Groß in der Ankündigung – klein im Abschluss

Die Reform des Finanzausgleichs wird so groß sein wie die Spitalsreformen und Gesundheitsreformen der vergangenen Jahre.

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   2008 wurde der heute gültige Finanzausgleich für fünf Jahre beschlossen. Man wollte sich Zeit nehmen und kündigte eine Reform dieses Vertragswerkes an. Dann passierte nichts – deswegen wurde 2013 die Laufzeit um ein Jahr verlängert; weil jetzt aber wirklich eine Reform kommt. 2014 kam dann doch nichts. Logisch: noch einmal verlängern, diesmal bis 2016. Jetzt wird wieder verhandelt, doch wieder gab es keinerlei Vorbereitungen auf eine Reform. Ein wesentlicher Teil des Finanzausgleichs ist die Spitalsfinanzierung.

   Eigentlich, nähme die große Koalition ihre Reformen ernst, ein kurzes Kapitel – ist doch seit der Gesundheitsreform 2012 klar, wie viel die Spitäler in jedem Bundesland kosten dürfen: alles angekündigt und hochgejubelt in diversen Papieren mit klingenden Namen, wie Bundes-Zielsteuerungsvertrag, Finanzrahmenvertrag oder Kostendämpfungspfad. Wie die Monitoring-Berichte – ebenfalls groß angekündigte Managementinstrumente, die die Gesundheitsreform transparent machen sollen – zeigen, hat es keinerlei Strukturreform gegeben und jedes sinnvolle operative Ziel wurde nicht umgesetzt, oder wie es zum Status der Umsetzung heißt: „Aussage derzeit nicht möglich“ – selbst, wenn die Frist für die Umsetzung längst abgelaufen ist.

   Und so geht es auch dem Kostendämpfungspfad. Eigentlich nur eine Fake-Rechnung, da viel zu hohe Ausgabensteigerungen zugrunde gelegt wurden, die leicht unterschritten werden konnten. Wie sagt das der Rechnungshof: „Die ausgewiesene Ausgabendämpfung war daher weitgehend fiktiv.“ Aber selbst diese Schönrechnung wird nicht halten, weil völlig unerwartete Kosten die fiktiven Ausgabendämpfungen auffressen. Kein Land war oder ist gewillt, substanzielle Einschnitte in ihren Spitälern vorzunehmen und mit den Kassen neue, ambulante Versorgungskonzepte zu entwerfen. Alles blieb beim Alten – nur die Personalkosten, allen voran für Ärzte, gehen durch die Decke. Warum? Weil der Bund eine EU-konforme Arbeitszeitregelung für Ärzte beschließen musste. Auch wenn diese Regelung seit 2003 bekannt war, die Länder waren grosso modo desinteressiert, sich vorzubereiten. Macht nichts, ist ja Bundessache – der hat das Gesetz beschlossen. Damit muss er, die „Kosten dieser „unerwartbaren“ Neuregelung tragen. Der solle es jetzt auch für Patienten zahlen, die nicht aus dem eigenen Bundesland kommen – sogenannte Gastpatienten. Wie kommen Salzburger dazu, Oberösterreicher „unentgeltlich“ zu behandeln? Aber das reicht nicht. Auch für Pflege soll es mehr Geld geben. Zwar zeigen Berechnungen, dass eine sinnvolle Abstimmung zwischen Pflege- und Spitalssektor (beides Ländersache), mehr Lebensqualität bei sinkenden Kosten erzeugen würde – alleine, das ist uninteressant. Der 2011 mit 700 Millionen Euro eingerichtete, 2015 auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockte Pflegefonds soll höher dotiert werden. Am Ende wollen die Länder für „ihre“ Gesundheitssysteme etwa eine Milliarde mehr; und die finden das völlig okay. Schließlich darf hier nicht gespart werden. Worte, dass sie unfähig sind, Reformen umzusetzen, die sie seit Jahrzehnten ankündigen, werden wir nicht hören.

„Wiener Zeitung“ Nr. 097 vom 19.05.2016    

75.390 Unterschriften gegen Dumpingmedizin

Faktenfreies Diskutieren ist gesundheitspolitischer Sport. Die faktenfreie Mobilisierung der Ärztekammer gegen das PHC-Gesetz ist aber bedenklich.

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   „Die Gesundheitspolitik schafft mit dem PHC-Gesetz eine gefährliche Parallelstruktur, welche Schritt für Schritt die Hausärzte ersetzen soll und eine Dumpingmedizin erschafft – der billigste Preis und nicht die beste Patientenversorgung stehen hier im Vordergrund“, „75.390 Unterschriften sind für uns ein klarer Auftrag, den Hausarzt zu stärken und dieses PHC-Gesetz mit allen Mitteln zu verhindern.“

   Erstaunlich, aktuell gibt es noch nicht einmal einen Gesetzesentwurf. Was es gibt, ist ein Verhandlungsentwurf, und der ist Gerüchten zu Folge dermaßen geheim, dass er nur in Papierform mit persönlicher Kennzeichnung übergeben wurde, und auch von der Ärztekammer nicht veröffentlicht wird.

