Steuersubventionierte Wahlarzt-Ordinationen

Marktmechanismen übernehmen zusehends die Steuerung im Gesundheitssystem – aber ganz anders, als so mancher jetzt zu verstehen meint.

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   Die ganze Welt, nun, eigentlich nur dort, wo es ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen gibt, entscheidet sich, dieses entweder über Sozialversicherungen (beitragsfinanziertes Bismarck-Modell) oder über öffentliche Behörden (steuerfinanziertes Beveridge-Modell) zu organisieren.

   Eine Aufteilung in einen Bismarck- und einen Beveridge-Teil macht niemand; niemand außer – genau – Österreich. Naja, das stimmt nicht ganz, auch Griechenland meint so einen Sonderweg gehen zu müssen.

   Warum man sich überall, wie von der WHO dringendst empfohlen, entweder für das eine oder das andere entscheidet, hängt damit zusammen, dass so das Gesundheitssystem aus einer Hand finanziert wird. Die „Finanzierung aus einer Hand“ verhindert, dass zwei Akteure widersprüchliche Strategien verfolgen, sich Kosten zuschieben und blockieren können. Ein Spiel, das uns nur allzu bekannt ist.

   Bis dato hat dieses Spiel zwischen den – für Kassenärzte zuständigen – Kassen und den – für Spitäler zuständigen – Ländern zum zerfranstesten ambulanten Versorgungssystem der Welt geführt. Von Spitalsambulanzen und Erstversorgungsstationen, Ambulatorien, Wahlärzten, Kassenärzten und neuerdings auch PHCs (Primary-Health-Care-Einrichtungen) machen im Grund alle, was sie wollen. Die einen nach den Ideen der 36 Krankenkassen, die anderen nach den der neun Länder, die dritten überhaupt nur nach völlig eigenen Vorstellungen (etwa die Wahlärzte). In diesem Chaos werden Versorgungslücken größer und Kosten höher.

   Doch statt diesen Wahnsinn zu reformieren, werden immer mehr Flicken aufgesetzt. Dass in vielen Gemeinden bereits Steuergeld in die Hand genommen wird, um Kassenärzten bei der Finanzierung der Ordinationen zu helfen, die eigentlich über die Kassenhonorare abgedeckt sein sollten, war da nur der Anfang. Der Dammbruch wird jetzt aus Tirol vermeldet.

   In Wildschönau, einem Bezirk mit 4211 Einwohnern, in dem es der Krankenkasse nicht gelingt, die zwei verwaisten Kassenhausarztstellen neu zu besetzen, werden jetzt durch den Bürgermeister zwei Wahlärzte angesiedelt. Wird ein Wildschönauer dort behandelt, muss er, wie üblich, das Honorar des Wahlarztes zuerst vorstrecken. Ebenfalls wie üblich erhält er einen Teil (im Schnitt etwa 60 Prozent) von der Kasse zurück. Absolut neu ist, dass die verbleibende Differenz (etwa 40 Prozent) nun von der Gemeinde übernommen werden – mit Steuergeld.

   Ein Mix aus Beveridge und Bismarck in einer Ordination, die nach Marktgesetzen funktioniert.    Das mag auf den ersten Blick irgendwie nicht so blöd oder sogar lösungsorientiert klingen – aber ist das so? Nein! Denn jetzt haben wir ein Beveridge-Modell, das in sich in Bund, Länder und Gemeinden fragmentiert ist, und ein Bismarck-Modell, das in 36 Kassen und neun Ärztekammern zerfällt. Zusammengehalten wird das durch marktkonform agierende Wahlärzte. So ein Modell hat keine Möglichkeit, Anreize willentlich so zu setzen, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit beim richtigen Arzt ankommt. Aber genau das sollte ein öffentliches, solidarisches System anstreben. Ohne dieses Ziel ist ein solidarisches System nicht besser als der reine Markt, nur teurer

„Wiener Zeitung“ Nr. 151 vom 06.08.2015   

Kärnten weist die Zukunft der Spitalspolitik

Viele hoffen, dass es dann zu einer echten Spitalsreform kommt, wenn das Geld weg ist. Kärnten zeigt, dass es diesen Zustand nie geben wird.

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   In Kärnten wurden die Spitalspläne für 2020 vorgelegt. Und weil Kärnten so richtig pleite ist, müsste es eigentlich zu einer vernünftigen Reform kommen. Alleine, es stimmt nicht.

   Der Spitalsplan 2020 erklärt ausführlich, welche Planungsgrundsätze angeblich angewandt wurden. Da ist viel von Sicherstellung einer bestmöglich erreichbaren, bedarfsgerechten, qualitativ sinnvollen und hochwertigen, effizienten und effektiven sowie regional gleichwertigen Versorgung die Rede.

