so! Die verzweifelten Menschen in den Pflegeheimen, deren Lebensinhalt die regelmäßigen Besuche der Angehörigen waren und deren Lebensfreude darin bestand, mit dem Personal zu reden, werden das anders sehen. Ebenso jene Kinder, die jetzt von ihren Eltern verprügelt werden, weil die Spannungen durch Quarantäne und Arbeitslosigkeit so hoch sind, und deren Leben die nächsten Jahrzehnte davon geprägt sein wird. Die Lebensqualität von Millionen wurde erheblich reduziert, und das ist den gewonnenen qualitätsadjustierten Lebensjahren gegenüberzustellen. Auch wenn das verstörend klingt.

„Wiener Zeitung“ vom 23.04.2020

Wir sind bestens gerüstet für Covid-19

   Wir erleben eine Ausnahmesituation, keinen Normalbetrieb.

Weiterlesen: Wir sind bestens gerüstet für Covid-19

   Stand 25. März, 13 Uhr: Es schaut wirklich gut aus. Die Krankheitsverläufe sind leichter als in anderen Ländern, Spitäler und Intensivabteilungen (noch) „leer“. Aber weil es bei uns aktuell so richtig gut geht, hören wir immer öfter, dass das was mit unserem Gesundheitssystem zu tun hat! Und ja, das stimmt.

   Was wir erleben, ist eine Pandemie einer Infektionskrankheit, die akut verläuft. Für die meisten wird es nicht mehr sein, als sich ein paar Tage „grippig“ zu fühlen, wenn überhaupt (wir wissen nicht, wie oft eine stille Feiung vorkommt). Aber bei relativ wenigen wird das Virus die Lunge derart belasten, dass sie richtig krank sind und zum Arzt müssen. Viele werden in Spitäler kommen und einige davon, vor allem Alte und chronisch Kranke, auch intensiv versorgt werden müssen.

   Das Problem ist, dass relativ wenige absolut sehr viele sein werden. Möglicherweise werden die Spitalsaufnahmen in den nächsten Wochen doppelt oder dreifach so hoch ausfallen wie normalerweise. Doch das wird unser System stemmen!

   Denn unser Gesundheitssystem – und das unterscheidet es von praktisch allen auf der Welt – ist für den Fall einer Pandemie einer akut verlaufenden Infektionskrankheit bestens ausgerichtet.

   Wir haben die höchste Facharztdichte der Welt und daher auch die höchste Zahl an Facharzt-Patienten-Kontakten. Wir haben die meisten Spitalsbetten, die meisten Intensivbetten, die meisten Krankenhausaufnahmen und auch die meisten Rettungshubschrauber. Unser Gesundheitssystem organisiert routiniert alles rund um akute Krankheiten, in struktureller Qualität und Quantität wie sonst nirgends. Wir haben praktisch ein reines Akut-Versorgungssystem, das genau in Fällen wie diesem nicht zu überbieten ist.

   Und weil wir verglichen mit praktisch allen Ländern der Welt aus der Routine heraus schon immer für eine Pandemie „vorbereitet“ waren, auch wenn wir zwischenzeitlich die dafür nötigen Überkapzitäten eben mit unnötigen Behandlungen ausgelastet haben, verführt das jetzt so manchen, das „Österreichische System“ zu loben und zu preisen.

   Doch das ist falsch – denn das, was wir jetzt erleben, ist eine Ausnahmesituation, kein Normalbetrieb. In ein paar Wochen, wenn wieder alles normal ist, wird der typische Patient nicht mehr an einer akuten Krankheit leiden. Er wird wieder Diabetiker sein oder COPD, Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck haben oder wegen seines Alters eben multimorbid sein. Und für genau diese Patienten, die keine akute Behandlung, sondern eine lebenslange Versorgung brauchen, haben wir eben kein System. Deswegen haben wir bei Diabetikern die höchste Amputationsrate oder bei COPD-Patienten die höchste Hospitalisierungsrate – weil wir bei allen Patienten eben erst reagieren, wenn sie ein akutes Problem haben, das sie aber nicht haben müssten, wenn unser System sich an chronischen und nicht akuten Krankheiten orientierte. Chronisch Kranken geht es in unserem System echt schlecht.    Aber ich weiß jetzt schon, dass jegliche Neustrukturierung des „Österreichischen Systems“, um chronisch Kranke besser zu versorgen, in den nächsten Jahren mit dem Argument abgeschmettert werden wird, es habe sich doch bestens bewährt – in der Corona-Krise.