   Das ändert nichts daran, dass der Vizepräsident der Ärztekammer Johannes Steinhart, eine Kampagne fährt. Die Ärzte wurden per Rundschreiben über das Gesetz, das „alle Befürchtungen der Ärztevertretung bestätigt“, informiert. Die wiederum dürften Patienten informiert haben, was zur Folge hatte, dass 75.390 Menschen gegen etwas unterschrieben, das sie nicht kennen; das praktisch niemand kennt, von dem aber sicher sei, dass es zum Untergang der besten Patientenversorgung und dem Aussterben der Hausärzte führen könnte.

   Was will die Ärztekammer retten? Die Hausärzte? Die Patientenversorgung? Was sagen die Fakten?

   Laut Gesundheitsbefragungen 2007 und 2014 (dazwischen gab es keine) ist die Quote der Bevölkerung über 60, die wenigstens einmal einen Hausarzt aufsuchte, von etwa 90 auf auf 80 Prozent gesunken – man meint das ist nicht schlimm, aber das ist falsch: Menschen dieser Altersgruppe brauchen Ärzte. Weil ich gerne mit Dänemark vergleiche: Dort gehen 95Prozent zu ihrem Hausarzt. Wo gehen die österreichischen Patienten hin? Genau, zum Facharzt. Haben 2007 etwa 42 Prozent der Österreicher über 60 einen (Wahl-)Facharzt aufgesucht, sind es 2014 sagenhafte 67 Prozent (Ausdruck der zunehmenden Beliebtheit der Wahlärzte, die in öffentlichen Statistiken verleugnet wird). Zum Vergleich, in Dänemark waren nur 46 Prozent der Bevölkerung über 60 bei einem Facharzt. Bei den unter 60-Jährigen ist es noch deutlicher: Dänemark: 25 Prozent, Österreich 61 Prozent.

   Hätten wir das dänische Versorgungssystem, das ein gut ausgebautes PHC hat, wären 762.000 Österreicher (über 15) 2014 zusätzlich zum Hausarzt gegangen, dafür aber 2,4 Millionen nicht zum Facharzt.

   Bedenkt man, dass Dänen ungefähr gleich viel Geld ausgeben, aber deutlich seltener zum Arzt gehen, weiß man, warum dort Ärzte zufrieden sind. Sie haben pro Patient mehr Zeit. Und weil Dänen über 65 noch 13 gesunde Lebensjahre vor sich haben, Österreicher aber nur 9, sind auch Patienten zufrieden.

   Wenn nun erklärt wird, dass mit allen Mittel das PHC-Gesetz verhindert werden muss: Ist es, um den Hausarzt zu stärken und die beste Patientenversorgung zu retten?    PS: Wenn die Zahl der Facharztbesuche angestiegen ist, sind die Spitalsambulanzen entlastet worden? Nein, auch hier gibt es 50 Prozent Steigerung: 2014 sind 32 Prozent der Österreicher über 15 wenigstens einmal in einer Ambulanz gewesen, in Dänemark nur 22 Prozent

„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 15.04.2016    

Die Schlacht um Primary Health Care

Um Primary Health Care einzuführen, müssten Ärztekammern, Länder und Krankenkassen eine gemeinsame Idee haben.

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    Primary Health Care (PHC) ist keine österreichische und auch keine neue Idee. 1920 wurde bereits festgehalten, dass eine sinnvolle und gerechte Gesundheitsversorgung nur funktioniert, wenn möglichst viele gesundheitlichen Probleme (das ist mehr als Krankenbehandlung) möglichst dezentral gelöst werden. Die abgestufte Versorgung war geboren und damit die Primärversorgung als Stufe eins vor Sekundär- (ambulant tätige Fachärzte) und Tertiärversorgung (Spitäler). Und um möglichst viele gesundheitlichen Probleme zu lösen, versteht die Welt unter PHC die koordinierte und strukturierte Primärversorgung mit Leistungen der Prävention, Behandlung und Pflege – also mehr als Ärzte alleine leisten können und die derzeitige Gesetzeslage erlaubt. Doch vor allem die Ärztekammer will an dieser Lage nichts ändern, wie die letzten Entwicklungen zeigen.

   23. Februar: Die Kurie der niedergelassenen Ärzte, Machthaberin innerhalb der Ärztekammer in allem, was Kassenärzte betrifft, stellt ihre „Primärversorgung 2020“ vor. Ob es tatsächlich ein Konzept ist oder nur Presseunterlagen existieren, ist unklar. Was vorgestellt wurde, ist eine Art „Kassen-Hausärztliche Krankenbehandlungsorganisations-Phantasie“, weit weg von dem, was die Welt außerhalb der Ärztekammer als PHC versteht – aber eben das, was möglich wäre, ohne eigenes PHC-Gesetz.