   Und wer sich nicht auskennt, ist geblendet von der ausgestrahlten Kompetenz dieses Plans, gestützt durch weise klingendes Fachchinesisch und einer breiten Datenbasis – die allerdings nur textlich angedeutet, nicht aber veröffentlicht wird (soll ja niemand nachrechnen können).

   Niemand würde auf die Idee kommen, dass die Planungsaussagen, sachlich in Tabellen ausgearbeitet, nicht logischen Argumenten folgen. Niemand, der denken würde, die Zahl der Betten und die Verteilung der Abteilungen auf Spitäler wäre politisch ausgemauschelt – und doch ist es so.

   Denn, zwischen den Methodenbeschreibungen und den Ergebnis tabellen klafft eine riesige Logik-Lücke, die nur durch politische Willkür entstanden sein kann.

   Nehmen wir die beiden Spitäler Spittal/Drau und Wolfsberg, das eine privat geführt, dass andere gehört dem Land.

   Wolfsberg hat ein Einzugsgebiet von 70.000 Einwohnern, und versorgt damit 15.000 bis 20.000 Einwohnern weniger als das Spital in Spittal. Spittal liegt im zerfurchten und schwer erreichbaren Oberkärnten, Wolfsberg im flacheren Unterkärnten, zwischen Graz und Klagenfurt an einer Autobahn.

   Ginge es tatsächlich um bestmöglich erreichbare, bedarfsgerechte, sowie regional gleichwertige Versorgung, müsste Wolfsberg längst kleiner sein als Spittal, war es aber nicht; jetzt jedoch könnte man beide Häuser „bedarfsgerecht“ dimensionieren.

   Aber weil es offenbar nicht darum geht, wird es 2020 etwa gleich viele chirurgische Betten in Wolfsberg, wie die in Spittal geben. Und die konservativen Fächer werden in Wolfsberg sogar um ein Drittel größer ausfallen. Legte man ehrliche Planungsmethoden an, dann werden die Betten für konservative Patienten in Spital kaum reichen (Unterversorgung?!), während in Wolfsberg, planerisch, ein Drittel der Betten leer stehen müsste – was nicht passieren wird, denn ein errichtetes Bett ist ein gefülltes.

   Und diese offensichtlich aus politischem Kalkül dimensionierten Überkapazitäten werden jährlich etwa 20 Millionen Euro kosten – politisches Spielgeld, das Kärnten eigentlich nicht mehr haben dürfte. Denn Spittal, dessen Patienten sich kaum von denen in Wolfsberg unterscheiden, schafft es, etwa die gleiche Zahl an Patienten um 40 Prozent günstiger zu versorgen.

   Und warum werden diese 20 Millionen investiert?

   Ganz klar, hinter jedem Bett, egal ob sinnvoll belegt oder nicht, stehen Arbeitsplätze. Und weil Wolfsberg ein Landesspital ist, sind das Arbeitsplätze, auf die, anders als in Spittal, das Land direkten Einfluss hat. Und egal wie wenig Geld noch da ist, diesen Einfluss aufzugeben, ist politisch nicht gewollt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 11.06.2015   

Verwaltungskosten-Tricksereien der Krankenkassen

 Neos haben für Aufruhr gesorgt, als sie meinten, die angegebenen 2,8 Prozent Verwaltungskosten der Krankenkassen lassen sich nicht nachvollziehen.

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   Neos argumentieren mit Personalkosten, die so gar nicht zu den 2,8 Prozent Verwaltungskosten passen wollen – diese betrügen nämlich 6,9 Prozent. Und weil, so die etwas irrige Annahme, Personalkosten den Verwaltungskosten ähnlich sein müssten, können die 2,8 Prozent einfach nicht stimmen.

   Der Konter der Kassen war klar: Neos irren (weil sie keine Bilanzen lesen können). Und haben da gar nicht so unrecht. Was Neos nämlich nicht bedachten, sind (1) die Personalkosten der SV-eigenen Einrichtungen, die Patienten versorgen und nicht der „Verwaltung und Verrechnung“ dienen, und (2) die Personalkosten, die für Verwaltungstätigkeiten anfallen, die die Kassen für andere übernehmen – etwa die Einhebung der SV-Beiträge und die Überweisung dieser an Pensionsversicherung, Unfallversicherung etc.

   Besonders Zweiteres sind eine Freude für die, die Bilanzen lesen können (die können nämlich mit Kassen-Bilanzen nichts anfangen, weil das keine Bilanzen, sondern höchstens grobe Einnahmen/Ausgaben-Rechnungen sind). Dort findet man unter „Ersätze“ Einnahmen in der Höhe von etwa 300 Millionen Euro, die dazu dienen, diesen „fremden“ Leistungsaufwand abzudecken. Eine Aufschlüsselung wenigstens nach Sach- und Personalaufwand gibt es nicht. Klar ist nur, dass diese 300 Millionen Euro von den 740 Millionen Euro, die als Brutto-Verwaltungsaufwand ausgewiesen werden, abgezogen werden müssen. Dann kommt man zum Netto-Aufwand, und der beträgt 440 Millionen Euro. Aufgerechnet auf die etwa 15 Milliarden Euro Gesamtausgaben, sind das dann die berühmten 2,8 Prozent – womit die Kassen klar belegen, Neos können keine Bilanzen lesen.

