Weil sich sowieso niemand mehr wirklich auskennt, einmal etwas, ganz abseits der österreichischen Akut-Reform-Diskussions-Wahnsinnigkeiten.
Vor langer langer Zeit (1978), weit weit weg, im tiefsten Kasachstan, in einem Ort, der heute Almati heißt, hat die Welt beschlossen, Gesundheitssysteme neu und besser zu organisieren. Festgehalten wurde das in einer WHO-Deklaration, die Österreich natürlich auch unterschrieben hat.
Da stehen so schöne Dinge drinnen wie: „Das Volk hat das Recht und die Pflicht, gemeinsam wie individuell, in der Planung und der Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden zu sein“, aber auch so praktische wie: „Primary Health Care (Anm.: ein Ausdruck, den man hierzulande kaum kennt und sperrig als Primärversorgungsbereich übersetzt) behandelt die wesentlichen Gesundheitsprobleme der Bevölkerung, indem es entsprechende Leistungen der Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention, Heilung und Rehabilitation zu den Menschen bringt.“
Weil es sich gerade trifft, und die Leiterin des Departments of General Practice an der School of Population Health in Auckland, Ngaire Kerse auf Besuch in Graz, ist, will ich das Thema aufgreifen.
Allgemeinmediziner, also Hausärzte, sind das Rückgrad der Primärversorgung. Sie sollten, so die Idealvorstellung seit dreißig Jahren, die Angelpunkte sein, um die sich Teams aus Pflegekräften, Hebammen, Sozialarbeiter etc. bilden, die die Gesundheitsversorgung zum Patienten bringen. Um so ein Hausarzt sein zu können, muss man gut für diese Aufgaben ausgebildet werden. So was geht nur, wenn man den Hausarzt als eigenständiges Fach sieht.
Aber hierzulande kann man nach drei Jahren Spritzendienst im Krankenhaus Hausarzt werden, ohne jemals eine Ordination von innen gesehen zu haben. Es gibt in ganz Österreich gerade einmal drei Professoren für Allgemeinmedizin. Seit 1950 sind ganze 25 wissenschaftliche Arbeiten von österreichischen Allgemeinmedizinern (davon 20 im Inland) erschienen und selbst das Gesundheitsministerium ist gegen eine rasche Etablierung des Hausarztes als Facharzt.
Zum Vergleich: Neuseeland hat für 4 Millionen Einwohner gleich sechs Universitätsinstitute für Allgemeinmedizin. Am Institut von Frau Prof. Kerse arbeiten sechs Professoren Vollzeit. Allein dieses Department publiziert jährlich mehr als 60 Artikel in internationalen Journalen. Die Ausbildung von Allgemeinmedizinern in Neuseeland beinhaltet zwölf verpflichtende Wochen während des Studiums, einen zweijährigen Spitalsturnus und danach 12 verpflichtende Monate in speziellen allgemeinmedizinischen Lehrpraxen. Für den endgültigen Abschluss sind dann noch zwei supervidierte Jahre in eigenständiger Praxis notwendig.
Im neuseeländischen Primärversorgungsbereich kooperieren mit den gut ausgebildeten Hausärzten ebenso gut ausgebildete Krankenschwestern (practice nurses, community nurses, familiy health nurses, district nurses, diabetes nurses, etc.).
In der WHO-Deklaration steht auch drinnen: „Alle Regierungen sollen nationale Strategien und Umsetzungspläne entwickeln, um Primary Helath Care als Teil einer umfassenden Gesundheitsversorgung zu etablieren und zu stärken.“
Und um was dreht sich die Diskussion seit vielen Jahren bei uns? Um Kassenverträge und Spitalsreformen. Und immer öfter werden diese Diskussionen nicht einmal mehr öffentlich geführt. Warum auch, nur weil die WHO gemeint hat, dass das Volk das Recht und die Pflicht hat, in der Planung und Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden zu sein?
Dieser Artikel wurde im Juli 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.