   2. März: In Wien soll nach mehr als einem Jahr politischen Hickhacks ein zweites PHC-Zentrum, das „PHC SMZ-Ost“, kommen. Ein Fortschritt, meint man, wenn da nicht mit der Jubelmeldung auch mitgeteilt worden wäre, dass das erste PHC-Zentrum „Maria Hilf“ angeblich 0,83 Prozent der Wiener versorgt, man also dem Gesundheitsreformziel „ein Prozent der Bevölkerung in PHCs zu behandeln“ nahe ist. 0,83 Prozent sind 14.500 Menschen. Im ärztekämmerlich geduldeten „Maria Hilf“ arbeiten drei Hausärzte, macht pro Arzt 4800 Einwohner. Wenn dort PHC passiert, dann mit weltweit einzigartiger Effizienz; international schaffen ein Arzt und sein Team (das größer ist als das in Maria Hilf) gerade 1500 bis 1800 Einwohner. Geht es wirklich um PHC oder nur darum, ein Scheitern der Reform zu verbergen?

   8. März: Überraschend wird gemeinsam von Ärztekammer, Wiener Gebietskrankenkasse und Stadt das „Wiener Modell“ präsentiert. Ein gewaltiger Sprung, möchte man meinen. Die „Drei“ wollten ganz ohne ominöses PHC-Gesetz zeigen, dass man kann, wenn man will. In Hinblick auf das kommende wohl nur ein politischer Schachzug, denn:   

13. März (ein Sonntag): Die Kurie der niedergelassenen Ärzte hat den für alle anderen streng geheimen Entwurf zum PHC-Gesetz öffentlich kommentiert, mit brachialen Worten: Das Ende der Hausärzte sei eingeläutet, mit Dumping-Preisen, Dumping-Gehältern und letztlich der systematischen Übernahme des Gesundheitsmarktes durch internationale Konzerne und Bauunternehmen sei zu rechnen. Alles in allem eine „Zumutung der Ministerin hinsichtlich einer bestmöglichen Patientenbetreuung“. Ist das wirklich so? Oder geht es nur um Macht und persönliche Eitelkeiten? Jedenfalls ist die Diskussion weiter inferior – und echtes PHC sehr weit weg

„Wiener Zeitung“ Nr. 053 vom 17.03.2016     

Der Fall Gernot Rainer

Gernot Rainer war ein angestellter Arzt im Wiener Krankenanstaltenverbund. Und es ist erschreckend, warum er es nicht mehr ist.

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   Der KAV ist eine Unternehmung der Stadt Wien und hat keine eigene Rechtpersönlichkeit, sondern ist Teil der Stadt. Damit hat die Politik unmittelbar die Führung des KAV inne. Gernot Rainer arbeitete zehn Jahre im KAV und hatte noch immer einen befristeten Arbeitsvertrag. Zwar war er schon länger Facharzt, aber ein Trick erlaubt, Ärzte solange in prekären Arbeitsverhältnissen zu halten, solange sie irgendeine Ausbildung machen – egal, ob sie bereits als Fachärzte eingesetzt werden oder nicht.

   Jetzt, nach dem Ende der letzten Ausbildung, wollte er ein dauerhaftes Dienstverhältnis, das von seinem Primararzt auch befürwortet wurde. Sein Arbeitszeugnis ist perfekt, in über 100 Punkten wurde er bewertet und würde umgerechnet wohl einen Notendurchschnitt von 1,1 erreichen.

   Doch dann gibt es die zwei Punkte: Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien und der Dienststelle. Genau hier erhält er eine negative Beurteilung – warum? Darüber muss gemutmaßt werden. Niemand definiert „Gesamtinteressen“. Was soll das sein, wenn nicht solidarische Patientenversorgung? Rainer selbst meint übrigens, dass er sich identifizieren kann, wie er auch schriftlich auf seinem Arbeitszeugnis festgehalten hat.

   Aber, er hat es gewagt, die Ärztegewerkschaft Asklepios zu organisieren und dessen Vorsitzender zu sein. Eine Gewerkschaft, der zwar in erster Instanz das Recht abgesprochen wird, Kollektiverträge zu verhandeln, aber trotzdem eine Gewerkschaft ist. Besonders spannend: Einer der Ablehnungsgründe ist, dass Asklepios nicht ausreichend „gegnerunabhängig“ sei – sich also nicht sicher von Arbeitgebern abgrenzen kann. Warum? Weil es ja auch angestellte Ärzte in Ordinationen gibt – was verwundert, da es, abgesehen von Lehrprakitkanten, Ärzten verboten ist, Ärzte anzustellen. Diese „mangelnde“ Gegnerunabhängigkeit hat ausgerechnet die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten GdG moniert, die nicht nur das Monopolvertretungsrecht für KAV-Ärzte beansprucht, sondern dessen Vorsitzender Christian Meidlinger Abgeordneter der SPÖ in Wien ist.