   Ach, wenn es so einfach wäre. Aber nehmen wir an, die 300 Millionen Euro dienen wirklich der Verwaltung von „fremden“ Leistungen. Auf Köpfe berechnet, erhalten unsere Kassen dann 37 Euro pro Nase „Ersatz“ für den Verwaltungsaufwand. Die deutschen Kassen kriegen für vergleichbare Leistungen nur 27 Euro ersetzt und müssen sich ständig rechtfertigen, weil jeder eine Verwaltungssubvention wittert.

   Und wenn wir schon in Deutschland sind: Da hat sich ein Finanzer einer großen Krankenkasse daran gemacht, einen Verwaltungskostenvergleich mit Österreich anzustellen.    Und heraus kam, dass Österreich einige Positionen unerklärlicherweise einfach nicht als Verwaltungskosten verrechnet, wie etwa „sonstige betriebliche Aufwände“. Dafür werden bei den Gesamtausgaben Durchlaufposten mitgerechnet, die sicher keine relevanten Verwaltungskosten erzeugen, etwa die über 4 Milliarden Euro Pauschalüberweisungen an die Spitäler. Am Ende werden mit allerlei Tricks Verwaltungskosten klein-, Gesamtausgaben großgerechnet, damit die Verwaltungsquote schön niedrig bleibt. Realitätsnah und mit Deutschland vergleichbar, kostete 2013 die interne (reine) Kassenverwaltung jedoch 682 Millionen Euro (offiziell zugegeben werden 440 Millionen), bei einem verwalteten Volumen von weniger als 10 Milliarden Euro (offiziell über 15 Milliarden) – und das macht nach Adam Riese nicht 2,8, sondern 6,8 Prozent Verwaltungskosten. Die Deutschen brauchen übrigens 5,7 Prozent, geben aber nur 5,1 zu – schwindeln also auch, aber halt weniger

„Wiener Zeitung“ Nr. 097 vom 21.05.2015   

Selbstbehaltsfantasien

In der ÖVP werden wieder fantastische Selbstbehaltspläne geschmiedet. Aber eher um Neidreflexe zu bedienen und mehr Geld einzunehmen.

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   In einem Interview in der „Presse“ antwortete ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka auf die Frage, ob Selbstbehalte generell kommen sollen, Folgendes: „Der Staat ist auch verantwortlich für die Bürger. Aber vor dem Staat kommt die Eigenverantwortung. Und auf lange Sicht ist unser Gesundheitssystem nur finanzierbar, wenn wir uns unserer Eigenverantwortung stärker bewusst werden. Und Teil dieser Eigenverantwortung kann sicher ein Selbstbehalt für alle sein. Selbstverständlich muss es Sonderregeln für chronisch Kranke und sozial Schwache dabei geben.“

   Nun, soweit mir bekannt ist, wird die Gesundheitsversorgung durch uns selbst finanziert – es ist also nicht der Staat, denn der hat ja kein Geld, es sei denn unseres. Damit haben wir also immer 100 Prozent Selbstbehalt. Allerdings wird der eben innerhalb der Bevölkerung derart aufgeteilt, dass nicht das Krankheitsrisiko, sondern das Einkommen ausschlaggebend ist,

   Nun ist offenbar geplant, die „Selbstbehaltsverteilung“ als Instrument einzusetzen, um Eigenverantwortung zu stärken.

   Eine kluge Idee, meint man, doch wenn man mit Selbstbehalten erreichen will, dass Menschen mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, geht das nur, wenn die auch wissen, wie das geht. Die Menschen brauchen dazu die Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu lesen, zu filtern und zu verstehen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Man nennt das Gesundheitskompetenz.

   Dank unseres extremen Paternalismus, der generell aber im Gesundheitswesen besonders herrscht, ist die Gesundheitskompetenz bei uns so richtig schlecht. Man stelle sich vor, ein niederländischer Schulabbrecher ist in dieser Hinsicht kompetenter als ein hiesiger Akademiker. In Österreich ist praktisch niemand ausreichend kompetent, Gesundheitsinformationen zu lesen, zu filtern und zu verstehen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Wie können dann Selbstbehalte die Eigenverantwortung stärken? Gar nicht!

   Aber, setzen wir einmal eine ausreichende Gesundheitskompetenz voraus, dann könnten Selbstbehalte auf das Gesundheitsbewusstsein nur einwirken, wenn diese schmerzhaft hoch sind und keine Sonderregelungen für sozial Schwache bestehen – denn genau die sind es ja, die man durch fühlbare finanzielle Anreize dazu bringen will, sich gesundheitsbewusster zu verhalten. Werden sozial Schwache, aber auch chronisch Kranke gesondert geregelt – was nur geringere Selbstbehalte bedeuten kann –, bleibt vom Wunsch der Stärkung der Eigenverantwortung gar nichts übrig.