„Wiener Zeitung“ vom 26.03.2020  

Das Spiel mit den Milliarden der ÖGK

   Die Österreichische Gesundheitskasse ist seit Anfang 2020 im Amt, der parteipolitische Kampf voll entbrannt.

Weiterlesen: Das Spiel mit den Milliarden der ÖGK

   Wie für unser Gesundheitssystem typisch, streiten sich alle nur ums Geld – und hier vor allem um die berühmte Patientenmilliarde. Die war nie klar, schon gar nicht als Umwandlung aus einer Funktionärsmilliarde – es war ein politischer PR-Gag der schwarz-blauen Regierung, den die Politiker nicht mehr los werden. Populismus hat unter Umständen eben auch kurze Beine. Doch was ist jetzt mit den horrenden Defiziten, die angeblich statt dieser Patientenmilliarde eintreten sollen und Beweis dafür sein sollen, dass die Kassenfusion ein Desaster ist? Die sind genauso ein PR-Gag, jetzt halt von der anderen Seite, also der roten, vor allem von der Gewerkschaft.

   Wer sich mit der Gebarungsvorschaurechnung der Krankenkassen (allein das Wort zeigt, aus welcher Epoche das kommt) beschäftigt hat, erkennt, wie „taktisch“ die Rechnungen waren. Sie haben stets einem Verhandlungsziel gegolten, um entweder die Einnahmen (Steuersubventionen) zu erhöhen oder die Ausgaben (Honorare und Medikamentenpreise) zu senken, nie jedoch, um Transparenz herzustellen. Während zwischen 2009 und 2018 von den Kassen kumuliert ein Verlust von 2547 Millionen Euro „vorausgerechnet“ wurde, kam bei der Abrechnung ein kumuliertes Plus von 1674 Millionen Euro heraus – eine Differenz von 4221 Millionen. Besonders krass war das Jahr 2012, da wurde aus einem vorausgerechneten Minus von 737 Millionen in Jahresfrist ein Plus von 181 Millionen!

   Und warum sind all diese Zahlen so herrlich manipulativ einsetzbar? Nun, dass liegt an der Verwendung der absoluten Zahlen; die klingen sehr schnell sehr hoch, auch wenn es nur um wenige Prozent geht. Aktuell macht die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) einen jährlichen Umsatz von etwa 16.000 Millionen Euro – ein einzelnes Prozent sind also schon 160 Millionen.

   Und wenn man dann noch über ein paar Jahre kumuliert, werden die Zahlen noch höher. Und die skandalösen 1700 Millionen Euro Defizit, die die ÖGK bis 2024 angeblich machen wird, klingen halt viel besser, als wenn man von zwei Prozent sprechen würde. Und wer bedenkt, wie sich die Kassen schon bei einer Jahresprognose verrechnen, weiß, dass Fünf-Jahres-Prognosen schlicht Kaffeesudlesen sind, und ein Defizit von zwei Prozent eine statistische Unschärfe sein muss.

   Doch um das ging es ja nicht– es ging darum, der einen populistischen Milliarde eine andere gegenüberzusetzen, um die eigene Klientel glücklich zu stimmen und zu mobilisieren.   

Politisch betrachtet jedoch, war es wohl eine „rote“ Dummheit, diese „Defizite“ so hoch zu rechnen und medial auszuschlachten, dass nun jeder weiß, die ÖGK steht vor einem Milliardendefizit. Denn auch wenn es nichts mit der Realität zu tun hat, wird es der jetzigen Regierung ein Leichtes sein, die Patientenmilliarde, wenn auch nicht wie versprochen bis 2023, so aber doch bis 2024 darzustellen. Denn bereits jetzt kann vorausgesagt werden, dass das Minus der Kassen völlig ohne Leistungskürzungen bis 2024 unter 700 Millionen Euro liegen wird – damit konnte „eine Milliarde im System gespart“ werden! Und es wird niemanden geben, der diesen Mythos brechen kann

„Wiener Zeitung“ vom 27.02.2020 

Regierungsprogramm neu!