   Beeindruckend! Vor allem, wenn man betrachtet, wer jetzt entschieden hat, dass Gernot Rainer seinen Job wegen mangelnder Identifikation mit den Gesamtinteressen verliert, obwohl seine Abteilung einen Fachärztemangel hat.

   Eine Kommission, bestückt von der Landesregierung und – genau, der GdG – also jene, die, wie das letzte Jahr gezeigt hat, eine unabhängige Ärztegewerkschaft so gar nicht wollen. Da stellt sich die Frage, was diese Kommission bewertet, und weiter, ob ein politischer Arbeitgeber, der seine politische Einstellung gegenüber seinen Mitarbeitern durchsetzen kann, für die Öffentlichkeit Spitäler bereitstellen darf. Schließlich sollte dort doch das Fachliche zählen und nicht das Ideologische. Im Umkehrschluss kann es sonst passieren, dass ein grottenschlechter Arzt alleine deswegen auf die Patienten losgelassen wird, weil er sich großartig mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien identifiziert, die offenbar nicht in einer guten und solidarischen Patientenversorgung liegen, sondern irgendwo anders.

„Wiener Zeitung“ Nr. 033 vom 18.02.2016   

Der vollzeitäquivalente Spitalsarzt

 

Spitalsärzte klagen, dass sie mit der Arbeit nicht zu Rande kommen, Politiker meinen, dieses Jammern sei überzogen – ein Erklärungsversuch.

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   Normale Arbeitgeber, also solche, die nicht das Glück haben, eine Legislative ihr Eigen zu nennen, und auch die Exekutive nicht „befehligen“ können, sind verpflichtet, Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer akribisch aufzuzeichnen. Anderenfalls wird Gewerkschaft und Arbeitsinspektorat entsprechende Schritte einleiten. Wenn Mitarbeiter regel mäßig über den gesetzlich erlaubten Stunden eingesetzt werden, wird es teuer.

   Rein theoretisch gilt diese Arbeitgeber-Pflicht auch für Spitalsärzte. Doch viele der Arbeitgeber haben eben das Glück eines allumfassenden politischen Schutzes – eines Selbstschutzes, sind doch Politik und Arbeitgeber meist eins. Und so verwundert es nicht, dass korrekte Arbeitsaufzeichnungen nicht selten fehlen beziehungsweise fehlten.

   Der Grund, dass sie fehlten ist einfach: Die Politik wollte nicht, dass irgendwer belegen kann, wie lange Ärzte für ihr Gehalt arbeiten (müssen) – und auch Ärzte selbst sollten das nicht genau wissen, wohl um das Jammern, dass sie so viel arbeiten, als unbegründet zurückweisen zu können. Jedenfalls ist es oftmals nicht möglich gewesen, festzustellen, wie viele Arbeitsstunden pro Woche, Monat oder Jahr pro Arzt anfallen.

   Als normaler Arbeitgeber hat man üblicherweise Voll- oder Teilzeitmitarbeiter. Vollzeit ist primär das, was Arbeitgeber (und Gewerkschaft) so definieren. Der Gesetzgeber sieht allerdings vor, dass Vollzeit nicht mehr als 40 Stunden pro Woche sein darf (Normalarbeitszeit).

   Wenn der Arbeitgeber 38,5 Stunden als Vollzeit ansieht, ist das seine Sache. Anders ist es, wenn offizielle Statistiken geführt werden. Die legen einem Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis eine 40-Stunden-Woche zu Grunde. Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter mit 38,5 Wochenstunden nur als 0,96 Vollzeitäquivalente (VZÄ) gerechnet wird.

   Und wie war (und ist) das bei Spitalsärzten? Diese durften bis vor kurzem durchschnittlich 60 Wochenstunden arbeiten und wurden wohl auch 55 bis 60 Stunden pro Woche eingesetzt. Dank der oft fehlenden oder falschen Arbeitszeitaufzeichnungen wusste das aber keiner so genau.

   Und weil das keiner so genau wusste (wissen wollte/durfte), hat man in den Statistiken einen Vollzeit-Arzt einfach als ein VZÄ gewertet. In den gesetzlichen Krankenanstalten-Statistiken wurden also praktisch keine VZÄ gezählt, sondern Köpfe. Das Problem bei dieser Vorgangsweise, die im Übrigen nur Ärzte und keine andere Berufsgruppe im Spital betroffen hat, war, dass so, statistisch, bis zu 50 Prozent der ärztlichen Arbeitszeit einfach verschwunden sind – vorsichtig geschätzt, mehr als 8000 VZÄ-Ärzte.

   Und jetzt passiert es, dass Ärzte nur 48 Wochenstunden arbeiten dürfen. Weil aber niemand genau weiß (wissen wollte/durfte), wie lange sie bis dato wirklich gearbeitet haben, weiß auch keiner, was es bedeutet, wenn die Arbeitszeit reduziert wird. Und siehe da, „unerwarteter Weise“ gibt es für die existierende Arbeit zu wenig Ärztearbeitszeit; Operationen fallen aus, Ambulanzen werden geschlossen, Wartezeiten werden länger – eigentlich ganz logisch, politisch halt unangenehm.