   Am Ende geht es wohl darum, Neidreflexe der eigenen Klientel zu befrieden (SVA und BVA, beide ÖVP-dominiert, verlangen Selbstbehalte), und eine Art Beitragserhöhung durchzusetzen, ohne Beiträge zu erhöhen. Das war’s.

   PS.: Dass die BVA schwarze Zahlen schreibt, liegt nicht am Selbstbehalt, sondern daran, dass Beamte zur Gruppe der Bestgebildeten, deren Krankheitsrisiko das geringste ist, und der Bestverdienenden, womit die BVA über sehr hohe Einnahmen verfügt, gehören: Ähnliches galt lange auch für die SVA, die jedoch nun wegen der vielen neuen Selbständigen plötzlich Miese schreibt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 16.04.2015  

Gesundheitspolitik wie gehabt – das Ende der Reform

Anlässlich von Wahlen kommen die Interessen immer am klarsten hervor – die Gesundheitsreform ist dabei völlig uninteressant.

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   Das Burgenland wählt am 31. Mai, und so verspricht Landeshauptmann Hans Niessl eine neue Spitalsabteilung, eine Urologie, in Kittsee.

   Das Spital Kittsee steht wegen der Nähe zum nächsten Spital in Hainburg (11 Autominuten; beide 50 Autominuten von Wien entfernt) schon lange in der Schließungsdiskussion – nicht grundlos. Beide Spitäler sind wegen ihrer Grenzlage eigentlich völlig deplatziert und könnten ersatzlos gestrichen werden, da ihre Einzugsgebiete einfach von angrenzenden Spitälern mitversorgt werden könnten.

   Doch statt diese Spitäler zu schließen, bekommt Kittsee jetzt sogar eine hochspezialisierte Abteilung, eine Urologie – spannend, 1969 hat die WHO angemerkt, dass „hochspezialisierte Fächer (zum Beispiel Urologie) auf zu viele und zu kleine Standorte verteilt sind“: Eine Erkenntnis, die offenbar nicht angekommen ist.

   Aber vielleicht ist ja im Rahmen der Gesundheitsreform diese Abteilung nötig?

   Die Reform möchte „die Versorgungsdichte bedarfsorientiert anpassen, insbesondere durch die Reduktion der Krankenhaushäufigkeit und den Abbau bzw. die Verhinderung von Parallelstrukturen.“

   In den burgenländischen Zielsteuerungsverträgen steht nichts von einer Urologie in Kittsee, was aber nichts heißt, weil dem Bund ja nur ein Minimum gemeldet wird – es könnte sein, dass Land und Kassen gemeinsam festgestellt haben, das nördliche Burgenland ist urologisch unterversorgt.

   Doch ein Blick in die gesetzlich vorgeschriebenen Planungsunterlagen zeigt, dass die Region rund um Hainburg-Kittsee urologisch von Wiener Neustadt, Mödling, Wien und Mistelbach mit mehr als ausreichend vorgehaltenen Betten mitversorgt wird. Von jedem Punkt der Region aus kann eines der Spitäler innerhalb von 45 Fahrminuten erreicht werden – 60 Minuten wäre die gesetzliche Vorgabe, die international betrachtet ohnehin zu niedrig angesetzt ist.

   Eine Abteilung muss mindestens 25 Betten haben. Um die einigermaßen sinnvoll zu füllen, muss das Einzugsgebiet 220.000 Einwohner groß sein. Wo wohnen die? Oder ist angedacht, die Abteilung von Mistelbach bis Wiener Neustadt zu verkleinern? Eher nicht.

   Also stationär kann da keine Unterversorgung bestehen, die neue Abteilung wird demnach eine bedarfsunnötige Erhöhung der Versorgungsdichte und eine Parallelstruktur darstellen.

   Es könnte aber sein, dass, wie die Reform vorschreibt, mit den Krankenkassen ein Versorgungskonzept nach dem Prinzip „ambulant vor stationär“ besteht, weil diese es aber nicht schaffen, ausreichend Kassenstellen zu besetzen, muss eine Abteilung samt Ambulanz eingerichtet werden? Nun, auch das ist irgendwie nicht der Fall. Burgenland Nord verfügt über eine völlig durchschnittliche Versorgungsdichte mit Urologen – also keine Unterversorgung.

   Es ist am Ende ein ländlicher Wunsch und Alleingang, weit weg von der Gesundheitsreform. Verkauft als „wohnortnahe“ Spitalsversorgung – ein Begriff, den nur die hiesige Politik kennt – die den Standort nachhaltig absichert. Und genau das ist es, was man zu Wahlzeiten machen muss – Reform hin oder her.