   Vor zwei Jahren hatten wir ein Regierungsprogramm, das viel versprach. Jetzt liegt wieder eines vor – ein deutlich mageres.

Weiterlesen: Regierungsprogramm neu!

   Das alte Regierungsprogramm, von dem viele substanzielle Ideen im Gesundheitsbereich entweder verwässert wurden (einheitlicher Honorar- und Leistungskatalog) oder gestorben sind (Finanzierung von Gesundheit, Vorsorge und Pflege gesamtheitlich betrachten), war quantitativ viel ausführlicher. Diesmal widmen sich gerade einmal 4 Prozent des Regierungsprogramms der Pflege und Gesundheit. Also eher wenig, aber Quantität heißt nicht Qualität – oder doch?

   Redaktionell jedenfalls ist die Qualität schlecht. Was heißt etwa: „Wohnortnahe Versorgung durch Kassenärztinnen und Kinderärzte darf nicht nur in der Stadt, sondern muss auch auf dem Land zugänglich sein“? Will sich die Regierung für Kassenärztinnen (weiblich) und Kinderärzte (männlich und ohne Kassenvertrag) auf dem Land einsetzen? Oder: „Im Medizinstudium wird eine Fachärztin beziehungsweise ein Facharzt für Allgemeinmedizin geschaffen.“ Werden Allgemeinmediziner, wie Zahnärzte, ein eigenes Studium kriegen? Und sind sie unmittelbar nach dem Studium Fachärzte, müssen also keine postpromotionelle Ausbildung – den Turnus – mehr machen?

   Wenn also solche Ungenauigkeiten enthalten sind, ist es nicht unbegründet anzunehmen, dass in dem Programm viele einfach gut klingende, teils seit Jahrzehnten bekannte Lippenbekenntnisse enthalten sind, die nie umgesetzt werden, vor allem dann nicht, wenn das gegen Länder- oder Kammerinteressen nur mit Verfassungsänderungen realisiert werden könnte.

   Doch was wird dann umgesetzt? Eindeutig: die Vermehrung der Arbeitskräfte, und zwar der billigen! Eine Pflegereform kommt nicht, denn das Pflegesystem wird wieder hart vom Gesundheitssystem getrennt. Dem Pflegekräftemangel, der ähnlich dem Ärztemangel nicht an der Zahl der Ausgebildeten (damit liegen wir laut Auswertung der Daten des Pflegeregisters im europäischen Spitzenfeld) festzumachen ist, sondern an deren Unwilligkeit im öffentlichen System zu arbeiten, wird mit mehr Ausbildungsstellen (Pflegelehre) und der Aufnahme aller Pflegeberufe in die Mangelberufsliste, mit dem Ziel; Zuwanderer zu unterstützen (Migrants-Care-Programme), begegnet. Irgendwann wird man dann so viele Migranten haben, dass genug mit dabei sind, die auch unter den jetzigen Arbeitsbedingungen in Pflegeheimen arbeiten wollen.

   Und im Gesundheitsbereich ist eine Ausweitung der Medizinstudienplätze geplant, womit die Zahl der Studenten im „klinisch-praktischen Jahr“ ausgeweitet werden kann. In diesem Zusammenhang steht dann auch „Integration der Inhalte der Basisausbildung (Anm.: gehört heute zur postpromotionellen Ausbildung) um (!) das klinisch-praktische Jahr“ – was, irgendwie danach klingt, als ob das „klinisch-praktische Jahr“ um die neun Monate Basisausbildung verlängert und so die Zahl der „billigen“ Turnusarzt-Ersatzarbeitskräfte vermehrt werden könnte.

   Und dann ist geplant, das Opt-out aus der Spitalsarbeitszeitregelung wieder einzuführen – zurück zur 60-Stunden-Woche! Diese ist zwar nach EU-Recht nur möglich, wenn jeder einzelne Arzt freiwillig zustimmt, aber was heißt schon freiwillig bei Turnusärzten, wenn sie darauf angewiesen sind, einen Ausbildungsplatz zu bekommen?   