„Wiener Zeitung“ Nr. 018 vom 28.01.2016 

Universitäten ohne Fachärzte

Eine ambulante Behandlung ist einer stationären vorzuziehen. „Ambulant vor stationär“ ist nicht nur ein Credo, es hat handfeste Gründe.

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   Spitäler sind gefährliche Orte. Dort konzentrieren sich kranke Menschen, von denen einige richtig hässlich Keime mitbringen, wie man zuletzt in Linz sehen konnte. Dort starb ein Kind an so einem „eingeschleppten“ Spitalskeim. Nosokomiale Infektionen nennt man das, also Infektionen, die nur stattfinden, weil ein Patient im Spital liegt. Viele dieser Keime sind harmlos, andere, vor allem für Kranke, gefährlich, ja sogar tödlich. Fünf bis sechs Prozent aller Spitalspatienten stecken sich mit einem Spitalskeim an, und etwa 1700 sterben jährlich daran. Viele dieser Toten sind nicht vermeidbar. Patienten, die ohne Spitalsaufenthalt nicht gesund werden können, müssen dieses Risiko auf sich nehmen – es ist geringer, als Schaden an der eigentlichen Erkrankung zu nehmen, die zu einem Spitalsauf enthalt zwingt. Dort jedoch, wo ein Spitalsaufenthalt nicht nötig ist, also Patienten auch ambulant behandelt werden können, dort ist dieses Infektionsrisiko zu vermeiden. Und genau da versagen wir. Von etwa 2,1 Millionen Spitalsaufenthalten jährlich sind mindestens 900.000 vermeidbar – und würden damit nicht hunderten Patienten das Leben kosten. Aber, solche Überlegungen sind in der Gesundheitspolitik unwichtig. Dort geht es darum, möglichst alle Spitäler und den damit verbundenen Einfluss auf Führungsposten, Arbeitsplätze und Zulieferer zu sichern.

   Das Problem ist das zunehmend fehlende Geld. Und um die Kosten der Spitäler, ohne die Einflusssphären zu reduzieren, werden die Betriebskosten gesenkt, wo es den Mächtigen am wenigsten weht tut. Eine Option ist es, Ärzte in Rufbereitschaft zu halten. Damit kann man Kleinstspitäler selbst dort halten, wo es völlig sinnlos ist. Zuletzt hat man das in Schladming gesehen, wo eine Geburtenstation mit drei Halbtagsärzten betrieben wurde. Erst als ein Kind bei der Geburt starb, fiel auf, wie dumm es ist, Akutspitäler mit rufbereiten Ärzten bespielen zu wollen.

   Aber ohne große Öffentlichkeit wurde nun ein Gesetz verabschiedet, dass es künftig sogar Universitätskliniken erlaubt, so zu arbeiten. Rufbereitschaft ist nur dort denkbar, wo praktisch alle stationären Patienten dermaßen gut beisammen sind, dass eine fachärztliche Betreuung für etwa 12 Stunden täglich nicht nötig ist. Es dürfen also nur leichte Routinefälle sein. An Universitätskliniken sollten solche Situationen gar nicht vorkommen. Sie sind, wenigstens international, das letzte Back-up für wirklich schwere Fälle. Wenn an Unikliniken dermaßen viel Routinepatienten liegen, dass mit Rufbereitschaft gearbeitet werden kann, dann ist diese wahnsinnig teure Infrastruktur nicht gerechtfertigt.

   Warum also dieses Gesetz? Es ist zu vermuten, dass es weiter möglich gemacht werden soll, Betriebskosten zu senken, statt darauf zu achten, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit am richtigen Ort behandelt wird. Und weil etwa in Innsbruck, aber auch in der kommenden Uni-Klinik Linz viel Routine abgearbeitet werden muss und kein Land will, dass diese Fälle ambulant behandelt werden, machen wir schnell mal aus einer Uni-Klinik ein Provinzspital. So ist Österreich.

„Wiener Zeitung“ Nr. 002 vom 05.01.2016    

Die Willkür bei den selbständigen Ärzten

Je nach Wunsch der Exekutive (vor allem Landersregierungen) macht die Legislative Gesetze, die pläsieren.

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   Wenn ein Kassenarzt seine Ordination länger schließen muss, hat er für Vertretung zu sorgen. Das ist einleuchtend, denn die Menschen müssen versorgt werden. Dank europaweit höchster Ärztedichte, hat es sich eingebürgert, Vertretungsärzte in die eigene Ordination zu holen. Diese besitzen meist keine eigene Ordination, weswegen sie ihre ärztliche Tätigkeit ohne fixen Arbeitsplatz ausüben.