„Wiener Zeitung“ Nr. 054 vom 19.03.2015  

Die Wiener Spitalspläne

    Der Wirbel um die Reduktion von mehr als zehn Prozent der Ärzte in Wiens Gemeindespitälern ist sehr groß – berechtigt?

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   Mal abgesehen davon, dass der Wirbel nur entstehen konnte, weil bei den Geheimverhandlungen offensichtlich ein Sender-Empfänger-Problem bestand, oder jetzt vorgetäuscht wird – Geheimverhandlungen sind dazu recht praktisch –, ist der Plan, zehn Prozent des ärztlichen Personals abzubauen, in einer Zeit, in der durch die Umsetzung der EU-Arbeitnehmerschutzbestimmungen ohnehin eine Kapazitätsreduktion von 15 Prozent nötig ist, doch als ambitioniert zu beschreiben. Ambitioniert ist in der Gesundheitspolitik praktisch nie etwas, aber, wenn man das wirklich will, dann ginge es schon.

   Zuerst müssten in hunderten Stationen aller Spitäler alle Prozesse so umgestellt werden, dass Patienten den ganzen Tag über behandelt werden können. Dann muss alles darauf ausgerichtet werden, dass Patienten so schnell wie möglich das Spital wieder verlassen.

   Jene etwa 80.000 Patienten, für die eigentlich ein Aufenthalt von weniger als 24 Stunden reichte, sollten innerhalb von 24 Stunden wieder entlassen werden. Dazu braucht es eigene, interdisziplinäre Einrichtungen, in denen versucht wird, Patienten ambulant (unter 24 Stunden) statt stationär (über 24 Stunden) zu behandeln.

   Es muss dort ausreichend und ausreichend ausgestattete Behandlungsplätze geben für jene, die nur kurz, wie in einer Ordination, ein Spital brauchen genauso wie für jene, die mehrere Stunden brauchen und daher bequeme Therapiesessel oder Betten benötigen. Erst wenn klar ist, dass der Patienten nicht innerhalb von 24 Stunden entlassen werden kann, sollte er auf eine Station verlegt werden – unter Tags, geplant und medizinisch abgeklärt.

   Am Ende geht es darum, alles so auszurichten, stationäre Patienten zu vermeiden.

   Doch wie sieht es real aus?

   Alles, von der Politik bis zur Finanzierung, ist darauf ausgerichtet, stationäre Patienten zu „erzeugen“. Ambulante Versorgung ist nicht Aufgabe der Spitäler. So werden etwa Patienten, deren medizinische Abklärung nicht am Vormittag erledigt werden kann, für mindestens 48 Stunden aufgenommen – die Station als Wartesaal für an sich ambulante Patienten.

   Und weil diese in der Wartezeit nicht ohne Ärzte und Pflege auskommen, werden unnötig Ressourcen verbraucht.

   Dazu kommt, dass die Berufsgruppen, von Schreibkräften bis hin zu Ärzten, unterschiedliche, unabgestimmte Arbeitszeitmodelle haben – und keines ist wirklich auf das Patientenaufkommen ausgerichtet. Vor allem bei Ärzten ist die Personal-Einsatzplanung in der Regel völlig anachronistisch, oder wie es netter klingt, traditionell. So etwas birgt Effizienzprobleme, Konfliktpotenzial und Frust – der bei Reformen laut wird.

   Kann das alles wirklich in zwei, drei Jahren reformiert werden? In allen Gemeindespitälern mit 18.000 Mitarbeiter, 250.000 stationären Patienten, 3000 Ärzten und 8000 Pflegekräften? Sehr ambitioniert.

   Was aber, wenn es nicht gelingt, was wahrscheinlicher ist, und trotzdem Ärzte reduziert werden? Dann wird es zu einer enormen Arbeitsverdichtung kommen, das wird die Personalfluktuation steigern und am Ende die Behandlungsqualität sinken lassen. Aber Gott sei Dank messen wir diese Qualität nicht.

„Wiener Zeitung“ Nr. 034 vom 19.02.2015  

Haltet den Dieb – das Machtspiel rund um die Spitalsärzte

Spitalsärzte pochen auf ein Recht, das ihnen elf Jahre lang vorenthalten wurde. Doch wer sauer reagiert, sind die, die das Gesetz gebrochen haben.

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   „Der Schlächter ruft! Die Augen fest geschlossen! Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt. Die Kälber, deren Blut im Schlachthaus schon geflossen, marschier’n im Geist in seinen Reihen mit“, schrieb Berthold Brecht in seinem „Kälbermarsch“ als Parodie auf ein ganz anderes Lied, das so lautet:

   „Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschier’n im Geist in unseren Reihen mit.“

   Was das mit Gesundheitspolitik zu tun hat? Nichts. Erstaunlich ist aber, dass dem SPÖ-Klubobmann in Kärnten Herwig Seiser der „Kälbermarsch“ einfällt und das mittels Presseaussendung kund tut, wenn er an Spitalsärzte und ihre Führer, den Ärztekammerpräsidenten Josef Huber und die Spitalsärzte-Vertreterin Petra Preiß, denkt.