So will man (sprich: Länder und Gemeinden) sich also die Systeme weiter leisten, ganz ohne Reformen.

„Wiener Zeitung“ vom 23.01.2020  

Klassenkampf im Kassenkampf

   „Unsere Kasse“ gehört ganz offensichtlich nicht uns, sondern „unseren Kammern“.

Weiterlesen: Klassenkampf im Kassenkampf

   Eigentlich ist es gut, dass unsere Krankenkasse, die ja jetzt Österreichische Gesundheitskasse heißen wird, sich selbst darstellt. Zu lange hat kaum jemand darüber nachgedacht, was „unsere Kasse“ ist. „Unsere Kasse“ gehört uns, und wir verwalten sie selbst – ohne Einmischung der Politik. Wir wählen aus unseren Reihen einen politikunabhängigen Selbstverwaltungskörper – theoretisch demokratisch! Allerdings weiß das kaum jemand, und noch weniger wissen, wie sie mitstimmen können.

   Seit jeher haben uns paternalistische Politiker die Last der Stimmabgabe abgenommen. Sie nannten das Sozialpartnerschaft. Es sind „unsere Kammern“, die sich wohlwollend um „unsere Kasse“ kümmern: für Unselbständige die Arbeiterkammer, für Selbständige die Wirtschaftskammer. Bei den Kammerwahlen können einige von uns, bei weitem nicht alle, Fraktionen wählen. Kaum jemand wird die FSG oder den Wirtschaftsbund wählen, weil die sich so toll um das Kassensystem kümmern – und doch, es sind die hier siegenden Fraktionen, die dann „ihre“ Vertreter in „unsere Kasse“ entsenden, gerade so, als ob sie Teil des Pflicht-Kammersystems wäre.

   Es ist ganz offensichtlich, dass „unsere Kasse“ nicht uns gehört, sondern „unseren Kammern“, deren Legitimität nicht ohne Grund seit Jahrzehnten hinterfragt wird.

   Und weil eben in „unserer Kasse“ kein Demokratieprinzip besteht und die Kosten zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden, haben sich „unsere Kammern“ die Macht aufgeteilt. Der Streit, ob die Gewichtung der Macht nach der Zahl der Versicherten oder der Kostenaufteilung erfolgen sollte, wurde nur halbherzig geführt – denn würden die Kämmerer über das Demokratieprinzip in „unserer Kasse“ nachdenken, müssten sie Sozialwahlen einführen, also uns erlauben, direkt mitzubestimmen. Doch keiner hat je ernsthaft darüber nachgedacht, Macht und Einfluss der Kammern zu beschränken.

   Die Kassenfusion folgte diesem Prinzip, aber sie bringt neue Abstimmungswege und deutlich verkleinerten Gremien. Und da die Verkleinerung hauptsächlich zu Lasten der AK-Funktionäre ging, sind diese sauer und klagten vor dem VfGH – angeblich, weil sie sich schützend vorn „uns“ stellen wollten, um eine „feindliche Übernahme“ durch „die Wirtschaft“ zu verhindern.

   Der VfGH hat erkannt, dass es keine bedenklichen Machtverschiebungen gibt, sondern die Regierung nur eine neue Organisation durchgeführt hat. Aber weil AK und ÖGB in Ihren Spitzen de facto nicht unparteiisch sind, ist dieser Spruch eine politische Niederlage, nicht nur einfach eine Klarstellung, wie weit Politik sich in „unsere Kasse“ einmischen darf.

   Und so tritt der eigentliche Konflikt offen zu Tage: der Klassenkampf als institutionalisierte Betriebskultur des Kassensystems. Christoph Klein von der AK meinte wörtlich: „In der ÖGK wird eine Minderheit von 160.000 Unternehmern über eine Mehrheit von 7,2 Millionen Versicherte herrschen.“ Und der ÖGB verlangt von der nächsten Regierung, dass den Arbeitnehmern „ihre Kasse“ wieder zurückgegeben wird.

Wir sollten uns unsere Kasse zurückholen – über Sozialwahlen, und ohne kämmerlichen Klassenkampf.