   Aktuell haben Gewerkschaften der Scheinselbständigkeit den Kampf angesagt und quälen vor allem Ein-Personen-Unternehmen, weil sie deren Tätigkeiten oft nicht als selbständige Arbeit anerkennen. „Mit dem Selbständigmachen werden vielfach normale Dienstverhältnisse umgangen und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen ausgehebelt“, sagt Gewerkschafter Wolfgang Katzian. Ein freier Mitarbeiter darf nämlich weder an einen vorgegebenen Arbeitsplatz noch eine vorgeschriebene Arbeitszeit gebunden sein. Ist er das, ist er scheinselbständig – dann drohen für Arbeitgeber Beitrags-Nachzahlungen an die Sozialversicherungen.

   Dem freien Mitarbeiter, dann als Unselbständiger eingestuft, stehen alle arbeitsrechtlichen Vorgaben zu, auch der bezahlte Urlaub – liegt Vorsatz vor, bis zu 30 Jahren rückwirkend. Es könnte durchaus sein, dass Vertretungsärzte, vor allem, wenn sie regelmäßig den gleichen Arzt vertreten, eigentlich Scheinselbständige sind. Wohl aber bei weitem nicht alle.

   Geht es jedoch um Notärzte im öffentlichen Notarztwesen, ist klar, dass diese nie selbständig sein können; weswegen sie seit eh und je angestellt sind. Nun begrenzt ein neues Gesetz für angestellte Ärzte deren Arbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche –wobei alle unselbständigen Arbeitsverhältnisse zusammenzuzählen sind.

   Das macht Probleme; viele Notärzte, die bisher „freiwillig“ aus umliegenden Spitälern kamen, verbringen nun dort ihre gesamte erlaubte Arbeitszeit. Für das Notarzt-Dasein fehlt die Zeit. Da öffentliche Auftraggeber aber nie Lohn- und Sozialdumping betreiben, Dienstverhältnisse umgehen oder gar arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen aushebeln wollen, also die Guten sind, hat Sozialminister und Ex- Gewerkschaftschef Rudolf Hundstorfer auf Anraten diverser Landesregierungen beschließen lassen, dass Notärzte aus dem Gesetz der Scheinselbständigkeit zu fallen haben. Sie dürfen nun legal selbständig an vorgeschriebenen Orten zu vorgeschriebenen Zeiten ihre Arbeit verrichten. Diese „nicht-schein“-selbständige Arbeitszeit berührt das neue Arbeitszeitgesetz nicht und macht Arbeitszeiten über 48 Stunden pro Woche wieder möglich. Problem gelöst!

   In einem anderen Fall, in dem es dringend wäre, das neue Arbeitszeitgesetz zu überdenken, geschieht übrigens nichts. Gemeint sind Universitäten. Dort muss mit einem befristeten Vertrag neben der Facharztausbildung noch Forschung und Lehre in 48 Wochenstunden untergebracht werden. Das ist praktisch unmöglich.

   Entweder wird es in absehbarer Zeit keine gute Ärzteausbildung mehr geben, oder aber keine guten Wissenschafter.

   Mangels Interesse der Landesfürsten ist das kein Problem, womit auch kein pläsierendes Problemlösungsgesetz nötig ist.

„Wiener Zeitung“ Nr. 230 vom 26.11.2015  

Statt Gesundheitsreform lieber Pharma-Bashing

Weil in der Gesundheitsreform nichts weitergeht und nun auch der Finanzplan zu scheitern droht, zeigt die Gesundheitspolitik ihren Zynismus.

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   Eigentlich würde die Reform vorsehen, dass Behandlungs- und Versorgungsprozesse inklusive der Versorgung mit Medikamenten sektorenübergreifend am Patientenbedarf zu orientieren sind. Ein Blick in den von der OECD erhobenen Medikamentenverbrauch (in Tagesdosen) bei Volkskrankheiten zeigt, dass es eine bedarfsgerechte Versorgung ganz offensichtlich nicht gibt.

   In Österreich werden etwa nur halb so viele blutdrucksenkende Medikamente verbraucht wie in der EU. Mit diesem Verbrauch liegen wir abgeschlagen an letzter Stelle. Gleiches gilt für Diabetes-Medikamente, auch hier liegen wir an letzter Stelle und erreichen kaum die Hälfte des EU-Schnitts. Die „zweitschlechtesten“ Dänen verbrauchen bereits um ein Drittel mehr. Bei den blutfettsenkenden Medikamenten liegen wir nicht an letzter, sondern vorletzter Stelle – da hat Estland die rote Laterne, und der Abstand zum EU-Schnitt beträgt „nur“ 50 Prozent.

   Natürlich kann und muss man sich fragen, inwieweit der Medikamentenkonsum von der Pharmaindustrie nach oben getrieben wird. Betrachtet man aber solche Fakten, muss man sich viel dringender fragen, ob Patienten bei uns kriegen, was sie brauchen. Schließlich liegen wir weit hinter Ländern, die strikte Regeln haben, um sich am Patientenbedarf zu orientieren und Überversorgung zu verhindern. Dann wird klar, dass in Österreich Millionen von Patienten offensichtlich unterversorgt sind, was in der Folge dazu führt, dass Krankheitsverläufe schwerer als nötig sind und medikamentös vermeidbare Krankenhausaufenthalte nicht vermieden werden.