   Dass die damit nicht leben können, versteht er übrigens als eine bewusste Fehlinterpretation, die ihn wundert. Er meinte und machte dazu gleich wieder eine Presseaussendung, dass es ihm darum ging, „aufzuzeigen, dass Ärztekammervertreter, die vor nicht allzulanger Zeit unter der Herrschaft der FPÖ in Kärnten gelitten haben, sich offensichtlich jetzt wieder genau von dieser FPÖ instrumentalisieren lassen“. Wahrlich eine deeskalierende Aussage.

   Hintergrund dieser Schlammschlacht ist, dass Kärntens Spitalsärzte etwas Unerhörtes gewagt haben.

   Statt der Obrigkeit und dem Betriebsrat, dessen Vorsitzender der ehemaligen SPÖ-Landtagsabgeordnete Arnold Auer ist, der sogar in gemeinsamen Pressekonferenzen mit dem Kabeg-Vorstand Arnold Gabriel, ehemaliger Büroleiter von Landeshauptmann Peter Kaiser, Ärzte unter Androhung dienstrechtlicher Konsequenzen vor Alleingängen warnte, zu gehorchen, organisierten sich die Ärzte selbst und folgten den lege artis gar nicht zuständigen Kammerfunktionären. Ein Affront, gar eine Majestätsbeleidigung.

   Kärnten ist aber nur die Spitze eines durch und durch politisierten und absolut regierten Spitalswesens. Ein Blick in andere Länder zeigt das.

   Da fällt natürlich Landeshauptmann Josef Pühringer auf, der die Ärztekammer, wenn sie nicht spurt, in die Pfanne hauen will, „bis dass das Fett nur so spritzt“.

   Ganz so krass passiert das meist nicht, aber es passiert. Schauen wir nach Niederösterreich. Dort wurde das Land gerade verurteilt, weil es ärztliche Überstunden nicht gesetzeskonform sondern willkürlich (nicht) ausbezahlte. Oder nach Wien, wo jahrelange gesetzlich vorgeschriebene Ausgleichstage einfach unterschlagen wurden.

   In all diesen Fällen haben Länder und Gewerkschaften (aber auch Ärztekammern, die sich in der Vergangenheit lieber um Kassen- als um Spitalsärzte kümmerten und wenigstens das gleiche Machtstreben an den Tag legen) gezeigt, dass Gesetze für sie nur gelten, wenn sie den eigenen Interessen dienen. Sonst eben nicht.

   Nun jedoch hat die Europäische Union Österreich gezwungen, ein elf Jahre altes Gesetz zu exekutieren, in dem der Mitarbeiterschutz auch für Spitalsärzte gilt. Das beendet (wenigstens für kurze Zeit) die Willkür – und damit können die Herrscher so gar nicht umgehen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 014 vom 22.01.2015   

Die App-Medizin

 Mit den Apps steht eine Revolution bevor. Das Sammeln lebensnaher Daten wird Langzeittherapien besser machen – aber eine Umstellung verlangen.

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   Im Mittelalter gab es im Grunde nur eine Möglichkeit, medizinisches Wissen zu den Patienten zu bringen. Studenten mussten an eine Universität, an der Vorlesungen gehalten wurden. In der Regel aus Büchern, die uralt waren. Nachdem man das Wissen dieser Bücher auf die „Festplatten“ der Studenten überspielt hat, konnten diese, quasi als ärztlicher Datenspeicher, in die Regionen geschickt werden, um Menschen zu heilen. Eine Weiterentwicklung fand, wenn überhaupt nur sehr langsam statt. Erst der Buchdruck (und die Aufklärung) ermöglichte es, Datenspeicher, in Form von Büchern zu verwenden. Ärzte schrieben Bücher über ihre Beobachtungen und Erfahrungen, die dann überall hin verkauft werden konnten und anderen, weit entfernten Ärzten, die Möglichkeit gab, sich nicht nur auf die „eigenen Daten“ zu verlassen, sondern auch andere in das eigene Handeln einfließen zu lassen. Und obwohl die Zahl der Lehrbücher stark stieg, blieben die darin enthaltenen Daten doch zu „zentral“ – die Autoren, allesamt Koryphäen und viele davon sehr eitel, bildeten eine Elite, die sich weniger durch experimentell erzeugten Wissenszuwachs als durch hartnäckig vertretene Lehrmeinungen auszeichnete. Der Wiener Arzt Semmelweis konnte das sehr gut spüren; nach ihm wurde sogar der Semmelweis-Reflex benannt – die ablehnende und feindselige Reaktion der wissenschaftlichen Elite auf Neuerungen, die der Lehrmeinung widersprechen. Lehrbuchmedizin wurde bis ins 20. Jahrhundert betrieben. Erst dann setzten sich zunehmend neuere, schnellere und eher dem Experiment denn einem klingenden Namen verschriebene Datenträger durch – die Fachzeitschriften.