„Wiener Zeitung“ vom 02.01.2020  

Billige Arbeitskräfte in neuen MedUnis

   Der Ruf nach der Verdoppelung der MedUnis wird von standhaft vertretenen alternativen Fakten begleitet.

Weiterlesen: Billige Arbeitskräfte in neuen MedUnis

   Österreichs MedUnis bilden bezogen auf die Einwohner die meisten Mediziner in Europa aus. Im langjährigen Schnitt bleiben 90 Prozent der inländischen Absolventen (etwa 900) hier und arbeiten als Ärzte. Und auch die ausländischen Absolventen wandern immer seltener ab. Etwa die Hälfte bleibt uns erhalten. Es gibt also keine Massenemigration, wie manche behaupten, eher das Gegenteil. Denn seit einigen Jahren kommen jährlich etwa 500 Ärzte aus dem Ausland neu hinzu. Am Ende sind es 1.600 Ärzte, die jährlich neu in der Ärzteliste eingetragen werden. Demgegenüber stehen etwa 800 Ärzte, die aus dem Beruf ausscheiden. Die Zahl der Ärzte wächst – und das seit Jahrzehnten.

   Nun hört man, es gebe einen Ärztemangel, weil Kassenstellen – und hier vor allem die der Hausärzte – nicht besetzt werden könnten. Aber das ist halt auch falsch. Es gibt etwa 4.000 Kassen-Hausärzte; demgegenüber gibt es mehr als 3.000 Hausärzte, die meisten unter 55 Jahre alt, die eine Wahlarzt-Ordination betreiben, 2.000 leben ausschließlich von ihr. Diese Wahlärzte wollen einfach keinen Kassenvertrag. Ähnliches gilt auch bei den Fachärzten. Da einen generellen Ärztemangel hineinzuinterpretieren, ist schlicht Realitätsverweigerung.

   Bei der Forderung der Länder nach der Verdoppelung der MedUnis kann der akute „Hausärztemangel“ nur vorgeschoben sein – das müssen sogar sie selbst erkennen, ist doch frühesten 2035 mit fertigen Ärzten aus diesen neuen Unis zu rechnen. Und wenn es nur darum ginge, die enttäuschten Eltern und Großeltern der Kinder zu beruhigen, die keinen Studienplatz gekriegt haben, würden sie das nicht so beharrlich fordern. Doch da gibt es noch andere Motive.

   Das Arbeitszeitgesetz für Spitalärzte aus dem Jahr 2015 wird eingehalten und führt zur Arbeitszeitreduktion von bis zu 20 Prozent. Da die Arbeitsdichte vor 2015 schon recht hoch war (in der Arzt-Patienten-Relation gehört Österreich zu Europas „produktivsten“ Staaten), müsste eigentlich die Zahl der Ärzte entsprechend gestiegen oder aber die Belastung gesunken sein (weniger Patienten). Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Ärzte stieg bis 2018 um lediglich 6 Prozent, und die Belastung blieb gleich. Es kam zur Arbeitsverdichtung – oder?

   Was völlig übersehen wird: Es gibt neue „Mitarbeiter“, die in Statistiken nicht auftauchen und zu allem Möglichen eingesetzt werden können – nämlich die Studenten im Klinisch-Praktischen Jahr, die sogenannten KPJler. Bis zu 1.500 gibt es jedes Jahr – neu. Und weil sie oft Tätigkeiten der „alten“ Turnusärzte übernehmen (Papierkram, Blutabnahmen, Infusionen, etc.), federn sie einiges ab. Um die Lücke zu füllen, bräuchte es jedoch rund 3.000.

   Und plötzlich versteht man die Begehrlichkeit der Länder nach Verdoppelung der Studienplätze.

   Denn mit mehr KPJlern kann man nicht nur Spitalpersonal praktisch zum Nulltarif entlasten, mehr noch, man erhält auch viele hunderte Millionen Euro zusätzlich vom Bund für die ländlichen Spitalspielplätze – weil sich die bundesfinanzierten MedUnis ja in bestehenden Spitälern einmieten müssen und die Miete von den Ländern de facto selbst festgelegt wird. gastkommentar@wienerzeitung.at

„Wiener Zeitung“ vom 28.11.2019