   Da liegt der politische Gewinn: Kassen geben weniger für Medikamente aus, und Länder können sich über ausgelastete Spitäler freuen.

   Dass das zynisch ist, stört große Politik nicht. Und wie wenig diese daran etwas ändern will, erkennt man an diesen Zwangsrabatt-Ideen. Laut einem Gesetzesentwurf von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser muss die Pharmaindustrie in den Jahren 2016 bis 2018 jeweils 125 Millionen Euro an Rabatten gewähren, um den Finanzplan der Reform, und nur diesen, einzuhalten. Das sind knapp sechs Prozent ihres Umsatzes mit den Krankenkassen.

   Ein Rabatt wohlgemerkt, der sich auf Preise bezieht, die gesetzlich von vornherein unter dem europäischen Mittelwert liegen müssen (unsere Medikamentenpreise sind, im Unterschied etwa zu Deutschland, weitgehend reguliert).

   Anders ausgedrückt: der Pharmabranche wird die nächsten Jahre ein Null-, wenn nicht sogar ein Minuswachstum per Gesetz verordnet. Und das, nachdem die Branche seit 2008 in Österreich kein reales Wachstum mehr aufweist.

   Zu glauben, dass wir mächtig genug sind, die Margen der Pharmaindustrie zu reduzieren, ist planwirtschaftliche Allmachtsphantasie. Was wir sehen werden, ist eine Reduktion der Produktionskosten – und zwar um etwa sechs Prozent unter den europäischen Mittelwert – was nichts anderes heißt, als dass Forschung und Fertigung abwandern werden und, wenn alles schief geht, sogar Medikamente vom Markt verschwinden oder nicht eingeführt werden.

   Denn, auch wenn manche es gerne hätten, die Pharmabranche wird nicht wie ein Sündenbock ruhig stehen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 210 vom 29.10.2015  

Die Oberösterreich-Wahl aus gesundheitspolitischer Sicht

Die Flüchtlinge in Oberösterreich können nicht der einzige Grund sein, warum SPÖ und ÖVP dermaßen verloren haben.

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   Wenn ich über das politische Erdbeben in Oberösterreich reflektiere, dann fällt mir auf, dass es gesundheitspolitische Gründe gibt, warum man den (ehemals) großen Parteien einfach nicht mehr glauben will.

   Nehmen wir deren Spitalsreform. Sie wurde ja gleich zwei Mal durchgeführt – und zwar in den Jahren 2005 und 2012.

   Die erste Reform war eigentlich gar keine. Als 2004 erkannt wurde, dass man das, was man 2001 mit dem Bund gesetzlich fixiert hatte, nicht bis 2005 umsetzen kann (euphemistisch gesprochen, denn es wurde gar nichts getan), hat man, medial groß aufgezogen, noch mal (schein)verhandelt und versprochen, alles bis 2010 umzusetzen. Die Spitalsreform I war geboren. Doch statt dann aktiv zu werden, passierte wieder nichts. Mehr noch, statt die Zahl der Spitalsaufnahmen pro Einwohner, die mittlerweile die zweithöchste in ganz Österreich war, zu senken, stieg diese ab 2005 noch stärker als in den Jahren davor.

   Aber die Bevölkerung hat natürlich geglaubt, dass reformiert wurde – schließlich sprach die Politik ja ständig davon. Dass real nichts passierte, konnten nur Kenner erkennen. Und die sahen, dass alles schlimmer wurde. 2010 lag Österreich, was die Spitalsaufnahmen betrifft, ja schon etwa doppelt so hoch wie Europa, aber Oberösterreich lag mittlerweile gleich noch mal 20 Prozent über dem Österreichschnitt und mit Abstand an der Spitze.

   Nach über zehn Jahren „Schein“-Reformen musste irgendwann tatsächlich eine Kurskorrektur her: Und die nannte man Spitalsreform II. Diese Reform war alles andere als eine echte Reform, es war nur der Versuch, den populistischen Wildwuchs, der mittlerweile wucherte, zu begrenzen.

   Ja, Wildwuchs; nehmen wir Ried als Beispiel, in dessen Spital ohne Genehmigung ein Herzkatheter errichtet wurde – wie üblich. Man macht, und Politiker schauten darauf, dass entsprechende Genehmigungen nachgeholt werden, auch wenn man dazu nicht selten den Bund erpressen musste.

   Als nun dieser Herzkatheter im Nachhinein nicht genehmigt, sondern im Rahmen der Spitalsreform II verboten wurde, da waren die Granden vor Ort sauer – und wie man merkte, bis heute.