   Statt persönlicher Erfahrungen und Beobachtungen wurden Daten in experimentellen Studien gewonnen. Anfangs mühsam, revolutionierten die Computer diese Vorgangsweise. Die Zahl solcher Studien wuchs beinah ins Unermessliche (jährlich werden tausende solcher Studien durchgeführt). Doch auch diese durch experimentelle Studien getriebene, evidenzbasierte Medizin war noch immer in der täglichen Praxis gehandicapt – selbst die riesige Zahl der Studien konnte die Realität nur unzureichend abbilden, einfach, weil das Leben eben nicht unter „experimentellen Rahmenbedingungen“ abläuft. Daher rücken Beobachtungsstudien in den Blick der Medizin. Doch die haben einen Nachteil. Um valide Aussagen zu treffen, braucht man große Patientengruppen. Und das Sammeln solcher Daten ist praktisch sehr schwer. Und genau an diesem Punkt tritt nun die Entwicklung der medizinischen Apps auf. Sie ermöglichen es, riesige Datenmengen von vielen Patienten weltweit in Echtzeit zu sammeln, zu analysieren, und unmittelbar mit den Daten des einzelnen Patienten zu vergleichen. Die Wissenschaft rückt praktisch an das Individuum heran, das selbst zum Datenspeicher wird und auf den die Therapie genau angepasst werden kann – ohne Zeitverlust, ohne Übersetzungsverlust.

   Und ganz klar, der Semmelweis-Reflex wurde bereits ausgelöst. Doch, genauso, wie sich die Händehygiene durchgesetzt hat, wird es die App-Medizin auch. Und in nicht allzu ferner Zukunft werden Ärzte chronisch kranken Patienten eine App verschreiben – und das wird ganz normal sein.

„Wiener Zeitung“ Nr. 231 vom 27.11.2014  

Fusion der Krankenkassen – ein absolutes No Go

Kassenfusionen sind ein altes Thema – eigentlich sollte dabei eine Vereinfachung und keine Einsparung diskutiert werden.

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   Zu viele Krankenkassen, ein Kassenhonorarsystem, das vernünftige Planung verhindert, strikt getrenntes und doppelgleisiges Arbeiten inner- und außerhalb von Spitälern – das sind keine neuen Probleme, die hat uns die Weltgesundheitsorganisation schon 1969 aufgezeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Regierungen sich der Lage nicht bewusst wären. Die Idee, Kassenärzte und Spitäler wenigstens planerisch zusammenzudenken, findet man beispielsweise 1996 in einem Bund-Länder-Kassen-Vertrag, der vorsah, dass es für alle ein einheitliches Leistungsgerüst in Form eines einheitlichen Diagnose-und Leistungskatalogs geben soll. Ein Vorhaben, das nie Realität wurde, aber immer wieder zu finden ist – das letzte Mal 2013, im Bundeszielsteuerungsvertrag. Dort nimmt sich die Regierung vor, ab 2016 einen solchen Katalog einzuführen.

   Und warum sollte man Kassen und Spitäler gemeinsam denken?

   Nun, weil es patientenfreundlicher ist; und billiger. Denn wegen fehlender Abstimmung in und mit der ambulanten Versorgung liegen 900.000 Patienten in Spitälern, die anderswo in Europa ganz klar ambulant behandelt worden wären. Von diesen stecken sich 50.000 unnötigerweise mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern) und einige Hundert werden unnötigerweise sterben. Einmal abgesehen, dass die stationäre Behandlung dieser 900.000 Patienten wohl ein bis zwei Milliarden Euro unnötige Kosten erzeugt, sollte es doch wenigstens das Ziel eines Gesundheitssystems sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusionierung wieder einmal aufpoppt, dann sollte es nicht darum gehen, ein paar hundert oder tausend Versorgungsposten einzusparen, die es zweifellos gibt. Das Thema ist, dass die fehlende Abstimmung zwischen 21 Krankenkassen, 15 Krankenfürsorgeanstalten und den etwa 40 Trägern öffentlicher Akutspitäler zu enormen Problemen und Kosten führt.

   Aktuell arbeiten in den Krankenkassen etwa 8000 Mitarbeiter. Grosso Mode pro Kassenarzt ein Kassenangestellter. Oder anders ausgedrückt: Auf einen Kassenmitarbeiter kommen 1000 Versicherte, um deren Versorgung er sich kümmern sollte. Er könnte, vorausgesetzt, er kriegte die Informationen, die er braucht und die ein einheitlicher Diagnosen- und Leistungskatalog lieferte, kontrollieren, ob beispielsweise ein Diabetiker seine jährliche Augenuntersuchung oder ein Herzinsuffizienzpatient die notwendigen Medikamente erhält. Würden also die Kassen darauf achten, dass die Versicherten möglichst alle notwendigen Leistungen erhalten, die stationären Fälle würden weniger. Stattdessen jedoch konzentrieren sich die Kassen auf kleinliche Arztkontrollen anhand merkwürdiger Statistiken, etwa durchschnittliche Medikamentenkosten pro Ordination – was sagt das über die Versorgung einzelner Patienten aus? Nichts.

   Und warum poppt diese Kassenfusionsdiskussion immer wieder auf? Die Kassen mit den tausenden Mitarbeitern, den Milliarden Umsätzen und den gewaltigen Immobilienreserven stellen Imperien der Einzelgewerkschaften dar, die diese jedenfalls gegen jede Veränderung verteidigen. Mit dem Gesundheitswesen hat das nichts zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 212 vom 30.10.2014   

Arbeitnehmerschutz für Spitalsärzte – unwichtig

 

Eine 48-Stunden-Woche und nicht länger als 25 Stunden am Stück – mehr sollten angestellte Ärzte nicht arbeiten dürfen, meint die EU seit 2003.

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   Die EU hat 1993 (vor 21 Jahren) eine Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt, die das Ziel hatte, den Arbeitnehmerschutz im öffentlichen Dienst, auch in Spitälern, zu verbessern – schließlich ist die EU ja eine Wertegemeinschaft, die gemeinsame Sozialstandards verlangen will, und das nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. Seitdem war klar, wohin der Zug fährt, auch in Österreich, das damals erst über den EU-Beitritt diskutierte.

   Nun, der erste Vorschlag wurde von den Regierungen zurückgeworfen und eine zehnjährige Verhandlungsphase begann, die 2003 (vor elf Jahren) in einer Arbeitszeitrichtlinie endete. Jetzt war klar, auch für Österreich, dass Arbeitnehmerschutz nicht nur für private, sondern auch für öffentliche Arbeitgeber gilt. Für Spitalsärzte galt ab nun in der ganzen EU: 48-Stunden-Woche und nicht länger als 25 Stunden am Stück.

   2010 legte die EU-Kommission einen Bericht vor, wie denn die Richtlinie umgesetzt wurde. Und da stand einiges über Österreich drinnen:

   Die durchschnittliche Arbeitszeit kann ohne Zustimmung der Mitarbeiter auf 60 Stunden erhöht werden, Mindestruhezeiten werden nicht gewährt, es gibt Verzögerungen bei der Möglichkeit zur Konsumation von Ausgleichsruhezeiten, trotz klarer Aussagen des EuGH (2003) werden Bereitschaftszeiten weiterhin nicht als Arbeitszeit gewertet, was sogar von den Behörden selbst zugegeben wird, und, und, und – wir haben praktisch also gar nichts getan, um EU-konform zu arbeiten.

   2012 wurde von einer Privatperson, die ich sehr gut kenne, eine EU-Beschwerde eingereicht, die die fehlende Umsetzung beklagte.

   2013 musste die Regierung dazu Stellung nehmen. Die Stellungnahme war dermaßen ungenügend, dass die EU am 21. Februar 2014 eine Klage androhte. Und nur, weil eine nicht EU-konforme Umsetzung des Arbeitnehmerschutzes die Regierung Millionen von Euro kosten würde, begann man einzulenken und will nun die Arbeitszeit der Spitalsärzte senken.

   2021, also 28 Jahre, nachdem klar wurde, dass die Ausbeutung von Spitalsärzten nicht in das europäische Wertegerüst passt, werden wir die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG umgesetzt haben!

   Und warum erst 2021? Weil es sonst zu überraschend käme und die Politik keine Zeit habe, sich auf diese „neuen“ Bedingungen einzustellen. Was für eine Begründung!

   Realiter geht es darum, dass die Länder weiterhin keine Spitalsreform wollen. Jeder Standort muss gesichert werden, selbst wenn klar ist, dass damit mehr geschadet als genützt wird. Und weil der Spitalswildwuchs belieben muss, geht es jetzt darum zu verhandeln: Der Finanzausgleich muss Ländern mehr Geld bringen, etwaige Rettungspakete sind zu schnüren, Stabilitätspakt und „Kostendämpfungspfad“ der Gesundheitsreform müssen aufgeschnürt werden etc. Das braucht Zeit.    Und bis dahin ist, wie bisher, der Arbeitnehmerschutz völlig egal, auch den Gewerkschaftern Sabine Oberhauser und Rudolf Hundstorfer, die für alle Arbeitnehmer 12 statt 10 Stunden am Stück bei einer 40-Stunden-Woche ausschließen, aber bei Spitalsärzten 49 Stunden am Stück bei einer 60-Stunden-Woche okay finden

„Wiener Zeitung“ Nr. 192 vom 02.10.2014