   Denn als 2012 die Reform von SPÖ und ÖVP beschlossen wurde, kam es nicht zu dem nötigen Schulterschluss zwischen den Parteien. Im Wahlkampf 2015 wurde vor allem durch SPÖ-Funktionäre ständig auf die durch die Reform angeblich auftretenden Probleme hingewiesen. Mit völlig unfundierten Zahlen wurde behauptet, Patienten fänden keine Versorgung, und sie müssen sogar sterben – besonders, weil der Rieder Herzkatheter nicht bewilligt wurde. Mit einer ganz klaren Folge: der Verwirrung der Bevölkerung.

   Wäre ich Oberösterreicher, ich wüsste nach mittlerweile 15 Jahren Reform nicht, was wichtig ist, weil die, die entscheiden, praktisch dauernd was anderes sagen und sich noch darüber streiten. So etwas würde mich verängstigen, ich würde denken, da geht es um etwas anderes, was ich nicht verstehe, und es scheint denen da oben auch egal zu sein, was mit mir wird. Und wenn dem so ist, dann gibt es wohl kaum einen Grund, diese Parteien zu wählen – und genau das haben die Oberösterreicher getan.

„Wiener Zeitung“ Nr. 190 vom 01.10.2015     

Die Angst der Ärztekammer vor der Primärversorgung

Primärversorgung ist international erfolgreich und erprobt und will möglichst alle gesundheitlichen Probleme möglichst wohnortnah adressieren.

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   Primärversorgung agiert nach dem Bio-Psycho-Sozialen Krankheitsmodell, das eben nicht nur eine biologisch nachweisbare Krankheit behandelt, sondern auch seine Auswirkungen: ein einsamer Mensch empfindet Kopfschmerzen anders als ein sozial eingebundener Mensch – der eine braucht Zuspruch, der andere nimmt selbst eine Tablette.

   Die Einrichtungen, in denen Primärversorgung stattfinden soll, werden Primary Health Care Center, kurz PHC, genannt, müssen von der Prävention über Kuration, Rehabilitation bis zur Pflege alles anbieten können. Damit sind nicht nur Kassen, sondern auch Pensionsversicherung und Länder zuständig.

   Der Gesamtvertrag, um den es aktuell geht, wird NUR zwischen Krankenkassen und Ärztekammern abgeschlossen und kann nur abdecken, für das Krankenkassen zuständig sind, praktisch nur den kurativen Bereich. Das ist zu wenig.

   Und weil jede Region etwas anderes braucht (Waidhofen ist nicht St. Pölten), ist die Flexibilität über bestehende Gesamtvertragsregelung, die Patienten nicht nach ihren Lebensumständen, sondern nur nach ihrer Versicherung klassifiziert, nicht gegeben. Daher braucht es, wie bei Ambulatorien heute schon, Einzelverträge, um nach regionalem Bedarf zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln – es sei denn, wir wollen diese Aufgabe dem Markt überlassen.

   Der Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart greift die Idee dieser Einzelverträge heftig an. Er erklärt, dass „große internationale Konzerne die Chance nützen, die PHC-Zentren zu übernehmen und PHC-Ketten nach ausschließlich betriebswirtschaftlichen Überlegungen zu führen. Das wäre ein Groß angriff auf die soziale Medizin, weil damit die soziale Versorgung nicht mehr vom ärztlichen Ethos gesteuert wird, sondern von ausschließlich kapitalistischem Ethos, und die Gesundheitsversorgung gleichsam ins Ausland ,verkauft‘ wird“.

   Wenn das nicht passiert, dann wird aber eine staatliche Zentralmacht kommen, die „bis ins Detail den Ton angeben könnte“ und damit die „PHC am Gängelband der Obrigkeit“ hängen.

   Am Ende ist klar, überall sind Feinde, die „die bestehenden Versorgungsstrukturen zerstören“. Der einzige Retter des „seit mehr als 100 Jahren funktionierenden Modells“ ist die Ärztekammer.

   Eigentlich geht es nur um den Gesamtvertrag und das Monopolrecht der Ärztekammer, diesen zu verhandeln. Das ist das einzige echte Machtinstrument der Ärztekammer. Es zu verlieren, heißt Macht verlieren. Eine Macht, die ohnehin nur um der Macht willen existiert.

   Denn in Ländern, in denen eine funktionierende Primärversorgung besteht, geht es den Hausärzten deutlich besser. Und bedenkt man, dass auch Spitalsärzte (Stichwort EU-Arbeitszeit) nicht gut und Wahlärzte noch nie wirklich vertreten waren, dann bleiben etwa 4000 Kassenfachärzte übrig, um die es nun geht: 4000 von 42.000!    Und um auch die anderen 38.000 Ärzte zu mobilisieren, muss man mit allen Ängsten und Ressentiments spielen (ausländisches Großkapital und zentralstaatlicher Machtapparat), egal wie widersprüchlich (Verstaatlichung oder Privatisierung – was ist es eigentlich jetzt?) es auch sein mag

„Wiener Zeitung“ Nr. 175 vom 10.09.2015